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Oerkel, W.
v. Horn's
Erzählungen.
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Heunec Bolks- Ausgabe.
Vollſtãndig in’ 12 Banden.
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Inhalt.
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Ammi. Eine Geſchichte aus dem dunsrucker boqhlande
(Hierzu -eine Illuſtration). ..
Duintin. Eine Erzählung . . .
Verſchiedene Wege Ein Stüdlein aus ber "guten, alten
Bit ... .
Der Seffel des Ohms Joſeph. Eine Mainzer Stadt
geſchichte aus der goldenen Luft
Des Douanen Kind. Eine rheiniſche Sqhmugglergeſchichte
Das Bacharacher Meßſchiff von Anno 1720. Eine
Geſchichte. . .
Eine Nacht in ber gefypauerhütte, Aus dem Haste
meines Großoheims
. 137
171
. 251
. 3831
Ammi.
Eine Geſchichte aus bem Hungrüder Hoclanbe.
(Hierzu eine Illuſtration.)
I.
&; war an einem Sonntagnachmittag im September, unb
obwohl ber Norbwinb um biefe Zeit in ber Regel ſchon ſcharf
über die Stoppeln ftreicht unb ber Hungrüder bereitö feine Winter-
ſaat beftelt bat, auch bie Schwalben ih um ben Kirchthurm
ſchaarten, bie baldige Abreife zu befprechen, unb bie Zeitlofe, bier
die „Winterhauch“ genannt, bie Wiefen bebedte, fo war's doch noch
ein recht fonnig warmer Mittag. Den Kranichen und Schneegänfen,
bie in ihren Dreieden am Himmel vorübergezogen waren, ging’s
dieſes Jahr gerade wie ben Kalendermachern, bie Regen prophezeien,
und es gibt Sonnenfhein, und umgekehrt. Daher kommt's auch,
daß das Sprüchwort fagt: den Kalender machen bie Leute, das
Wetter ber liebe Gott. Das Jahr 1811 machte ohnehin alle
Bauernregeln unb Kalendermacher zu Schanden, und es ſchien fich
einmal vorgenommen zu haben, feinem eigenen Kopfe zu folgen;
bern wie's ben gefegnetften Sommer batte vom frübelten Frühling
an, fo jchien ed den Winter völlig vergefien zu haben. Ya, das
war ein Jahr! Seit Menfchengebenfen war Fein ähnliches. Das
machte aber der mächtige Komet, der am Himmel fand.
Es war am einem Sonntagnachmittag im September 1811.
Die Sonne ſchien noch fo warm wie im Juli und der Komet mit
feinem ungeheueren Schweife fchien ben kühleren Ger ganz weg-
Horn’s Erzählungen IX.
— 2 —
gefegt zu haben. Gegen den entfernten Hochwald hin dehnte ſich
eine weite Wieſenfläche, die trotz der Winterhauchen noch üppig
grünte. Seitwärts, etwa einen Flintenſchuß entfernt, lag das
ſchöne Dorf. In dieſem Wieſengrunde, ber ſich an dem breiten
Bache hinzog, den Erlen und Weiden einſchloſſen, weideten Knaben,
Jünglinge und Mädchen das Vieh, und Jubek und Geſang ſchallte
von allen Seiten ber und im fröhlichen Spiele wurde gar häufig
bie Aufficht auf das weidende Vieh vergeffen. Das that übrigens
nichts, denn e8 war nirgenbd Gefahr und ber Wald war weit
genug entfernt. Nur bag Eine Fonnte fchlimm werben, wenn
nämli eine Bremfe daher ſchwirrte ober eine Horniffe, weil dann
das Vieh zu „biefen‘ anfing und: megranmte. wie toll. Und dazu
war'3 eben immer wuch warm gemug.
Hier hatten fie von Kartoffelſtroh ein Feuer angemacht und
brieten ſich Kartoffeln darin und tanzten. darum, wenn's hoch
auflohete, als ob's ein Johannisfeuer wäre; andere trieben. allerlei
Spiele, kurz, fie verguügten fich gar luſtig. Der Bach machte,
wie alle Hunarücher Bäche, gang verwunderliche Krümmungen,
wodurch es kam, daß es Stellen. daran gab, bie vecht heimliche
Blaubera und Kofeplätzchen bildeten, we man dem Auge der
Bebrigem geng verkorgen war. ar. einem folden Plätzchen, bad
Toter tete: eine große Taube rund won bunfler Erlen abgefchloffen
war und nur gegen den Wieſengrund eine ſchmale Oeffnung hatte,
Ing ber Stamm eines beim vorführigen Hochwaſſer entwurzelten
workten Weiberdiopfd. Er bildete im tiefer: beumlichen Schatten eine
vecht einaladende Sitzbank, und ea ſchien, alß hätten tk Zwei zum
Rofeplägchen erkoren, derm fie bamen, nachdem ſte ſich nach allen
Seiten ningeſehen, um ſich zu vergewiffern, daß fie unbeachtet und
ficher ſeien, wit raſchen Schritten im das ſchattige Verfinf herein
und ſetzten fich vertraulich auf den Weidenſtramm.
EB war ein liebliches Paar, aber nicht ein Jungburfſch mit
feinem Liebchen, fonbern zwei Mäbchen, bie in dieſem Jahre kaum
zum ueungehnten Male bie Winterhauchen im den Wieſen jaben.
Sie waren beide ſehr hübſche Mädchen, aber doch fo verfchieden,
bag, wenn. nıau hätte jagen ſollen, welche bie ſchönſte ſei, man
in bie Slemme gerathen wäre und fich gefragt Hätte: bif bu
auch deiner Sache jo ficher, daß dich bein Ausſpruch hintennach
nicht veut? Schon mann man fie bie abſchäſſige Wiefe herunter
gaben. fah, konnte man ſehen, daß bie Zwei nicht einerlei Weſens
won. Es iſt erſtaunlich, wie bepichnend der Bang, und bie
Haltung eines Menfchen für fein ganzes Wefen if. Man kaun,
wen. mas peilfenb barauf achtet, gar fichere Schlüfle ziehen.
Die. Eine trat. feſt, beſtimmt, Träftig auf, bie Aubere weich,
man möchte jagen ängfllich und fanft, und dieſe Axt bes Auftretens
ſtimmte mit ihren Natuxen burdaus überein. Die, welche fo fe
und fuellfräftig einherging, trug ſich kerzengerade wie eine junge
Tanne. Ihre Auge fah klar und feit in bie Welt, aber es war
doch kein Stolz, fein Hochmuth baum. Die innere Sicherkeit und
Teftigfeit be Willen? und Herzens aber that fich is jeder Bewe⸗
gung, in Blid und Haltung kund. Sie hatte kaſtanienbraunes,
veiches, glänzendes Haar umb braume, leuchtende Augen. Ihre
Stine war frei, hoch und vein, ihre Wangen wie gemalt und ihr
Meiner Mund wie eine rothe Kirſche; aber bie Hautfärbe war ein
biachen bunfel, was ihr aber gar gut fland, und fo vecht zum
Ganzen paßte. — Die Andere war etwas Heiner, ihr Körper
zuater gebaut, ihr Auge blau wie ber Himmel, ihr Saar blond und
zart wie ber glänzende Flachs, ben ihre Fleine Hand fpann in. ben
Wintertngen. Ihre Haut war wie der frifch gefallene Schnee,
wern bie Mergenröihe barauf leuchtet, und ihre Wangen wie eine
Moosrofe, bie eben bie Knofpe gefprengt bat. In ihrer Kleidung
waren fie faft glei. Ein buntes Halstuch umſchloß die Bruſt bis
zum Halſe, den eias Halsband von Granaten auf ſchwarzem Gamınt-
band umgab. Das Mieter war nen himmelblauem Tuche mit
ſchwarzen Sammikändern eingefaßft. Der Arm war bloß bis zum
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— 4 —
Oberarm, wo ſich das ſchneeweiße, ſelbſtgeſponnene Hemd enge
anſchloß, weil es über dem Ellnbogen zuſammengelegt und hinten
mit einer Stecknadel feſtgeſtelkt war. Ein welter, grün und ſchwarz
geſtreifter Tartanrod umſchloß bie ſchlanke Hüfte und fiel ziemlich
ang herab, doch nicht fo tief, daß man nicht die hellblauwollenen
Strümpfe mit den rothen Zwideln ımb die Schuhe mit ziemlich
hohen Abfähen hätte ſehen können. Vorgebunden hatte jebe eine
Schürze von dunklem Drucdlattun mit ſchwarzem, Yang herabham⸗
gendem Bande.
Man konnte es leicht abnehmen, daß die Mädchen Eile Gatten,
um ungeftört plaudern zu können. Bemerkt hatte ihre Entfernung
Niemand, unb wollte ihnen das Glück wohl, fo konnten fie Teicht
ein Stündchen heimlich reden. Sie ſetzten ſich eng aneinander auf
ben Weidenſtamm, und bie Braunbaarige, nachdem fie vorfichtig
gelaufcht, ob .nicht etwas Verdächtiges fich hören laſſe, legte ber
Blonben die Hand auf die Schulter und fagte: ‚‚Lene, um taufend
Gottes Willen, iſt's denn wahr?‘
Die Blonde erhob das gefenfte Haupt und fah mit vollenden .
Thränen bie Freundin an und nidte bloß, denn fie konnte jegt, wo
ein langverhaltener Schmerz mit aller Gewalt hervorbrach, fein
Wort reden. | |
Ammi, fo hieß bie Braune, fchlug bie Hände zufammen und
fagte: „An des Himmels Einfall hätt’ ich eher geglaubt! Aber,
rede doch einmal, Lenel Habt ihr denn Streit gehabt? — Ein
Bräutigam verläßt plöglich. feine Braut, in bie er verliebt fchien
wie ein Eichkätzchen — fo etwas iſt auf dem ganzen Hunsrüd noch
nicht vorgefommen! Aber, gelt, ihr habt Streit gehabt? Worüber
denn, Lene?“
Lene hatte das Gefiht in beide Hände gelegt. Sie weinte
faft Taut und ber Schmerz ftieß ihr orbentlich in ber Bruft; aber
fie antwortete nicht und Ammi fuhr fort: „Ich Tann mir ben
Hannjoſt gar nicht denken! Iſt doch die Lene das hübſcheſte
!
— 5 —
Moäbchen weit und ‚breit! Iſt fie doch eines reichen Bauern einziges
Kind! Iſt Doch des Vaters Name ein ehrbarer und ihr Ruf ohne
Makel, wie ihre Schönheit! Ich fage, bie Welt muß feine Woche
mehr vom jüngften Tage fein!” '
Sie fprang auf,. rannte einmal das Wiefenplätchen auf und
ab und fehte ſich dann wieber.
Da richtete Lene den thränenmüben Kopf in die Höhe und
fagte leiſe: „Ammi, es ift Alles vorüber! — Er hat mir meinen
fübernen Ring zurückgeſchickt durch Schulmeifters Ottil, und feinen
bat fie ihm gebracht.‘
„Da!“ rief Ammi, „fo ift ber Topf ſchon übergelaufen! —
Du mein Gott und Herr! Bor acht Tagen noch alles Liches und
Gutes, die Red’ von ber Hochzeit zu Märtedtag, und jebt Alles
aus und vorbeil Das begreif Eins! — Sind denn etwa Fuchs:
ſchwänzer und Obrenbläfer dazwiſchen gewefen ? Lene, Tiebe Lene,
ſag' mir's doch!“
Lene ſchüttelte den Kopf und ſah Ammi ſo flehend, ſo
ſchmerzlich an, als wollte ſie ſtillſchweigend bitten: Sei doch
zufrieden |
„Ich fahr’ aus ber Haut, Lene, wenn Du nicht bie Lippen
aufthuſt! Ich muß dann glauben, Du ſeiſt Schuld, und Deine
Thrönen Hagen Dich ber Schuld an!’
Lene richtete fih auf. Ihr glänzendes Auge richtete fie feſt
auf die Freundin, dann fagte fie: „Gott weiß es, ih bin
ohne Schuld!“
„So iſt der Hannjoſt verrückt!“ rief das aufgeregte Maͤbchen.
„Sag' mir's doch!’ bat fie wieder. „Du haſt mich nicht mehr
lieb, Lene! Sieh’, ich hab’ Keinen Gedanken in ber Seele, und Du
fennft ihn fchon, ehe er um bie Edeifi; aber Du hinterhältſt Altes.
Hab’ ih das um Dich verdient?“
Da fiel Lene ihr um ben Hals und fagte, krampfhaft weinend
und ſchluchzend: „Ich kann Dir's nicht ſagen!“
- 6 —
„Du — amt — nicht?” ſprach Ammi gedehnt und Plotltch
bebeckte eine tiefe Gluth ihr Angeficht.
Ste ſchwieg lange; dann fchlang fie ihre Arme um Lenens
Naden, brüdte fie feſt an fich, faßte ihr Geftcht mit beiden Händen
unb Füßte die Glähende auf den vofigen Mund.
„So!“ fagte fie, „nun hab’ ich Dich noch viel tauſendmal lieber!
Beſſer Unrecht leiden, als Unrecht thun! Laß ihn fahren, Lene!
er iſt em übermuhiger, lüderlicher Burſche, ein Hündelſucher und
Rartenfpidler. Laß ihm fahren! Heiß’ bie Lieb aus dem Herzen
mit Stumpf und Stiel! Er ift feiner Thräne aus Deinen fchönen
Augen werth!”
„Ach, konnt ich!" fläfterte das tiefgebeugte Mäbchen. „Er
wur ja meine Welt, mein Alles!‘
„Iſt er's denn noch, wo er Deiner Achtung nidyt mehr werth
RI” rief Ammi. „Rene, ich hab’ meinen Stoffel Lieb, daß ich Für
ihn in den Tod gehen könnte, wenn's fein müßt’, aber ich hätte
Kraft genug, bie Lieb’ bis in den tiefften Seim m mir zu töbten,
wenn — —. Rein, Lene, ſei ſtark! Em Mädchen muß auch Herr
fein können über ihr Herz. Kränkt Dich das Gerebe der Leute?
Wenn das Gewiſſen rein tft, fo lacht man darüber. Sieht Du, ba
droben ber, ber weiß Alle und ber richtet. — Ueberleg' ich's jetzt
und benfe mir, wie ber Hannjoft fo oft vonb und widerborſtig TR,
fo mein’ ich, ber liebe Gott weiß am beflen, was uns fremmt.
Ich Tarın Freilich nicht in die Zufumft ſchauen, aber ich hab’ ben
Glauben, jo, mie ſich's geftellt Hat, iſt's Dein Glück. Beffer,
fie werfen vor ber Hochzeit die Maske ab, als uadiher!”
Ammi hätte wohl noch Tange fo fort geredet, wäre nidyt auf
der WBiefe ein Brüllen bes Viehes Taut geworden und ein Tauteß
Gefchrei der fimgen Leute unb Kinder.
„Himmel, das Vieh bieſt!“ rief Ammi und mar im. Nix
verſchwunden, wie das flüchtige Reh, wen es aufgefchredt
worben iſt.
— 7 —
Nach allen Richtungen ummte das Wieh wie raſend, den Schweif
bo in der Luft und den ſtopf tief m ber Erbe. De war Kin
Aufhulten, Fein Wehren, man mußte 23 eben laufen laſſen, bis ea
mübe war und ruchig wurde, wenn es den Ton ber funmmenben
Horniffe nicht mehr hörte. Das nennt ber Hunsrücker „bieſen.“
Es war ein GE, daß ſich eine Anzahl Knaben gegen den
Wald hin zum Ballſpiel geſammelt hatte. Als fie das Bieh rennen
ſahen, bildeten fie eine lange Reihe umd lärmten gewaltig, die
üben und Tücher ſichwenkend; dadurch hielten ſte das Vieh vom
Wald ab. EB vommte nun theils im Wieſengrund herum, ſtürzte
AG in ben breiten und tiefen Bach md ſchwamm hinüber, tel
rannte es anf bie Felder amd gegen bad Dorf. Nach einer halben
Stunde war es zurüdgebracdht und Mies wieder in Orbrung. .
„Was war's denn,“ ſwagte Ammi ein anderes Brübchen, bei
dem ber wüßte Theil ber jungen Beute ſtand.
„Ach,“ ſagte das Mädchen, „ber Hannjoſt bat mit der Hu
vor dem Munde ben Ton reiner Horniſſe nachgemacht; da wirede
bad Vieh toll und bieſig.“
Ammi's zürnender Blick traf ben Uebermüthigen, daß er br
auge niodevchlug.
„Wenn man von einem Bubeu⸗ ober Schandſtreiche hört, je
braucht man nicht mehr im Doerfe zu Fragen: wer hat's gethan?
Jedermann weiß, ba Weierich's Hannjoſt der Arheber if!‘
Diefe Worte fagte das Mübchen mit Ätender Schärfe.
Der Getroffme wurte Weich vor Zorn. „Wärſt Dun ein Bub,“
rief er, „ih bräch' Dir ben Hals!"
Ammi hatte fish abgewendet. Jetzt fuhr tie raſch heunn und
fügte: „Ga thut mir Teib, daß ih Teimer kin. Einem Mädchen
kann ein Strolch höchſtens daB Herz brechen; und bamn iſt er nech
freh und Ted dazu, und bie Welt ſtößt Ihn wicht aus, wie er nd
verdiente!’ |
Sie ah ihn feſt, fa durchbohrend am, und er ſchwirg und
— s —
ſah zur Erde. — Sie aber ging noch eimmal fo feſt und ſchnell⸗
kräftig Über die Wieſe, bie Freundin aufzuſuchen. — Lene war
heimgegangen, um ihren Knecht zu ſenden. Ammi kehrte zu der
Geſellſchaft zurück, von der ſich Hannjoſt entfernt hatte.
„Ben wird Gott zeichnen!“ rief das Mädchen nach ihm
deutend, „das Zeichen ber Schmach trägt er ſchon!“
Kein Unfall ſtörte mehr die Hütenden. Die Thiere beruhigten
ſich völlig und weideten wieder. Hier und dort ſpielten bie jungen
Leute in Gruppen, Andere ſtimmten ein Volkslied an. Ammi aber
ging zum Bachufer, lehnte ſich an den Stamm einer Erle und
ſtand lange bier allein, ſinnend und vft tief aufſeufzend. Ihre
Gedanken waren bei ber Freundin, bis endlich bie Betglocke läutete
und das Vieh heimgetrieben wurbe.
Lene und Ammi waren, wenn auch mannigfach verfchieden,
bennoch Ein Herz und Eine Seele feit ihren früheſten Kindertagen.
Sie hatte neben einander in ber Schule gefeffen, fie waren
unzertvennlich bei den Spielen gewefen unb hatten auch Beide das
"heilige Nachtmahl, mit einander zum erflen Mal empfangen. So
alte Liebe roſtet nicht. Innig und treu verbunden. blieben bie
Mädchen in biefer Eintracht und nichts flörte fie. Inniger und
enger wurbe noch die Verbindung, als fie fich das füge Geheimniß
ber Liebe zu vertrauen und zu bewahren hatten. Freilich war ba
bie blonde Lee im größten Vortheil. Ihre Liebe war begünftigt
vom Dater und von Hannjoſt's Eltern und bald wurde bad Ver:
löbniß gehalten, wo ber Pfarrer eine ſchöne Rebe hielt und bie
Ninge wechjelte. Ihrem Glücke fchien nichts im Wege zu fliehen,
und Hannjoft’8 Eltern, wie viele Leute im Dorfe, meinten, bie
ſanfte Lene werde über ben wilden Hannjoft eine Gewalt erlangen,
tote. jelten eine rau ber ihren Dann, eben weil fie fo gut und
milb fe. Andere zweifelten und meinten, Ammi wäre bie Nechte
für ihn gewefen.
Ammi war nicht fo glüdlich. Ihre Liebe zu Stoffel war,
— 9 —
wie die Leute ſagen, mit aus den Kinderſchuhen herausgewachſen,
und wie ſie höher aufſchoſſen, wuchs die Liebe tiefer in die Herzen
hinein; aber ſie war eine heimliche, weil der Vater Ammi's dagegen
war. Gegen ben Burſchen konnte er nichts haben, ex war ein
Mufter eines braven, wadern Jungen, aber fein Entgegenftemmen
batte einen Grund, ber in dem Sprüchworte fußte: Viele Brüber
machen fchmale Güter. Der Stoffel war ber Aeltefte von vier
Brüdern und brei Schwefteru, und wenn auch ber alte Müller
Bauermann ein hart gebadener Müller war und ein hübſches Gut
hatte, fo machten eben doch die Achtelchen nicht fo viel aus, wie
Ein Ganzes, und bag bekam feine Ammi, denn fie war ein einzig
Find. — Vielleicht Hätte ſich das doch noch ausgeglichen, weil
Stoffel die Gefchwilter mit Ammi's Gelb abfinden und ſich bie
Mühle erhalten Fonnte; aber ber Alte war Stoffel’3 Vater nicht
. beld, weil er feft glaubte, ber alte Müller Bauermann babe es
bintertrieben, daß er Syndik im Dorfe wurde, wie fie zu ber
Franzoſenzeit die Schöffen oder Bürgermeifter nannten, und babe
ed ben Welerich, bed Hannjoſt's Vater, zugefpielt, weil ber ihm
einmal mit Geld aus einer großen Berlegenbeit geholfen. Da
wufh eine Hand bie andere, meinte er mit beftigem Zom im
Herzen, und das vergab er bem Müller nie. So ließ ſich's an
den Fingern abzählen, daß aus einer Heirath Ammi's und Stoffels
nichts werben Tonnte. Mit bem alten Zorn und Haß iſt ed, wie
mit der alten Liebe. Er roftet nicht und wächſt am Ende in’
Fleiſch hinein, wie ein Nagel, ſchmerzt immer, aber man ‚Eriegt
ihn nicht mehr heraus.
„Wie wird's noch gehen?‘ fagte Stoffel oft und feufzte.
Dann antwortete Ammi: „Darüber zerbrech' ich mir ben Kopf
nicht. ‚Kommt Zeit kommt Rath! So viel weiß ih, wenn mein
Vater mich zwingen will, bat er bad Spiel verloren; denn bie
elterliche Gewalt bat auch ihre Grenze, und die ift am Altar Gottes.“
Der alte Bender, Ammi's Vater, kannte feine Xochter.
- 10 —
Hundertmal fagte er: ‚An dem Mädchen iR An Bub verborben.
Ich fürchte, ſie macht mir noch Arbeit.”
Wenn er das ſagte, dachte er allemal an Bawermamn'a
Stoffel und Ammi’s che gu ihm. Sie war ihm ein Dorn m
Auge und er wartete mır, bis em rechter Freier Täme, um dm
Faden abzufchneiden.
Ein Ereigniß, wie bad, daß Weierich's, bes Syndils Hamtjoſt
mit felner Verlobten, mit Schneiber’3 Vene gebrochen, vrachte das
ganze Dorf in wahren Aufrühr. Ueberall ſteckten bie Bewte die
Köpfe zuſammen. Im Backhans, am Brunnen, im Wirthshaus
und Sonntag Nachmittags vor den Hansthiren wurde es beſprochen
md verhandelt. Aber es war eime ſeltene Erſcheinung, daß fi
diesmal Teine Parteien bildeten und nur Eine Stimme im Dortfe
wer, und diefe gegen Hannjoſt. Man Sebauerte das amte Mäbchen
und ihren braven Bater, und Hannjoft konnte in jedem Geſithte
Tadel, Unwillen, Zorn leſen. Er hatte eben wenige Freunde im Dorfſe.
Feſſt durchweg in jedem Dorfe ſpielte ein Reicher umer ben
Burſchen den Wilden. Er PA der Haupthahn; um Hm fammele
fi die Anderen, er gibt den Ton an, den Ale fummen. Sein
Big wird im Chore belacht; was er thut, iſt ſchön und recht, waß
er angibt, wird ohne Weiteres gethan. Wenn er irgend einen
frieblichen Birger auf dem Striche bat, fo kann er ſich Gott
befehlen; jeder Schaberna@, aller Aerget wird tum angethan. Im
Wirthshauſe fit er oben an, beim Tanz ift er ber Erfle und
tanzt Solo wern es ihm beliebt. Cr gibt die Tänze an, bie bie
Mufifanten fpielen müffen, kurz, er ift ein Machthaber, wie irgend
einer der Welt. Daß er der Liebling ber Mädchen if, auch
wern ein berbes Maß Rohheit und Uebermuth mit in’s Spiel
geht, Tiegt auf ber Hand; ımd wenn er zehn Schlige Hätte und
verließe, bie Eilfte meint body, fie feſſele ihn fiher, und nimmt
feine Bewerbungen mit Freuden an. Geben Tollheiten, Anord⸗
mungen, Nadtlärm und dergleichen von ihm aus, die Männer
— 1 —
haben felten den Muth, ed ihm zu verweifen, wel fie bie
taufenderfei Wege Tennen, wo er es ‚ihnen vergelten kann und fiber
nicht fAumt, es zu hun. Bei Schlägereien, bie zer Kirchweche
fetten fehlen, führt er Feinen Troß an und kann feiner Hülfe ſicher
fem. Wenn ‚alle Welt von ihm rebet, gleichviel, gut oder böfe, ‘fo
bat er in feiner Meinung das Hoͤchſte erreicht. Es iſt wahr, ha
oft folche Haupthäßne, wenn ſie es recht toll getrieben, im Ehe⸗
Monde muſterhafte Männer werden und redyt brave Gemeindeglieder;
aber es als eine Negel anfftellen wollen, wäre dach allzu gewagt,
da das Gegentheil eben fo häufig eintritt.
Hannjoſt, des Syndiks Weierich Sohn, ber einzige, der ihm
von nem Kindern geblieben, war To ein Haupthahn. — Eben der
Umftand, daß ihnen fe viele Kinder geftorben waren, fammelte in
biefem feßten der Eltern ganze Liebe, und die war fen Ungfint.
Berzogen wurde er von Kindheit nuf, jeber Wunſch wurde ihm
erfült. Er Hatte immer Geld genug in der Tafche, feine Wünſche
zu befriedigen, und that's auch, ohne daß ihm bie binden Eltern
etwas dagegen ſagten. Er mar Herr feines Willend und machte
es Tediglih und immer, wie er felber wollte So war er ein
Füderficher Gefell geworden, ber feine Leidenfchaften allein maß-
gebend fein Tieß Für fen Thun, umd die Lente im Dorfe nannten
ihn „Weierich's Zuchtruthe.“ Er Hatte viele Mäbchen nachgeführt,
aber alle wieber fahren lafien. Um Bender's Ammi firich er lange
herum, aber bad Mädchen führte ihn ab, daß es eine Luft war,
und es gehörte entweder bie ganze Unverſchämtheit Haunjofts dazu,
oder eine wahnfinnige Liebe, dennoch wicber zu kommen. Endlich
wurde er's denn doch müde. Bielleicht gefiel ihm auch die herrlich
erblühende Lene, bie alle Welt ala bie Krone des Dorfes pries,
befier.. Er warb um fie, und Bene, die ihn Tängft gelicht, erhörte
feine Liebesbitten, und der afte Weierich ſah's nicht ungern, obwohl
er die raſche Ammt lieber als Schnur gehabt hätte, ber er eine
größere Macht zetraute, den Wildfang zu bändigen und ibn zu
— 12 —
einem braven Manne zu machen. Cr war vollends zufrieden, als
Lene fo ſtarken Einfluß auf den Burſchen ausuübte, daß er ſeitdem
wirklich ein ganz anderer Menſch geworden zu ſein ſchien.
Da brach er plötzlich mit dem holdſeligen Mädchen, und der
Vater und die Mutter ſtanden ſo verblüfft da, wie alle Anderen.
Als fie ihn fragten, wies er fie zornig und ungezogen ab. Damit
war bie Geſchichte für fie aus; bemn leider war es fo weit gekom⸗
men, baß fie es nicht mehr wagten, bem Burſchen mit bem Anfehen
ber elterligen Würbe entgegen zu treten. Faſt weinend fagte ber
alte Weierich zu feiner Frau:
„Das iſt die Folge davon, baß wir vergaßen, wa im Heibel-
berger Katechismus fleht, daß Gott bie Kinder durch ber Eltern
Hand regieren will. Und Salomo und Sirach fo gut wie ber
Apoftel Paulus Haben uns umfonft gefchrieben, was wir thun
ſollten. Nun ernten wir das Kreuz!‘
Die Mutter feufzte und ſchwieg. Wer von Beiden am meiften
Schuld trug, war ſchwer zu fagen.
„Ich wollt’ Tieber, er wär Soldat geworben!‘ klagte ber
Alte.
„Verſündige Dich nicht,” fprach die Mutter; „Du weißt doch
noch, wie Du mit bem vollen Kronenthalerfädel nad Simmern
liefſt und mit dem leeren zurüdtamfi! Und gib Acht, es legt fich
wieder bei.’
Abber es legte fih nicht bei Wenn auch Schan und Reue
Hannjofts Herz zerriß, fein Bauernftolz Tieß eine Rückkehr nicht
zu. An Lenend Haus ging er vorüber wie ein Dieb, unb wenn
ex fie ſah, blidte ee an den Boden. Sein Webermutb war
gebrochen; daher befamen denn auch bie Leute ben Muth, ihren
Tadel Taut und ſcharf auszuſprechen. Es gebt aber auf einem
Dorfe wie in der Stadt. Cine Zeitlang rebete alle Welt von ber
Geſchichte; dann ward's ſtill. und weil Lene nicht ftarb, wie Manche
batten wetten wollen, fonbern, wenn auch mit fchmerzlicher Weber:
- 3 —
winbung, ihr 8008 trug, fo wurbe nad einem halben oder ganzen
Vierteljahre nicht? mehr von ber Sache geredet.
Es war gegen Martini, al eined Sonntage Mittags ber
afte Syndik Meterih in Bender's Haus trat. Bender war allein
und faß am Tifh und kramte im feinen Papieren, Schuldſcheinen,
Quittungen vom laufenden Anno.
„Stör' ich Dich, Peter,“ ſagte Weierich, „ſo ſag's; ſo tomm’
ich ein andermal wieder.‘
„Nein, ſetz' Dich, Kottfried,“ war Bender's Antwort.
Er raffte feine Papiere zufammen, ftieß fie auf dem Tifche
gleich, band fie zufanımen, legte fie in das Schränfchen von Kirſch⸗
baumholz, das in ber Ofenecke feſt gemacht war, ſchloß ab und
fegte fich zu dem Synbil.
„Was führt Dich zu mir?‘ fragte er.
„Ein Geſchäft,“ fprach der Syndik. „Iſt's juft hier?‘ fragte
er, fi) umfehend. „Es ift für Dich allein.‘
„Wenn die Wände feine Ohren haben,” ſagte Bender, „ſo
ſind wir ſicher.“
Er ſtand auf, ſah in die Kammer, die auf der einen, und in
die Küche, die auf der andern Seite an die Stube ſtieß, und da
er Niemanden ſah, kehrte er zurück, ſetzte fih zu Weierich an ben
Tiſch und ſagte: „Du kannſt friſch von der Leber reden, wir find
allein.“
„Höre einmal,” bob ber Syndik an, „ich kann nicht mit jedem
Bürger in ber Gemeinde reden, aber mit Einem muß ich, unb ba
fomm’ ich zu Dir, weil ich Dich für verfeäwiegen halte. Du weißt,
die Landmeſſer find mit der Vermefiung unferer Gemarkung fertig,
und bie nächte Woche fol unfere Gemeinde eingeſchätzt werden in
ihre Steuerflaffe. Da gilt's! Bon Rechtswegen müßten wir halb
erfte und halb ziveite Klafje befommen; aber da müßten wir hölliſch
bezahlen und bie Steuerlaft läge auf unferen Nachkommen big an’s
Ende der Welt. Werden wir auch einmal auf dem linken Rhein⸗
— 4 —
ufer wieber beuifch, was Gott Lieber heute ala morgen gebe, fo
bleibt doch ber Katafler beſtehen und ber Steuerſatz iſt fo feſt wie
unfere Berge; nicht?"
„Freilich,“ ſagte Bender, ber eigentlich noch gar nicht wußke,
wo hinaus eigentlich Gottfried Weierich wollte,
„Nun bat fo ein Commiſſär zwei Augen,” fuhr ber Syndik
fort, „unb wenn. man auf das eine Geld legt, fo flieht er nur
bald; legt man auch auf's andere, fo fieht er gar nichts. Verſtehſt
Du?’ —
‚ Der Spnbit ſah mit biefen Worte fuchsſchlau Lidelnd in
Bender's Augen.
Ich versteh’, erwiederte Benber.
„Gut,“ fagte Weierrih, „dann kann ich weiter berausrüden.
Ich hab' mit dem Commiſſär die Sache ſchon rund gemadt. Wenn
er ſechs Larolin befommt, fo fegt ex unfere Gemarkung halb in
die dritte und Halb in bie vierte Klaſſe. Es Träht kein Hahn
darnach, und unfere Steuerlaſt wirb um ein paar taufend Franken
geringer. Es ift ein Vortheil auf ewige Zeiten.‘
Bender's Gewiſſen regte ſich. „Recht iſt's aber doch nicht,”
ſagte er.
„Wohl wahr, Peter,“ fuhr der Syndik fort, „und wenn Du
meinſt, wir ſollten's bleiben laſſen, ſo iſt mir's auch recht; aber
es macht mir und Dir ein ſchönes Sümmchen und der verfluchte
Franzos kriegt's doch, ber unſere Kinder hinmordet, ben wir Alle
haſſen, der uns drückt, wo und wie er kaun, und wer ſteht uns
dafür, daß er, wenn's ihm an den Kragen geht, uns nicht unſer
Gemeindeland nimmt und verkedgert’3? Das Sprüchwort fagt:
Der Yub’ haßt bag Gerümmell Ich hab’ ſchon fo eine Glode in
ber Yerne Täuten. hören. Wie nun? fragt Du no, iſt's Recht
ober Unreht? — He?"
Peter. Benber müßte fein Bauer geweſen fein, wenn ihn das
nicht fchon halb herumgebracht hätte.
„Spiel'a,“ fuhr ber Syndik fort, „piel's ihm im ben boden⸗
laſen Sädel, fo. bat er's, unb Du uub Deine Nachkommen bezahlen’ 2.
Webrigend, Pater, handeln wir ja bier nicht eigennüßig für ung,
fanden für unfere Gemeinde. Das mußt Du bebenfen.”
Peter Bender fagte: „Aber, Sottfrieb, woher bie ſechs Karolin
nehmen. und nicht ſtehlen?“
„Oho!“ vief bet Syndil. „Weißt Du ben. nicht gem legten
Gemeinbetage her, daß wir in unferex Schmudelfaffe, von ber ber
Maire nichts weiß — meil er micht Alles zu wiffen braucht, unb
man in einer Gemeinde balb hier, bald da einen Kreuzer braucht,
um ben man widst allenzal fchreiben kann — daß wir in ber Kaffe
nach mehr ala fo viel haben?”
„Das wär fon. gut,“ ſagte Bender, „aber was wirb bie
Gemeinde jagen, wenn es fehlt? Und Du willſt es doch nicht
Jedem auf die Nafe hängen?‘
„Jetzt nicht,“ entgaguete ber Syndik; „aber ich fag’ es Dir
und noch zwei anderen von. ben erfien Männern im Dorfe, bie
konnen'a beflätigen vor ber Gemein’, baß ed zu einem Zwecke
verwendet moeben, ber Allen zu gut kommt. Nach ein paar Jahren
jagt man's Allen franf und frei und ba Jeder feinen Vortheil babei
hat, was er fieht, mern er in ben Steuern herunter kommt, jo wird
auch Jeder ſchon fein Manl halten und bie Geſchichte nicht au bie
große Glocke hängen.‘ |
Beide fprachen nun noch eine Meile über ben Handel, dann
waren Me einig. und bie Gefchichte war fertig. Diefe ächte Bauern-
ſchelmerei war aber eigentlih von bem Syndik nur gewählt, um
ben Benber fich geneigt und kirre zu machen. Es wußten's wenig⸗
ſtens ſchon zehn im Dorf und ber Gommiffär hatte das Geld
fon, um befwillen er ben Staat um das Zehufache und mehr
betrog, eine Handlungsweiſe, bie Damals, wo das Geld alles Edige
Fugelrund machte, ganz herkömmlich war.
Sie hatten ihre Pfeifen angezündet, und nachdem bie Staats⸗
— 16 —
händel befeitigt waren, kamen bie eigenen daran. Weierich Plagte
Bender'n, welch einen Streich ihm fein Hannjoſt gefpielt mit dem
Brechen mit Schneiber’3 Lene. Es mochte ihn bamit völlig Ernſt
fein, aber fein geheimer Zwed forderte e8, daß er feinen Sohn wo
möglich rein wuſch. Auf Lene bireft eine Schuld zu werfen, wagte
er nicht. Er fagte daher: „So leid mir auch die Geſchichte thut,
fo bat fieebocdh eine Seite, bie mir nicht unlieb if. Dir, Peter,
kann ich fchon fo etwas fagen. Siehft Du, bie Lene ift viel zu
weich für meinen Hannjofl. Er ift fo ein Wilder, weil er halt
weiß, daß er Gelb hat und Friegt. Wir waren ja auch einmal
jung und haben's an ung auch nicht fehlen laſſen. Das muß
Unfereiner bedenken, wenn er über das Thun und Treiben ber
Jugend judicirt. Und ich frage Dich, find wir nicht tüchtige Männer
und brave Ehemänner geworben? Freilich haben unfere Weiber —
man muß ehrlich fein — viel an ung zu fehulmeiflern gehabt;
aber fie haben alle Beide — Deine, Gott hab’ fie felig! und meine,
Bott erhalte fiel — Haar auf den Zähnen gehabt, und Hingen ung
- ben Brobforb hoch und legten und ben Maulforb an, befonbers
für's Wirthshaus. Daraus folgte, daß wir alle Beide behaltene
Männer geworden find. Die Lene wäre, wie gejagt, zu weich für
ihn geweien, unb ich bätte befürchten müſſen, er bätte wie ein
thöricht Fohlen hinten ausgeſchlagen. Das ift das Einzige, warum
mir die Gefchichte weniger unlieb fein könnte. Ich meines Orts,’
fuhr er fort, als Peter Bender bazu ſchwieg, „hatte immer ein
anbereg Mädchen im Auge für ihn, die Krone aller Mäbchen im
Dorf; ih will's nur rund herausfagen — Deine Ammi. — Aber
bie Lieb’ ift ftodblind, und man mag auch nicht gerade jo entgegen:
treten, weißt Du? — Nun aber bat er's felber aufgelöft, und nun
iſt's gut. Leider bat aber Ammi mir alle Hoffnung genommen, fie
als meine Schnur zu fehen, ba fie mit Bauermann's Stoffel, wie
ich höre, ein Gehänge hat.”
Ammi's Vater hatte bis jebt fille dem Rebeftrom bed ver:
— 17 —
ſchmitzten Welrtich zugehsrt. Jetzt berichtue dieſer "einen when
Se „Wer hact'sgefagt,fuhr Zaren auf, vaß batß Sehauge
um Baubenanns Stoffel mehr fe, u fo din Tanya? Ich
denke, wehr ‚die Sache ernſilich gemeint Pens ſouie det VBoter hatto
auch och Toner Bergen dazu zu sn
Sonpieb Welerich Hatte etteicht, waß er wollte Er wußte
nım, Wie vl Uht es war und wie bie Gilt im alle ſranden.
„Freilich,“ ſagte er Begäfigend ,;;,fo ben”. ich auch. CE iſt zum
heutzuiage ein bitterboſer Sei tn der Jugend. Sie wollen von
dterlicher Zucht ud kindlichem Gehotſam nichts mehr wiſſen, mub
gebenken nmicht, dahß es im Seibelberget Katechismus heißt: „ek
will Gott tn ‚fünften Gebote7 daß ich meinem Vater und metner
Mutter und Allen, die mir vorgeſetzt find, alle Ehre, Liebe und
Freue bewelſe und mich aller guten Lehre und Stenfe mit. gebüh-
rendem Gehorfant wrrteriverfe,"" ‚mb wie die Worte: ſerner bauten.
Jedes mochte Hein ſelbſt Herr fein, went üßer ‚einen Steopuik
ſpringen kann ·
„Wenn ber Water‘ eh Eine ir, bann Per ſo,“ ſachr
Peter Bender hitzig fort. „Gottlob, ich bin keiner amd führe meitt
Hausregiment mit eigener Hand. Und vem Mädel will ich ben
Staffel aus dern Kopfe hetänsſtoffein, bag ed eine Dirt hard —
„Wäaͤrſt Du benn nicht abgeneigt, wenn mein. Hannjoſt Ale
und ug Ammi wider: fragte Sn Welerich mit Far
lautender Stimme.
„Baß ich Dr gerade ſage, Gonfricd, E ba an Deinen
Buben viel auszuſeden,“ ſpraͤch Verberz „uber wenn er Fly: amet
ſo wäh Rp nicht, was ich Alte. DAB aber will ich Die fagen,
was wir hier teben, muß unter ung bleiben. Merkte He Amnmi
und fie? WR! ihres — Tochter barin, rd es ein abgerkartenes
Weſen wäre, i8 Hab’ ſchlicime Abe. Ein week WEHDE Hi: fie,
dad muß wahr fein!”
„Verſteht fi,” fagte ber Syndik. „Dem Hammjoft will ich
Born’s Erzählungen. IX. 2
— RB —
jo unter der Hand jagen: HA bu Bender's Ammi gefreit, fo
wär das Alles nicht gekommen. Das ift genug, denn er hatte bie
Ammi immer lieb, das weiß ih. — Alle es bleibt dabeil“ ſprach
er und fand auf, Inden er die Hand hinhielt. „Schlag ein,
Beter! wir wollen Beibe das Unfrige thun, und wehren: Wilder
will ich fagen: Zieh’ bie. Schwungfebern ein, Bübchen, ſonſt kriegſt
noch nicht Hirtenjakobs Kathrin zur Frau! bad wird ihn ges
fpeibt und zahm machen, Ohnehin geht er herum wie ein ge=
feheuchter Dieb. Er kann das rechte Fahrwaſſer wicht finden und
wert doch, daß ed bald Zeit ift, verfländig zu werben. Er ifl.
jest feine ein und zwanzig alt, Alles bat fein Ende, und ich Hoffe
Dich doch noch Kumpeer*) zu nennen. Schlag’ ein, wenn Dir’
Emft if.” oo
Der Bender Tchlug ein, und ber Synbil ging fröhlih von
dannen. Ammi's Bater aber blieb in tiefen Gebanken zurück. Er
hatte da mehr gehört, als er wußte, und fein alter Groll wuchs
wieder grün empor. Das aber ſah er ein: follte etwas aus ber
Heirath mit Hannjoſt Weierich werben, fo war mehr ala Eine harte
Muß zu Inaden.
Es ift auf dem ganzen Hunsxück eine allgemeine Einzichtung,
daß, wo möglich, jebes Haus hinten. einen Garten und, an biefen
anſtoßend, einen mit Obfibiumen mehr ober weniger bejegten Gras:
garten, bie „Pig” genannt, bat. Da mansherlei Abffüffe in biefe
Pfütze geben, fie auch in der Negel ben Brunnen enthält und ge⸗
möllert werben Tann, fo wächſt in ihr das üppigfie Grad, das
megrmals im. Jahre has herrliche Grummet gibt. -
Es war; vieleicht vierzehn Tage fpäter, ald Ammi mit ber
Senfe und dem Rechen in bie Püg ihres ‚väterlichen Hauſes trat,
um noch vor Nacht eine LaflGrummet zu mähben, ba nicht Futter
genug zu Haufe war. — Die Puütz zog fih vom Haufe bis zum
9) Compene’
— 2 —
Vache hinab und war.:auf beiden Seiten von einem dichten Hage
van Halnbuchen umgogen. Auf lder einen Seite. führte gu dieſem
Hag ein Weg vorüber, der aus dem Dorfe zum Bade ging, —
Sie ſtand in der Nähe biefes Weges. am Hag und ſchürzte ſich eben
zum Mahen; abes wie es fo geht, es kamen ihr anbere Gchanfen
in ‚ven. Sinn, unb fie flüßte die Senfe auf bie Erde und lehnte
ihren runden vollen Arın auf ben Senjengriff. Es war ein fchönes
Bin, wie fie fo da fand; bad Haar wer nachläffig aufgeſteckt,
nicht einmal in Flechten; zwei volle reiche Laden hatten fich gelöft
und fielen auf beiden Seiten in Ringeln auf ben Buſen; ber weiße
Held wurbe dadurch beſonders gehoben, Auf ben fchönen Zügen
lag tiefer Ernſt.
Was ſie fo nachdenklich machte, maren zwei beſonhere Umſtände,
die feit kurzer Zeit auffallend hervortraten. Haupjoſt ſchien den
Auftritt auf des Wieſe ganz vergeſſen zu haben. Ex ſchien blind
für die Verachtung, die fie ihm bewies, taub gegen bie harten
Worte, womit fie ihn, wenn er fi ihr nahte — und. bas that er,
mit ſichtlichem Bemühen — zurückwies. Er ging ihr überall nach,
und wo. er bachte, er Tünne fie. finden, ha war er gewiß. Dieſes
aufjallende Betragen fand nicht allein... Auch fein Vater und feine
Mutter waren ihr fo ungewöhnlich freunblih, daß fie foft zu
ahnen anfing, man beabſichtige von bdiefer Seite ber eine Verbin:
bung anzubaßnıen. — Das war ba3 Eine, was bag verflänbige
Mädchen ſuuhzig machte. Das Andere kam aus bem eigenen Haufe.
Schon. mehrmals hatte ihr Vater, wenn andere Leute „majeten,
d. h. zu Beſuch da waren, bie Gelegenheit vom Zaune gebrachen,
bavon zu reben, wie nothwendig es für redliche Eltern fei, dahin
zu wirken, baß ihre Kinder fich in Feine unpafienden Verbindungen
einließen, ‚daß es ber finder. Pflicht fei,. den Eltern auch beim
Heirathen unbebingten, blinder Gehorſam zu leiſten. Es fei, fagte
er, heutzutage jo eine bummme Ginbilbung umb eine Rachäfferei ber .
Herrenleute, daß man von Liebe vebe, bie zum Heirathen gehöre
9°
9 —
Die” Hempeſache Fit, ba man Etwas Habe un erheirathe, benn Bib
Aebe laſſe den Mayen leer, unb bamit fe Mt: auszukemmen.
Derartige Meben fuchrte er gar oft. Auch hatte er mehrmals Ka
Aber Bauermann's -gevebet, man fah's, abſtchtlich. Binmak, as
Gormtags „Maje” (Befuch) da mar, Hatte fuer nicht ſchweigen
Vnnen. Ihr Vater‘ vebete wieber vom Gehotchen beim Heiruthen
„Vater,“ hatte fie ba: geſagt, „meint Ihr benn, es fi vor
Bert recht, dah ein Water oder eine Mutter ihr Aind zwinget
nie, eine Heirath mit einem Unhold einzugehen, ben cd Kat eb
verfchmuht? Meine Ihr; es fei aud ba gehorſam zu Fein ſchaldig,
wo es fi um das Gluͤck oder Elend ſeines ganzem Bebens danbeit?
Meint Zhr, zum VBeifpiel, ich ließe mich fo von Eu verſchacherit,
wie unfeie Mühe an den Suben verſchachert werben? De tert Ahr!
Ich muß mit dw Manme eben, ben ich nehme, nicht IIr. Unb
ſehe ich: voraus, daß ich ihn wicht leiden kann, ſo fol mich Beim
Macht zuingen, Ja zu ſagen. Das iſt meine Meinung. Der
Gehorfam bat auch feine Grenzen, und ein Kind WM’ nicht das
Opferthier⸗ 503 die Eltern zur Schlachtbank Führen dürfen.“
Da wer er aufgebwuft mis ben wildeſten Zorne, hatte won
verdorbenen, ungerathenen Kinbern geſprochen und wie er fe würbe
zahmm zu machen wiſſen.
Ein amnbermal: Batte fie, als er Aber Bauesmann’s osfubr,
ihre Parteb ergeiffen und fie vertheibigt; ba war beun das Gewitter
losgebrochen mit Donner und Big, und er hatte ihr vum erllärt,
er werbe nie ſeine Ginwilligung geben, ihr aber fluchen, wenn fie
üblichen Gedanken forthin Raum in Ihrer Seele gebe
„Wohlan,“ hatte Re ba. geſagt, „fo bleibe. ich levig und erde
als alte Jungfer! - .
Seitbem war das Berfältmiß zu ihren Vater nicht mehr daB.
rechte. Kein freumblich art. ſpwach er mehr mit the Ne
Schnurren und Parren wer um. Hauſez bex Friebe, wie ex fedher
allezeit gebeneicht, war verſchwunden. Das. hatte ihr ſchon manche
ſchwere Stumbe: gemacht, und manche Thrime hatte fie mit ber
treuen dene geweint. Sie jahr wie qud ihre, en si nahte,
Ei den der Freundin.
Dad Alles ging zetzt an ihrer Sek vorüber, und immer
tiefer verſank fle in Fummervolled Nachdenken. Da berührte plöglich
eine. Hand ihre Gchalter. Ste zudte vor Schreden und wanbte
ſich ſchnell um. Es war Stoffel, ber char aus dem Dorfe kam
und mer ber Mühle ging: Auch in feinen Zügen ſpiehelte na
ber Kummer.
Sine Weile ſahen fe fig in die Augen, fo- RU, al⸗ olten
die Blicke veben. Sie thaten's freilich auch.
Endlich Inga Stoffel: „Ammi,: aan iß die Ks bu gig
Karl”
„Welche? ſregte das Mudchen
„Run, die mit Dir und dem Haunjoſt.“
Menne den Namen, nicht" ſagte das Mädchen mit großen
Nachdruck. „Er ift mir fo wiberlich wie bie Blinbjchleiche, wenn
fie fi zu meinen Füßen windeil Aber fag’, was haſt Du denn?
Du Hehſt ja auch jo traurig drein?“
„Menu ich froh fein, wenn Du mir ſollſt entrifen werden 7°
„Deren: find wie noch micht!“ ſagta Ammi.
Meiuſt Dur fragte bee Jungling und lehnte feine trufuge
Geſtalt wiher ‚ben Buchenhag. „Ich will Dir dann nur ſagen, daß
bie alte Weiexichin geſtern zu meiner MWafe geſagt hat: es ſei ihr
lieb, daß ihr Hannjoſt das bleiche Duttergeſicht, bie Lene, habe
fahren laſſen. Die Habe nichts Fr ihn getaugt; Du feleft bie
grau fir ihn, und fein Bader Habe auch mit dem Deinigen gerebet
und ſein Jawort erhalten. Das fei nun ausgemacht, und Dein
Bater werbe Dich fehon zur Ordnung bringen, wem Du: und nicht
moliteft; hiefen Dimflag iwerbe er ‚bie Tyarter, ſenden
Karmi wurde bleich wie Schnee, Sie Jah den Jüngling am,
den ihre Seele Lichte, unb in ihrem Blide Ing ihrt ganze Seele.
Se ſchwieg einige Minuten, dann fagte fie: „Stoffel, ich Ufdbe
Dir treu! Vertrauſt Du mir aud dann, wenn Du mid; an der
Seite Hannjoß’3 zur Kirche gehen fiehſt mit dem Brautkranz im
Haar? — Ich frage Di, glaubſt Du auch dann noch an meine
Treue?’
Stoffel ſchwieg einen Augenblid, er verflanb kaum, was fie ſagte.
Sie wiederholte Ihre Worte und fägte: „Steh, ich fordere
viel, ſehr viel von Dir, aber bie Treue fordert Glauben.
Glaubſt Du?”
„Ja,“ fagte Stoffel; „aber Gott verhilte, daß es fo weit
fomme!’’
,„Es kommt fo weit, ih glaube es,“ fagte fie, und die bleiche
Wange färbte fich wieder in Höherer Gluth. „Aber geb’, mein
Bater könnte fommen. Noch Eins, Stoffel! Rebe jet nichts mehr
- mit mie. Thu', als 05 wir unfere Herzen auch getrennt Hätten.
Set gleichgültig gegen mich, ich bin's auch gegen Dich. Lene wird
Bir fagen, was ich denke. Gute Nacht!”
Er reichte ihr die Hand, die fe drückte, und er ging.
Raſch fuhr jetzt die Senfe durch daB abendlich feuchte Gras,
raufchend ſtreckte fie die Mahden nieder. Die innere Crregung
förderte bag Wert, und bald trug fie bie Laſt in die Tenne, von
wo aus fie es in bie Raufe bes Viehes einlegen konnde. Als fie
in bad Haus trat, hörte fie ſchon ihren Vater zornig tm Zimmer
auf und nieder gehen; bie Diele Prachte, fo ſchwer trat -er auf.
Und als er fie in der Küche hötte, da kam er herans, und fein
wilder Zorn brach kos, bein er Battd' fie" bei Stoffel ſtehen ſehen.
Feſt erllärte er, niie wetde er im eine Verbindung mit ihm
willigen, und es ſei fein fefter Wille, daß fie Hannjoſt Weierich
zirm Manne nehme:
Sie ſchwieg behartlich, denn jede Wibderred Hätte ihm zu
Mißhandlungen Führen Fönnen. Auch kam die Magd, und bie
Ehre, auf bie dee Hunsrücker viel’ halt, forderte, daß fie nicht
fo weit
bleiche
⸗ mein
; mehr
pätten.
> wird
Gras,
regung
Jenge ſec von Worten :öber Thaten, deren ſich Vater und Sind zu
ſchaͤmen hätten. Sie ſtellte, als das Effen fertig war, es ruhig
auf den Tiſch und ging auf ihre Kammer.
Das Herz war zu voll. Hier ſchllitete FIR es in heißen
Minen 8. Sie ſah daB Unglüd nahen, das fie Fo manchmal
bei ihres Vaters ſtarrem Sinne gefürchtet hatte. Es hing bie
Wetterwolfe drohend Aber ihrem Hanpte, aber fein Verzagen kam
m des Mäaͤdchens flarke Seele. Sie bettte Heiß und immig um
Erleuchtung und Kraft, und ala fie gebetet, ſetzte fie fich auf ihre
Kifte, ſtützte den Kopf in bie Hand und bachte über ihre Lage
nad. Und fo faß fie noch, als die Sterne am Himmel flanden
unb der wunderbare Komet mit’ feinem riefenhaften Schweife; jo
faß fie noch, als ber Wächter bie zwölfte Stunde blies. — Aber
dann ſtand fie auf, um ſich zu entkleiden. Wer in ihre Züge
geſchaut Hätte, der würde in ber wuhberbaren Ruhe berfelben
erkannt haben, daß ihr Denken ein ficheres Ziel, eine beruhigende
Sicherheit, eine völlige Marheit: gefunben, und daß ihr Wille mit
ihren Gedanken im reinften Einklange ftand. Sie legte ſich ruhig
nieber, und ber Schlaf des Friedens fenkte fidy bald auf bie
gefchloffenen , ſchönen Augen nieder, aus denen die Zriunen
vetrſchwunden waren.
Ruchig erwachte ſie umb ‘ging am ihren. hauelichen Beruf,
Eine andere Verandernung war. an ihr nicht: wahrzunehmen ‚als
baß fie bleich ausfah und bie frifchen Rofen ihrer Wangen ſelt
geſtern Abend entblaͤtiert ſchienen.
Ir Vater ſahs, aber er beachtete es nicht, weilte ſich
wenigſtens den Schein.’ geben, als beuchte es nicht. „Bleib'
heute zu Haufe“ ſagte er, als er in bie Küche keat, um
dm Nohle auf. feine Pfeife zu legen. Sie blieb zu Hit
und’ war: unermiwet thaig. WB aber der Water, um Eiweiß
zu orbnen, aufs deld ein, , ba ellte Be m gene | und fiel hr
um ben Halu⸗ß
— HH —
em. did fe, an mir ht Ans Una Dualı Bir,
der Hannjoß freit um wich!"
Lene wär fat in Ohumacht gefallen,
„Was WÄR Du thun?“ fragte Be ſqluchzend.
„Meinen Vater gehorchen,“ ſagte Ammi fell; „aber, Lene,
vweifle nit an mir! Werbe nicht irre au mirl Und ſichſt Da
mich mit ihm zur Lirche geben, zweifle nich an. mirl“
. Bene ſtarrte fie an. Ammi aber riß ſich Ib und eilte
himveg. —
2.
Der Mitiß war ſtille herangelommen. —
„Haſt Du Wecken im Hauſe?“ fragte ba ber Vater.
Als Amwi es verneiate, gab er ber Magd Geld, fie zu holen.
„Nun richte ſüße Milch zu,“ ſagte ber Water, „und Gyped
und Bier, denn bie. Freiersmänner Tommen: und ich will he nach
Landesſiſte traftixey.“
| „MWelche Freiersmaͤnner?“ fragte ſie und ihre Bang warden
noch bleicher als ſonſt.
„Die für Weierich's Hannjoft um Dich fielen, Ich will, daß
Di feine Frau werdeſt, und heiſche wollen Gehorſam. Reine. Wider⸗
rehe dulde ich!“ Er ſprach dieſe Worte in einem vb harriſchen
Tone.
„So thätet Ihr am beſten Ihr lihet Gowee Flinte und ſchſſet
mix eine Kugel vor. den Kopf; danu ſchwiche ich für immet l
Anmi ſagte dieſe Worte mit voller Heftigkeit.
Mani,” verſetzte her Alte, „es gibt vuchr Ketden als veißenbe
Hunde, jagt das Sprüchwoet. Ich rathe Dix; nicht noch einwal
is ſoſches Wort zu zobenl‘ Spin Auge vollia:fe: Baer be
dieſen Worten, daß Ammi umwillfärlich ziiterie, ’
„Nehmen mußt Du ihn, das hab’ ich ausgeſprochen, ud: nein
Bagort mehun ich mie: und, Mich Di bormad, und wehe Dir,
wem Du.nd.nicht thuſt © -
Amm gerbrästte eine Thraͤne und that fin, pe ex befohlen.
: Mittag um zwei. Uhr treten zwei Mäunezein das Haus.
Mie haten ihre Sonntagskleider, bie langen blauem Nüre an mad
de Imitkköämpigen, Slte auf. Ihre belblanen Etrümpfe waren an
hear Mie, mo bie burze gelbe Lederhoſe endete, aꝛuugerollt und zuit
dem Lederriemen und dar Schnalle befeſtigt. Schuhe mit blanke
gelben, breiten Schnallen und die lange hunfelblgue Tuchweſte,
mugelvapft bis nim ſchwarzen Halstuche, mit weißem, überliegendem
Bnagen, vollendelen dem feſtſiehenden Sonntagsſtaat. Es waren
nahe Verwandte Weierichs von. des Mannes und ber Frau Seite.
Ihre Haltung: war ſteif ab feierlich, ihr Gruß höhlich und zuvor
kommend. Mit lachender Miene begrüßte fie Bender und ſetzte
ihnan Stühle unb ſchwieg dann, hen „Spruch“ des Aelteſten ber
Veiden erwanend, ber wach dem Herkommen erfolgen mußte.
Mach einigen Minuten züufperde :fch dieſer und Fand auf.
Er redete Ammi's Vater mit dem vollen Tauf: und Geſchlechta⸗
wumvor. an, unb ſagte, es ſei ihnen, wie aller Melt bekannt, daß das
au einen Schak.herberge, Mitliher als Silber und Gelb,
nich eine Jungfrau, bolbfelig und ſchön, wie feine mehr unter
ben. Thaptern des Landes, aber, was wicht gelte, züchtig und vom
netabeligen Sitten und Wanbel, fleißig und Hıybig ein Hausweſen
ya regtzieren, veinlich und wacker vom frühen Morgen big zum
pie Abenn. Gola, Vorzüge bitten ‚bie. Mugen einer brapen
Mattes, und:cdned gutbeleumdeten Baterö, ber auch ein. tüdtig
Hausweien, Viehſtand, Aderbaw und Baares habe; auf fie geleitet,
wor fie wünichten fie als Schnur.ge haben für ine einzigen
Bohnusund: Erben, nt.
. y Sagt vden Mamen an,“ bes hmam nah bes Babes si
bee Baier des Mäbchena.
sc Bit nannien ihn; allein no ließ es die Sitte nicht zu, *
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der Vater eine Eutſcheidung gegeben hatte; inbeffen lag biefe ſhon
in ber Aufwartung, die nun folgte. Hätte er ihnen einen Schnaps
und Butter, Brod und Kaſe vorgefebt, fo wäre das ein Koch
geweſen, auch ohne fein ausbridliches Nein. Die Frekeromänner
harrten mit gefpannter Erwartung deffen, was folgen werde; deun
wußten fie auch gleich, wie es etwa ſtand, fo konnte ja’ doch mittlec
weile ber Stand der Sache ein anderer geworden ſein. An Veh
Gefichtszügen war nichts zu merken, denn ber Brauch forderte den
feterfichften Ernft, und Bender war nieht der Mann, der: bag, was
ihn innerlich bewegte, geäußert: und dadurch feiner väterlichen
Würde ımb Haltung etwas vergeben hätte Gr ſaß noch einige
Minuten fill; dann ſtand er auf und fagte: „Das läßt fih Aber
legen; daß mir aber daB können, werdet Shr mit mir etwas
genießen.”
Cr ging zur Thür und rief, daß dus“ veftelte aufgetvagen
werde. „Ich muß das Felbfi thun,“ fagte er, „bein ihr wiffet,
es bat Gott gefallen, mie in ben traurigen Wistwenfand au
verfegen.”
Darauf Tam bie Magd herein und bedie ein f chnecweher
Zuch auf den Tiſch, ſetzte den blinkenden Zinmteller anf, legte die
Löffel und Gabeln zurecht; denn ſein Meſſer führt der Bauer
jederzeit in feiner Taſche; es wird daher auch nie ein foldges auf⸗
gelegt; darauf brachte fie die Zinnſchüſſel vol füher Talter Milqh
mit Weckbrocken barin und bie bampfende flache Schüſſel mit dem
Elerkuchen und Spedfnitten. Die Geſichter der Freiersmunntt
werffärten fi bei dieſen Vorbereitungen, benn darin Ing RiR
ſchweigend bie Gewährung ihres Antrages. J
Waährend bes nad, herkomnilicher Sitte ſehr umgſam ws
taftfeft gehaltenen Mahles fragte Bender, wo bein, ſalls er: fein
Jawort gäbe, das Paar muhnen- falle, welche Ausſteuer ber Bräu-
tigam erhalte? Die Antworten waren gewägend, In Wäierich's
Haufe ſollten fie wohnen, fahte ber Altefte yretergmann::" Das war
— — — —
— 9 =
VBender beſonders Tieb, da er doch dim Genhon nicht‘ ee: traute.
Cr fagte darmıf, wad er ſeinet Tochter mitzugeben gebenle. Ari
das genügte, und mit freubigem Gansälag wurde das Samt
gegeben und aufgenonimen. Die Ihlianer. gingen. ”-
Drobe in rer Kammer ſaß Ammi und ſah, ſich umd. fr
Welt vergefiend, in bie Bläue bes Himmtls bie rein und woltendoß
ſich Über der Welt wolbte. Der Aubbruck ihres Gefichtes war
traurig, das Auge felbe, aber’ Feine Thränewepte es; der Buſen
Hochte nicht ſtürmiſch. Es war eine wunderbare Ruhe in ihrem
Herzen, feit fie mit dem Stoffel am Hage ber Püs geredet, fe
fe fi ihren Plan zurecht gelegt, feit Fle im Gebete Ruhe geivonnen.
Nur noeh Eines wollte fie thun, um vollends zur Klueheit zu
Tommen. Der Pfarrer, welcher fie confirmiet, ein wlrdiger Greid,
war auf ein Vorf verfetzt worden, bad eine Stunde’ entfernt lag.
Hort wohnte auch ihre „Goth,“ die fie: über bie Taufe gehoben.
Sie wollte dorthin gehen und Jenem und ihrer Goth ihr Sen
ausſchütten, und ber nahe Sonntag war dazu beſtimmt. Als fie
die Freiersmänner fortgeben ſah, kam fie feſten Ttittes herab.
„Ammil’ rief der Vater in ber Stube
‚Diefer Ruf erfäßlktterte fe. Bebend trat ſie in die Stube:
ob fle haften Zöhnte, was fle fich vorgefeßt? Ahr Herz pochte und
leiſe bat fie Gott: um Kraft: Se tat ein. Finſter blickte fie der
Bater an.
Br, ſagte er herriſch, „be Männer baben für Hannjoh
Weterich um Dich geworben. Ich bat ala Bein von Gott befiellter
Fürfprächer Ja gejagt, weil Ich Dein Släck gtünden will. Nächſten
Freitag iſt Hüllig *) Im meinem Haufe. Richte Dich dazu, wie: eb
giemlich ifſt. Waßs es Toflet, Frag’ ich nie. sa es m niche
fehfen ib ride Dich bag ein.
*) Hülig = Huldigung, Eheverſprechen, Verlobung. Die Bochzeitgebräde
find treit der Wirklichkeit entnommen.
Bu hatte uwantek, daß Anmi ſich wieder fo entſchieben ‚gegen
Abm. erklanen würde wie feäbee,. aber ex; [ab ſich getäuſcht. Sie
fihwieg, warte. fich wab. ginge: „IB fie hinausgegangen war,
fohüttelte er ben Kopf. „Merb' Einer klug aus bay Weibsvollel“
tagte er zu. fih. „Sie, bieder fix way, mir aufzutrumpfen, fehweigt
year) Nicht einmal Thraͤnen Ach’ ih an ihr! Und. bie find doch
ihre Hanptwehr! — Gellte fie ſich geben wollen? Hätte mein
Wille fo leicht geſiegt? Dber hat fie Vernunft angenommen?’
Er jchüttelle noch einmal ben Kopf und nahm ſich vor, fie zu
beobachten.
Abends kam Hamujoſ von Freude ſtrahlend; aber Anni ging
schweigenb an. ibm vorüber und lieh ihn in bie Stube treten.
Si ging zu ihrer Rene,
Als er Fern ſich bei dem Alten beſchwerte, ſagte dieſer:
Du kennſt fie ja! Es if: ein abfonberlih Mädel. Gie ift halt
ihres Kapfs und fie will ihr Recht Haben, Sei Du gutes Wuths;
a gibt ih: Mes. Bleib' nur beharrlich!“
Er kam am andern Abend wieder und daſſelbe wiederholte ſich.
Dennoch ermübdete er nicht:
Der Tag: der Hällig kam. Die Verwandien ſtrönuen zuſammen.
Auch Ammi kam ruhig herein, ſetzte die Kuchen und ben Branıni-
wein auf, und ber Freiersmann that ſeinen Spruch ufb, legte
Ammi's Hand in bie Hannjoſts; fie zog fie aber fchnell zurüd,
Hannjoſt Iegte bad reiche Handgeld ia ihre Hand; fie ſchob es
srüd und ſagte: „Ich nehme Feines!’ Den filbernen Ming, ben
me ihr barhot, legte Fe vor ich auf ben Zeller; mit ihm ſprach fie
kein Wort. Mit ben Gäſten jcherzie ‚fie unbefangen und ſtimmte
ein in das fröhliche Gelachter. Als ber Freiersmann meine, es
ſei denn doch nun Zeit, daß fie ber. Ring an ihren Finger ſtecke,
erwieberte fie, er paffe nicht an ihre Hand, er ſei für eine feinere
gemacht.
Hannjoft verftand fie und. ſah betroffen unter ſich. Der
[ \ 26 —
Sreiersmann verſetzte, ſo mufſe man ihn Bent Siiherfehunied wileber
zufſtellen, daß er ihn weilter macht; fle folle ihn aber erlauben,
derß er ihn ihr einmal arprobere. Er wollte ihre Sem ſfaſſen,
alkein fie entzog ſie ihm umnwillig und ſatzte, bas ſfei bebiglich ihot
Sache: Ste habe Aberdies nicht viel Ubrig file bie alten Gebruͤuche,
wie Ring und Handgeld; fe wolle keines von beiben. Sie ſei
ihrem Brlutigam treu ohne Ming und das Berloben ſei fein,
Inbenhandel, DE: dem Ara Draufgelb geben nriffe. 37
Man Tante im Dorf geuugfam das eigenthümtiche Wear
Ammi's und ihre Art, etwers Pr, abzuthun. Obgleich es ein
Abweichung von dem feſten Herlvmimen war, fo machte boch der
pfiffige Weierich kein Aufhebens vavon, weil er fürchteie Ammi zit
relzen. So verſtrich bet Abend mb Ammi ging leichten Herzens
zur Ruhe. Seh ihr Pater machte Ihe Teine Vorwürfe. |
“ Mer das ganze Dorf ſpruch dabon am andern Tage. Viele
meinten, babinter ſiecke Has; Wenbere fügten: „@& if ein hoch⸗
müthig Ding, das fich über bag alte Herkommen wegfehen will”
Men ſuchte aus Ammi herauszulvarn, warum fe bus gethan; aber
bes war fruchtlos. Ste lächelte und führte mit einem Scherzwort
bie Leute üb, Daß fie aber alle Tage zu ber fo fehmählich ver⸗
laſſenen Lene ging, das wur ein? Raͤthſel fir alle Leute, und mit
Grund. Was Me Mädchen rebeten, werte Niemand unb ea geb
Stoff genug an den Waſchbütten, Beine Flachabrechen und bei
jeder Yufenimenkunft; basUndegeeifliche zu beiprechen. i
- Sumflaa® nad; dem Sffen ſagte Mnmb zu threin Boten, fe
wele zu ihrer Gott: gehen; ob er es ihr geſtatte, ben Sonntag
drüben: zu bleiben und erft Wontag Morgen zurückzulemmen ? Er
gabretß zu; aber Mate nach dem Dorfe ging Me zuerſt im die Stabk'
Dort hatie ihre Mutter in: einet achtbaren Beamtenfamilie mehvere
Jahre gedient und es wirt Lim verkrantes Verhaliniß: zwiſchen ihr
und der Familte geblieben. Man. trug dort baB Wohlwollen auf
bie brave Tochter ber treuen Dienerin über. Ste "httete: ber
madern Hausfrau ihr Herz aus umb fragte fie, ob fie nicht zu
Martini fie in Dienfi nehmen weile. Bell Mitleid mit dem arınen
Mäabchen fagte ihr die Hausfrau bes zu und fröhlich Tamm ſpät am
Abend Ammi zu iheer Both, Aber ſchon Sonmag Abends kehrte
fie Heim und hörte, daß fie ber Pfare mit Hannjoſt ala Verlobte
abgeklinbigt habe. Sie laͤchelte und ſchwieg
Die Proflamation ging an ben folgenden Sonntagen vorüber.
Der Bater Faufte die Brautfleiber; fie wurben gemacht und waren
außgezeihnet ſchͤn. Auf Dienflag wurde bie Hochzeit angefeht.
Am legten Sosmtag der Verkündigung bed Brautpaared Tamen bie
beiben Sochgeitbitter, den Hut mit Rosmarin verziert und mit dem
Branntweinkrug, ber an Größe dem Wohlſtande bed Brautpaarz
entſprach, in bie Wohnungen ber au ladenden Gäſte. Dan tranf
und ber ältefte Hochzeitbitter hielt feine von Launs fprubelnde Rede.
Es folle einmal mieber eine Hochzeit geben, wie lang keine gewefen,
fagte er, darum möchten fie fi einfinden und — ein ſchönes
Hochzeitgeſchenk nicht vergeffen.
Immer mehr wuchs bad Erſtaunen im Dorfe. Hannjoſt nur
ging ſtill umher. Eine Bräutigamsfreude war an ibm kaum
bemerklich; doch ließ er fich bie Scherze und Glüdwlnfcge gefallen.
Was ihn drüdte, war Ammi's Benehmen Sie rebete fein Wort
mit ihm; wollte er ihre Hand ergreifen, fo. fagte fie: „Nach einer
anderen folteft Du greifen; aber die haſt Du Gottes und ber Pflicht
vergefien von Dir gefloßen. Klagte er Über ihe Benehmen, fü
fagte fie: „Warte nur, bis wir geiraut find, dann wird Alles
anders.“ Alle ihre Worte hatten einen Doppelſinn, ber ihn er-
ſchreckkte. Fragten ihn ſeine Eltern nach dem Benehmen Ammi's, jo
ſagte er's ihnen. Sein Vater meinte aber, das ſei fo das ſtörrige
Mäbchenweſen; ſobald fie feine Frau ſei, werde das verſchwinden.
Sie wolle. ſich doch gleich bleiben und müſſe ſo ſein um ber Lene
willen. Das ermuthigte ihn wieber, obwohl ber Kummer wi ganz
on Ihn wid. _
— 8 —
Stoffel ſtaud manchmal au ba und wuhte nicht mehr, was
er jagen ſollte. Ammi verlangte unbebingten Glauben an ihre
Zacue und back ging ihre Verheirathung ben ficheren Bang vor⸗
warts. Bei bee trauernden Lene, bie ſich nirgends mehr fehen ließ,
halte ex fig Troſt; aber fie vebete ebenfo geheimnißvoll, wie Ammi
am Hage gesehet hatte.
So war Zweifel, Angſt, Sorge, Neugierde überall herrſchend
umb ſelbſt Bender wußte manchmal nicht, was er denken ſollte. —
Um das Hochzeitsmal ſchien ſich Ammi nicht. kümmern zu wollen.
Er ſelber ließ ſchlachten, ließ bie großen Vorräthe ankaufen ober
laufte fie fehher und beſtellte, weil er ſich ſonſt nicht zu helfen wußte
und mit Ammi nicht mehr hadern mochte, eine Fran zum Kochen,
bie in ähnlichen Fällen auszubelfen pflegte, weil fie das aus bem
Fundamente verſtand. Er mußte mit Weierich’8 bie Brautjungfern
und Brautführer beftellen und hatte fo in diefen Tagen viel zu
beſchiden.
Endlich war alles in Ordnung. Der Dienſtag Morgen graute.
Alles lebte und webte im Hauſe von helfenden Menſchen, und
Hannjoſts Mutter war nicht die letzte. Die Scheune war zum
Tanze mit Tannen gefämüdt, bie Mufifanten beftellt. In ber
großen Stube flanden bie gebediten Eßtiſche ſchon bereit und in ber
Küche Tohete das Feuer unter ben Keffeln und Töpfen und bie
Kuchen fanden aufgeſchichtet in ber Oberſtube.
Ammi war biefen Morgen nicht aus ihrer Stibe geformmen
Was fte hat, wußte Niemand. ALS die Brautiungfern kamen, ſte
zu ſchmücken, fah fie bleich und ergriffen aus. Ihr Gebetbuch Tag
aufgefehlagen auf. dem Bet, Ein reimer Werktagsanzug lag auf
ber Kiſte und ein Korb ſtand da, ber hochgepadt war. Was er
enthielt, verbarg ein Jorgfältig barüber. geſchlagenes Tuch. Sie
grüßte die Mädchen freundlich.
Der Kopfſchmuck einer Braut iſt etwas Großartiged, wenn fie
feine Haube trägt. Das in ber Regel fehr reihe Haar wirb im.
unzähligen, eigenthkinclicher Geflechten TUE war bie Gtieme ı
ben Kopf gewunden, theils in einer wirllich ſchwwer zu beichreibend
funftreichen Weife durcheinander gefchfungen unb awfgefteit, To !
es ein durchfichtiges Gebäube gibt, anf defſen ſtolzer Höhe
bedentfame Brautkranz, hier aus Noxmarin gemunden, ruht. X
weißen blühenden Mädchengeſichtern ſteht diefer Appputz Hö«
retzenbd. Will ihn eine richt, fo trägt fie eine etnftiche, wei
feine Haube, .afı beren Seite ein fogenamnter „gebadienee Strauf
fünfiliche Blumen, mit Flitter, Rauſchgold nıld Glasperlen verzie
angebracht tft, und ein feiner NRoeſmarinzweig Nuft bariider h
Vor ber Bruft trägt fie einen Lorbeergiveig, mit roffen, blau
und weißen Banbſchleifen versiert; einen gleichen, doch ohne bi
Schleifen trägt fie in ber Hand. Ein ſchwarzes Tuchkleid fä
faltenreih um bie Hüften bis tief herab auf ben Fuß und e
fchneeweißes, feines Tuch verfifit zuüchtig den Buſen bis bo
an den Hals. Der Brautjungfrauen Pflicht iſt es, fie alſo
fchmüden.
PAmmi,“ ſagte eine der Brautjungfrauen, „ſollen wir D
die Haare aufſtecken und flechten, oder willſt Du eine Hau!
tragen?"
„Reines von beiden RL fogte Ammi lähelnd „Ich will mei
Haar tragen, wie ich e& jeben Sonntag trage.‘
„Ei,“ ſagte das Mädchen, „Du wirft doch nicht ü alle
&tüden von ber alten Art abweichen wollen? Die Leute zäfonnire
daruber.
„Mögen fiel” wear Kemi’s Antwort. „Es bleit, wie id
fage
Sie mußten ihr willfahren. Ihr ſchönes Haar wurde einfad
geflochten.
„Wo follen wit denn. den Strauß und' beit Bunttling an:
bringen?” fragten die München wiebr. - ’
— 3 —
„Nirgends,“ fagte Ammi. „Ich trage weder ben einen nech
den andern.“
„Man meint aber doch, Du wärſt etwas Extras,“ ſprach
ärgerlich und ſchnippifch eines ber Mädchen. „Du willft doc; immer
etwas Apartes!“
1„&3 gefällt mir fo,” entgegnete Ammi.
Die Mädchen dachten: Armer Hannjoſt, mit der wirſt Du fein
fahren!
Das Brautkleid zog ſie an, aber ſie nahm keinen Strauß in
die Hand. Daß fie feinen Brautkranz tragen wollte, machte bie
Mädchen toll.
„Du wirft Di wüſtem Gerede ausſetzen!“ fagten fie, und
ließen nicht ab, bis fie darin ihnen nachgab.
Aus Rosmarin wurde er ‘geflochten und auf bem glänzend
braunen Haar beeftigt. Und ob auch ihr Buß mın gegen alles
Herkommen verftieß, die Mädchen betrachteten fie bennoch mit Wohle
gefallen: und meinten, eine ſchönere Braut ſei doch feit Jahren nicht
zus Trauung geführt worden. “
Dranten hatten ſich indeß alle Räume gefüllt. Die Braut-
führer, de Muſtkänten, ber Bräutigam und feine Angehörigen,
Alles war bereit. Die Burfche fanden vor bem Kaufe in Reid’
und Glied. Sie Hatten Wagenketten als Banbeliere umgehängt
und at jeder Kette Bing, indem dieſelbe durch ein in ber “Mitte
gemachtes Loch gezogen war, ein ungeheures rundes. Brob, In dem
ein Meſſer ſteckte. Jeder hatte einen bauchigen Krug vol Brammt-
wein in: der Rechten, ein Glas in Ber Linken. Sie waren be
ſtimmt, neben beim Hochzeitzuge herzutanzen, zw ſpringen, zur gehen)!
je nach Belieben; denn je toller fie ſich geberden, fe mehr fie das
verfammmite Volk zum Lachen. reizen, deſto gtäker iſt ihr Triumph.
Da bet Zug: ſehr langſam gebt, fo laſſen ſie bie Armen, Alten,
überhaupt Jeden, ber: Luft Bat, ſich ein tächtig en von ihrem
Horn’s Erzählungen. IX,
— 4 —
Brode ſchneiden, je größer, je lieber, und gießen ihm einen Trun!
dazu ein. \
Jetzt erflang bie Glode, und begleitet von ihren Jungfrauen
fam bie Braut bie Stege herab. Sie war bleich wie eine Leiche
und bo fo ſchön, daß faſt jebem Mund ein Ah! entſchlüpfte.
Man am gar nicht dazu, die Abweihung von ber Sitte wahrzu-
nehmen, weil man fih nicht fatt an ihr ſehen konnte. — Der Zug
orbnete fih. Voraus ſchritten die beiden Väter und in ihrer Mitte
ber Bräutigam, beffen Blicke fi) kaum von ber reizenden Braut
wegwenben konnten. Er war dunkel gekleidet, an feiner linken
Bruſt prangte ein ungeheuerer Strauß von gemachten Blumen,
Nauſchgold, Rosmarin und Bänden. Sein Hut war mit Ro8:
marin ganz umwunden. — Hinter biefen Dreien, bie ernft und
gravitätifch ben Zug eröffneten, kamen ſechs Mufifanten, welche
einen Marſch auffpielten, ber aber ſehr Tangfam gehen mußte, damit
ber Zug ſich nicht übereile. Diefen folgten bie beiden Hauptbraut-
jungfrauen, beren eine einen Teller trug, auf bem ein Yanger No8-
marinzweig, ein weißes, neues Schnupftuch, und unter biefem ein
glänzenb neuer Thaler Tag; dies war Mles für ben Pfarrer be-
ſtimmt. Hinter biefen ging bie Braut, in Mitten ber beiden Braut-
führer. Es folgte der Zug ber Jünglinge, bie aber bald ihre Stelle
verließen, um Brod und Branntwein auszutheilen, benn e8 waren
ficherlich alle Bewohner bes Dorfes verſammelt. An ihrer Stelle
ſchloß fih ber Zug ber Berwanbten und Gäfte an. Gefentten
Blickes ſchritt die Schöne Braut bahin und auf Fein Wort, welches ihr in
Scherz und Ernft die Brautführer zuflüfterten, gab fie eine Antwort.
Die Schaaren bed Volles folgten dem Zug. Als der Bräu-
tigam bie Schwelle ber Kirche betrat, ſchwieg bie Ruf. Ein paar
Dutzend Piſtolen Inallten und drinme begann bie Orgel zu fpielen,
bis ber Zug in bie Stühle getreten war unb das Voll bie Kirche
gefüllt hatte. Nun begann, von ber ganzen Verfammlung gefungen,
das Hochzeitslieb aus bem kirchlichen Gefangbuche.
=
x — 85 —
Unter dem legten Berſe trat n. |
Orgel ſchwieg. — Der Bräutigam trat I an den Altar. Die
ſchritt zu ben Gtufen des Altars hinan. Ammi ſome Ktuhl und
aber fie wankte, fie war einer Ohnmacht nahe. Die Brautfilhee
unterftühten fie und zum erſten Dale burchzudte bie Reue bag Herz
ihres Vaters, als er in bad tobtbleiche Geſicht feines Kindes blickte.
Man wollte fie mit Branntwein wafchen, aber fie ftieß bie Hänbe
zurüd, Sie batte fih ermannt und fehlen Schrittes ging fie durch
bie Kirche und trat an bes Bräutigam Seite,
Der Pfarrer begann bie Borlefung bes firchlichen Formulars.
Als er an bie Stelle fam, wo er zu fragen hatte, fprad er: „Du,
Johannes Juſtus Weierih, willſt Du bie an Deiner Seite flehenbe
Anna Maria Bender zu Deiner Ehegattin nehmen, fie treu und
herzlich Tieben, in Freud' und Leib nicht verlaffen und den heiligen
Bund der Ehe mit ihr treu und unverbrüdlich halten, big Dich
eiuſt ber Tod von ihr ſcheidet?“
Hannjoft jagte laut fein „Ja.“
Ammi zudte in fi zufammen, als er es ausſprach. Der
Pfarrer wanbte fih nun. an fie mit berfelben Trage. Einen Augen:
blick ſchwieg fir Die Berfammlung horchte mit angebaltenem
Athem
Da ſprach Ammi mit einer reinen, klangvollen, Allen klar ver⸗
nehmlichen Stimme: „Nein!“
Der Pfarrer, dem ein Aehnliches noch nicht begegnet war, er⸗
ſchrack ſo, daß er ſchneebleich wurde. Hannjoſt fuhr einen Schritt
zurück vor Entſetzen. Durch die Kirche ſchallte ein lautes Ach!
Ammi griff auf ihr Haupt und nahm den Brautkranz davon
weg. Sie legte ihn auf die Stufe des Altars. In der Verwirrung,
in die ihn dieſe Antwort verſetzt, wußte ſich der Pfarrer gar nicht
zu helfen.
„IR es Dein Ernſt mit Deinem Nein,” fragte er fie endlich.
„Ja, es if mein Ernſt,“ fprach das Mädchen laut. „Ich
g®
— BB —
„cr“ fuhr fie fest, „Act ich verbfchene,
kann einem Manege ber Gemeinde die Treme gebrochen,
wen ex Wahande, ihr zur Ehre Ich bin bis om ben Altar Gottca
erſena geweſen meinem Vater, ber mich gezwungen bat. Hiee
vor Gott bat feine Macht ein Eude. Ahr fordert Wahrheit, mehr
ich hab' Gott mehr geboren müflen als ber Menſchen.“
aunter ſolchen Umftänden kann ich Cuere Che nicht einſegnen,“
ſagte der Pfarrer, wandte ſich und ging.
Aber auch Ammi wandte ſich und ging bie Stufen feſt hinab,
durch die Kirche uad zur Thüre hiuaus. Niemand folgte ihr; wie
gebannt fanden Ale an ihrer Stelle. Endlich lief Hannjoſt haſtig
von Altare weg; er riß ben. Strauß von feiner Bruſt und warf
ihn zur Erbe; dann ſtürmte er zur Kirche binanz, und in lautlofet
Stille folgten Alte.
Bender war wie vom Blitze getroffen, wie gelähmt fchlich er
feinem Haufe zu. — Schon im Hofe begegnete ihn Ammi. Sie
hatte ihre ſaubern Werktagsfleiver an und ben verdeckten Korb auf
bey Kopf. Er flarrte fie an.
„Vater,“ ſagte das Mädchen feſt und ruhig, „und dem, was
porgefallen ift, ruht Euer Fluch, auch wenn Ihr das ſchreckliche
Wort nicht ausgeſprochen habt, auf mir. Ihr habt mich verſtoßen.
Ich hab' weine nothwendigen Kleidungsſtücke im denl Korb und
verlaſſe mein Vaterhaus.“
Bei dieſen Worten brach ihre: Stimme; ein. Thrunenſtrom ent⸗
ſtürzte ihren Augen. Stotternd ſagte ſie dann: „Ich gebe, mein
Brod zu verdienen. Lebt wohl!“
Sie blickte ihm noch einmal Iosıge, lange in bie Auge, dann
wandte fie ſich weinend ab und ging.
„Ammil’ wolle er rufen, aber die Stimme veringte 5m, er
wankte. Wäre nicht einer feiner Verwandten, dem es um einen
Theil des Hochzeitmahles zu thun war, zu ihm getreten und hätte
lihn umfaßt, er wäre zur Erbe geſtürzt.
*
Wevochen waren mach dieſen Borfällen vergangen. Die Beiklir:
zung, welche durch baB ımerhörte Greigniß im samen Derfe
hervorgebracht werben, hatte fich mehr und mehr gelegt, obgleich
fie alsbalb nach dem unglüdfeligen Hochzeittage bar ein neues
Naglück vermehrt worden war. Am folgenden Morgen fchlie
Hannjoft, und ala fen Vater in feine Kammer trat, lag ein Zettel
ba, auf dem bie Worte ſtanden: „Die Schmach ertiag’ ich nicht,
ob ich fie gleich am Mädchen verbient habe, bas ich fo ſchwer
geirimit. Ich gehe freiwillig unter bie Golbaten, wo ja eine
Kugel für mich wird gegoflen fein.”
Im Dorfe hatten fich jetzt bie Urtheile abgeflärt. Anfänglich
hatte man über Ammi bie herbfien Worte gehört; jet waren bie
Zeche, rubiger prüfend, auf ihre Seite getreten’ und alle Urtheile
wenbeten fich gegen Hannjoſt, gegen feine Eltern, und obgleich er
daB ganze Hochzeitmahl unter bie Armen ausgetheilt und babei
gejagt hatte: Betet für mich! gegen Ammi's Vater, ber wie ein
Unhold fein ſchönes Kind zu ſolchem Schritte gezwungen hatte,
Beiderſeits waren bie Eltern tief gebengt, doch Hannjoſts
tern mehr als Bender. Diefer wußte bald wo Ammi war, im
Dienfte der Familie in ber Stabt, wo fie eine Zuflucht geſucht.
Aber Weierich's hatten ihr letztes, einziges, wenn auch frafbareß,
Kind verloren. Berloren? — War beun zur Seit, als Napoleon
feine Heere von Schlachtfeld zu Schlachtfeld fihleppte, noch eine
enbere Hoffnung, wenn man an bie Tobtenfcheine dachte, bie ber
Sonbif Tag für Tag empfing? Wohin ex fich gewendet, erfuhren
fle nicht, denn es kam feine Kunde von ihm.
Berber war feltfamerweife gar nicht erzurnt fiber feine
Tochter. Jener Bid, ben er in ber Kirche in feines einzigen
Kindes todtbleichee Antlitz gethan, Hatte in feine Seele mitten
bineingegriffen, jo eidkalt, fo erjchütternd, daß er hätte ausrufen
mögen: „Bummi, komm’ zurückt“ Und als er vor ihr ſtand, noch
ergriffen won bee Macht be eben empfangenen @inbrud®, und fie
ihm fo Yange in bie Augen ſah mit ber reichen Liebe und bem
unendlichen Schmerz eines Kinderherzens, das zum Aeußerſten
gebracht, ſich verfiohen unb vom väterlichen Fluche befaftet glaubt,
da war aller Groll verſchwunden und bie tieffte Reue erfüllte fein
Herz, baß er fo hart gegen fie gewefen und fte zu einer Ehe hatte
zwingen wollen, bie in fidh ſelbſt eine fluchbelaftete geweſen wäre.
Er würde fie jet zurüdgerufen haben, wenn er ben noch in ihm
waltenden Bauernſtolz bätte beflegen können. So ein reiches
Bauernherz ift zäbe und eifenfefl. Er glaubte ſich etwas vor ben
Leuten zu vergeben, wenn er fich ſchwach zeigte. Auch glaubte er,
Ammi fet zu weit gegangen, baß fie bad Vaterhaus verlaffen, ehe
fie gewußt, wie er ihren Schritt aufgenommen. Endlich aber
fürditete er, fie möchte fein Zurückrufen als eine Billigung ihrer
Liebe zu Bauermann's Stoffel anfehen.
Es war aber doch eime Veränderung mit im vorgegangen.
Er ging ſeitdem ganz gebückt einher; er führte, wenn bie Gemeinbe
bei einander war, nicht mehr, wie fonft, das große Wort, und war
nicht mehr fo unzufrieden mit allen Schritten des Municipalraths
unb der ®emeinbeverwaltung. Er fam nicht mehr wie fonft in bie
Majen am Sonntag Nachmittag und Abends in ber Mode. SHU
und für fi) lebte er und bie tüchtige Magd, bie er hatte, führte
ihm feine Haushaltung zur Zufriedenheit. Nur fein Kind fehlte
ibm, und das konnte er faum verwinden. Die Stadt, wo Ammi
diente, vermieb er; aber ihre Kifte mit Allem, was fie noch
babeim hatte und bedurfte, ſchickte er ihr nach mit dem Bufügen:
er wolle nicht, dafs fie Mangel habe.
| Stoffel war ber Glücklichſte. War er fchter geſtorben vor
Leid, als er hörte, Ammi fei zur Kirche gezogen mit Hannjoft, ſo
lebte er jeßt neu auf und bie Hoffnung, gewann wieder Raum im
feiner Seele. War auch bie Trennung ſchmerzlich, fo ſah er fie
doch öfter in der Stabt, als er fie im Dorfe geſprochen hatte,
feine Ammi, deren Treut die Feuerprobe beftanden. Lene aber:
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glich ber vom Sturme gefnidten Lilie. War fie auch vollfommen
vertraut mit dem, was Ammi thun wollte, die Genugtbuung, bie
ihr dadurch zu Theil wurde, war ihr ein Stich in's Herz, weil fie
eine jo ſchreckliche Demüthigung und Schmach für Hannjoft in fi
ſchloß. Und als er nun gar plöglich verſchwand und unter bie
Soldaten ging, da brach ihr fehier das Herz; benn ber Zettel, ben
er ben Eltern zurüdgelajfen und deſſen Inhalt im Dorfe ſogleich
befannt geworben war, hatte ed ja außgefprochen, daß er feine
Schuld fühlte und fein Unrecht erkannt Hätte. Und die, bie fie
allein aufrichten konnte, fehlte ihr, die treue Freundin, die fie fo
gewaltig gerächt hatte Die Rofen Tehrten gar nicht mehr auf
ihre Wangen zurüd, und es fchien, als zehre ein tiefer Bram an
° ihrem innerflen Lebenskeime. Es wäre ihr eine Seligleit gewefen,
- hätte fie zu Hannjoſts Eltern gehen können, um bier tröftend Troft
zu finden für fich felber, aber fie wagte das nicht.
Unter bdiefen Umftänden floß ber Winter träge. bin. Der
Komet, deſſen Schweif nach Frankreich Hineinftand, gab ben Leuten "
viel zu denken, und ber alte Aberglauben, ala habe ihn ber Herr
als ein prophetifches Zeichen an den Himmel geftellt, hindeutend,
wohin ſich die Zuchtruthe feines Strafgerichtes wenden werde, faßte
gewaltig Fuß unter ben Bewohnern des Hochlandes, die im
innerften Herzen ben welſchen Drängern feind waren. Als ſich bie
Kunde von Napoleon gewaltigen Kriegsrüftungen auch zu ihnen
ſchlich, da prophezeiten fie ihm ben Untergang, weil der Komet es
nur zu beftimmt vorgebilbet habe. |
Durch bie raftlofe Bemühung bed menfchenfreunblichen Unter-
präfetten in Simmern war es -enblich gegen Oſtern Weierich
gelungen, die Kunde zu erhalten, baß fein Sohn in ein leichtes
Sinfanterieregiment geftedt worben fei, deſſen Stamm in Nismes
Yiege. Er fohrieb nun an ihn und in biefem Briefe gebachte er
Lenend Leid. Ta Fam endlich eine Antwort von ihm und ein
Brief am daB trauernde Mädchen. Zitternd erbrach fie ihn und
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nor Thrnen konnte fie jhn Tau leſen; aber was ex enthielt, ner
Palſam für ihr Herz. Voll tiefer Reue ſprach er ſeine Schulb
aus und flehte fie um Vergebung an. Heilig betheuerie ex ihr,
wie er erſt jetzt fo tief fühle, daß er fie und nur fie liebe.
Das war, wie wenn auf eine von ber Sonnengluth verfengte
und verwellte Pflanze der erqutdende Regen fällt. Wie fie ſich
«ufrichtet zu neuer Blütbe, fo Lene. Aller Schmerz, alle Kränkung
war nun vergeben und vergeſſen. Ihre Wangen färbten fich
wieber und bad Leben, das am Erlöfchen fchieh, regte fich wieder
frifh in allen Bulfen bes jungen Mäbchens. Auch von Ammi's
Herzen nahm e3 eine ſchwere Bürbe bes Vorwurfes, ba fie ſich alg
de anfehen mußte, bie, obwohl fle recht gehanbelt. zu haben glaubte,
dennoch den Grund zu größerem Leibe für bie Freundin gelegt hatte.
Seine Eltern Hatte er flehentlich gebeten, feine Xiebe zu ihm
auf Lene überzutragen, und fie, die das Unglüd tief gebeugt hatte,
boten dem Mädchen die Hand ber Liebe und Verföhnung, und in
Lenend Bruft und Leben fiel ein neuer Sonnenftrahl. Indeſſen
begann ber alte Weierih zu kränkeln. Die legten Erfahrungen
waren der Nagel zu feinem Sarge gewefen. Obnebin nicht ſtark,
fühlte er durch fo herbe überwältigende Geſchicke feine Kraft
gebrochen. Er fiechte noch bis zum Früblinge hin, dann ftarb er.
Lene hatte ihn wie eine Tochter gepflegt, treu, Liebevoll, hingebend,
mit einer nie zu ermüdenden Ausdauer. Mit dem Segen für fie
auf ben Lippen verfchieb er. Zu feiner Frau hatte er kurz vor
feinem Tobe gefagt: „Ich fterbe, ich fühl’ es. Auf Dich, als bie
Längitlebenbe, FA nach unferem Ehepakt all’ unfere Habe. Sollte
Hanıjoft fallen in ber Schlacht, fo geb’ mir die Hand barauf, daß
Lene Dein und mein Erbe iſt.“ Die betagte Wittme hing nun an
bem Mädchen wie bie Mutter an ibrem Kind, und Lenens Liebe
theilte fich zwifchen ihrem Vater und ber Mutter ihres Geliebten.
Noch einmal war ein Brief von Honnioſt gelommen, dann
— 41 —
vernahm man michts mehr nen ihm. Die ausgebildeten Reruten
waren zu dem Regimente geſtoßen, daß mit dem Heere nach
Mißland mwetſchiren ſollte.
3.
Qaum war es nach den aufregenden Ereigniſſen wieder ruhiger
geworben in Beudher's Seele, jo zog in fie ber alte Ehrgeiz wieder
mit Mer Macht ein. Die Stelle: des Gemeindevorſtandes oder Syndiks
war durch Weierih8 Tod erledigt, und ex ſteuerte jet mit vollen
Segeln auf fie los, die ihm einſt entgangen war, wie er meinte,
durch des Müllers Bauermann liſtiges und ränkevolles Spiel.
Wie immer eine langgenährte Feindſchaft denen, die gerne
Hader ſäen und zu Ohrenbläſereien Liebhaberei tragen, ein weites
De heilloſer Wirkſamkeit eröfmet, jo fehlte es auch jetzt dem
ehrgeizigen Bender nicht an ſolchen, die ihm hinterbrachten, diesmal
denke Bauermann an ſich ſelber. Er ſei beim Maire und Unter⸗
prãfelten gar gut angeſchrieben, und ſei ſchon bei Beiden geweſen,
zum ſich Die Stelle zu ſichern. Da glühte ber alte Haß noch einmal
fo feurig, ba war die Macht der Leidenfchaft im Manue fo groß,
daß er ſich Tode, feinem Binke, das des Feindes Sohn liebte,
de Hand noch nicht geboten zu haben.
Und Bauermann's Seele hatte weber früher, noch jebt daran
euch nur im Entfernteſten gebacht, fich im biefe Angelegenheit zu
miſchen, ober gar fi jelber das zugumenden, was Beben mit jo
glüůhender Leidenſchaft erſtrebte. Ein Aemtchen und dad bamis
verbundene Anſehen, der größere Einfluß, auch wehl bier und da
das Vortheilchen, daB herausſprang, war für biefen bie leckerſte
Soipeiie, Bauermann dachte pernänftiger. Er hätte um kein Gut
ei Amt haben mögen, ba er barin nur Schaden für fern Geſchaͤft
Gäste arblichen müfen. Asch fagte ihm, wenn eim ebrgeiziger
Gedanke ihn Hätte ergreifen wollen, feine Selbſterlenntniß, daß er
bie Yühigfelten nicht befite, bie zum Gemeindeamte erſorberlich
waren. Die kurpfälziſchen Schulen, in benen alle biefe “Diänner
ihre Bildung erhalten hatten, gehörten zu ben bürftighen, bie ſich
benfen laffen. Auch bie Schule, welcher fie ihren Unterricht ver-
dankten, leiftete Taum das Nothwendigſte. Das beflagte Bauer-
mann oft; aber Bender war zu folder Selbfterfenntniß niemals
gelommen, obwohl er kaum feinen Namen fchreiben, kaum einen
Brief Iefen, kaum auf's Nothdürftigſte rechnen konnte.
Nie hatte Bender in dem Grade den Bauern geſchmeichelt
als jetzt, nie hatte er ſich fo eifrig ben Schein eines tieferen
Willens um die Angelegenheiten ber Gemeinde gegeben wie jebt.
Er verſchmähte es nicht, des Verftorbenen Handlungen zu tabeln
unb fi) darüber auszufprechen, wie dies und jenes Hätte anders
und für bie Gemeinde vortheilhafter eingeleitet, ausgerichtet und
"gemacht werben können. So beftellte er ben Boden zunächſt.
Endlich entſchloß er fi, zum Maire felber in bie Stabt zu geben.
Diefer war ein alter, erfahrener Mann, ber, ein Lanbesfind, bie
Inſaſſen feines Verwaltungsbezirles genau kannte, aber auch die
Eigenfchaft hatte, rund und berb das zu fagen, was er für
geeignet hielt.
Eines Tages Tam Bender in feine Privatwohnung; auf ber
amtlichen Schreibfiube Hätte er ihn nicht allein ſprechen Türmen.
Mit großer Höflichkeit und gemwinnenber Freunblichfeit trat er ein
und feine Verbeugung war um vieles tiefer als fonfl. Der Maire
hatte. ihn auf ber Stelle durchſchaut, und gerade bei guter Banne,
wollte er einmal bie Windungen Tennen lernen, die bier Liſt und
Schlauheit made, um das zu erftrebenbe Ziel zu erreichen. ze
„Wie geht's, Bender?’ fragte er freundlich.
„Wie ſoll's gehen, Herr Maitel So fo, la lat Ich bente, wir
baben ein gute Jahr vor ber Hand; wenn nur ber Krieg nicht wäre 1‘
„Der ift weit von uns,“ fagte der Maire lachend, „mb der
Kaifer bat den Sieg an feine Adler gebeftet.‘‘
" — BB —
Bender, ber gnt beutfch gefinnt war, Bier aber einem Manne
gegenüber fland, ber ben Franzoſen anbing und ihnen feine Stek
hung verdankte, zuckte bie Achſeln und fagte troden: „Wan fot’s
meinen!“
„Ueberdies⸗ fuhr der Maire fort, „wirb bie Eroberung
Rußlands bes Kaiſers Weltherrſchaft die Krone auffeen.“
„Was kann man jagen? war Bender’ Antwort. „Unſereins
verfieht das nicht.“
„Da habt Ahr Recht,“ verfebte der Maire. „Ich kann's auch
gar nicht billigen, wenn ber Bauer ſich in derartige Dinge mifcht.”
„Das tt richtig,” meinte Bender; „unſereins bat Befleres
zu than. In der eigenen Gemeinde ift zu thun genug.”
„Gewiß; aber fagt einmal, wie fprechen ſich denn Eure Leute
über ben Dann aus, der Syndik werben fol?"
„Da wär’ viel davon zu reben, Herr Maire,“ ſprach Benber
ernſt und mit dem Scheine großer Unparteilichkeit. „Hätte bie
Gemeinde zu wählen, fo wüßt’ ich fchon, wer’3 nicht würde. Und
doch fol er Himmel und Erbe bewegen.“
„Wer denn?“
„Der Müller Bauermann.‘‘
„Hört,“ verfeßte der Maire, „ba feib Ihr auf einer falſchen
Fahrte. Ich Halte den Müller für einen ber bravſten Männer
Eurer Gemeinde und für einen fehr verfländigen dazu. Schon
bamals, als Weierich es wurde, wollte ich ihn dazu haben; aber er
hat's rund abgefchlagen, und erft vorgeftern hatte ich ihn bazwildgen,
daß er jehzt das Amt annehmen ſolle. Was meint Ihr, was er
ſagte?“
„Menſchengedanken kennt man nicht,“ erwieherte Bender; "
‚aber damals hat er ja bock ben Weierich empfohlen.“
„DaB. ift gelogen!“ plate der Maire heraus und Üef roth
an, denn er war em hitziger Mann.
„Gelogen?“ fragte Vender erſtaunt nd betroffen.
— 4 —
„Ja, gelogen!“ fuhr ber Maire fort. „Ar ſagte dernuls zu
wir, der Weird if ein Dudmänfer, der fo feine Schliche geht
und ſich ſelber nicht verzißt. Nud was er ba gejagt het, Hab’ id
wahr gefunden. Nein, Euch ſchlug er damals vor, ald ich ihn
fragte, Bach, und Ihr meintet — Ich hab's wohl oft gehbrt — er
habe Euch ſchwarz gemacht. Ihr habt Unrecht an dem brasen
Manne gehabt, während Ihr und ber Weierich meter dem Tiſche
ſpieltet. — Ihr habt ihm viel abzubitten, Bender, das ſag' ich
Eich.“ Bei dieſen Worten ſah ihn der Maire fo ſcharf ar, daß
er bie Augen nicderſchlagen mußte. „Und vorgeſtern, als ich ihn
wieder fragte, ob er bie Stelle denn jetzt nicht annehmen wolle,
fügte er feft und beflimmt nein. Er meinte, ein Aemtchen jet für
einen Bauers⸗ und Geihäftsmann ein Unglück, wenigftend für einen
wie er. Er Babe, fagte er, fein Geſchäft jebt fo im Schwung,
umb- fein Sohn ftehe ihm fe wader bei, daß ber Mehlhandel neben
em Mahlen ihm die größten Vortheile abwerſe. Auch wolle er
fest eine Delmlhle bauen, da er MWafler und Raum genug habe,
und deßwegen war er bei mir, daß ihm das neflattet werben möge.
Der will’3 nicht. Als ich ihn abet fragte, wen er demn für geeignet
halte, nannte er — Euch.“
„Mich?“ fragte Benber voll Erſtaunen.
„Ja, Euch!’ bekräftigte ber Maire. — „Was meint Ihr
dagn?“ fragte er nach einer Pauſe.
„Bas fol ih meinen, Herr Maire?“ antwortete Benber.
‚IM wäre noch rüfig genug dazu.“
„Das tft richtig; Aber wißt Ihr, was ich ihm geantwortet?”
Bender fah ihn mit großer Spannung an, aber er fchwieg. „Reim,
fagte ich,“ fuhr der Maire fort, „der Bender wird doch fein jolcher
Efel fein, daß er daruach firebti Er kann ja nicht leſen und nicht
ſchreiben. Das wäre mir ein feiner Syndik! Nein, fagte ich zu
Bauermann, ich denke beffer vorn Bender, als ba er in feinen alten
Tagen. noch vom Hochmuthsteufel fich plagen laͤßt. Dee kennt fich
— 8 —
felder beſſer; denn bie ‚meiden Nute, die noch aus Muepfalg:itamt-
wer, Hmm michts. Der Weierich our: noch bes befke, Duatnumn
allein macht eine Abnahme won ber Mega,‘
Dem arınen Berker wurde es ſchwindelig. Ge autfärbte ſich
und zog fein roth baumwollenes Taſchertuch heraus, um ſich bes
Schweiß abzutrockaen und feine Betrsffacheit zu verbetgen. Der
Malre that, ala fähe er das nicht und fuhr ſort:
„Der Müller meinte, Ihr wär't ein verſtändiger und braver
Mann, ba konne man fich ja in’ das Oeſchaft einſchießen; aber 'ich
fagte ihm rund heraus: ber Bender iſt nicht Fähig dazu, und er
ſolle max jeden Gedanken daran fahren laſſen. Ja, fuhr ich fort,
wär Euer Stofſel verheirathet und ein ſeßhafter Burger, den
machte ich zum Syndik, denn ber bat etwas Ordentliches gelecnt /
und ich halte ihn für den Tauglichſten in ber Gemeinde, Uebrigercß
vor Neujahr wirb nichts enffchieben, unb bis dahin mag ber Wehter;
ber ala Beigeorbneter bient, das Amt verjehen. Racht ev fi, fe
folk. er e3 werben; doch lommt Zeit, konnnt Rath. Vielleicht
verheirathet ſich bis dahin der Stoffe, und dann wirk er’s, fo
wahr ich Diatee. bin.”
In Bender's Bruft arbeitete es gewaltig. Ale feine Hoff⸗
wungen waren zertrümmert; aber was er von Bauermann gehört,
das that ihn wohl. Er but ihm im Stillen alle Unbill ab. Yugte
er fich nun die Sache zurecht, fo kam etwa dieſe Gebunkenfolge
heraus: Helrathete der Stoffel und wurde Syndik, und gab es
ihm Ammi zur Frau, fo konnte er doch ſo untet ber Hand mit
in's Amar hinein pfuſchen und bie Dinge in ber Gemeinde nach
ſeinent Kopf srbnen. Auch begann ihm bee Gebande zu fchmekkielk,
daß dann Ammi bie erſte Frau im Dyefe wärs - Diefe Reihe von
Borflelungen flog ihm durch den Kopft; aber er befah Gelbſt⸗
beherrſchung genug, fo wel. als moglich das, was ihn. bewegte, zu
verbergen.
„Ze habt Recht, Herr Mair,“ fagte 08 much. nie Bei
„Kür mich 18 nichts, umb ber Müller hat's gut gemeint; aber
fein Stoffel muß ja noch Soldat werden, und dann wär's doch
bebenflich, fo einen jungen Mann zum Syndik zu machen.”
„Ihr habt ba zwei Dinge erwähnt,” ſprach der Maire ernft,
„auf bie ich wohl antworten kann, weil ich bie Sachlage kenne.
Stoffel kann nicht Soldat werben. Grinnert Euch, Bender, er if
por etwa zwei Jahren vom Kirfchbaume gefallen und bat ben Arm
gebrochen. Obwohl bas ihn an Feiner Arbeit Bindert, jo kann er
boch, da ber Arm ſchlecht geheilt ift, micht das Gewehr tragen.
Das ſteht feſt und Ich kenne daßs. Da er überbied in biefem
Sabre zugfähig ift, fo haben ihn neulich bie Doctoren unterfucht
und das erflärt, was ih Euch ſage. — Das Anbere aber if
lächerlich. Erſtlich wird er, wie wir, alle Tage älter, und dann
fonımt’8 auf die Tüchtigkeit an, und bie ift für ihn. Was ich in
biefem alle thue,“ ſetzte er mit Selbfigefälligfeit hinzu, „iſt
gethan, und Jugend hat ff he Kraft und Freudigkeit.“
Die Stunde, auf die Schreibftube zu gehen, war da, und
Benber mußte fih entfernen. Der Maire ſah ihm lächelnd nad.
„Du bift hoffentlich geheilt!” fagte er; „aber Alter ſchützt vor
Thorheit nicht.”
Der Weg nad dem Dorfe führte burdh ben Wald. Als ihn
Bender erreichte, bog er links ab und ging in bem bichteften Theil
des jungen Schlaged, wo er ih am Stamm einer einzeln ftehen-
ben Eiche niederfegte und ben Kopf, ber forgenjchwer war, in bie
Hand fühle Ein tiefer Seufzer arbeitete fih aus feiner Bruſt
hervor. Was er heute erlebt, war fo bebeutfam und wichtig, daß
eßs fein Innerſtes in Aufruhr brachte Zunächſt machte fi fein
Zorm über ben groben Maire Luft. Der hätte doch manierlicder
fein innen! Ihm fo, mir nichts, bir nichts unter die Nafe zu
fagen, er fei ein Eſel, das war mehr, al ein Dann vertragen
Tonnte, ber nichts anders wußte, als daß er jehr Plug fei, unb ber
überzeugt war, ed mache Niemand feine Sache befier, ala er. So
— 4 —
ſchwer indefſen das zu verwinden mar, fo blieb doch nichta übrig,
als den Aerger zu verſchlucken. Das aber plagte ihn über die
Maßen, daß der grobe Maire das auch dem alten Bauermann
geſagt, und daß der es wußte. Hier rieth die Klugheit, den
Bauermann ſich nicht auf's Neue zu verfeinden; denn wurde der
erſt recht zornig, fo erfuhr's das ganze Dorf, und ſtand er dann
nicht geradezu am Pranger?
Das Zweite aber, was ibm im Kopfe herumging, war, ba es
nun in Frage fland, ob, wenn Stoffel foldhe Ausfichten hatte, er
nit am Ende bie Lene heiratbete; denn er ging fehr oft berthin,
das wußte er genau. Wär’ da nicht Aug, Ammi zurüdzurufen?
Endlich bewegte ihn bie Frage, ob er nicht auf irgend eine
Weiſe mit Bauermann fi ausſöhnen Fünne? Seit Jahren hatte
er nicht bei ihm mahlen laflen, weil er den alten Bid auf ihn
batte. Er ſann nach, wie bad zu machen fei, ohne daß es Auf⸗
fehen errege. Zulegt kam er barauf hinaus, wenn Ammi zurüd-
fehre und er ihrem Umgange wit Stoffel nichts in ben Weg lege,
werbe ba3 fick unter ber Hand geben. Und fo verhärtet war
Bender auch nicht, daß er nicht längſt fein rauhes Weſen gegen
Ammi bereut hätte AS er darum mit feinen Lleberlegungen ſo
weit war, that ed ihm im Herzen wohl, bem Gedanken Raum
geben zu können, fein einzige® Kind wieber um fich zu haben,
War's Doch fchier breiviertel Jahre, daß er Ammi nicht mehr
geſehen hatte! Und wie oft Hatte er das Bedürfniß gefühlt! —
Aber — ein Gebanke, der wit biefem Aber buch feine Seele
fuhr, erfchredte ihn. Er kannte Ammi und ihre Feſtigkeit. Würde
fie fommen, wenn ex es ihr fagen Liege? — Lange ſaß er in
tiefem Sinnen; dann fand er auf, er hatte den Ausweg gefunden.
Zu ber alten Goth wollte er morgen geben; bie mußte in bie
Stadt und Alles auögleihen. Dann wollte er den Wagen anfpan-
nen und Ammi jelber holen. Hatte fih ja doch, feit Hannjoft in
feinen Briefen ſich wieber an Lenen gewendet, auch fein Verhältniß
— 48 —
za Ammi geündert, und ohne Furcht, daß man ihn Dünpie, kounte
bie Hand zum Frieden reichen.
Glacucher, als nach langer Zeit, Yehrte Bender heim. Ganfier
umb ruhiger hatte er feit jenem Hochzelttage wicht geſchlafen. Als
ee am andern Morgen auffiand, war es ihm ſo wohl, ſo leicht ter
Hetzen, daß er hätte fingen und pfeifen Tonnen. Alles Biltert
was er beim Maire gehört, war verſchwunden, und leichten
Herzens ging er bei Zeiten zu Ammi's Both hinliber nach dem
nachſten Dorf.
Unfern defieiben begegnete ihm der alte Pfarrer, ber wide
Jachre Lang fein Geelforger geweſen war und auf ben bie Genteinbe
10 ungemein viel hielt. Dem alten Geiftlichen konnte Richts
erwinichter kommen, ala daß er Bender einmal traf. Ex batte hm
fo Vieles zu fagen, bag er Taum wußte, wo er beginnen follte
Dem Bender war’3 nicht vecht geheuer, denn er wußte, ber alte
Pfarrer war, wenn er auch den Napoleon und bie Franzoſen richt
leiben konnte, dach bes Maire's Freund und verkehrte viel mit ihm.
Hätte er ahnen Mnnen, daß Vieles von bem, was ber Maire To
ganz arglos Hingeworfen in der gefirigen Unterredung, mit dem
Pfarrer verabredet war, er würbe jetzt aus den Eifen gefchlagert
Haben; aber barüber lag ber Schlelet * Geheimniffes, ud nie
hob ihn eine Hand.
Nach dem herzlichen gegenfeitigen eie fragte der Pfarrer,
wohin er wolle, und Bender fagte ed offen. — Mit großer Freude
nahm ber Pfarrer diefes freimüthige Geſtänbniß auf. Er fagte
ihm, wie oft ſchon die gute Ammi ihm weinend geffagt, daß the
Vater fo unverföhnlich fet, nicht nach ihr frage und ihr Fein Veter⸗
herz zeige.
„Bedenkt,“ fagte er ernſt,“ „daß ber ungerechte Fluch auf Einer
Heupt zueñckffaͤllt! Ammi hat @uch vor einem ſchweren Unrecht
bewahrt; fie war in ihrem Rechte, nicht Ihr. Und nun verſtoßk
Ihr das gute Kind, das mit jo treuer Liebe an Euch hängt mied
— 8 —
fig. in Gram und Heimweh verzehrt. Ihr kommt in bie Stadt
und beindt fie wicht. Bender, Bender) gebenkt Ihr nicht an bed
Herrn Gleichniß vom verlorenen Sohn? Und Ammi ift Fein vers
lorenes Kind, und Ihr wollt body nicht vergeben? — Ihr betet
ale Tage: Vergib uns unjere Schuld, wie wir unjeren Schulbigern
vergeben — und hr thut nicht alſo?“ .
Bender traten bie Thränen in die Augen. „Ach,“ fagte er,
„ich bin ja auf bem Wege!’
„Rein, exwiederte ber Pfarrer, „Ihr wollt noch einen
Schleichweg gehen; Ihr wollt Euch nichts vergeben, ſonſt ginget
«Ahr jelber. Die alte Goth ſoll gehen.“
Da vief Bender: „AGs habt Recht; jeht feh" ich's ein, und bei
Bottes Barmiherzigfeit, ich gehe ſelber!“
„So iſt's Recht,“ jagte ber Pfarrer; „aber noch Sins, Bender.
Wie ſteht's zwiſchen Euch und Bauermann ? Da wirb noch ber alte
Haß Iopern? Bender, denkt an das Gebot, an bad ih Euch er⸗
innert: Vergebt, bamit Euch vergeben werbel Und warum ſpreizt
Ihr Euch jo gegen: die Verbindung mit. dem Stoffel?
Ach, Herr Pfarrer,“ jagte Bender, ben es ganz weh um's
Herz war, „Ihr wiffet micht, wie Ihr mich treffe. Ich Hab’ geflern
erſt Taren Bein eingeſchenkt gekriegt. Ich geb’ Euch bie Hand
brauf, fo. hart und zähe ich. bin, ich hab’ mich umgewandelt. Ihr
ſollt von mir hören, ich geb’ Euch bie Hand drauf.”
Und er brüdte bie Hand bed Geiftlichen unb ging, ſtatt in's
Dorf, rechtsab das Wiefenthal hinunter, welches ihn auf ben Weg
nad) ber Stabt leitete.
Ber Ammi lange. nicht gefehen hatie erſchrack über das
bleiche Ausſchen des einſt jo blühenden Mädchens. Offenbar nagte
ber tiefſfte Aummer am ihrem Herzen, und dieſer Kummer war kein
anderer, als. ber. über ihres Vaters zähes Beharren auf feinem
Sinne. Die Familie, bie fie mehr aus Liebe als aus Bedürfniß
ihrer Dienfle aufgtrommen, ſuchte fie. aufzurichten, „se e3 gelang
Horn’s Erzählungen. IX.
— 8 —
nicht. Halbe Nächte fah fie weinenb in ihrem Belt. Da trat
unerwartet ihr Vater zu ihr. AS fie ihn erblickte, ſanken ihre
Arme vote gelaͤhmt herab. Sie wurde noch bleicher als gewöhnlich,
and ein Zittern ergriff ihren ganzen Körper. Ihre Thränen
brachen zugleich mächtig hervor, aber fie vermochte Fein Wort zu
ſprechen.
Bender ſah fie liebevoll an. „Ammi!“ ſagte er, „Dein Vater
kommt, ſein Kind wieder zu ſuchen.“
Er ſelbſt war bewegt, und fein Auge wurde feucht, als er
das ſagte. Da löſte fi ber Zauber, ber ihre Bruſt beengte;
einen Schrei ftieß fie aus, der gelfend durch bad Haus brang,
und dann Tag fie an ihres Baterd Bruft und weinte laut. Die
Bewohner des Haufes eilten berzu, und als fte das Kind an bes
Vaters Bruft fahen und wie die Beiden weinten, ba fagte bie alte
Mutter zu den Ihrigen: „Laſſet fie allein! Da feiert die vergebenbe
und verfühnende Liebe ein Seit, deffen fich bie engel des Himmels
freuen.“
Und fie gingen und ließen fie allein, bis fie fi ausgeweint,
bis das Wort das Herz erſchloß und fie die Vergangenheit ver-
gaßen in der fiegender Liebe bed Augenblicks. — —
„Es geſchehen Zeichen und Wunber,” fagte am folgenden Tag
ein-Nachbar zu ber Wittwe Weierich, die bei ber Lene im traulichem
Geſpräche ſaß. „Habt Ihr's denn fon gehört, daß Bender's
Ammi wieder mit ihrem Vater ausgeſohnt und Hier iſt ſeit geſtern
Abend?“
„Was ſagt Ihr?“ rief Lene und ſprang auf.
„Wahrhaftig, fo iſt's!“ ſagte der Nachbar.
Nun hielt keine Macht das Mädchen mehr. Sie flog die
Straße hinauf und lag bald am Herzen der treueſten Freundin.
Bender war früh weggegangen, ohne daß er gefagt hätte wohin.
Er hatte nahe bei Bauermann's Mühle eine Wieſe. Dorthin war
er gegangen, um Bauermann vielleicht zu treffen. In das Haus
— SS —
gerabezu zu geben, davon bielt ihn benn bock der noch nicht ganz
niebergefämpfte Bauernftolz zurüd. — Es war ein heißer Sommer:
tag,. ber. Himmel rein, ohne ein einzige. Wöllchen. Obwohl es
Vormittag war, ſo ‚üterte boch ſchon bie Luft in ber fengenben
GSuth der Sonne. Die Pflanzen ließen matt ihre Blätter hängen
und fein Lüftchen bewegte das Laub ber Erlen, die am Mühlen:
teiche flanden. An der Mühle ließ ſich feine Seele fehen; nur bie
Räder klapperten emfig, vom ſtarken Wafferfirahle getrieben.
- Bender ging am Teiche hinab, wo es ſchattig war, unb näherte
fih ber Pütz, die an. bie Mühle fitek und nach Lanbesfitte mit
einem fauber befchorenen und forglich gepflegten Hage von Hain⸗
buchen umfriebigt war. Dort flanben des Müllers Bienenſtöcke,
gegen :bie Hainbuchenhede ſich anlehnend. Bender trat näher, um
nach dem Fluge ber Bienen und ihren vorliegenden Schwärmen zu
ſehen. Das hatte er früher um feinen Preis gethan. Er ging
wohl auch auf feine Wiefe, aber fein Blick fkreifte bie Mühle; er
that, als fähe ex fie nicht. Heute aber war er fo glüdlih, Ammt
hatte ihn fo Liebevoll gegrüßt, als. er auß ber Kammer trat; fie
hatte fein Frühſtück fchon bereitet, und nie war bie Suppe, bie bie
Magd gelockt, fo ſchmackhaft und fo nach feinem Sinne gewefen.
Er hatte Gott gedankt für bie Wendung der Dinge, und es war
ihm, als fei die vergangene Zeit ein wüfler Traum geweſen. Da
fans dem auch des alte Seelſorgers Wort wieber mit feinem
gemzen Gewicht in fein Andenken zuräd, und das Berfpeechen, das
er ibm vor Gott gegeben.
Neben feinen Bienenftöden ſaß ber Miller Bauermann auf
einem Scemel, ben er fi dahin getragen, weil. er heute gegen
Mittag dad Schwärmen eines Stockes mit Gewißheit erwarten
fonnte. Das Geräufch von Tritten hatte ihn aufmerffam gemacht.
Er lugte durch bie Lücken ber Blätter, bie en verbediten, unb ge:
wahrte den Benber. Cr erſtaunte; Benber ſah nach der Drühle;
ja, e8 kam ihm vor, als fuche fein Auge Semanden, als verlange
4*
— HM —
er; Jemanden aus ber Diühle zu traf. Rad em, was er bis
jetzt an Bender erlebt, kam ibm das fo ſomderhar une wäthjekkeit.
vor, daß er ſich kamn bazein finden Tonnie. Sein Grſtaunen wuchs.
alt Bender an den Hag näher herczurat unh bie Bienen bairadkkate,
Am dieſem Augenblicke fürmten bie Maſſen ber Bienen zum
Fiugloche heraus. SGummend ſchwärmten fe nach der Höhe.
„Der fürgt abE” riej Bender, „IR denn Niemand ba?“
„Doch,“ ſagte jet Bauermann, und’ fand auf, Dender'n
grüßend. Der Batte ſich ſchon zur. Erde gebückt und eine Hesbool
Erbe gegriffe, weidhe er in den Schwarm: warf.
„Se das Faß! geſchwind!“ fagte er gu Bantrriann, igwia
Die helfen!“ RNaſch ſprang er. um: die Ede, wo bie Thüre wem,
und ſtand bald neben tem Muller. Ohne auf etwas Anderes eins
zugehen, ſprach Bender eifrig von den Bienen uub begobnchtete dahei
die Richtung, welche ber Schwarm zu nehmen ſchien. „Dort ame:
Baͤumchen hängt er fich,” ſagte er, und wirklich bildete ſich bald ber
vide Klumpen, anzeigend, bei bort die Königin ihren Ruhepunkt
gewählt habe. Der Schwarm wurde nım gefaßt unb baum in's
Gras geſtellt, wo er ſich bald- beizog.
Jetzt fühlte Bender, daß er reden mirile vom bem, was. ihm
im Herzen brannte.
„Bewermann,“ fagte er verlegen, „ich Habe Dich viele Jahre
lang im Verdachte gehabt, Dar eis mein Gegner und Feinn
Geſtern fine mix die: Augen aufgegangen und ich hab's eingeſehen,
daß ih Dir groß Unrecht angethan. Sieh', darum lomm idy: und
reihe Din bie Hand und fage ehrlich: verzeih mh; "ber. deder
folf begraben ſein in's tiejſte Meerr“
Bauermann Hatte ihm bewegt zugehört. „Gottlo ſage æ.
„und Gott lohn's dem; der's getham, ba Du —*— koumſt
Hier iſt meine Hand! Niemand kam ſie lieber reichen als ich, bee
Hader ti Eiter in ben Gebenen, und Friede ernũthrt, ntriede aher
verzehrt. “
— BB —
ME einem herzlichen Haerredruche war ber Friebde hergeſtellt und
beftegolt. Noch lunge ſaßen fie bei eimamber, bis der nahende Mittag
yor Heimkehr rief. ALS Bender ſchen wieder jenſeits ber Puͤtz war,
rief er noch zuruck: Sende ben Stoffel mit ben Wagen, ih muß
heute noch Korn faflen.“
„Es gefihehen Zehen wab Wunder” vief Bemermann, als
er zu ſeiner Frau rat, bei ber Stoffel ſtand. Krines begriff, was
er meine; aba er aber ergäblie, was fich errignet, hörten fie voll
Berwunbderung zu und bite Mutter flug bie Hände zuſammen;
Sidffel aber ging in ben Garten, weil es für fein Herz zu enge
weerbe in ber Siube. Die Freube war To groß, nach fo langer
teoßlofer Ausficht; bie Hoffnung ſchwellte fern Herz auf's Neue.
St Tomte ben Abend Taum erwarten, wo er Ammi wieder fehen
follte, uud diesmal Im elterlichen Haufe, das Pr feit feinen Linder⸗
jahren nicht mehr betreten hatte.
Ammi ahnte richte, ala Ihe Vater mit ben Kwechte ging Kom
zu faffen und ihm fagte, er babe den Müller felbft beſtellt. Abends
Wand fie in dee Stube, als ein Mullerwagen baber vafjelte, ben
bie Glocken der Roffe verfünbeten. Sie hätte faft laut aufgeſchrieen,
As fe Stofſel fah, der am Hamfe hielt und bereinfprung, nachbem
er die Peitſche an's Qummet geſteckt. Hocherrothend blickte fie in
ihees Vaters Angeſicht. Dieſer lächelte und fagte: Gch', Ammi,
nd: zeige dem Stoffel das Kor, das er laden ſoll.“
Site zauderte — das war zu außerordentlich, als daß fie Hätte
daran glauben ſellen. „Nun,“ ſagte Benber, „ſoll ich ſelbſt die
dehe Exeppe Hinanf Reigen?“ Da flog fie pochenden Herzens hinaus
und vor GStoffel bie Stiege hinan, baf er ihr Tamm felgen Torte.
Aber broben? Da fan! bie Glückliche an des Funglings treue
Bruft und im Jubel erzuhlte fie ihm Alles, was ſich ſeit geitern
Wunderbares ereignet Hatte. Boch wie erflaunte fir, als mm au
Sure For die neur Mähr von heute Morgen mitteilte. Ammi
blidte dankend nach oben, Steffel aber drückte fie an feine ruf
— 4 —
und rief: „Ammi, es tagt nach langer Nacht und bie Haffnung
geht auf wie bie Morgenfonmel‘ Und ihr in bie Augen blickend,
fungte er leiſe: „Sagt Du auch Rein, wenn Du mit mir mm
Altare ftehft und Dich der Pfarre fragt, ob Du mein Weib werben
wollten?‘
Da riß fie fih aus feinen Armen, deutete auf die Säde und
sief: „Stoffel, trag’ bas Korn hinab! Hörft Du, es klingelt, bie
Mühle it Teer!” Unb im Nu war fie die Treppe hinab und ver
barg das glühende Antlik in ihrer Sammer.
Es war im Spätherbfte des Jahres 1813, gegen Martuteng
und es war ein Wetter, daß man keinen Hund vor die Thüre häkte
jagen mögen. Bäder und Müller ftritten draußen, wer von ihnen
ber größte Schelm fei, wie man auf dem Hunsrück fagt, nenn im
Herbfte Regen und Schnee unter einander fällt und ber Wind bie
MWetterfahnen und bie Floden und Tropfen trilt. Man ſucht dann
eifriger der warmen Ofen und ſchmiegt 1% frößtelnd daran, die
bedauernd, die draußen ſein müſſen.
In einer hellerleuchteten Stube ſaß ein blihendes junges Weib
neben dem alten, viereckigen Ofen, auf deſſen Platten bibliſche
Geſchichtsdarſtellungen zu ſehen waren. Sie ſpann ben fifberglän-
zenben Flachs und zog feine Fäden, während fie bann und wann
einen liebevollen BL auf die Wiege warf, in ber ein Kiud fanft
ſchlummerte, leiſe gefhaufelt von einem alten Manne, ber auch
kaum vom Kinde wegfah, deſſen Züge ber fchönen WRuiter Abbild
waren. Dann aber flog ihr: Bli mit dbemfelhen Ausdrucke zur
andern Seite des Tiſches, wo ein junger Maun ſaß, ber feine
Pfeife vauchte und bad glückliche Geficht :der Mutter mit-. ‚unihge
lichem Wohlgefallen beivachtete;-
DaB Geſpräch ſtocte eben, da klopfte es an ben vaden, mi
keife, dann ſtärker. Die junge Frau erfchrad..
„Herr Syndik!“ rief eine befannte Stimme, and ber —2
Maun ging zum Fenſier und öffnete. eo
„Was gibt's?“ fragte er.
„Reber Gott, «8 ‚find wieder zehn Deſerteurs da, die um
Gotteswillen bitten, wir folen ihnen Brob geben. Es find Deutſche.“
Es war. ein Mann von ber Sicherheitswache, bie man überall in
den Dörfern errichtet Hatte, weil bie Wälder von Deferteurd ber
zerrütteten Armee wimmelten.
„Sollen wir fie arretiren?” fragte ber Mann, fehte aber
ſchnell Hinzu; „Wir müßten bann aber Hülfe holen} ‘' .
„Stoffell’ bat das junge Weib, „es find ja auch treuer,
trauernder Mütter Söhne! Thu’ es nicht!”
Der Syndik -blidte nach ihr bin und man jah, wie ſchwer es
ihm wurbe, feiner. Pflicht zu genügen.
„Ich muß,“ fagte er. „Meine Pflicht fordert es.“
Ammi blidte trauernd in das Licht und feufzte tief. Stoſte
griff nach ſeiner Mütze.
„Willſt Du?“ fragte ſie zitternd vor Mitleid, Angft und Sorge,
„Weib, fagte er bittend, „mache mir meine Pflicht nicht
ſchwerer, als fie iſt!“
„Vater,“ bat fi, „geht doch mit ihm, daß ihm fein Unglüd
wibderfährt.‘‘
Der alte Bender ftand rafh auf, um nach feiner Mütze zu
greifen; aber in bem Augenblide kam ein-zweiter Bote, ber ſeen,
fie ſeien fort. Die Leute hatten ihnen Brod gegeben. ,
„Dann kann 'ich zu Haufe bleiben,” fagte Stoffel Bauermann,
der junge Syndik, ſchloß den Laden und ſetzte fich wieder. Langfam
fehrten Ammi's rothe Wangen ‚wieder.
„Es iſt doch entſetzlich,“ ſagte fie, „was bie armen Zungen
ausſtehen müſſen!“
„Und wie muß es um bie Armee Regen!“ meinte Valer
Bender. „Seit der grauſamen Schlacht von Hanau laufen halhe
Regimenter fort, der Heimath zu. Haben ſie aber Unrecht? Ihr
Kaiſer lügt die Welt an in einem Bülletin, das man -ıin. ale
Welt ſchickt, und fagt, er babe gefiegt, und läßt feine Leute im
Stich und macht fi aus dem Staube nach Paris! Und Euch, ben
Synbiken, gibt man Befehl, die armen Teufel zu arretiren, Me
ticht wifſen, wer Koch ober Kellner if. — Rein, Fünt’ einer ober
gehn an unſere Thür, ich gäb' Ihnen all’ unfer Brod. Gelt, Anımi?
„Freilich,“ fagte bie junge Frau und blinzte ſchalkhaft nach
ihrem Manne. „Sie kämen dann ja zum Bender und nicht zum
Syndik Bauermann, zu Bender's Ammi und nicht zur Frau bes
Syndik.“
„Schöne Wirthſchaft!“ ſagte der Syndik halb ernſt, halb
lachend. „Ich glaube, Ihr habt's ſchon ſo gemacht.“
Da ließ das junge Weib ben Faden einlaufen, klatſchte leiſe
in die Hände und fagte: „Gelt, Vater, ber Stoffel koönnte Raths⸗
berr werben!‘
Der Alte lachte und fagte: „Du haſt's ja nicht gefeben, als
es geftern Abend geſchah!“
„Ach,“ rief Ammi, „wenn doch der Hannjoft käme!“
„Ei,“ erwiederte Stoffel, „da ſieht man doch, daß es ihr mit
ihrem Nein nicht fo ernſt war! Vielleicht ſagte fie jetzt gerne Jal“
„Du böfer Mann!” zürnte das junge Weib. „Aber nein,“
fuhr fte fort, „laßt ung im Ernſte davon reben. Nun iſt's weit
über ein Jahr, was fag’ ich, fchter zwei, daß ein Zeichen bes
Lebens mehr von ihm gefommen if.“
„Ich weiß nicht,” fagte Stoffel, „mir iſt's, als müſſe er
fommen. Der Andres Pfaff aus ber Stabt, der als Invalide
beimgelommen ift, bat ibn noch vor ber Leipziger Schlacht
geſprochen, wie er mir felber gefagt bat. Hat ihn Gott fo lange
erhalten, jo bin ich des Glaubens, daß er kommt.“
" Unb noch lange beſprachen fie biefe ihnen Allen wichtige
Angelegenheiten.
And gerade in dieſer Nacht war es, daß nach ein Uhr an
Weierich's Haufe leife geklopft wurde. Der Knecht hörte es und
— 1 —
dachte, #8 :feten wicber hungernde Deſerteurs, welche damals tn
Schaaren bie Wälder des Hunsrücks durchwanderten. Meiſt waren
ed Belgier und Holländer, ober Nieberfänber aus dem Bergiſchen
ober der Gegend von Aachen und Eleve, bie fich ihrer Heimath
näherten. Strenge Befehle wurden gegeben, fie zu arretiren, uber
kein Menſch that es, vielmehr keiftete Ihnen Überall das Welt Hülfe
und Beiftand, fo viel e8 konnte.
Der Knecht fand auf, um nachzufehen, und ba fiel es ibm
auf, daß ber alte Spitz nicht bellte, fonbern mit allen Zeichen
ber Freude mebelnd an der Thüre herum Tief. Er dffnete das
Tenfter. —
„Jakob,“ ſprach eine Stimme, bie ihm befannt ſchien, ‚„‚madh’
auf, ich bin’, der Hannjoft, bes Syndits Sohn; aber ſei ſtill,
daß es Niemand merkt.“
Der alte Knecht öffnete, und zerlumpt, naß und faſt baarfuß
hinkte Hannjoſt herein. Die Uniform hing ihm in Fetzen am
Leibe und den Arm trug er in einer Binde.
„Wie geht's meinen Eltern? was macht Lene?“ fragte er.
„Eure Mutter iſt wohlauf und auch Lene — aber x Guer Bater
rubt ſchon lange im Grabe.” -
Da ſank der Arme auf bie Bank und weinte laut.
Die Mutter hörte die Unrube unten. Sie ftanb auf, machte
Licht und kam herab. — Wie erfchrad fie, ald fie ben Fremben
ſah! aber welche Seligkeit durchſtrömte das Mutterherz, als es ber
geliebte Sohn war! Schnell wurden Kleider geholt, Kaffe gefocht,
und erft jebt fah fie feinen Arm. Er war verwundet worden bei
Hanau und noch war ber Stich einer Lanze nicht orbentlich ver-
bunden. Die Wunde ſah übel aus. Was bie pflegende Liebe
konnte, geihah, aber noch vor Tag holte ber Knecht ben Chirurgus
aus der Stadt, ber ein verfchiwiegener Mann war.
Morgens Tam, wie fie pflegte, Lene. Am firahlenden Antlitz
— BB —
ber Mutter ſah fie, daß etwas GErfreuliches vorgefallen mar. ie
ſah fie forſchend an. no
„Komm, ſagte Jene und führte fie hinauf. Der Chirurgus
hatte eben ben Arm unterſucht und verbunden. Lene warf ſich
weinend über den Geliebten.
„Kannſt Da dem Reuigen vergeben?“ fragte er fir Ich
babe ſchwer gebüßt!“ fegte er Hinz. —
Sie, barg ihr Angefiht am feiner Bruft und ihr Mund
brauchte nicht zu antworten.
Morgens Tam Lene, firahlend vor Freude, zu Ammi, bie allen
bei ihrem Rinde ſaß. Diefe fah bie Freundin einen Augenblick
forfchend an, dann rief fiel „Er ift dal gelt, er iſt da?“ Unb
Lene nidte mit jeligem Antlig.
„Aber ſchweig, um Gotteswillen!“ fagte fi, „Wir balten
ihn verborgen. Denk' Dir, er iſt verwundet!’
3Zwei Donate Faum war er verborgen, ba kamen die Deutfchen
unter Blücher's Führung und bie Rheinlande waren frei. Des
genefenen Hannjofts erfter Gang war zu Stoffel und Ammi.
„Meinft Du, ich hätte e8 nicht gewußt?’ fragte Stoffel feine
triumphirende rau. „Da hätt' ih ja doch blind fein müffen.
Dir Ief’ ich jeden Gedanken auf ber Stim!”
Bald vereinte ber. Pfarrer das glüauiche Paar, und > sone fügte
nicht Nein.
— U
aAnintin
Eine Erzählung.
————
1.
In die Werfflätte des Waffenſchmieds Meſſtis zu Maftricht
trat am Morgen bed Tages Sanct Katharinä ein reich gekleibeier
Cavalier, mit dem Comthurkreuze des Johanniterordens geſchmuückt.
Ein freundliches Lächeln flog über ben tiefen Eruſt und bie Hoheit
des männlich fchönen Geſichts, ala er ben Meiſter grüßte, ber im
Teierfleide baftand und bie: blinkenden Waffen mit wohlgefälligen
Bliden muſterte. Der Meifter zog ſchnell die Sammtkappe von
grauen Schäbel und verbeugte rg bemüthig vor dem boben
Fremdlinge.
„Man bat mir Eure Waffen ſehr gerühmt, Meiſter!“. ſprach
jeht, einen prüfenden Blick umherwerfend, der Cavalier, „und ich
bin ſelbſt hierher gegangen, um mich davon zu überzeugen und —
fo es alſo iß, vielleicht ein Kunde von Euch gu werden.“
„Wollet Euch ſelbſt überzeugen, edler Herr!“ exrwiederte
Meſſjis; „denn Euer Kennerblick wird bald auch ohne meine Lob⸗
preiſung finden, ob. meine Arbeit des Rupmeb wert iR, den man
ihr zollt.“
„Met ſo,“ ſprach A Comihur, „das Werl mb ben Meſler
lohen und nicht ber Meier das Werk!“ —
Er ging an ben Wänden umber, bHeb Babe hier bald 84
ſtehen und wandte ſich dann ſchnell nun Meißer wit ben Werten:
„Schade, daß ich an Eurem wohlgearbeiteten Degen das varmiſſe,
was man an ben Damaſeenerklingen mit Recht rühmt — — —“
7
— 60 —
„Mit Gunſt, ebler Herr!“ ſprach einfallend ein Jüngling,
ber eben erſt hereingetreten war, und nun im Schmude männlicher
Schönheit, mit einem offenen, areußerzigen Blid aus ben großen
blauen Augen, fi neigendb vor dem Gomthure fand, „ich will
Euch einen Degen zeigen, deſſen Klinge gewiß einer Damafcener-
klinge an Härte, Schärfe und Schönheit nicht? nachgibt.“
Des Comthurs Blide maßen ben Süngling, ber an riefiger
Größe und wohlgeltaltetem Körper weit ihn felbft übertraf; und
feine Stirne legte fih in Falten.
„Dein Tedes Verfprechen, wenn's nicht aus Jugendbeitelkeit
Gerrührt, die Dir übel anſtünde,“ erwiederte ber Comthur, „forbert
mich auf, Di beim Worte zu halten.”
„Es ſei!“ rief jener Tächelnd und entfernte ſich mit einer
anftändigen Verbeugung.
„Der fange Menf Hat viel Selbfivertrauen,‘ bob ber Com⸗
thur ar, ſich zu Meffits wendend; „ich mag es wohl Ielben, weun's
nur nicht in Uebermuth ausartet, bem es fo nahe Acht.”
„Verzeiht ihm, edler Herr!” bat Meffjis, „er ift nit ſtolz,
mb ich bin ber Meinung, dab er Euch Wort halten wird, denn
ber Junge fieht in feiner Kunft, ich muß das ſelbſt bekennen, welt
über feinem Vater.
„Das macht ihm keine Unehre, fo wenig ala dies Yeleınmiß,
ben Vater jelbft, der Ihr wohl feld, wenn ich meinen Augen trauen
kann?“ verfegte ber Comthur.
„Ja!“ ſprach der Meiſter. „Nur will es mir richt gefallen,
daß Quintin ſo eigentlich keine Freude am Handwerke hat; und
boch zeichnet er fo ſchönes Blattwetk und fb wunderliche und doch
ſchöne Geſtalten zur Berzierung ber Wellen, daß wehl ſicheellch
bereinſt aus ihm ein Waffenfchwich werben wird, wie ihn die alte
Stadt Augsburg und das weit berühmite Gtäbtlein Solingen nit
wohl wirb aufiweifen Fünnen.‘‘'
Indem trat Quintin mit ſreundlicher Miene herein, in fee
— di —
Hand einen ‚langen Degen tragend, deſſen fihän gearbeitete Scheid⸗
und zierlicher Griff kan Camthur in bie Magen leuchteten. Raſch
flog die langa bia in bie Spitze hinaus blaue Klinge herans und
wit zierlichem Anſtande reichte fie Quintin ben Comthur.
Diefer pruͤfte fie wohl. Der Stahl bog fich zum Ringe:
„Erldubr einen Augenblick,“ ſprach Quintin, den Degen faſſend,
und führte einen kruftigen Streich auf eine Stahlſtange, bie In der
Ser Rand. „Wollt Cuch überzeugen vor ber Güte ber Klinge,"
verfeßte er, die Stahlftange aufhebenb, als fei es ein Strohlalm;
und fie dem Comthur hinhaltend. Cine tiefe Sqharie war in der
Stange und die Klinge unverletzt.
Mit Wohlgefallen hob der Comthur die alinge auf und las
die mit Silber eingelegten Worte: Deo Gloria, mihi Victoria!
„Iſt dieſes Schwert Deine Arbeit?” wendete er fich fengenb zu
Quintin. Diefer neigte fich erröthenb.
„Nun,“ fuhr der Comthur fort, „dann Haft Du redlich Dein
Wort gehalten, und zum Beweife, daß es meine Weberzeugung ift,
will ich es Dir ablaufen.‘
Obgleich Quintin ungern das Schwert bingab, fo ließ doch
der Comthur nicht nach, big ex's ihm überließ.
„as wollteſt Du auch damit beginnen,’ fpagte er, „a Du
doch Deine Kunſt übſt und nicht den Waffendiend?" — -
Quintin zudte die Achteln. „Je nun,“ verſetzte er, „Ah
bmten Zeiken bommen, wo. auch ber Bürger ein Schwert brauchß
und dann hätte ich gerne dieſe Klinge geführt.“
Dis: Comthur Flonfte ihm auf bie Schulter. „Dein Sinn
gehaln mir; aber Gott und bie heilige Jungſrau mim: Hufen
arata Holland ver ſolchen Zeiten de: Vargeckriue⸗ bewahron uns
ſchuͤtzen ewiglich! .4.
„men!“ ſprach der Hair.
+ „am Tannfl-eind: in sten. Wehe werben; bob ben Conthar
— 62 —
wiebder an, denn Du haſt viel voraus vor anderen Deines Gewerbes
und Deine ſechszehn Jahre laſſen Die eine ſchöne Bahn offen.’
„Ich Bin ſchon Siebenzehn alt,” fiel Quintin ein.
„Aber,“ fuhr der Comtbur fort, als babe er Quintins Rebe
nicht gehört, „eins thut Dir Not, Du mußt bie Welt fehen und
onberer Meifter Kunſt. Drum wanbere, und einft wirſt Du bamm
als Meier heimlehren und Deines alten Vaters Iehte Stunden
werden dann durch bes Sohnes Kunft und Fleiß wahre Feierſtunden
bes. Lebens und ber Arbeit fein.‘
„DaB war Yängft meines. Herzens Wunſchl!“ ſeufzte Quintin,
den Vater bittend anfehend.
„Run denn, fuhr der Comthur fort, „Jo will ih Dir einen
Meifter nennen, deſſen Kunft weit berühmt if. So gebe nadh
Antwerpen zu Meifter Jan, dem Waffenſchmied, und Du wirſt
finden, wie ih Dir ſage.“
Mit diefen Worten entfernte ſich, wohlwollend dem Jüngling
die Hand reichend, und den Vater, der in tiefen Gedanken daſtand,
grüßend, der Comthur.
„Hebe dich weg von mir, du Verſucher!“ ſprach der Vater
murmelnd vor ſich hin, „du willſt dem morſchen Gebäude auch die
letzte Stütze rauben, daß es in Trümmer falle!“
Zwei Monate ſpäter läuteten die Glocken der Sanct Andreas⸗
kirche dumpf und ſchaurig und ein langer, ſchwarzer Leichenzug
bewegte ſich die Straße herauf, den Ort des Friedens und der
Ruhe zu ſuchen für den milden Schläfer, ben ſie trugen. Es war
Quintins Vater.
Des Alters: Entkraͤftung und ber Kummer durch— ungfüdliche
Speeulationen und Betrügereten, an die ber Biedere nicht geglaubt.
und drum Sebem auf feine glatte Zunge getramt hatte, brachen
feine Kräfte und fein Herz. Quintin war nun eine Waiſe, ohne
-Stüße Als Fremdling war fein- Vater eingewanbert, an und
halflos, nur auf feinen Muth, feine Selbſtbeherrſchung, feine Kunſt
— 6s —
vertrecuend — ſo ſtand Quintin wieber da; denn bie unbarm⸗
herzigen Glaͤrrbiger feines Vaters nahmen ihm Alles, bis auf das.
Wamms, das er trug. In dem Haufe, bad nicht mehr fein war,
ſtand der Süngleng am Tage ber Beſtattung feines Vaters und:
ber gewaltige Schmerz wollte ibm die Bruſt fprengen und. den-
Athem nehmen, nach dem er mit Anſtrengung Tämpfte. Uber Seine
erleichternde Thräne rieſelte über ſeine Wange. Der ungehende
Schmerz hatte ſeine Augen ausgetrocknet.
„Ach,“ rief er, „meines Bleibens iſt nicht mehr hier, in
biefen:: Mauern, in denen ich bie glücklichſten Stunden meines
armen: Lebens barnloa dabinlebtel Der legte Troft, da zu bleiben,
we bie-filßen: Schauer der Erinnerımg meine Seele umwehen, if
mie geraußt. Was beginnen? wohin mich werben?’
- Saft du nicht - deine: Kunft- und beine Vaters Segen?
ſprach er leife in feinem Innern. Willſt du in kindiſchem Klein⸗
muth verzagen, weil man bir Alles nahm, — dich haſt bu noch,
dich felbſt Haft du noch nicht verloren. —
"Das richtete ihn empor unter ber Laſt ſeines Schickſals.
Er band das einzige Hemd, was ihm noch geblieben, in.felü
Zuch, griff mit brechendem Herzen nach dem Wanderſtabe feines
Vaters, amd trat: aus der Stube. Da. überwältigte ihn ber
Schmerz Er lehnte ſich an die Wand und Thränen rollten. über
eine Bangen.
In Diefem Moment trat ber Jude Heyum in das ‚Leere Sons
PR grinzte mit- giftigen: bobne den weinenden Süngling an.. Sn
war das Hank.
Nu?“ as Ihr noch vo ſeidr“ fragte er. „As Ihr mit. de
Thranercher nit ausloſcht des Oblifaziönche, wos ich heb ſchwarz
uf weißt So Ihr nit geht ſehnell, fo muß ich gebvauche mei
Hausrecht!“
Armer Juͤngling! wie mußte bes teufliſchen Juden Hohn deine
weiße Seele zerreißen!
— 4 —
Ohnme ben Juden einer Antwork und einea-Blides zu würbigen,
ernste ſich Quintin, hauchte in das Tuch, drücktte es ſichnell auf
bie Augen und trat ungewiſſen Schritzes aus dem Haufe, Und ohne
daß Jewand fich um ihn kümmerte, wankte er zum Thore hinaus,
in ſich hinceinklagend; Das iſt ber Fluch ber Armuih, daß fie
Niemand kennen will, und ſelbſt ber Hohn des Unmenſchen fe ungeſtrafßz
weejſen darf!
2.
Im Weiten ſank eben bie Sonne hinab und ſäumte gluthig
ben Horigont. Bolbene Abendwölkchen zogen gm Himmel bin- und
ein lauer Wind wehte eine angenehme Kühle. Antwerpens Thürme
ftanden vergoldet im Aether. Weiße Segel ſchaukelten auf den
fegimmernden, von ber Abendfonne vergoldeten Wogen der Schelde,
und majeſtätifch Tagen im Hafen bie Kolofie, bie dem Handel ber
Stabt bie Reichthümer ferner. Gegenden zuführten, mit flatieraben
Wimpeln gefhmüdt von ben Zarben aller Nationen. Zwiſchen ben
Kauffahrern prunkten bie gewaltigen. Kriegsſchifſe. Von einzelnen
Thürmen ber Stadt erflang melodifch die Veſper, während längs
bed. Hafens und auf ben Luflgängen ber Stab Antiverpens
Bewohner fi ergingen, Die fiaubige Heerſtraße daher Ishratt
Quintin ſchweren Herzend. Da Ing Antwerpen vor ihm und das
Ergreifende des Anblicks verfehlte feine Wirkung nit auf das
Herz bes Jünglings. Cr ſetzte fich ſeuſzend auf ben. Rufen neben
ben, Wiege und verſank in files Nachdenlken. Bald war Alles zu
ihn vergefjen und feine Seele war im Reiche der Vergangenheit,
Die Bilder feines frühen Sebens, feiner Jugend , feine; Glücks
giegen fijfl und eu an ihm. poräber. Es war. ibm, 08, je er
unch sehen. bem geliehten Vater am runden Dieltiſch und ließe
fih erzählen aus ber alten guten Zeit und beſpräche die Händel
ber ernſten Jetztzeit und dei Statthalters Grauſamleit. Ein
unausſprechlich ſüßes Gefühl ergriff ihn und eine Sehnſaicht Zach
-
— 65 —
ber Heimath, deren Ferne ihn ein Blick auf feine Umgebung lehrte,
umd nach dem beimifchen Stillleben, die nur das gefühlvolle Herz
empfinden Tann, und bie unfere Sprache fo bedeutungsvoll ‚Helms .
weh’ nennt.
Unwillkürlich Hatte er feine Hände gefaltet vor der Bruſt und
die Thränen, bes Gemüthes leife Verräther, rollten ihm über bie
fummerbleiche Wange.
Er hatte es nicht bemerkt, daß ein Reiter die Straße daher
fam, der, abgeftiegen, jett zu ihm trat und ihn mit Fräftiger, aber
wohlmollender Stimme anrebete: „Warum weinft Du, mein Sohn?”
Quintin fuhr zufammen und empor, benn eine befannte
Stimme hatte fein Ohr getroffen. Er wifchte raſch die lebte
Thräne weg und flarrte den Fragenden ar.
Es war: ber Comthur, ber im langen ſchwarzen Mantel mit
dem weißen Kreuze gehült vor ibm Yland und noch einmal
weicher und milder die Frage wiederholte: „Warum weinft Du, .
mein Sohn?" —
„Ach!“ — ſtotterte Quintin, „ich habe ja nicht geweint, ebler Herr 1”
„Mein Sohn!’ verjeßte ber Comthur, fanft vermweifend, „es
gibt Thränen, deren ſich auch ber Mann nicht zu ſchämen braucht,
und das Leben hat ernfte, fehmere Stunden, wo nur bie Wahrheit
allein gelten darf. An fol einer Stunde, wenn mich nicht Alles
trügt, babe ich Dich gefunden und Du haft mir eine Unwahrheit
gefagt. Zwar Habe ich als Fremdling feine Anfpüche an Deine
Geheimniffe und Dein Vertrauen, und id wünfche Dir nur, daß
Deine bleichen Wangen und.Deine vollenden Thränen nicht Deine
eigenen Anfläger fein mögen!‘
Er wendete ſich ab und wollte geben. Ä
„Am Gott, ebler Herr!’ rief Onintin erröthend vor dem Verweiſe
des Comthurs, feine Hand fafend: „Verdammet nicht ungehört!“
‚Run, fo ſprich!“ Sprach Jener. „Kann ich Dir helfen, fo
fol es geſchehen.“
Horn's Erzählungen. IX, 5
— 6 —
Mit rüsrender Trauer erzählte Quintin des Vaters XTob,
fin Schickfal, feine Wbficht in Antwerpen, eingeben! bed Rathes,
ben ber Comthur ihm einft gegeben, fen Brod zu verbienen. —
„Armer unge!‘ entgegnete der Comthur, „Du baft frühe
bes Schickſals Eifenhand empfunden! Doch Du biſt Mann genug,
Herr Deines Schmerzeß zu werden. Glaube mir, Jüngling,” fette
er hinzu, und feine Stirn legte fih in tiefe Falten, „glaube mir,
e3 gibt härtere Kämpfe zu beitehen im Leben und ſchwerere Siege
zu erringen, als biefe. Gebe Gott, daß Du biefe und jene, wenn
fie bermaleinft Über Dein Herz Tommen follten, muthig und
vorwurflos beſteheſt!“ —
Es entſtand eine lange Pauſe; dann fuhr, wie aus einem
Traum erwachend, der Comthur fort: „Dein guter Engel führte
Dich nach Antwerpen. Suche Dir Unterkunft bei Meiſter Jan, dem
Waffenſchmiede. Sei brav, ſei treu und fromm, und Du ſollſt einen
treuen Freund in mir haben. Nimm dies Wenige, was ich bei
mir trage, um Dir die erſten Bedürfniſſe, die Du haſt, eine beſſere
Kleidung, zu verſchaffen.“
Quintin wollte der Gabe widerſtreben — aber der Comthur
brüdte, fie ihm in die Hand, ſchwang fi auf fein Roß und
verſchwand im Nebel dev Nacht, bie fchnell hereinzubrechen begann.
Der zweite Tag brach an, feit Duintin diefe Unterrebung wit
dem Comthur gehabt. Wodhlgekleidet ſchritt Duintin durch die
Straßen ber Stadt, feine Augen immer auf ben Sanct Annen-
thurm richtend, der fich mit feinen gothifchen Verzierungen Fühn
in bie Lüfte erhob, in befien Nähe Meifter Jan's ftattliches Haus
fand. Durch die hellen Fenſter ſah man ben regen Fleiß ber
funftreihen Hände am biinfenden Stable.
Schüchtern trat Quintin in das Haus.
„Wen fucht Ihr?“ fragte ein Greis mit einem ernten
Gefichte, den Jüngling mit wohlgefälligen Bliden meffend.
— 67 —
„Den kunſtreichen Meiſter Jan,“ erwiederte beſcheidentlich
Quintin, „um ihm meine geringen Dienſte anzubieten.“
„Ihr ſeid vielleicht der junge Waffenſchmied aus Maſtricht ?
fragte der Meifter,
„Ja,“ ſprach Duintin, „aber ich erftaume, daß Ihr mich kennt!“
„Und wenn ich auch nicht ein gutes Probeſtück Eurer Tüchtig⸗
keit gefehen hätte,” entgegnete freundlicher der Greis, „fo feid Ahr
mir bo dringend empfohlen. Ihr Habt gute und hohe Gönner
in unferm guten Antwerpen, tretet darum herein und feid
willfommen |‘
Er führte den Erftaunten in bie Wohnſtube. —
„Erlaubt mir die erſte Frage an Euch, Meiſter!“ nahm
Quintin hier das Wort. „Wer hat mich Euch empfohlen, wer
konnte des Fremdlings Freund ſein in Antwerpen?“
„Sollte Euch denn der Mann ſo ganz unbekannt ſein, der
ſich ſo warm Eurer annimmt?“ forſchte der Meiſter. „Es iſt der
edle Graf Hoorne.“ |
„Wahrhaftig!“ td} Fenne den Menfchen nicht, betheuerte Quintin.
„Iſt das Wahrheit, jo müßte ich mich in Euch geirrt haben,’
ſprach ernft, ver Meifter. „Ihr Fennt wirflih ben Comthur nicht?“
„Iſt's der Maltheſer?!“ rief froh Quintin, „dann, ja bann
kenne ich den edlen Mann; aber ich wußte nicht, daß es ber
angefehene Graf Hoorne ſei.“
Bei diefen Worten ging bie Thür auf und eine Jungfrau
trat herein im einfachen ſchwarzen Trauergewande, das fie um bie
verlorene Mutter trug. Es war Clara, bed Meifters einzigeß
Kind, ein Schönes blühende Mädchen mit einem fanften blauen
Augenpaare. Gittig grüßte die Jungfrau, und des Jünglings
anftänbige Verbeugung vor ihr jagte eine höhere Gluth auf ihre
Wangen.
Duintin war erftaunt über ben Empfang bei Vater und Kind
Sp Hatte nie ber alte Mefijis einen Gefellen empfangen unb
g*
' — 68 —
behandelt, unb er war boch ein frommer Mann, der immer zu
fagen pflegte: Wie Du will, daß Dir die Leute thun follen, alfo
thue Du gleich auch ihnen.
Clara mußte fi nun zu ihnen fegen, und ihnen eine Flaſche
frebenzen, die der Alte zu bringen befahl. So wurde ber Bund
gegenfeitigen Wohlwollens gefchloffen, und Duintin ſprach am Abenb
froh zu fih: O, ber Eltern Segen bringt Glück und Heil auf
allen Wegen!
3.
An Meifter Jan's Haufe ging Alles ben firengen Gang ber
Ordnung und ein Tag gli dem andern auf's Genauefte. Nur
eine Aenberung im Haus und in feiner Tagesordnung war einge:
treten, feit Quintins Anweſenheit nämlich; er, ber doch bloßer
Sefelle war, genoß einer befonderen Auszeichnung. Cr aß an des
Meiſters Tifch, fchlief in bes Meifters Haus und durfte an Sonne
und Feittagen feine Meifterötochter begleiten zur Kirche, und am
Nachmittag in Begleitung des Vaters wohl auch auf einen Luſtgang
oder zum Tanz.
Auch ſaß Meiſter Jan ſeitdem manchen Mittag eine Stunde
länger am runden eichenen Dieltiſche; denn er mochte gerne horchen
auf Quintins wohlgeſetzte Reden und ſein reifes Urtheil. Auch
wußte Quintin wohl zu erzählen die wunderſamen Begebenheiten
früherer Tage. — Wenn dann in der gemüthlichen Stunde ſein
Mund dem Alten ſo Manches kund that, was er noch nicht wußte,
dann hingen ſeine Blicke an des Jünglings Mund und Clara
vergaß oft die leeren Schüſſeln abzutragen vom Tiſch, und der
alte Meiſter gefiel ſich ſo wohl in ſeinem Verhältniſſe, daß er
manchmal ſeine Blicke von Quintin auf Clara gleiten ließ und im
Stillen den Wunſch hegte, einſt Quintin als Gatten ſeiner ſanften
Clara zuführen zu können. Zudem kam noch, daß, ſeit Quintin
— 69 — J
bier war, feine Werkſtätte häufiger beſucht und fein Erlös um
Vieles erhöht war. Er konnte fi es nimmer verhehlen, daß
Quintins Kunſt ihm diefen Segen gebracht, denn mit funftreicher
Hand zeichnete Quintin zierliches Laubwerk und Figuren zur
Verzierung ber Waffen, und mancher Kuͤnſtverſtändige bewunberte
bad Leichte und Anmuthige ber Zeichnung.
So mar e2, als eine Tages Quintin, der im Auftrage
Meifter Jan's auf einem Kauffahrer gewefen war, der aus England
Stahl für den Meifter gebracht hatte, in eine ber engften Gaſſen
Antwerpens einbog, um einen weiten Ummeg abzufchneiden. Bor
ibm ber fchwebte die Geftalt einer Zungfrau, fchlanf und hoch
aufgefchoffen, nicht Toftbar, aber doch fehr anftändig gekleidet. Es
fing ſchon an zu dunfeln, und bad Mäbchen eilte jo ſehr, baß er
fie bald aus dem Gefichte verlor. Da börte er plötzlich den Hülfe
ruf einer weiblichen Stimme weiter hinauf in ber Straße.
Solte wohl ber Aungfrau etwas begegnet fein? fragte er
fih ſelbſt, und mit aller Anftrengung eilte er der Gegend zu,
woher ber Hülferuf immer matter erfcholl.
„Kneble der Beſtik die Hände!” rief jekt vor ihm eine furcht⸗
bare Stimme in gedämpftem Tone.
„Halt!“ ſchrie Quintin, „Ihr Unmenſchen, was beginnt Ihr?“
„Nette, rettel” wimmerte das Mädchen. Aber ein furchtbarer
Streich traf jetzt Quintins Haupt daß er taumelte,
Schnell ermannte er- fih, riß mit wüthender Gewalt ben
nieder zur Exbe, der ihm den Streich gegeben, und entwand ihm
feinen Stod und verfeßte in demfelben Moment dem Anbern einen
entfeglihen Schlag auf den Arm, daß er brüllend das Mädchen
fahren ließ und zur nächſten Wand fluchend taumelte. Seht wollte
Quintin bie Ohnmächtige ergreifen, ba fiieß ihm ber Erfle, ben _
er niebergeriffen hatte, fein langes Matroſenmeſſer in bie Tinte
Schulter und floh, aber aus ber Gaſſe herauf Hatte der Lärm bie
Diener der Gerechtigkeit. herbeigerufen, und fie nahmen die beiden
Matrofen gefangen. Man brachte Lichter, und nun erſt ſah Quinlin,
welch ein Engelsbild in feinen Armen lag.
Sie fchlug die Augen auf, die wild umherrollten, und fragte
zitternb: „Wo bin 7"
„Serettet feid Ihr, holde Zungfrau, aus ben Händen ber
wüthenden Unmenſchen,“ fprah Duintin, ben Schmerz feiner
Wunde verbeißend, deren Blut ihm warm in ber Seite berabquoll.
„Befehlet nun, wohin ich Euch bringen fol!”
Mißtrauiſch fah fie ihn an. „Ach, Ihr betrüget mich nicht?“
verſetzte fie.
„Trauet ihm, Jungfrau, er blutet ja für Euch!“ ſprachen die
Umſtehenden.
„Blutet?“ fragte das Mädchen ängſtlich.
„LaßtZ gut ſein,“ verſetzte Quintin, „das Meſſer ſtreifte nur
meinen Arm, und gebietet, wohin ich Euch geleiten ſoll!“
Sie bezeichnete ihm die Gegend, und er führte fie dahin.
Immer dunkler war e3 geworden unb nur langfam Tonnten
fie geben, bie Jungfrau war erfchöpft und auch Quintin fühlte
ben immermwährenden Blutverhuft.
„Gottlob,“ fprach endlich die Jungfrau, „wir find am Ziel!‘
Indem trat in bie Thür eines Haufes ein bejahrtter Mann
und fragte laut: „Wo mag Maria fo Iange bleiben?”
„Hier bin ich, mein Vater, und mein edler Retter mit mir] ‘
vief dag Mädchen.
„Was iſt Dir begegnet meine Tochter, Du fiehft fo bleich?“
„Kommt hinauf, Vater, daß ich es Euch erzähle.“
Quintin wollte ſich entfernen, aber in dieſem Augenblick wurde
es ihm dunkel vor den Augen, ſeine Kniee brachen und er ſank.
Der Mann fing ihn auf.
„Um Golt! was fehlt dem Jüngling?“ fragte ex erſchrogen.
—
— 71t —
Da erſt, als das Licht auf ihn fiel, ſahen fie die blutige
Schalt und das bleiche Todtengeficht,
„Großer Gott,” fchrie Maria, „er ſtirbt!“
AZ Quintin erwachte, lag ex auf einem Bett und um ibn
beichäftigt war der Vater Maria's. Dieſe aber fand neben ibm
und hielt ihm wohlriechende Specereien an die Nafe und wuſch
ihm die Schläfe. Seine Wunde fehmerzte ihn fehr. Er richtete
fih auf und fagte leife zu Beiden: „Verzeiht, daß ich Euch ben
Schreden verurfacdht, es war nur bie Schwäche, die eine Folge des
Blutverluftes war.”
„Richt alfo, junger Menſch,“ fprach der Vater, feine Hand
ergreifend, „empfangt meinen taufendfachen Dank! Ihr habt mir
mehr gegeben, als Könige und Fürſten mir geben Fünnten, Ahr
‚ habt meines Kindes Leben, und mas mehr iſt, feine Chre gerettet,
dafür bleibe ich ewig Euer Schuldner |"
„Wollet mir kein Verdienſt anrechnen, das ich nicht Habe,‘
verfegte Onintin, „Es war ja Zufall, daß ich die Straße Fam,
und was ich that, würbe jeder Andere wohl ficherlich auch gethan
haben.“ ⸗
„O, raubt mir nicht die Möglichkeit, Euch ewig verpflichtet
zu ſein!“ rief Maria. „Euch ſandte der Himmel als einen rettenden
Engel in meiner Noth.“
Sie ergriff ſeine Hand und drudie fie an ihre hochſchlagende Bruſt.
Duintin wollte fie ihr leife entziehen. _
„Rein, nein!’ rief das Mädchen, „Ahr ſollt mir die Hand
nicht entziehen, die mich rettete; Ihr bürft meinen Dank nicht
zurückweiſen!“
„Beſcheidenheit erhöht das Verdienſt!“ ſprach gerührt ber
Bater. „Doch, wer feid Ihr? Diefe Frage beantwortet mir nor Allem!“
Quintin ftand auf. Seine Wunde war verbunden. Er mußte
ben Arm Halten. Schnell fprang Maria Hinzu und hielt ihn, bis
— m —
er ſich geſetzt hatte, dann riß fie das Tuch von ihrem Bußen und
ſchlang es um den Arm und um ſeinen Hals; dann flog ſie hoch
erröthend hinaus und kam bis an's Kinn verhüllt wieder, blieb
aber im Schatten ſtehen, daß nicht Quintin ihre Schamröthe ſähe.
Dem Jüngling war wunderbar zu Muthe. So hatte ſich noch
kein weibliches Weſen an ihn geſchmiegt, wie es Maria gethan, ſo
hatte ihn noch kein weibliches Weſen liebevoll behandelt — und
Maria war ſo ſchön, ſo ſchön! —
Der Vater mußte noch einmal die Frage nach ſeinem Namen
wiederholen, dann erſt erzählte Quintin. Maria's Augen ruhten
auf ihm, als wolle ſie das ſchöne Bild tief in ihre Seele prägen,
daß es nie ihr entſchwinde.
Als Quintin geendet, wollte er ſich entfernen. Maria erblaßte.
„Ach,“ rief ſie ſchmerzlich aus, „ſoll auch Euch ein Unfall
treffen in der dunklen Nacht? Bleibet bei uns bis zum Morgen;
erfüllet die erſte Bitte Eurer Geretteten!“
Auch der Vater bat.
Mit tauſend Banden fühlte ſich Quintin gefeffelt. Aber welche
Angft wird der gute Meifter tragen und bie gute Clara, dachte er
und ließ fih nicht Halten. Aber auch ber Vater ließ ſich nicht
zurücdhalten, ihn bis heim zu begleiten.
Mit einer Thräne im Auge trat Maria zu ihm.
„Ihr könnt nicht bleiben, ich fühle das, obgleich wir heiligere
Rechte an Euch haben. So nehmer noch einmal das ſchwache
Lallen meines Dankes, den Feine Worte ausfprechen! Unb das
verfaget mir nicht: Laſſet mir die Freude Eures baldigen Wieber-
ſehens!“ — |
Duintin verſprach's, und fchieb mit einem Blick, in dem feine
ganze Seele Tag.
4.
Der Morgen graute kaum, da klopfte es leiſe an Quintins
Kammer, und als er herein gerufen den Klopfenden, trat Clara
mit beſorgter Miene in die Kammer.
„Wie iſt ‚Euch, lieber Quintin?“ fragte fie ängſtlich. „Ich
Habe bie Nacht nicht fchlafen Fönnen, ich war oft an Eurer Thür
und horchte, ob ih Euch nicht Magen hörte,‘
„Ihr feid fo gut, liebe Clara, fprach ber Jüngling. „Ich
danke Euch brüderlich für Eure Sorge. Ich babe fanft geruht.“
„O, ber Schlaf des guten Bewußtſeins iſt gewiß ſtärkend,“
meinte Clara. „Ihr habt ja ein Mienfchenleben und mehr ‚gerettet,
wohl konntet Shr rubig fchlafen, aber ſchmerzte Euch die Wunde nicht?“
„D nein,’ erwieberte Duintin, „mir ift wohl und bie Wunde
wirb bald heiten, feid deßfalls unbekümmert.“
„Ihr habt mir gefleen viel Sorge gemacht, ſprach jetzt ber
Meeifter, der auch hereinfam, ‚durch Euer Ausbleiben. Ich dachte
wohl, e3 ſei Euch etwas zugeſtoßen!“ —
Unter ſolchen Reben und Gegenreben hatte fih Clara entfernt
und auch der Meifter. Ouintin Fam berab zum Frübftüd. Als
fie da faßen und Quintin noch einmal erzählen mußte das Bor:
gefallene, da öffnete fich die Thür, und ein Dann mit majeftätifchem
Anftand und Fäftlich gekleidet trat ein.
San fprang auf. „Seid mir willlommen, kunſtreicher Deeifter,
in meiner Behaufung! Die Ehre folchen Befuches verbanfe ich Euch,
Quintin!“
Quintin reichte mit herzlicher Freude dem Maler die Hand,
die dieſer mit Wärme drückte.
„Eure Gerettete läßt ſich nach Eurem Befinden erfunbigen,
junger Mann. Ich kann meiner Tochter doch die frohe Botſchaft
Eures Wohlbefindens und bie Gewißheit eines baldigen Beſuches
bringen?“ fragte wohlwollend Swanefeldt.
— 74 —
„Ich danke Euch ſehr,“ entgegnete beſcheiden Quintin, „für Eure
ſorgliche Theilnahme. Wenn es ſich ziemen will, ſo bitte ich Euch,
Eurer Tochter meinen Gruß zu entbieten, und auch ihr ließe ich
Dank ſagen und melden, daß ich wohl würde morgen wieder an
meinen Schraubfiod treten können.“
„Fehlgeſchoſſen!“ fiel Meifter Yan bier ein, zu Swanefeldt
gewendet, „die Jugend meint mit ihrem friſchen Muth auch bie
Schranken zu überfpringen, bie ihr die Nothwendigkeit geſetzt.“
„Duintin, Ahr werdet in langer Zeit Euren Arm nicht ge
brauchen Fönnen, fintemal Eure Schulter mehr verlegt iſt, als Ihr
zu glauben gefonnen feid! Run, Ihr mögt Euch pflegen, feib Ihr
mir doch fo lieb geworben, wie mein eignes Kindl“
Smwanefeldt warf einen Blid auf Glaren, bie erröthend bie
Augen niederfchlug und ſchneller rupfte an der Spindel, bie fie im
Arme bielt.
„Ein ſchönes Zeugniß für Euch, Quintin,“ meinte Swanefelbt,
„und eine fchöne Zugabe, zu Eurer geſtrigen Edelthat find biefe
Worte und ein Paar glühende Roſenwangen.“
Quintin verſtand ihn nicht, aber ex errötbete ob ſolchen Lobes
und verbat es fich ernſtlich; „denn,“ fagte er, „fo verberbt Ihr
mir bie Freude, Eure liebenswürdige Tochter gerettet zu haben.”
In dem Saale des Rathhaufes zu Antiwerpen ſaßen mit falten,
furchtbar ernſten Gefichtern der Fiskal und die Blutrichter um bie
ſchwarze Tafel innerhalb der Schranfen auf einer Efirede Au den
Wänden des Saales jagen auf Bänkfen etliche Rathsherren, Edle
der Stadt, fpanifche Ritter in einzelnen Gruppen leife flüfternd.
Mit Täfebleichem Gefichte flandb unter ben Spaniern Don Gomez
Lanos, des mächtigen, furchtbar firengen Fiskals einziger Sohn,
und witzelte über des Waffenſchmieds Heldenfinn, und verſprach ben
Spaniern einen Göttergenuß, wenn Maria unvgrfchleiert erfchiene,
wie e3 zu hoffen ſtünde. Unfern von ihm faß allein in ſtillem Ernſt
Graf Hoorne, der Maltheſer: Comthur, und borchte leiſe den feichten
Reden des übermütbigen Jünglings, ber troß feiner fcherzenben
Reben eine ſichtliche Beglommenheit nicht unterdrücken konnte.
Da öffnete fih die Thür und in ſtattlichen Kleidern trat
Smanefeldt, der Maler, herein und Hinter ihm flolzen Ganges, ben
Iinfen Arm in ber Binde, die ihn Maria aus ihrem Bufentuche
gemacht, Quintin. Mit Ehrerbietung und Anſtand neigten fich
Beide vor ben Richtern, und traten dann in befcheibene Entfernung
zum Fenſter.
Giftige Blicke ſchoß Gomez auf den Züngling, ben er zum
erſten Male ſah.
„Du haft brav gehandelt, mein Sohn,” ſprach jetzt leiſe ber
Comthur, Quintins Hand ergreifend, „Dein ‚verwunbeter Arm gilt
mehr, als manch ritterliches Ehrenzeichen eines elenden Junkers,
der wohl Mädchen verführen, aber fein Leben nicht an bie Rettung
ber Unfchuld wagen mag!‘
Gomez hörte bie Rebe und feine Lippen wurden blau vor
innerm Grimm. Mit Mühe fümpfte er gegen das beißende Wort,
das ihm auf der Lippe ſchwebte; doch ein Blick auf den Vater und
des Comthurs ruhige Miene brachten ihn zur Befinnung. Jetzt
brachten die Rathsdiener die beiden Delinquenten, zwei fpanifche
Matroſen mit mahren Galgengefichtern, die auf einem Bänkchen
links fich nieberließen.
Der Fiskal erhob fi mit Grandezza und gebot Stille und
torberte dann vor bie Schranken! Maria, die Tochter des Malers
Swoanefelbt.
Der Maler trat vor. „Verzeiht, hochmögende Herren,” ſprach
ex, „ber weiblichen Schambhaftigfeit, die ohnedem fchon durch jenen
unglüdfeligen Zufall ein Geſpräch ber Leute geworden iſt, daß
meine Tochter nicht erſchienen if. Ich glaube eB von Eurem
Edelfinn erwarten zu können, daß Ahr dem Vater vergännt, an ber
Tochter Statt zu reden.” —
— 76 —
„Mag ſein!“ rief mürriſch der Fiskal. „Was habt Ihr
vorzubringen?“ — |
Swanefeldt erzählte kurz und bündig die Begebenheit.
„Quintin Meſſjis,“ fprach abermals ber Fiskal, „erzählt, was
Ihr von ber Sache wiſſet!“
Mit wohlgefeßten, befcheibenen Worten erzählte Quintin. Mit
ſichtlichem Wohlgefallen borchten die Richter.
„Seib Ihr fertig? * herrſchte ihm der Fiskal zu, „fo tretet zurück.“
Die übrigen Zeugen beftätigten daß, was Quintin und Swane⸗
felbt gejagt.
„Zu leugnen vermöget Ihr nicht,’ wandte fich jetzt ber Fiskal
an bie beiben Räuber.
„Ihr ſeid Überwiefen, eine Sungfrau rauben und bort ben
Süngling meucheln gewollt zu haben! Sprechet das Urtheil, wie
ed das Geſetz gebeut in feiner ganzen Strenge,” ſprach er zu -ben
Richtern.
„Urtheilt milde, hochmögende Herren,” baten Quintin und
Swanefeldt! — „Wir haben verziehen; außerdem,’ feste Quintin
binzu, „war meine Verwundung ja nur bad Werk ber Selbſt⸗
vertheidigung!“
„Schweigt,“ donnerte der Fiskal. „Es ziemt Euch nicht, der
ſtrafenden Gerechtigkeit in den Arm zu fallen!“ Die Richter
erhoben ſich. Lebenslängliches Gefängniß! ſprachen ſie mit einem
Munde. —
Schrecken und Grimm malte ſich in den Geſichtern ber Böfe
wichte. „Wird bie Strafe auch bleiben, wenn wir gefländig find,
ba man una gedungen bat zu der That und ung heute noch mit
vielem Geld und dem DVerfprechen eine milden Spruch ben
Mund fchließen wollte?’ fragte Einer berfelben mit fcharfem Tone.
Die Nichter fahen ſich verwundert einander an. Bon Gomez
zitterte fichtlich.
„Haltet Euch, daß Ihr nicht ſinket!“ ſprach mit tert
— 77 —
Hohne der Comthur zu Gomez, ber ihm einen Bafllisfenhlid bafür .
zufandte, aber nicht reden konnte.
„Wolt Ihr durch Lügen Euch retten? Schurken!‘ bonnerte
ber Fiskal.
„Es ziemt dem Richter nicht, zu ſchimpfen,“ ſprach falt und
trogig der Delinquent; „glaubet nicht, Here Fiskal, daß Ihr alfo
Euer Söhnlein rettet 1"
„a3 erfühnft Du Dich, Böſewicht?“ ſchrie erbleichend der Fiskal.
„Wollet Euern Sohn Don Gomez herbeſcheiden und alsbald
wird fich das Blättlein wenden!“ bat grinzend der Matroſe.
„Gomez!“ rief ber Fiskal, feiner faum mächtig, „tritt herzu
und rette Deine und Deines Vaters Ehre!“
Zitternd und bleich wie Wach wanfte Gomez berzu.
„Aha! rief ber Matrofe, „steht nicht bie Schuld auf feiner
Stim? Und Ihr,“ wandte er ſich zu einem ber Schergen, „habt
Ihr nicht heutigen Tages dem Hidalgo das Gefängniß geöffnet?"
Die Richter erbleichten mitſammt dem Diener.
„Verzeiht dem ungerathenen Sohne,“ rief mit einem Jammer⸗
tone Gomez, bie Schranken aufreißend und ſeines Vaters Kniee
umklammernd, „es iſt alſo, wie ſie ſagen!“
„Das mir!“ rief ſchmerzlich der Fiskal, die Hände vor das
Geficht haltend. —
Eine furchtbar angſtvolle Pauſe trat ein. Der Fiskal er:
mannte fid).
„Zurüd von mir, Schlangel” bonnerte er den Sohn an, ihn
mit dem Fuße zurüditoßend,; dann wandte er fich zu den Richtern,
feinen Amtsrod ablegnd: „Richtet firenge über den Knaben
Abfalom und achtet nicht des unglüdlichen Vaters!“ Hierauf ging
er wanfenden Schrittes zum Saale hinaus. _
Stille war’3, bag man dag Athmen hören konnte, und Aller
Augen waren gefpannt auf bie Nichter geheftet.
Noch einmal baten Swanefeldt und Quintim.
— 78 —
‚Nichtet!” rief Gomez, knirſchend und giftige Blicke auf bie
Bittenden ſchießend, den Richtern zu, „ich will nit mich frei
betteln laſſen von dieſem Volle!“
„So theilt die Strafe mit Euern Schandknechten, Iumker,“
ſprachen die Richter, „doch mag der Statthalter kaiſerlicher Majeſtät,
wenn's ihm beliebt, das Urtheil mildern!“ — Sie wurden abgeführt.
„Das iſt die Strafe des Laſters,“ ſprach der Comthur, zu
Quintin tretend, „wohl Dir, daß Bein Gewiffen makellos iſt!“ —
5.
Im tiefen Sinnen ſaß einen Monat ſpäter Maria in ihrer
Kammer. Die Stickerei lag vor ihr. Ihre Hand hielt die Nadel,
aber arbeiten konnte ſie nicht, denn Thränen verdunkelten ihren Blick.
„O du harter Vater!“ ſeufzte fie leiſe, „warum iſt bein |
Künſtlerſtolz mächtiger, als die Liebe zu deinem Kinde? Könnte
nicht Quintin auch als Waffenſchmied als dein Eidam dir Ehre
machen?“ — Sie weinte leiſe fort. Da klopfte es an ihrer Thür,
und Quintin trat ſchüchtern herein.
Mit dem „Ach!“ eines freudigen Erſtaunens flog Maria an
, fen Herz. Er fchlang den einen Arm, ben er noch brauchen Fonnte,
um bie Geliebte. Einen Moment hielten fie fih innig umfangen:
dann fette fih Duintin zu der Geliebten.
„Ah! ſeufzte aud er. „Maria! warum trennt uns Deine
Vaters Eifenwille und Stolz? — Wie glücklich würben wir leben!“
Maria’ Thränen riefelten auf die Stideret.
„Aber verzage nicht, Beliebte! ich wi Dich verdienen. Ich
fühle in mir bie Kraft, auch einft den Pinfel mit Ehre zu führen.
Wir Beide find jung. Vertraue Gott, ber und zufammengeführt;
es wirb Alles noch gut geben!”
Maria erhob langſam das ſcheue Auge zu ihm, als wolle ſie
forſchen, ob's nicht ein eitler Troſt ſei.
19 —
Quintin Iegte bie Hand auf's Herz. „Traue mir, Maria!
Bleibe Du mir treu und nichts foll und trennen!‘
Da flog das Mäbchen von Neuem an feine Bruſt. „Kannſt
Du zweifeln an meiner Treue?" fragte fie fanft verweifend. „O!
eher erlifcht ber Sonne Licht, als meine Treue wankt! Aber melche
Ausfichten haft Du?’
„Ich werde Maler,’ rief begeiſtert Quintin und feine Augen
funtelten, „und bereinft werbe ich vor Deinen Bater treten und
ihn fragen: Willſt du dem Maler verfagen, was du dem Waffen:
ſchmied verſagteſt?“ —
„Ha, ha, ha,“ erſcholl draußen vor der Chir ein höhniſches
Lachen, und in bie Thüre trat mit verbiffenem Grimme Swane-
feldt. „So erkühnſt Du Dih noch, mein Haus und ber Jung:
frau Kammer zu betreten, Verführer!“ rief er zomig, „und ihr
verbranntes Gehirn mit Deinen Albernheiten anzufüllen?! — Hab’
ich es Dir nicht genugfam gefagt, daß nur ein vollendeter Maler,
deſſen Kunft ich ehren muß, die Hand meiner Maria erhalten wird,
und Du, Handwerker, redet Deine ſchwarze Hand nach ihr? Soll
. 6 mein Hausrecht gebrauchen?!’
„Habt Erbarmen, Vater,” flehte Darin, „und gedenkt, daß er
mich rettete, daß ich ihm mein Leben verbanfe, und meine Ehre!‘
„Die er Dir, leichtfinnige Dirne, jegt durch feine heimlichen
Befuche zu rauben kommt!“ donnerte ber Alte.
Da erbob fich ſtolz Duintin. „Ich Habe in Zucht und Ehren
Euer Kind befucht, Herr Swanefeldt, und in Zucht und Ehren
wollte ich fie heimführen, als mein eheliches Gemahl und fie
reblich nähren burch meine Kunſt.“ —
„Kunſt?!“ höhnte der Alte,
Aber Quintin fuhr mit fleigender Kraft und Wärme fort:
„Ihr nur habt und gezwungen, "heimlich eine Liebe zu nähren,
beren wir uns dor Gott und aller Welt nicht zu ſchämen brauchen.
Selb ruhig. Ich betrete Eure Schwelle nicht wieder!“
— 80 —
. Berbtäfft ſtand Swanefeldt vor dem Jüngling. Leiſe trat
Quintin zur ohnmächtig hingefunfenen Maria, drüdte einen Scheidekuß
auf ihre Lippen, bob fie ſanft auf und trug fie auf bad Bett und
fhritt dann ſtolz an bem Maler weg zur Thüre hinaus.
Eine Weile noch fand Smwanefeldt ba und ſah auf bie Thüre,
zu ber ber Süngling binausgefchritten war, dann brummte er leiſe
vor ih Hin: „Es if wahr, ih handle undanfbar! Schade, daß
er Fein Mater iſt!“ dann fuhr er mit ber Hand über bie Stirn,
als wolle er bad Andenken an die beifere Regung feines Herzens,
bie ihn eben übermannt hatte, wegwifchen, holte barauf Eifig, um
Marien anzumafchen.
Sie flug ihr Auge auf. „Wo ift Duintin?‘ fragte fie.
„Wo er bingehört, an feinem Schraubſtock,“ ermwieberte
höhniſch der Vater; „und Du, ehrvergeffene Dirne, fchweigft und
nennft feinen Namen nicht mehr, auf daß nicht auch Du fühleft,
daß bie Baterliebe fireng fein muß, um das verirrte Kind auf ben
Weg der Ordnung zurüdzuführen.‘
Mit trübem Blick unb fehwerem Herzen ging Duintin Meifter
Jan's Wohnung zu. Er war aus feinem Himmel getrieben.
Mariens Rettung hatte ihm Swanefeldt's Thüre geöffnet. Oft kam
er, oft fand er Marien allein und im traulichen Gefpräde flogen
die Stunden dahin. Immer ſchbner erſchloß fi ihm Marien
Engelöherz, immer traulicher wurbe fie. — Unvermerft zog bie
Liehe im Beider Herzen mit fiegender Allgewalt ein. Selige Tage
brachte Quintins noch immer kranker Arm, benn er fonnte nicht
arbeiten. Mit ber Allgewalt der erfien Liebe hing Marien Herz
an dem liebenden Süngling. Ihm war nie eine Ahnung gefommen,
wie nahe bie Gefahr fei, wie fich ein Unwetter über ihren Häuptern
fammle. Swanefeldt hatte bei feinem erften Befuh in Meifter
Jan's Wohnung die Weberzeugung gewonnen, Clara Tiebe ben °
Süngling und er fie, und bed Vaters damalige Nebe war ganz
geeignet, ihn auf den Gedanken zu bringen, Ouintin fei Jan's
8 —
Auftige; üben. Darm wat er jo ergleß!6eh Oniintine Vquchen.
Darımı ſchrieb er- bei Marien auf. bie Rechmmg ‚bei Darkbarteit;
was die Weußerung einer innigen Liebe war. Uuter dieſen Umftänden
fand bie Liebe Fein Hinderniß in ihrem Meg und wuchs Meurbig
unb friſch. Aber in dem Mamente ‘bet horhſten Glückes, gerabe
als Maria an Quimins Herz geſunken war und daß befeligenber
„Ich liebe Dich!“ geliſpelt hatte, da int Swaucfelbt aus ſeiner
Werkſtitte in das Zimmer, wo ie Liebenden Ihm, ſich elf und
bie Welt vergeffen Kasten.
„Was gibt’3 Hier?‘ hatte er fie augedonnert und ‚mit Flucht:
wour:ev auf fie zugerhumt, Katie He auseinandergeriſſen unb Ouintin:
jdn Haus verboten. Aben bie Liebe Tenmt unb fcheut. Keine Gefahren.
Quintin hatte: heimlich Marien: geſprochen unb von ihr ben hoff
nungslofen Beſcheid empfangen, nur einem Maler, ber ihm durch
feine Kunſt Bewunderung ablocke, werde: ben Bater Martens: Hand
geben ober einem Edelmanne, nie aber einem Handwerber, wie Cueintii,.
Und dennoch gegen ihn bed Herzens. mächtige Triebe bin zu
Marien, bis ihn ber Vater enblich:bei ige fank und ſo ſchnöde behandeltt.
Quiautin trat fill. in. taß "Oma; Beier Im, mit gewohn⸗
licher Herzlichkelt grüßende *
Jan dankte nicht. Bor Pr hinbrutend sap er mit herungelter
Sitirn am Tiſch und vechnete, zaͤhlte dann Geld, rollte es nuſammen
und legte es neben ſich bin, 7
Gara ſaß an der Spiel mit: rothgeweinten Augen und ſch
mit einem wehmuthigen Blick auf Quintin, ſtand dann auf und
ging leiſe iu die Kammer.
Der Meifter fuhr. einigemal über fan Geficht mit der Hand,
bene ſtand er auf und Helle ſich mit zornglühenden Blicken vor
Omistin hin, ber voll. Erwartung baflanb, Miiutin,“ hob er mit
ungewiſſer Stimme an, „he wißt, ich hatte Guck mit wahrhaft.
väterlihen Bebe aufgenommen ie mein Haus, hatte Cuch Finbeie.
rechte gheichſam. ſtillſchweigend eingeräumt.’ —
Horn’s Erzählungen. IX. 6
— 8
: „ozu bitfe Einletang?‘' frage Quintin, „id muß uch
bitten, Euch kurz auszuſprechen. Ich ahne, was Ihr wollt t —
„Seit Ihr zur Arbeit unfähig ſeid, pflegten wir Cuch, als ob
Ihr unſer Sohn wäret.“ —
„Das lohne Euch Gott, Weißer! wie ih es Eu danke!
Aber warum biefe Rechnung?‘ fiel Ouintin«ein.
Doch der Meifter ergrimmte ob dieſer Zwiſchenrede. „Ich
gebachte es gut mit Euch zu machen. Ich wollte Euch Carens
Hand geben, benn das Mädchen war Eu gut — da war Eu
Clara zu geringe. Die: Malerstochter wollt Ihre freien und fo
und lohnen mit Undank, darum verfaßt Ihr noch Heute mein Haus:“‘
„Euer letzter Jahrlohn ſteht noch, hier Babe ich ihn zuſammen
gerechnet, daß Ihr Euch nicht beſchweren Eünnt. und fomit Gott
befohlen.“
Quintin ſtand wie erſtarrt. Tobtenbläffe überzog feine Wangen,
während. der Meiſter ſprachz als dieſer aber jet ein Röllchen Geld
auf den Tiſch warf, da erwachte er; ba flieg ihm das Blut in bie
Wangen und Blitze fprühte fein Auge — aber er hörte Clarens
Schluchzen — und ber Löwe wurde zum Lamme; doch Fonnte er
bie Bitterfeit nicht umterbrüden, die feine Bruſt erfüllte.
„Meiſter,“ fagte ee mit fchneibendbem Tone, „von Euern
Händeln träumte mir nit, fo fehr ich Eure Tochter chre und
liebe. — Mir eine Behandlung vorwerfen, bie in Eurem freien
Willen ſtand, für deu ich Euch dankbar bin, ift mindeſtens unedel.
Ich Hatte mehr Schonung, wenn auch nicht für mich, doc für
Elaren erwartet. Diefes Geld — haltet für Eure Pflege feit ich nicht
arbeiten konnte — ober, fo Ihr das nicht wollt, gebt es bem armen
Kaspar, ber Trank liegt am Fieber, er iſt feiner bebürftig, ich nicht.“
- Mit biefen Worten wenbete er fid und ging fchon nach wenig
Minuten mit feinen weniger Sabfeligfelten die Treppe herab, um das
Haus zu verlaffen. Innerer Grimm folterte ihn. Er fühlte fih in
dieſem Momente zu etwas Beflerem geboren, als zu Hammer und Amboz.
— 8 —
Da aber ſtand plöhfih Clara vor Ihm, bleich wie ein Mar:
morbild, Me Hanbe vingerib mit’ fließenden Thränen.
„O, vergebt beim Alter!” vief fie, ihre Arme um feinen Hals
ſchlingend, „werft keinen Heß auf uns! Scheibet nicht, wenigftens
nicht mit Fluch und Groll; ich bitte, ich flehe zu End, fonft raubt
Ihr mir meinen Frieben gänzlich“
„Edle Seele!“ ſprach Quintin, „wer Fönnte je Dir grollen?
Ber möchte ben Bihrmeläftieden Deiner Seele ſtoören 7
„Wo ich auch fei, Clara, ba wird meine Seele Euren Namen
ſegnen! Aber bleiben kann ich nicht — unmöglich!“ —
Da ſchluchzte ſie lauter, ſchlang ihre Arme inniger um ihn,
drückte ihre Lippen auf bie feinigen und Hfpelte unter rinnenden
Thränen: „Leb' wohl, leb' wohl, ich kann Dich nie vergeifen, Did,
ben meine Seele liebte!“ Dann riß fie fih 108 und eilte ſchnell
hinweg und Quintin taumelte, wie trunfen, hinaus in bie Dämmerung:
Groß und riefig und bunfelfchwarz, wie bie Sanct Ammenkirche
vor ihm fi in ber Dämmerung erhob, Tag ein unaußfprechliches
Web auf feinem Herzen. Keummervoll fehnte er an ber metallenen
Pforte des Helligthfums und wunderliche Gedanken woben -einen
bichten Schleier um feine Seele.
Alles verloren, Alles an dieſem entfetfichen Tage, gt er
leife. Wohin fol ih mich wenden? !
„An Gott: und an mich, den Du noch nicht verloren Haft!“
fprach eine wohlbefannte Stimme jest neben Quintin, und mit treu:
herziger Theilnahme erzriff der Comthur Quintins Hand und zog ihn
mit ſich fort.
b.
Bei hellem Kerzenſcheine ſaß Quintin in dem Quartiere des
Grafen Hoorne, in einem weichgepolſterten ſammtnen Armſeſſel
gegen dem Grafen über. Des Grafen Blicke ruhten mitleidig auf
dem bleichen Geſichte des Junglings.
6*
— u —
„Dwinten, hob ar nach einer Pauie ar,..„ıbie -Areumstliche
Rede, bie Du vor. wegig Miruten führe, un Dem biaiches
Geßeht pt mich auf unfelige Begebenheiten ſchlichen, die Dich
betroffen Haben? Hat her heiwauctiſche Spanier ·Dir vielleicht: Apkpan
dia Grijbe gegraben ? “ er
Der Juͤngling feufzte tief auf nd ſchutteite bann leijg ber
Kopf, „Von einem Spaniecz weiß ich nichts. - Wag kosınte er auch
für eine Freude Haben, mich unglüdlid: zu machen, zug mich Keiner
dieſes Bolkes bennt
„Du arglofe Seele!“ rief der Comthux, ‚bh Bu. Man. Dan.
Gamez. Lanos yergeſſen, bem Du feine Beute entriſſen⸗! Siehe,
ich Tanne beſſer die Wege Deines Geſchicks in bei Meiſters Haufe.
Niemand anders, als Gomez, bat es angerichtet; und glaubf. Dur,
feine Rache fei geenbet, fo tırft Du. fehr. Dein Leben ift hier in
großer Gafahr. Du mußt Antwerpen fchnell, und wenn nat anf
immer, body auf ange Zeit verlaffen.‘ 2
Da erbleichte Quiutin nad mehr, ne
„Was iſt Dir?“ fragte der Comthur erſchredend.
Quintin warf ſich von ihm nieder. „Edler Shan!" ruf. ar
tief ergriffen, „Eure Huld fordert mein Bertiguen.!” , :
„Steh’ auf, mein Sohn, und ſprich ofen mahpt der
Comthur, „ih will für Dich forgen.”.
Da erſchloß fh des Jünglings Seele vor dem. Ban, daß
er tief hinabſchauen konnte. —
Gerührt drückte er den Jüngling an feine Bra .
„Ich ſtehe allein auf Erden,“ hob er nach einer Weile mit
Rührung an, „ich habe Niemanden, der mir dereinſt liebevoll die
Augen zudrücken wird, denn ei’ unſeliger Zwiſt trennt meinen
Bruder von mir. Ich gebe jetzt einen ernften Gang ‚und Du ſollſt
mich begleiten, mein Sohn, ſollſt um mich ſein in trüben und
heiteren. Stunden, und BDeinen-- verlorenen Bater - will ich Dir zu
erſetzen ſuchen! Willſt Du?“ eh.
— u -
0,6: derbiene bieſe Huld nit ritf der Junglhat in
—* Arme des Comthuts fittgen·
rin,” Fuße: dicſet det fort, „erlch ruft die Wucht Mile
Malta, dem He Orden bedarf meines Armed. Sultan Mahnend
Weoht' Matte mit ehem Ueberfalle; doch ehe der Frühling kommt,
wir ber Türke ſich nicht heremswagen aus ſeinem Aſyle; daärum
seite ich ab Mit dem morgenden Tage, damit ich in Deutſchlard
und Schwaben ded Ordens Gefchäfte beende und dann noch in
diefem Winter Diafe erreiche.“
=. Pie Deinen Wunſch, Dich zum Maler zu bilden, kann es
noch Rath werden in bem Funftreichen Welfchlande, wo Du bleiben
nat, bis der Weleg mit Malta geendei iſt, wo wir dann vielleicht,
fo 8 Gott gefällt, in unſer gutes Holland heimchren.”
Quinfins Auge funfelte — bald aber fiel er in ein tiefes
Rerhlinnen.
7 ,Dm haft noch etwas af ben Herzen, ‚mein Sohn, ſprich es
- 03, vielleicht weiß ic; Dir Rath.”
„br: ſelb fo gilfig, mein -ebler Hert, verfehzte ſchüchtern
Dustin, „br mir wohl nicht zürnet, weun Ich ben Wunſch
hege, Matlen von meinem Schickſale zu unterrichten.”
VDar Comlhur Aichelte. „Wie willſt Du das anfangen?" fvagkext.
„Ich will hr An Briefkein ſchreiben,“ meinte Quintin.
„Aber wie ſoll fie es erhalten?“ fragte zweifelnd der Somtfhitt.
Die Zeit eill und es if ſchon IPA“ -
„Ich bringe es Claren, fie wird bie letzte Bitte mir nicht verſagen.
„So verſuche es, fprach der Comthur aufſtehend; „ſchreibe
Jotleich, hier haft Dir Pergament. IE Did ader.“
+ Er ging hinaus.
Auntin griff raſch zum Kiel and: ſchrieb. Dam rollte er E
Bergament zufammen und ging nach bem Hauſe feines alten Meiſters.
u In ihrer Kammer toeinte Clara bein entſchwundenen Liebes:
Ehe bittere Knien nad. Ob auch the Herz gebrochen wire, fie
fonnte Quintin nicht zümen. „Was lonnte der. Jüngling dafür,‘
Magte fie leife, „bag mein Herz ihn liebte? Mas Tounte bie arzme
Maria bafür, „daß fie feine Liebe gewann? Ad, was verſchuldete
ih Arme aber, daß mein Herz lieben mußte, um ber Liebe: Beib
in jo hohem Grade zu fühlen?” Sie weinte leiſe und. flehte um
Muth und Stärfe zur heiligen Jungfrau. Da flog ein Steinen
wider bie runden Scheiben ihres Kammerfenſters, dann noch eins.
Sie öffnete mit einer bangen Ahnung.
„Clara!“ rief e8 leiſe unten, „tbeure Clara!”
„Bott, bag ift Quinting Stimme!‘ ſprach fie zitternd; was
wollt Ihr, Quintin?“
„Die letzte Bitte des vielleicht auf immer ſcheidenden Freundes
werdet Ihr mir nicht verſagen! Ihr ſeid ſo gut, ſo liebevoll gegen
mich geweſen,“ flüſterte Quintin unten, „daß ich mit Vertrauen
meines Lebens Glück in Eure Hand lege. DO Gott! Clara, recht⸗
fertigt mein Vertrauen! Vergebt mir, wenn es Euch kränkt.
Bringet einen Yaben heraus, daß ich Euch bied BVlättlein daran
binde, und bringet ſolches Marien, Smanefeldt’3 Tochter.”
Clara taumelte vom Fenfter. Alle ihre Nerven bebten, es
bunfelte vor ihrem Blide, ‚Großer Gott!“ jammerte fie, „iſt eß
no nit genug bed Jammers für dag arme Herz?” Halb be
wußtlos ließ fie den Faden hinab und zog das Blatt herauf, das
ihrem Herzen einen fo furchtbaren Todesſtoß gab,
„D, Clara!“ flehte noch einmal Quintin unten, erfullet
meine. letzie Bitte!“
„Ich will!“ ſprach fie mit brechender Stimme. R
„Sp lebt wohl, Gott fegne Euch!” rief - der Jungling und
verſchwand, und Clara ſank nieder auf ihre Kniee und flehte:
„Brich mein Herz, Vater im Himmel! daß es den Frieden finde
bei dir, den es hienieden verloren hat!“ —
Der Tag graute im Oſien, da ritt Quintin in ſtummem
Schmexze neben dem Comthur zu dem Thore hinaus, zu welchem
ee vor einem Jahre. mit eben . fo. ſchwerem dem Yan
gekommen war.
Oben auf ber Anhöhe, wo ber Comthur ben Jangling ge
funben, bielt biefer plößlid, fein Roß an und ſah Quintin in das
thränenfchwere Auge.
„Du läßt Dein Lebenzglüd hier zurück,“ ſprach er ſanft, „aber
fiehft Du dort die Morgenröthe flammen ? O Jüngling, Dir, Dir
wird fie einft an Deinen Horizonte eben To ſchön heraufglüben,
wenn Du wieberfehrf. Du bift es nicht allein, der fo von feinen
Glücke fcheibet, und Dir bleibt die Hoffnung. Wie mancher fchieb
eben fo, wie Du, unb ihm lächelte Feine Hoffwing und nur bie
kalte Nothwendigkeit legte ihre Eiſenhand auf bad arme Herz und
gebot ewige Entfagung. Und doch mußte ex feheiben, überwinden
und flegen über ſich felbft und fein Schickſal. Fafle Du Muth und
fet far, mein Sohn!”
„D Gott! uch Ihr feib nicht glücklich, mein ebler Vater!’
fprach leiſe Quintin, fein Auge auf ben Comthur mit inniger
Liebe heftend.
„sa, fo nenne mid, Quintin, ſo nenne mich, dann habe iq
doch ein Weſen auf ber armen Welt, das ich lieben kann, das mid
liebt.“ Er reichte Quintin feine Hand wit gewaltiger Rührung, bie
biefer mit Inbrunſt an feine Lippen drückte.
Dann rief ber Comthur: „Hin ift hin! verloren ift verloren!
Glaube mir, mein Sohn, ich bin jet glücklich, ſehr glücklich. Ich habe
überwunden. Auch Du ſollſt glüdlich werden, obwohl auf andere Art!’
Und rafch gab er feinem Pferde die Spornen, und bahin flogen
ſie bie Straße.
. Die Glocken des Sanct Annenthurmes neſen ter Frübmeffe.
In Schaaren kamen bie Gläubigen zum Xempel des Heren. Die
Straße herauf kam Iangfamen Schrittes und geſenkten Hauptes
Maria, um in dem frommen Gebet Ruhe für das wunde Herz zu
fuchen. Einen ſchüchternen Blick warf ſie auf das Haus, wo ber
Geliebte wehrte. . Da ſchwebte anus ber Thuwe bes Hauſes Elan,
bleih wie eine Lilie, in ein ſchwarzes Gewand gehällt; aber ihr
Auge kucdiete, tie ber Stern beu Liebe bein Untergehen — fie
hatte dem fchwärften Kampf ‚gelämpft. diefe Racht, unb ben ſchwerſten
Sieg errungen — ben über das eigene Herz.
Mit leiſem Winken trat fie gu Marten, bie errbthend in bas
Iehliche, bleiche Beficht ſah. Sie faßte zitterub ihre Sand. „Laßt
wm vereint beten, Spungfenul‘ forach fie mit wankender Gtimmee.
‚Abt und für Quintin beten!‘
Da faßte Maria ihre Hand. „O, Du Engel bes Friebenst“
xief fie beiſe, ja, laß nus beten für ihn!“ Sie gingen in ben
Tempel. Ihre Seelen floffen in einander. Gin Gebet entſtrontte
ihren Schweſterſeelen. Hier aber betete bie beglückte Hoffnung,
dort bie denitthige Entſagung.
Der Gottesdienſt war geendet. Wie verklaͤrt erhob ſich Clara
und ging mit Marien hinaus. Clarens Herz hatte Kraft gewonnen,
Quintins letzten Wunſch zu erfüllen. Sie legte leiſe in Martens
Hand das Pergamentblatt und ſprach: „Quintins letzte Bitte IR
erfült Run lebet wohl und Gott fegue Euch und ihn!‘ Sie riß
RG los und eilte ihrer Wohnung zu.
Da bämmerte in Mariens Seele ber Tag der Erkenntniß.
„Sie liebt ihn,” ſprach Pe leife, „und bat ihm entſagt; © bu
hinmliſches Weien, Gott gebe die Frieden!“
- .
Der Winter war früh hereingebrochen in bie Thäler Helvetiens
und lange hatten ben Comthur bed Orbens Gefchäfte in Deutſch⸗
end und Schwabe hangehalten. Scheer ſtarrten von Schnee und
Eis Helvetiens graue; Rieſen und dasLeben anf. den Alpar war
verſſtummt; da zogen bie Reiſenden duvch das "herrliche Laub dem
von Duintin fo heiß erſehnten Stalin zu. Beſchwerlich war die
— m —
Mele und nicht ohne manche Gefrchten, : aber ſie übẽerſtemden fie
gu. Auf Quintins Senuüthszuſtand Hatte: der Wechſel er
Gegenden des lieben Deutſchlandz And nun Hewenens ſtatve
Minterpracht und Itallens Sommer im Winter einen gar wohl:
thätigen Eindrud gemacht. Henever gedachte er der fetnen Garen
und fröhlicher vlickte er feiner Zukunft entgegen.
Ste hatten Rom erreicht; da erfranfte ber Comthur Kine.
Mit der Inmigften Liebe, mit ber ausdauerndſten Treue pflegte Hein
der Füngling. Oft fap:er mit Thrünen Im Blick am Schmerzen:
lager des witerlichen Freundes und bdunkel unmmeöltte fich der Hinimel
feiner Hoffnung. Der Comthur wurde immer Irlinfer. Nur wenige
Freunde des Comthurs warn um ihn und theilten mit Dubttin
die Sorge um den Kranken. Nur mit Gewalt aber Tonnen fie
Dnintin bewegt, der Ruhe zu geniehen, die ihm fo stüthig war.
Serührt fah der Comthur die Liebe bed Juͤngkings, und feine Hamb
faſſend, fprah er matt: „Wie fol ich Dir vergeften Deine reiche
Aebe, mein Sohn?“ — N m
Quintins Gebet wurde erhört, ber Comthur genas wieder.
„Du for nicht mit mir nach Malta, mein Sohn,‘ ſprach ˖ er eitteß
Tages. „Ich habe Die einen Meifter erwählt und ausgentucht, bei
ihm ſollſt Du Dich übern in der herrlichen Runf. ZIG Babe filt
Dich geſorgt. Sterbe ich in Malta, fo wird mein trewer Freund
Blisconti Div meinen letzten Willen eröffnen. Sterbe ich nicht, fo
umarme ich Dich wieder nach cinem Jahre, fo Bott von‘
Er bdrüdte den Züngling an feine Bruſt. „GStdeitke bes
Zieles, dag Du erreichen willſt, mein Sohn, und fei fleißig. Vewgiß
meiner nicht, wenn ich ferh bin, und weihe mir eine Thräne, wenn
2 fallen follte im ſtampfe gegen die Ungläubigen.” J
„Das verhute Gott, bu ich noch einmal folkte vaterlos wer⸗
ben!” ſprach Quintin.
Gerührt riß ſich der Comthur dus ſeinetr Armen und rekſte
ob, von den Begensiwhnfäe des SGängliugb bezlant.
— 90 —
Der Statthalter kaiſerlicher Majeſtaͤt hatte bie Strafe bei Bam
Some; Lanos zu einem Monat Arreſt gemilbert. So viel ver-
machte das Aufehen bes Ritters von Calatrava unb Fistels Dem
Piedro Lanos. Statt aber, daß bie Strafe und bie Einſamkeit bes
Kerkers das wilde Gemüth bed Jünglings gebänbigt hätte, war «8
vielmehr nur heftiger getworden mub in feiner Seele war daB Ver⸗
berben geſchworen bem Retter feines Opfers und dieſem jelbft,
Quintin und Marien. Saum feiner Haft entlaffen, hatten ihm auch
bie Späher Quintins Aus- und Eingehen im Haufe Swanefeldt's
binterbracht, und feine Gombinationsgabe hatte ihm auch fogleich zu
ber Gewißheit. verholfen, daß Beibe ſich lebten. Er war ed, ber
durch einen Anden an jenem verbängnißvellen Tage Quintins
Einfchleihen in Swanefeldt's Haufe biefem hinterbracht und 643
fiolge Gemüth des Malers gereizt hatte. Er war es, ber unter
dem Vorwand, etwas bei Meifter Jan zu Taufe, auch biefen zum
Haste gegen Quintin empört hatte.
Sein Plan war, ben Armen erft recht elend zu machen, unb
baun ihn mit feinem Dolcge feiner Rache zu opfern. Der Comthur
hatte bie Schritte des Boshaften belanern laſſen, und ſah die Ge—
fahr, und wollte an jenem Abend, als er Quintin in halber Ver⸗
zweiflung traf, den Jüngling warnen und mit ſich nehmen.
Gomez knirſchte, als fein Opfer ihm entronnen war. Rum
biieb ihm noch ein Gegenftond feiner Rache — Maria; aber. bie
alte Leidenſchaft erwachte in feiner Seele. Berberben wollte er fie
er, befledden mit feinem Safterbaudhe bie reine, Seele, und dann
follte fie fterben unter feiner Hay.
Er brängte fi$ an Swanefeldt. Er ſchwatzte mit ihm van
der Kunft in erheuchelter Begeifterung. - Er Taufte einige feiner Bilder
um hoben Preis — und hatte des Künſtlers Freundſchaft gewonnen.
„Geld gewinnt Die Welt!" jubelte er, und. drüdte die Argns-
augen ber väterlichen Liebe zu.
Aber diesmal hatte er fich fehr var Bald durchſchaute
—_ —— — — — — — —
— — — —
%
der Maler die Schlangeniwege bed Mſers, bie ber Süngling ein-
ſchlug und feine Seele empörte ſich. Gr vermieb ihn. Ey war falt
gegen ihn — aber es half nicht? — ber Zubringliche lieh fich nicht
abweiſen. Da ließ ihn Spanefeldt bie ganze Beachtung fühlen,
bie ber Wüſtling verdiente.
‚ Snürichend ſchwor ber Verfchmähte einige Rache: auf Swan
feldt’3 Haupt. Und bei dem Vater klagte er ihn Kandber, sun
ja des Teberhaften Glaubens au.
Der Grand von Spanien haite die Schmach noch nicht —*
gefien, bie durch Swanefeldt’3 Tochter über feinen Abel gekommen
war. Froh, eine Gelegenheit zur Rache gefunden zu haben, ließ er
ſchnell den Maler in. gefänglichen Sewahrfam bringen. . «;
Triumphirend trat am Nachmittage bes Verhaftungstages ihres |
Vaters Don. Gomez in Marien? Gemad, bie erbleichend. über daB
hölliſche Lächeln feines Munde kaum fi, von ihrem Site zu er⸗
heben vermochte. Grinzenb freundlich drückte cr fie. mit ritterlicher
Courtoifie in ihren Stuhl zurüd, ſetzte fich neben fie bin und.-be
gaun ihr nam mit wohlgefälligem Lächeln bie Lage ihres alten
Pater mit, allen Schreden auszumalen. _Yolter und Scheiterkaufen
— Anfang und Ziel feiner Dual malte er mit den grellften Farben
ber unglüdlichen Tochter aus. Mann zeigte er ihr, ‚wie mir fie,
wenn fie feine Flammenliebe erhöre, ihren Vater zetten könnte.
1. x Hatte geenbet. Blei, ein Bilb des Jammers, ſaß daßs
Mãdchen vor bam Böjewichte da. Doch bald richtete ſich ihre Sesle auf
„Hölliſcher Bölewicht!“ rief fie aufſpringend, „ba Du und
zicht genug Sammer, üher mein Leben gebracht? Willſt Du mich
und meinen Bater verderben ?.CB wird, Dir mit gelingen! Gottes
Auge wacht über der Unſchuld und wird: Deine hölliſchen Pläne
vernichten... Zittere, zittere vor bem Mäder ber Unſchuld!“ Mit
biefen Worten eilte fie hinaus, Dach ein wenig erfchüttert von ‚ber
Rebe des Mädchens ſchlich, bleich wor Wuth und Entfetzen, ber
Moſewicht zum Haufe hinaus,
bes
m —
Bei Elaren hatte Mk ro und Mai gefunden." Det
wackere Am Tab regt plödlich, wie auch er ein: Werlgeug Ser
Naucthe in des Boſewichtz Hand geweſen war. Schwer bereueledr
das Unvecht,“ was er Quintin geiheen, und am Marien wollte te es
wieder gut machen. Er nahm die Schuhzloſe in ſein Haus⸗ Er
wendie zur Retheng Swanefclbiß an, was er vermochte. Leider
war Allez uniſonſt. In einem finſtern feuchten Kerker Tag ber
unglückliche Mann. Wenige Halmen Strohes — Fein Lager; Waffer
En Brod, Larglich zugemeſſen, feine Nahrung. Eine verpeſtete ft
mußte er atbmen, und Ten Schimmer bes Tages traf ſein
Schon Monate Hatte dee Proceß des unglücklichen —*
gedauert. Die Winteffälte hatte feine Rage bis zur Unerträglichkeit
verichfimmer. Die Folter hatte der Fisſskal ibm zuerkaunt, um
WE Bekennkulß feiner Ketzerei ihm zu erprefſen — da’ erhörte ber
Himmel das Flehen der Anſchuld — ein Nervenſchlag tödtete den
Allen Fiskal Lanos, und ein edler Holländer, Hanns van ber Nieten,
Met an feine Stelle.
Maria fiel zu den Filgen des ‚neuen Fiskals und beſchwor cu,
Het Amt init einem Werke der Barmherzigkeit zu begiimen. Swatie⸗
tens Proceß wurde revidirt und der Unſchulbige ſwigeteprochen.
"Ber vhnmãchtige Gomez wilthete — aber amſonſt. “
‚Range bimerte es, bi Swamefeldt feine Geſundheẽt wieder %-
Iangkt, die er in dem finſtern Loche werloren hatte. In Antwerpen
anschte er nicht mehr Beben. Zu viel unangenehme Erennerungkn
Anipften fich ar dieſen Ort. Er verließ ihn im erſten Jahre ſeiner
Befreiung und zug mit Merten nach Amflerbun; wo eine neue
Bleh für fein Künfflertalent ſich ihm eröffnete und wo er Ü'Ü zb
feines Alters in Ruhe zu verleben hoffte.
In dem fhönen Bunde der Freunbfehaft Hatten hit und
Maria gelebt. Eng waren ihre Herzen zuſ ammengeknupft in ver
Vebe zu Quintin, um ben fie Beide krauerten als um einen Tobteit;
denn zu ihren Ohren war die Kunde gedrungen, er ſei ill —*
— -
— —
Comthur nad Malie gezogen zund fei bort mit biefem in ber. Bepz
theidigung La Baletta's ‚gefallen Stillfchweigend hatten Beide ihnr-
emige Tyreue gelobt. Auf Maxriens Flammenſeele wirkte: der
Schmerz verzehrender als auf Glaren. Ihr Heil Ing jauſeit. Hat
Grabes. Maria hatte es hienieden geſucht. Das fronung Gemuth
gewann eine himmliſche Maske ſelbſt in dem. tiefen Wehe, -- -
Um biefe. Zeit brach bie marſche Hülle Reiter Jau's ıhter.
ber Laſt, ber Jahre, Der Kummer, Claxen allein und ohne Stüße
zu. hintarlaſſen, ba fie alle. Anträge zu einer. ehelichen Babinpung,
ausſchlug, hatte feinen Tod beföchert.
Manmia silfe, ala bie Trauerbotſchaft. ihr ‚gebracht wurde, wit
ihrem: Boten: nach Antwerpen zum Froſte ‚der ihenern Freundin.
Aber: nicht, wie fie geglaubt: hatte,. fand fie Clara. Die Pille Heiter-
keit einer Verklaͤrten ſchwebte auf dem himmliſch Schönen Antlige
dee, Jungfrau.
„Triüſte mich nicht, meine - Daria,,"“ ſprach fie freunbhiß:
„Meine Hoffnung und meine Liebe iſt nun jenſeits. Ich gehöra,
deg Erde nicht mehr an, Aber bei Dir will ich des Eugels harren,
ber des Körpers Ketten löſt und mich im das Land der Freiheit
und des emigen Friedens führt!’
‚Maria. umarmte fie weinend.
Swanfeldt machte Clara's Habe zu Beh, und dann 308 F%
mit ihnen gegen Amſterdam.
8. HM}
Mit⸗ dem Fleiße, zu dem ihn ſeine Liebe trieb, und mit ben
Talenten, bie, in ihm lagen, machte Quintin wahre. Miefenfoxk -
jchritte in bem Gebiete der Kunſt. Zueei Jahre waren werfleffen und...
ſchon nannten Roms Künftler mit wahrer Achtung den Namen Meſſjiig.
Reiche Gaben be edlen Visconti hatten. Oxintin bei feinen
wenigen Bebürfniffen zu einem gewifſen Grabe von MWohlhabenhr’
— 4 —
erhoben. Dazu kam noch, daß Roms Frauen und Jungfrauen
nur von dem ſchönen Holländer, ben feine ſtille Schwermuth fo
intereffaut machte, wollten gemalt fein. So blüähte Quintins
Talent und Ruhm freudig auf, und feine Seele dachte mit fliller
Wonne an die Rückkehr in's theure Vaterland.
Da trat eines Morgens mit trũber Miene Bisconti in das Atelier
des Künfiters. Nicht one bange Ahnung trat ihm Quintin eittgegen.
„36 komme,“ begann er nad einer traurigen Begrüßung,
‚Die ſchwerſte Pflicht meiner Euratorfchaft Über Euch, Herr Mefitis,
zu erfüllen. Diefer Brief aus Malta meldet mir unſers Frenndes
Tod in türkifcher Gefangenſchaft, und legt mir zugleich die Pflicht
auf, fein Vermächtniß an Euch im biefem Document audzullefeen.“
Quintin ſank bei biefen Worten ſprachlos auf einen Stuhl.
Seine Hände bielt er vor das Gefiht, und Thränen roliten
ungebemnit darunter hervor. „So bat mid bann ber zweite
Schlag getroffen!” rief er jammernd. „So bin ih dann zum
zweiten Male vaterlos!“
„Er war gut! Friebe feiner Aſche!“ ſprach Bisconti. „Laßt
uns unſern Schmeiz männlich tragen!“
„O, warum fonnte ich nicht um ihn fein in feinen letzten
Augenbliden, und ihm bie Augen zudrüden, wie er es einſt
geroünfcht hattel“ klagte der Yüngling.
„Wißt Ihr nichts Näheres von ben Umſtänden ſeines Todes 9
fragte er.
„Der Brief meldet bloß feinen Tod,“ verfette Visconti, „doch
um ganz die edle Seele kennen zu lernen, leſet dies Pergament.“
„Laßt mich, ich bitte Euch, edler Herr!“ rief, vom allzu⸗
heftigen Schmerz ergriffen, Quintin, „kenne ich denn ſeine Seele
nicht, bedarf ich noch neuer Beweiſe, um bie Größe meines Ber:
Iuftes zu fühlen?” —
„Wohlen, fo muß ich e8 Euch Iefen, fo ſchwer mir ed auch
ird,“ verſetzte Visconti, und Ind das Document.
— 90 —
Der Comthur vermachte bar an Quintin tauſend hollaͤndiſche
Golddukaten, nebſt ſeinem herrlichen Hauſe zu Antwerpen, und
einem Landgut unweit Amſterdam, das dem Comthur zu eigen war.
„Ihr ſeid nun ein reicher Herr und frei,” fuhr Visconti fort.
„Gebrauchet Euren Reichtum wie Euer edler Pflegevater, zum
Wohl Eurer Brüber, gebenfet des Edeln, und Iebt wohl!“
‚ Bisconti entfernte fi, ohne ben Dank zu hören, ben Quintin
ihm für feine uneigennützige Sorgfalt zollen wollte, und überließ
den Jüngling feinem Schmerz.
Es war wieberum am Tage Sanct Katharinä, acht Monate
fpäter, als Quintin das Gemälde eben von ber Staffelei nahm,
mit welchem er um Mariens Hand werben wollte Es war eine
„Ruhe auf der Flucht” von unausfprechlicher Lieblichfeit: In Marien,
der Mutter bed Heilandes, batte er feine. Marin verewigt und ihr
Bild ſtrahlte in Himmlifcher Herrlichkeit. Täglich war fein Atelier
von. Schauluftigen erfüllt gewejen, die dem Künſtler ihre Bewun:
derung zollten, unb wie fchmeichelte es bem Herzen Quintins,
feine Maria und ihre Holbfeligleit preifen zu Hören. Bald aber
wäre ihm doch ber Zulauf bed Volkes zu groß geworben, und das
Lob dem Beſcheidenen zu viel,. darum nahm er bag Bild von ber
Staffelei. Kaum hatte er e8 abgenommen, dba Flopfie e8 abermals
an der Thür und mürrifch genug rief Quintin bag: „Herein!“
Die Thüre öffnete fih und herein trat, in Lumpen gehülft, die
elende Geftalt eines Bettlers. Schnell erheiterte ſich fein Geficht.
„Vergiß des Armen nicht, wenn Du ben fröhlichen Tag haft,” rief
freudig Quintin und griff mit geöffneter Hand in bie Börfe, trat
dem Greiſe freundlich entgegen und reichte es ihm dar. Aber in
biefem Moment blidte er in das Antlitz des Armen und mit bem
Schrei: „Gott, mein Vater!“ raffelte das Geld auf ben Beben
und flog Duintin an des Comthurs Hals,
„Ja Du bift es, Du bift mein Sohn!“ rief mit gebrochener
Atlmme ber Famthur und drũdterihn uu-feime Brut: uub Bisonti,
der in deu offenen Thüre ſtand, rief tief bewegt: - ,
. .,Das iR ber Lahn der Tugend, daß fie hienieden ſchon Pen
Zueuben bed Himwels ſchmedt!“
Der erſte Rauſch ber Wiederſehensfreude war vorüber. An
des Comthurs Seite ſaß der Jüngling und ber Freund, Veibe
gleich gefpannt auf die Erzählung ber Begebenheiten des Comthurs.
Mancherleĩ ſchreckliche Schickſale Hatte der edle Breiß erduldet.
Noth und Elend hatte er getragen, Alles, was das Sclavenleben
Schrecliches hat, und nur ein halbes Wunder hatte ſeine Rettung
bewirkt.
Quintin war ganz Ohr geweſen; jetzt erft bemerkte er bei
Comthurs Lumpen. „Gotilob,“ rief er, „daß td gefpart habe von
dem Ueberfluſſe, ben mit Eure Guͤte gab, und mein Verdienſt
abwarf. Er eilte hinweg und legte nach wenig Minuten einen
ſchweren Beutel in bed Comthurs Hand.
„leidet Euch, edler Vater!“ rief ber Jüngling, „mb dann
nehmt hin das Document und Alles, Alles, was ich bin und habe.
Ich bedarf nichts mehr, ich habe Euch wieder!
Mit inniger Rührung fchloß ihn der Comthur an feine Bruſt
und rief: „Wer folch eine Seele fein nennen kann, ber tft reich, und
wär? er ber ärmfte Bettler, der iſt reicher, ala ber Heidenkdnig Kröfns!“
9. —W
Die Künſtler Hollands hatten am 22. Mrz des folgenden
Frühlings, des Statthalters Geburtsfeſt zu begehen, auf dem Rath—
barffe zu Amfterdam im großen Saale ihre Gemälbe zur Beſcheuung
ausgeſtellt. Gin wahres Drängen und Wogen war nach, aus mb
in dem Saale. Beinahe Jeder fand hier daB, was feinen Geſchmacke
zufagte. Hier Blumenbouquets, als Habe fie eben die Hand bes
Gartuers vom Beete gepflüdt, gar wunberfchän geordnet; bort
u.
Gruppen weiberiben Vichs auf Uppigen Triſten. Hier Sub Meeres
Sturm mit ſchauerlicher Wahrheit dargeſtellt und dort wieder der
ſtille Frieden einer idylliſchen Bandfchaft. Hier die Ideale heibnifcher
GSsotrergebilde, bald Im üppigen Formen und lebendigem Colorit, bald
im reizenden Chiaroscuro und edlet, reiner, göttlicher gehalten, und
unmittelbar darauf folgend bie Greuelſeenen chriſtlichet Martyver
mit einer Wahrheit, die das Biut fodden und das Saar ſträuben
machte: Endlich die Scenen bed häuslichen Stilllebens, mit Luſt ber
Wirklichkeit abgelauſcht von dem Künftler, nebſt den Aeußerungen
eines rohen Weſens, deren Pinſelſtriche det Grundſatz wohl mußte
geleitet haben: Naturalia non sunt turpia, neben ben herrlichen
Scenen auß dem Leben bed göttlichen Hellands und ben bimmlifgen
Angefichtern der Heiligen Jungfrau, bie am meiften vorhanben
and am hertlichſten gelungen waren.
Hin und her flatternd, wie der Schmetterling, ſich aus jedem
Blumenkelch etwas Nektar holend, itrten bie Augen ber Menge
über die Bilder dahin, und Lob und Tadel wurde gefpenbet, je
nachdem ein Bild bie Individualität des Beſchauers anzog ober
nicht. Darin aber waren Alle einig: Ein Bild ſei die Krone ber
Ausftellung. Es war eine „Ruhe auf der Flucht, von einem unbe-
fannten Meifter. Vor diefem Bilde ſtand immer ein bichter Haufen,
und wenn auch das Auge fich gewaltfam abzog bavon, unwillkürlich
kehrte e3 darauf zurüd. Große Summen waren geboten bafür, aber
der junge Menfch, der dabei ftand,-fagte immer, «3 ſei nit fell.
Es war um die Mittagsftunde bes zweiten Tages der Aus⸗
ſtellung; das Volk hatte fich verloren; nur wenige Verehrer ber
Ruuf ſtanden noch bier und da vor einem Bilde; dba trat Swane⸗
feldt mit einem andern Maler vor das Bild bin, das fo allgemein
bewunbert wurbe, unb beſchauete ed mit fiillem Sinnen.
„D mein Gott!“ vief Swamefeldt, „iſt es nicht Darin, meine
Toter, dieſer Kopf der heiligen Jungfrau?" —
Horn’8 Erzählungen. IX. _ 7
—- 98 —
„Weabrhaftigl‘ ſprach bes Maler, „bie Achnlichteit iſt groß,
fo viel ih mich entfinnel”
„D Gott!’ feufzte Swanefeldt leiſe.
„Bir müflen es dem Künftler zugeflehn, daß er, obwohl
Manches zu tabeln ift, dennoch ein herrliches Bild geliefert hat,“
fuhr Swanefeldt's Begleiter fort.
Smwanefeldt bejabte, in wehmüthiges Schauen verfunfen, und
feßte dann hinzu: „Ich möchte wohl ben FKünftler kennen.“
„Ihr kennt ihn ſchon!“ rief Quintin, auf Swanefelbt zu-
fliegend, „laßt mich mit diefem Bilde um Mariens Hand werben;
bie Liebe bat meine Hand geleitet, bie Liebe mir Muth und Aus:
bauer verliehen. Gebt dem Maler, was Ihr ben Waffenſchmiede
verſagtet!“ — .
Swanefeldt ftarrte ihn Lange zweifelnd an. Dann erkannte er
ihn, und erbleichte und fchüttelte Teife den Kopf.
Quintin ftürzte zu feinen Füßen: „O gebt mir Marien!’
rief er, feine Hand mit Küſſen bebedend, „gebt mir Marien! Euer
‚Wille ift erfüllt, ich habe fie veblich verdient!”
Aber Swanefeldt fchüttelte noch immer das Haupt, mit Web:
muth den Jüngling anblidend. Seine Lippen bebten leife, ſchwere
. Seufzer arbeiteten ſich aus feiner Bruft, er konnte nicht reden.
„Werdet Ihr, ftolzer Mann, ſprach jebt Binzutretend mit
majeftätifchem Ernſte der Comthur, „werdet Ihr auch dem Adoptiv:
fohn und Erben des Grafen Hoorne Eurer Tochter Hand verfagen,
ber in biefem Jünglinge darum wirbt? Ich weiß, Eurer Tochter
Hand ift noch frei!”
Da blidte Smwanefeldt mit einer Thräne im Auge und einem
bittern Lächeln den ‚Grafen an und ſprach leiſe: „OD, der Stolz ifi
gebrochen, wenn er je dies Herz erfülltel Ihr habt wahr gerebet,
Maria ift frei. Komm, Ouintin, ich will Dich zu ihr führen!‘
Er faßte des Jünglings Hand und zog ihn mit ih. In
einer Spannung, für bie es Teinen Ramen gab, folgte Ouintin,
\ /
=
— 9 —
wit banger Abnung der Comthur. Durch bie langen Straßen
Amfterdams führte ſchweigend der Greis den Jüngling, ber wie
‚ betäubt folgte.
- „Sind wir balb dori?“ fragte Quintin, denn ſeine Füße
zitterten.
„Bald, bald,.mein Sohn; bo laß uns nicht zu fehr eilen,
wir fommen immer noch früh genug; fie ſchläft noch‘
Da traten fie aus dem Thore und vor ihnen lag ber Gottes-
ader. Das ſchwarze Thor mit ber Inſchrift: Requiescant in pacel
ftarrte fie an.
„um Gott, was wollt Ihr?” fragte zähneflappernd Quintin.
„Dich zu Marien Führen, mein. Sohn, ſprach mit Falter
Stimme ber Grei3.
Er zog ben Tobtenbleichen hinein, führte ihn am ein Grab,
über bem ber Raſen ſchon grünte und die weißen Rofen ſchon
Knospen trieben. „Hier ruht fie feit einem Jahre,’ ſprach er
bann, die Hände vor feine Augen baltend, und ohnmächtig ftürzte
Quintin auf Wariend Grab.
In äÄngftlicher Beſorgniß fand Clara am Fenſter. Meifter
Swanefeldbt war heute fo lange geblieben, was er jonft nie that,
Die nächſte Thurmuhr Hatte fchon Zwei ‘gefchlagen und noch fam
er nicht. Sie riß ängſtlich das Fenſter auf und blidte auf die Straße,
Da bewegte ſich langſam eine Sänfte die Straße herauf und
binter ihr ber wankte Swanefeldt am Arm eines hohen Fremblings.
„Was ift das?“ rief zitternd Clara, und die Sänfte hielt
vor Swanefeldt's Thüre.
Sara eilte hinab. Da trugen bie Träger einen bleichen
Süngling ihr entgegen. _
„Almächtiger Gott,‘ rief fie, „das iſt Quintin!“
Langſam breitete er ihr feine Arme entgegen und laut
jammernd lag fie an feiner Bruft.
Es dauerte geraume Zeit, bis Quintin ſich erholte.
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. — 10 — |
Mit thyrärtenerfiliten Bliden ſaß Cata an feinem Bett, ſeine
Hand in der ihrigen haltend. Ste erzaͤhlte Aım von Mäarien. -
Bei ihrer. Erzählung rollten felbft über des Comthurs Wangen
die Thränen; nur bed ungliklfichen Vaters Auge Hatte Feine
Thränen mehr.
Sanfter war Quintins Schmerz geworben, durch bie heilende
Zeit und Clarc's kiebevolle Behandlung. Cr fah das Leben nicht
mehr mit fh ſtnfteten Briten an, wie ſonſt. Stille trug er jenes
Herzens Weh.
Da kam NMatiens Todestag. In ſtiller Trauer ſaßen fie
Alle beiſammen, Clara, Quintin, Swanefeldt und ber Comthur,
Da ergriff diefer Quintins Hand und ſprach alfo: „Belm Scheiben
von Antwerpen fagte ich einft zu Dir, mein Sohn, daß bag Leben
"größere Kämpfe habe, ala das Scheiben im Leben, und daß bennoch
ber Menſch, und noch mehr der Ehrift,. feines Schmerzes Herr
werben muͤfſe. Es if eingetroffen, Quintin. Nun aber fei eim
Mann. Du gehörft dem Leben an, werde Di nicht feindlih von
ihm. Dir blüht em files, überſchwängliches GOlück in Clara’z
Herzen. Suche nicht im ber Ferne, was fo nahe liegt. Ærheitere
unſeren Leberrsabend, anf daß wir beide müden Wanderer nicht mit
Herzeleid in bie Grube fahren.”
Er Fegte Clara's Hand in die ſeinige.
„Set gluͤcklich, Ihr Guten!“ rief er begeiftert.
„Meine Gara!“ fenfzte Omintin, und das Möbchen Tag mit
ber Liebe füßer Wonne an feinem Herzen.
. „Gott fegne Ench!“ rief Swanefeldt und feine Hände gefaltet
“in die Höhe hebend, fegte er leife Hinzu: „Und bu, Maria, ſegne
auch dir fie, und bete für ſie!“
J
- 2 —
Verſchiedene Wege.
Ein Stücklein aus der guten, alten Zeit.
J
RI
Aus meiner Knabenzeit erinnere ich mich noch eines alten
Herrn Vetters, ber in Mannheim Organiſt an ber Hauptfirde war.
Das Bild dieſes Mannes, der noch fo ganz nad Zorn und Wefen
ber erfien Hälfte des vorigen Jahrhunderts angehörte, ſchwebt mir
jo lebhaft vor, ala hätt' ich ihn geftern zum legten Mole gefehen,
und doch Liegt zwifchen unferem letzten Begegnen hienieden und heute
auch die Hälfte eines Jahrhunderts und ſelbſt noch mehr denn ein⸗
Jahrzehnt drüber hinaus.“
Das waren die einleitenden Worte meines nahezu ſiebzigiährigen
Nachbars zu Heidelberg, bei dem ich gemüthlich ſaß.
„Ei,“ ſagte ich zu dem lieben, geſchichtenreichen Mann, „iſt's
denn möglich, daß Sie ſich aller Einzelheiten entſinnen können?“
„Ja gewiß,“ ſagte er, „und ich will ihnen zeigen, wie lebhaft
mein Gedächtniß geblieben if und wie treu, indem ich ihnen vorerft
ben Mann Tchildere und Ihnen: dann die Gefchichte feines Leben?
erzähle, oder boch ein wefentliches Stüd bavan,”
„Mein Herr Better war, wie gefagt, alt, faft fo alt, als ih
beute, ba befuchte er ums noch einmal hier und lebte fih In bie
Zeit zurück, da er auch Bier ſtudirt hatte.” —
„Studirt?“ fragte ih erſtaunt. „Ein Organift und ſtudirt.“
Mein Nachbar Lächelte,
„Das iſt's ja eben, was Ihnen feine Gefchichte intereſſar
machen dürfte,“ jagte bex alte Herr. „Run hören Sie:
„Er war damals noch ein Fräftiger Greis, der ſich grade hielt;
obwohl fein innerſtes Wefen demüthig war, Tam bie Haltung
Manchem vor wie Hohmuth. Davon war er himmelweit entfernt.
Sein Gefiht war frifch und deſſen Ausdruck milb unb heiter. Er
war ein ſchöner Greis. Sein Haar war reich und fo gepubdert,
daß es fchneeweiß war. Ein Zopf, länger wie ber Friedrichs bes
Großen, bing ibm ſchier bis auf das Kreuz. Er war feit mit
ſchwarzem Band ummwidelt und diefe Operation nahm ihm viel Zeit
weg. Oben am Kopfe war ein gewaltiger ſchwarzer Bandichlupf,
fo an ber Wurzel des Zopfes. Das Haar bes Vorberhauptes trug
er in Form bes Herz:Toupe’3, unb das flanb ihm ganz belicat zu
Geſichte. Ging er aus, ſo ſaß darauf der Dreimaſter von feinem
Filz. Die Halsbinde war ſchneeweiß; die rothe Sammtweſte, mit
goldenen Knöpfen und ſchöner Stickerei, reichte von ber Halsbinde
bis zum Schenkel und war zugeknöpft von oben bis unten. Nur
an Sonntagen ſah der breite, unendlich fein gefaltete Jabot coquett
daraus hervor. Der Rock war von weißem Tuche, fein und rein,
mit zinnoberrothem Schooß- und Bruſtfutter. Zum Zuknöpfen war
er nicht, und lief rund vom fingerbreiten Krägelein über die Bruft
weg zum Schooße, ber breit und lang war; bennoch war er auf
ber rechten Seite mit unendlich großen, ſtark vergoldeten Knöpfen
befeßt; ebenfo bie Tafchenflappen und Aermelaufſchläge, bie faft big
zum GClinbogen reichten, unb aus benen bie Manfchetten lang
hervortraten.
„Die Hoſe war von ſchwarzem, feinem Pelüche, und reichte
nur zum Knie, wo ſie eine feine vergoldete Schnalle hielt. Weiße
ſeidene Strümpfe umſchloſſen das ſchön bewadete Bein und feine
Jabots den Fuß mit mächtigen, den ganzen Vorderfuß bedeckenden
Schnallen von Silber, durchbrochen und ſehr ſchön gearbeitet. Dazu
gehörte ein ächtes Javarohr mit vergoldetem Knopfe, das zwei
Dritttheile der Leibeslänge hielt.“ —
„Sie lächeln?“ unterbrach er fein Porträtiren. „Freilich bie
— 198 —
flappige Diode diefer Zeit iſt eine andere; aber ich fage Ihnen,
er ſah ſtattlich aus; es war eine Pracht von einem Manne, der
Reſpect einflößte, und dieſe Mode Hatte etwas Gehaltenes, Bürbi-
ges, Ernfte und Anfländiged. Es war fehlechterdings eing Ans
möglichkeit, daß ein Mann in biefem Goflüme Dummheiten und
Unfinn treiben ober überhaupt bie Strenge ber Sitten übertreten
fonnte.. Glauben Sie mir, junger Freund, es war eine Zeit, bie
fittlich mehr wertb war, als die umfrige. Doch, ich will nicht richten,
fonbern erzählen. Sehen Sie, fo ging unfer Herr Better auß.
War er fo gefleibet, fo hielt er ſtreng auf ben äußern Anſtand.
Daheim trug er Bantoffeln, das Zofeppchen und eine weiße Baum:
wollmüte mit langem Zipfel und bebeutendem Klünker —“
„Das Joſeppchen? Herr Nachbar, was war das für eine
Kreatur?’ fragte ich.
„Für Euch junge Leute ift doch jene Zeit ganz zu Grabe ge
gangen!“ fagte er mit beflagendem Ausdruck. „Ich will es Ihnen
jagen. Das Zofeppchen, Seppeldyen ober, wie man es fonit auch
. bieß, war ein damaſtner wattirter Schlafrod, der aber nur bis an
den Schenkel reichte und mehr die Rodform hatte. Wie gefagt, zu
Haufe trug er dies Kleidungsſtück, das fehr commode war, rauchte
feine feine Holländifche und faß im Seifel. Dann ging ihm Mund
und Herz auf. Wir fehten ung um ihn und er erzählte viele Ge:
ſchichten. |
„Einf faßen wir auch fo um ihn und Horchten auf feine
Worte, da kam er auf feine eigne Lebensgefchichte, und um biefe
handelt es fich ja jebt. Mir ſchwebt das noch vor wie heute, und
ich führe ihn darum auch felbft redend ein.
„Ihr lieben Verwandten, fagte er mit aM’ ber ihm eigenen
Gemüthlichfeit und blies dabei feine, ringelnde Knaſterwölkchen aus,
habt mich wohl bisweilen gefragt, wie ich am Organiften gekom⸗
men, da ich doch allbier bie Gottesgelahrtheit drei Jahre fleißig und
eifrig ftudir. Glaub's wohl, daß Ihr's Euch nicht reimen könnt,
=
— 14 —
fest bie uralte Kurpfalz durch bie leidigen Franzoſen iſt zu Grabe
gegangen, Sie war alt und wadelig geworden, wie bad heilige, |
röndiche Reich, dem He als Kur angehörte. Sie hatte bie Fehler
und ich felber bin davon ein lebendiger Beweis. Wär's nicht fo
geweſen, mer weiß, melde Stellung ich jet einnähme. Doch —
es bat fo fein follen und ich bin ja in meiner Lage xecht glüdlich,
unb preife bie Wege Gottes. Ich bin ber einzige Eheſprößling
eines armen Mannes. Mein Bater war Schulmeifler, Gantor,
Organift und Küfter in Labenburg, und feine ganze Befoldung
betrug hundert und fünfzig Gulden, eine freie Wohnung und einen
Garten dabei. Davon lebten wir ſchlicht und recht; aber Sprünge
Tonnten wir Heine maden und Schmalhans war Küchenmeiſter.
Trotz alle ber notbgebrungenen Beichränfung waren wir Drei, mein
Bater, meine Mutter und ich, in Liebe glüdlich.
„Mein Vater war ein Mufifer, wie es damals wenige gab.
Gründlich gebildet, war er ein Meifter auf ber Orgel, ber feines
Bleihen kaum hatte, und feih gebildeter Geſchmack bewies fi an
ber Teibenfchaftlichen Vorliebe für alte, gebiegene Kirchenmuſik. Ihr
mögt ed Euch baher erflären, baß er, außer bem regften Fleiße, ben
er in und außer ber Schule meiner geifligen Entwidelung widmete,
auch fehr frühe mit mir Muſik zu treiben anfing.
„Der Liebe bed Vaters gelang es, bie Bottesgabe, bie ich
empfangen batte, zu weden unb frühzeitig zu bilden. Die ganze
Stadt redete davon, daß ich fo taftfeft fpiele, als ich kaum mein
achte Lebensjahr zurüdgelegt. Das wurbe bann eifrig fortgefegt
und ber Vater hatte vecht feine Freude an mir. Chriſchtian, ſagte
er in der breiten pfälzer Mundart, Du wirft einft cin Orgelipieler,
ber fich gewaſchen hat, und'baz wird Dich nicht gereuen, auch wenn
Du niemals es als Broderwerb treibt, wie ich; denn ich hoffe zu
‚ Gott, daß Du ein zecht tüchtiger Pfarrer werben ſollſt. Dem
ſchadet's auch nichts, wenn er etwas Yon dem Orgelfpiele verfieht.
„Das war beun meif jene Rede und eB prägte ſich mir bie
« — — — —⸗
+
0 —
Wefimumıng tief in bie Seele hinein, che ich noch bie Schelle
jener Vorbereitung beixat, bie bies Studium heiſcht. Mich auf
einer Schule auswärts zu erhalten, hätten meine armen Eltern
nicht zu Wage gebracht; aber ber Nectox in Labenburg war eim
Gelehrter, ber ſich gewaſchen Hatte, und man konnte Viel bei ihm
Iernen.
„Durch meines Vaters Privatunterricht war ih frühe ſchon
reif für ben Eintritt in deſſen Schule. Er war felber ein Freund
und Kenner der Muſik, und daher meines Vaters bejonberer
Gönner, der mich mit Liebe aufnahm und behandelte. Mein
Eifer und Fleiß Hatte an meinem lieben Vater und meiner nie
raſtenden Mutter leuchtende Vorbilder, und blieb nicht zurüd, Der
Herr Rector rühmte und bevorzugte mich deßhalb, was mix freilich
bei meinen Mitſchülern manchen fchweren Buckel voll Prügel
eintrug, die ich, als ber Jüngſte und Schwächlte, einrieb und in
ber Stille ‚verbiß. Das hatte anderweitig fein Gutes; denn ich
lernte frühe die Püffe tragen und dulden, bie mir fpäter dad
Beben und bie Verhältnifje beibrachten. Abhielt es mich aber nicht
im Mindeſten, meinen Fleiß fortzufeßen, ‚und weun ich's ber
Mutter einmal Flagte, fagte fie: Beſſer Neider, ala Mitleider.
Und mit dem Sprüchworte tröftete fie mich.
„Die lateiniſche Schule Eoftete mich nichts. Selbſt ben
Privatunterricht im Griechifchen ertheilte mir bes brave Rector
unentgeldlich. So wuchs ich ziemlich heran, und als ich confirmirt
war, kam bie Zeit, vor der meine armen Eltern oft gezittert
baten, bie nämlich, wo es eine unabweisbare Nothwendigkeit
wurde, daß ich bie. Neckarſchule zu Heibelberg beſuchte. Wo, wie
und wann follten die Eltern das aufbringen, deſſen ich bort
benöthigt war, trotz aller Gewohnheit an bie fchmalften Biljen?
Ich entfinne mich nod eines: Abends aus jener Zeit, ben ich
genauer Schildern muß.
„Es war am heiligen Pfiugſttage. Morgens war ich mit
. |
meinem Vater auf ber Orgel und ich fellte, da der Herr Inſpector
bag eb: „Wachet auf, ruft uns bie Stimme 20.” gegeben hatte,
ein fugirtes Vorſpiel vortragen, das mein Bater zu ber herrlichen
: Melodie geſetzt hatte. Es war ein Meifterftüd‘, das ich aber auch
eingeübt hatte, daß es mir in ben Fingerfpigen und Beben feflfaß,
mit denen ih Manual und Pedal regieren follte. ch begann.
Mein Bater fand neben mir und fein Antlitz Teuchtete wie das
eines Seligen, als ich meine Arbeit gut machte. Das feuerte mich
an unb ich fpielte meinen Sa tiichtig, ging bann in die Melodie
über und leitete den Gefang ber Gemeinde wie ein Alter.
„Als die Kirche aus war, überhäufte ber Nector meinen Vater
mit Lob und mir brüdte er bie Hand, was eine Ehre war, bie
mir felten wieder vorfam. Wir Tamen beide überglüdlih heim
und die Thränen der Mutter, bie fhon von ben Nachbarinnen
Alles wußte, waren nut eine Erhöhung unferer Freude. Mittags
nach dem Gottesdienfte Fam der Kirchendiener und lud meinen
Bater zu dem Heren Infpector. Da das öfter vorfam, fiel es
ung nicht auf; dag aber machte ung doch betroffen, baf der Vater
bis Nacht ausblieb; denn fo etwa war in bem pünftlichen Leben _
deſſelben noch gar nicht dageweſen. Erft zur Nachteflenzzeit kam
er, und fein Gefſicht ſtrahlte. ‘
„Komm’ herein, Mutter, rief er in bie Küche, ich bringe eine
Poſt, die nicht anbrennen darf!
„Die flaunende, meugierige Mutter kam; ich machte das
Klavierchen zu und ber Bater bob an: Bor Allem rufe ie.
„Lobe den Herrn, meine Seele, und Alles, was in mir ifl, ſeinen
heiligen Namen!’ Was ung beängftigte, hat Gott wunderbarlich
gewendet! Als ich heute in geziemender Devotion in bie Studir⸗
fiube des Herrn Inſpectors trat, faß der Herr Rector ſchon
dba. Nach gejchehener ftanbesmäßiger Begrüßung fagte der Herr
Inſpector: Sep’ Er fih, Herr Cantor, und reichte mir ein Glas
koſtlichen Weines, ben fie tranken. Sole Ehre war mir nie
— 107 —
voiberfahren! Darauf, als ich nach ziemlichen Umftänben, mich
enblich geſetzt, das Glas genommen und mit Reverenz Gefunbheit
getrunfen, hob der Herr Anfpector an zu reden von Chrifchtiang
Drgelfpiel von Beute und des Herrn Rectors gutem Lobe, redete
mit Salbung, wie er fih an bem "Einen erbaut, und an dem
Anderen erfreut, und wie bed Knaben Talent: nicht verfinnpfen
dürfe. Er babe, fuhr er fort, im hohen Kirchenrath einigen Arm
und den wolle er geltend machen, daß Chrifchtian am ber Nedar:
faule umfonft aufgenommen würde. Da das fo gut wie abgemacht
fet, fo babe er ben Herrn Rector gebeten und mich berufen, um
das Meitere in fügliche Ueberlegung zu nehmen. Ber Herr Rector
fet ein Heidelberger Kind, habe vermögliche Verwandte und Freunde
bortfelbft und er, ber Herr Infpector, ſei auch nicht ohne Einfluß
auf Andere, alfo daß ber Bube dort alle Tage, Jahr aus, Jahr
ein, fein Efien habe. Er fragte mich aber, ob ich ihn wohl in
Kleidern werde unterhalten können, bis er fich durch Unterrichtgeben
das felber verbienen Fürnme. Des Herrn Rectors Stieffchwefter, fo
in ber Bufemergaß wohne, wolle ihm überbied ein Stüblein und
Bett geben, fo er ihr Peterchen alle Tage eine halbe Stunde
unterweife. Die Wäfche Fönnten wir von bier aus beforgen und
fo wäre Alles fonnenflar, wenn ih nur Kleider und Schuhwerk
auch wohl Bücher und Schreibmaterialia beforge. -
” ,Was meint Du, Mutter, wie mir ba das Herz im Leibe
Küpfte? Ich fagte freudig Ja und Ale war in Ordnung unb
ben Herbft geht er auf bie Nedarfchule! Alleluja!
„Wir faßen ba und hatten bie Hände zufammengelegt wie
zum Gebet, und ich glaube, wir haben auch gebetet und gedankt
Dem, ber fo unverhofft den Wuünſchen eine Thure geöffnet und
ber Sorge Balet gefagt und gegeben.
„Das war ein Yreubenabend! Der Hirfebret, ben bie Mutter
gekocht, und auf den ich früher, nämlich ehe der Vater daheim war,
erpicht war wie eine Katze auf bie Maus, wurde rein vergefien.
Freilich wor bad nicht zu meinem Schaden, denn er zog eine deſto
dicdere Hat, unb das ift, wie Ihr wißt, am Brei Nr. I. Mad
dem Hirſebrei ſetzte firh ber Vater bin an's Klavierchen und fugixte
die Melobie: ‚Nun danket alle Gott” auf eine wunderbar herrliche
MWeife, und als er endlich fie fpielte, fielen wir alle Drei ein
und fangen bad fchöne Lied, wie's barin auch beißt: wa Herz
und Mund.”
„So bin ich denn ben Sommer nod ba geblieben, und als
in ben Ferien ber Herr Nector nach Heibelberg ging, machte ber
Alles und. Mittlerweile war benn ein Umſtand eingetreten, ber
im Familienrathe verhandelt werben mußte.
„Seit meiner Confirmation hatte ih im Wachfen einen ganz
unvernünftigen Schuß gethan, gewiß einen halben ober gar drei⸗
viertel Pfälzer Schuh war ich in die Länge gewachen, und, wie es
anderwärts auch geht, mein Mödlein hatte vergefien, mitzumachen.
Sp war’3 ben gekommen, baß bei mir bie fogenannte Taille ober
Dünnung im Balben Rüden war, die Schooßenden aber jenfeit
der Hälfte des Oberſchenkels ſaßen und die Hänbe bis Binter das
Handgelen! aus bem Aermel bervorgudten, was gar übel ausfah
und mich in Betreff der Hänbe in erfledliche Verlegenheit ſetzte, ba
ig gar nicht wußte, wo ich fie eigentlich hinthun follte Das
iſt befanntlich in dieſem Alter immer der Buben Kreuz, unb id
glaube, es gibt Wenige, die nicht eine ähnliche Geſchichte mit ihren
Händen feiner Zeit erlebt haben. Es find erfchredliche Gliedmaßen
zu ſelbiger Zeit!
„Da ging die Neth an ben Maun! Der Bater hatte
weriprochen, mich zu kleiden; aber es fand fich, daß ich ſo ziemlich
Alles verwachſen hatte, und das Tief in's Geld. In Ladenburg
wär's noch gegangen, aber als Neckarſchüler Iautete denn doch die
Geſchichte anders.
„Während mein Vater daſaß und an ben Nägeln taute, nahm
meine Mutter das Wort und löſte den Knoten, wie denn die
— 108 —
Weiber allemal am Beſten Rath zu ſchaffen wiſſen; dem fie ſinb
erſtaunlich kniffig und pfiffig.
—„Wilhelm, ſagte fie zum Vater, Du quälſt Dich wieder einmal
um bes Saiferd Bart, und ber Rath Tiegt fo nahe! Chriſchtian
if} ja fo dünne aufgefhoffen wie ein Stridfpieß, und mein Vater,
feliger, war ein Mann, ber in's Gevierte etwas maß, da er noch
lebte. Du weißt wohl, wir haben feinen Hochzeitsrock noch: er
tft von leberfarbigem, ſchwerem Tuch und der Schneider macht ihm
“einen Staatsrock draus!
„Mein. Vater ſeufzte tief auf, aber man hörte, mit dem
Seufzer ging eine fchwere Laſt von ber Seele weg.
„Du fol Rathsherr zu Nürnberg werben, Du vortreffliches
Weib, fagte ex erleichtat. Geh’, hol’ ihn 'mal.
„DaB ließ fich meine Mutter nicht zweimal fagen.
„In weniger Zeit, ald man ein Bater-Unfer beten kann, mar
fle wieder ba und hielt triumphirend ben Rod in die Höhe Mean
hebt doch etwas nie zu Fang auf! fagte fie freudig.
„Isa, dag war noch ein Kerntuch, wie man heutzutage Feind
mehr zu fehen kriegt! Hier und ba hatte zwar eine haushälteriſche
Motte Für ihre Liebe Nachkommenſchaft darin ein zart Bettlein
Beftellt und bie Meine Brut hatte geweidet; Allein das fiel weg bei
meinem bürten Häringsfeibe, und filr den Umſtand, daß ſtellenweiſe
bie Fatbe ihre Treue nicht bewährt, much biverfe Tleden darin und
and beiben Gründen Braun und Lehmgelb in nachbatlichem Frieden
fih in bie Oberfläche -des ehrwürdigen Kleidungsſtückes theilten,
wußte unfer Nachbar, mein Pathe, ber Färbermeifter Zobbel, Rath.
Als er in ben Beirath gezogen wurde, meinte er, er babe
Schlimmeres in Einklang gebracht, und wenn er bie Flecken im
Gewiſſen und Leben, und den Abfchuß der Treue und Ehrlichkeit
fo gut vertifgen Prmte, wie bier Fleden und Farbeänderung, fo
wolle er bem Papft in Rom ſchon zu fchaffen machen und niehr
— 19 —
einnehmen, ala weilaub Tegel bei feinem bewußten, einträglichen
Handwerke.
„Meine Mutter zertrennte gleich den Rod; Zobbel nahm ihn
mit und ed war wirflid zum Erflaunen, wie ſchön er ihm wieder
auf bie Beine half. Nun kam Meifter Zinndraht, der berühmteſte
Schneider in ganz Ladenburg, nahm bad Maß, befah ben Rod,
zeichnete mit Kreide allerlei kauderwälſche Linien barauf, und
erflärte endlich, es gäbe einen Rod von perfecter VBolllommenbeit.
„Acht Tage fpäter hatte ich ihn am Leibe. Er ſaß königlich
und ich war gepußt wie ein Prinz.
„Ob ich gleih alle Samftag Nachmittage heimlanfen konnte,
ſo war doch das erſte Scheiden für Eltern und Kind gleich hart
und ſchwer. Es floſſen der Thränen viele, und erſt, als ich mit
dem Herrn Rector auf dem Leiterwagen meines Pathen ſaß, der
uns hinfahren ließ, und Ladenburg hinter uns lag, wurde meine
Seele wieder frei und ruhig.
„Wir erreichten die ſchöne Muſenſtadt und ich zog in niein
Dachſtübchen in der Buſemergaſſe, bei Frau Wittwe Nöthlich, einer
kreuzbraven Frau, unterwies das Peterchen im ABC, lehrte es im
ſogenannten „Namenbuch,“ der kurpfälziſchen Handfibel, leſen, und
brachte es, bei des Knäbleins offenem Kopfe, bald zu etwas
Erfreulichem, was mir denn bei der Mutter einen Stein in's
Brett ſetzte und mir, da der Schulmeiſter der Stadt keinen Pfiffer⸗
ling werth war, noch mehr Kindlein des Alters zubrachte, die mir
ein Weniges bezahlten, mir aber dadurch ein Weſentliches leiſteten,
wie ich ſogleich berichten werde.
„Das Gnadenbrod iſt ein hartes, bitteres Gebäcke, und wer
es gegeſſen hat, weiß ſchon, warum. Ich hatte mein Tageseſſen,
vom Frühſtück bis zum Abendbrod, in den Familien, die mir die
Herren Inſpector und Rector zu Ladenburg ausgemacht; aber das
waren unterſchiedliche Leute. Die Einen gaben's gern und ſahen
nie ſauer, wenn ich kam und demüthig in der Ecke ſtand und
— 111 —
harte, bis es bieß: Chriſchtian, ſet' Er ſich an und greif' Er
zu! Die Anderen waren unfreundlich, und man ſah, ſie hatten es
nur gethan, weil ſie ſich doch ſchämten, Einem der beiden Fürbitter
es abzuſchlagen; aber insgeheim wünſchten ſie mich dahin, wo der
Pfeffer wächſt. Lieber Gott! ich konnte doch nicht anders und
mußte kommen, fo ungerne man mich auch ſättigte, und das nicht
einmal, denn ich aß mich nur dreiviertel ſatt, oft, weunn's im Haufe
brummig war, kaum bald. Wieder Anderen war ich ſchon recht
und Feine Laft, wenn fie allein waren; ed waren fo die vornehmeren
Leute; aber war Beſuch da, und ging's hoch her, ba war ich ein
Dorn im Auge So Etwas thut erfchredlich wehe. Ach drüdte
mich dann flile, z0g mein Beutelchen, nahm ſechs Kreuzer heraus,
wa hinreichte fir ein Bröblein und etwas Wurft oder ein Pfund
Kirichen, wenn's um biefe Jahreszeit war. Damit fchlich ich auf
mein Kämmerlein unb verfpeifte e8 mit Behagen. Anfänglich
merkte das die brave Frau Nöthlich nicht; aber nach und nad
fam fie dahinter, eraminirte mich, und Fam zur vollen Kenntniß
meiner Lage. Sie ſchlug die Hände über bem Kopfe zufanımen.
„Ja, ja, ſagte fie bitter; je veicher, deſto geiziger, unb je vor:
nehmer, deſto gemeiner! Nein, Musje Chrifchtian, das fol Ihm
nicht mehr paffiren, daß Er einen Tag ohne Warmes bleibel Mit
meinem Willen geht Er nicht mehr zu dem reichen, vornehmen
Pad. Ich rede mit ben Müttern der: Kinder, welche Er mit
meinem Peterchen unterweift, und dann kriegt Er Seine Koft auf
Seine Stube und braucht nicht zu kratzfüßeln.
„Aber was wird ber Herr Rector fagen? verfegte ich:
„Meinem Herm Bruder will ich ben Staar in einem Briefe
flechen, ber ihm feine vornehmen Freunde in's Licht jegen ſoll! —
rief fie aus und ging.
„Nun waren die Familien, beren Kinblein ich für ein gar
Biliiges, die Stunde für einen Kreuzer per Rind, unterwies,
allefammt wohlfiehende Bürgers: und Hantirungsleute von
— 1u12 —
altem Schrot und Korn ‚ in ber Wolle gefärht und fabengreb
genccht, fehficht und recht, aber milkherzig und mir gewogen ihrer
Kinder wegen, bie mich etſtaunlich Heb hatten. Da brachte es Frau
Kothlich auf der Stelle fertig, und ich hatte mein Eſſen für alle
Tage und befam’3 auf die Kammer gebracht, und allemal einen
ſchoͤnen Gruß und ein freundlich Angeſicht dazu.
„Wie hab' ih Gott gedankt und ber guten Frau Nie!
Nun brauchte ich nicht mehr zu katzenbuckeln, und mich hald und
breiviettel ſatt zu effen! Und der Herr Reetor muckte nicht. Ich
glaub', die Frau Nöthlich, bie eine gar gefchetdte und vefolnte Frau
war, hat Ihm das Töpflein der feernehnen Barmherzigkeit aufgedeckt,
ba er auf dert Boden ſehen konnte.
„Der Erfolg war, daß ich das Fäfebleiche Anfehen verlor,
rothe Baden befam und außelnanderging, wie eine Bampfnubel
von ber Hefe.
„Unter allen Denen, bie mir das Effen brachten, war fen
berziger, als das Mariechen aus Nubelbah an ber Ecke der
Bufemergaffe, links. Sie war ein Waiſenkind, etwas jünger wie
ih, und aß auch bad Grabenbrob im Hauſe, wo fie war, bei
Gefreundten ihrer feligen Eltern. Ach, fie war erſtaunlich ſchön,
und noch braver, als fie fihön war. Arm wie id; in vielen Fällen
in gleicher Lage und Bebrängnik, da ſchließt Fih das Herz auf
und das Bertrauen, das in beiden Seelen wächſt, thut fi in Eine
Pflanze zufammen, die nun fröhlich gebeibt, und wenn fie blüht,
ift die Blüthe allemal bie Liebe. So war's auch bei ung; aber
unfere Liebe war fchen und gefchämig, fie Hatte Feine Sprache, als
bie Stimme ber Angen und des berzinnigen Lächelns, der Freund:
lichkeit. Wir Beide aber fühlten das heißefte Verlangen, bei einander
zu fein, und waren wir's, wenn Mariechen das Efien brachte und
bag Gefchirre Holte, fo waren's boch nur wenige Minuten, bie wii‘
zufammen fein und plaudern Fonnten. -Bon der Lieb’ kam ba nicht
vor; wir Magten ung unfere Noth und tröfteten ung beiberfettig. -
*
Yy
„Mit berh verbindet wenigen Gelbe‘ befirikt‘ ich nun nicht weil
meine Bücher und Schreibmaterialta, ſondern aucht nu das Schicke
weit, was meinen! lieben Eltern ſeht zu Sthttar. Tome, indem dazu⸗
mel! das Pfund Brob nik zwei Kteuzer aufſchlag, weil ea en
Mißerute geweſen wwr im Somnmer vorher De Hebe Gott IE
es indeſſen bald noch beſſer.
„In der Heiligengeiſt⸗Kirche wir Ne Orgel in Unordnung
gerutben,. und bie Zungenregiſter waren ſſumm geworben, weil
Tiedertitäufe dariunen überwintert und’ ad: ihre Nefter in Goummeig:
zeit bavinhen- hattaiı Es kamen daher Orgelbauer aus der Hihelti:
gewifchaft am ber’ Nabe, ſo Stümm hießen, bamals berühmte Leitte
im Lande weit und breit, de reparicten die Orgel, und alo fe
fertig! wat und probirt wurde, Tant auch mein Vanert als Probirer
und Iinpdrteiifcher" nach Heidelberg. Da war ich denn auch u
und weh Vater ſahie zu ſeinem Collegen' an felbiger Kibchen, er
ſolle mir auch einmal Eins geſtatten.
„In der Kirche waren viel hundert Menſchen als Zuhörer.
Der Organiſt ließ es zu, und ich ſetzte mich und Ipiekte meines
Balers Say zu bein Liebe: „Wachet aufiac.’”‘, und ſchloß mit ber
Melodie. War ei un die Wahl’ der Regiſter oder die Begeiſterung
die: über mich gekommen war, oder bie auffallende Seltenheit, daß
ein armer Neckarſchüler jo ſpielen Tonızte — ich weiß es nidhtz'
aber da weiß ich, daß der: Orgamift, ganz erſtaunt, Hanoi ſagte,
min: auf die Schulter klopfte, mic. öfters zum Spielen an Sonn-
tagen einkud, und meinen Vater ger ſehr becotplimentirte über
. mein Spiel. Die Leute mathten large’ Hätfe,: und‘ als ich nachher
mit meinen‘ Vater: nady der Bufemergaffe ging, ſah idy wohl mid
Erröthen, wie hier und da die Leırte mit Fingern nach mir wieſen
„Am andern Tage, ald Mariechen wit bie Abung: brachte,
gar vortreffliche Leberklöße, bie fie ſelbſt gemacht‘, fägte fie: Nun,
Musie Chrifhfian, die ganze’ Stadt ift ja Sees Lobes vol’ vor
wegen Seine erſtaunlichen' Orgelſpiels! Math er doch, daß' ich.
vornes Erzählungen IX.
,
— ua —
Ihn auch einmal hörel Das Hit ja eine Kunſt bei Ihm, bie noch
kein Menſch gefannt hat!
„Die Frau Nöthlich Sam dazu und zollte mir aud ihre
Zweudentbeilnahme, und ſchloß ihre Bitte an bie bed holbfeligen
Rindes. Da mußte ich denn verfprechen, nächfen Sonntag Morgen
in der Heiligengeiſt-Kirche zu fpielen.
„Der Herr Organiſt gab's mit Freuden zu; aber ich weiß
nicht, wie es Fam, baß bie einzige Zuhbörerin, die da unten im
Schiffe mit ben leuchtenden Augen ſaß, mich faft zittern machte? —
Die Fran Nöthlich war's aber nicht, obwohl bie neben dran ſaß,
und alle Mütter meiner Fleinen Schüler und Schülerinnen. Denen
hatte es Frau Nöthlich ficherkich geſteckt.
„Der Organiſt mochte es merken, daß es mir nicht geheuer
war. Er flüferte mir zu: Kuraſche, Musje Schneider! — Und
das wirkte. Ich griff frifch in die Taften; ich fußirte tüchtig auf
bem Pedal herum, und vergaß fehler Menfchen und Zeit und Welt,
jo fühlte ich in meiner” Seele eine Begeifterung. Es ging über bie
Wagen gut, und ber Organift fagte: Nun muß Er aber auch ben
ganzen Gottesgeſang leiten und ben Ausgang fpielen! Das that
ih, und ich hatte die Freube, daß, flatt da bie Leute aus ber
Kirche geben follten, fie brinnen blieben, bis ich geenbet, und was
ih geipielt, war ein altes Stüd von einem Staliener, aus einer
Miſſa das Gloria.
„Da war benn des Lobes fein Ende, und Mariechen ſaß
drunten im Schiff und trocknete mit den roſenrothen, feinen
Fingerſpitzlein eine Freudenthräne nach der andern. Da ſpiele
Einer einmal fein Gloria, wenn er das ſieht, und weiß, wieviel
Uhr es iſt! — Ih will nicht davon reden, wie bie mildherzigen
Weiber mir ihren Beifall zollten und mich mit Kuchen regalirten,
und die rau Wirthin aus dem „Neichdapfel”, deren eheleibliches
Töchterlein ih inſtruirte, mir ſechs Krüge Märzbier ſandte,
dergleichen ich mein Lebtag nicht getrunken; ſondern davon, daß
-
*
— 115 —
Mariechen/ als ſie mir, wie allemal Freitags, das Eſſen brachte,
mie mit einer demanthellen Thräne die Sand reichte und nichts
weiter fagen Tonnte, benn: Ach, wie ſchön war's! Das galt mir
ſelbſt mehr, als eine Vol, die auch nicht zu verachten war.
Montags nämlich war der Stabtbiener gefommen und hatte einen
ſchönen Gruß entboten, von dem geftrengen Herm Bürgermeiſter,
und er fei am Sonntag in ber Kirche gewefen unb ließe fragen,
ob ich feinem Söhnlein Clavierunterriht geben wolle, und ob ich
die Zeit dazu babe, Abends von fünf big ſechs Uhr? Das Kind
babe ein erftaunlich mufifalifh Ingenium, und er wolle für jebe
Stunde ſechs Kreuzer gerne zahlen, auch neune, wenn ich wolle
und fünne. Da griff ich mit Freuden zu, benn diefe Stunde hatte
ich frei, und ba war ein fchöne® Honorarium. Ich beſchloß alfo
gleih, das Geld, das allemal Sonntag ausbezahlt werben follte,
in biefer theuren Zeit meinen lieben Eltern nad Labenburg zu
Bringen, wenn ih Sonntags früh oder Samſtag Abends heimging,
ba ich die Stunde Samflagd von Ein? bi Zwei gab. Wie groß
die Freude meiner Eltern und meiner Gönner, des Herrn Inſpec⸗
toris und Rectoris war, Tann ih gar nicht fagen.
„So ift denn endlich das letzte Jahr Herumgegangen, welches
ich auf der Neckarſchule zubrachte, und mit dem nächften Halbjahr
follte ih Student werben.
„In Heidelberg befand fich nun neben dem Nedarthor ein Haug,
das Collegium Sapientiae, oder gemeinhin „die Sapienz“ hieß.
Das war eine Stipenbien-Anftalt für folche, welche arm waren und
Theologie findirten. Das war fo eine fromme Stiftung aus alter
Zeit, und die Stubenten, welche barin freie Wohnung und freien
Tiſch, das heißt Eſſen, hatten, hörten auch die Vorlefungen an ber
Univerfität frei, mußten ſich aber einer gewiſſen Hausordnung un:
terwerfen, und biegen: „Sapientiften.” Mich bahinein zu bringen,
war der beiden Gönner Beftreben, und bem Arme, ben ber gute
Herr Infpector im hohen Kirchenrathe hatte, gelang es leichtlich.
ge
— — —ü——
— 1 —
“eg ich donn, zu Maritchens, Anm, in die Sapimmz; denn ug
brachte fie min beincCiſen uuhr, und ich- fah fin- ud ſia mich feltem:
„Ber aber denken ſollte, ich hätte meine alten Jreunde neru
vernachiäffigt, der wäre auf falſcher Fahrte geweſen; ich ging vieh
mehr Biter3 Mn, und. ba; fie mich lich hatten, wurde ich auch oft
zw ihnen eingelaben Da ſah ich denn das Holbielige: Mürtediem;
wenn Ich mach nicht: mit: ihr- plaudern Bernie, wie damals, als fiu
mir Freitags die kBſiliche Tartenfpeile brachte. Wir waren auch fo
zufrieden, denn daß wit und lieb hatten, wußten wir ja doch, ohne
daß wir es uns zu fügen: nöthiz ˖ hatten
„In Wariechens Leben gab's aber um dieſe Zeit auch eine
Aenderung, die uns noch ſeltener dad Sehen zulleß. Der Vormund
des Kindes nämlich erkannte, daß für ihre Zukunft beſſer geforgt
ſei, wenn fie Hauben ſticken lernte, wie man damals fle trug,
wunderſame Gebäude von Spitzen und dergleichen, thurmartig bald,
bald in der Mitte eingebogen und neben ausgebauſcht. Curioſe
Dinger, ſtanden aber ſchön! Zugleich ſollte ſie lernen, feine Kleider
für das Frauenzimmer zu. machen und alle die feinen Difteleien,
die fie befähigen fonnten, einmal Kammerjungfer bei einer adeligen
Dame zu werden, ober fonft Bei einer diftinguitten Perſon.
„Das war löblich von dem Vormund; aber e& that- ung doch,
ger, leid! Ru, Sonntags. ſahen. wir ums. in; der Kirche und auf
dem. Spaziergange nach, dem. Stifte. Neuburg, zu, wo fie mit einer,
Freundin ging und ich, fie traf. Da war's fill. und einfam unk
die, Freundin, wußte ſchon, wie, es, mit. ung, Zwei. ſtand.
„DR: ich. in ber Sapienz. wohnte, Alles. frei hatte und nur
etwa drei Stunden: Collegia, fo mögt: Ihr deuten, daß ich tüchtig
Privatunterricht: gab, denn durch, des geſtrengew Herrn Bürgermeiltersr
Empieblung kam es, daß ich faftı mehr Anträge für- den, Mufits-
unterricht hatte, al&. ich: abhalten Fonute: Da; fiel- dann. ein: Schönes,
ab für meine lieben Eltern, und, an Marxiechens Geburtstag, fo auf
- 1117 — Ä
ben athtzeheien Yandlıa Fihl, onnte ich he nen cinemn Fahren Feibenen
Tuche gratuliren, worüber ſite ungemein Andelig war.
„Damals war daB Stadentenleben aubeass wie heute, wo bie
Herren Stubiofi mit Degen einhergehen, geziert, gepußt, geſchniegelt
und gefisiegelt. Rappiren, Sichflagen, Reiten, Zahren und —
nichts fubiren it jo bie Art und Weile, dazu Schulden maden,
faufen, karten und ben Eltern das Blut abzapfen. Es war viel
folider, ftiler, und vollends in unferer Sapienz — ba ging's fireng
und pünktlich ber. Freilich gab's auch Windbeutel damald, Rauf-
bolde, Zaullenzer und Tagediebe. Das waren aber jo ber reichen
Leute Kinder, die Herren Cavaliere, die Söhne ber Beamten von
Mannheim und Heidelberg, Tegtere „Klimmeltürfen” geheißen. Die
trieben allerlei Malefiz, und die Pedelle ſahen ihnen für ein paar
Kopfftücde durch alle Finger.
„Es gibt halt nicht® Neues unter der Sonne! Mir waren
aber ſolche Burſche ein Gteuel der Bermfftung! Ich will mid
mitht felber Ioben, wegen des allikglichen ESprlichwortes vom Eigen:
lob, aber ih war fleißig, foltb, wohlgelitten und von ben Herren
Gapienz⸗Virertoven beſonders bevrezugt.
„Unter Allen euf ber Univerſität war Meiner wilder, als vin
gewiſſer F.... auB Mannheim, eines Hofgerichtgraths Sbhnlein.
Dumm, faul, ſtolz und Miderlih, das waren ſeine hervorſtechenden
Eigenſchaften. Auf Uaſereins achtete er nicht, obgleich ich Härte,
er ſei bei dem Alan noch, was man „einen guten sur zu
nennen pflege.
„Ich weiß es nit, wie es kam, er ſchien aber an * rin⸗
Extra⸗FIteude zu haben. Cr ging altht ah mir vorilber, ohne miit
einen freundlichen Gruß zuzunicktn, und einmul ſagie er zu ımlt,
als wir uns solo anf dan Gchloffe begegnetent: Wie geht's,
Schneiderus? Ihr ſeid ein’ ſeht flelhiger, braver Burſch! Mommi
wu einmal zu mehr; ich wohne auf ber Haupiſtrahe, Nr. 170, ati
Chr der Kencngafſe bei van’ Herrn Kirchenrache Dr, juris Tumbt,
— 18 —
„Iqch machte meine Neyerenz und dachte: Aannfl Immge warien
und Gott laſſe dich gefund, bis bu das erlebſt!
„Der wär’ gewiß ber zweite ewige Zub’ geworben!
„Item, wie riß ich bie Augen auf, als er eines Tages in
mein kleines Stüblein in ber Sapienz trat, ſich mit Nirrenden
Spornen an ben Kanonenftiefeln auf ben einzigen leeren Stuhl
warf, ben Schweiß teodnete, huſtete und fagte:
„Meiner Treu, Schneiderng, wenn man Euch ’mal ſprechen
will, muß man auf Eure Stube fommen! Ich bab’ aber eine intime
Bitte an Euch, und weiß, Ihr könnt mir helfen und thut's auch.
Dabei bemerfe ich, daß ich flott bezahle, und Euch thut ein neuer
Rod Noth, denn der, den Ihr dba anhabt, ift fabenfcheinig, wie
mein Fleiß. Ueber Iebteren Wit brach er in ein wieherndes Ge:
lächter aus, in das ich, troß meines Aergers, einjtimmen mußte.
„Als das gar nicht zu bewältigende Lachen endlich doch aufs
hörte, verficherte ich ihn, ich würde ihm gerne dienen, bafern ich
nur mit meinen [wachen Kräften außreichte,
„PBapperlapapp! rief er, das find maufige Mebensarten! Ich
weiß, hr feid ein Kapitalferl. Nun bört: Bis nächften Sonntag
it meines Herrn Papa Geburtstag Da möcht’ ich ihn doch gar
zu gerne mit einem Carmen, einem Gedichte, zur Gratulation
erfreuen. Run gebt mir alle poetifche Aber ab, und ich Tann
höchſtens bie Worte Schmerz und Herz, Bruſt und Luft und einige
bergleichen nennen; aber hab’ ich die Reime, fo fehlt mir ber
Gedanke dazu, und ich zerbreche mir fruchtlos ben Kopf, was
allemal meiner ohnehin ſchwächlichen Gejunbheit übel befommt. Da
ſeht Ihe wohl, Frenndchen, daß ich fein Poöta bin und mein Haupt
ber. Lorbeer nie umgrünen wird. Geht's vollends an ein Tateinifches
Gormen, wie ich's gerne haben mohte, fo ſtolperte ich alle fünf
Minuten über bie Füße, finde den Eiuſchnitt wit, und die. Hera
meter find fünf Juß zu lang ober zu kurz, und mit bem Gedanuken
gehrs wie Im Deutſchen. Oinen Gradus #8 Pürnassum chreibe ih
nie, benn die Längen und Kürzen machen mich confus und verrückt
„Da iſt mir denn der Gedanke gekommen, Ihr konntet mir
aus der Noth helfen, denn Ihr ſeid Eurer Latinitüͤt wegen in
der Neckarſchule berühmt geweſen, wie mir ‚ber Herr Scholarcha,
Lirchenrath Fladt, geſagt hat. Wißt Ihr was? Machet mir ein
lateiniſches Gratulationsgedicht, und Ihr ſollt ſehen, ich bin dankbar
zeitlebens. Nicht wahr, Ihr thut's?
‚Run hab' ich meiner Lebtag viel Verſe machen müfſen,
denn unſer Director war ein Verſenarr. Mir fällt dabei das
Veralein ein:
„Es hat halt Jeder in der Welt
So ſeinen Extra⸗Sparren.
Und wenn maän's Lichtlein nahe hält —
So ſind wir Alle Narren!
Und wenn ein Jeder das erkennt,
Nicht feinen Balken Splitter nennt,
So leben Hoch bie Sparren!“
„Der hatte den Verſeſparren. Da war mir's denn ein
Leichtes, ſo ein Dutzend Verſe zu machen. Warum ſollt' ich's
ihm auch geradezu abſchlagen? — So ſag' ich denn: Ja, ich
wollt's thun! Und er ging.
„Als er fort war, ſetzt' ich mich bin und macht' ihm an
Iojeinifches Gedicht, bas einen Halten Bogen einnahm und ſuper⸗
fein geglättet, xührenh und blumenreich, befomberß aber. aus ber
Sötterighre ber Alten. gehörig ausflaffirt war. Das eat ich
Ihm. am Abenh.
* ‚Se las &, fprang auf, fiel anke m‘ den ‚Hals mnd Reit ai
wie ein Kohlen, das zum erflen Mal auf bie Weide Tominit. Ich
Argerte mich ordentlich; ‚aber es war pute Herzensfreude. Domht
ſprang er an feinen Schrank, zen eine Schnublabe heraus und
— 1 — :
niche mir Aitmnb in ie Haud, indem er ſagte, das ſei mur Fo
A Bohrzeichen ſeineß Mankus.
„Wie erſtaunte Ach, als ich heimkam und das Papierlein
Bffustel Es lagen fünf goldene Ducaten brin! Niemand auf Erden
war glaͤcklicher als ih. Go viel Gelb hatte ich nie beſeſſen,
vollends Bob, das ih wur einmal geſehen, als mir Dinrischen
' ihren gehenkelten Rheingoldducaten zeigte, ben fie am Kag ihrer
Zaufe von ihrer Pathe erhalten ‚hatte Sept konnte ich mir eim
neeß Klejd Kaufen, daß mir, wie. ber F.... geſagt hatte, wirklich
Reih A.
„Dazu ging denn auch das Gelb vollends auf. Ich ſchrieb
meinen lieben Eltern dieſes Glück, und fie freuten ſich in eben
bem Maße darüber, wie Mariechen, bie übrigens yon dem 5... .
nichts wiffen wollte, ba er Ahr hedeutend mit deiner Liebe zugefeßt
hatte.
„Es bauerte übrigens Inum acht Tage, jo gm... . wieder
auf mein Stübchen. '
„Ich komme heute zu Euch, Schneider, fagte er ernfl, in einer
Angelegenheit, an ber Ihr die Schuld traget, und mir alfo auch
heraus helfen müßt. Ich Hab” Euer Gebiht ſauber abgefchrieben
und meinem Pater gefchict. Der hielt es im einem verzeihlichen
Irrthume für meine eigenfte Arbeit und, indem er bem Gebicht
überfchwängliches Lob zollte, fuhr ev fort, daß ein Menſch, der
ſelche Berje machen, ein fo claffliches Latein ſchreiben und damit
fo gewandt Hantiren könne, auch als Doctor ber Rechte promo⸗
viren Binne Da haben wird mund Ich kamn nicht Docter ber
Linken werben, zu gefchweigen „eines ber Rechte. And dos miß
ich, wenn ich nicht weinen Vater unglädiid machen, nis meine
‚ ganze Zufkunft nerkerben will, Nun ſitz' ich geil, mie ein Vogel
gu4 ber Leimmihe, und die Leimruthe iſt Kuer ſchönes Gebicht
Bring’ ich nun kbeine Diſſentation ferkig, oder iſt daB Lakrin darin
— 8 —
fahledgtex, ads im Sedichte, Fo bin ich blamirt bis Ks Grab. Ihr
währt mir mm eine Diſſertation ſſchetiben, Is Hilft "WE niches.
„Aber Sg bibte Sie um Gotteswillen, fügte ich, wie Yan 16
das? Erſtens it es ein Betrug. —
„Ha, ha, dad lachte ver Andere. Betrug? So Se Ihr
mir auch das Gedicht wicht machen vürfen, das war ja auch
Betrug! Ihr mit mir helfe und art ſolchen albernen Neben
mir vom Leibe bleiben.
„Ferner, fuhr ich in großer Venegenheit fort, bin ich Theologe
und Sie find Juriſt. —
„Daß find Poſſen! fiel er mir ein. Mehmet Argend eine
astteamentliche Materie, wie zum Beiſpiel, welches Recht vor ber
Suͤndfluth gegolten. Ye weniger wir davon willen, beflo mehr
Feld zu Hypotheſen und deſto weiter das Gebiet fllr Trebensarten.
Der, was noch befier wäre, nehmet bie moſaiſchen Chegeſetze
Da KGBnut Ihr Ewer Hebräf an den Mann Bringen und eine
‚profunde Gelehrfamfeit an den Tag legen. Kurz, Ihr müßt! Fura
Bezahlen laßt mich forgen 83 find Leute Hier, bie nehmen
huaudert Gulden für eine folche Differtation; ich geb! Euch zweit
hunbert, ungeforbert |
„Mix ſchwindelte ſchier.
„Wie ſteht's aber mit dem Gramen? fragte ich.
„Si, wie ſeid Ihr unerfahren! rief er aus. Je ſchöner hie
Diſſertation, je eher das Eramen erlafien wird. Ueberdies, wenn
bie Herren nur bie Gebühren haben und die Dijjertation, an bie
ſie ſich haften können, fo denken fie an kein Bram, und damncken
Gstt, wenn fie biefer Miche Werhoben find.
„Was wollte ich machen? Er beimgie immer mehr, und am
önbe mußte ich zuſagen, um ihn los zum werben.
IIch ging anfänglich mit innerlichem Wiberfireben an bie
cheit; aber als ich weiter hinein kam, machte fie mir Freube.
Dir Vibliothek ber Umiverfität bei mir einen reichen Gtoff dee,
— 198 —
ben ich verarbeitete, and in ‚vier Wochen Hänbigte ich ihm bie
dickleibige Arbeit ein und ich enspfing zweihundert Gulden! Welch
ein Reichthum für mich Armen! Was ſollte ich mit heim Gelde
machen? "Brauchen konnte ich es nicht. ‚So kam id denn mit
Mariechens Berathung dahin, ed meinen lieben Eltern als Noth⸗
pfennig einzuhändbigen. Das that ich; aber wie erftaunten fie !
„Acht Tage fpäter ging ich am „Schwarzen Breite’ vorüber,
da fah ich das Diplom bed Stubiofus % .. . . als Doctor ber
Rechte unb des Lobes war barim fein Ende.
„Die Folge diefer Doctorpromotion war nun, dB. - - »
zum Aſſeſſor bei dem kurfürſtlichen Chegeriht in Mannheim
ernannt wurde mit einer hoben Befoldbung, und ehe ich Die
Univerfität verließ, war er einer ber gelehrteften Räthe dieſes
omgefehenen Collegium. Er faß dem Glüd im Schooße, Batte
feine Garriöre mit Glanz gemacht und Feine Seele abnete, wer ber
Urheber einer Differtation war, bie im Drud unter feinem Namen
erſchien, und vielfach öffentlich gerähmt wurde.
„And wie wirb e8 Dir ergehen, dachte ih. Mein Gemiffen
fügte mir, dag ich meine Zeit gut angemwenbet hatte; ich Zomnte
es mir felber nicht leugnen, daß ich etwas Tüchtiges gelernt
batte und das zeigte‘ fih auch im Examen, benn ich erbielt von
Zwölfen, bie mit mir waren geprüft worden, das beite Zeugniß.
Aber was half's?
„In bee gefegneien Kurpfalz mwimmelte es von Ganbibaten
und es waren welde ba, bie bereit vierzig Jahre alt waren,
und no das Loos bed Kranfen am Teiche Bethesda theiiten.
Ueberbies hatte fi bei dem eben SKirchenratb ein Gebrauch
ausgebilbet, ber zu bem ebelften ber Welt und Gefchichte gezählt
werben Tonnte. Alle Pfarreien. bed Landes waren nänfi in
verfchiedene Klaſſen, je nach ber. Höhe. ber Pfründe eingetheilt.
Jede hatte ihre Tare, nämlich einen feſt Hipulirten Betrag, welchen
ber Gaubidat an bie Herren Wirchennäthe zur bezahlen ‚hatte, wenn
—
ö— — — — —ñ— — —— — —
— — — — —
— 128 —
er die Stelle erhielt. Mer reich wer, lonnte ba ſchuell ankommen;
ber Arme verfümmmerte in feinem Glend. Außerdem waren bie
Herren beſonderen Einflüſſen zugänglich unb bie entfernteftg
Betterfchaft wirkte mehr, ala die vorzüglichften Kenntniffe und
ber reinfte Wandel. Das waren bie Ausfichten, die ich hatte. —
Denn ber gute Infpector war geftorben, beffen: Arm im Kirchen-
rath Etwas für mich hätte wirken können.
„Ich machte meine . Bifiten bei ben Herren, erhielt zum
Berfprechen golbene Berge — binter been eine wife Haide
ber troftlofeften Ausſicht lag So ging id denn nach Labenbury,
um mit meinen Eltern und dem guten Herrn Rector zu beratben.
Die Anſicht des Rectors fiegte. Er meinte, ich follte in Helbelberg
bleiben, wo Gelegenheit zum Privatunterricht fe, und ben Tage
dieben von faulen Studenten mit Differtationen aushelfen. Die
Mufif fei für mich bie allerergiebigfte Hülfsquelle, die Tolle ich recht
fließen machen.
„Sp ging ich dern mwieber nach Heidelberg und die treffliche
Frau Nöthlich gab mir ihr Stübchen wieder umfonft ein, weil
ih bem Peterchen nachhalf, ber mittlerweile auf die Neckarſchule
gelommen war, und bem es beträchtlich an Dem fehlte, was mar
nicht Faufen ann.
„Nach und nad befam ich ben Mutunterricht in den erſten
Familien der Stadt, auch anderweitigen, daß ich mein Auskommen
hatte. An unwiſſende Stubenten ertheilte ich ben bendthigten
Unterricht im Lateiniſchen, Griechiſchen und Hebräifchen; ich ſchrieb
juriſtiſche und philologiſche Differtationen, überſetzte medizinifche
tm das Lateiniſche und erwarb mir mit ber Zeit ein ganz
anftändiges Ausfommen; allein mein Amt, um meinen Kräften
gemäß wirken zu können, blieb ein Gegenfland ber Wünſche und
— in weiten ‚geld. Ich hatte eben Kein Geld. Um jede Stelle
meldete ich mich, aber ich erhielt Feine, weil, wie man mir fagie,
— m —
ein erer Bewerber ba wear, ober ine Hnterlaffene Tochter Ines
fefigen Marters mit der Pfarrſtelle muffte geheirecſhet werben.
»„Es wird Eu einleuchten, daß id eine ſolche Zugabe nicht
annehmen Tonnte — benn — mene Seele Bing mit Heifigen
Banden an tneinem Mariehen, bie fo mande gute PBarfie
ausgeſchlagen Hatte, um mir die Treue zu bewahren. Wir
hatten uns lange treu geliebt und in unſeren Herzen Heilige
VDreue ‚geloht, che das Wort über ihre Lippe ging Endlich aber
wer auch bie Scheu nor dieſem Belenninig überwunden merken,
und wie gelobaen uns bie ewige Treue. Sie war bei ber Freifrau
von Zilnhardt Kammerjungfer und fperte fich zu unherem Haus halt
und ich that heigleiiken. Die Sparpfemnige wuchſen sub bie —
Jahre, aber bie Hoffumg ſchrumpfte immer mehr zuſammen.
„Meine lieben Eltern waren alt geworden und mein Vater
ſtarb endlich. Ich nahm meine liebe Mutter zu mir und fie führte
unſeren Meinen Haushalt, bis auch fie dem geliebten Gatterr folgte
Ach un Band ich len. Acht und dreißig Jahre war ich alt,
und nod Immer Candidat und Fein Mienfch fragte mad mir, als
etwa Krasile, faule und zu eimer Reiſe luſttragende Pfarrer aus
bez Ungegend won Heidelberg, für bie ich prebigen ſollte. I
that's auch; bie Gemeinden hörten mich gern, aber an em
Berforgung dachte Niemand, am mwenigfien bie Herren Kirchenräthe,
bie meine Armuth kannten. Nachgerabe murbe ich des Lebens
überbeüffig, troſtlos und fchmermüthig.
„Da beachte ih an ben Herrn Chegerichtänatb, deſſen Donter:
deplem ich erwirkt, und es kam mir ber Gedanke, ihn an has
Wort m erimmem, bes er mir einſt gegeben, mir zeitlebens
dankbar fen gu wollen.
„Ich reiſte nach Mannheim und ließ mich melden. Obgleich
ich meinen Namen beutlich geſagt, wurde ich drei Tape nach
elnander abtzewieſen. Bald war ber Hert Ehegerichtsrath in ber
=
— Bi —
Sitzung, bald mit Geſſhatten. überhäuft, bald. hatte or vornehme
Geſellſchaft. Endlich wurbe ich vorgelafjen.
„Bir: fabı mich befvemblich -an, ala. ich, meinem. Namen nannte.
Habe, meines: Billa, nicht die Ehre, fagte er, Sie zu Tann.
Alauben dev Herr Ehegrnichtsrathn ſagte ich, inmenlich vor
Zam glühend, bag ich, Sie davan exinnere, daß ich: Ihnen. bie
Doctordiſſertation jchrieb., —
„Ath ia, fügte er. haranfı lachfind, die Jugend ifi-off tige;
und boedient ſich, fremder Achſelm für. bie. eigene Bärbe, während
ſio Be. ſelber beſſer tragen künnte: meines. Wiſſens habe ich Ihre
Muhe anſtändig honorirt oder ſollte —
„Mein, nein, vief ich. faſt zitterub, vor Entrößumg; bad: if’
nicht, woran ih Sie erinnern wollte, ſondern an Ihr Beriprachen,.
fin nich einmal Yyren. Einfinf: geltend zu machen. Ich, bin acht
und dreißig Jahre alt und bin noch Candidat. Kenntniffe habe ich
das wiſſen Sie am Beſten. Da: wollte ich Sie um. Ahr. Yirwort
bitten: Ich habe: Sie zum Manne gemacht,. Gie follten mir zu
Brod helfen. Nun fehe ich, daß ich: mich geirrt. Ich habe: nichts
au boffen. Leben Sie wohl, Herr Doetor!
„Ich, wandte mich. und ging.
„Der Menſch ſtand da. wie eine: begoſſene Kae, Der. reiche,
mächtige Biasn: erbleichte,, umd. ich,. dev arme, vergefiene,, brodlofe
Candidat, ging ftolz. wie: ein: König, von dannen.
„GEs war- Samſtag. ch. Lief; im meiner Aufregung, in bew.
Schloßgorten, bis fi: mein Gemüth, bernhigt hätte; aber‘ meine
Eefuhle waren: zu. jehr: erregt. ich. ſetzte mich am eine: verborgene
Stelles fügte. den. Kopf in die: Hand. und — ein Thränenfirom.
entguolkı meinen. ·Augew
„Vor mir: lag eim veraumteg: Leben obne Ziel, ohne Ausſicht.
Wa: ſollte aus;: mir. werben? Konnte. ich Mariechen mit. mir in
bag. Elend hinabziehen, das ich über mich kommen ſah? Immer
trüber wurde es mir um die Seele und immer’ heftiger rannen
— 18% —
meine Thranen. Die Erfährung, die ich heute gemaqht, wur bie
allerbitterite meines Leben.
Es wer fon dunkel, als ich in das Wirtshaus zurückkehrte,
wo ih eingekehrt war. Der Wirth war ein rebfeliger, braver
Mann, ber ih Mühe gab, mich zu unterhalten. Er erzählte mir
Hof: und Stadtgefhichten, die ich kaum Halb hörte. Endlich fagte
er, ber Organiſt an ihrer Kirche fei geftorben, ımb morgen fei
Probe vor ber Wahl. Es hätte fi aber nur Einer für fähig
gehalten, bie Stelle des ausgezeichneten Mannes anzunehmen, ben
ber Tod ber Gemeinde entriffen. Die Stelle trage ein ſchönes
Gehalt ein; das Haus fei fehr hübſch, ber Garten groß, und ba
ber Organift Feine Schulftelle habe, fo fe mit Muſikumterricht
viel zu verdienen in ber Stadt.
„Ich weiß nit, wie es kam, dies Wort fuhr wie ein
zimbenber Blig in meine Seele.
„Wie? dachte ich, wenn Dir ber. Herr bier eine‘ Ausſicht
eröffnete? Iſt's denn nicht auch ein feftes, ehrliches und löbliches
Stüdlein Brod, das Du Dir bier erwerben könnteſt? —
„Ih ſann, während der Wirth fortplauberte, und fragte
endlich ‚ob man ſich zum Spiele melden müſſe? Und bei wem?
„Sr nannte mir einen Vorfteher und ich ging fogleich Hin.
„Sie kommen wie gerufen, fagte mir der freundliche Mann,
benn foeben bat. der Lehrer, welcher fih um bie Stelle beivorben,
mir abgeſchrieben. Es ſteht alfo bei Ihnen, ob Sie morgen bie
Orgel jpielen wollen. So war denn bie Sache fchnell abgemacht.
Der Vorſteher, der Gefallen an mir zu finden ſchien, lud mid
ein, an fein Anftrument zu treten. Ich dachte, das foll fo eine
Vorprobe fein, und ſetzte mid. Das Inſtrument war vwortrefflich.
Ich hatte Tange fo Feines gefpielt. Wie mir's Bfter ging, fo traf
fih’3 denn auch bier. Ich vergaß, daß außer mir noch Jemand
in dee Stube war. Alles, was ich heute erlebt, bewegte auf's
Neue meine Seele und im wilben Sturm ber Gefühle erbrauften
—2
1 — -
die Accorde. Allmäͤlig Iegte fi der Sturm. Gine.. tiefe
Wehmuch zitterte buch die Galten. Weine Secke Klage dem
Herrn, was fie. ſchmerzlich durchgekümpft, und bad Bewußtſein, '
daß er alle Geſchicke ber Menſchen zum Beſten lenke, ſprach
fich in milden Weifen aus, und ging’ zulegt in den Choral über:
„Befiehl bu deine Wege ꝛc.“, ben ich variirte umb fugenartig
buscharbeitele, bis ih mit einem vollen Accoede das Amen
ausſprach. Ach fland auf. _
„Mit Berwunderung ſah id ben ganzen Familienkreis
verfesumelt; bie Mutter, zwei Töchter und zwei Snaben, bie
Söhne de Hauſes, waren meine tefergeifienen Zuhörer geweſen,
ohne daß ich es ahnete.
„Herr Candidat, ſagte der Vater mit Begeifterung, Sie find
ein Meifter, wie mir Wenige vorgefommen find. Ich bitte Sie,
nehmen Sie die Stelle an. Es wird Sie nicht gereuen. Das
Vermögen der Kirche iſt groß. Der Kirchenvorſtand wird einem
Mann Ihrer Kunſt gern ein Erkleckliches zulegen. Und dann, bitte
ich, geben Sie meinen Kindern Unterricht.
„Die Mutter reichte mir ihre Hand und fagte, ich banfe
Ahnen für den Genuß, den Sie und bereitet und lege zu ber Bitte
meines Gatten noch Eine ein, feien Sie heute unfer Gaft zum
Abendbrod, morgen zum Mittagel
„Ach jal Ach ja! baten die Kinder.
„Mir wurde jo eigentbümlih zu Muthe, daß ich faft meinem
Gefühle nicht wehren konnte Das war ein Abftandb gegen heute
früh bei dem Chegerichtärath! Ich Fonnte den Bitten nicht wider-
fiehen und blieb. Während bes Eſſens erwieberte ich dem Vater,
der mir fagte, er babe meine Phantafie fo recht mit feinem Herzen
begleitet, wie, fie jo recht Daß, was ich an biefem Tage erlebt,
abgefpiegelt babe. Ich mußte erzählen und that's. Ich ließ fie in
mein Leben bliden und das gewann mir dieſe edeln Herzen
vollends.
— 3 —
„wo: empört: Warem fie über Das, was Fe hörten“ Auf
Nee bat mid: der Ber, meinen inner Berufe zur Wii zır
folgen. Ge zdgte mir, wie Mannheim gerade ber Ort dafür fei,;
wid: malte mir, otzie zu: lebtafte Farben, eine fehöne Zukunſt.
EB wan fpät, als ich dieſe liobe Syamsilie verlieh. Schlafen koönnie
ich nicht.
„UWE hane ver Wnfleher;, der ein: reicher, atgefegeitee MaRT-
mann war, Alles bereit? geordnet. In feine: Hauſe ecevccrtkeke
id. dao: eb: Der Hliiter: brachte es endlich. Es war wiebes das
Berclichee: „Back auf x.“, und meines Valers fchöne Coume ſon,
bie: ich unvergeßlich inne hatte, tea mir int bie Gebanlen.
„Es läutete endlich.
„Ich ging mit dem Kaufinanne zur Kirche. Sie war gedrängt
voll. Ich ſetzte mich auf die Orgelbank und ſpielte meines theuern
Vaters Compoſition und fie bob meine Seele zum heiligſten Ge
fühl. Ich glaube, daß ich nie‘ feelenvoller gefpielt babe. Ohne
an ben Zweck zu gebenfen, zu bem ich fpielte, Iegte ſich wieine
ganze Seele in bie Töne, bie aus dem herrlichen Inſtrumente
wunderbar Bervorquollen. Dann ging ich in bie Melodie über‘ und
leitete ben Geſang. Beim Schluffe beffelben blieb ich in ber Melodie,
und fchloß, indem ich fie Teife verhallen ließ.
„Der Kaufmann, ber neber mir fland, preßte meine Hand in
die feine. Er batte Thränen in ben Augen. Daß ih es kurz
made, ber Kaufmann führte mich nach dem Gottesbienft in bie
Saccriſtei. Dort waren bie Geifllichen und die übrigen Vorſteher
verfammmelt. Alle beſtürmten mich, die Stelle anzunehmen, und-
verfprachen eine Vermehrung. ber Befolbung von hundert Gulben-
für. meine Lebenszeit, wenn ich bei ihnen bliebe.
„Mein Herz ſchlug heftig. Ich kämpfte einen beißen‘, inner
KHampf. Sinem wit Liebe gewählten Berufe zu entfagen und in
eine andere Bahn einzulenten, ift fchwer. Ich bat mir vierzehn
— — DR pn
— — — 2* — —
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Dage Vedentzelt ans und veiſte noth vor Tiſche ab, weil es mich
drängte, Mariechen Alles zur Entſcheidung vorzulegen.
„Ich kam gen Heidelberg mit ſchwerem Herzen. Noch am
Abend eilte ich zu ihr, Alles ihr ‚mitzufgetlen.
„Ich ahnete nicht, daß meine Bewerbung um bie Organifen-
Relle fo ſchnell dem hohen Kirchenrathe zur Kenntniß gekommen
und allerdings im Schooße beffelben einen Sturm hervorgerufen hatte.
. mDaß ich dem geiftlicen Amt untreu werben und eine unter
geordnete Stelle annehmen wollte, weil fie mich hatten viele Jahre
barben Yaffen, ohne mir ein Amt zu geben, das mußte Auffehen
erregen, mußte harte Urtheile hervorrufen, mußte den allgemeinen
Unwillen gegen den Kirchenratb aufjtacheln und Tonnte möglicher:
weife zu den Ohren des Kurfürften kommen.
„Dr Herren waren zu Hug, um wicht bie Gefahr und die
unabweisbaren Nachtheile zu erkennen, die ihmen drohten. Es galt
ihnen, Alles aufzubieten, sen Sturm zu beſchwören. Selbſt in’
ihrer Mitte wurden Stimmen laut, die das Verfahren wit gerechtem
Unwillen tadelten und bie wurden betroffen, deren Thun am un—⸗
lauterſten in der Beſetzumgsweiſe der Aemter hervorgetreten wer,
Es gingen Brieflein von Einem zum Anderen und auf den folgen⸗
ben Tag wurde eine Sitzung und Berathung anbesaumt, bie Mittel
juchen jollte, dem brohenden Uebel zu begegnen. Das Alles trug "
fh zu, als ich bei Mariechen ſaß und ähr meine Erlebniffe in
Mannheim mittheilte.
„dðSie Härte mir Pille zu. Es lag eine tiefe Wehmmth im ihren
Sügen, bie mir weht in das Hedz ſchnitt. Als ich Ihr Die Begeben⸗
heit won dem herzloſen Chogerichtäueithe mittheilte, entflel ihrem
jtzonen Auge eine Thrane.
„Wohl dem, ſagte ſie, der ſein Vertrauen nicht auf Meunſchen ſetzt!
„NRecht innig dewegte 88 ſie, als ich ihr fagte, wie ich im tiefen
Schwmerz im Schloßgarten geſeſſen.
Horn’s Erzählungen. IX. u. 9
U
— 1% —
„Werbe nicht muthlos, fagte fie, Gott wird Dir ja fon eine
Hülfe bereitet haben, wo Du am gebeugteften warftl,
„Das bat er auch, fagte ih, und erzählte ihr das Folgende,
bei dem Wirth und bei bem Kaufmann Reiter Erlebte.
„Sie wurbe immer gefpannter, und als ich enblich fagte, daß
ich zum Organiften erwählt jet, mir aber Bedenkzeit außgehalten;
daß fie die Beſoldung verbeflern wollten und daß ich eine forgen-
freie Stellung haben würde, da faltete fie ihre Hände und fagte:
Sieht Du, Tieber Chriftian, ber Herr bat Weg allerwegen und an
Mitteln fehlt’3 ihm nicht!
„Aber was bältft Du von ber Sache, liebes Mariechen? fragte
ih. Sie erfchrad.
„Es ift Deine Sache, Chriftian, fprach fle rubig und fefl.
Mein Wunfch, meine Anſicht, darf nicht im Mindeſten entfcheiben.
Du mußt vor Gott prüfen und bann wählen. Du gibſt einen
ſchönen Beruf für immer auf, bedenke daß; bebenfe aber auch, daß
"Dir eine fhöne, wenn auch untergeorbnetere Stellung geboten wird,
die aber bennoch eine fehr ehrenwerthe tft und zu bem Dienfle bes
Heren wefentlich beiträgt, wenn auch in anderer Weile Ich will
recht innig zu Gott beten, fagte fie, baß er Dir Licht gebe, daB
Rechte zu wählen.
„Damit entließ fie mich, benn bie Stunde war ba, wo fie zu
ihrer Gebieterin mußte.
„Ich ging heim und am Abend Iniete ich nieber und betete
heiß und innig zu Gott, daß er mir ben rechten Weg zeige, und
bann legte ich mich nieber und ſchlief bald ein; aber ein feltfamer
Traum beichäftigte mid. Ich war in einer Ichönen Kirche und
mein lieber, jeliger Water ſaß auf ber Orgel und fpielte herrlich.
Ich horchte mit ganzer. Seele ben wunderbaren Tönen. Da blidte
er mi an und winkte mir. Ich ging zu ihn an bie Orgel.
Komm’, fagte er liebreich, fee Dich nieder und fpielel Und vor
mir ſtand dag Choralbuch aufgefchlagen und die Melodie: „Was
- . -
.
s
— 131 ,—
Soft thut, das iſt wohlgethan.“ Und ich griff freudig in bie
Klaviatur und ſpielte die Melodie. Da erwachte ich. Es war
heller Tag.
„Ich ſtand auf, ſetzte mich nieder und ſchrieb dem Kirchenvor⸗
ſtand in Mannheim, daß ich die Stelle annehme.
„So wohl war mir lange nicht zu Muthe geweſen. Es war
Friede in meiner Seele, denn ich ſah den Traum als eine neue
Weiſung Gottes an, die Stelle anzunehmen, die mir ohnehin wie
eine Fügung Gottes da entgegengebracht wurde, als ich hoffnungs⸗
los und troſtlos daſtand.
„Nie ſchmeckte mir mein Frühſtück beſſer, als heute; nie ging
ich fröhlicher an die Arbeit. Vorher aber ſchrieb ich Alles Marie
chen, und Nöthlich's Peterchen brachte mir die An wort zurück, die
nur aus den Worten beſtand: „Was Gott tbut, das ift wohlge⸗
than, dabei will ih verbleiben |“
„Ganz unerwartet kam am Mittag des Ririjemratöe Bote, ber
mid zu dem Kirchenrathe 9... - . . beſchied.
„Was mag der wollen? fragte ich mich verwundert, zog meinen
beſten Rock an und ging hin.
„Der Herr ſah ſehr finſter drein.
„Setzen Sie ſich, Herr Candidat, ſagte er, denn ich habe ein
ernſtes und nachdrückliches Wort mit Ihnen zu reden. Ich that,
wie er geboten, und er hob an: Es iſt eine Mähr zu Ohren des
hochwürdigen Kirchenraths gedrungen, die ihn mit gerechtem Un⸗
willen gegen Sie erfüllt hat. Man hat uns geſtern durch einen
Eilboten von Mannheim berichtet, daß Sie geſonnen ſeien, die
Organiſtenſtelle anzunehmen, bie ber dortige Kirchenvorſtand zu be
feßen bat, . Wir hoffen, daß es bloß ein blinder Lärm if.
‚Da er einen Augenblid inne hielt, jo fiel ich ein und fagte:
Der hochwürdige Kirchenrath hat die volle Wahrheit gehört]
„Da ſprang er auf und wurbe ganz bleih. Wie? rief er, es
‚wäre wahr? Sie hätten fo ganz die Würbe bed geiftlichen Amts
9*
— — wm — — — —
-
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aus den Auge gelebt, daß Sie, ein Thedlogus, eine Orgemiftenftehle |
angunehmen im Einne hätten?
„Srlauben Sie, Herr Kirchenrath, fagte ih, daß ich Ihre
Meinung derkgtige. Seht vierzehn Jahren bin ith Candidat. Daß
ich arm bin und wur mit- Kemmer und Sorgen mein Brod aß, eft
Ihnen befannt; daß meine Kenntniſſe üchtig ſind, heben Ste ſelbſt )
brurkunden helfen; daß ih mich um jede erledigte Pfarrſtelle im |
Bunde bewarb, ift weltkundig, wie Das, daß ih Feine ethielt.
Innner waren Bettern ba; Immer erhielten fie Solche, die beyimfiigt
waren oder bie Mittel hatten, ſich die Gunft zu erwerden und zu
fichern; mehrmals wurben ſchmachvolle Bebingungen gemacht, als da
währen: bie Heirgth Ha Pfarrtwittwe vder einer Tochter, die ich nit
eingehen komite. In Summa — Fir mich fand ſich feine Stelle.
. Da bin ih der Mißhandlang mlide geworben; mühe des kümmer⸗
lichen Erwerbs; müde des Duldens unb Harrens, und babe ben
ſchönſten Winfchen meines Herzens, dem mit Niebe gewählten, mit
Treue erftrebten Beruf entſagt. Ich bin ernählter Organift. Die f
Sache if zu Ende und ich glaube, auch unſere Unterredeng, fo |
Gott will, die legte in dieſer Welt.
„Ich nahm meinen Hut, verbeugte mich und wollte gehen.
„Ihr hättet den hohen Herrn fehen follen, wie er erdfahl aus:
jah, wie feine Lippe zitterte; wie Grimm und Scham in ihm um
den Vorrang flritten |
„Ex faßte krampfhaft meinen Arm und drüdte mi auf den
Stuhl zurüd,
„Sie Haben da harte Worte gerebet, bie ich nicht anhören
dürfte, fagte er nach Faſſung ringenb; aber ich will fie nicht gehört
' haben, will fie vergefien. Nur. das Eine muß ich Ahnen Tagen,
Sie müflen die Zufage zurücknehmen. Sie beſchimpfen ben Stand
ber Diener der Kirche heiss. Sie bringen den hochwürdigen
Kirchenrath in eine fatale Lage. Das unverbiente Urteil ber Welt
.
4
— 185 —
wird ihm trefſen. Haben Sie das bedacht? Hbven Ste weiter!
Wir haben heuie in der Vormittagsſitzung beſchloſſen, Ihnen bie
erſſe vacant werdende Stella zu Übertragen. Hären Sie es!
Schreiben Sie auf deu Stelle ab. Hier iſt Feder uud Tinte!
„ir wear während dieſer Worte eine Ruhe in bie Geele ge
keennmen, bie mir eine Feſtigkeit bed Willens. gab, welche auch biefe
Berfuhung überwanb.
„Nein, fagte ich fe. Zu lange haben Sie mich fchmachten
| Infien. Die Jahre meiner Jugend haben Sie tobtgeichlagen. und
| nun, wo Sie Schwach und Schaube wittern, wollen Sie einen
| Armen anftellen. Ich babe fein Geld, eine Stelle zu beahien.
| Leben Sie wohl! — .
„Ich ging und fah nach, wie er bie Hände zufammenfchlug
und in feinen Seſſel ſank.
„Ich hatte mein Herz ausgeſchüttet und war fianbhaft ge-
blieben. Das gab mir Frieden. |
„Ich ging heim in mein Stühlen und dachte nach Über das
unftlige Treiben, ber Menschen.
„Nach einer Stunde kam ber Mischenraibähote wieber und
beachte einen Brief.
„Ich war lange zweifelhaft, ob ich ihn eubrechen follte; der Bote
mar angemiejen, auf eine Antwort zu werten.
„Er bat mich, wahrhaft flehend, ‚dem Brief zu erbrechen.
„Ich that's eudlich.
„Es war die Ernennung zum Vicarius des alten Piarrers
zu DE bei Mannheim. Ich traute meinen Augen kaum.
Rem Pfarrer kdannte ih wehl. Er war ein noch ſehr vüfiger
Mann, der aber zu bequem: wer, has Fibial zu bebiemen, und fick
deßhalb einen Birar hielt.
&& wor ein PRothſchuß, das Ing am Tag. Un Gott weiß,
wie fange ich wieder hätte warten Toeusee, zumal ich nun ben Sieb
L |
“
EEE EEE
— 14 —
Wehe über meinem Haupte ſah, da ich von ber Leber weg geredet
hatte, wie man's von einem Ganbibaten nicht erwartet hatte. _
„Kurz befonnen, feßte ih mi nieber und fchrieb, daß ich als
wohlbeftallter Organift der Kirche zu Mannheim fürberhin feinen
Dienſt als Diener am Worte mehr beanfpruden könne unb biefe
Ernennung nur irrthümlich erfolgt fein müfle, indem ih am heu—⸗
tigen Mittage Herrn Kirchentath 9... .... meine allerbündigfte
Srflärung abgegeben babe,
„Damit war denn für immer bie Brüde abgebrochen, die eine
Rückehr möglich gemacht hätte Ich eilte fogleih zu Mariechen
und tbeilte ihr Alles mit.
„Ste lächelte felig.
„Ab, fagte fie, Dir hat Gottes Gnade ben rechten Weg
gezeigt, nun wollen wir ihm dankbar bleiben unfer Leben lang.
Ich ging nun glei am anderen ‘Morgen nach Ladenburg, wo ber
wackere Rector noch, hochbetagt, lebte. Auch er billigte vollfommen
meinen Entſchluß und wünſchte mir Glüd.
„Bon da ging ih nah Mannheim, wo ich mit Freuden -
“ begrüßt wurbe. Hier orbnete ich Alles zu meinem Weberzuge.
„Bon meinem Sparpfennig und bem Mariechens befiritt ich
nunſere befcheidene Einrichtung. Dann kehrte ich nach Heidelberg
zurüd und leitete dad Nöthige zu unferer Trauung ein, unb als
fie vollzogen war, zeiften wir, reich befchenft von ber ebeln Dame,
bei ber Mariechen feit Jahren gewefen war, an unferen neuen
Wohnort.
„Wie baben ben Schritt nie bereut. Unfere Lage war eine
forgenlofe unb glückliche bis heute. Zwar bat ung ber Herr ben
Kinderfegen nicht befchert, aber unſere Tage bat er Heiter und
glücklich ſein lafſen. Dafür ſei er gelobt und gepriefen.
„In Mannheim find wir allzeit mit großer Achtung und
Chrerbietung behandelt worden, und in dem großen reife unfever
‘
)
— 185 —
Freunde war die Familie bes braven Kaufmannes Reiter bie erſte
und theuerſte.
„Noch Eins muß ich erzählen, ſagte der Vetter.
„Mit dem Herrn Ehegerichtsrath kam ich nie zuſammen; doch
grüßte er mich allemal ſehr zuvorkommend, wenn er mir begegnete.
Er ſtarb vor etwa ſieben Jahren. In der Todesanzeige ſtand zu
leſen, daß er der gelehrteſte und tüchtigſte Beamte geweſen, und
ba ſes für die Wiſſenſchaft nicht genug zu beklagen ſei, daß er,
da ſeine ebenſo gelehrte als geiſtreiche Doctordiſſertation ſo viele
Kenntniſſe verrathen und noch ſo Schönes habe hoffen laſſen, unter
den vielen Berufsgeſchäften, die Zeit nicht mehr habe erübrigen
können, den Schatz ſeines reichen Wiſſens der Welt durch weitere
gelehrte Werke zu erſchließen.
„Ich lächelte, als ich das las, und weite d das Blatt nn meiner
lieben Frau.
„Ste lächelte auch und fagte: Diefer fäet, und Jener erntet.
Aber wie erflaunten wir, als fich in feinem Teflament ein Codicill
fand, das beftimmte, baß ber Herr Organift Chriftian Schneider
ein Legat von Taufend Gulden erhalten folle, weil er, ber Her >
Ehegerichtörath, ihm vielen Dank fchuldig fei.
„Siehſt Du, fagte Mariechen, der Menſch war doch noch ber
ſchlimmſte nicht!
„Was mein eheliches Leben betrifft, ſchloß ber Vetter, fo ift es
ein beiterer Frühlingstag gewefen, und ber Feierabend wird, Gott
gebe es, ein Heiterer fein, denn ich Hoffe, wir follen nicht Tange
getrennt bleiben.‘
„Sehen Sie, fprad mein Nachbar, als er biefe Gefchichte
beendet hatte, das iſt ein Stüd Furpfälzer Gefchichte. Wenn darum
die Leute bie alte Regiment loben, geht's mir allemal wie ein
Scheermeſſer durch's Herz. Ja, e8 hatte fein Gutes, aber es war
ganz abſcheulich viel Schatten bei dem wenigen Licht.
— 16 —
„Um aber noch einmal anf meinen Haum Vetter zu Tomamaesn,
fo batte er eine Vorahnung am Schluffe feiner Erzͤhlung uß
gefprochen, bie ihre volle Erfüllung fand. Seine trefflihe Frau,
mit ber er ein Leben wie im Himmel ſchon bier auf Erben geführt, .
flarb zuerft, und nicht volle adjt Tage drauf folgte bie ganze Stadt
“ Mannheim dem allverehrtien Manne zu Grabe. Einen Organifien
wie ihn Fonnten fie nicht wieber finden.‘
— 37 —
Ber BSeſſel des Ohms Zoſeph.
Eine Mainzer Stadtgeſchichte aus der goldenen Luft.
N
————
1.
Es iR eine allgemeine Elage, befondergehei alten Handwerkae
meiftere, daß das fabrifmäßige Betreiben ber Handwerke ha
Berarınen der nicht felbfiftändigen Meiſter mit veißender Schnellig-
keit herbeiführe, indem es fie zwingt, für Einen ihres &leichen zu
arbeiten, ben bie Gunft ber Verhältniſſe zum fchwunghaften Betriebe
befühigte, während fie beffen abhängige Gefellen werben. So ift «&
in ber alten Rheinftabt Mainz auch mit bem Schufterbannunaed
eegangen, unb wer in ber Schuftergaffe und im ber neuen Halle
am Rhein, auch wohl in anderen belebten Theilen ber Stabt, bie
Schub umb Gtiefelläben fieht, wer es weiß, daß auf allen’ nahen
und: fernen Märkten unb Meſſen Mainzer Schuhfabrifanten ihre
Weoen auffchlagen mit ihrer wirklich ſchönen, dauerhaften und
preiswürdigen Waare, dem wird es begreiflih, daß viele arme,
herabgelommene, darbende Meiſter für ben Einen reichen Zauft
gemaifen arbeiten, ber dem Preis beftiumen kann, um den fie fie
Wagen, und ber dem Glüde im Schooße fist, während fle an ber
Werkbank, neben bemfekben, ihre Tage friften im Schweiße ihres
Angaſichts.
Davon wußte mit ſ¶weren Seufgern Eimer zu reden, dan Ins
. Süd nie fonkerlih framdlich gelächelt Es war ber alte Meiſter
Glhckner, der in der goldenen Luft wohnte, im einer Straße,
die jedes Mainger Sind wohl. kennt und auch weiß, wie fie iR
Green Zeiten dieſen Kamen gewonnen, ber heutzutage wie ein
_ 18 —
bitterer Spott klingt, ba dort wohl Luft in Hüll' und Yülle, auch,
wie damals, reine und gefunde, zu athmen tft, des Golbes aber
nicht fonberlich viel gefunden wird.
Es lagen nun ſchon fiebenzig Jahre auf des braven Mannes
Naden und hatten ihn gar tief gebeugt, und ber Schnee ber Jahre
lag auf dem Haupte nicht erft ſeit kurzem. Auch er war fröhlichen
Muthes aus ber Fremde gefommen, weil er etwas Tüchtiges gelernt
hatte und jung und Fräftig war; auch er Hatte den firengen Anfor-
derungen feiner Zunft in Prüfung und Meifterflüd genügt und war
mit Koften und Ehren Meifter geworben; auch er hatte ſich in ficherer
Ausficht ausreichender Kundſchaft gefekt, hatte ein Nachbarskind
beimgeführt und blidte voll Hoffnung in die Zukunft, denn man
fagt ja, das Handwerk babe einen goldenen Boden. Es war auch
gut gegangen, aber nun kamen Kriegäzeiten unb das find Sorgen
und Jammerzeiten; es kam ein Bombarbement ber Stabt, eine
lange Belagerung, Alles wurde theuer, Jedermann behalf fi und,
was noch ſchlimmer war, es kam eine peitartige Krankheit. Aller
Verkehr ftodte und auch Meifter Glöckner wurde von Krankheit und
Roth heimgefucht. Seine Kinder ftarben bahin, er und feine Gattin
genajen zwar wieber, aber er war weit zurüdgefommen. Sein Bater-
haus, ein zweiſtöckig Haus von altem Anfehen und alter Bauart,
war, als ein Holzhaus, baufällig geworben; follte eg nicht 'bie
Bewohner unter feinen Trümmern begraben, mußte es erneuert
werben. Da blieb benn Feine Wahl, er mußte ba8 Haus mit bem
Meinen Gärtchen in eine Hypotheke Iegen und es herftellen. Um
aber arbeiten zu Zönnen, brauchte er Leber — unb Gelb fehlte
Es blieb aljo nichts übrig, als daß er borgte bei bem Leberhändler,
unb das Borgen reimt auf nichts befjer als: Sorgen alle Morgen.
Als er bie befümmerte Miene feiner Frau fah, fagte er tröftend:
„Reichen, vom Berbienfte wirb’3 glei wieber bezahlt.“ Der
Berdienft ging inbeffen nicht gleich ein, ba Glockner auf Rechnung
für viele Kunden arbeiten mußte; um zu leben, beburfte man abev
. 1
DE BG
D . ‘
.
— 189 —
des Geldes, wie befcheiben man auch lebte, und als bie Nechnungen
bezahlt wurden, — blieb ein Theil der Schuld flehen und neueß
Borgen fteigerte des Lederhändlers Guthaben. Glödner, der früher
mit zwei Gefellen arbeitete, ließ einen bavon ziehen und faß halbe
Nächte an der Werkbank. “Mittlerweile waren bie Zünfte mit ber
Sranzofenberrfchaft zufammengebrochen. Wer ein Patent Löfte, durfte
fi als Meifter feten. Die Zahl berfelben in der goldenen Luft
mehrte fih. Die jungen Meifter riffen die Kundſchaft an fi und
brüdten die Preiſe. Meiſter Glöckner entließ bald auch ben letzten
Geſellen und arbeitete allein und bämmerte manchen Seufzer im bie
Sohlen hinein, bie er auf feinen Knieen ſchlug. Es follte aber
noch herber für ihn Tommen. Sein Nettchen, die treue Gefährtin
feirrer Tage, ſchenkte ihm noch eine Tochter und fland aus dem
Wochenbett nicht mehr auf. Das beugte ihn unenblich tief, aber
er vaffte fi) gewaltfam empor, denn er hatte num noch ein Weſen,
für das er forgen mußte, und ein fo Hülflofes, fo theuer erfaufteg!
Durch die lange Krankheit feiner Frau war feine Kundſchaft
noch mehr zuſammengeſchmolzen, da er Krankenpfleger fein mußte
unb fie daher nicht raſch genug bedienen konnte. Da blieb nichts
übrig, als aufs Stüd für bie Schubfabrifanten in bie Stadt zu
arbeiten. Er war Zunftmeifter gemwefen und nun war er Gefelle
eined Mannes, der bei ibm das Handwerk erlernt und nicht einmal
Zunftmeifter war, fondern nur ein Patent Hatte, — aber es wear
fo. Dennoch hatte er fein Auskommen und fonnte auch bte Zinfen
feiner Hypothekar- und feiner Leberfchulb bezahlen, benn er nahm
Miethäleute in das zweite Stockwerk und behalf fi mit feinem
Kinde, das lieblich heranwuchs. Er ließ es im Nähen und Kleider:
machen unterrichten. und es überhaupt lehren, was er vermochte,
um \ihm eine beffere Zukunft zu fihern Und das Mädchen batte
viel Gefhid und Verſtand. Aber Glöckner wurde alt und ſchwach.
Das Arbeiten während ganzer Nächte ging ˖nicht mehr, der Verdienſt
wurde ſchmäler. Waren bie Zinfen bezahlt, fo blieb zum Leben
REEL LU AI A FR FR x B
—— — ⏑ ——— ———— — m = WW
I)
—
— 140 —
mar zu wenig übrig. Rum, das Entbehren wurde Glacuer richt
ſchwer; mar er doch nie ein Wirthshausgänger, hatie ſein id
nie außer den ſtillen Mauern feines Hauſes geſucht und war ſtets
net Wenigem zufrieden geweſen. So Eohnie er's tragen, wenn rum
des Wenige noch weniger wurde, und nur für fein Käthchen tbat
ihm dag Torben wehe. Nah unb nad beſſerte fh das zwar
wieder, denn Käthchen ging nun auß in bie Häufer zu nähen und
Kleider zu machen. Alle Frauen und Mädchen non der goldenem
Luft bis in die Gaugafje waren ihres Lobes voll, denn fie näbte
außerordentlich fein und bie Nadel flog ordentlich, und denvach
nähte fie nicht „wie (nach dem rheiniſchen Sprüchworte) ber Schneider
Puff, ben, was er heute nöht, geht morgen wieder uf,’ fonbern
ea war feft und dauerhaft Weberbied nahm fie ba? Maß aus:
gezeichnet, ſchnitt ficher nach dem Parifer Modejournal aus freier
Hand, ohne Patronen, und hatte einen Geſchmad wie bie feinfte
Modeſchneiderin auf den Boulevard des Italiens in Paris. Außerdem
bonnte fie bie Hüte vom vorigen Jahr nad dem neueſten Pariſer
=» MRufter umerbeiten und machte und verzierte Häubchen zum. Kiffen
ſchoͤn. Rath mußte fe in allen Fällen zu geben, wie eine erfahrene
Drau, wenn es auf Stoffwahl ankam, ob's zum Gefidte und
Haar ſtehe; und wenn etwa an ber Geſtalt irgend ein kleiner
Mangel war, etwa eine höhere Hüfte oder dickere Schulter, fo
mußte fie im Korfette die Geſchichte jo kunſtfertig zu werdeden, daß
kin Menſch es ahnte, — und fie war doch erſt achtzehaꝛ Jahre
at — War fie ſchon durch ihre Geſchicklichkeit ein Liebling ber
Laube, jo war fie es im eben deu Maße durch ihre ftete Freund⸗
Itchfeit und Dienfifertägfeit. Wusch wenn man nichts als ihren Rath
woßte, fo kam fie gelaufen und gab ibm mit Freuden. Ihre
anmuthige Erſcheinung nahm vollends für ſie ein und ber fleden-
laſe Ruf vollendete ihren Werth in ken Augen aller Leute. Man
wußte, daß. fie mit Schambattiß Lugler jo gut wie verlobt wat,
und bad erhab fie weit. über eiwaiged böſes Gerede.
\
u D .
f2
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Aber vbdleich Wäthäjen viel verbieitte durch ihren Fleiß une
ihve Geſthicklichdeit, ſo Tomte 608 doch ben nälligen Ausfall bes
Verbienftes ihres Vaters wicht arfeken. Der alte Mann war bred⸗
108, weil er nicht mehr arbeiten Tonne. Seine Augen waren blöbe
geworben, jeine Arme und Hände Traftlod. Das Alter, eine Front:
beit, die allen anderen zur Grundlage dient, war ſchnell und mächtig
über ihn gefommen. Der Lederhändler hatte gerade fo lange Geduld
gebt, ala Meifter Glöckner Leber bei ihm nahm. Da das aufhürte,
brach auch der Faden feiner Geduld und Milde Gr drängte ben
Greis amabläſſig und wurde endlich Magbar, zumal Glödmner eiliche
Ichhre die Zinfen ſchuldig geblieben war. So dam es denn noch⸗
wenbig dahin, bag ex bie Pfändung eimtteten ließ.
2. |
Eines Tages ſaß Käthchen am Tyenfter und nähte mit großem
Fleiße. Sie bob das ſchöne Auge nicht ein einziges Mal zur Hähe
deß Fenfters, um etwa zu erfahren, wer draußen vorüdergebend
ben Schatten geworfen, ber über ihre weiße Näherei hinglitt. Damm
unb wenn feufgte fie tief, doch furhte fie folge Seufzer vor dem
Sreife zu verbergen, ber in feinem Lehnſtuhle mit ‚gefalteten Händen
ſaß und feine kummervolblen Blide bald zur Delle erhob, bald auf
dem lieblichen Kinde ruhen ieh, das ibm Gott als einen Segen
N feines Alters geſchenkt und erhalten Hatte. An ſeiner Seele gingen
bie Erlebnifje vorüber, deren wenige geeignet waren, Heitere Gtinme:
tungen zu weder. Sie vreiheten fich in bäferer Folge an einander
bis zu ben bammervollen Tagen, bie er jet durchlebte, ba er in
jebem Augenblicke ein Ereigniß za befürchten hatte, bad, wie kaum
ein anbereß, ihn brüdte. Plötzlich ſtieß Käthchen einen Schi ang.’
„Heft Du Dich gefberhen, Kind?“ fragte ber erſchrockene Geeiß
voll bauger Sorge, ba er bad Mädthen leichenblaß daſitzen Puh.
Ihre Hand war berabgefunten, das weiße Kleid, an bem fie atbei:
ET OT EEE BB A ER KK E S
— 142 —
⸗
tete, glitt langſam neben ihr zur Erde. Sie ſchwieg; aber in dem⸗
ſelben Augenblicke wurde, ohne anzuklopfen, bie Thüre geöffnet und
zwei Männer, ein älterer und ein jüngerer, traten herein. Was
fie wollten, war weber Glöckner noch⸗ Käthchen zweifelhaft. Der
ältere war eine lange, Tlapperbürre Figur, mit einem Geſichte,
beffen Anblid das Herzblut Eonnte ftoden machen. Mühſam waren
die wenigen langen Haare bed Hinterfopfes über den entblößten
Schädel geftrihen, ohne daß fie die Wüſte, welche bort berrfchte,
verbedien Tonnten. Einzelne berfelben fanden gerabe in die Höhe,
weil fie fi dem Striche ber Hand entzogen, welche fie alle paar
Augenblide in Die geziwungene Lage zu bringen verfuchte “Die
Stirne war ſchmal und hoch. Unter ungemein bufchigen Brauen
bligte ein kleines, tiefliegendes Auge hervor. Die große Habichts-
naſe ſenkte ihre fcharfe Spite weit über ben eingefallenen, faft
zahnlofen Mund, und das lange Kinn trat jo weit in aufwärtz
gehender Richtung vor, daß es fchier die Nafenfpike berührte.
Boshaft, tückiſch, gefühllos war der Ausdrud bes gelben Gefichtes.
Eine Brille ruhte auf dem tiefeingebogenen Sattel der Nafe und
fohien nur die Beſtimmung zu baben, bie unbeimlichen Blitze der
Augen etwas zu verdeden. Es war in ber That ein entjeblicher
Menſch und feine Zeichens ein Gerichtsvollzieher. Der andere
war ein junger Mann, beffen in Saffian verhüllte Papierrolle
feine Eigenſchaft als Schreiber des Gerichtövollziehers Crambolini
verrieth. Sein fanftes Gefiht war ber entfchiebenfte Gegenfab zu
bem feines Brodherrn.
„Buten Tag,” fagte ber Gerichtövollzieher barfch und mit
einem ſchneidenden Ton, und warf feinen Strohhut auf ben Tifch.
„Ich bin doch bier recht? Ich fuche den Schufter Glöckner?“ In
bem Augenblid ſah er Käthchen. ‚Der Tauſend!“ rief er aus,
und jein diaboliſches Gefiht nahm einen noch wiberlicheren Aus⸗
druck an, „ber Taufend, ſolch eine Perle hätte ich in der goldenen
Luft nicht geſucht!“ Er faßte ihre Fleine Hand und wollte fie
Süflen, boch z0g fie bad Mäbchen empört zurück, und zwar fo
raſch und Beftig, baß fie mit feiner Nafenfpige in eine fehr unan-
genehme Berührung fam. Der GBerichtövollzieher fuhr zurüd.
„Run, nun,” fagte er, „nicht fo heftig, Mamſellchen! Spröbefein
bat fein Schönes, doch nur unter Umftänden. Sehr artig war bag
nicht für ein fo reizendes Mädchen.‘
Der alte Mann war beim Cintritt ber Beiden aufgeflanden,
um fie zu begrüßen. Gr zitterte vor Schreden; dennoch ergriff ihn
ein tiefer Unwille, und er fagte: „Arm find wir, aber unbeſcholten,
Herr Gerichtsvolzieher. Thun Sie, was Ihres Amtes iſt, und
laſſen Sie mein Kind in Frieden.‘
Roth, wie ein gefottener Krebs, fuhr Erambolint herum. Ein
giftiger Bafılisfenblid aus ben kleinen Augen traf ben Greiz, und
beftig fagte er: „Ihr habt Net. Es foll gefchehen. Setzen Sie
ſich, Lederer, und dreffiren Sie ben Kopf de Aufnahmeprotofolls.
Schonung ift bier nicht am Orte.‘
Der Schreiber gehorchte und ber Gerichtövollzieher fchlug
teogig bie Arme übereinander und blieb mitten in der Stube
Reben, indem er feine Augen auf das Geräthe richtete, welches
umher an ben Wänden hing und fand, was jedoch nicht verhinderte,
baß dieſe Augen bisweilen auf Käthchens Geftalt weilten, bie leife
weinenb in ber Nähe ber Thüre fland, wohin fle fich zurlcigezogen
hatte, um nölhigenfalls fchnell zu fliehen. Nach einer Paufe pein-
lichen Schweigens, in ber ber alte Mann dem Gerichtöpollzieher
einen Stuhl hinſetzte und ibn einlub, fich nieberzulafien, hub ber
Gerichtsvollzieher an: „Ihr wißt, baß ich bier bin, um in Folge
richterlicher Verfügung eine Pfänbungsaufnahme für ben Peberpänbler
&. vorzunehmen.‘‘
„Ich weiß es,“ fagte Meifter Glöckner mit j chmerzlichem Ausdrud.
„Lederer, ſind Sie fertig?“ fragte der Gerichtövollzieher,
„ober hal Sie das Flennen des fpröben Ganschens hinter Ihnen
confus gemacht ?“
— 14 — -
Der Gchreiber warf dem Langen einen Blid dei Unuviiieß
zu und erwieberte: „Dictiosn Sie, wenn eB Ihnen beliebt!“
„Gut, To fangen Ste an: Ein Spiegel, vine Koemmobdbe, —
wahrfcheinlich liegen darin bie Zähnen des ſchoönen Kindes 7
Muß ausgeräumt werden, weil ſonſt der Ichult mitgeht.“ — So
fuhr er fort, alle Mobilien des Zimmers aufzeichnen zu offen.
„Em Bub,’ fagte er nach einigem Schweigen, im dem er bie Züge
des Bildes mit beten bed Mädchens veralicyen hatte, benen fie
ſprethend ähnlich waren.
„Um Gottes willen, haben Sie Erbarmen, es if das Bilb
meiner ſeligen Mutter!“ rief das Maädchen mit krampfhaft vor der
Bruſt gefalteten Händen. Laſſen Sie es und; es wird ja doch
für ſonſt Niemand Werth haben.“
Er blickte fie mit einem böſen Bla an und fügte in ſchrei⸗
bendem Tone: „Wenn es jo viel Werth für Sie bat, Mamſellchen,
fo können Sie es ja erfleigern und fo eimen Theil der Schuld
bezahlen.
Das Mädchen zuckte in ſich zuſammen. Sie bebedite äihre
Augen mit Ihren Händen und weinte wieber leiſe. Er trat zu Ihr
und flaͤſterte Ihr etwas in’ Ohr. Empört fie fie ihn zurüd und
eilte hinaus. Der Herr Geritätsvollgieher lachte Kell auf. Der
Seeretär bengte ſich tief auf fein Protokoll, um feinen Zorn m
verbergen, und ber Greis ſtand da wie eine Bildſäule. Er wollte
oben, aber er Ponnte nicht. Seine Lippe gitterte wie ſeiwe. Glieber.
Der Gerichtsvollzieher wandte ſich jegt gegen ihm und Jah den
Seel.
„Ei,“ rief er aus und trat näher, ‚wie kommt denn Saul ander
bie Propheten? Das if ja ein köſtlich Stüd alter Kunſt. Habt’)
wohl einmal gefteigert irgendwo? Hm, wirklich ſchön, bach etwas
fremdartig.
„Nein,“ ſagte ber Greis, der ſich kaum ſammein konnte, „es
iſt ein Erbſtück in der Familie.“
— 146 —
Go?" fragte höhniſch der Gerichtsvollzieher. „Ihr ſtammt
wohl von. ingeab eimer abeligen Familie ab, ober von bem berühmten
Gloduer von Notre-Dame de Paris?“
„Meine Boreltern waren ehrſame, unbefcholtene Bürger ber
Stadt Mainz,’ ſagte der Greis. „Ein Bruder meines Vaters aber
wer in Oſtindien und dem gehörte der Sefſel.“
„Aha, ich merke,“ ſpottete der Gerichtsvoltzieher, „er war wohl
Rabob von Myſore?“
„Ich verftehe Ihre Worte nicht,‘ ſprach der Greis, „aber daß
es. Hohn iſt, fühle ich. Es iſt nicht fein, des Unglücks zu ſpotten,“
feßte er Hinzu. ‚Mein Oheim war nur ein Kaufmann, aber ein
unbejcholtener Mann.‘
„Ohne Zweifel aber ein Millionär? fagte in etwa verän-
dertem Tone ber Gerichtövollzieher, dennoch aber mit fpöttifcher
Miene.
„Auch das nicht, entgegnete ber Greiz. „Unter bem Wenigen,
was er hinterließ, wear dieſer Seffel. Mir ift er ſehr theuer. Mein
Vater bat ſchon darin gefeflen und flarb darin. Meine liebe Frau
bat ihren legten Seufzer barin ausgehaucht, und ich dachte vielleicht
auch darin einft fterben zu Fönnen, wenn ed Gottes Wille wäre.‘
„Wenn da8 nicht zwifchen heute und morgen früh neun Uhr
geſchieht, jo wird nichts daraus,” fagte der Gefühllofe; „denn ich
muß ihn wegnehmen. Er ift weitaus das Befle, was Ahr habt.
Die kunſtvolle, frembartige Schnigerei baran bürfte ihn hoch im
Werthe bringen. Für Euch ift fo etwas ohnehin nicht.‘
„D, Herr Gerichtsvollzieher,“ flehte ber Greis mit gerungenen
Händen, „nehmen Sie Alles, was ich habe, nur laſſen Sie mir
altem, Iebensmüden Mann diefen Seffel! Sie wifjen nicht, welchen
Werth er für mich bat.’
„Ihr figet auf einem Strohſtuhle eben fo gut,’ entgegnete ber
Serichtäuplizieher. „Ich kann nicht ben thörichten Einbildungen
nachgeben. Wenn ed von Euch abbinge, jo befäme ich nichts. Ab!
. Horn’s Erzählungen. IX. 10
Schreiben Sie, Leberer: Ein Seſſel von ausländiſchem Helge mit
ſchoͤnem Schnigwerf.” Der Gerichtsvoltzieher verlieh nun die Stube,
um in bie Küche zu gehen. Nach einiger Zeit kam er wieber herein wur
nannte dem Secretär eine Anzahl Küihengeräthe, welche biefer aufichrieb.
„Wie ſieht e8 oben im Häuschen aus?" fragte er basın ben Brei.
„Leer,“ verſetzte diefer ſchmerzlich Unſere Miethſleute, Ke
‚zwölf Jahre bei und wohnten, mußten ausziehen, ſeitdem wartet
das Geſchoß auf neue Miethsleute, die fich aber in dieſem Theile
der Stabt felten finden. Wollen Sie die Zimmer einſehen?“ .
„en, fagte kurz ber Gerichtsvollzieher. „Schließen Sie
ab, LXeberer,” bemerkte er dann und wandte fi zu ben Greiſe.
„Ihr bürgt mit Eurer Perfon und ebenfo Ener Töchterlein dafür,
daß von Allem, was ich aufgenommen habe, Fein Städ bis morgen
früh acht Uhr abhanden kommt. Merkt Euch das. Fehlt bes
- Geringfte, fo laſſe ih Euch verhaften.” Er fette feinen Strohhut
auf und ging. Der Schreiber folgte ihm, zuwor jedoch trat er zu
dem Greife und ſprach leife: „Fluchet mir nit! Ich weiß, wie es
ber Armuth ift; aber ich fehreibe um mein täglich Vrod bei dieſem
Menfchen.”
Der Greis fah ihn freundlih am. „Ach,“ redete er, „auch
ihm will ich nicht fluchen. Er bat feinen Lohn dahin. Gott vergelte
Euch Euer Mitleid.” Der Schreiber drückte dem reife die Hamb
und ging feinem Meifter nad. Ber Alte aber faitete feine Hänbe
und fprad: „Es ift eine ſchwere Heimſuchung, aber ich beuge mich
demüthig unter beine gewaltige Hand. Nicht wie ich, fondern wie
du willſt, o Herr, fo geſchche mir!“
’ 3.
Die Sonne dieſes für Meiſter Glöockner und ſeine Tochter fo
traurigen Tages war endlich Hinabgefunfen unb bie Dämmerung
trat ein. An ein Nachteſſen hatten Vater und EAind richt gehackt,
ı
2 N
— MT —
weil das Bedürfniß ver dem Schmerze nicht auflommen. Bonnte.
Traue Nachbarn und NRacbarinnen waren biß zu ber Stunde bei
ihnmen geweſen, bie fie ſelbſt in den Kreitz ihrer Häuslichkeit zurüd⸗
riej. Jeht waren fie allein und ſaßen fill und ihr Loos über⸗
denlend ba. ES war nämlich mit Grund zu befürchten, daß nun
auch ber Hypothekarglaäubiger feine Rechte geltend. machen werbe
um) — was follte dann aus den Armen werben? Aus ben theuren
Räumen des VBaterhaufes getrieben, mußten fie irgend ein Dar
ſtübchen mieihen und zu ben Koften ber Erhaltung bed armen
Lebens kam noch die Zahlung ber Miethe. Das und ambereß
bewegte ihre Herzen unb machte fie ſchwerer als fie fchon durch bie
heutige Erfahrung waren. Ad, dachte ſtill in fich Hinein ber
Greis, Netichen, bir iſt wohl. Ich habe tief, tief um dich geirauert
uud doch danke ich heute meinem Gott und Herrn, daß bu das
nicht haft erleben und durchmachen müflen! Wär’ ich Hei bir, wie
wohl wäre mir! — Doch nein, Gott, vergib mir ben Wunſch! Ich
will warten in Geduld, bis bu mich abrufft. Müßte ich doch mein
Kind bier allein laſſen, wo Rohheit fick alle gegen die Armuth erlaubt.
Diefen Gebankengang unterbrah ein leifes Klopfen am bie
Thüre. Auf den Auf: Herein! traten zwei Berfonen in das Zim-
merchen, eine betagte Frau und ein junger Mann.
„Buten Abend!“ grüßten fie vertraulich).
„Ach, dacht’ ich's doch, Ihr kommt heute zu und an biefem
ſchweren Tage!“ fagte Glöckner und räumte ber Frau den Sefiel
ein, bie ihn jedoch nöthigte, figen zu bleiben und fchnell auf einem
ber, Strohſtühle Platz nahm. Der junge Mienfd war zu Käthchen
getreten und hatte innig ihre Hand gedrückt. Sie ſprachen leiſe
miteinander, während Meifter Glöckner der Frau Alles berichtete,
was am biefem traurigen Tage fich ereignet hatte Es war
Frau Augler und Schambattifi, ihr Sohn, Käthchens Bräutigam,
wie man in der goldenen Luft unbedingt anzunehmen ſich für
berechtigt bielt.
10°
— 148 —
Frau Kugler war die Wittive eines Muſikanten, der feine erſte
Geige ganz mader gefpiekt Hatte, fo lange er Tonnte; aber eine
langſame Zehrung ‚hatte "ihn vor zwei Jahren weggerafft. Lange
Fahre waren Kugler's Miethsleute Meiſter Gloͤckner's geweſen und
al’ die vielen Jahre war die Freundſchaft ber Familien nicht einen
Augenblid unterbrochen worden. Die Kinder muchfen auf wie
Geſchwiſter, und erft in fpäteren Jahren zeigte es ſich, daß eime
tiefe und treue Liebe ihre Herzen verband. Dagegen hatten bie
Eltern nichts einzuwenden, und fo waren fie denn als ein Paar
betrachtet worden, das fo vecht für einander beftimmt ſei, und fie
ſelbſt fühlten ſich unendlich glüdlih in diefem Berbältnig und
Bewußtſein.
Schambattiſt war ein braver Schüler der Realſchule geweſen,
und als er dieſe durchlaufen hatte, Schreiber bei einem alten Notar
geworden, was ihm ein recht hübſches Stück Geld abwarf. Nebenbei
beforgte er von dem Notar, der ihn als treu und zuverläffig
empfahl, ihm zugemwiefene Gefchäfte und zeichnete auch, ba er m
diefer fchönen Kunft fi) ausgebildet hatte, allerlei zierliche Titelbogen
für eine große Muſikalienhandlung in der Stadt.
Da er zu weit zum Notar zu gehen hatte und zu viel Stiefel -
zerriß, gab die Mutter die Wohnung auf unb 309 in bie reidye
Clara : Gafje, in ein enges Stübchen; aber die lieben Freunde in
ber goldenen Luft vergaßen fie nicht, obgleih Schambattift nie ohne |
die Mutter in das Haus feiner Braut trat. Er plagte fich edit;
aber viel brachte er doch nicht vor fih, da auch die Wittwe wegen
ber langen Krankheit ihres Gatten noch Vieles zu zahlen hatte.
Wie traf fie dag Schidfal ihrer Freunde fo Tchwer! Wie innig
fühlten fie es mit, wie trauerten fie mit ihnen !
„Ach,“ flüfterte Käthchen, „denfe Div nur, Schambattift, ber |
abfcheuliche Crambolini hat ja meiner Mutter Bild mit aufgenommen! |
Vergeblich Hab? ich ihn um Schonung diefes theuren Gutes gebeten.
Der Menſch hat einen Stein, wo andere Menfchen das Herz haben.“
"ou,
Im-
„Sie find. Blutſauger,“ ſagte Schambattiſt. „IH möchte ſolch
ein Amt nicht und wenn es noch fo viel einbrächte.“
„Ah, da haft Du Recht, Tieber Schambattiiſt,“ verjette bas
Mäbchen. . „Es iſt entſeblich, Andern gefühllos das Theuerſte zu
naehmen.“
„And doch müffen hes, * fügte Schambattift; „aber ihrer
harten, gehäffigen Pflicht das Bittere, das Verwundende zu nehmen,
verſteht kaum einer der Berufenen, die Gewohnheit erſtickt das Gefühl.
Was das Bild betrifft, Käthchen, fo gräme Dich nit, Du wirft es
sicht verlieren.‘
„D Du Suter!‘ Iifpelte das Mädchen und lehnte ihren Kopf
an. feine Schulter.
„Ex drüdte fie innig an fi. „Hätte ich nur die Mittel, Euch
Alles zu erhalten,‘ meinte er bewegt. „Aber leider Fonnte ich das
nicht ahnen, und exft heute babe ich unfere Miethe bezahlt.’
„Ich wollte geru Alles miſſen,“ ſprach im Laufe ber Erzählung
Glödner zur Frau Kugler, „könnte ich nur zwei Dinge reiten:
ba Bild meiner Frau und den Seſſel — Ihr wißt ſchon warum,
Frau Kugler.“
„Hat er auch das aufgenommen?“ fragte ſchmerzlich berührt
bie Wittwe. „Wohl kann ich mir denken, wier&uch das drückt.
Ach, wer doch bie Mittel hättel — Nun, wenn's nicht unſere
ſchwachen Kräfte überſteigt, wird mein Schambattiſt ſhon ſorgen,“
ſetzte ſie nach einigem Sinnen hinzu.
Glodner faltete feine zitternden Hände und ſprach halblaut:
„Ah, wenn er Ans könnte!“
„Wir mollen hoffen,” fagte bebeutfam Frau Kugler.
„Wie ift daB eigentlich, mit bem Seſſel?“ fragte Schambattift.
„Water Gläckner, Ihr habt mir nie gefagt, wie Ihr dazu kamet.“
„Das will ig Dir erzählen, mein Sohn,’ verfeßte ber Greis.
„Es ſind ſchmerzliche Erinnerungen, bie ſich baren Inüpfen, fo früh.
als ſpät. Zuerſt reiht fi bapan. eine bittere Tünfchung. Yon ber
. . m ..-
— 10 —
wit ich reben, das Spätere ali Du wir heute. Mein Bater
hatte einen Bruder, der frübe fon ein unrichiger Befelle war; ſebn
Stun fand immer in's Blaue hinein und oft, wern er fem tolles
Weſen trieb und mein Großvater fagte: Junge, ich wollte, Du
wärft wo ber Pfeifer wächſt! — entgegnete er: Da geb’ ich und)
‚einmal hin! Wie oft, erzählte mein Vater, lachten wir über dies
Wort; aber 8 ſaß ihm feſt im Kopfe und wurde auch wahr. @t
fernte wenig, aber er hatte befonbere Gaben. Um jedoch für feine
Zukunft zu forgen, that ihn mein Großvater zu einem Sattler in
der Schuftergafle. Kaum war er Gefelle, fo ging’ in die Welt
md Niemand hörte etwas von ihm. Jahre gingen ba und fie
hielten ihn für todt oder doch verfchollen. Er war wirklich hinge⸗
zogen, wo ber Pfeffer wächſt, nämlich nad Oſtindien. ‘Dort war
er aber vom Sattlerhandwert abgegangen und wurde Bebienter bei
einem reichen Englänber, ber ledig war und ihn beſonders Theke
gewann. In feinem Teſtamente bedachte ihn ber Herr wie es ſchien
reichlich. Jetzt hatte er Mittel und fein Gpeculationägeift trieb
im an, Sandelßgefchäfte zu machen, wie er fle bei jenen Herrn
kennen gelernt hatte, erft Fein, dann, als fie glückten, größer umb
umfangreicher, bis er enblich einen blühenden Handel hatte und
ſchweres Geld erwarb. Er verhetrathete ſich bort, aber feine Che
war Tinberlos, und als er alt wurbe, Tam ihm ber Gedanke au bie
Heimath voieber, wie das allemal fein ſoll bei Leuten, bie m ber
Tremde alt werben. Er war aber ein Krittellopf, bem es fallen
Jemand recht machte, und hatte fick gewöhnt, alles nach Teinem
Kopfe zu machen. Seine Frau flarb ihm noch im Oſtindien, unb
nun befam er noch mehr feitfame Gewohnheiten und fing ein
öinfkeblerifches Leben ar. Er wurde miktenufh, umb es war recht
ſchtwer, mit ihm zu leben und umzugehen. Endlich kam er wieber
nach Mainz Mein Großvater und meine Großmutter waren
wdt und Geſchwiſter hatte er weiter Teine ald meinen Vater, be;
ein armer Schufler war und viele Rinder hatte.
— 1 — .
Die. Freude war ungehtuchelt und groß, ben verlorenen
Bruder wieberzufehen, denn wein Bater war ein gar treue Gemüth;
weis er aber arm war, jo meinte der Ohm Joſeph, die Freude
gälte bloh feiner Habe, ſeinem Gelde. Ex mochte, bad mil ich
nicht leugnen, bittere Erfahrung von Habjucht und Scheinheiligfeit
gemacht haben, daß er Topficheu wurde — aber er hätte bach nicht
m Bauſch und Bogen urtheilen und richten jolen Das war
unrecht. ‚Mein Pater fragte ja nicht: Haſt bu etwas ober bif bu
wie. eine Kirchenmaus aus dem Lande gefommen, ba ber Pfeffer
waͤchſt? Er lieferte ibm das Peine väterlige Erbe aus, das er
auch nahm, und blieb fick in feiner Liebe gleich.
„Ohm Joſeph blieb nicht lange in Mainz. Gott weiß, was
ihm im Kopfe ſteckte. Was kann man fagen von ben Gedanken ber
Menſchen? Wer Fennt fle? Er nahm ferne freben Sachen, darunter
auch den Sefjel, den er aus Indien mitgefchleppt hatte, und zog
nach Aſchaffenburg. Mein Bater hörte wenig und fah noch weniger
von ihm. Erſt nach längeren Jahren, ba wir Buben groß wurben,
fam von Zeit zu Zeit ein Päcklein Geld, bag bald hier, bald ba
zur Poft gegeben worben war, bei meinem Vater an, und bag half
manches Schwere überwinden. Niemals war etwas babei gefchrieben,
aber mein Vater wußte wohl, woher e3 Fam, und banfte ed feinem
Bruder herzlich.
ie altes Wort: Alter ſchützt vor Thorheit nicht, und ,
wahr if es allewege. Der Ohm Joſeph heirathete plötzlich ein
Aatzunges Mädechen, bie Tochter feiner Hausleute. Wie bas
selomıen war, weiß ich nicht, nur bas weiß ich noch, daß mein '
Baier bie Achſeln zudte und zu meiner Mutter fagte: „Das if
ZReſephs dummſter Streich. Es if gut, Mutter, daß wir auf eime
raiche Erbſchaft keinerlei Hoffwungen gebaut haben. Ich mar ber
Mitee und arbeitete kei bem Water. Daber hörte ich denn auch
menqchmal ein Wortlein über die Wirthſchaft bed Ohms Joſeph in
— 112 —
Aſchaffenburg. Sie muß mpitaltoll geweſen fein, benn mein fonft
fo mild richtender Vater Außerte ſich oft herbe barüber.
‚Weißt Du was, Mutter,“ börte ich ihn einft zu meiner
» Mutter fagen, „wenn's bie Frau Schwägerin in Afchaffenburg fe
forttreibt, fo Tann’ nod kommen, daß mein Bruder in feinem
Alter lernt wie das Brod der Armuth ſchmeckt.“
„Es fchabet ihm nichts,’ erwiederte fie. „Er hat's ja fo haben
wollen. Des Menſchen Wille ift fein Himmelreich oder feine
Hölle.“ „Wenigſtens die Thüre dazu,“ ſprach feufzend mein
Bater. — Kinder hatten fie in Afchaffenburg nicht und es muß
doch recht arg im Haufe bergegangen fein, denn mein Ohm Sofeph
trennte ſich von feiner Frau, das heißt, von Tiſch und Bett, weil
er nicht mehr von ihr wiffen wollte.
„Wie's nun ging, weiß ich felber nicht genau, aber es ſcheint
am Ende feines Lebens eine Verſöhnung flattgefunben zu haben,
benn als fein Ende nahe kam, war feine Frau wieder bei ihm und
Alles fcheint gut geweſen zu fein.
„Plötzlich erhielt mein Vater einen Brief von ber Frau Schwä-
gerin, bie er nie gefehen hatte, barinnen fland, daß Ohm Joſeph
nicht mehr ferne von ber dunkeln Pforte" fiehe, bie in's andere
Leben führt, und daß er ben Bruder noch einmal fehen wolle.
„Mein Bater machte fih auf die Soden und ging nach Aſchaffen⸗
burg, benn feine Armuth erlaubte eine andere Art bed Reiſens
nicht. Er traf feinen Bruder no am Leben. Er nahm ihn liebe
vol auf und fagte ihm: er habe ihn bedacht im Teftamente. Vor⸗
zugsweiſe vermacdhe er ihm biefen Seſſel. Er folle ihn in Ehren
halten, benn es fei ein theures Gut, befien Werth et erſt kennen
fernen werde. Mein Vater mußte ibm fchwören, ihn mit nad
Mainz zu nehmen und ihn nie in frembe Hände kommen zu laſſen.
In dieſer Unterrebung wurbe er durch bie Schwägerin unterbrochen,
die num bafür forgte, daß er meinen Vater nicht mehr allein ſprach.
In der folgenden Nacht wurbe er ſchwächer und ſchwächer und fein
— 158 —
Eube weile: ſchnell. Kuctz vorher wollte er meinem Suter tel
wen in daßs Ohr fluͤſtern, aber eb war zu it — ein Schlag
endete fein Beben, ohne daß er es vermocht hatte.
„Als das Teſtamem .euöffnet wurde, zeigte es fich, daß er feilee
Frau als Haupterbin. eingeſetzt hatte. Mein Vater orhielt zwei⸗
Sunbert Gulden und den Sefſel. Das war Alles. — Die zwei
Sumdert Gulden veichten bin, eine Schuld zu zahlen und mein
Bater. fegnete. ben -VBerfterbenen ‚bafür. . Seinen Schwur ‚hielt. ey.
Der Seſſel, obgleich er viele Liebhaber fand, blieb fein und wurde
Sm in feinen alten Tagen unb in feiner langen Leidenszeit ein
wechter Segen, fo daß bed Verfiorbenen Wort recht prophetiſch wer.
Er ftarb darin. Und mir ift er auch ein Segen im Haufe geweſen
— doch, was hilft's, wenn ich bie Leiben vergangener Tage wa
sufe im Herzen?
„Ihr, Tiebe Frau Kugler, wiffet, was ich fagen wrühte; Ihr
habt meine ſchweren Prüfungstage treu mit burchgemacht, Ihr
wißt auch, warum biefer Seſſel mir fo theuer tft. Ach, ich hatte
gehofft, auch einft barinnen zu flerben. Das tft nun vorüber.” —
Er ſchwieg und bie liebenden Herzen, die ihn umgaben, fühlten
fein Weh vecht tief mit. Ihre Thränen waren Zeugen baven.
Dies Gefpräch war tm dunkeln Gemache geführt werben, weil
es ſich fo traulicher redet. Keins fah ben Schmerz in des Andern
Sügen und doch empfanden ihn Alle. gleicherweiſe. Es trat ein
langes Schweigen ein, das nur durch Kathchens Sqhluchzen unter⸗
brochen wurde.
Endlich ſchieden bie Freunde in ber Noth und ſiumm bite we
ſich die Hände.
J | 4, .
- Zn Bingen wohnte zu demaliger Zeit ein Gefchwifierpner,
das in feiner Artganz eigenthümlich war. Es waren ledige Deysig
son etwa fünfzig Inchren, mit allen Launen behaftet, bie das
— 13 —
@geiofe Zuben. im: Hegeikolgen Sernangrufen ‚pflegt. älmgung Desk
fie: mit Niemand, wıb wenn fie genöibigt waren, bie. Dienſtbasen
zu wechjeln, was. freilich jekten geſchah, fa war bie ae mb
sherfie Bedingung ber Auf: und Annahme bie, daß fie ſich
mit: Niemand ie der Stadt einlaflen wollten und ſollten. Se
mesen Bruder und Schweſter, reich und bei allen Veſonderheites
ſeelengut. Jedes ber Geſchwiſter bewohnte die eine Hälfie eb
Hauſes und trieb dort fein Weſen in feiner Art, ungeſtoͤrt vom
unbern; benn fie famen niemals zuſammen, außer bei Tifche. Aber
aber hätte ſchliehen wollen, fie ſünden deßwegen feinblic gegen
einander, der. hätte fich ſehr getänfcht, bemm fie waren höchſt innig
und einträchtig. Der Bruder, in der Stadt lediglich unter Dem
Ramen Monsieur ober, wie man's bort ausſprach: Musje Anton,
befannt, hatte alle Räume feiner großen Haushälfte wit tauſendfach
verſchiedenen alte Zeuge angefüllt. Bilder, bie fo gebunfelt waren,
bag man nicht mehr exfeunen konnte, ob ber Gegenſtand eine Lande
ſchaft oder janft eine Darſtellung feiz alte Bronce- und Porzellan⸗
Aguren oft fratzenhafter Art; chineſiſche Taſſen und Schüfjelwerk;
sörifche Alterthümer, befiehend in zerbrochenen Urnen und ber:
gleichen; Schwerter, Langen, Harniſche und Helme aus ben Zeiten
bed Ritterthuma; Armbräfle, Morgenſterne und Wafler aus ben
Zeiten des dreißigjährigen Krieges; dann altes, ſchönes Schrein
und Schnitzwerk verfchiedener Art und zu den verſchiedenſten Zwecken
beſtimmt. EV war in ben weiten und ſchönen Gemächern kaum fo
viel Raum, daß man fich frei bewegen konnte. Obwohl dus in
Mehrheit der. Fell war, fü reifte er doch jebes Jahr nach Mainz,
und die Tröbler und Antiquare waren nie fioher, als win
fie Herrn Anton Drewes, benn das war fein eigentlicher Name,
baberfommen ſahen. Was kein Menſch Faufte, dafür gab er
nauchafte Breife, wenn «3 wur ingend feinem barocken / Geſchmacke
zuſagte.
Seine Schweſter, Mamſell Julchen, hatte ihre Lebhaberei am
ausRinbifgen Vögeln. Ihre Oemicher waren eine wahre Menagerie
von Papageien, Kalubu's, Am’B- und. bergleichen, beven Geſcheei
fm andern Menſchen langſt um ſeinen Werften gebracht Hätte,
Mamſell Julchen thin’ unenblich wohl, weil ſie am. einem vetraͤcht⸗
lichen Gehörmemgel litt. In ber Wartang und Pflege biefer
Schreihsahhe bie eine Plage für bie Nachbarſchaft in weüeſter
Ontfermang waren, ging ihr ganzes Leben Bin. Schiffer, bie nach
Holland fuhren, machten ihre Sammlung fiet® reicher und vol:
zähliger — und feine fhlechten Gejchäfte dabei, denn fie zahlte
reichlich, wenn fie nur etwas Beſonderes brachten.
So milb und freundlich Bruder Anton vor, jo Tam’s doch
vor, daß er, wenn bie Beilten der Schwefler einmas tm Chore
ſchriern, fie auf den Blockaberg wünſchte und ſeinem Aerger durch
einen halblauten Ausbruch der Erregung Luft machte. Das Knderte
aber im Oange ber Dinge nichts.
Die Zeit war denn nun auch wieber gekommen, bafı Herr oder
Musje Anton nad, Mainz ging, und geimmeig Argerte es ihn, daß
einer ber fpottfichtigen, ſcharfzüngigen Schiffer, ber ihn an bie
Diligence (mie man damals bie kleinen Yachten nannte, welche
in unausſprechlicher Langfamleit ben Verkehr zwiſchen Mainz und
Goblenz unterhielten) fuhr, fragte: „Beben he wieber nach Maing,
Herr Drewes, alteB Gerölle Inufen ?
Er ſtrafte ihn mit ſtiller Verachtung und ſchwelgte in bem
Sehen, daß umd wie er feine fchöme Sammlung wäürbe bereichern
Sonnen. _
Die Lichter der Häufer am. Rhein, jo zu Kaſtell wie zu Maing
erglänzten ſchon in langer Reihe in bie dunkle Nacht Hamus und
das Sepläticher der Wellen ‚am .Borb des Fehrzeuges wmifchte ſich
in bes allmälig näher rädende Rauſchen ber Rheinmühlen, aß
lautes Armen und Rufen auf. bem Berbedie ben Alterthumsfreunbe
das Zeichen gab, daß endlich das alte goldene “Mainz erreicht ek.
Di zum wirllichen Landen war es mun freilich nech weit, allen
— 16 — Ä
fein Herz hüpfte wor Freude, bes: morgen war Yruchtumait, daum
wurde regelmäßig am Theater eine Verſteigerung ‚alten Trödels und
gepfänteter Mobilien gehalten. Da hatte ex ſchon manchen köſtlichen
‚Feng gethan, und es wollte ibn gemahmen, als ſei morgen wieber
fe. «ine. Glücksſtunde für ihn. Cr nahm daher auch immer feine
Wohnung im rotben Haufe, aus deflen Mittelftodfenftern er
eine Weberficgt alles heilen hatte, was dem Kauflufligen bargebotes
und angepriefen wurde.
In ſüßen Hoffmungen feine Seele wiegend ſchlief er endlich
ein; aber kaum exklangen bie Glocken zur Fruhmeſſe, jo lag ex
fon, völlig angelleivet, am offenen Fenſter, ſchmauchte feine
Morgenpfeife und ſah dem erheiternben Xreiben zu, das fich
überall zu entfakten begamı. Die Dorf- Frauen. umb Mädchen ber
benachbarten Orte kamen mit ihren Gemüfen und Früchten und
ſchichteten fie Iodend\ auf. Wagen mit hoch aufgethürmten Frucht-
füden fchwankten ‚heran. Mit jeder Minute wurbe das Beben und
Beben bunter, mannigfaltiger und anziehenber. Er nahm raſch fein
Frühſtück, das man ihm auf die Stube brachte, und poſtirte fi)
bann wieder an's offene Fenfter. Seht rollten bie langen Schiebe⸗
Barren daher, belaftet mit Bettlaben, Kommoden, Spiegeln, Bettzeug,
Tiſchen und Stühlen. Alles wurde aufgeftellt; ein langer Tiſch
biente dem Ausrufer, ber, Herrn Drewes wohl kennend, herauf
grüßte und ihm fein: Auch einmal wieder bier? — zutraulich zuricf.
Die Karren kamen und gingen. Der Schreiber ſaß ſchon ba. Alte
Frauen mufterten die käuflichen Gegenſtände, aber noch hatte fein
Auge nichts eutdeckt, was es hätte fefleln Binnen. Da — fein
Auge öffnete fich wieber, fein Herz ſchlug heftiger — kam der Iamge
Gahiebefarren noch einmal und trug einen Geffel von fo abſonder⸗
licher Norm, fo feltfames und fchöner. Arbeit, wie er weder etwas
Aehnliches beſaß, noch jemals gejehen. Er warf feine Pfeife rid⸗
ſichtslos ‚in eine Wide. und ſtürmte über ben engem Bang, bie Stiege
-
— -
hinmtib, auf den’ Platz. Hier untecſuchte er ben eat, : um ben fi
fon Neügierige⸗gefammelt hatten.
Er war dus. einem unbefamnten, aber ſehr feſten, dunbeln
Holze gefertigt. Neberall bedeckten Schnigereien das Holzwerk, und
deſe beftanden aus Zuſammenſtellungen und Verſchlingungen Don
Thiergeftalten und Pflanzengewinden. Die eine Armlehne zeigte einen
Lowen, den eine gräßliche Miefenfchlange ummwand; im Zobeßfampfe
rang ber König ber Thiere, und biefer war mit eben fo viel Kıusıfl
der Arbeit, als. richtigem Ausdrucke dargeſtellt; bie andere zeigte
ben Kampf eines Tigers mit einem Krofobile. “eben Zwiſchenraum,
den bie Thierformen ließen, füllten Blumen und Blätter von ber -
zierlichften Arbeit. Ebenſo zeigten bie Füße verſchiedene Affenarten
in ben feltfamfien,, Bald kämpfenden, bald Iuftig ſpielenden Stel-
Jungen. Der Bezug des ungemein bequemen Seſſels war gepreites
Leder, deſſen Farbe aber Yängft verblihen und verfledtt war, fo
daß ein neuer Bezug geboten war für den, welcher in den Befitz
des Kunſtwerks gelangte. Immer größer wurde ber Kreiß ber
nengterig Beſchauenden um das ſchöne Stüd.
Niemanb beachtete es, daß in eben dem Maße als fich jener
Kreis vergrößerte, die Miene eines jungen, ſchönen Mannes ſich
verbüfterte, welcher fich gegen die Mauer gelehnt hatte unb dem
Treiben ber ſich mehrenden Menge zufab.
Neben bem jungen Manne ftand der Schreiber Crambolini's,
des Gerichtövollzieherd. „Lederer,“ hatte biefer zu ihm geſagt,
„das Bild aus Glöckner's Wohnung muß ich haben. Sie erfleigern
ed um jeden Preis.” Der Schreiber, ber Zeuge bed Auftrittz im
Haufe des armen Glödner gewefen, empfing mit innerer Unzu⸗
friebenbeit und Empörung biefen Auftrag, Gern hätte er bem
Mädchen bad Bild zurüdgegeben. ‘Um aber doch ein Maß - zu
haben, bat er um nähere Beſtimmung bes Preifes; es fei nur mit
Waſſerfarben gemalt und fchlecht bazu.
„Das iſt richtig,” verſegte Crambolini. Man fann Butter
— 188 —
m tbeuer bezahlen, und Die tt doch lauter Fett, Tagen Die Frauen,
und das Bild ift nichts Beſonderes. Mm, es werbeu wahr⸗
ſcheinlich auch Teime Liebhaber daflız fich finder. Geben Ste etwa
drei Gulden dafür; fleigert aber das Madchen, welches Sie ia
each geiehen Haben und kennen — dann gehen Gie mit, wie hoch
ed auch komme.“ Ä |
Der. Schreiber ſah ſich jeht auf dem Platze überall um, aber |
dad Ächöne Mädchen konmte er nicht erbliden.
Die Verſteigerung begann mjt Bettladen, Tiſchen und der⸗ |
gleichen. Endlich Fam das Bild. Der junge Diaun meben dem
Schreiber des Gerichtsvollziehers bot biefen ab. „Für wen bieten
Sie?’ fragte er thu freundlich.
„Fibr Yemanden, ben das Bild überamns euer iſt,“ war bie
Auntwort.
„Bielleicht Fiir Glöckner?“ —
vr —
„Run, ſo iſt das Bild für Ste,” ſagte der Schreibet
entfernte ſich. Schambattiſt, denn ber war's, ber geboten hatte,
fah dem jnsugen Menſchen bewegt nad. Er kamnte tim nicht
Rach burzer Zeit bam er jeboch wieber, weil er im Nuftrage
des Gerichtavollziehers anweſend fein mußte. „Haben Sie das
Bild?“ fragte er Schambattiſt.
Diefer reichte ihm bie Hand und ſagte: „Ic danke Ihnen!
Doch. fagen Sie mir, was bewegt Sie, folgen Antheil an ber
Familie zu nehmen?” —
„Ich bin fo unglücklich, Crambolini's Schreiber zu fein,”
entgegnete Leberer offen, „unb war daher geftern Zeuge von
Muftritten, die mir tief in das Herz fchnitten. Könnten wir dem
braven Greife doch auch den Seffel erhalten!“
Schambattift blädte ihm dankbar in die treuen Augen. „Wenn
er nicht allzu Hoch kommt, werde ich ihn ſteigern,“ fagte er zu
Lederer; „allein mehr als fünf und zwanzig Gulben hab' ich nicht.”
⸗
- 8 —
„Vietoria!“ rief Leberer, „fo iſt er unfer, bes zehn Mtlden
leg' ich dazu; ich hab' es heute vor Gott gelobt.“
Schambatuſt Hatte nicht Zeit, ferner Dankbarkeit Worte zu
leihen, denn ſchon rief der Ausrufer: ‚Kin Seſſel vom loſtbarer
inbdianiſcher Arbeit, aus Oftindien ſtarumend! Wer Bietet?‘
„Fünf und zwanzig Gulbent“ ſagte Anton Orewes wit, "ode
Begierde nach dem Sejjel, zitternder Stimme. .
„Sechs und zwanzig!“ rief Leberer.
„Sechs und dreißig!““ Drewes. —
Schambattiſt erbleichte. — „Muth!“ rief Lederer leiſe ihm F
„Blerzig
Fanfzig!“ bot Drewes. —
„O mein Gott!” ſeufzte Schambattiſt. —
„But!" fagte Leberer. „Der Kerl: fol ihm bezahlen, wenn: “
fo darauf erpicht if — Sechszig““ — |
„Siebzig!“ rief Drewes, erflaunt nad dem Mitbietenden
blickend. — r
„Achtzig!“ fegte Leberer darauf. — ,
„Ich bitte Sie um Gottes willen 1 ſagte Schambattiſt, feine
Hand faſſend. —
„Laſſen Sie mich!“ flüfterte Leberer. „Ich kenne den Karren:
Er laͤßt nicht nach. So reiten wir wenigftend das Nebrige für bie
Familie, dem dee muß Capital und Zinſen des Lederhändlers
bezahlen.” Drewes blickte auf den Seſſel und bot hundert Wulben.
Aller Augen richteten fich auf bie beiden ſich fleigernben Lieb:
haber. „Der Schreiber Erambolini’s Hat Wufträge won hoben
BVerfonen, die Geld haben!” fagte Jemand halblaut. —
„Das Hab’ ich auch!” fagte Musje Anton, und Hef rirſcroth an.
„Gut,“ verfegte ber Mann, „ſo bieten Sie!“
Drewes Hatte im heiligen Eifer vergeſſen, daß er ber Dept:
bietende gewefen und bot fünfzig Bulben weiter. Gin ſchallendes
Gelachter erhob ſich.
⸗
— 0 —
Gderer ſchattelte ſich vor Luſt und rief: Zweihundert Oulden.“
„Noch fünfzig!" ſchrie Brewes.
„Dteihundert!“ rief Lederer in bafliger Stimmung.
„Noch fünfzig!“ war Drewes' Gebot.
„So!“ ſagte Lederer und rieb ſich die Hände vor Luft. „Nun
bleibt nach Abzug der Koſten eine hübſche Summe übrig. Dafür
kaufen wir in Bembe's Magazin dem alten Manne einen gepol⸗
ſterten Seſſel und das übrige Geräthe geht zurück.“ Schambattiſt
ſtand wie eine Bildſäule dabei. Lederer trat zum Ausrufer.
‚alter Sie ein,‘ ſagte er, „die Summe iſt gebedt.‘'
Das Protokoll wurde unterzeichnet, das Gelb baar erlegt und
ein langer Schiebefarren lud Glöckner's Geräthe auf, um es heim⸗
zufahren. Schambattift, fein Bild unter dem Arme, folgte dem
Warren, während Leberer als Bevollmächtigter fein Geſchäft mit
dem Ausrufer abmachte. Als dies beendet war, trat er zu Drewes
und fagte: „Sie haben ba einen Erwerb gemacht, wozu Sie fi
“ grätuliren können. Wollen Sie übrigens ben Seſſel abgeben, fo
bietet Xhnen Semand dag Doppelte.
„Nicht für taufend Gulden!’ lachte Herr Drewes und folgte
den Trägern, bie ben Seſſel in's rothe Haus trugen.
„Und doch,’ ſprach Leberer, der ihm beharrlich folgte, „würden
Sie ala reicher, aber ebrenhafter Mann fich nicht glüdlih im
Befite. fühlen, wenn Sie wüßten, was ich von bem Seſſel weiß.” —
„So?“ erwieberte Drewes, beflen Gutmütbigkeit ſich zu regen
begann. „Was wiſſen Sie denn?“ —
„Bern Sie mir erlauben, Sie zu begleiten, tbeile ich Ihnen
Alles mit.’
„Thun Sie das,“ fagte Drewes, und Beide fhritten ber‘
nahen Thüre zu, innerhalb welcher bereits die Träger bes Seflels
verſchwunden waren.
Lederer, - der fehnell den Mann durchſchaut hatte, mit dem er
verhandelte, ſetzte fich in der Stube zu ihm und’ erzählte, was &
am geftrigen Abend erlebt umd mas er aus bem Zwiegeſpräche
ned Gerichtsvollziehers und des alten Glöckner von dem Seſſel
vernommen. Gr hatte bie Gabe, recht beweglich zu erzählen und
that's nad ‚beiter Kraft. Die Erzählung fand den Weg zum Ziele,
dahin fie wollte und ſollte. Drewes war tief ergriffen, aber #3
entftand ein Kampf in feiner Seele zwifchen dem Gedanken, .ben
Lederer's Erzählung gewedt, und feiner Liebhaberei. Unrubig
rüdte er auf dem Sopha hin und ber, darauf Beide faßen. _ Hätte
nicht der Seffel mit feiner umübertrefflih ſchönen Arbeit vor feinen
‚Augen geftauden und biefe immer auf's neue die Luſt bes Beſitzes
geweckt, Lederer hätte ohne Zweifel ſein Ziel erreicht.
Als er ſchwieg und auf dem Geſichte ſeines Nebenmannes den
Eindruck ſeiner Erzählung zu leſen ſuchte, ſagte dieſer: „Freilich,
freilich — ich erkenne, wie theuer dies Gut dem Manne ſein muß,
aber — thut's denn nicht ein anderer Seſſel auch? — ich — würde
— im Nothfalle —“
„Wir haben geſchickte Arbeiter ‚hier, fiel ihm Lederer in’
Wort. „Ich würde mid, verpflichten, Ihnen einen aufs Haar
biefem gleichen Seſſel zu ſchaffen.“
„Aber ber wäre ja nicht alt, nicht aus Indien!“ unterbrach
ihn Drewes. '
„Hören Sie, Herr, nehmen Sie mir’? nicht Übel, das ift fo
ein Pädlein Narrheit,“ rief Lederer aus. „Ich wollte bem neuen
Sefjel das Altefte Anſehen geben laſſen und — bei Liebhabereien
Hiuft immer ein bischen Lüge mitunter. Entweder belügt man fich
ſelbſt und Andere, ober wird belogen. Was hätte es benn auf
fich, wenn Sie daheim fasten: Er if aus Tippo-Sahib's Palaſt
und ſtammt von beffer Urgroßmutter, bie ihn in Kairo von dem
Paſcha von Egypten ald Altertum. zum Gefchenk. erhielt, — benn-er
Rammt aus ber Nachlaſſenſchaft des Pharao, der im rothen leere
ertranf, und Fam Erbtheilungäbalber in andere Hände u. ſ. w.
Ich wette die Leute glauben's.“ 7
Horn’s Erzählungen. IX. 1
— 12 —\ı
Drewes mußte lachen. „Sie haben eine gute Anlage zum
Antiquar und Advocaten,” fagte er. „Ih will mir. bie Sache
überlegen. Kommen Sie morgen wieder zu mir.’
Damit hatte die Unterrebung ein Ende und ber junge Menſch
ging, freilich um ein Bebeutendes an Hoffnung ärmer als er
beraufgelommen war.
5.
ALS Lederer weg war, beſah ſich Drewes feinen Seſſel von
allen Seiten. Es iſt ein Prachtſtück, rief er, von Freude ftrahfend,
aus. Alles, was ich daheim habe, ift purer Schund und Trödel
dagegen. Er ging zehnmal drum herum und in jeder Minute
wurde er bed Beſitzes froher.
Was thut's denn, ſagte er zu ſich, wenn der alte Schuſter
einen neuen Seſſel erhält? Kann ja auch darin ruhen, und, wenn
er's abſolut jo will, auch meinetwegen — ſterben. Selbſt wenn id
ihm einen ber koſtbarſten Seſſel kaufe, iſt dieſer noch ſpottwohl⸗
feil. — Er ging wieder drum herum — kauerte ſich auf die Erde
und betrachtete die Schnitzerei. Prachtvoll! rief er aus. Orewes,
bu wärſt ein colofjaler Simpel und in Erz gegoffener Narr, wenn
bu um ber Grille eines alten Schufters Willen bir, dies Prachtſtück
wegmanipuliven ließeft. Bei dem Manne ift es fentimentale Faſelei.
"Den eigentlichen Tünftlerifhen Werth capirt er nicht. — Aber —
fuhr er plößlih auf — das alte, nad) Pech riechende, verblaßte
unb verrutfchte Leder muß berunter, heute noch herunter. Ich gebe
zu einem tüchligen Tapezirer und dann zu Muffany’8 und Taufe
Purpurfammet zum Ueberzug. Ein Schreiner muß ihn Abpoliren
und — ganz Bingen muß in Aufruhr kommen über ben Seffel,
ber eined Königs würdig if. Er nahm ben Hut und Stod, ſchloß
vorfihtig ab und rannte fort.
Es war Mitiagd zwei Uhr, als ber Sattler mit feinen Werl:
- 168 —
- zeugen.in die Stube trat, wo ihn Drewes mit Ungeduld erwartete.
Nachdem der Fundige Mann ben Seſſel nach Verdienſt bewundert
hatte, gab er fi) daran, die Nägel auszuziehen. „Herr, fagte er,
dieſe betrachtend, „ber Seffel muß feiner Zeit in reichen Händen.
gewefen fein, biefe Nägel find von Silber!’
„Bas jagt Ahr?‘ rief Drewes und fprang haſtig auf. Er
unterfuchte die Nägel — es war richtig. Wahrlich!“ brummte
er in den Bart, „ber arme Schelm von Schufter wußte nicht, was
er da hatte. Dafür foll er aber von mir entfchädigt werben, ‘denn
vor einem Unrecht bewahre mid Gott.”
Der Sattler arbeitete weiter. Als er die Roßhaare wegnahm,
um fie auszuftauben, rief er aus: „Was zum Kudud ift denn ba?’
„Was ?’ fragte Drewes und brängte ihn zur Gelte.
„Da fehen Sie nur, ba ift ja ein verborgene® Schubfah an
ver Rückſeite des Sitzumfangs und — richtig! Hier die Feder
Öffnet es!“
Der Arbeitgmann Toollte auf bie Feder drüden, aber Drewes
riß ihm die Hand weg. „Halt!“ rief er, „was dba drinnen if,
gehört dem Manne, von dem ich ibn erſtanden.“
„Fehlgeſchoſſen, Herr,” bemerkte der Meifter. „Sie haben ben
Seffel, wie Sie mir fagten, in öffentlicher Verfteigerung erſtanden
und ehrlich bezahlt. Es ift Alles Ihr Eigentbum, ba beißt Feine
Maus einen Faden ab.”
„Wie Ihr denkt, geht mich nicht? an,’ erwieberte Drewes.
„est fommt mit mir. Es muß Alles fo bleiben wie ed if. Wir
gehen zum Friebengrichter. Der muß die Feder öffnen.”
„Sie find ein grundehrlicher Mann,’ fagte lächelnd der Meiſter,
„und ich bewundere Ihre figliche Nechtfchaffenheit, obgleich —“
„Stil, ſtill!“ vief Drewes und zog ihn fort, indem er forg:
fältig abſchloß und ben Schlüffel in die Tafche ſteckte. „Kommt!“
Beide gingen und ber Meifter führte Herrn Drewes zu bem
. Briebendricter, der fich mit ihnen fofort an Ort und Stelle verfügte.
11°
u — 14 —
‚Seien Sie fo gütig, ehr Proidkoll aufzunehmen, Herr Friedens⸗
richter, ehe wir zur Oeffnung fehreiten. Doch halt! — Der Meifter
Glockner muß ſelbſt Hierher. Er muß dabei ſein, warten Sie noch,
bis er da iſt.“ Er Hingelte, und der Hausknecht mußte eilends in
die goldene Luft laufen, um ben alten Glödner herzufchaffen.
Dort faß Schambattift bei dem alten Manne und Kätbchen,
die ihre Augen nicht von dem lieben Bilde ber Mutter wegwenden
konnte, und wenn fie ed that, fo gefchah es mur, um -fie mit' dem
Ausdrucke von vollſter Liebe und Dankbarkeit auf dem Manne
ruhen zu laffen, ben ihre Seele liebte. Zwar theilte der Greiz
bie innige Freude feines :Kindes über das wtebererhaltene Bild ber
- Berfiorbenen in vollftem Maße, aber fein Geficht trug doch: den
Ausdrud eines wehmüthigen Gefühls über ben Verluft bes Seſſels,
ber ihm ein fo werthvolles Gut gewefen war. Er fegnete ben
braven Leberer und feine uneigennützige DMeufchenliebe; er freute
fih der wiebererlangten Mobilien, der vollſtändig bezahlten Schub,
aber als Schambattift den Plan ausſprach, ben Lederer erſonnen,
vom Ueberſchuß einen bequemen Seſſel zu kaufen, da ſchüttelte er
das fchneemweiße Haupt.
„Nein,“ fagte er, „nicht nach dem behaglichen, bequemen Site
gelüftet e8 mich; Crambolini hat Recht, ich ſitze ebenfo gut auf
biefem Strohſtuhle. Es waren andere Dinge, die mir den Seffel
fo werth machten, die Erinnerungen — und .die, guter Schnmbattift,
kann mir felbft der koſtbarſte Prunkſeſſel nicht wiedergeben, bie
Tnüpfen fi) allein’ an ben alten Stuhl.”
Schambattift hatte das vorausgeſehen. Er ließ ben Kopf traurig
finfen. „Ach,“ bemerkte er, „warum bin ich nicht fo reich, baß ich
dem Alterihumsnarren den Seflel abringen könnte!“
„Es fol nun einmal fo fein,” meinte mit Ergebung Meifter
Glöckner. „Ich Habe Theureres :hingeben müſſen. Ich will mich
am ein Stüd zerbrechlichen 'Geräthes nicht‘ kränken. Es iſt Gottes
Wille, redet nicht mehr davon.“
M.
m m a A DE a a a
m 168: —
So ergeben auch ſeine Seeld ſich in diefen Worten ausſprach,
der Ton, in dem. fie geſprochen waren, deutete doch anf. tiefes Weh,
daß durch die Seele des alten vielgeprüften Mannes zog.
Es trat eine lange Pauſe ein, in ber Jeder feinen Gefühlen
Raum gab. In diefem Augenblide Flopfte es an, und Leberer
trat mit freudeftrahlendem Gefichte herein. * ’
„Ach,“ ſagte er, „ich babe: einen. Wetterſturm ausgehalten
wegen des Bildes — aber er hat mich: doch nicht gebeugt. Crambolini
mwüthete; doch fein Zorn überftieg alles Maß, als er, nach Abzug
der Koften, mir diefe Quittung des Lederhändler3 und dieſe fchöne
Summe baaren Geldes eiuhändigen mußte, um fie Euch zur bringen,
Meifter Glöcdner. Dafür aber müßt Ihr Euch einen andern Seſſel
faufen, denn ber Drewes ift zwar ein grumdguter und ehrlicher
Menſch, aber in feiner Narrheit fo verrannt, daß er wohl fchwerlidy
den Seſſel hergeben wird. Ich hab’ ihn nady allen Kanten bearbeitet,
aber es verfing nicht. Zwar beftelte er mich noch einmal auf
morgen früh — und ich glaube, er fauft Euch am ‚Ende noch einen
andern Seffel, aber den ſchönen, alten werdet Ihr verſ chmerzen
müſſen. u
Den Strom ber Dankbarkeit, welcher eben aus brei Herzen:
bredden wollte, unterbrach der Hausknecht aus dem rothen Haufe,
der faſt athemlos hereinftürzte. „Ihr follt fogfeich in’3 roihe Haus:
fommen, Weifter Glödner, zum Herren Drewes, von Bingen,”
berichtete er. „Sogleich, habt Ihr's gehört? Es eilt!’ —
„Was iſt denn zu thun?“ fragte Schambattift, als Glöckner
vor Erſtaunen nicht zum Wort kommen konnte.
„Was weiß ich?“ verſetzte ber Hausknecht. „Macht Euch nur
ſchnell auf die Lappen. Der Drewes kann nicht lange Aufſchub
vertragen, ich kenne ihn. Der bremmſt mich was herum.“
„Gebt Acht,“ rief, die Hände vor Luſt reibend, Lederer, „mein
Wort hat doch bei Dem burchgeſchlagen. Run aber, Meiſter Glöckner,
man daß Ihe geht!”
Küthchen eilte, des Bater Hut und Rod zu holen, ben er
Sonntags zu tragen pflegte, wern er nach dem Dom ging.
„Ich benfe, wir Beide gehen mit bem alten Manne,“ fagte
der ehrliche Leberer zu Schambattiſt. Kätbchen, die vor Freude
ftrablte, ſtimmte ein, und bald gingen alle Drei hinaus. Dem alten
Manne wurde ber Weg aus ber goldenen Luft bis zum vothen
Haufe hinab recht befchwerlih. Obwohl ihm Schambattift ben Arm
reichte, wurde es doch ziemlich fpät, bis fie in das Gemadh traten, wo
Drewes, ber Richter und der Sattler in gefpannter Erwartung faßen.
„Aha,“ rief” Drewes, „kommt Ihr endlich!”
Glöckner's Blicke ruhten mit Schmerz auf bem Seffel, ber wie
zerriffen in ber Mitte des Zimmers ftand. „Was ſoll ich hier?’
fragte ber alte Mann unwillig. „Wollt Ihr mir den Schmerz
bereiten, mein theuerſtes Eigenthum zu erbliden, das Ihr mir entriffen
und num zerreifjet? Wollt Ihr Euch an meinem Schmerze weiden? “
Deewes ging das Wort des alten Mannes burch bie Seele.
Er faßte feine Hand und fagte: „Glaubet das nicht, Meifter
Glöckner, ich weiß von bem braven jungen Manne bort, wie Ihr
zu dem Seffel fiebt; aber — ba ift etwas fichtbar geworben, das
nur in Gegenwart des Heren Friedengrichter3 und Eurer geöffnet
werden barf, ba ich Fein Necht baran babe. Herr Richter, laſſen
Sie gefälligſt öffnen!“
Verwundert. blickten Alle auf ben Sattler, der jetzt auf eine
kaum bemerfbare Feder drüdte. Ein Käftchen fprang auf. Es lag
ein Papier barin, etwa zehn lange Rollen und eine Kleine Schachtel.
‚Bitte, leſen Sie bie Schrift, Herr Friedensrichter,“ fagte Drewes.
Diefer entfaltete dag ziemlich vergilbte Papier und las:
„Mein Vieber Bruder!
„Als ich noch in Benares wohnte und Gefchäfte trieb, Taufte
ich einft diefen Sefjel von einem alten Hindu, ben ich nicht kannte,
auch nicht Habe wiederfinden können. Woher er ſtammt, weiß
[4
N
x
— 197 —
\
ich nicht. Als ich ihn genau unterfuchte, berührte ich unvermutbet
eine Feder und bie Rückplatte des Sitzes fprang auf. An bem
Käſtchen lag ein Schatz von Gold und Ebelfleinen. Sie legten
mit dem Golde den Grund meines Reichthums. Einen Theil ber
Edelſteine behielt ih. Sie find von hohem Werth und Liegen in
dem Käftchen. Ich brauchte fie nicht zu veräußern und hielt fie
für ‚etwaige Wechfelfälle in meinem Leben zurüd. Gott fei Dank,
dieſe find nicht eingetreten! Gott fegnete mich mit Reichthum, aber
ich wurde hart und mißtrauifh. Ich Fam nah Mainz zugüd und
Deine Liebe ſah ich für Heuchelei und Streben nad meinem Erbe
an. Gott verzeihe mir’3! Du weißt ich verheirathete mich, weil
— ich bethört wurde; aber ich Ternte mein Weib kennen und verließ
fie. Wem follte ich meine Habe zuwenden, al3 Dir? Aber Du
foltteft e3 nicht gleich ahnen, bewegen verbarg ich ben Dir zuge-
dachten Theil in dem Seffel, den ich Dir hinterlaffe. Die Feder zeige
ih Dir, ehe ich fterbe. Vergib meiner Thorbeit und bete für
Deinen Bruder Joſeph Glöckner.“
Der Friedensrichter hatte längſt bag Papier neben das Käftchen
gelegt‘ und noch dauerte bie tiefe Stille fort, die während bes
Leſens geherrfcht Hatte.
„Ad, nun weiß ich, warum mein Ohm Joſeph meinem Vater
den Seffel fo gewaltig auf bie Seele band. Nun weiß ih, was
er ihm in's Ohr flüftern mollte, ala der Tod das Band jeiner
Zunge feflelte,” fagte mit Thränen im Auge Meifter Glöckner.
Drewes ftand mit heiteren Zügen neben ihm. ‚Nehmt Euer
Eigenthum, Meiſter,“ ſprach er, „und ben Seffel ſchenke ich Euch
dazu. hr, junger Mann, habt mir heute verfprocdhen, baß Ihr
mir ein, gleiches Kunftwerf hier wollet machen laſſen. Ich halte
Euch beim Wort.” |
„Das ich halten. werde,” fagte freudig Leberer.
— 1568 —
„Meiſter,“ wandte fi) Drewes barmuf an ben’ Satiler, „nagel
den Bezug wieber drauf.’ |
„Mit den Nägeln von Silber?’ fragte biefer bedenklich.
„Verſteht fih — denn mich geht er nichts mehr an: Ab:
habt ja gehört, daf ich ihn Meifter Glöckner geſchenkt. — Meiſtet,
nehmt Eure Schäßel”
„Stille ‚’ fagte ber Richter. „Wir wollen erit ſehen, wa in
den Rollen ift.” Er nahm eine heraus und öffnete fie. Es waren
Doppelguinen. „Empfangt Euer rechtmäßiges Erbe,‘ ſprach er zu
dem tiefgerührten Greiſe. „Ich wünſche Euch Glück!“
-
6.
Ein. Jahr fpäter fagte Drewes zu feiner Schweſter, unter
beren Papageien ein arges Sterben gefommen war: „Julchen, ik
Mainz ift ber van Aaden mit feiner Dienagerie. Laß ung zufammen
dorthin reifen, dann kannſt Du Dir neue Eremplare faufen. Ich
muß doch bin, denn ber alte Glöckner bat mir gefchrieben, mein
Seſſel fei fertig, aber ich müſſe ihn felber holen, zumal ih Pathe
bei dem Giftgeborenen feiner Tochter geworden und bie Kinbtaufe
bis zu meinem Kommen außsgefegt ſei.“
. Das gefiel Jungfer Julchen über bie Maßen, und die zwei
Geſchwiſter reiften zum erften Male in ihrem Leben mit einander
nah Mainz. In einem flattlihen, ſchönen Haufe auf ber großen
Bleiche hielten fie an. Zwei junge Männer und ein Greis empfingen
fie mie alte, liebe Freunde an ber Thüre.
„Jun, das ift ſchön,“ fagte Drewes, „daß ich auch Sie Hier
finde,” und reichte mit biefen Worten Leberern bie Hand,
„Wiſſen Sie denn nicht, daß wir einen Holzhandel in Gemeinfchaft
führen, Kugler und ich,“ fragte Xeberer, „und ba er köſtlich geht?”
„Nein,“ ſprach Drewes, „aber daB freut mid, Ihr feid
. 19 —
zufammengeführt worden in ben Tagen ber Sorge' und bes Unglücks,
fo müßt Ihr auch zufammenbleiben in den Tagen des Glide,"
Die Alten wurben binaufgeführt und ein ſchönes, blühendes
Weib brachte einen prächtigen Knaben dem Her Orewes entgegen
und fagte: „Segnen Sie Ihren Pathen, ber mit feinen Eltern
Ihnen Glück und Segen verdankt.“
Drewes beugte ſich über das Kind und küßte es auf bie
Stirn, und es währte länger als ein gewöhnlicher Kuß, bis er ſich
aufrichtete, weil — er eine Thräne verbergen wollte, die dagegen
Kathchen ſich Feine Mühe gab, in ihrem ſchönen, glänzenden Mutter:
auge zu verbergen.
Nachdem ſich die beiden Anfümmlinge von Bingen einigermaßen
erholt hatten, nahm Glöckner Drewez an der Hand und führte ihn
in ein größeres, nebenanftoßende® Zimmer. Dort flanden zwei
Seffel — einer wie ber andere, beide gleich mit purpurrothem
Sammet bezogen. |
„Run, theurer Freund,‘ fagte Glöckner, „welches ift ber alte,
ächte Glücksſeſſel?“ \
Alle waren gefolgt. Drewes ging prüfend um beide herum,
Er befah alles fo genau wie möglich. Endlich, nach langer Prüfung,
richtete er fich auf, ging auf Xeberer zu und fprad: „Sie find ein
wahrer Herenmeifter 1"
„Ich nicht,“ lachte biefer, „ſondern einer unferer gejchidten
Arbeiter. Nun, welcher iſt's?“
„Ehrlich geftanden, — ich weiß es nicht,” meinte Drewes
etwas Fleinlaut.
„Da jehen Sie, wie wahr bag ift, was ich Ihnen im rothen
Haufe ſagte. Man Fan die Leute mit fehenden Augen blind machen
und mit der Altertbiimelei geht’3 in ber Negel auf ein bischen Lug
und Trug hinaus. Herr Glöckner,“ fuhr er fort, „zeigen Sie ihm
ben neuen, denn — ich kenne ihn felber nicht mehr.‘
[4
— 170 —
Gloaner druckte auf bie geheime Feder und fagte: „Dieß
ift der alte.”
Wirklich war ber neue ein Meiſterſtück und ber Schreiner, ber
ihn gefertigt, Hatte durch künſtliche Beize dem Holze auf's Täus
ſchendſte diefelbe Farbe gegeben. Glödner zog Drewes in ben neuen
Sefjel, wo er ſich fegen mußte. Dann umarmte er ihn und ſprach:
„Gott. laſſe Sie lange barin gefund und ohne Sorgen ruhen 1!”
Alle ftimmten in diefen Wunfch auß treuem Herzen ein.
Am folgenden Tage war die Kindbtaufe, mo dann der Friedens:
richter und ber Sattler, wie auch der öffentliche Ausrufer nicht
fehlten, der Drewes den Seſſel zugejchlagen. Sie verlebten einen
glücklichen Tag, und Drewes und feine Schwefter fonnten fi) recht
in der Kiebe, bie ihnen fo innig gezollt wurde. Sie blieben mehrere
Tage bei ihnen in Mainz.
Schambattiſt half Jungfer Julchen die ſchönſten Papageien
Taufen, und als fie endlich ſchieden, war das Meine Verdeck ber
Diligence ganz von ben Käfigen der fchreienben Vögel bebedt, aber
bie Mitreifenden hatten nur Augen für den Föftlichen Seffel, ber in
der Kajüte fland, was Dremes. große Freude bereitete, zumal ihn
Jedermann für-alte, köſtliche Schnibarbeit anfah.
⸗
—
— 11-—
‚ Bes Donanen Rind.
Eine rheinifhe Schmugglergefchichte.
+
1.
Wo zwiſchen Bingen und dem Dorfe Heimbach die Burg
Soneck hoch auf einem Felſen thront, beginnt der Soon, ein
mächtiger Wald, welcher ſich über die Berge hinzieht, die das
reizende Nahethal gegen Norden begrenzen und ſchützen. Seine
Langeausdehnung beträgt wenigſtens vierzehn und feine Breite
‚burchfchnittlich vier Stunden. Bäche, welche von der Wafferfcheide
des Hunsrückens fih zur Nabe binwinden, haben an vielen
Stellen die Berge durchbrochen und fchauerliche Schluchten in das
ſchwarze Geftein gerifien, wo ihre Wellen im weißen Scaume fidh
an ben Felſen brechen; am anderen Stelle ſchneiden liebliche Thäler
in die Berge ein, wo fich ber fleißige Menſch angebaut und feine
Dörfer gegründet hat; aber auch auf ben füblichen Abhängen bes
bunfeln Soon bat in früheren Zeiten ſchon die Art gelichtet, und
wo einft der Wald herrfchte, ba zieht jebt ber Pflug feine Furchen,
und die golbene Aehre reift im Strahl ber Sonne auf weiter Flur.
Dort, am füblichen Abhange, wo unfern auf hoher Kuppe eine
alte Wildgrafenburg über die weite Gegend ſchaut, liegt ein Dorf,
das gegen Norden ben die Höhe bebedenden Hochwald Soon zum
Schutze bat, beifen Fluren fih rechts und links ausdehnen und an
deſſen Häufer fih ein grimer Gürtel von Wiefen anfchmiegt, fo
faftig und frifch, daß das Auge fchon von Ferne fich daran erlabt.
Ein Wald von Obftbäumen umfchließt das Dorf, aus bem fein
Kirchthurm recht hoch heraudfchaut. Unfern bed Dorfes flürzt ein
!
— 172. —
Bach in eine tiefe Schlucht, die auf beiden Seiten mit dichten
Gebüſche bewachfen ift, aus welchem einzelne Hochſtämme ſchlank
in die Freiheit hinauffireben. Weiter-umten wird ber Fluß des Baches
rubiger, dern bie Thalfohle wird breiter und ebener, und bort
Tiegt die „vothbe Mühle,’ fo genannt, weil dad Balkenwerk roth
angeftrichen ift feit alter Zeit, und die Gefachfpiegel weiß find.
Damals, ala unfere Gefchichte fich dort ereignete, wohnte hier ein
alter Sunggefelle und trieb dag Gefchäft des Mahlens mit Erfolg.
Wenn man von ber Mühle ben gewundenen Felspfad hinauf
nach dem Dorfe fteigt, fo geleitet er durch ben Witfengürtel bes
Abhangs in einen breiteren Pfad, der, auf beiden Seiten mif
Hainbuchen bewachſen, nad dem Dorfe führt. Links, wenn man
in's Dorf tritt, fleht ein Bauernhaus, mit Stroh gedeckt, wie alle.
Das Strohdach läuft aber gegen die Wiefe, die fich daran fchließt,
und die eine befhorene Hainbuchenhecke einfriedigt, weit vor, ruht
auf vier gewaltigen Stämmen, und bildet fo eine eben fo fühle .
als anmuthige Wagnerwerkſtätte. Dieſes Haus bewohnte ber
alte Fehringer mit ſeinem Sohn und der alten Baſe Lene, Lenebas
ſchlechthin genannt. Gegenüber, und nur durch den Pfad getrennt,
ſtand ein kleines Haus, einem reichen Bauer Namens Ries gehörig,
das aber an den Douanen Dollart vermiethet war. |
Aber, fragen vielleicht meine Xeferinnen, wer war benn das?
Was heißt denn ein Douane und wie Tommt ber bierber? —
Darauf muß ich freilich antworten, und bin genöthigt etwas weit
auszuholen.
Als Napoleon die Welt beherrfchte, oder doch einen großen-
Theil davon, trug er, wie bekannt, unerfättlichen Haß. gegen Engs
and, deſſen Macht zu brechen feine höchfte Aufgabe war. Gerade
am allerverwundbarften Siegfriedsfleckchen faßte er’3, nämlich. am
jeinem Gewerbfleiße und Handel. Er verſchloß nicht nur allen
engliſchen Waaren feine Grenzen, fondern. felbft denen, welche durd.
englifchen: Verkehr ung zugeführt werben. Darum z0g er eine
— 173 —
deppelte Zollwãchterlirie um bag Weich. Am heine flanden’ biefe
„Douanen“ enge, mb man begegnete ben bewaffneten Grünröden
überall bei Tag und bei Macht, denn fie gingen von Poſten zu
Boften, um ja jede Regung auf den -Fluthen bed Rheines zu
beöbachten, und es war kaum möglich, daB vom jenfeiligen Ufer
ein Kahn landen fonnte, ohne daß Einer biefer den Uferbewohnern
verhaßten Unglücksvögel zur Hand gewefen ‚wäre, ſchonungslos ben
Landenden zu betaften und ‚zu unterfuchen bi? auf's Hemd, ob er
‚ feine verbotenen Waaren einſchwärze oder, wie man hate: ein⸗
ſchmuggle.
Eine zweite Linie, freilich weiter auseinander ſtehend, zog ſich
über die Höhen und-Berge bin, welche etwa zwei bis drei Stunden
vom Rheine entfernt waren, und zu biefer, ber fogenanmten
„ſchwarzen Brigade” gehörte Dollart, welcher in bem Haufe neben
Tehringer wohnte, mit feiner Frau und feiner Tochter Claire einen
‚Heinen Haushalt bilbend.
Am Rande foftete Salz, Tabak, Kaffee und Zucker horrendes
Geld, und über dem Rheine, in den Uferorten, nur ſehr wenig
Wenn nämlih im Lande der Kaffee das Pfund zu zwei Bis
drei Gulden bezahlt wurde, fo Toftete-e3 drüben etwa ein Sechstel
ober Siebentel dieſes Preiſes, und fo im WVerhältniffe Alles.
Engliſche: Stoffe aber erreichten eine Preishöhe, die fabelhaft heute
Hingen würde.
Es iſt eine wralte, ſelbſt im Paradieſe begründete Wahrheit,
daß eben das Verbotene reizt. Hier kam indeſſen auch noch das
Bedürfniß hinzu, um ben Schmuggel zu begründen..—
883 war das eintraglichſte Geſchäft für bie Schiffer mad
Rheinuferbewohner, zumal Schifffahrt und Handel unglaublich
Hodte. Aber es hatte dies Gewerbe feine Schwierigfeiten und
Gefahren.
Wurde ein Schmuggler ergriffen, ſo war die Galeere fein |
Erbe, und Hab und Gut wurde als Staatseigehthum verkauft,
4
— 174 —
wenn man in einem Haufe ausländiſche Waaren fand, bie unver-
zollt eingeführt waren. Die Zölle aber glichen in ihrer enormen
Höhe einem völligen Verbote wie ein Ei dem andern. Da Indte
ber große Verdienſt, unb bie Schlauheit mußte bad NAeußerfte
anfbieten, wenn fie bie Sit ber Douanen überliften wollte; es fei
denn, daß fie, die fehr geringe befoldet waren, bie Hanb mit ben
Schmugglern im Spiele Hatten und gefällig rheinaufwärts gingen,
wenn rheinabwärts ein Kahn mit verbotenen Waaren landete. Rafdh
warfen bann bie Schmuggler ihre Bündel, welche mit Saalband-
trägern verfehen waren, über, und mit Winbegeile ging’8 den Berg
binan, wo oben ber: Wald fie in feinen bunfeln Schug nahın.
Maren fie glüclich über die erfle Douanen-Linie draußen, fo
war das Spiel ſchon halb gewonnen. In einer Mühle, einem
Förfterhaufe, ober in einem einfam ftebenden Hofe wurden dann
die Bündel abgelegt; Andere, Landeskinder, welche bie Wälder und
Schliche Fannten, nahmen fie bier auf und trugen fie bis hinter bie
zweite Douanen-Linie, unb jenfeit3 biefer war der: Sieg errungen
und bie Waaren gingen bi8 Paris, wo bie Damen bed Hofes
Napoleon’8 bei den Faiferlihen Seiten in ben oben englifchen
Stoffes und im Schmude engliſcher Spigen fi) bewundern ließen;
ſelbſt ber duftende Kaffee auf den Tafeln in den Paläſten Napo-
leon's war gefhmuggelter, bem man's freilich nicht anfchmedte.
So ſtand's damals am Nheine und in den Bergfetien, bie
feine Ufer bilden.
Auch in dem Dorfe, deſſen Lage ich eben gefchildert, war feit
Kurzem, es war im Jahre 1813, eine fchmugglerifche Verbindung
angefnüpft, und ber Wirth Kamper fuchte eine Schmugglerbanbe
zu bilden.
- &8 war an einem Sonntagnachmittage, ſchon gegen Abend,
als alle die Leute heimgegangen waren, ba faß ber alte Fehringer
allein noch bei bem Wirthe und blidte wehmütbig auf fein Glas,
in dem nur noch wenige Tropfen ſtanden.
— 15 —
' Der Wirth raffelte mit der Rechten in feinem Sade mit Geld,
während er mit ber Linken mit feinem vollen Glaſe ſpielte. Sein
Auge rubte dabei mit einem pflffigen Ausdruck auf dem Yehringer. —
Endlich fagte er: „Was benfft Du jetzt Fehringer ?“
„a2 ich denke?“ war beffen Antwort, „bag mein Hanbwerf,
feit ber Jörg fih bier als Wagner gefegt hat, mir nicht mehr ſo
viel gibt, daß ich leben kann —“
„Und trinken!“ fiel der Wirth ein und lachte dazu.
„Auch das, fuhr Fehringer fort. „Du raſſelſt im Gelbe,
und wenn Du mich auf ben Kopf ſtellſt, fälft Kein Pfennig heraus;
Du haft ein volles Glas und bad meine ift leer. Das tft unan-
genehm, ob ich gleich Fein Säufer bin.’
„Da trink' einmal mit mir, ſprach der Wirth, und ſchob ihm
fein Glas zu. ‚Aber bift Du daran nicht felber Schuld?" fragte
mit einem Tone des Vorwurfs der Wirth.
„Das verdien’ ich nicht,” ſprach mit Feſtigkeit ber alte Fehringer.
„Niemand wird mir und meinem Martin abfprechen, daß wir ung
ehrlih umtbun; daß wir arbeiten mit Freuden, wenn wir Arbeit
haben; allein e& geht fo in ber Welt, daß Alles bem neuen Wagner
zuläuft, weil neue Beſen gut ehren. Mein Gut iſt geringe. Es
nährt mid nicht. Das Handwerk wirft nichts mehr ab. Da baft
Du gut reden.” —
„So hab' ich's ja gar nicht gemeint,” nahm ber Wirth das
Wort. „Ich weiß ja, wie es Euch geht, und felbft das weiß ich,
dag Du mit Deinem Schwager zerfallen bift, der Dir helfen könnte,
ber Müller in der rothen Mühle nämlid. Ih dachte an ein
Anderez. Und nun neigte er ſich flüfternd zu Fehringer's Obr
und fagte: „Du Fünnteft mit Deinem Sohne alle Woche zwei,
auch vier Kronenthaler verdienen, und zwar wenn Andere [chlafen!
Verſtehſt Du mich?“ —
Fehringer fuhr auf. „Wie meinft Du das?“ fragte er
betroffen. '
\
— WW —
„Run“ entgegnete ber Wirth,‘ „die ganze Arbeit beſtünde darin
daß Ihr zivei Bündel trüget. Für jeden fällt ein Kronthaler ab.’
„ba, ſchmuggeln,“ fagte Fehringer.
„Ja, ſchmuggeln,“ war bed Wirthes Gegenrede. „Ihr nehmt
‚die Bündel und tragt fie nach dem Schwarzfelſer Hof dahinten.
Es find brei Stunden Weges. Den Weg kennſt Du wie Du Deine
Weſtentaſche fennft, und gehft ihn im Dunkeln fo ficher, wie an Tage.‘
„Sa, wenn ber Dollart nicht wäre!“ oo.
„Was Dollart?” rief zornig der Wirt. „Sich nicht fangen
Iaffen, ift die Kunſt.“
‚Den .trau’ Einer!“ fagte Behringer. „Ich weiß mehr,
als Du!”
‚Run was weißt Du denn?” fragte fpottend der Wirth.
„Wir find allein,’ fprad mit feierlidem Ernſte Behringer,
„da Tann ich reden. - Du weißt, fie fagen, ber gebe nicht mit.
rechten Dingen um; er babe — einen Pakt mit dem Böfen, und
barum fange er die Schmuggler fo oft. Ich habs gefeben, daß
es nicht juft ift mit ihm. Glaub’ mir’. Ich bin fein Hafe, aber
es gibt Dinge, die Einem eisfalt machen.‘
„Du abergläubifcher Narr!” ‚rief zornig ber Wirth. „Wem
er Alles wüßte, jo wären die Schmuggler nicht geftern ihm vorbei
gewiſcht.“
‚Mag ſein,“ entgegnete Fehringer, „aber was meine Augen
ſehen, das glaubt mein Herz. Es war heute vor drei Wochen,
. am Samſtag Abend. Ich war im Walde, um mir eine Laft
guter Schippenſtiele zu bauen. Der Mond ſchien Hell wie ‚am
Tage. Ich Tag, ‚weil ich den Förfter witterte, im Buſch und Kielt
mich file, wie ber Hafe im ‚Lager fißt, unb duckte mich. Da.jah
ih Einen am Saume des Waldes fchleihen; aber e3 war der
Heine dicke Förfter nicht, fondern die lange, hagere Geſtalt des
Douanen Dolart. Nicht weit von mir ftand ein alter Ständer,
Du weißt ja die hohe Eiche am Heiligenbrunnen. Da ſah ich ihn
— 17 —
fieben, mutterſtelenallein. Da pfiff er plötzlich Turz, Hell und
gellend, und blisfchnell war noch Einer bei ihm, auch angethan wie
ein Douane, eine Flinte im Arm, einen Hut auf, wie Dollart. Sie
flüßterten mit einander. Plöglich dreht fidh ber fremde um und
fein Gefiht war — rabenſchwarz! — Gleich darauf gingen fie nad
ben Sillrotherwalde Hin und Piff! Paff! Hör’ ich die zwei Flinten
fnallen, und fie hatten bie Waare ber Schmuggler, zehn reiche
Bündel, bie ihm ein böllifches Geld einbrachten. Was meine Augen
ſehen, glaubt mein Herz, Kamper. Ach weiß, baß weit und breit
fein Douane ift als er, unb ich hab’ ihn allein aus feinem Haufe
geben fehen und allein heim gehen. Mach's rund, wenn Du
kannſt!“ —
Der Wirth ſchwieg und es rieſelte ihm kalt über den Rücken,
eißfalt, denn bie Schmuggler hatten den Schwarzen auch geſehen,
als fie von ihm betroffen wurden, unb fie ihre Bündel abwarfen
unb bavon Tiefen.
„Larifari!“ ſprach er; „Ihr habt in ber Angſt Alles boppelt
geſehen, und fchwarz ſehen in ber Nacht alle Katzen aus. Du
Könnte als Schmuggler mehr leiften, als Alle zufammen, weil Du
ben Spitbuben auslauern könnteſt; ja Dein Martin, ber mit ber
fhönen Claire gar gut ſtehen foll, wie der Adam Ried will heraus:
gefunden Haben, Tünnte ed erft recht auslufen, wohin der lange
Dollart geht. Ginge er rechts, fo ginget Ihr links, dann wäre
das Fangen denn doch eine Kunſt.“
„Mein Martin bat nichts mit dem Douanenmäbdel zu thun!“
rief ehringer zornig. „Der Neibfad, der Adam Nies, hätte das
Mädel gern zur Frau, aber es mag ihr nicht, unb baher meint
er, mein Martin, ber ein bilbhübfcher Jung’ it, müßt mit dem
Mäbkhen Liebhaben fpielen. Glaub’ dem Lügner nichts. Der hält's
mit dem Dollart, und könnte er, fo werriethe er ihm Alles.”
„Mag fein," verſetzte der Wirth, „aber ausfpioniren Tönntet
ihr ben Dollart doch und ſchmuggeln helfen. I Dir's recht, fo
Horn's Erzählungen. IX. - 12
— 18 —
flag ein; abet ein Schloß vor ben Mund, hörſt Du, umb nıcegen
beginnt Arbeit und Verdienſt.“ "
Fehringer'n flieg daß Blut in ben Kopf, daß er feier ſchwindelig
wurde. Eine Weile ſaß er da and wußie nicht, folkte er einfchlagen
ober nicht — dann aber flug er raſch ein. ü
„Sp iſt's vet,” fagte ber Wirth. „Run will ich Dir auch
vertrauen, daß in meinem Haufe die Bünbel liegen und Ihr von
bier aus fie auf den Gef tmget. Ich zahle Euch ben Lohn aus
umb ein folcher Berdienft laͤßt fich Hören.‘
No eine Weite zedeten fie halblaut, dann ging Fehringer
beim unb Mariin trat ihm aus ber Werkſtatt entgegen.
2.
Dollart war ein Glfäffer, unb dazu ein pfiffiger Menich, was
nicht alle Elfäffer find; aber was fie meift find, won Herzen gut⸗
mithig. Er ſuchte feine Familie ehrlich zu nähren. Wenn ton ber
Dienſt nit in Anſpruch nahm, faß er an feinem Webeſtuhl und
wob Damaſtleinen, in weldyer Kunf er Meifter war. Seine Frau
ſtand mit ben Bauernfrauen ungemein gut; benn fie verfland bie
Hauben zu machen, zu waſchen und zu bügeln, unb Claire half
wade. Dollart's waren wicht flolg, Tleibeten fich befcheiben und
Glaire ging mit der Mädchen freundlich um, und wenn bie Burfche
und bie Mädchen Sonntag Abends vor's Dorf ſpazieren gingen,
umb fangen, ba war fie babei, und ihre glockenreine Stimme hörte
man vor alla.
Die: Mädchen waren freilich mit Ghaixe wicht zufeieben; ihr
aber Tonnten fie doch keinen Borwurf machen, weil fie ihm Orunde
unſchuldig daran war. Das lag nänrlich fe. Claire war achtzehn
Sabre alt und fchön, wie ein Engel Eine hohe, Rolze Gehalt,
mit braunem Haar, ſo glänzend wie bie Schale ber reifen Kaſtanie,
wenn fie aus ber Kolbe fällt; mit Augen fo groß, fo klar, fo
— 19" —
S
freundlich, daR man nichts Sertlicheres ſehen konnie; mit einer
Huntfarbe, wie der junge Schmee, awf bem bie Diorgenfonne ruht
ihm erſten Strahle; mit einer Reichtigkeit be3 Ganges umb ber
Bewegungen, als hingen alle biefe veizenben lieber in feinen.
Delthichen — kurz — fchöner war weit und breit fein Mädchen,
obgleich im Dorfe die Schönften ber ganzen Soouhöhe zu finden
waren, und die auswärtigen Burſche fih manch' Mädchen heim⸗
holten zum Aerger ber Ginbeimifchen.
Seit Claire im Dorfe war, batten alle Burſchen nur Mugen .
für fie, und es ſchien, als feien die anderen bilbhübfchen Mädchen
gar nicht ba; aber Claire gab doch gar Feine Beranlaffung bazu.
Ste zeichnete Keinen aus, ging Keinem zu Gefallen, unb, wenn fit
ach gegen Keinen unfteunblich war, fo Hatte fie boch fo eine merk:
würdige Art, daß es Keiner wagte ſich ihr zu ‚nähern, ober einen
Scherz mit Ihr zu maden. Es war srbentlidh ein Reſpekt, ben fie
vor dern muntern Mädbchen hatten,-al3 ob's bie Pfarrerätochter wäre.
Wenn nun auch fo ein heimlicher Neid in den Herzen ber
Mapchen faß, fo ließen fie’ denn doch die berzliebe Claire nicht
entgelten; benn das hätten fie gar nicht fertig gebracht, weil fie zu -
gut, freundlich und lieb war gegen Kebermunn, ohne Ausnahme.
Und wenn auch bie fchöne Claire keinen ber Burfchen auszeichnete,
fo war Doch Einer, der es beffer wußte, als alle, wie es um ihr
Herz fand, und welch’ eine Seligfeit e8 war, von ihr geliebt zu fein
— und das war — — Fehringer’3 Martin, ihr Nachbarsſohn.
Martin war jo «lt als Claire, und bie Mädchen im Dorfe
weren alle einftimmig barin, er fe ber ſchönſte, bravſte und
beſcheibenſte Burſch Im Lanbe; das konnte ihm aber andy felb ber.
Abam Ries micht ableugmen, ber’s doch fo gerne gethan bätte, weil
ex ihn beneibete —
Martin war groß, farkgebaut und doch fchlanf. . Seine Haltung
war Terzengeade. Um ein blübenbes Antlig fproßte ber junge Bart
und gab ihm eine bunflere Befhattung, ud; wenn er ihn ſorgſam
12°
— 180 —
abrafirte.. Dunkle Loden fielen in krauſen Ringeln um das. ſchizne
Dval feines Geſichts und feine Augen Teuchtelen wie zwei Sterne. -
Seine Haltung war ſtille und ernft, fein Leben fleißig und vor⸗
wurfsfrei. Daß er arm war, that nichts; denn ber Müller in der
rothen Mühle war fein Ohm und Pathe, und er fein Liebling,
wenn er auch feinen Vater nicht leiden konnte, der feine felige Frau,
bes Miller Schmwefter, übel behandelt hatte. Stand auch has
Erbe im weiten Felde, fo kam's doch einmal ficher, und wenn jegt
.ber Müller die Hände feft zubielt, fo kam das ja dem Martin
allein zu Gute.
Seit Dollart’8 Claire im Dorfe war, konnte man freilih am”
dem Martin etwas merken. Er hatte fein Mädchen, feinen Schag,
und wahrhaftig, jebe hätte fich glücklich gepriefen, bie fich hätte
fogen bürfen, fie ſei's, bie er erkoren. Manchmal fagten bie
Mädchen unter fih: Es if mit den Zweien, ber Claire und ben
Martin, nicht richtig; denn heute hatte die gemeint, fie hätte
Martin auf einem Blicke ertappt, der unbewacht zu Claire geflogen
und bie Fülle einer innigen Liebe verrathen; morgen meinte jene,
fie babe. es gefehen, wie Claire's wundervolle Augen lange und
ausdrucksvoll auf Martin gerubt, und fie roth geworben fei bis an
bie Obrläppchen, ala fie fi) bemerft und beobachtet geſehen; allein
babei blieb’3, und fidjere Beweife fehlten, wie ſorglich auch die
Beobachtung war.
Die Liebe, auch die reinfte, ift ſchlau. Das if eine Welt:
erfahrung und eine Thatfache, für die taufend Beweiſe vorliegen.
Das Geheimniß ift fo ſüß, if ein fo gewaltiger Zauber, daß feine
Macht unendlich groß umd weitreichend iſt. Das felbiteigene Wiſſen
um bie Liebe bed geliebten Weſens entfchäbigt für Alles und ein
Augenblid glücklicher Gemeinfchaft reicht bin auf Iange Zeit des
Entbehrend. Das zeigte fich bei Claire und Martin im bellften
Lichte. Sie hatten fich liebgewonnen, ebe Ein? dem Andern nur:
irgend feine Liebe verrathen. Ein Moment aber war entſcheidend
— 181 — N
geweien. Claire fland einft am Bache, Waſſer zu ſchöpfen. Ein
von ihr fehr geliebtes Kind einer benachbarten Familie war ihr
gefolgt und flürzte in ben Bad, der e8 mit fih fortriß. Ver—⸗
zweifelnd fchrie das Mädchen um Hülfe. Martin Fam gerade am
Ufer des Baches durch die Schlucht herauf. Er vernahm ben Ruf,
erfannte die Stimme und beeilte feine Schritte Da fah er das
Kind, ftürzte zum Ufer in ben Bach und rettete das Kind. Keine
Menſchenſele war weit und breit zu ſehen. Martin trug das
Kind zu Claire und beide brachten es in das Leben zurück. Claire
eilte hinweg, trodene Kleider zu holen, was ihr unbemerkt möglich
war, da bie Eltern bes Kindes auf dem Selbe arbeiteten, Claire aber
im Haufe fehr befreundet und befannt war. Beide kleideten bag
Kind um unb pflegten e8, biß e3 wieder ganz munter wurbe. Nun
reichte Claire Martin ihre Hand, bie er nicht wieder loslaſſen
wollte und bie ihm Claire auch gerne ließ.
Während das Kind vor Erfchöpfung auf Claire's Schdoß
einfchlief, plauberten Beide trauli, und das füße Geheimniß ber
ſtillen Bruft fand feinen Weg über die Lippe, unb über: bem
ſchlafenden Kinde wurde ber Bund ber Herzen gefchloffen, aber
auch das gegenfeitige- Gelbbniß abgelegt, daß Niemand ihre Liebe
ahnen dürfe.
Das hielten ſie treu und jene Aeußerungen der Mädchen
waren mehr eine Zuſammenſtellung von Vermuthungen, als wirkliche
Thatſachen. Daß fie beobachtet wurden, wußten Beide nur zu wohl;
denn Adam Nies verfolgte die liebliche Claire mit feiner Liebe und
bie Mädchen wollten auch, wie biefer, um jeben Preis babinter
fommen, ob benn, wie fie fagten, Claire ein Herz von Stein babe,
und ob benn Martin abfolut in's Kloſter gehen wolle, ba er boch
Proteſtant, und nicht einmal ein Klofter im Lande fei.
Zu dieſem Geheimniß trieb fie auch noch ein Anderes: Claire '
Bater war ein firenger Mann und würde eine Neigung feines
Kindes zu einem bloßen, bazu unbemittelten Bauernburſchen durch⸗
⸗
=
— 182 —
aus nicht gebilligt haben und der Meüller in ber rothen Mühle war
. ein fo erbitterter Franzoſenfeind, daß er eime ſolche Verbinbung feines
lieben Pathen und Exben in Hoffnung nicht würbe gebuldet Haben,
| Hoffnung ift allerwege die Begleiterin ber Liebe. Auch Martin
und Claire bofften und um fo mehr, als ihre Liebe in ihrer
Lauterfeit gewiß bed himmliſchen Schutzes würdig war.
Dem Bebürfnig der liebenden Herzen genügte es, fich felten
zu fehen. Da die Hauswiefen an einander fließen und Martin
jebe Stunde des Tages in ber Werkftatt hinter dem Haufe faß, fo
fehlte es nicht an bem, was das Herz erfehnte. ‚Sie ſahen fich,
fie wechfelten über ben Zaun weg ein Paar fühe Worte, brüdten
fih die Hand, und wenn an ben Sonntagnahmittagen bie Burſche
und Mädchen in hellen Haufen fpagieren gingen unb Lieber fangen,
jo fahen und hörten fie fih, und das genügte ben beſcheidenen
Herzen, und mehr heiſchten ſie nicht.
Auch an dem Abende, als Maxtins Vater ben Bund mit dem
Wirthe Kamper gemacht, und Martin ihm aus ber Werkſtatt entgegens
fam, hatten Beide ein halbes Stündchen unbemerkt geloft, und voll
file Yreude war Jedes in das Haus getreten. Wenn auch bie
gute Lenebas, bie Fehringer’3 Hausweſen leitete, um bie Liebe
ber Beiben alleine wußte, fo ſprach fie Doch fein Wort barüber und
weber ein Scherz, noch eine leife Anbetung färbte jemala Martins
Wangen höher. Die alte gute Serle hatte ihren braven Bkastin
viel zu Lieb, und auch daß freundliche Douanenkind liebte fie, wie
eine Mutter. Sie war ber Meinnng, Beide fein fo recht für
einander geſchaffen, und lonnie fie irgend eine Gefahr abhalten, fo
that fie es gewiß. Sie machte ordentlich oben im Haufe am Dach⸗
fenfter ihres Kämmmerleins, wenn eima Jemand käme, ber fie
überrafchen köͤnnte und machte dann irgend ein Geräuſch, das bie
Liebenden ſchnell auscinander trieb, ehe bie Gefahr nahte. Wir
treuer Schutzgeiſt wachte fie über ihrer Liebe, ohne daß ihr bei
dd
— 18 —
Schweigen Martins wehe gethan Hätte. Einen Mangel an Ber:
trauen erblidte fie barin gar nick.
Fehringer'n ſah fre auch heute kommen und rief laut einer
Nachbarin ein Paar gleichgültige Worte zu, welche ſchnell die
Anterredung ber Beiden beendeten. Fehringer trat zu Martin.
„aß und in die Stube gehen, Martin,‘ fagte er. „Ich
habe Dir Wichtiges zu jagen. Wir find jegt noch allein.“
Martin folgte feinem Vater und dieſer theilte ihm das mit,
was eben zwifchen ihm und Kamper ſich Jirgetragen.
Martin erichrad. Er überblickte ſchnell das Gewagte deö Unter:
nehmen? und eine Stimme in feinem Innern ließ ihn dad Unrechte
beifelben richtig erfennen — fowie die Gefahr, bie diefer Erwerb
feiner Liebe drohte, Er ſprach tiefbewegt fich aus. Der Vater
hörte ihn ruhig an,
„Martin,“ ſagte er, „Du big verftändig genug, einzufehen,
daß wir fo, wie ed jetzt um uns fieht, nicht ange beſtehen können.
Alle Bauern laufen zum Wagnerjörg, ber gut und wohlfeil arbeitet,
wohlfeiler, als wir es Tünnen. Wie er das fertig bringt auf bie
Dauer, wos bock bad Nutzholz fo thener iſt und alle Tage theurer
wird, weil die Förſter mit bem Fällen geizen, das weiß ich freilich
nieht, und ift auch feine Sache; aber bad weiß ich, daß ich fo an
bern Bettelftab komme und bald. Schulden drücken uns jetzt ſchon.
Wohin fol es kommen? Seit hundert Jahren waren in unferm
Dorfe feine Bettler, follen wir bie erften fein?” —
„Vater,“ jagte Martin, „ich will Holzhauer werden!“ —
„Das iſt ein ſchlechter Verdienſt,“ antwortete der Vater.
„Wenn's gut geht, verdient Einer das Waſſer, das er trinkt. Die
Förſter haben Alles aufgeſpitzt.“
„So will ich mich als Knecht verdingen; Ihr mit der Bas
bringet Euch durch, und von meinem Lohn will ich Alles abgeben,
was mit von meiner nothwendigen Kleidung übrig bleibt.‘
a
— 14 —
„Das ift gut, aber ‚reicht nicht aus,’ fuhr Fehringer fort.
„Sp viel, wie wir da verdienen, kannſt Du nicht erwerben.‘
Nun ftellte er ihm das, was verdient werbe, in's Licht, redete
bem braven Sohhe zu, bis biefer endlich aus kindlichem Gehorſam
nachgab und einwilligte. Als aber der Vater vom Ausſpioniren des
Douanen Dollart zu reden begann, wies Martin dies mit einer
Haſt und einem Eifer zurück, daß Fehringer zu argwöhnen begann.
Indeſſen ſchwieg er darüber doch und entſchloß ſich, dies Geſchäft
ſelbſt zu übernehmen.
Martin ahnte, was in der Seele ſeines Vaters reifte, und
ſah darin eine neue Gefahr, die dem Geheimniß ſeiner Liebe drohte.
Als ihm Fehringer von dem Schwarzen zu reden begann, den er
ſelber geſehen hatte, wurde Martin betroffen. Von dem Aber-
glauben ſeines Vaters war er frei; aber es dämmerte in ſeiner Seele
eine Ahnung, die ihn tief ergriff, die ihn ernſt und traurig ſtimmte,
weil die Möglichkeit eines unglüdfeligen Ausgangs ihm wie ein
drohendes Gefpenft entgegen trat. Seinem Bater äußerte er nichts;
allein binter dieg Geheimniß mit dem „Schwarzen“ zu kommen,
‚war ihm eine Angelegenheit, welche feine Seele nicht zur Ruhe
fommen ließ und ben Schlaf von feinen Augen fcheuchte, ala er
fpät und befümmerten Herzens fein Kämmerlein auffuchte.
Drüben aber, im Nachbarhaufe, abnte das Tiebende Mädchen
nicht” wie tiefbeiwegt des Jünglings Bruſt war, und ihre Silber
ftimme lang noch lange hell und rein in fein Ohr. Es war, als
wollte fie ihm von ihrer Liebe reben, benn ba8 Lieb, das fie
fang, brüdte das tieffte und reinſte Gerigt aus, das fie in ihrem
Herzen trug.
| 3...
Dollart hatte im Laufe bes Sommers mehrmals glüdliche
Fänge gemacht und das verbanfte er — feiner Claire.
Der Schmuggel wurbe mit einer jeltenen Frechheit betrieben
|
”
— 188 —
in ben letzten Jahren. Es kamen Fälle vor, daß Douanen erſchlagen
oder doch auf den Tod mißhandelt wurden. Ihren Vater allen
dieſer Gefahr bloßgeſtellt zu wiſſen, ertrug Claire nicht. Sie
hatte keine Ruhe daheim in ben dunklen Nächten, wenn fie wußte,
daß er im dunklen Walde allein einer wilden Rotte geſetzloſer
Menſchen, Waghälſe, die der Gefahr trotzten, die ihnen drohte,
mitunter ruchloſer, in Frevel gegen daB. Geſetz verhärteter Böfe-
wichte, gegenüberftand. Aus alten Uniformſtücken ihres Vaters
hatte fie fi mit gewandter Hand eine völlig paſſende Uniform
bereitet. Ein alter Säbel mit dem gelben Lederbandelier hing noch
ba und auch eine Flinte; ein alter Hut vollendete ihre Maske.
Aber durfte fie ihr reizendes, zartes Gefichtchen ſehen laſſen, ohne
daß fie hätte befürchten müffen, auf der Stelle erfannt zu werben,
was dann fchlimmer würde gewefen fein, als das völlige Allein-
- fein ihres Vaters, dem es an Muth nicht gebrach ? Auch bier fand
fie ſchnell ein Auskunftmittel. Ein Trauerflor, vor das eſicht
geheftet, erfüllte vollflommen den Zmed, wenn er aud weiblich
unbequem war.
So ftellte fie fih einft ihrem überrafchten Vater vor umb
diefer, troß feines herzlichen Lachens, erkannte ſchnell ben großen
Bortheil, welcher im der Bitte bes muthigen Mädchens lag, ihn
auf feinen nächtlihen Wanderungen zu begleiten. Er kannte zu gut
ben tief gewurzelten Geifter- und Gefpenfterglauben bed Volles,
ber nirgends mächtiger fich geltend macht, als in Gebirgägegenben
und Lanbfchaften, wo bie wilde Natur und die romantiſche Staffage
in Burgen und Ruinen alter Klöfter eine fo fichere Handhabe
barreicht und bie fchaffende Phantaſie bes Volles nicht ſäumt, in
Sagen und Legenden feinem Aberglauben, ben das Volk mit ber
Muttermilch einfaugt, Vorſchub zu then, um nicht einen ficheren
Bau darauf zu gründen. _
So war denn Claire, ohne daß es Jemand ahnete, faft
allnächtlich der Begleiter ihres Vaters, und, ba fie mehrfach in
⸗
— 16 —
der Nähe geiehen worden war, auch ber Grund jener abenkuerr
lichen Märchen, mit denen wan fi) trug. Allgemein war Weitbene
Dolart geflicchtet und gemieben.
Adam Mies allein wurde feiner Furcht und Scheu Herr, weil
feine Liebe zu Gaire les überwand. Cr ſuchte überall die
Sehmuggler auszuforjegen und machte fich ein Gelchäft daraus, daß
Erkundete Dollart mitzutheilen. So war. e8 biefem gelungen fie au
treffen und ihnen ihre Waare abzunchmen.
Dur des alten Fehringer's Beobachtungen kamen inbefien Die
Schmuggler hinter feine Schliche und auiffe, und ihr Haß gegen
ihn kannte kaum eine Grenze.
Ziemlich oft gelang ea dem alten Jehringer, Dollart’3 Gänge
auszufundfchaften und die Gange ber Schwmuggler waren alle
mal dann ficher und vom gutem Erfolg Der Schmuggel nehm
in ber Richtung Über bad Dorf eine bisher nie gekannten Auf:
ſchwung. Fehringer fah mit Freuden, wie er num wieder frei
ahnen Tomate, daß es ihm möglich wer, feine Zinfen zu begablen,
ja nad und nach ſelbſt das Kleine Schuldcapital abzutragen, daB
ihn drückte. Dollart wußte, wie ber Schmuggel eifrig betrieben
werbe, und Fonnte doch nicht dahinter Tommen. Er zerbrach' fich
ben Sopf, wie das möglich fei, unb fam an fein Ziel. Die Nach⸗
richten vom Rheine fegten es außer Zweifel, daß im Dorfe eine
Schmugglerbande beitehe, die raſtlos thätig fei; bag im Dorfe eine
Niederlage fein müſſe oder nahe dabei, und doch Fonnte er feine
"Spuren finden. Es war außer Zweifel, baß er beobachtet wurde,
und bach blieb. es ihm ein Räthfel, wie dies geſchähe.
Er äußerte dies einft gegen ben firh mehr und mehr an wm
brängemden Adam Wied. Oer lächelte pfiffig.
„Ich glaube, ih Lönnte Euch die Führte zeigen,“ ſagte er.
„Dur fragte Dollart erftaunt. „Warum thuſt Du's nicht,
ba Du ed doc fonft mehrmals gethan?“
Ries zucte die Achſeln umb lächelte; aber ex ſchwieg.
- 17 —
Dekart kannte feinen Maun.
x, Ries,” ſagte er, „aiht es nicht einen filbernen Schläge,
ber die Chüre Deines Mundes aufſchließt 7 |
„Mein, erwiederte Ries wit Feſugeit „ich bin reich und
Geld mag ich micht.“
"Ale etxas Anderes ?“ fragte Dollar. „Was könnte das
fein? Mede dach Adam!“
Mies erroͤthete vor Verlegenheit, Er rieb bie Hände, trippelte
hin und her und konnte das Wort nicht finden.
„Run, nun?“ rief Dolart eifrig.
Adam Ries ſetzte ſich endlich.
„Sind mir allein?“ fragte er.
„Meine Frau und meine Claire find in das Dorf gegangen,‘
antwortete ex mit Heftigfeit, welche fein Verlangen bezeichnete. „Bir _
werden von Niemanbem gehört, yon Niemandem geſtört.“
„So hört mich rubig en,” ſprach Adam Ried. „Ih bin
meines Vater einziges Kind aus zweiter Ehe und ber Erbe eines
anſehnlichen Vermögens. Ihr wißt ed, Herr Dollart, es kann ſich
kein Bauer mit uns meſſen. Alles iſt freies Eigentum. Mein
Bater ift alt. Alle meine rechten Geſchwiſter find geftorben und
bie Stiefgeſchwiſter fiad abgefunben; ich, der jüngfle, lebe allein
ned. Auch meine Mutter if fchon lange tobt, und da mein Vater
fiets krank ift umb Mägde ihn nicht fo pflegen, wie fie follten, jo —
wünft er, daß — ich heirathe. Ueberall wären mir, als Freier,
bie Thüren offen; aber ich will nur eine Frau nehmen, bie ich
Heb habe, und — da — wäre — Eure Claire gerade die, welde
ich über Allen liebe! Gebt mir fie zur Frau, Herr Dollart! Gie
fol es gut Haben; ſie kommt in eine volle Haushaltung. Gebt
mir Claire zur Frau, und ich rede ohne Rückhalt vom ber Leber
weg und enthülle Euch Alles!“
Er. hatte mit ſtockendem Athem zu reden begonnen. Men börte
8 ihm an, daß es ihm zentnerſchwer auf ber Bruft Ing. Die
— 18 — u
Worte wollten gar nicht heraus. Jetzt aber, wo es bon ber Bruft
gewälzt war, das zentnerſchwere Geheimuiß, das ihn fchon fo lange
gebrüdt und dazu fich bie Gelegenheit fo wunderſchoͤn gemacht, jeist
wer ihm wohl. Er z0g tief Athen aus der freien Bruſt und ſah
Dolart triumphirend an; denn er war fi bewußt, mit großer
Augheit Zeit und „Stunde, wie auch bie Umfände, benutzt zu
haben, und trug bie Weberzeugung in fidh, fein Antrag fei unab⸗
weisbar unb der blutarme Dollart werde mit beiden Händen in
der Freude feines Herzens zugreifen.
Dolart hatte fo etwas geahnet, als Adam Ries feinen Anlauf
zu der Rede nahm. Er ſah unter fih und feine Stirne legte fich
in immer engere, Tleinere Falten. Es flieg ein Unmuth in ihm
auf, der am Hervorbrehen war. Bon Adam Ried hegte er Teine
befondere Meinung. Gin Verräther kann nie Achtung von bem
erwarten, bem er dient. Dollart kannte Ries genau. Er wußte
von feinem ſchmutzigen Gelze, von feinem Bauernftolze, von feinen
rohen Uebermuthe; von feiner tüdifhen Hinterlift. Daß er ihm
fein Kind abtrogen, es zur Bedingung eines neuen Verraths
machen wollte, bad ergrimmte ihn noch mehr; inbeflen rieth ihm
bie Klugheit, fidy zu mäßigen, benn er wußte auch recht gut, wie
fhlimm es ſei, einen Menfchen, wie Nieß, vor ben Kopf zu ftoßen.
Konnte er als Freund ihm nicht viel nüßen, fo konnte der boshafte
Menſch ihm mit feiner verläumberifchen Zunge deſto mehr fchaben,
ba ihm die Beamten des Zollamts, unter welchen er ald Grenz
wächter ftand, nicht unbelannt waren. Ste lieben ohnehin gerne
jeber Mähr ihr Ohr. Er hatte übrigens Zeit, ſich die Sache zurecht
zu legen, fi zu fammeln und ben Entſchluß über dad feftzuftellen,
was er ihm fagen wollte, ba Adam's Rede ziemlich lang war,
Als nun endlich Adam ſchwieg, fagte Dollart: „Du haft
Bedingung geftelt, Adam Nies, die ich Dir, fo gerne ich
‘va möchte, nicht erfüllen Tann. Ich will Dir's genau fagen,
mit Claire iſt. Sie iſt mein Ein und mein Alles. Meiner
ð
189 —
Frau hab’ ich ſchon lange gelobt, niemals Glaire zu einer Heirath
zu bewegen, die fie nicht freiwillig eingeht. Wählt fie Dich, fo ih
miris recht; aber wählt fie Dich nicht, fo iſt's rein aus mit Deiner
Hoffmung. Ach zwinge fie niemals zu einem Schritte,.von bem bad
Glück ihres ganzen Lebens abhängt.‘ \
Adam Ried war bleich geworben. „Ich merk's ſchon,“ fagte er |
aufſtehend, und fein Zom wallte auf, „ich merk's ſchon, dad if ein “
Körbchen, en Nein, nur verzudert. Es iſt gut, febte er hinzu.
„Da brüben- ber, ber Euch bie Poſſen Tpielt, hat's mit dem Mädel,
der Lump, der Schmuggler. Machet Gemeinfhaft mit ihm,“ vief
er zornglühend, „und mit den Kamper. heilt den Gewinn!’ —
Mit diefen Worten rannte er wüthend hinaus und ließ ben
Douanen in einer. Stimmung zurüd, die zwifchen Zorn und
Unmuth über diefe Wendung, aber auch gerechtem Erftaunen bie
Mitte bielt.
„Was Hat er gemeint, ber dummſtolze Bauernbube?“ rief
endlich Dollart aus. „Da drüben der Lump — das iſt Fehringer!
Der Martin ſoll's mit Claire haben? der Martin ein Schmuggler
fein? — Alle Teufel! wenn das wahr wäre?’
Es war ein Glück, das jetzt Claire ſich nicht im Haufe befand;
ben es hätte ohne Zweifel eine fchlimme Gefchichte abgeſetzt, und
Claire hätte Taum die Feuerprobe beftehen können, dem fcharfen
Ullde des Douanen gegenüber. Nun war er allein und hatte
Zeit, ſich das, was Abam Nies ausgeſtoßen, zurecht zu legen, fich
zu ſammeln und Fälter zu werben. Er ſann fi feinen Plan aus.
Die Mutter follte zuerfi in’3 Gebet genommen werben.
Sie kam auch allein und frühe heim, ba ‚Claire noch bei ben,
Mädchen blieb, eigentlich aber "hatte fie die Hoffnung, ba ed Sonn⸗
tag Abend war, Martin einen Augenblid an ber Garteuhecke zu
fehen.. Sie ging daher erſt fpät nach Haufe, und zwar über bie
Wiefen.
Als Frau Dollart heim Tam, fah fie an ihres Mannes
4
— 190 —
Geſtcht, daß etwas Außergewöhnliches vergefullen war. Et war
nicht freundlich, wie ſonſt. „Sehe Die einmal, Marie fagte er
zu ihr. „Ich babe etwas mit Die zu reden.“ Boll Erwartung
ließ ſich die umfangreiche Frau in ben Gefiel wieder, iss bem fir
ihr Mittagsſchläfchen zu machen pflegte.
„Was gibt's denn?‘ fragte fe. „Haſft Des Nogricht von den
Schmugglern?“
9a, freilich,” ſagte er unmithig, „aber uicht von denen, bie
die Waaten tragen, fondern von einem Schmuggler, ber.ımd unfer
Kind rauben will.”
„Was7?“ rief Grau Dollart und wurde wachableich.
Dollart erzaͤhlite ihr nun ben ganzen Hergaug.
„Da haft Du Recht gehabt, Peterchen,“ ſprach fie vergraigt;
„der Schleicher kann wir sicht gefallen, und wenn er auch voll
Gold Hinge. Was hätte benn da unfere gute Claire? Daß arme
And todr’ eine geplagte Bauernfrau bis an's Grab; aber fie will
ihn auch nicht! Er fcharwenzelt um fie herum, aber er ift bean
Kinbe wie Oift und PBopperment. Drüben Fehringer's Bas Kat
mir's ſchon gar oft gefagt. Aber was willſt Du mit einem Anderen,
ber uns das Kind entführen und vauben wollte?“
„Ach,“ fagte Ärgerlid Dollart, „ba ſpuckt Dir wicher bie alte
Rittergefchichte im Kopfe, bie Du ſchon mehr ala Wweißiginal gelefen
haft. Go meint's ja fein Menſch, und ih am wenigſten; bern ich
würbe ihm eine Kugel buch den Kopf jagen!- Rein, er forte auf
bet hübfchen Diartin Fehringer an.” —
„Ja, das tft etrwas Anberest” fagte Frau Dollart Berti.
„Der entführt bad Kind gewiß nit. So Einer weiß gar nicht,
was das ift, und Kat auch bie Conduiten dazu nicht im Kopfe, wie
ein alter Ritter zu feiner Zeit.” -
„Mach' mich doch nicht toll” Tief orig Dollart. „Er fol
einen Liebeshanbel mit Claire haben.’
„Lebeshandel? —, Nein, das giaub' ich nicht,” ſagte Frau
— — — —
— 11 —
DVOellart. „Daß ihn Claire gerne ſicht, glaub' ich, denn der Martin
M der hübſcheſte Burſch im Dorfe, umb ex fie, denn, meiner Sechs,
Claire ift erſtaunlich chen.”
„Das iſt's ja eben, was ich meine,“ rief Dollart.
Sie ſah ihn ganz verblüfft an.
„IR daB bie ganze Geſchichte, die Dich fo ereifert?“ fragte ſte.
„Ei, das if ja eine tolle Geſchichte, fich fo ereifern zu laſſen über
fo eine Kinderei.“
„Kinbereil“ zürnte Dollart. „Iſt etwa Claire ein Kind?“
„Doch unferes, Peterchen,“ — fagte fie freundlich.
Dokart mußte Inchen, trotz feines Aergers, benn feine Frau
fagte das fo komiſch, daß er nicht widerſtehen konnte; inbefien fiel
er ſhnell wieber in feine vorige Stimmung.
„Wie Du alberne Späße machen kannſt, begreif’ ich richt.
Meinſt Du denn, ich würde zugeben, daß Claire den Martin
heirathe?“ vief er aus. i
„Heirathen? Peterchen,“ fuhr fie in Ihrem Tone fort. „Ber _
dentt daran? Das find fo Pofſen! Du lieber Gott, wenn ich bie
Ale Hätte Heiraten Tollen, bie mir, als jumgem Mäbchen, een
ein Biachen geftelen, da hätte ich ja eine Reihe van einem halben
Dutzend heirathen müflen! Du geftelft mir am Ende am Beſten
und ich wurde Deine Frau. Wilft Du das Kind Hinter Schloß
und Miegel ſetzen, weil ed emmal mit dem Martin fchert? Seh’,
Du haft Grilken! Laß fie jahren, Pederchen! Und er foll ein
Sechmugglet fan? — Rein, Peterchen, bas laß Dir ausreben. Die
giftige Rreugfpinne, der Abanı, hat Dir ben Kopf heiß gemucht.
Ich weiß, er haßt den Muttin, und die Bas fagte mir, fie Babe
Um um bdas Haus ſchleichen jehen, wie einen Marder um's Huhner⸗
haus. Er iſt dem Martin falſch, weil er wittert, daß er unferen
Ainde beffer gefällt, als er, ber Schleicher und Bösfeind.“
Dollart's Grimm begann zu verrauchen. Cr ſchwieg eim
Welle; dann fagte x: „Ich will bie Claire auf’3 Kom nehmen!”
- 1822 —
„O, Ihr ſuperfeinen Mannsleute!“ höhnte bie dicke Fran.
„Da biſt Du wieder drauf und dran, etwas recht Unbeſonnenes zu
thun! Mach’ das Mädchen doch erſt aufmerkſam, daß es her*
Martin lieb habe und es ihn! — Dann gießeſt Du erſt Oel in
die Gluth, wenn eine ba fein ſollte, was ich aber begweifle Du
könnteſt fo aus bem Funken ein rechtes Feuer machen. Geh’ mit
Deinem Zutappen. So etwas muß ganz anberd angefangen werben,
wenn's nicht die Gefchichte ärger machen fol. Laß Deine Finger
— davon, Peterchen! Unſereins verfteht ſich beffer barauf. Verlaß Di
auf mich, ih will ſchon Waſſer drauf gießen!”
Dollart hatte während diefer nicht allzufchnell vorgetragenen
Rede Zeit, daB als richtig anzufehen. Seine Frau war bei ihrer
Ruhe doch geeigneter, ala er, das Rechte zu finden. Sie mußte
aber freilich Zeit bazu Haben Sie war von aller Eile eine
gefchworene Feindin. Er griff nach feinem Hute, bing Flinte und
Säbel und Patrontaſche um, fchnitt fich ein tüchtig Stüd Brod ab,
ſchob ed. in die Taſche, bag Branntweinfläfchchen dazu, und fagte
in ber Thüre fich ummwendend: „Claire fol mir heute nicht nad
fommen. Ich will's nicht haben. Dir aber bind’ ich's auf bie
Seele, daß Du mir die Gejchichte abſchneideſt, wenn's nämlich eime
iR zwiſchen Claire und dem Martin. Adieu!“ Er ging bafliger,
als ſonſt, von bannen. .
„Der dumme Adam Riedl” fagte Frau Dollert. „Der häß—
liche Menſch, ber ausfieht wie eine Meerkatze, ber will meine
Claire? . Brofit bie Mahlzeit! Da müßte ich auch babei fein! Eß
ift aber gut, daß Dollart ihn nicht leiden kann und ihn heint«
geſchickt hat. Was er aber mit bem guten Martin will? Der erbt
einmal bie Mühle und ift ſchön und brav. Ren — ich made
meine Hände unb laſſe Gottes Waſſer über Gottes Land Laufen!
Soüt’ ih das abſichtlich Hintertreiben, was meiner Claire Glück
fein Tann, ja, ich fage, fein wird? Da müßt ich Rachtwächter
fein und dazu Habe ich gar Feine Meigung, weil ich gerne und gut
>
— 193 —
ſchlafe. Lieber Gott, es gibt ja doch nur ein paar Dinge, deren
fich eine brave Frau freuen kann; das ift der Kaffe, bie Ruhe und
ein Bischen Puten. Das bleibt am Ende auch meiner Claire,
wenn bie Zeit der Jugend abgeblüht hat. Und ich follte ihr das
unfchuldige Liebesglüd rauben? Nein, Dolart, da irrft Du Dich,
und Deine Frau hat auch ihren Kopf.“
Sie pochte mit der Fauſt auf dad nie, was befanntlich ben
gefaßten Entſchluß erft recht befeftigt.
4.
Am Mittage dieſes Tages, nachdem ber Mittagzjchlaf geendet
war (denn Mittags- Gottesdienft war im Dorfe nicht, fintemal es
bie Tochterfirche bes benachbarten Dorfes war, wo der Pfarrer
wohnte),-ging Martin bie Schlucht hinab nach der Mühle, weil es
da näher war, und fodann, weil er fich jedesmal daran erinnerte,
baß er hier feine geliebte Claire gemonnen. Früher am Tage würbe
er ben Müller geftört haben, der im ber Regel, wenn er fein
Kapitel in ber Bibel gelefen, mit der Nafe auf dem heiligen Buche
liegen blieb und feine Stunde berunterfchlief.
Zangfam ging er ben Weg hinab. Drüben am Rain faßen
Mädchen, ein ganzer Rubel, und fangen. Er horchte, ob er nicht
Eleire’3 Silberfiinnme vernähme? Sie zu erfennen, waren fie doch
zu entfernt für dad Auge. Es bünfte ihm, fte fei drunter, denn
da Hang eine Stimme fo glockenhell und rein, jo melodiſch und
wohllautend, und biefe Stimme beherrfchte ben Gefang ber Uebrigen,
bebütete ihn vor Schnörkeln und Längeziehen und regelte ihn fo,
daß ed wirklich eine Luft war, zuzubören.
Plöglich Iegte ihm Jemand die Hand auf bie Schulter. „Horchſt
Du auch dem ſchönen Geſange?“ fragte der Müller feinen Pathen ;
aber der Ton war weniger herzlich und liebevoll, wie fonft.
Martin bejahte und grüßte ben Pathen und Ontel.
Horn’s Erzählungen. IX, 18
‘
*
— 14 — —
„Sage mir nur einmal, Wartim, wen iſt denn bie Stimme,
die man nicht fatt wird, zu hören? Unb die klingt, als fängen ein
Baar Engelein im Himmel. Martin lächelte felig.
„Die Stimme gehört der Claire Dollart an; wißt Ihr ,
Tochter des Douanen?“
„Da iſt mir's doch auch leid, daß ſie keinem andern Mädchen
angehört. Komm', Martin, ich kenne das Franzoſenpack nicht
und will ſie nicht kennen, weil ich ſie haſſe aus dem Grunde
meiner Seele.“
"Das fagte der Müller mit dem Ausdruck eines Grimmes,
ber aus dem tiefſten Innern kam. Der Mann war zwar 'ein
Sechsziger, aber er war noch friſch und lebendig für ſein Alter.
„Wenn Ihr die Franzoſen nicht leiden könnet, Pathe,“ ſagte
Martin, „ſo ſtimme ich Euch bei; aber Dollart's ſind keine Franzoſen.
Es find ehrliche Elſäſſer, alſo Deutſche, wie Ihr wiſſet, wenn fie
auch, gleich uns am Rheine jebt, unter der Zuchtruhte der Fran⸗
zoſen ſtehen.“
„Ah, was! Halt mir's Maul, Junge. Der Kerl dient doch
den Franzoſen und hilft uns quälen! Und die Elſäſſer haben längſt
ihrer deutſchen Abſtammung abgeſagt.“
„Lieber Gott,“ entgegnete Martin, „was kann denn er dafür?
Deß Brod ich eſſe, deß Lied ich ſinge, ſagt das Sprüchwort. Er
muß das Geſetz vollſtrecken helfen, und dafür wird er ernährt.
Wär’ unſer Syndik, Notär, Maire nicht ebenſo ſtrafbar?“ —
Der Müller ſchwieg einen Augenblick, weil er darauf nicht
eben etwas zu fagen wußte; aber fchnell fiel ex wieber ein: „Steht
etwa auch das im Gefeße, daß der Kerl, ber Dollart, meine Mühle,
das Haus eined ehrlichen Menſchen, unreift, als wär's eine Diebs-
höhle und Mörbergrube?
„Habt Ihr ihn geſehen?“ fragte Martin:
„Ja freilich,“ vief zornig_ber Müller, „und hab’ ihm aus
bem Fenſter zugerufen, wenn er nicht ginge, fo würbe ich ihm eine
— 195 —
Kugel hinüberſchicken, die ihm ein Löchlein in's Oberleder made!
Ich hätt's .getban in meinem Zorne, Martin, wenn er nicht weg⸗
gegangen wäre.”
„Aber habt Ihr denn gewiß. geſehen, daß er's felber war? ‘'
„Hel Bübchen,“ rief der Müller,” Deines alten Pathen Angen
find noch ſcharf wie die eines Habichts, und der Mond machte es
fo Har, als ſei es Mittag im November. Ja, ich will Dir noch
mehr jagen, nicht weit von ibm ſtand ber jogenannte „Schwarze,
der ihn oft begleitet und weiß fein Menſch, wer's iſt.“
„Habt Ahr ihn gefehen?” xief Marlin.
„Run, fagte der Müller, „was iſt's denn weiter? Glaubſt
Du etwa auch, es fer ber — Bott ſei bei und? Rein, jo amm
biſt Du nicht. Ich will Div’ fagen, wer's if; — es iſt fein
Kind, bie fih dad Geficht färbt! Da Haft Du's. Ich hab's gleich
weg gehabt. 's ift eine Weiböfigur, aber eine fchöne, Martin, bag
muß wahr fein, und als fie enblich mit einander gingen, ba fah ich
deutlich eine Haarflechte, die ihr biß an bie Kniee hing. Wach ihre
Ang, als ich mit eimer Kugel brohte, zeigte das Mädchen und
— bie Liebe des Kindes zum Vater.“
Martin verſank in ein flille® Sinnen, während ber Müller
noch fortredete.
Sp waren fie endlich zur Mühle gekommen.
Der Müller war ein „kurioſer Heiliger,‘ wie man zu fagen
pflegt. Niemand war grillenhofter, ald er. Hatte er einmal eine
Notte, fo fing fie auch Fein Menfch mehr em. Sp kam er, feit
feine Schweſter, Martins Mutter, tobt war, nie mehr in's Dorf.
Sein Mahlknecht beforgte das Geſchäft. Er Fam auf feine Aeder
bis an’3 Dorf, nie aber trat fein Fuß mehr hinein, ba bort feine
ame Schweſter ihr Krenz getragen hatte durch die Härte und
Rohheit bes alten Fehringer, feines Schwagers. Er ging jeden
Sonntag ben weiten Weg in die Mutterfirdhe, um ja nicht in bag
nahe Dorf, zu bem bie Mühle gehörte, geben zu müſſen. Den
18*
— 16 —
der Rübe geſchen worben war, auch ber Grund jener abenieuer-
lichen Märchen, mit denen man fi trug. Allgeusein war Veitbene
Dolart geflichtet und gemieben.
Adam Mies allein wurde feiner Furcht und Schar Herr, weil
feine Liebe zu Gaire Alles überwand. Cr fuchte überall die
Schhmuggler auszuforiigen und machte fich ein Geſchaäft daraus, daß
Erkundete Dollart mitzutbeilen. So war. es dieſem gelungen fie au
treffen und ihnen ihre Waerne abzunehmen.
Durch des alten Yehringer’8 Beobachtungen kamen inbeflen Die
Schmuggler hinter feine Schliche und auiffe, und ihr Haß gegen
ihn kannte kaum eine Grenze.
Ziemlich oft gelang ea dem alten zehringer, Dollart’3 Gänge
auszufundicheften und bie Gange der Schwuggler waren alle
mal dann ficher und vom gutem Erfolg. Der Schmuggel nehm
in ber Richtung über das Dorf einem bisher nie gekannten Auf⸗
ſchwung. Fehringer ſah mit Freuden, wie er nun wieder fuel
athmen konnte, daß es ihm möglich war, feine Zinſen zu begablen,
ja nah und nad, ſelbſt das Fleine Schuldcapital abzutragen, das
ihn drückte. Dollart wußte, wie ber Schmuggel eifrig betrieben
werbe, und konnte doch nicht dahinter kommen. Cr zerbrach" fich
ben Kopf, wie das möglich fei, uud fam an Fein Ziel. Die Rad
richten nom Rheine fegten es außer Zweifel, daß im Dorfe eine
Schmugglerbande beftehe, die raſtlos thätig fei; daß im Dorfe eine
Nieherlage fein müfle oder nahe dabei, und doch Fonnte er Feine
"Sparen finden. Es war außer Zweifel, baß er beobachtet wurde,
unb doch blieb. es ihm ein Räthfel, wie dies geſchähe.
Er äußerte Dies einft gegen ben fich mehr und mehr on v
drängenden Adam Ries. „Der. lächelte pfiffig.
„Ich glanbe, ich könnte Euch die Fährte zeigen,“ ſagte er
„Du?“ fragte Dollart erſtaunt. „Warum thuſt Du's nicht,
dba Du es doch ſonſt mehrmals gethan?“
Ries zuckte die Achſeln und lächelte; aber er ſchwieg.
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Dollart kannte feinen Man.
x ,Ru8,” ſagte u, „ht ea nicht einen filbernen Schlüßel,
ber bie Thüre Deines Mundes aufſchließt ?
„Nein,“ erwiederie Ries mit Feßigkeit, „ich bin reich und
Geld mag ich mich.”
„Ale etwas Anderes?“ fragte Dollar. „Was Tönnte has
fein? Mede doch Adam!“
Ries erröthete vor Verlegenheit. Er rieb die Hände, trippelte
hin und her und konnte das Wort ht finden.
„Nun, nun?“ vief Dollart eifrig,
Adam Ries feste fich enblic.
„Sind mir allein?” fragte er,
„Meine Zrau und meine Claire find in dad Dorf gegangen,‘
antwortete ex mit Heftigkeit, welche fein Verlangen bezeichnete. „Bir _
erden von Niemandem gebört, von Niemandem geſtört.“
„So hört mi ruhig en,” ſprach Adam Ries. „Sch Bin
meines Vaters einziged Kind aus zweiter Ehe und ber Erbe eines
anſehnlichen Vermögens. Ihr wißt ed, Herr Dollart, es kann fid
fein Bauer mit uns meſſen. Alles iſt freiss Eigenthum. Mein
Bater ift alt. Alle meine rechten Geſchwiſter find geflorben und
bie Stiefgefchwifter find abgefunben; th, ber jüngfle, lebe allein
noch. Auch meine Mutter if fchon lange tobt, und ba mein Bater
fiets krank ift und Mägde ihn nicht fo pflegen, wie fie follten, ſo —
wünfcht er, daß — ich heirathe. Ueberall wären mir, als Freier,
bie Thüren offen; aber ich will nur eine: Frau nehmen, bie ich
lieb habe, und — da — wäre — Eure Claire gerade bie, welche
ich über Allen liebe! Gebt mir fie zur Frau, Herr Dollart! Sie
fol es gut Haben; fie kommt in eine volle Haushaltung. Gebt
mir Glare zur Frau, unb ich rede ohne Rückhalt vom her Leber
weg und entbüle Euch Alles!“
Er. hatte mit ftodenbem Athem zu veden begonnen. Man börte
es ihm an, daß es ihm zentnerichwer auf ber Bruſt Ing. Die
‘
— 18 —
„Nein, jagte kleinlaut Martin, „nicht ganz. Ich hab’ das
Mädchen lieb, Path! ich leugne «8 nicht, weil es jo brav als
ſchön ift, und auch bie giftige Junge Adams ihn nichts nachſagen
tan Ich hab’ es lieb, wie mein eigen Leben, aber in Zucht md
Ehren, Path, und was man fagt, Umgang, ben hab’ ich nicht mit
ber Eloire. Habert nit mit mir! Ihr feib amd) jung gewefen.
— Es wird Alles ein ſchnelles Ende nehmen. Ich bin im Zuge.
In drei Wochen ift Ziehung. Da brüben in Deutichland Hopfen
fe auf ben Franzofen, und das Ende vom Liedchen ift nahe. Ent⸗
weder fall’ ich im Kampfe; dann Hat Lich und Leid ein Ende; ober
bie Claire zieht, werm bie Deutfchen kommen, nad Frankreich, und
dann iſt's ebenfo aus.” — Seine Stimme war wankend geworben,
ala er ba3 ſprach. Er nahm feine Meike. „Adjes, Pathe,“ Imgie
er. „Ich will gehen, benn was wir noch reden Tünnten, ift möcht
gut. Ich kenne Eure Gefinnung, und weiß, wie ed um mein Her
fteht. Das läßt fi nicht mit einander zufammenfchweißen, wie ber
Schmied das Eiſen ſchweißt. Da iſt's befier, ich gehe.‘
Der Müller ſchwieg und rührte ſich nicht, und Martin ging
langſam von dannen. Er rief ihn nicht zurück; aber er ſah ihm
nach, fo lange er ihn ſehen konnte, und dann wiſchte er fich etwas
ans dem Auge.
Martin ahnete nicht den Eindruck, welchen ſeine einfachen
Worte auf den Müller gemacht. Er hatte fein Gewiſſen tief
erſchütiert, weil er ihm einfach nachwies, wohin fein Haß feinen
Bater und ihn gebracht hatte; denn es unterlag feinem Zweifel,
daß, als ber Müller bei dem neuen Wagner, dem MWagnerjürg,
arbeiten ließ, bie Beifpiel Viele nach fih zog. Run ſah er, daß
er feinen Schwager und beiten Sohn einem Berberben drohenden
Erwerbszweige in die Arme geführt. Er hätte helfen können, wenn
es hätte vergeben mögen. In Fehringer’8 Bruft nagte ohnehin ber
Wurm bee Rene, ber micht raflet, über bie Art und Weiſe feines
Betragens gegen feine felige Zrau. Was Martin über feine Liebe
\
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zu Claire gefagt, traf ihn noch tiefer, dem es that fich vor ibm
die Vergangenheit auf, wo einft fein Vater ihm Achnliches vorge:
halten und er ähnlich befannt Hatte. Seine Liebe legten fie in's
Grab, und er ging verarmt am Herzen und am Glüde des Leben?
den Grabe zu. Da Flopfte eine unfichtbare Hand an fein Gewiflen,
an fein Herz, und fein Gewiffen erwachte, fein Herz blutete. Sollte
fen Martin, bag einzige Welen, das er liebte auf Erden, an bem
fein Herz hing, weil er emer theuern, unglüdlichen Schweſter
Ehenbild war, untergehen, untergehen durch feine Schuld?
Das, was den Alten bewegte, ahnete, wie gefagt, Martin nicht;
aber e3 war ihm fo ſchwer; e8 lag eine Laſt auf feiner Seele, wie
“noch nie. Rangfam ging er ben Pfad durdh die Schlucht hinauf. Es
begann zu bunfeln, als er unter den Baume ſich erhob, wo er fi
in bad Gras gelegt und es mit feinen Thränen benetzt hatte. Cr
wollte von Niemanden gefehen fein. Langfam ſchritt er den Pfad
entlang, ber die Wiefen quer durchfchnitt und nach! dem Wege bin:
Teitete, welcher zwifchen Dollart’3 und feines Vaters Wohnhanfe
durchlief. Dort begrenzte die Hainbuchenhede zu beiden Seiten ben
⸗
Weg. Dort Hatte er fo oft Worte ber Liebe mit Claire gewechfelt. .
Jetzt hoben ſchwere Senfzer bie belaftete Bruft und Claire war
ferne. —
„Martin, Lieber Martin!’ flüſterte es leife neben ihm in
biefem Augenblide. Es war Claire.
Hatte ihn fonft diefer Füße Ton freudig überrafcht, Beute
erihrad er heftig. Sie reichte ihre Meine Hand über bie Hede.
Er ergriff fie und fagte: „Ah, Claire, es ift Unheil über und
gelommen. Der Adam hat's ‘endlich fertig gebracht. Er war bei
meinem Path, in ber Mühle, und ich ſah ihn in Deines Vaters
Haus gehen. Dort iſt's ihm gelungen; gib Acht, auch hier!’
Das Mädchen erbebte.
„Meint Du?” fragte fie angftvoll. „Ach, was wird’ dann
mit ung werben?” —
— 0 —
. „Ich ahne es,“ fagte er darauf, „bie Tage unſeres Glückes
find vorüber. Dich erwartet Leid, mich hat's ſchon getroffen. In
drei Wochen werd' ich Soldat. Dann iſt's aus.“
Claire war eine ſtarke Seele. Ein männlider Muth wohnte
in dem Mädchen; aber das war doch zu viel. Sie wäre ſchier
zufammengebrochen. Der Athem in ihrer Bruft fiodte Endlich
brach ein, Thränenftrom hervor, aber reden konnte bad arme
Mädchen nicht. .
Auch Martin war tief bewegt. Er rang nach Faſſung. Es
gelang ihm endlich, fie zu gewinnen.
„Eins 'noch, Claire — denn wir müffen ung trennen — Du
biſt's, die Deinen Vater begleitet mit gefhwärztem Gefihte. Du
warft mit an ber Mühle, als Dein Vater dort fpionirte.. Ich
weiß, daß das auf Adams Angabe geſchah. Der alte Bath hat
Dich erfannt. Thue es um Gottes Willen nicht mehr! Auch bringe
Deinen Bater ab davon, dag dort eine Schmugglerniederlage fei.
Adam hat ſchändlich gelogen, um meine? Pathen Haß auf Euch zu
werfen. Der Alte tft außer fih. Iſt's möglich, fo fchießt er Euch
Beide nieder. Auf mein Wort baue feft: dort ift nichts zu fuchen.
Mein Path verabfcheut ben Schmuggel, wie bie Franzoſen.“ —
„Claire!“ vief in biefem Augenblide Frau Dollart, bie wohl
benfen mochte, fie fei nicht fern. .
Das Mädchen drückte noch einmal Martin’3 Hand, dann flog
fie, wie bag Reh des Waldes, dahin. —
5.
Am Montag Morgen lag, als Frau Dollart aufgeſtanden war
und zuerſt an die vordere Thüre des Hauſes kam, ein Zettel da,
ben Jemand durch bie gebrochene Thür (wie man bie landesüb⸗
lichen Thüren nennt, bie in zwei Hälften quer aufgehen) gejchoben
hatte. Er war an Dollart gerichtet und verfiegelt. Sie trug ihn
— 201 —
zu ihrem Manne, der eben erſt erwacht war. Er riß ihn haſtig
auf. „Heute Nacht,“ hieß es darin, „gibt es einen Hauptſchmuggel.
Der Weg gebt über die Kreuzhecke“ Das war Alles. Die Hand
war unbefannt, allein es war bie nerftellte Schrift Adams, wie
Dollart vermuthete und richtig traf.
Zu ber Nachricht war er jo gelommen.
Sonntag Abend3 hatte er Fehringer’3 Haus umfchlichen, weil
er Claire und Martin zu belaufchen hoffte. Er Fam aber zu fpät.
Nachdem er lange in bem von den Hainbuchenheden eingefriedigten
Wege gefeflen, und bie Hoffnung aufgeben mußte, ging er letfe
über die daß Dorf gegen Süden begrenzenden Wiefen, wo er zum
Haufe Kamper's, des Wirthes, gelangen konnte. Er hoffte dort‘
Martin zu treffen, mit bem er gerne in Hader hätte kommen
- mögen, ba er mit feinen Spießgefellen verabrebet hatte, ihn zu
reizen und feine Rache an ihm zu Fühlen.
Als er fo dahin ſchlich, wie das nächtliche Raubtbier, dad auf
Beute ausgeht, und nahe dem Wirthshaus gefommen war, wollte
es ihn bebünfen, als höre er halblaut binter dem Haufe be
Wirthes reben.
Er kroch nun auf allen Vieren näher, um nicht gefehen zu
werden, unb gelangte fo weit zu ben Redenden, baß er jebe Silbe
verftehen konnte. Es waren zwei unbelannte Stimmen. Die britte
war bie des alten Fehringer's.
„Hörſt Du,’ fagte einer von ben Fremden, „Unferer find
zwanzig, aber nur zehn können mit Euch gehen. Die Anderen
müſſen zurüd, um noch einmal Bündel zu holen, bie bier bleiben.
bis Mittwoch. Ihr müßt alfo von bier aus zu zehn fein.‘
„Gut, erwieberte Fehringer. „Es wirb beforgt. Wenn's auch
nur neune find. Mein Martin trägt zwei Bündel; verfteht ſich
aber für doppelten Lohn.‘
„So viel Bündel, jo viel Kronthaler,“ entgegnete der Andere.
„Meinetwegen mag Einer die zehn tragen, er Friegt den zehnfachen
Lohn. Alſo, wo bie Kreughede bie Edle bildet gegen bad Wiefen-
thälchen, da fchlägft Du dreimal Feuer mit dem Gtahle, und zwar
in Zwifchenräumen von Biertelftunde zu Viertelftunde, bis Du ſiehſt,
daß im Thälchen ebenfalls dreimal Feuer gefchlagen wird. Das
it das Zeichen, daß wir es find. Seid aber vorfichtig. Der
Dollart ift ein Halunke.“
„Wie ift das mit dem Schwarzen?‘ fragte ber erfle ber
Fremden wieder.
„Bott weiß es,“ fagte Fehringer. „Die Sache ift außer
Zweifel.‘
„Wenn er nur Fleiſch und Bein hat, fagte der Fremde, „ſo
will ich ihm ſchon Eins zu befehen geben!”
„Ja, Fleiſch und Bein,” feufzte der alte Yehringer, „ba
liegt's!“
„Nu, altes Weib,“ rief ärgerlich der zweite der Fremden,
„meinſt Du wieder, es wäre der Teufel? Kann's Nicht irgend
Einer aus dem Dorfe fein, der ſich das Geſicht ſchwärzte?“
In dieſem Augenblicke vermochte Adam Ries das Nieſen nicht
mehr zu bewältigen, das wohl durch das feuchte Gras gekommen
war, in dem er zuerji gekniet und in das er ſich jetzt niedergelegt
batte Ob er gleich die gewobene Wollmüte ſchnell vor bie Nafe
preßte, fo gab es doch einen eigenthümlichen Laut. .
Die Schmuggler ſchwiegen und horchten; dann machten fie fi
ſchnell aus dem Wiefengarten bes Wirthes weg, und Adam Ries
kehrte auf demſelben Wege wieder zurüd, wie er gefommen war,
eilte heim, ſchrieb den Zettel und ſchob ihn durch die Thürritze,
als nach zwölf Uhr Dollart zurlidgefehrt war.
Obgleich Dollart vermutbete, von wem bie Nachricht käme,
unb anfänglich zweifelte, ob ihn, nach dem Auftritte mit ihm, ber
Adam Nies nicht hänſeln wolle, fo ſchien ihm boch die Sache nicht
gem; grundlos zu fein. Je Jünger er barüber nachdachte, deſto
wichtiger wurde fie ihm. Er brachte im Laufe bes Tages m Erfah-
— 208 —
rung, daß mehrere frembe Leute im Wirthshauſe geweſen waren,
bie viel mit dem Wirthe verkehrt hatten. Da wurbe e8 ihm dann
zur Gewißheit, baß etwas Wichtiges im Werte ei.
AB er nad) Haufe kam gegen Abend, fagte er zu Claire: „Der
Schwarze kann mich Beute gegen bie Kreuzhecke begleiten! Damit
war ed genug. Claire war num glüdlich, daß ihr Vater wieder
freundlicher wurbe. War er bo ben ganzen Tag und feit Sonn:
tag unfreunbli und mißmuthig geweſen.
ALS die Sterne matt flimmerten und der Halbmond ſich lang:
fam über bie Berge zu erheben begann, ging Dollart aus feinem Ä
Hauk und Claire ſchuch zur Hinterthüre hinaus. Im Wieſen⸗
grunde vereinigten ſich Beide und ſchritten dem Walde zu, in befien
Dunfel fie bald verfchwanden.
Durh das Wieſenthal herauf, welches gegen bie Cde ber
Kreuzbede, wie ein Schlagwalddiſtrikt Hieß, milndete, Tonnte man
im Zwielichte des aufgehenden Halbmondes ein feltfam Gewimmel
wahrnehmen. Dunkle Geftalten drückten fi Tangjam gegen den
Saum des Waldes hin, ſichtbar befirebt, den Schatten ber Bäume
zu gewinnen.
Plotzlich waren fie alle verihwunden. Auch daB gelibtefle
Auge würde feine Geftalt mehr baden entdecken können. Ein leifer
Schlag wieder einen Baum und ber Lockruf bes Käutzchens hatte
das bewirft. Die Schmuggler hatten den Punkt erreicht, wo fie
das Reichen ber Gefährten von der Spike. ber Streugbede ber
erwarteten. Jenes Zeichen ließ fie fich alle in das Hohe Wald⸗
gras niederwerfen.
Aller Blide waren gegen bie feharfvortretende Spike des
Schlagwaldes gerichtet, von wannen ein anderes Zeichen kommen
weußte, wenn fie ein Weiterfchreiten wagen follten.
Sie lagen vielleicht eine DViertelftunde ober noch nicht fo lange,
da wutde droben breimal Teuer gefchlagen.
Gall Me KLD ZN. Os Po -41. FON NM 2 DE! - ki. Melle
— 204 J
hinter zwei gewaltigen Eichbäumen ſtanden, vielleicht nur zwei⸗
hundert Schritte von der Spitze der Kreuzhecke, jedoch mehr links,
daß ſie die Spitze der Hecke im Auge hatten.
Claire bejahte leiſe und man börte an ber zitternden Bewe⸗
gung der Stimme, daß eine fieberiſche Erregung ſie beherrſchte.
Jetzt wurde auch etwas tiefer im Wieſengrunde dreimal
Feuer geſchlagen, und bald ſoh man deutlich die lange Reihe der
Schmuggler, einzeln, ſchwer beladen und mit furchtbaren Stöcken
bewaffnet, in die Kreuzhecke treten.
Die Fremden gaben hier an Kamper und ſeine Gefährten zur
Hälfte ihre Bündel ab. Einige Augenblicke wurde leiſe verkehrt; die
Parole gewechſelt und mitgetheilt, an der man am Ziele die Freunde
und Helfer erkannte; dann wurde noch einmal auf gut Glück ge-
trunfen und Einer ber Fremden, ber indeflen bier ungemein befannt
war, ber aber feinen Bündel trug, fondern nur ben Stod, brach
auf, um in einer Entfernung von einigen Hundert Schritten dem
Trofje voraus zu gehen, bamit jede verbächtige Erfcheinung ſchnell
den Folgenden befannt würde, um fich zeitig mit ben Waaren zu
retten. Für jede Erſcheinung Hatten fie eigene Stichworte, die in
ihrer Bebeutung nur den Eingeweihten befannt waren.
Er ging anſcheinend jehr ruhig und gleichgültig feines Weges
babin; aber wie der Stoßfalfe ließ er fein fcharfes Auge vechts
und links fpähben.
Plöglih blieb er in der Nähe der Eichen ftehen und fagte
laut: „Meine Pfeife bab’ ich doch vergeſſen!“ — Das Wort Pfeife
wurbe jcharf von ihm betont.
Das Laute Geräufch ber Tritte feiner Gefährten verhallte in
diefem Augenblide, wie mit einem Sauberfchlage.
„Öuten Abend!’ fagte er darauf, näher gegen Dollart heran⸗
tretend, indem er den Handriemen feines Knotenſtockes fehl um bie
Handbwurzel fchlang. „Kriege ich noch Geſellſchaft? — Ah bon
soir, Monsieur Dollart? So fpät noch bier?“
— 205 —
Dollart trat vor. Claire blieb auf ihrem Poſten und füllte
ihren Gewehrlauf. Das ſah ber Führer wohl; allein verfchmigt, wie
er war, berechnete er fchnell, daß, wenn er mit Dollart in's Hand⸗
gemenge geriethe, ber Anbere nicht würde ſchießen können. Zudem
entging feinem Blicke nicht, daß er Feine fefte Haltung hatte.
Al darum Dollart nahe genug war, um auf ihn etwa anzu=
legen, that er, als ftolpere er über etwa und falle zur Erbe.
Dadurch kam Dollart näher. Schnell, wie eine Katze auf bie
Maus einen Sprung macht, fehnellte dann der gewandte Menſch
in bie Höhe, und ehe fih Dollart deffen vorfah, hatte er ihn an
ber Gurgel und er lag rüdwärt? auf ber Erbe. Seine Flinte
ging los, aber in die Luft.
Seht ſchoß auch Claire, aber der Schuß ging über den Führer
ber Schmuggler weg.
„Hola, Brüder,‘ rief er, „Einer liegt, ber Andre verſteht das
Schießen nicht! Raſch drauf!” —
Mit Rieſenkraft bielt er Dollart .nieber.
Auf Claire fprang Martin zu. Sie zog ihren Säbel und ftieß
nach ihm, aber fein Stod ſchlug bie ungelen? geführte Waffe nieder.
„Slatre, um Gottes Willen, laß Dich fallen und thue, als könnteſt
Du Dich nit regen, als wärft Du tobt, fonft kann ich weder Dich, .
no Deinen Vater retten,” rief er ihr leife zu.
- „Martin! fagte vorwurfsvoll das Mädchen! Allein fie begriff,
wie wahr bas fei, was er gefagt.
Sie flürzte nieder und that nur einen Schrei !
Martin faßte fie, bie fich gewehren ließ, in jeine Arme, trug
fie tiefer in ben Wald, warf fie etwas unfanft nieber und fagte:
„Da, Canaille! ber hat feinen Theil!’
Schnell eilte er dann zurüd zu Dollart. Er war gebunden
an Händen und Fiiken und bie Schmuggler, nachdem Martin mit ent-
feglichem Lachen erzählt, er babe bem Andern Eins mit bem Stode
gelangt, daß er ſich nicht rühre, berietben, ob fie Dollart tobtfchlagen
— 206 —
folten. Drartin fagte: „Begehet keinen Morb! Er kennt ven Führer
nicht und uns ſah er mit. Laßt mich bei ihm und nehmt bie
Bündel. Dann rafch fort und Alles ift in Sicherheit!"
„So fol’8 fein!" fagte der Führer. „Mach' mit ibm, was
Du will, Martin!“ Ohne Weiteres wandten fie fi zu ben
Bündeln. Zu beforgen war nun nichts mehr.
Nur der alte Fehringer trat zu Martin unb fragte leiſe:
„War's der Schwarze 7“
„Nein, fagte Martin.
„So fei menſchlich, Martin, und laß ihn laufen, nachdem er
Dir verſprach, Dich nicht anzuzeigen |"
„Seht, gebt, rief ihm Martin zu. „Ihr habt feine Zeit zu
verlieren, er regt fih ſchon. Meartind Bündel nahm nun der
Führer, und balb war ber Trupp, ber nun noch aus neunzehn
fräftigen Männern beftand, im Walde verſchwunden.
Martin zog fchnell Dollart's Säbel heraus und verbarg ihn,
ſammt feinem Gewehre un Graben unter ben Geſträuchen. Dann
ſchnitt er Dollart’3 Bande durch, riß das Tafchentuh vom Munde
und ſchöpfte am Graben Waſſer mit einem Leberbecher, wie ihn
‚bie Schmuggler zu führen pflegten, um ihn auszuwaſchen.
Er erwachte ſchnell und richtete fich in ſitzender Stellung auf.
Tief aufathmend, fagte er: „Wo tft Claire?”
„Seid ftille, Meifter Dollart,“ fagte Martin. „Sie iſt gerettet.
Ich will fie herbeiführen.”
Glaire trat ihm entgegen.
„Martin, Du ein Schmuggler?' fagte das Mädchen.
„Ich banfe nun Gott, daß ich mich dazu mißbrauden ließ.
Ohne mich wäret ihr Beibe bes Todes.”
„D das ift wahr!” fagte Claire und faßte dankbar feine
Hand. „Vater,“ fagte fie dann, „wie ift es Euch?”
„But, gut,‘ ſprach Dollart eifrig, „aber meine Glieder thun
— 07 —
mir wehe und mein Nacken. Der Spitzbube hat mir abſcheulich
unter dad Kinn geftoßen. "
„Dankt Gott, daß er Euch nicht todt ſchlug,“ ſprach Martin.
„O ſie wollten es, als Ihr bewußtlos dalagt,“ ſagte Claire;
„aber der gute Martin bat für Euer Leben. Ich bin Zeuge. Ich
ſtand nahe genug, um es zu hören.“
In Dollart's Bruſt ſtürmten die wildeſten Gefühle. Daß ihm
dieſer Fang entgangen, das wurnite ihm unabläſſig; daß er nun
dem Martin fein und ſeines Kindes Leben verdankte, war ihm
noch bitterer.
„Martin,“ fagte er, „Du haſt fie Alle gekannt und bift ihr
Genoffe, nenn’ mir ihre Namen. Du folft frei ausgeben, das
gelob’ ich Dir!‘
„Kommt nur erft beim, Meiſter Dollart,“ fagte er, „fo follt
Ihr Alles erfahren. Was hilft's, wenn ih fie Euch bier Alle
nenne? Ihr vergeßt fie ja, bi8 Ahr heimkommt!“ —
Das Teuchtete Dollart endlich ein. Der Martin entging ihm
ja nicht! —
Er war indeffen ven ben Mißhandlungen doch der Art ange
griffen, baß er kaum gehen Tonnte.
Eleire und Martin mußten ihn führen. Martin, der Dollart's
Waffen entfernt hatte, weil er einen wilben Ausbruch feiner Wuth
gefürchtet hatte, ihn daher wollte an einem Angriffe gegen ihn
hindern, trug nun biefe Waffen und die Claire's dazu. Langfam
nur konnten fie vorwärts fchreiten, bern von bem feften Binden
mit ben Striden waren Dollart’3 Beine geſchwollen. Erſt gegen
‚Ein Uhr erreichten fie das Dorf, wo Frau Dollart nicht wenig
über ben Anblic ihres Mannes erfchrad. Er Iegte fich ſogleich zu
Bette und verlangte, Claire ſolle Martins Geſtaͤndniſſe nieder⸗
ſchreiben.
Martin weigerte ſich, irgend eines zu ſagen.
„Sei Du nur ruhig,“ fagte mit verbiffener Wuth Dollart.
— 208 —
„Ich will Dir ſchon die Zunge löſen. Dich hab’ ich, die Andern
frieg ich, das ſteht feft, und dann verlierfi Du dag Recht auf mein
Gelobniß, daß Du frei ausgehen fol.”
Martin wandte fich, wegzugehen.
„Zum Berräther follt Ihr mich nicht machen, denn mich binbet
ein feierliche® Angelöbnit. Nun laßt fommen, was ba Tomme.
Gute Nacht und gute Belferung!‘’ Er ging. Draußen fland Claire
weinend. „Ad Martin, fehluchzte fie, „wa8 wirb das werden?’
„Nichts, Claire, denn ich muß flüchtig werben. Lebe wohl!
Möge Gott und ein fröhlicheres Wieberfehen ſchenken!“ Er ſchloß
fie in feine Arme, drüdte den erften Kuß auf ihre Lippen und
war verſchwunden.
b.
Für Martin blieb keine Wahl; kein Aufſchub war zuläffig,
follte er nicht in die Hände ber Franzofen fallen. Es unterlag
feinem Zweifel, daß man ihn fo lange quälen würbe, bis er bie
Namen nenne; dann war fein Vater, dann waren zwanzig Familien
dem Berberben geweiht.
„O, das ift die Frucht des verbrecherifchen Treibens!“ rief er
aus, „unb ich ernte für Alle, weil ich ſchwach genug war, nicht ben
Widerftand zu leiften, ber mich auf rechter Bahn erhalten bätte!
D meine Claire!“ feufzte er und trat in fein fliles, dunkel
baltegendes Vaterhaus.
Die Lenebas hörte ihn fommen. Gie wußte, was biefe Nacht
vorgehen follte. Schnell ſtand fie auf, warf ihre Kleider über und
rief leiſe „Martin! Er kam berauf, Schnell erzählte er ihr
das Borgefallene. „Ich muß fort,” fagte er, „ſonſt find Viele mit
mir unglüdlih und mein Vater vorab.”
„Robin wilft Du, Kind?’ fragte angfivoll die alte, treue Seele.
„Ueber ben Rhein, wenn's gebt,” fagte er.
B — 209 —
„Aber Du wirft be nit wießerfontmen binfenl”’ —
„er weiß, wie ed Gott fügk,“ ſagte Martin; „buch gebt wir
ein Paar Hemden, Lenebas! Geld hab? ich ng für die erfle Zeit.
Gott wirb mich nicht verlaſſen!“ —
Sie eilte, em Bündelchen zu machen. . Beinnb legte fie. ihren
Sparpfennig hinein und ſagte u ſich: „Er wird's brauchen und
ea bringt ihm mehr Segen, als das gottloſe Schmuggelgeld.“
Sie brachte es ihm unter bautem Schluchzen.
| Sagt meinem Vater, er jolle um Gottes willen dem heilloſen
Gefchäfte abfagen. Es wirb ihn auch noch in Ketten und Bande
beingen, wie es ihn im Alter feines Sohnes beraubt. Sagt ihm,
das fei meine einzige, meine letzte Bitte. Und, liebe Bas, grüßt
&niret Sagt ihr, ich Siebe ihr trem bid in den Tod. Bitter fie,
bag Fe mich mit vergeffe — daß — fi den — am nicht
heiraihe. Der if gewiß wieder ber Verräther, benn verrathen
war’, das ſteht fe. Ach will Euch ſchreiben, wo ich bin und wie
es mir gebt. Fragt bei dem alter Werthheimer im Stäbtchen nach.
Sagt auch Claire, was ich ſchreibe — nur aber geheim, ſonſt holen
fie mich ſiher. Lebt wohl, Gott fchäge Euch!“ |
Er drũckte ihre wwene Haud und eilte fort.
Der Mond war untergegangn, Wolfen 1mtlagerten -bem
Himmel. Es war eine ſiockfurſtere Nacht. Man fah Teine Hand
vor ben Augen. Martin eilte ſchnellen Schrittes durch's Dorf.
Die Wege warte ihm alle befannt. Es galt, noch, vor bem heilen
Tage das Gtäbtchen und das Haus Werihheimer’3 zu erreichen, beifen
Sohn unter benen war, bie zuridigegangen, alſo daheim waren.
Auf dem gewöhnlicden Wege hatte er sier bis fünf Stunden.
Da mußte ihn ber Tag ereilen, the ex ankam; aber «8 gab Pfade;
bie nur Wenige kannten, Pfade der Schmuggler, bie buch db
und Geitriipp, über Höhen uns durch Thalſchluchten führten. Auf
diejen Pfaden fchmitt er ein großes Dreieck ab und fparte wenigſtens
zwei Stunden. Er verließ daher den gebahnten Weg, wandte fich
Horn’s Erzählungen IX, 14
— 2 —
links und wanderte, als. wäre jein Schritt beflügeli — in das
boppelte Dunkel bes Walbes hinein. Unermüdet fegte er feinen
Weg fort, wenn auch ber Schweiß rann, wenn auch heftiged Alhmen
die Bruft bob, wenn auch manchmal bie Ermübung ſehr fühlbar
wurhe. Cr gönnte ſich Feine Raſt und burfte es nicht.
Nach ſtundenlangem Wandern Tichtete fi ber Wald, und
bald darauf fand er im Freien. Gin fcharfer Wind wehte von
Oſten erquidend ber. Schnell erfannte er, wo er fich befand. . Noch
etwa drei Viertel Stumbe, umb er mußte bie Wellen des Rheines
raufchen hören!
Wieder wanderte er in nordöſtlicher Sichtung weiter, tom an
eine. alte, verfahrene Landſtraße und folgke biefer eine bedeutende
Strede.. Dann erblidte er ver fih bie Ruinen einer Burg und
des Rheines Rauſchen ſchlug an fein Ohr. Das Haug, wie Muſik!
Am Fuße des Berge, wo bie Burg ftanb, lag dad Städtchen,
und bie erſten Streiflicyter rötheten den Himmel im Dften.
.. Nun war er dem, Ziele nahe. Ein Blick nach oben und ein
beiſea Gebet erhob feine Seele. . j
Schnell ſprang er von der alter Straße hinab unb war an
ben Ruinen. Durch den tiefen Felsgraben führte ein Bfab in bag
Gemauer. Er kannte ihn genau. Balb ſtand er mitten in ben
siten Giebeln und Mauern; aber ba war fein Wellen. Der Tag
kam ſchnell in dieſer Jahreszeit. Glücklicherweiſe flieg ein bichter
Rebel vom Mheine auf und wirbelte, vom Bergwinbe gefaßt, wild
burdjeinanber und lagerte fi dann bis zur Hälfte ber Berghöhen
über das Thal, ed ganz erfüllend.
Das war für Martin ein. großes Glück; denn e8 waren jebt
nur zwei Pfade, bie er wählen konnte. Der Eine führte gerabe
hinab, an der herrlichen Ruine einer gotbifchen Kirche vorüber, bie
ba über ber Häuferreihe ſtand, die am Berge Hinlief, auf bes
Kirchhof einer tiefer ſtehenden Kirche, der Hauptkirche des Stähtchend.
Den Kirchhof aber ſchloß ein Thor gegen bie Stabt hin. Da bätte
—
‚ — 21ll — 0%
er ſich verbergen müflen, bis, das Morgengeläͤute anzuzlehen, ber
Gloͤckner es öffnete. Trat er dann aus dem There, fo koͤnnte ihn
leicht Jemand ſehen und — wer weiß — wie es dann kommen
konnte? Der andre führte auf ber nöordlichen Abdachung des
Berges in ein Seitenthal hinab, auf welches das obere, ſiets offene
Thor der Stadt münbete; aber diefe Bergſeite war völlig kahl.
Ste führte unten Im Thale an den Mühlenteich, Über den man_
Veicht fpringen Tonnte. Auf dem mit Weiden bepflanzten Damme
erreääjte marı bie Mühle, welche gerade vor dem Stadtthore Yäg,
und, wenn nicht ein befonberer Unſtern waltete, Tonnte er für
einen in ben Tagelohn gehenden Bauernburfchen des im Thale
liegenden Dorfes gelten. Seine Wahl war fchnell entfchieben. Er
betrat ben letzteren Weg, kam glüdlid hinab, ſprang ber ben
Miühlenteich, erreichte die Mühle und trat nach wenig Augenblicken
in bie Stadt, die noch todtſtille balag.
Wenn auch das Herz pochte, er ſchritt langſam bie fich ſenkende
Sttaße hinab, über bie kleine Brücke hinüber, am Bache bin und
erreichte den Markt, wo die demtirqhe ſtand. Keine Seele
begegnete ihm.
Die lange Oberſtraße ſchritt er num hin, bog dann links in
eine Safle, die zum Rheine hinabführte und ſtand in wenigen
Augnbliden an der Thlire bes Schiffer Werthheimer. Auf fein
eigenthümliches, den Hausbewohnern wohlbefanntes Klopfen wurde
bald geöffnet, und er war für’ Erfte in Sicherheit.
Werthheimer's Sohn erfchradl heftig, als er ihn ſah. „Wie
ſtehts?“ rief er aus. „Iſt Euch etwas paffirt?” —
„Stille!“ fagte Martin. „Komm Hinauf In bie Stube. - Da
will ich Dir und Deiner Mutter Alles erzählen.‘
Als er-bann ſich an Speife und Trank erquidte, erzählte er
ben ganzen Hergang.
Man überlegte Hin und ber, ob man ben Vater abwarten
ſollte, ehe für Martin etwas geſchehe.
FB 14°
-
Die Mutter mar eing Binge, ſehr beſonnene Frau. Sie ent⸗
ſchied endlich den Streit.
„Ih wette,“ ſagte ſie, „der Dollart läßt von hier bie
Eeusd'axmen binanafonumen, von ben Martin gefangen zu nehman.
Finden fie ihn nicht, ſo ſuchen fie nach ihm; es marden ſelbſt
Surckbriefe hinter ihm drein geichidt. Suchen fie nach ihm, fa
haben wir ſicher au erwarten, daß auch bei ung Hausſuchung gethan
wird, ba hie Leute wiſſen, daß Werihheimer einmal dahei iſt,
wenn's an's Schmuggeln geht. Waa hannd Wird er ſteckbriefich
verfolgt, ja darf ihn dr Douan anhalten. Iſt er aber überm
Rheine, fo iſt er in feines Heut ficher und kräht Fein Hahn wech
ibm. Alſa tft mein Math, ſobald er fich fatt gegeſſen und geirunken
bat, faͤhrſt Du ihn über den Rhein.“
Damit, ſtimmte dann auch Martin überein.
Der junge Schiffer nahm Riemen, Ruder und Haken, und
ging nach dem Rheine, machte ben‘ Kahn zurecht und rief: dann
Martin, Rein Menſch redete fir an, und als ber Kahn fick auf
den Wellen fchaufelte, ſagte ber junge Werthheimer: „Nun WR
Du gerettet!”
Es warn aber au eben gerade Zeit fir ihn; denn mit bem
grauenden Tage Km ein Bote von Door: am den Wachtmeißar
der Genßd'armen im Städtehen, welcher eiligit fie auf daB Marf
berief.
Zwei berittene Genad'armen flanden in dem Stadichen, bie,
da Dollart dringlich geſchrieben, hinauajagten.
als fie dort ankamer, wurde ſogleich Fehringer's Haus wen
Dollart und den Feldſchützen, bie zur Sand fein mußten, umftellt,
der Syndik, wie damals der Ortsvorſfand hieß, nebſt den beißen
Gensb’armen drangen in daſſelbe sin, um nad) Martin zu. fsschen.
Der alte Fehringer ſaß am Tifche und feine Thränen floſſen.
Erſt vor einer Stunde war er heim gefommen und bie. venebas
hatte ibm ſogleich Alles mitgetheilt.
— 213 —ı
aAlg Fr Martin nicht Farben, nad dee alte Mann nicht wußte,
wo er war, mwurbe die Mühle und bie Häuſet ber Befreunbeten
am Orte durchſucht; aber alles Suchen war umfonft. Yun nahmen
Tre den alten Fehringer mit, am ihm maß auszupreſſen, allein
Thon am Abend Tießen fie ign fr. Mittlermeill waren des Werth⸗
heimets und dindret Schiffer Wohnungen durchſucht worden, ıbie
etwu im Verdacht bed Schmuggelns Tanden, und wo ſich etwa
Mattin konnte verborgen halten.
Glaire lebte Tage des Leids und der Angſt und ber Müſler,
ben jetzt bie Gewiſſensbiſſe noch herdet verfolgten, war ganz troſtlos;
das Dorf aber war in ber größten Auftegung und der wildeſte
Huß Aller warf fih auf Adam Mies, ben man beim Verrath bei-
mag, weil Gaire bier und ba eine Neuerung halte fallen lafſen,
: bie wuf ihn ben Verdacht hinlektete.
Martin war in dem Orte mıf dem tediten Rheinufer wicht
geblieben, das er zunächſt erreichte; denn bier Melt er fich mit
Recht nicht vdllig fiher. Bel dem Orte mündete ein welies Thal,
durch welches ein ſtarler Bach floß und ein Verkehrsweg in das
innere Land ſich durchwand. Er ſchlug ihn fonleich ein und wann:
berte ben Kap über rüftig, wenn Auch in Zwifchensäumen bier und
ba aubruhend, "voran. An vielen Muͤhlen fam er dvorüber. Eriblich,
9 ber Tag fi neigte und bad Thal allmälig höher ſtieg und
ſelnem Verlaufe in's Flachland des dort beginnentzen Bergrückens
nahe wor, fand er bie ledte Mühle. Sie mochte vier, auch ſechs
Stunben von dem Orte an ber Mündung bes Baches in ben Rhein
entfernt fein. Ste lag ſo verfiedt, daß man fie erfi fah, wert
man ihr Räbergeflapper hörte. Er trat zur Thine unb bat um
die Nachtherberge, welche bie Leute um fo lieber, nach alter, chr:
wurdiger Sitte, zugeſtanden, als Martins Kleidung und Ausſehen
durchaus Ionen bie Bemähr zu bieten ſchien, baß er ehrlicher und
ordentlicher Leute Kind fe. Ad er nun bei bem Müller,
einem alten Marne, imter ber Linde ſaß, bie im Hofe flarib, fragte
— 24 —
ihn biefer nach feiner Heimaih uns ‚feinen Bendumhänen, wie
nach bem Ziele ſeines Wanderns.
Die Müllerölente waren beide alt. Sie hatten aur Fien
Sohn und font feine Rinder, unb biefee Sohn war in den: Ketten
Tagen fo unglücklich gemefen, beim Aufladen eines Eichſtammes Im
nahen. Walde ein Bein zu brechen. Einen Mahlknecht hatte der
alte Mann ſehr nöthig, aber noch nicht finden können. Auf Martin,
der ihm in feiner Beſcheidenheit wohl gefiel, ‚war fein Auge. in
biefer Beziehung gefallen, und feine Fragen hatten ben Zweck, zu
bören, ob er eine Hoffnung auf ihn fegen- könne. |
Die Fragen des alten Mannes waren fo theilnehmenb *
herzlich, daß Martin ihm ohne Hehl ſein Geſchick mittheilte, und
auch bie unverhehlte Abſicht, ſich ein ehrlich Unterkonrmen zu ſuchen.
„Ich kann tüchtig arbeiten und will mein Brod getreulich
verdienen,“ ſagte er offen und ehrlich.
Dieſe Rede erfreute des alten Mannes Sen. u
„Verſtündeſt Du nur Etwas vom Mahlweſen,“ ſagte er, > fo
könnteſt Du gleich bei und bleiben;“ und nun erzählte er. Ibm den
beflagenäwertben. Unfall feines Sohnes.
Martin konnte ihm bie ‚WVerficherung geben, daß er dawit
durch feinen Pathen, ben Müller auf ber rothen Mühle, volllommen
vertraut ſei, und ſagte damit chen nur bie reine Wahrheit; denn
ber Müller, fein Pathe, hatte ihn ja abſichtlich mit dem Mahlwmeſen
und der Einrichtung einer Mühle vertraut gemacht, und als vollends
ber alte “Müller vernahm, daß er: bad Wagnerhandwerk verſtehe,
bot er ihm einen fo fchönen Lohn, bag Martin auf der Stk ein-
flug und. in ber Mühle biieb,
Das Alles hatte fich ſo überraſchend ſchael usb; einer
gemacht, daß Martin Gott innig dankte. Zudem war er. bon
feiner Heimath, ſtreng genommen, nur eine Tagreiſe ertfernt, was
ihm eine reiche Beruhigung bot.
Schon an bem Abende om ee dem alten Manner die —2
— 15 —
Arbeit. bes Auffchuttens ab, der mit Geraden. fah u ihm Mari
bie Wahrheit gefagt hatte.
An ber film Mühle iebte er denn nun ſeiner gfucht mit
Treue und: Gewiſfenhaftigkeit. Er vwrwarb. fig‘: ſchnell bie Liebe
amb dad Vertrauen ber alten Leute: unb des leidenden Sohnes
ben er fogleich pflegen half. Als biefer endlich wieder genas, war
Martin ben Leuten unentbehrlich geworden. War er. nicht in ber
Mühle befckäftigt, jo arbeitete er als Wagner. in der Scheune,: ja
manche Arbeit, zu welcher ber Müller den Mühlarzt fonft brauchte,
welcher ihn ſchweres Gelb gefoftet, machte Diartin fo gut und ächt,
baß fie fi mit der des beſten Muͤhlarztes meflen Lonnte. Da. mar
benn gar nicht daran zu denken, baf fie ihn verabſchiedeten, viel⸗
mehr hielten Pe ihn werth wie ihren Sohn. u
Blei Anfangs batte ber alte Mann ſelber das Mehl‘ weg
gefahren, um Martin keiner Gefahr auszuſetzen, unb als ber Gebe
wieder bergefiellt war, übernahm biefer bag Geſchäft, und Martin
blieb auf der Mühle, ohne daß fein Dafein irgend Rmandem nr
gefallen wäre.
L.
7.
Jenſeit des Rheines hatten ſich Eriigaiſe meiragen welche
ven Waffen Rapoleons höchſt ungünſtig waren.
Die verbündeten Möchte, der Kaiſer von Rußland, ber mir
Oeſterreich und der ritterliche König von Preußen, ſtanden mit
ihren begeifterten Schaaren dem Erbfeinde ber Ruhe und deg
VBölferfriebend enigegen, und brachten ihm eine Niederlage nach bet
anderen bei AI. Spanien trieben bie Cngländer de Franzoſen
vor füh ber und drängten fie allmälig ben Pyrenden ‚a, be
ſtarken natürlichen Grenzfeſte ihres Landes. in
Die Schlachten waren blutig und mörderiſch. Raepolvne
Schaaren lichteten ſich mächtig. Eine ſchnelle Aushebung mußte bie .
— 25 —
Befallenen und Gefangenen erſetzen, wenn nicht der Kampf eine
noch ungünſtigere Wendung für ihn nehmen ſollte.
Der Befehl wurde gegeben und ſchnell zur Ausführung gebracht.
Bis jetzt hatte man anf ben Beſtand eines bäuerlichen Anwe⸗
ſens infofern Rückſicht genommen, alB man ben älteſten Gute
frei ließ, der dem Haus- und Geſchäftsweſen vorſtand. Wo nur
mðᷣglich, follte num auch diefe Rüdjicht fallen. Allgemein war bie
Strenge des kaiſerlichen Befehls beknunt, unb Trauer überfiel
zahlreiche Familien. Beſenders ſtrenge aber follte and bad Belek
in Ausführung Tommen, weiches feſtſtellte, daß das Bermigen
Flüchtiggewordener vom Stante follte eingezogen werben.
Traf bad Erſte beſonders ſchwer ben reiigen Adam Ries, jo
fiel die ganze Wucht des Lebteren auf den armen, alten Fehringer,
ber doch um Feinen Preis feinen Sohn in die Hände ber Franzoſen
ubedieſern wollte, wenn er auch gewußt hätte, wo er eine Zuflucht
gefimden.
Mit ungewöhnlicher Eile wurde diesmal bie Aushebung betrie
ben, was auf bie Noth hinwies, während die amtlichen franzdfifchen
Nachrichten nur von Siegen rebeten, welche ber unüberwindliche
Kaiſer erfochten.
Endlich Fam ber gefürchtete Tag.
Adam Mies Hatte feine Thaler fpringen laffen, wo nur eine
offene Hand war, bie etwas zu feiner Befreiung beizutmgen tm
Stande ſchien, und ber offenen Hlmbe waren damals viele !
Die Gründe, die er für Rich geltend machte, beſtanden beſon⸗
berö barin, daß er das Ackergut beforgen, ben Water pflegen und
in sen Stüden deſſen Stelle vertreten müſſe; allein Adam Ries
hatte verfchwiegen, dap er eime Schweſter aus ber erfien Ehe feines
Waters habe, die im Dorfe verheirafget fei, ımb daß fein Schwanger
feine Stelle jo gut, wie er ſelbſt vertreten kͤmne, zumal Die &he
eine Umberlofe war.
Als ber Unterpräfekt nach biefen Umſtänden fragte, die einer
— 217 —
Der hitlen Feinde bed Adam Dies mußte angezeigt haben, konnte
der Maire fie nit in Abrede ftellen, unb alle Bitten blieben
erfolglog — Adam Ried wurde Solbat.
Das fchmetterte ihn beifpiellog nieder, noch mehr aber, daß
fein weinendes Auge fo mandem Blide begegnete, aus dem Har
. und beſtimmt die Freude über fein Unglüd ſprach. Troſtlos wanfte
ber. Menfch hinaus, ber in feinem Webermuthe oft triumphirend
ausgerufen: „Sein Geld überwinde Alles 1’
Als aber nun bie Reihe an Martin Fehringer Fam, theilte
ber Maire die Ergebniffe ber Acten über biefen Entweichungs-
fall mit.
Der Vater wurde vorgerufen und mit harten Worten gefragt,
wo fein Sohn fei?
Als der Greiß betheuerte, er wilfe dad nicht, warf man ihn in
bad Gefängniß, big er feinen Sohn berbeigefchafft haben würde.
Dies Fonnte er nicht. Nach zwei Monaten ließ man ihn zwar
wieder frei, allein Haus und Hof war confiscirt, als das alleinige
Erbtheil des entwichenen Sohnes.
Adam Wied Fonnte nicht triumphiren, er fland bereit? unter
ben Waffen. Er wäre aber auch ber Einzige im Dorfe gewefen ;
denn alle Einwohner trugen aufrichtiges Mitleid mit bem Greife,
deſſen Kraft feit feine Sohnes Entfernung gebrochen ſchien und
ber Teidenb war, feit er zum erften Male wegen Martins Flucht
im Gefimgriffe geſeſſen hatte. Er und die alte Bafe mietheten fich
in einen anderen Haufe ein.
Tags ‚darauf, als bied gefchehen war, Fam ber Müller auß
ber vorhen Mühle und trat in Fehringer’g Stübchen. Der alte
Mannm ſaß im Lehnſtuhle, der ibm geblieben war, und meinte. Als
die Thür aufging, hob erden müden Kopf in bie Höhe, aber zn
bed Gegengruße verfagte ihm bie Stimme vor Erſtaunen.
Der Müller feste ſich, und eine Weile ſchien auch er einem
ſchweren Kampf mit feinem harten Kopf und Herzen zu Tämpfer,
— 218 —
Cnbi bob er an: „Schwager, Du weißt won minem ich
Haß gegen Dich getragen —“
„Schweig , ſchweig!“ rief Fehringer mit gewaltiger Bewe⸗
gung aus; „ich weiß, was Du willſt. Iſt es nicht: genug, daß
Reue und Qual mein Herz zerreißt? Iſt es nicht genug, daß
Gottes ſtrafende Hand ſo ſchwer auf mir liegt, daß ich im Alter
kinderlos und ein Bettler geworden Bin? — Willſt Du noch kommen
und das Maß meines Jammers voll machen durch bittere Vor⸗
würfe, deren Ih mir ſelber Tag und Nacht mehr mache, als Du
mir machen kannſt? Geh’! Vierzehn Sabre haft Du meine Schwelle
gemieben und mich nicht gefannt; haft getreulich an meinem Ver⸗
derben mitärbeiten Helfen; geb’, laß mich in Ruhe flerbeit, wenn ich
e3 kann! Du haft Rache genug; Du brauchſt Dir ſie jetzt nicht
ſelber zu Holen!”
Diefe Worte fehnitten in des Müllers Herz. Er wollte ant⸗
worten, aber die Thüre ging auf und ein Mädchen trat herein,
deſſen Kleidung etwas anders als die der Mädchen des Dorfeß
war, deſſen Schönpeit aber ſelbſt das Auge des Müllers faſt bien
dete. Sie trug ein Körbchen in der Hand und wandte fich an
Fehringer.
„Vater Fehringer,“ ſagte ſie mit einem fo füßen,, herzgewin⸗
nenden Tone, daß der Müller ſich wunderbar. bewegt fühlte,
„ich habe Eure Worte gehört; fie find mir in bie Seele gebrumgen.
Eigentlih Tomme ih nur, um Eud eine Suppe zu bringen, aber
ich höre, daß ich Frieden zu fliften gelommen bin. O,“ fngte fie,
fih an den Müller wenbend, „ich kann mir nicht denken, baß Ihr
ben bartgefchlagenen Mann feine Lage verbittern wollt. Richt wahr,
das wollt Ihr nicht?” —
Die Iekten Worte fprach fie bittend ; aber es wäre auch kette
Menſchenſeele, ſelbſt bie härteſte nicht, im Stande geweſen, dien
Worten, diefem Tone zu wiberfiehen.
— 19 —
VDer Müůller ſpeang auf und umterdrũcte mühſam eine —28
die ihn überwältigen wollte.
„Wer biſß Da, Mäbden?” jragte er, ihre Hand enguelfenb
„Wenn das Etwas zur Sache. tbut, will ich ed Euch Jagen,’
ſprach Claire; „ich heiße Claire Dollart und bin des Douanen Kind.”
Der Müller ſah ſie lange, fehr lange an und. in feinem Gefichte
zuckte e3, bis zwei dicke Thränen ihm aus ben Augen quollen.
SG benne Dich nun und danke Gott, baß ich Dich Tennen
lerne, um auch Div das Unrecht abzubitten, daß ich, ohne Dich zu
kennen, an Dir that; Lind, ich bin Martins Pathe. Die will ich
es fagen, was mich hierher treibt. Die lebte Unterredung, die ich
mit Martin hatte, if} mir durch die Seele gegangen. Seit vierzehn
Jahren habe ich Feinen Tritt in das Dorf gefegt biß heute. Ich
haßte Diefen, meinen Schwager, weil — nun ba& foll ja eben
vergeſſen fein! Martin weckte mein Gewilfen, was Keinem gelmgen
war. Sein Wort traf mich fehärfer, denn ein zweifchneibig Schwert.
AU’ das Unglüd, dad zu Hauf kam in ber letzten Zeit, feine Flucht,
ohne mie Lebewohl gejagt zu haben, hat mich tief und tiefer ge-
beugt. Endlich in der Harte Menfch gebrochen worden von ber
Hand Gottes. Fehringer meinte, ich komme, um ihm Borwütfe
zu machen; aber Gott iſt mein Zeuge, ich komme, um ihm bie
Hand zur Verfühnung zu bieten. Ich will in’ Grab Iegen bie
ganze Vergangenheit und mit ihm leben wie ein Bruber, mit ihm
theilen mein Brod, daß er nicht mehr darbe. Dazu bin ich hier,
und er Heß mid nicht zu Worte kommen.“
„D dann fei Gott gepriefen!’ rief das Mãdchen ans, und
anf ihrem Engelsgefichte lag eine wahre Verklärung. „Sp kommt,“
bat fie, „und laßt mich e3 fein, die Eure dande und Herzen wieder
vereinigt!
Sie faßte des Mulerß Hand und führte ihn Fehringern zu,
and legte ihre Hände ineinander. „Siehe, wie fein und lieblich
in es, wenn Brüder einttächtig beieinander leben! Denn daſelbſt
vecheißet ber Herr Friebe und Fremde ewiglich! Go ſppricht des
Herrn Wort.“
Der Müller ſtarrte daß Mädchen an; daun aber fiden fi
‚bie beiden Männer um ben Hals und weiten fahr laut.
Claire wollte fich wegfchleichen.
Das ſah ber Müller umb machte ſich los.
„Bleib', Mädchen, bleib'!“ rief er.. „Much mit Dir hab’ ich
‚zu reden. Ich haßte Dich, weil Du und Dein Baier einſt meine
>
Mühle umklreiſt habet und wmeintet, ich fei ein Hebler ber Schmugglet.
Du hatteſt Dein Geficht gefchwärzt, aber ich erkannte in Dir BB
Weib, Jetzt — jet — kenn' ich Dich erft und jept bitt' ich Dich,
vergib an Du mir! Ich weiß, daß Adam Ried be Schuld trägt.
Willſt Du mir verzeihen ?“
Elaire Yächelte durch Thränen. Sie reichte ihm ihre Hand.
„Ach,“ ſagte fie, „ich mußte ja nit, daß Ihr uns haßtet; aber
gerne vergebe ich Euch. Geht, Ich mußte meinen Vater begleiten,
weil ich fürchtete, bie Schmuggler möchten ihm ein Leid zufügen,
baran ich fie hindere. Ich hätte babeim Seine Ruhe gehabt. Damit
man mid) aber nicht erkenne, trug ich einen TZrauerflor vor dem
Geficht. “u
„Aha, Du war's” rief Fehringer. „Gottlob, daß auch dies
Geheimniß ſich jo ſchön aufklärt!“
„Du biſt eine brave Tochter,“ ſagte der Müller. „Der Segen
Gottes wird Dir nicht entgehen, denn Du haft ben Segen ber Bee:
heißung für Dich! Wer fo bem Bater Liebe beweift, ber ift auch zu
jeber guten That fähig.”
In dieſem Augendlid rief bie Mutter unten im Haufe, ba
Maire ihr zu lang ausblichb.
„Ich muß geben. Gottes Gnade und Frieden ſei mit Eucht“
rief fie und eilte zur Thür hinaus.
Mas bie beiden Männer noch miteinander redeten, war ermft
und bebeutfän, aber. bitter war es nit. In bie Mähle wollle
' — za —
Fehringer nicht ziehen; dagegen verſyrach ber Müller, Alles für
ihn zu She, und hielt treulich ſen Wort. Faſt täglich beſuchte er
ide, bit er. wieder geneſen war. Er verſorgte ihn und bie Baſe
rachlich mis Allem, wood die beiden Alten bedurften, und ben Haus⸗
amd zahlte er ihm auch.
Oft fagte Claire: „O wenn & doch Martin wühtel” mb
mit han Worie bob fi ein ſchwerer Seufzer von her kummer⸗
belafteterr Seele des Moödchens. Dean es waren nun beei Monate
wergangen, und Martin Batte Nichts nom fich hören Infimt.
Hatte er fie vergefien? Das glaubte Claire am wenigſten.
Da Fam eined Tags, es war fchen in den Tagen des Octobens,
als bei Leipzig die Macht des weltſtürmenden Napoleons gebrocher
naırbe, ber alte Werthheimer, einft Fehringer's Schmuggelgenoffe,
in’ Dorf unb fragte nach ihm.
Mar wies ihm das Haus, wo ber Alte in der Miethe
wohnte.
WE Wertbheimer eintmt, ſaß Fehringer an feiner Bihel, denn
ed mar an einem Sonntag Mittage.
Fehringer war freubig überrafcht, als er ben Gefährten fo
mancher Schmuggtlei bei ſich ſah.
„Was führt Dich zu mir armen, alten Mann?‘ fragte er.
„Die Zeit ik bahin, we Du mich brauchen konnteſt.“
„warum Tomme ich nicht, fagte er zu bem Alten. „Es if
ein Anberes, mas mich zu Die fährt.”
„Doch nichts Schlimmes?‘ fragte Angfilidh Fehringer.
"Rein, alter Kamerad,“ entgegnete Wertäheimer, „diesmal iſt'g
nur Gutes. Ich bringe Dir Kunde von Deinem Sohn. Er kennt
das Unglüd, das Dich traf feinetwegen, und das Bat ibm tief ge
beugt. Gerne wäre er gekommen und hätte fich geftellt, um Dich.
and ben Moth zur vetten, wenn eh bie braven Leute zılgegebem Hätten,
bei denen er iſt wie das Mind im Haus, und bie ihn werth halten
wie den Augapfel ine auge. Sie mußien orbentlih Gewalt ans
“
/ .
La —
wenden, um ihn zurückzuhalten, und eft, als fie es ihm Mar
machten, daß e8 ja dann für Dich’ nur ſchlimmer würde, wenn er
Dir’ganz genommen ımb dingeopfert würbe, ba ergab er fi. Wo
er aber ift, darfft Du nicht wiſſen; — nicht, wie weit er von Dir
ift, damit Du, wenn fie wieber an Dich gehen, und das Tann
kommen, frei fagen Tann, Du wifleft e8 nicht; aber bie Gelb
fendet er Dir und bittet Dich, Du ſollteſt es für Dich unb bie
Bafe verwenden. Er hat's fehr gut und Braucht das Geld nicht.“
Da faltete ber alte Fehringer feine Hände und das ſchneeweiße
Haupt, das erft weiß geworden war feit den Leiden ber letzten Zeit,
fant auf die gefalteten Hände und er betete, benn fein Herz war
voll Preiſens und Dankens.
Werthheimer ging hinaus und fuchte die Baſe. Ihr farben
Martin ein warmes Halstuch für ben Winter und bie herzlichſten Grüße.
„Aber, fagte MWerthheimer, „noch Eins. Ihr follet zum
Pathen gehen unb ihn viel taufendmal grüßen und ihm fagen, er
komme bald, benn mit den Frauzoſen fei es Matthäus am Lebten.
Dann trug er mir auf, Ihr ſolltet der Claire fagen, fie folle,
wenn das Franzoferwefen zufammenbredhe, boch um Goties willen
nicht mit nach Frankreich gehen, fonbern ba bleiben; er hoffe zu Gott,
baß er wieberfehren bürfe, unb dann werde ja noch Alles gut werben.”
Das waren Botfchaften, bie überall Wonne und Freude berei⸗
teten, wohin fie gerichtet waren, obwohl Claire an ba8, was er
vom Sranzofenwefen fagte, nicht glaubte und lächelnd meinte,
bamit verrechne er ſich doch! „Ach,“ fagte fie, „wie wirb es gehen? .
Wird er je wieberfommen bürfen?
8.
Gaire's ungläubige Lächeln war ber Wiederſchein ber uner-
fSütterligden Meinung ihres Vaters. Dollart, wie viele Tauſende
begeifterter Verehrer Napoleons, glaubte eher an ben Untergang ber
I, e
— 228 — N |
Belt, als am. ben ſeiner Macht und feines Glücksſſterns. Er Türme
wohl von der Macht ber Elemente bezwungen werben, fagten fie,
wie von ‚einem ruffifchen Winter, nicht aber von ber Macht ber
Menſchen. An die Macht Defien, ber ba ſpricht: „Bis hierher, und
nicht. weiter!“ dachten fie nicht bei ihrem fleiſchlichen Urteile. Was
er jetzt wohl noch leide, das fei bie Folge jenes Winters, bas ſei
das Nachweh; nber mit einem Male werde ber Abler fein @efteber
fgütteln,. die Flügel ausbreiten und die Jange rüſten; dann werde
Europa zittern unb wieder alle gekrönten daupter ſich im Staube
vor ihm neigen.
7
Wie gefagt, das glaubten Viele, benen bie „Bülletins ber
großen Armee‘ eine volle, reine Wahrheit waren: Verwöhnt bucch
bie. Siege des Gewaltigen, ſchien ihren. ein Wechſel des Glücks
außerhalb ber. Grenzen. des Möglichen zu liegen. In Napoledn
ſahen fie etwas Weberichifches, einen Menſchen, deſſen Wille keine
Schranken kenne, wie feine Macht and fein Geiſt.
Aber es gab unendlich Biele, die zwiſchen den galen der
ruhmredigen Bülletins laſen, bie am ben bausbackig pofaunenben
Siegesboten einen Yweifel wachſen fühlten, je mehr fie pofaunten.
&3 log wie Blei auf ben Geiftern, als bie breitägige Schlacht
geſchlagen war, und bie Bülletins weniger rühmten. Es drangen
Kunden über ben Rhein berüber, troß ber Sperre, und biefe Nach⸗
richten waren. Botfchaften nom Untergange, bie da Hangen wie ein
fernder tönenbed Grablied. —
‚Man wagte ſich's nur zuzuflüſtern, und bie forgenvollen
Minen ber hoben Gewalibaber in ben Stäbten, bie milberen Sai-
ten, bie man bin umb wieder anfzog, wo man fie fonft big auf's
Höchſte gefpannt, gaben auch ein Zeugniß, unb bas Wolf beitete
ed richtig, und die deutſchen Herzen auf bem linken Rheinufer
wagten es einmal wirder, zu boffen auf bad Zerbrechen des lange
getragenen Jochs.
Endlich war es nicht mehr zu leugnen, daß Napoleons Macht
&
.. _ u —
bei Beipzig gebrochen worben war. Bie Schlecht bei Smau vollen⸗
‚ bebe bie Sicherheit. eines gewaltigen Umfchwungs der Dinge Yet
Inmen bie teaurigen Beweiſe augenſcheinlich Trupps von Gol-
baten kamen bis in eine Entfernung von 10 bis 12 Stunden von
Mainz, unter denen noch unverbundene Verwundete waren. Man
ſah unter einem Tauſend alle Waffengattungen der ſogenaunten
„großen Armee“ vertreten, und Lumpen bällten fie ein, unb bie
bleichen Geſichter ſprachen von Hunger und Elend, und ber entſeg⸗
Ude Geruch, den fie verbreiteten, von ben Keimen töbtlächer Krauk⸗
beit, bie fie in fich trugen, bie fie mitbrachten und bie den Tod
eine reichere Ernte verfhaffte, als das Schlachtfeld von Leipzig,
wenn fe auch langſamer eintrat.
Da fagte Bollart, Tleinlauter zwar, aber immer noch zuver⸗
ſechtlich: „Ju viele Humbe find bes Hafen Tod. GEs taub eine
halte Welt gegen ihn; wie follte er Wiberfianb leiſten nach ſolchen
Leiden, wie fie fein Heer erduldet? — Laßt ihn einmal in Paris
fein, und ihr ſollt Wunder ſehen und erleben?”
Er kam ſchnell genug mad) Paris. Der Fluch feine zer⸗
malmtn Heeres folgte ihm; aber die Wunder bfieben aus
An Schmuggeln dachte Niemand mehr, aber auch nicht am’s
Wachen. Alle Bande fchtenen gelodert, wenn nicht gelöſt. Dollart
faß auf feinem Webeſtuhle, ſtatt daß er auf feinem Boften geñanden
hätte, und manden ftiller Senfzer, der ben Sturze Napoleras
feines faſt abgöttifch verehrten Helden galt, wob er in fein Gebilbe
binein. Dennoch fügte ber ımbeugfan Gläubige am feinen Kaifer:
„Laßt ihn nur machen. Mögen fi auch ba drüben bie Ruſſen
unb Preußen ſammeln, er wird eine Macht au ben Mein fiellen,
die fie lehren wird, drüben zu bleiben.’ Aber auch biefe Armee,
dieſe Macht blich aus, und die rauhen Terembertage Tamen.
An den Döorfern Tagen zuſammengeſtoppelte Soßbatenhunfen.
Hier zwanzig, dort breißig und mehr. Reiter ohne Pſerde, Kawo⸗
niere olme Sanonenz felbft Infanteriſten ohne Waffen.
1
— 225 —
Und drüben ſah man auf den Bergen oft das Blitzen der
Gewehre.
Am rechten Rheinufer hinauf und hinab ritten Koſacken und
riefen ihr: „Franzuskil“ drohend herüber, jagten eine Kugel in ben
Rhein, und wenn bie Douanen eine hinüberſandten, galoppirten fle
lachend baven.
Die thun ung Nichts! fagten fi. Das ift feiges Gefindel.
Die Stimmung im Lande wurbe eine bumpfer. Die franzd-
ſiſchen Angeſtellten jahen traurig brein.
Droben in Höchſt am Main ſaß auf feiner Trommel der alte
Marſchall Vorwärts, ber alte Blücher, und bereitete feinen Ueber⸗
gang bei der Pfalz zu Caub vor. Die Armeen, welche feinen Be:
fehlen untergeben waren, Ruſſen und Preußen, ſammelten fich bei
Wiesbaden und rüdten bem Punkte langſam mäher, ben ber alte
Held zum MWebergange ‚befiimmt hatte. Endlich kam ſelbſt feine
PBroclamation an die Bewohner des linken Rheinufers in's Land,
jo zablreih, als habe fie ein Sturmwind zu Taufenden über den
Rhein herüber geweht.
Die Franzofen fagten es felbit: Die Deutfchen gehen zu Neu:
jahr 1814 über ben Rhein und Napoleon gibt euch preis!
Da war nicht mehr zu zweifeln, und Dollart ließ das forgen:
volle Haupt auf die Bruft finfen. Was follte aus feiner Frau,
feiner Claire werben, wenn bie NRuffen fimen? Was aus ihm?
Das Iag auf feiner Seele wie eine Gentnerlaftz aber wegwälzen
konnte er fie nit. Sie wurbe mit jebem Tage ſchwerer, je näher
das Jahr 1813 feinem letzten Tage zuging.
Sonſt war e8 ein Tag, ber leider, trotz feines ernften und
mabnenden Charakters, burchnebelt zu werben pflegte. Dieſes Jahr
fam er ſo ſorgenſchwer heran, wie kaum irgend jemals, und unter
den Seufzern wurde Fein Jauchzen vernehmbar. Es war noch ein
Anderes, dag bie Herzen erjchredte und fo dirfter ſtimmte.
Die Krankheit, das Nervens oder Lazarethfieber, welches bie
Horn’s Erzählungen. IX. 15
s
— 26 —
Franzoſen mitgebracht, berrfchte in erfchredenber Weiſe. Faſt Tein
Haus war, wo nicht Kranke lagen. Die Krankheit jtedte furchtbar
an. Faſt alle Glieber des Haufe, wo ins ergriffen wurde,
fanfen bald nach einander auf's Kranfenbett, und bie Meiſten
wurden binauögetragen auf ben ftillen Friedhof, wo bie Kreuze zu
Häupten daran mahnen, was allein im Tode Heil und Hoffnung
geben Tann. .
Leber fürchtete, wenn er ſich heute noch gefund fühlte, morgen
ſchon ergriffen zu fein. Das brüdte die Gemüther; das töbtete bie
Freude; das beugte den Muth; das trübte den Bli in die Zu-
funft. Taufenbmal dachte Glaire an das Wort, das ihr Marlin
burch die alte, treue Lenebas hatte fagen laſſen. Sie hatte damals
brüber gelächelt; jet erfchien e8 ihr anbers, und wenn ber gebeugte
Vater von ber Zukunft fprach, feufzte fie tief auf.
Es war in ber Woche bes heiligen Chriftfeftes, als eines
Abends, wie er jet oft that, ber Müller zu Fehringer Fan.
Sie fprachen natürlich von nicht? Anderem, als vom Weber
gange der Deutjchen und Ruſſen und wie e8 werben würde.
Der Müller batte einen franzöfifchen Offizier im Quartiere
gehabt, ber deutſch ſprach, einen ältlidhen, braven Mann. Als er
fchied, drüdte er des Müllers Hand und jagte: „Gott ſchütze Euch!
Wenn bie Deutfchen an Euch thun, wie leiber unfere Soldaten
brüben getban, fo bleibt fein Stein auf bem andern!’
Das Wort lag auf bes Müllers Herzen ſchwerer, als fein
großer Mühlſtein. Er theilte es dem Fehringer mit und fügte
babei: „Ich meine, ed wäre gut, wern man in folchen Zeiten nabe
bei einanber wäre! Auch will es mir fcheinen, als ob bie Laft ber
kommenden Cinquartirung von Einem von uns könne abgemwendet
werben.‘
„Wie ſo?“ fragte Fehringer.
„Ei nun,“ entgegnete ber Müller, „Du ziehſt morgen zu mir
8
> 2 a 0] Eu} .n ⸗
|. Wu Wa“ TE m win
— 27 —
in bie Mühle, da wird Dich bier, in Deinem Stübchen, fein Solbat
beläftigen und ich Friege dadurch feinen mehr und feinen weniger.’
Fehringer beſann fidh. |
„Und,“ fuhr der Miller fort, „ba es Tein Zweifel iſt, daß,
wenn beute die Deutfchen da find, morgen Martin fommt —
„Meint Du?’ rief fragend und freudig der Alte aus, ihn
unterbrechen.
„Ganz gewiß,” fagte ber Müller, „denn ber junge Werthheimer
bat mir geftanden, daß er gar nicht weit vom Ufer bes Rheins im
| fihern Nefte ſitzt —
„Dann, fuhr er, bei dem unterbrochenen Gebanfen anknüpfend,
fort, „kommt er body in die Mühle, denn Du baft.ja nit Raum
für ihn in diefem engen Behelf. Endlich aber ift es tröftlicher für
und Alle, wenn etwa — unb wer weiß e8? — Eins von und
von ber Krankheit heimgefucht wird. Wir können einander dann
um fo leichter Handreihung thun und Pflege und Erquidung an⸗
gedeihen laſſen.“ |
Die Gründe waren gewichtig. Mit Neujahr begann bie
Miethe neu. Was binderte e8, daß fie es ausführten?
So recht nah allen Seiten hin erwogen fie die Verhältnifie
und endlich ftimmte Fehringer und bie Lenebas zu, und fo wurde
bern befchlofien, daß ber Müller am Montage nad bem Sonn:
tage vor Neujahr feinen Mehlwagen fenden follte Darauf follte
benn alle bie geringe Habfeligfeit Fehringer's gepadt und nach ber
Mühle gefahren werben. Unter manchen Sorgen und bangen Er-
wartungen war benn enblich ber Morgen bed Montags angebrochen.
Der Müllerwagen kam und Fehringer und bie Bas trugen ihre
Saden herunter.
Als die flinfe Claire dies bemerkte, kam fie eilig berüber und half.
„Ah, geht Ihr jo weit fort?” fragte fie. „Da werben wir
ung ja felten ſehen.“
15*
8 —
‚Aber warum wilf Du uns benn nit in ber Mühle
beſuchen?“ fragte Fehringer.
Claire zudte bie Achſeln. „Ich kenne ben Müller nur von
ben einzigen Male, wo ich ihn bier bei Euch traf. Seitdem fab
ih ihn nicht wieder.‘
„Er war ja doch täglich bei und —“ fagie ber Alte.
„Ich wollte nicht aufbringlich fein,’ jagte das Mäbdhen barauf.
„Ihr wißt ſchon, wie 658 Einem bie Leute Alles auslegen und ung
vorab, ba fie uns doch Alle haſſen. Lieber Gott, was kann mein
armer Bater dafür, daß feine Pflicht gebot, firenge zu fein? Wär’
er's nicht gewefen, fo war e3 ein Anderer. Aber es thut Einem
boch jo wehe. Gr bat ja bo Niemand hier ein Leib angethan,
und wir gewiß andy nicht. Was foll’3 nun mit ung werden, Fehr
fie fort, „wenn de Deutſchen kommen?’ Sie trocknete ihre heihen
Tränen.
„Se gutes Muthes, Kind,‘ fagte Fehtinger. „Sieh', feit ig
in Roth war, hab’ ich beten gelernt und da ift in meine Seele din
Vertrauen auf Gott gelommen, ba3 nicht wanfenb gemadht werben
faın. Er macht Alles wohl! Bete, glaube und vertrau', und Du
wirft erfahren, wie wahr es if: „Rufe mi an in der Noth, fo
will ich dich erhören, und du folk mich preiſen!“
Dies Troſtwort erquickte Claire’ Seele noch lange, nachdem
ſchon der Müllerwagen mit ben alten Leuten durch8 Dorf, ben
Mühlenweg binabgerollt war.
Die Anzeichen des nahen. Nebergangs ber Deutfehen bäuften
fi) mit jeder Stunde. Man bezeichnete Iaut und beſtimmt Caub
als den Punkt. Statt ba eine Truppenmadt bort ben Uebergang
hätte wehren ſollen, — unb es wäre nicht ſchwer geweien, — zogen
fi) alle bie zerfireuten Truppen ziemlich ſchnell in ben letzten Tagen
vor Neujahr zurüi nach der franzöfiigen Grenze
Dollart hörte und fah nichts. GEs Tam fein Befehl; er ſah
einen Gollegen vom Rhein oder von der nächſten Seitenftation
— 229 —
der ſchwarzen Brigade. Sonſt war alle acht Tage. der Brigadier
gaommen, batte ben Pollen unterſucht, Befehle gebracht; aber ſeit
einem Monate war er nicht dageweſen.
Sp kam ber Morgen des Eylveſtertages.
Man hatte gejagt, wen man an ber „hohen Buche“ fiche,
einem ber höchſten Punkte der Umgegend, non bem man in bie
Naſſauer Berge über den Rhein hinüber fchauen Tonnte, ſähqg man
byüben bie Wachtfeuer bei Nacht, und bei Tage beutlich bie Beine:
gungen ber Colonnen dee Deytichen.
Die Unruhe in Dollart’3 Seele war fo groß, daß er enhlich
feine Uniform anlegte, feine Waffen nahm und nad) der „hohen
Buche” aufbrad, Sein Weg führte ihn an ber Spitze ber Hreuz⸗
hecke vorbei, wo ihm einſt das Greigniß augefloßen war, das nad
beute zu feinen bitterftien Erinnerungen gehörte.
Als er dort Hand, wo das Wieſenthälchen vom Rheine her
gegen die Höhe der Kreuzhecke mündet, ſah er plöhlich zwei Dougmen
mit Sad und Pad und großer Haſt aus dem Grunde bes Thälchens
heraufſteigen.
Es war der Brigadier und ein gemeiner Douanier. Sie
riefen Dollart ſogleich an und ſagten ihm, „der Befehl ſei gekommen,
daß alle Douaniers ſchnell ſich hinter die alte Orenze Frankreich⸗
zurückziehen ſollten.“
„Wo find Eure Weiber und Kinder?“ fragte ex, und bes
Athem ſtockte ihm ſchwer.
„Wo find ſie?“ antwortete ber Vrigadier. „Wir haben fie
Gott und guten Menfcherr überlafien müſſen, da her Befehl aus⸗
brüdlich dahin lautet, daß Weiber und Kinder nicht follen mitge-
führt werben, ebenfo wenig unnüges Gepäde. Das Nothwendigfte .
an Pleidungsftüden fol im Tornifter mitgenommen werben, da ber
Kailer aus ſämmtlichen Dopaniers und Gensd'armen ein Corps
Bilden wolle, das ala Grenzpertheidiger thätig fein jolle. Morgen,“
ſezie er hinzu, „ober vielmehr in bes nachſten Macht gehen die
— 280 —
Deutſchen bei Caub ungehindert über. Sie werden uns bald auf
ber Fette fein. In Birkenfeld ober Kuſel iſt unſer Vereinigungspunkt.
Da gilt's Eile, Dollart! Drum ſchnell mit uns nach dem Dorfe
zurück, wo nur Dein Ranzen gepackt wird. Wir nehmen uns dann
einen Leiterwagen und legen die Zeit wieder zu, die wir Beide
eingebüßt haben, indem wir hierher mußten, Euch abzuholen, ba der
Befehl zu ſchnell kam, um ihn Euch vorher mittheilen zu Tünnen.‘
Das mar eine nieberbonnernde Nachricht für Dollar. An
Weib und Kind Bing fein Herz mit der zärlichſten Liebe. Sie
follte er verlaffen, von denen er nie getrennt gelebt hatte Sie
ſollte er bier laſſen, unter Leuten, bie ihm und ihnen feines Stanbez
wegen nicht freundlich gefinnt waren, und einer gefahrenreichen
Zukunft entgegengehen, bie es fehr in Frage ftellte, ob er fie jemals
in biefem Leben wieberfehen würde!
Da läßt es ſich nachfühlen, wie es um das Herz des Mannes
ftand, als er ben Weg zum Dorfe mit feinen Gefährten eilig
durchmaß; da läßt ſich's nachfühlen, welchen Eindrud die Nachridt
bei feiner Heimkunft auf feine Frau und feine Tochter machte!
Unter Thränen wurbe fein Tornifter gepadt und ber Spar:
pfennig getheilt; als es aber an's Scheiben ging, ba hingen fie
laut jammernd an feinem Halſe. Selbft bie beiden Männer, die
zur Eile treiben mußten, weinten wie Rinder. War body bie
Stunde nit fehr entfernt, wo fie fich ebenfo Hatten losreißen
müſſen von den Theuerſten, bie fie auf Erben batten.
Aber helfen Tonnte Niemand. Es mußte gefchieben, das
Schwerſte überwunden fen! —
9.
Eine Stunde war ſchon vorüber, feit Dollart fich losgeriſſen
unb binmweggeeilt war, und noch lagen Claire und bie Mutter
weinenb mit ben Köpfen auf bem Tiſche. Die Thränen riefelten
— 931 —
fliller herab auf ben Boden, als früher, und doch waren fie fo
unfähig, auf das zu achten, was außer ihnen vorging, daß fie das
Heranrollen eines Wagens nicht vernahmen, ber an ihrem Haufe
file hielt; nicht bemerkten, baß leiſe ſich ihre Thüre öffnete und
Jemand hereintrat, der aber in ber Nähe ber Thüre ftille fand,
weil er, felbft überwältigt von bem Schmerze, beffen Zeuge er war,
ihn nicht ſtören mochte in feinem Ergießen.
Zunächſt der Thüre ſtand der Müller mit verfchräntten Armen.
Ueber daB raube, wetterharte Geſicht bed Mannes rolliten, ihm
unbewußt, heiße Thränen.
So rauh auch ber Müller zu fein fchien, jo weich war fein Herz.
Er hatte von dem alten TFehringer, ber im Dorfe gewefen
“war, nicht fobald gehört, wie e8 um Dollart’3 ſtand, als fein
Entſchluß reifte. Lebhaft dachte er fih im die Lage bes Mannes
hinein, der Weib und Kind in einer zweifelhaften Lage zurücließ,
und felbft einer noch zweifelbafteren Zukunft entgegenging: das
bewegte ihn im Grunde feiner Seele.
Was follen die armen rauen machen, ‚wenn nun das halb-
wilde Volt der graufamen Kofaden Tommi? Wenn, wie mein
Offizier fagte, bier Fein Stein auf bem andern bleiben fol? Gie
haben feinen Halt, feine Stütze, feinen Troft, feinen Beiltand.
Es ift entfeglih! Und im Dorfe wird Niemand ihnen die helfende
Hand bieten, Vaterſtelle an ihnen vertreten! Alter Müller, da
iſt's beine Pflihtl Dein Herz ruft, — nein, es tft Gottes
Stimme, bie an bein Herz ergeht; drum frifh dran! Sn und
mit Gott gethan, ift wohlgethan!
Und wenige Augenblide fpäter rollte er mit dem Mehlwagen
in's Dorf, ſtatt über Feld, und wieber eine kurze Frift fpäter fland
er in ber Stube, wo bie Zwei meinten, bie fih fo verlaffen fühlten.
Claire blickte zuerſt auf. Sie erfhrad, als fie Jemand
baftehen fab; aber fie erfannte fogleich den Müller, ftand auf und
fagte: „Was führt Euch zu ung?” —
— 282 —
„Ich weiß nicht,“ antwortete der Müller, „was ich Dir ſagen
ſoll, Kind; aber ich glaube, es iſt Gottes Stimme, die mich zu
Euch führt; denn als ich's hörte, was Euch betroffen hat, ‚da rief's
in mir unabläfſig: Geh' bin und hole fie in beine Mühle, auf daß
fie Schug haben zur böſen Zeit!”
„Ss bin ich denn da mit dem Wagen und wollte Euch bitten,
laffet ung Alles aufladen und mwohnet in der Mühle, wo Plag bie
Fülle it! Ich will für Euch forgen, ala wäret Ihr meine Rinder,
und jo lange ich lebe, fol Feine Ungebühr von Feindeshand Euch
betrüben !”
Die Mutter flarrte erfiaunt den Müller an unb bielt feine
Rebe für einen entfeglihen Hohn, da fie den Mann nicht im
Mindeſten fannte; aber ehe fie eines Wortes fähig war, trat Claire
zu ihm, legte ihre Meine, Hand in bie feine und fagte: „Ya, ſolche
Gedanken bat Euch gewiß Gott eingegeben; aber Lob und Dank
auch dem Herzen, das nicht ſäumt, fie auszuführen. Ja, wir gehen
mit Euch, denn wir bedürfen Eures Schußes, und es könnte ja fein,
daß wir durch Dankbarkeit ſolche Liebe vergelten könnten.“
„Nicht wahr, Mutter, wir gehen mit in die Mühle?‘
„Ach Gott,’ fagte Frau Dollart, „wie bift Du doch voreilig!
Wir kennen ja ben Mann gar nidt —
„Ich kenne ihn fchon, liebe Mutter,“ fagte Claire, „Du kannſt
ibm vertrauen |’
„Das ift ſchon gut, aber wir willen ja den Hauszins nicht?"
fagte darauf Frau Dollart.
„Hauszins?“ rief da der Müller aus unb er wurde glühend
roth im Geſicht. „Hauszins? — Liebe Frau, ich fehe, Ihr kennt
mich nicht unb ba mag ich’ Euch leicht verzeihen, daß Ihr alſo
rebet. Mich treibt mein Herz, Euch eine freie Wohnung in meiner
Mühle anzubieten, bört Ihr's, eine freie Wohnung, bie Euch Feinen
Hauszins Foftet; ih will Euch eines ehrlichen Mannes Schub
anbieten, Euch und Eurem lieben Kinde für die Zeit, wo Ihr beffen
Abſicht.“
— 288 —
wohl bedürfen könntet; denn was ſoll's mit zwei hülfloſen Frauen
ohne männlichen Beiſtand in ſolcher Zeit des Krieges, wie er uns
in dieſen Tagen bevorſteht? Seht, gute Frau, das will ich und
nichts mehr, nichts weniger; aber Geld will ich nicht; nur Euch
bitten, im Bertrauen eine Hand zu fallen, die ſich Euch darbietet,
im Vertrauen auf dad Wort eines Mannes, an befien Namen kein
Makel Mebt, am wenigſten ber ber Unreblichleit und treulofer
Frau Dollart ſah ihre Tochter ungläubig an, benn folche
Erfahrung hatte fie in ihrem bisherigen Leben zu machen noch Feine
Gelegenheit gehabt. .
Claire aber nahm nun dag Wort und ihr gelang es, der
Mutter tiefwurzelnde Zweifel zu löfen. Der Müller fprach ſich
nun noch näher aus über feine Abfichten, und fo gewann er endlich
dad Vertrauen der Frau Dollar. So wurde denn nun ausge—⸗
räumt und auf ben Wagen geladen, was auszuräumen war, und
Claire eilte, ben Miethvertrag fofort aufzufündigen, ba ihr Water
fih, bei ber Unficherheit feiner Stellung, ſolches ausgehalten.
Derſelbe Wagen, der wenige Tage früher Fehringer's geringe
Habe Hinweggefahren, trug nun auch die Dolart’3 binab in's
Mühlenthal.
Es war gewiß ein guter Geift, der den Müller geleitet hatte,
ald er, von Mitleid beivegt, Dollart’3 eine Zufluchtäftätte bot, denn
Son feit einigen Tagen fühlte er eine Schwere in feinen Gliedern
und ein Fröſteln, das ſelbſt der fehr warme Ofen nicht vertrieb,
Am Sylvefterabend aber trat ber Froſt mit folder Macht
ein, daß er zu Bett eilen mußte.
Das waren bie untrüglihen Vorboten ber herrſchenden
Nervenfieberfrankheit, die denn auch mit aller Heftigkeit bei ihm
losbrach.
Das war ein rechter Schrecken für das ganze Haus; denn die
alten Leute waren in ihrer Aengſtlichkeit recht beſorgt, ja rathlos.
— 21834 —
Da zeigte ſich Claire in ihrer. rechten Wirkſamkeit. Tag und
Nacht wachte und harrte fie aus am Siechbett ihres Wohlthäterß.
Sie war ſchon tagelang nicht aus den Kleidern gelommen und hatte
nicht geichlafen, und doch kam fein Mißmuth in ihre Seele.
Der Sturm bed Rheinübergangd war vorlbergebrauft, ohne
daß das Dorf bavon bis jebt wäre berührt worden; allein auch
das follte nicht außbleiben. Eine Abtheilung Kofaden erfchien plöß-
ih im Dorf und ein Haufe flürnte auf bie Mühle, gerade als
ber Müller in wilden Fieberphantafieen Tag.
Der alte Fehringer ftellte ſich als Hausherr bar; allein ben
alten, ſchwachen Mann mißbandelten die Unholde und fpielten bie
Herren, ja ihre Neigung, zuzugreifen und fich anzueignen, zeigte fich
im Marften Lichte, und es war nahe daran, baß eine fürmliche
Plünderung flattfand. Den alten Fehringer hatten fie gebunden,
ebenfo die alte Bafe. Knecht und Magb waren flüchtig geworben
und bereits hatten fie einen Schrank erbrocden, ber in ber
Wohnftube der Mühle fland. Da drang ber Ruf um Hülfe zu
Claire's Obr.
Schnell bat fie die Mutter, bei dem Leibenden zu wachen,
unb eilte hinaus. Ihres Vater? alte Flinte, die ihr einft gedient,
war noch ba, ihres Vaters alter Säbel auch. Sie lud ihre Flinte,
hing den Säbel um, und — in das Gemach, wo bie Gebundenen
lagen und die acht Unholde eben ben Inhalt des Schrankes fich
aneignen wollten, trat, wie ein zülrnenber Racheengel, das Mädchen
und bonnerte mit aller Kraft ihrer Stimme bie Kofaden an.
Ein Todesſchrecken überfiel fie, als fie den Lauf des Gewehres
auf fich gerichtet fahen. Das Linnen entfiel ihren Händen. Als
Claire den Eindrud wahrnahm, ben ihre Erfcheinung hervorbrachte,
wuchs ihr natürlicher Muth. Sie deutete auf bie Thüre, zu beren
Seite fie getreten war, unb legte das Gewehr wieder fchußgerecht
an. Sie zauberten noch.
Da fprach fie noch einmal bag gebieteriſche Vorwärts!“ Die
— AMA Du
— — 285 —
Koſacken kannten das Wort. Langſam ſchlichen ſie zum Zimmer
hinaus, die Treppe hinab, nach dem Stalle.
Claire folgte. Mit ſtreng befehlender Miene beutete fie auf
die Pferde. Die feigen Afiaten, Räuber und Feiglinge, und nur
da muthvoll, wo ihnen Ohnmacht oder Furcht entgegentritt, beeilten
ſich, ihre Roſſe zu ſatteln.
Während dies geſchah, ſchlich ſich der Knecht wieder in N pas
Haus, und fand , ala er in die flille Stube blidte, bie gefnebelten
Alten. Er fchnitt die Stride entzwei. Fehringer erzählte ihm
ſchnell, was Claire gethan, und wie die Kofaden in der Furcht
fein. Jetzt befam er auch wieder Muth, bolte bed Müllers
Doppelflinte und eilte zu Claire hinab.
Kaum erblidten bie Kofaden ben Zuwachs der Hülfe, jo beeilten
fie fih noch mehr, und ehe eine Viertelftunde verftrih, war bie
Mühle von ihnen gefäubert.
„Ach,“ feufzte die alte Bafe: „Gib Acht, Kind, fie kommen
wieder!”
‚Auf den Fall wollen wir ung vorſehen,“ ſprach feit das
Mädchen. Sie Tieß die Thüre verſchließen, löſte den gewaltigen
Hofhund von der Kette und führte ihn in's Haus, ließ vom Knecht
und ber Mogb Steine in Körben in bie oberen Stuben tragen und
rüftete fi) jo zu mutbiger Vertheidigung.
Es war wirklich, wie die Bafe vermuthet. Die acht Kofaden
mochten unterwegs denn doch zum Ueberlegen gelommen fein, baß es
eine Schmach für fie fei, vor dem Mädchen flüchtig geworben zu fein.
Tehringer war auf ben Speicher geftiegen, um zu Iugen, ob
fle nicht zurücktehrten. Jetzt kam er eiligft herab.
„Ste kommen wieder!“ rief er ängftlich.
„Seht in die obere Stube,” fagte Claire, „und nehmt bie
Bafe und bie Magb mit. Sobald fie Miene machen, bie Thüre
zu fprengen, fchleubert Ihr ihnen die Steine auf bie Köpfe Der
Knecht und ich wollen ſchon thun, was Noth if.“
— 286 —
Es hauerte wirklich nicht lange, fo kaunen tobend bie Koſacken
zurück. Diesmal ſprangen fie ſchnell von ihren Pferden und ramıı-
ten drohend gegen bie Thüre, wo fie zu vaflelm begannen. Da
bob der Hund fein wüthendes Gebell am und unerwartet ſchleu⸗
derte Fehringer einen Stein nad ben nahbeflehenden Pferden.
Diefe ſcheuten, bäumten fi und furhten dad Weite Zu gleicher
Zeit hagelte es Steine auf bie Köpfe ber Kofaden, umb bie
Flintenläufe wurden ſichtbar. Der Knecht drüdte im Eifer jeine
beiben mit Jagdſchroten geladenen Läufe ab, und einige der
Schrote trafen.
Alles bie war bad Werl weniger Augenblide, aber e3 war
“von einem an’3 Fabelhafte grenzenden Erfolge. Auf einen foldgen
Empfang nicht gefaßt, überrafcht von bem Davonlaufen ihrer Pferde,
getroffen von den Schroten, deren brennender Schmerz fie mit
Todesſchrecken nebenbei erfüllte, flohen fie eiligf von banmen, dro⸗
bend die Fauſt gegen bie Mühle ausſtreckend.
„Wir müfjen auf Schlimmeres gefaßt fein,’ fagte Claire, ließ
wieder Steine in bad obere Haus tragen, ließ ben Knecht fein
Doppelgewehr auf's Neue laden, und ließ den Hund vor die Thiive
hinaus. Es vergingen forgenvoll bie Stunden bed Tage, ohne
daß jedoch ſich etwas ereignet hätte Bor ber Nacht aber bangke
ed Allen.
Indeſſen war ihre Furcht diesmal ohne Grund. Die Kofaden
hatten bis in die Macht zu thun, ihre Pferde wieder zu finden,
und dann ereilte fie die Marſchordre mit folcher Schnelle, daß am
ein Rachenehmen nicht mehr zu benfen war. Claire dankte Gott
inbrünftig, als die Nacht glüclich vorliber war, ohne daß ein Angriff
verfucht worben wäre, benn in ber Mühle wußte man nicht? von
ben zafchen Abzuge der Kofaden, und erſt am Morgen verkündeten
es Leute, welche Frucht zur Mühle brachten und Jammer und
Roth herichteten, wie die Unbolde in dem armen Dorfe gebaufl.
-
Du HE DER BEE 2 SEE | SEE > Gun, GE 1
— 1897 —
10.
Diefer Sturm der Kriegdzeit war ber erfle und letzte, ben
Dorf und Mühle erlebten, Fortab folgte zwar noch mancherlei
Einguartierung, allein Aehnliches fam nicht mehr vor. Dennoch war
ba8 Leiden Claire's nicht vorüber. Kaum war ber Müller auf dem
Wege der Genefung und im Stande, fie feinen Schugengel zu
nennen, ba legten ſich ber alte Fehringer und bie gute Lenebas
nieber. Die Erjchättterungen bes Gemrüths, die Mißhandlungen ber
Koſacken konnten faum ohne Erfolg bleiben bei ben alten Leuten.
Beide erkrankten fehr fchwer. Auch hier war Elatre ber ſchützende
Engel. Ihre milde, befonnene Pflege, ihre rafllofe, liebevolle Thä-
tigfeit, während ihre Mutter dem Hausweſen vorfiand, Eonnte dem
Müller nicht verborgen bleiben. Er war ja Zeuge davon, hatte
das Alles jelbft erfahren. Wieder gingen Wochen in's Land, ehe
die Hoffnung der Genefung gehegt werden Fonnte.
Es waren ſchwere Prüfungen für das junge Mädchen, aber
fie zeigte immer eine freundlihe Miene. Nur der Müller hörte
manchmal ihre unterbrüdten Seufzer, und er wußte, wen fie
galten!
Vom Bater fehlte alle Kunde und — Martin blieb aus.
Bon bem Gouvernent Juſtus Gruner Fanıen fliegende Blätter,
welche bie Siege ber Verbündeten meldeten nach blutigen, wnörbe-
riſchen Gefechten, und vom Bater kam feine Kunde Der Rhein
wor offen und frei; dee Januar war vorüber und bie Sonnenblicke
des bald fcheibenden Februars waren wie Frühlingaboten anzufchen,
— und feine Nachricht Fam. ”
Nicht bloß Claire, auch ihre Mutter, ber Müller, Fehringer und
die Baſe waren traurig, ımb boch Hatte Keines ben Muth, dem
Befuhle Worte zu Leihen, das fle Alle faft gleichmäßig brüdte Die
Folgen ber Krankheit waren auch fo zerrütiend, daß ber Miller,
und er war an Weiteften in ber Genefung vorgefgritten, es nicht
'
— 288 —
hätte wagen dürfen, den Weg zu Werthheimer zu machen, um Kunde
von Martin einzuziehen. So war ber letzte Februar: Sonntag
gelommen. Die fcharfen Winde und ber belle Sonnenfchein hatten
bie Wege getrod'net. Claire und ihre Mutter waren in ber Kirche
gewefen und kehrten eben heim in bie Mühle, da fchritt ein Dann
bie Schlucht herab und fragte nach dem alten Fehringer.
Claire fah ihn forſchend an.
„Heißet Ihr nicht Werthheimer?‘ fragte fie bebend.
„So heiße ich,” war bes Mannes freundliche Antwort, „und
irre ich nicht, fo ſeid Ihr der „Schwarze, ber uns ehemaligen
Schmugglern fo viel Schreden und Angft gemacht?"
Claire erröthete, aber fo wenig es ihr au zu Muthe war,
zu lächeln, fie fonnte es doch nicht ganz unterbrüden, ala fie bie
Frage de3 Mannes bejahen mußte.
„Das ift nun Alles vorüber und vergeſſen,“ fagte er; „aber
wie find’ ih Euch bier in ber Mühle?“
Claire erzählte e8 ibm kurz.
„Das war brav von dem Müller,” fagte ber Schiffer; „aber
bann feld Ihr au das Mädchen, das bie Mühle fo muthig gegen
acht Koſacken vertheidigt hat? — Nun,” fuhr er fort, ohne bie
Antwort des Mädchens abzuwarten, „ba habt Ihr dem Müller
reichlich vergolten,, wenn Ihr's nicht gethan hättet burch bie liebe⸗
volle Pflege ber drei Kranken. Die ganze Gegend, bis hinab an
ben Rhein, ift voll Eures Ruhms, und er ift fogar big zu einem
Krankenbett gebrungen, an dem Ihr wohl noch lieber als Pflegerin
geftanben hättet’ —
„Ad Gott,” fiel Elatre ein, „it Martin Trank geweſen ?“
„Red' ich benn von dem?’ fprach ſchalkig lachend ber Schiffer.
„Nun feh’ ich doch wieder, wie wahr es ift, wei das Herz voll iſt,
bavon gehet .ber Mund über!”
Eine brennende Gluth bebeiite Claire's ſchönes Geſicht und
— 239 —
ihre Verlegenheit war fo groß, daß fie gar nicht wußte, wohin fie
fig wenden follte.
„Wiſſet Ihe was?” fagte Werthheimer. — „Ich denke, da in
ber Mühle find noch mehr Leute, die auch ein Recht haben, nach
Dem zu fragen, deſſen ehrlicher Name eine fo brennende Gluth auf
Eure Wangen gejagt hat.”
Er reichte ihr indeflen die derbe Hand, und fagte lächelnd:
Nichts für ungut, liebes Kind! Ein alter Mann darf auch einmal
herzen. Kommt mit! Ich made Alles wieder gut, fo reichlich,
daß Ihr mir fchon wieder gut werben müſſet!“
Er hielt ihre Hanb und trat mit ihr in bie Mühle.
Mie pochte das Tiebende Herz! Wie beftürmten es taufenberte
Gedanken und Gefühle! —
„Wertbheimer!” rief erbleichend der alte Fehringer aus, als
er ben alten Kameraden wieder erblidte. „Bringft Du "Gutes oder
Böfes ?“
Der Schiffer reichte ihm bie Hand zum Willlommen.
„Gutes, denke ich,“ fagte er darauf und ſetzte ſich zu dem
Alten, während biefer zu dem Müller fagte: „Das ift ber Mann,
ber die erfle Nachricht von Martin brachte. Auch jebt bringt er
uns fichere Runde.”
„Gottlob, daß ih es endlich Tann,” nahm ber Schiffer das
Wort. „Der bat mir fo viel Kummer und Sorge gemadt, als Euch
fein Nichtkommen, nachdem bie Franzofen endlich fort waren. Da
drüben, wo er bei braven Leuten war, bie ihn fehr lieb haben,
lag's vor bem Mebergang der Deutfchen über ben Rhein fo hagel⸗
dicht vol Solbaten, daß man ſich nicht regen, noch bewegen fonnte.
Die natürliche Folge davon war das Ausbrechen der berrfchenden
Krankheit, die und auch bie Franzofen gebracht haben, und bie
bie Gottesäcker überall gefüllt bat. Alle Drei im Haufe, ber
Bater, die Mutter und der Sohn, wurben davon ergriffen. Da
lag denn bie ganze Laft des Gejchäftes, ber Haushaltung und ber
— 20 —
Pflege allein auf Martin und einer alten Magd. Da bat fidy
ber Junge ritterlich gewehrt und durchgearbeitet in biefer ſchlimmen
Zeit. Aber e3 ging denn doch auch über Rieſenkräfte, was ihm
oblag. Als bie Hausgenoſſen genefen waren, wollte er fort, —
und eher durfte er ja doch nit d'ran denen; aber ba traten auch
bei ihm Spuren ein, daß er diefelbe Krankheit befommen würde. —
Um jeden Preis wollte er jebt heim; allein fie hingen fich
Tchwebend an ihn und Tießen-ihn nicht weg, und es war ein Glüd;
berm noch in derſelben Nacht brach die Krankheit bei ihm aus.
Sole junge, Träftige Naturen bat fie von jeher abjonberli
gerüttelt und geſchüttelt. So aub ihn. Doc hat feine Fräftige
Natur mit Gottes Hülfe gefiegt, er ift auf der Befferung und —
wirb bald kommen.“
Alle Hatten den Athem angehalten. Aus (Claire's jchönen
Augen perlten, unbewacht, die hellen Thränen. Der Müller ſah's
und Ale fahen’3, aber Niemand fchien e8 zu bemerken.
„Ab, Gott ſei gelobt!” rief der alte Fehringer aus. „Iſt's
aber auch gewiß, daß er balb kommt?“ fragte er.
„Bald,“ fagte der Schiffer, „recht bald, — vielleicht heute noch!“
Da eilte Claire hinaus; aber kaum mar fie braußen, als fie
einen hellen Freudenſchrei ausſtieß.
Martin war genefen, und ber Schiffer wollte ihn gerne heim⸗
begleiten, um felbft nach den Bielgeprüften zu fehen. Sie waren
miteinander bis in’ Dorf gegangen, wo Martin auf de Wirthes
Anrathen jo lange verweilte, bis Werthheimer bie Genefenden in
ber Mühle fo weit würbe vorbereitet haben, baß bie unverhoffte
Freude und Weberrafchung fein Unheil anrichten Tonne
Endlich Hielt er’3 nicht mehr aus. Er trat eben in die Thür,
als Glaire aus ber Stube trat.
Ihn fehen und einen Freudenfchrei ausftoßen, war Ein. Auf
ben Schrei bin flürzten Alle heraus und ba fahen fie Claire an
Martins Bruft liegen, umfhlungen von feinen Armen.
— 241 —
„Kommt herein,” fagte der Müller, und zog fie in die Stube.
„Wir habe ihn gefehen, das fei und genug, um Gott zu banfen.
Laßt die Zwei ber Freude des Wiederſehens fich hingeben ohne
Zeugen!”
Frau Dollart war am Meiften erflaunt. So weit hatte fie
has ı Verhältniß ber jungen Leute nicht gekannt. Der Müller
merkte daß.
„Mutter Dollart,“ fagte er, „Martin ift mein alleiniger Exbe.
Die Mühle ift fein und bie Wiefen und das Feldgut fowelt Euer
Auge aus diefen Fenftern reicht. Schulden find Feine b’rauf; wohl -
aber Hleibt ihm noch ein ſchönes Vermögen außerbem. Ich glaube
nicht, daß Ahr Euch zu bedenken nöthig habet.“
„Ad, ſagte Frau Dollart, „mir iſt's fchon lange echt,
benn idy weiß fchon Lange d’rum: nur dad wußte ich nicht, daß fie
jo einig wären; aber was wird mein Dann jagen?’ —
„Run, ich benfe, ber wirb Fein Unmenſch fein,” erwieberte
der Müller. „In Eurem vielgepriefenen Frankreich werben Grafen
und Herren wohl ihres Gleichen freien. — Glaubt mir, mein
Martin dürfte mır bie Hand augreden, unb an jedem Finger hätte
er ein reihes Mädchen, bad, ihn zum Mann zu kriegen, fi
glüuͤcklich prikſe!“
Die Frau Dollart merkte, daß fie in ein Wespenneſt geſtochen
hatte, denn ber Müller war roth angelaufen.
„Ach,“ fagte fie, „ſo Hab’ ich's nicht gemeint; vielmehr wollt’
ih ja nur fagen, daß mein Dann boch auch fein Vaterwort dazu
zu geben habe.”
„Die machen aber auch mordlange!“ rief ber Werthheimer,
ber bem ſich ſtark zufpitenden Geſpräche gerne die Spitze abbrechen
wollte, und riß die Thür auf.
„Martin, rief er hinaus, „ſoviel Zeit hab’ ich zu meiner
ganzen Freierei nicht nötbig gehabt, und Meine hatte ich unb hab'
ich noch lieb!“
Horn’s Erzählungen. IX. ‚16
s ®,
1 /
— 242 —
Das wirfte.
Im Zimmer lachten fie und die erröthende Claire flog, wie
en Vogel, bie Treppe in's obere Stodwerk hinauf, während Martin
nun in die Stube trat und aus dem Arme bed Baters in den
bes Pathen fiel, und dann Tamı bie Lenebas, bie lachte und weinte
zugleich vor Luft und Derzeit, Auch Frau Dollart begrüßte ihu
warm und herzlich.
Da gab’3 dem mın ein Fragen und Grzäblen ohne Ende.
Am angenehmflen war ber Müller überraſcht, als er hörte, daß
Martin in einer Mühle gearbeitet hatte. Werthheimer durfte das
nicht fagen, weil Martin es ihm ausdrücklich verboten hatte. Gr
gebachte feinen Paten zu überrafchen, wenn er al ein gewiegter,
tüchtiger Mühlknappe fih ihm darſtellen könnte. Der Müller
lächelte ſelig, als er das geftanb.
„Siehft Du, fagte er, „fo geht's mit allen Betrügereien. Sie
kommen alle an ben Tag. Dabei fahte er ihn um den Hals und
küßte ihn. Lenebas winkte der Frau Dollart.
„Kommet,“ ſagte fie, „wir wollen in die Küche gehen, fonft
möchte es leicht fein, daß die liebe Claire ung hungrig läßt ober
bie Suppe fo verfalzt, daß wir fie nicht eſſen können.“
„Da thut Ihr wohl,” verfeßte der Schiffer. „Ich weiß, wie's
in folden Verhältniffen geht; denn mein eigenes Mädel hat mir's
fo gemacht, wenn ihr Bräutigam da war.”
Der Müller war in ber Freude feines Herzen? gar nicht
mehr feines vorhinigen Aergers eingeben; benn als jeht bie grauen -
Hinauggegangen waren, erzählte er mit dem unverfennbaren Aus⸗
brude von berzlicher Liebe, Dankbarkeit und Bewunderung, wie
Claire an ‚ihm, an feinem Schwäher Fehringer und an der Bafe
gehandelt, welche Opfer fie gebracht, und wie milde und umnex-
broffen fie gewefen; fchilderte ben Kampf mit den Koſacken und bie
Probe ihres Muthes und ihrer Beſonnenheit, und aus jebem
Vorte ſprach fein Harz. In Alles flimmte Martins Bader ein
' — 248 —
web des Junglings Herz pochte inniger, ſtärker, ftolger im Bewußi⸗
fein, duß dieſes herrliche Madchen übe liebe, ihm mit unerſ quixt
licher Treue angehbre.
1,
- Die Tage, welche nun kamen, waren Tage bed Glüdes für
die Liebenden Tage eines feliger Fuſammenlebens fiir Alle. Tra⸗
bend war nur ber Gedanke, daß Dollart nicht gejchrieben, daß bie
Seinen ohne alle Nachricht von ihm waren.
Als indeffen Parid eingenommen und Napoleon vom Throne
geſtiegen war, ba wuchſen die Flügel der Hoffnung wieber, und
nicht umfonft. |
Es war in einer Bodfinftern Nacht am Ende bes März 1814,
als ein Mann mit rüftigem Schritte vom Eingange bes Dorfes
ber dem Haufe zufchritt, wo Dollart's gewohnt.
” Die Frühlingsarbeiten Batten begonnen, unb bie ermtübeten
Bauern lagen im erften, tiefen Schlafe, denn es war eben Bitter
nacht vorüber. Der Wanderer hatte den Wächter Zwölf blafen
hören, ala er noch drüben am Walde war. Jetzt fand er nicht
einmal mehr den Wächter auf der Straße; benn biefer war auch,
um außzufchlafen, in fein Stübchen und Bett gefchlüpft.
Der Wanderer blieb endlich an Dollart’3 ehemaliger Wohnumg
ſtehen und ſchaute hinauf zu den Fenſtern. Alles war dunkel und
ſtill. & tat zur Thür und pochte; aber Riemand hörte es.
„Ste liegen und fchlafen im Frieden,” fagte er zu ſich. „Wozu
ihren ſüßen Schlaf flören? Ich will in's Wirthshaus gehert.‘
Er ging wieder zurüd und klopfte Kamper’n Heraus.
Diefer rieb fi die Augen, als er bie Xhire geöffnet, und
erfarente erft bei genautrem Betrachten feinen Gaſt.
„Ach, Monſteur Dollart!” fagte er; „willkomnen! Ihr waret
lange verſchollen! Seht ſeid Ihr mir willlommener, als wenn Br
16 s -
x
— MU’ —
ein halbes Jahr früher jo an meine Thüre mitten in ber Nacht
gepocht hättet! Denkt Euch nur, bamald Hatte ich oft für viel’
Taufende englifher Waaren in meinem Haufe und führte bie
Schmugglerbande an,’
„Jetzt habt Ahr gut reden,‘ fagte ärgerlich Dollart. „Doch
- Jaffet mi in Ruhe, und gebet mie noch etwas Kaltes zu efjen und
ein Glas Wein. Ah bin müde und hungrig, wollte auch bie
Meinigen broben nicht weden.” Unter diefen Worten waren fie- in
die Stube getreten.
„Droben?“ wiederholte bier Kamper. „Da hättet Ihr lange »
" Hopfen Fönnen.!“
„Was?“ rief Dollart erſchreckend. „Wohnen fie nicht ba?
Wo dann?‘
„Das ift eine lange Geſchichte,“ ſagte Kamper, „ich will's
Euch erzählen, während - Ahr effet und trinfe. Gejund find fie,
das will ih Euch zum Troſte vorab fagen!’
Mit ben Worten ging er hinaus und kehrte bald mit Speiſe
und Trank wieder.
Nun erzählte er ihm denn Alles, wie es ihm getreulich Feh—
ringer berichtet, von ber Bereinigung deſſelben mit ſeinem Schwager
bis zu der Koſackengeſchichte.
Mehrmals ſtanden helle Thränen der Freude in des Mannes
Auge, beſonders über des Müllers Menſchenfreundlichkeit und ſeines
Kindes Ruhm.
„Das hätt' ich dem Müller. nicht zugetraut,“ ſagte Dollart,
„beſonders ſeit er einmal auf mich hatte ſchießen wollen —“
„Und auf den bewußten „Schwarzen“, wiſſet Ihr!“ ſagte
lachend der Wirth.
Auch Dolart lachte jetzt.
„Nun, nun,“ ſprach der Wirth, „der Müller iſt eine grund⸗
ehrliche Seele, dem der Martin über dieſen Streich die Augen
geöffnet hat. Er erkannte, daß der Adam Ried, ber Spitzbube,
ı
— 246 —
Schuld dran war; denn, wie er Euch belogen, fo hetzte er den
Müller gegen Euch auf, — und wiſſet Ihr warum?”
Dollart ſah ihn fragend an. \
„Run, barum, weil er in Euer Kind verliebt war, und bie
ſchöne Claire ihm etwas pfiff, flatt ihn lieb zu haben. Solche
Mädels haben auch ihre Augen bei der Hand, wenn's herauszu⸗
finden gilt, Wer der Schönfte im Dorf if. Das hat Eure Claire
auch bald gefunden, denn der Martin Fehringer gefiel ihr unge:
mein wohl, und bie Zwei waren lange ſchon einig, ehe ber Spig:
bube bei Euch um die Claire anflopfte und Ihr ihm den Laufpaß
gabt.“ —
Dollart wollte brein reden.
„Mit Gunſt,“ fagte der Wirth, „part Cure Worte noch ein
Bißchen! Nun wußte der Neidbammel, daß der Martin den Müller
erbt, und das ift ein Broden, wie Fein zweiter auf zwanzig Stun:
ben Weges, — und ba der Müller ein Erzfranzofenfeind war, da
bachte er: Wart’, Martinchen, bir will ih einen Riegel vorfchieben.
Euch beste er an ben Müller, unb dadurch den Müller an Euch,
und durch die Mittheilung, daß Martin und Claire fich lieb Hätten
und nicht mehr von einander Tießen, woRt’ er ben Martin um bie
Erbſchaft und um die Glaire bringen. - Merkt Ihr's? — Nun
war ber Müller aus Haß gegen Fehringer vierzehn Jahre nicht. im
Dorfe. Martin aber rührte ihm das Gewiflen, als er Euch und
Eure Claire damals vom fidhern Tode durch die Schmuggler
gerettet, und Ihr ihn aus Danfbirkeit außer Landes triebet. War
auch Fein fein Stüdlein von Euch, Herr Dollart, dad wird Euch
Euer Gewiſſen jagen! Nun, nun, es ift nichts fo ſchlimm, es tft
für etwas gut. Dadurch, daß der Martin flüchtig wurde, um
nicht feinen Vater und und Alle angeben zu müſſen, — kam er
von bem Soldatendienſte frei; baburch wurde feinem Vater Haus
und Hof verfleigert; dadurch verfühnte fich der Müller mit ibm;
dadurch lernte biefer Euer Kind kennen und rettete e8 vor vielem
N
— 2348 —
Ungemach, indem er es und Eure Frau in bie Mühle nahm uwb
— ohne Hauszins und Kofigelb bis heute Bielt wie feine Kinder.
Seht Ihr, wie da Eins an dem Andern hängt, wie ber liebe Gott
dad Alles wunderbarlich georbnet und gefügt hat, und — und —
wie Ahr Bieles gut zu maden habt bei dem Martin unb bem
Mülkr.”
Dollart ſchwieg. Sein Kopf war auf die Bruſt geſunken.
„Ihr kommt gerade zur rechten Zeit,” fuht ber geſchwätzige
Wirth fort, „um die Hochzeit, welche bloß auf Euch wartet, herbei-
zuführen!” —
„Welche Hochzeit?" fragte Dollart.
„Ei, ſtellt Euch doch nicht, als wäret Ihr jchief gewidelt! “
rief der Wirth; „die Eurer Claire und Martin. Ihr werbet
doch — nehmt mir’ nicht übel — Fein Eſel fein und Nein fagen
wollen, wo Alte, jelbf Eure Frau, Ja geſagt? Wollt Ihr Euer
Nind elend machen? Und ich dächte, eine gut gebadene Müllers-
frau, bie fih in's Fenſter legen und ihr Gut von vierzig Morgen
Miefen, Aderland und Schlagwald überblicken Tann, wär’ bach
auch ein ander Wort, als eine franzöfifche Doyanenfrau? Ohnehin
werben bie Grafen und Herren night zu Euch fommen! — Wär’
i an Eurer Stelle, ich ließe den Hundedienſt Dienft fein. Ihr
jeih auch ſchon ein alter Buafierbart und merbet’3 alle Tage mehr.
Da ſchmegt das Schmugglerfangen nicht mehr, befonderd Nachts
in Regen und Wind, Schnee und Kälte Kennt’ ich ſo ein fein
Handwerk, wie dag Damaftweben if, von ber Art ohnehin Keiner
uf dem ganzen Hungrück und am Rhein ift, ſo müßt ich ſchon,
was ich thäte!“ —
„Was bean?” fragte Dollart düſter.
„Run, ich legte Claire's Hand in Martins Hand und feqmete
fie, feifte in ber Mühle meinen Webftuhk auf und lebte im Trieben
bei meinen Minbern und Bersanbten, fo lange Gott wollte Rum
— 14 —
ber geht ſchlafen! Ich bin müde, und Ihr habt genug gehört, um
darüber nachzudenken 1
Der Wirth fand auf und Doliart auch. Er ging ſtill in die,
Stube, wo er fehlafen follte, aber er fchlief nicht. Was ihm in
feiner derben Weiſe der Wirth gejagt, das ging ihm im SKopfe
herum. Gr legte fich Alle zurecht, aber allmälig murben bunte
Bilder daraus und ber Schlaf der Crmünbung fam eben doch.
Spät erwachte er.
Als er herunter fam, blidte ihm Kamper in bie Augen. Er
fab heiter und fröhlich drein.
„Ueberlegtꝰ“ fragte der Wirth.
„Ja!“ erwiederte Dollart.
„Run, wie lantet's?“ fragte Kamper rreugierig.
„Wartet's ab!“ trumpfte lachend Dollart, zahlte ſeine Zeche
und ging die wohlbekannte Schlucht hinab der Mühle zu.
WB er ſich im Schutze der Erlen und Weiden, bie ben Mühlen⸗
keich befrängten und begrenzten, näherte, vernahm er Cluire's helle,
zeine Glockenſtimme, die ein eb fang. echt Iange, fo begann
eine fonore MRöänmerfiimme Glatre zu begleiten. Das klang berrfich
in Die frifche Morgenluft hinein. Als fie das Lied geendet Batten,
fagte fie: „Martin, Du könnteſt Dir einen Orgelfaften faufen und
dazu fingen.‘
„Wenn Du die erfle Stimme fingft und mit mir ziebftl”
erwieberte er.
„Da müßt’ ich thoöricht fein,” achte fie. „Mir gefälft’s Bier
gar zu wohl, und ich möchte Bier in der Muͤhle al’ mein Lebtag
bleiben!”
„Ich auch,“ fagte Martin, „und zwar ich det Müller und Du
bie ſchöne Müllerin!“
„Warum nicht gar!” lachte das Mäbchen.
Dollart trat in diefem Augenbkicke hervor. Das Herz pochte
in der Bruſt, als wollt's heraus.
— 246 —
„Du haſt Recht, Claire,” fagte er laut, „denn dazu müßte
bo auch Dein Vater Sa jagen!‘
Da fuhr Claire herum und mit dem Worte: „Mein Vater!‘
flog fie ihm entgegen. Droben aber am Fenſter drehte Einer den
glühenden Kopf erfchroden herum, — und das war Martin.
Den Ausruf Claire’3 hatte aber die Mutter gehört.
Sie eilte herbei und fiel in bes Gatten Arme. '
Das ganze Haug wurde lebendig.
> Der Müller trat in die Thür und rief freunblih: „Claire,
willſt Du Deinen Vater denn da im, Hofe beherbergen?”
Da ſchob Dollart fanft Frau und Kind zurüd und eilte auf
ben Müller zu, deſſen Hand er innig brüdte.
„Habt taufend, taufend Dank, braver Mann, für dag, was
Ihr an meiner Frau und an meinem Finde thatet!‘'
Der Müller lächelte, aber man ſah es ihm an, daß ihm etwas
bad Herz bewegte, und mit faft wankender Stimme fagte er:
„Seid Rille, feid flilel Wenn's da an's Medmen käme, fo ftünd’s
ſchlimm um mich; denn ba würbe Euer berziges Kind da mir zu
sechnen aufgeben! — Kommt herein unb ſeid willlommen!
Sie traten herein und ber alte Yehringer und die gute Lenebas
‚ begrüßten ihn.
„Aber wo ift benn ber Martin?‘ fragte der Müller. Claire
erzöthete, denn ber Müller richtete geradezu die Frage an fie.
Dollart hatte das bemerkt und lächelte.
„Droben!“ fagte Claire. „Sol ih ihn rufen?‘ .
„Sreilichl” fagte ber Müller, und bald hörte man braußen
die belle Stimme, die: „Martin, komm' ſchnell!“ rief.
Endlich Fam er denn auch; aber er war fehr verlegen, obgleich
ihn Dollart herzlich bewilllommte.
„Wißt Ihr auch, was biefe Zwei wollen?“ fragte darauf lachend
Dollart, der ſich an Weib und Kind nicht fatt ſehen konnte.
„Was denn?’ fragte ber Müller.
— 49 —
„Der Martin will eine Orgel Taufen, und dann wollen fie
orgeln und fingen geh'n.“
Alles Tate. Der Müller aber fagte: „Habs wohl gehört;
aber die Claire mag nicht. Sie will lieber hier Müllerin werden,
wenn der Martin Müller wird.“
| Glaire barg ihr 'Gefiht in der Schürze und Martin wußte
nicht, wohin er bliden follte.
„Run Hab’ ich dafür geforgt, daß der Martin bier Müller
wird, bad heißt, ich hab’ einen Act gemacht, woburd ich ihm die
Mühle und Alles, was ich babe, vermade, unb mir nur meinen
‚Aufenthalt vorbehalten habe.‘ |
„Run wär's Eure Sache, Meiſter Dollart, Claire zur Mül⸗
lerin zu machen!“ |
„Das wird mir ſchon leichter, als Euch,” ſprach Dollart,
ſtand auf und legte Claire's Hand in die Martins, und Alle
ſegneten ſie. |
Nach drei Wochen war bie Hochzeit de glücklichſten Paares,
auf ber Kamper auch war und meinte, bei ihm könnten fie fich
bedanken, denn er babe das Eifen gefchmiebet. Das geftand Dollart _
lachend zu.
Auf der Hochzeit mußte Dollart erzählen, wie es ihm gegangen
und was er auf der eiligen Flucht zur alten, franzöfifchen Grenze
erbulbet. Es war Viel und Schweres. Faſt bie ganze Zeit lag er
im 2azarethe zu Straßburg, von wo er, fobalb er genefen, hierher
gewandert war. „Aber, fprach er, „wen meint Ihr wohl, ben ich
in dieſem Lazarethe fand?” Alle fahen ihn gefpannt an.
„Den Adam Ries,’ fagte Dollar. „Er war fehr Frank, und
alle feine fchlechten Streiche befannte und bereuete er, ehe er —
. ſtarb. “u
„Bott fet feiner See gnädig! fagten, wie mit Einen Munbe,
Martin und Claire.
— 250 —
„And ſeinem Bater ifps auch gut, daß er nicht wiederkam,“
ſagte Kamper, „denn er hatte und Hätte ferner ſchlecht an ihm
gehandelt. Seit ſeine Tochter und ihr braver Mann ihn pflegen,
it der alte Mann angegangen wie ein Licht, dem man neues DE
aufgießt. Er kann jegt wieder audgehen, Bat gute Tage und
Tage des Friedens, bie er bei dem böfen Buben nie wiirde gehabt
haben. — Apropos, Dollart!” rief er dann, ala wolle er den
ernften Ton, den diefe Nachricht hervorgerufen, verfheuhen; „Ihr
habt meinen erften Rath prächtig befolgt, wie ſteht's um ben
zweiten, um ben nämlich, daß Ihr Euren Webſtuhl aufflellet und
bier bleibet?“
„Ich hab' mir das Plätzchen bazu Ton ausgeſucht,“ fagte
Dollart, „und ba Ihr ein fo guter Rathgeber feid, muß ich nut,
aus Dankbarkeit dafiir, auch den zweiten annehmen und befolgen!‘
Und er befolgte ihn, und im Wiederſcheine des Glückes
Martins und Claire's Iebten die fünf alten Leute frieblich und
glüdlich in der Mühle, bis ſpät der Engel feine Fackel ſenkte.
Das Saharaner Meſiſchiff von Auno 1720.
Eine Geſchichte.
1.
Bir Zeit, wo ein ehrlicher, fchlichter Bürgerämann feine freien
Stunden, fei’8 am Feierabend nach treuer Tagesarbeit, oder ſei's
am Sonntagnachmittage, bazm verwenbet, bie in feiner Vaterſtadt
fih ereignenden Begebenheiten in feiner fchlichten, naiven Auffaffung
nieberzufchreiden, tft ſchon lange zu Grabe gegangen, und ber
Verluſt ift groß! — Ich Tage Das mit innigem Bebauern, denn
wor mir liegt eine ſolche Chronik aus einem alten Stäbtlein am
Rhein, beflen „gute Zeit” längſt vorliber ift, unb bad aus ihr
wur noch amögebrannte Thürme ‚ohne Dachwerk, verwitterte Mauern
und darkle Erinnerungen gerettet bat, und deren wenige Zum
Glück hatte es einen Chromikenfchreiber in feinem ehrlichen, treuen
Sebaſtian Fabian. Es iſt Bacharach am Rhein, welche ich meine.
Ber kennt es nit, daB altergraue, ſtille Stäbtlen am ſchönen
Ufer des vaterländiſchen Stromes, das mit feinen Ruinen kaum
noch etwaß mehr if, als ſelbſt eine Ruine aus einer glorreichen
Zeit?" SH habe aus ber an Gonbergefchichten fo reichen Chronik
Sehaftian Fabian's zwei Geſchichten in ben gefammelten Srzählungen
mitgetheilt: „Das Gotieshäuschen” und „der Apoſtelhof,“ und
. fann mich nicht enthalten, bier eine britte mitzutheilen, bie es
zugleich wieder zeigt, wie fein Fabian beobachtete und wie er bie
Menſchen, die Verhältniſſe Pannte, die er ſchilderte. Freilich ſchrieb
u feine Chronik gewiß nicht dazu, daß fie ber Welt vorgelegt
werde; aber was kbnute mic abhalten, Ginzefmes mitzutheilen?
—— ach
— 22 —
Die Menſchen ſind längſt gemodert, von denen die Rede iſt, und
ſag kaum klingt noch ihr Name nach in der Erinnerung. Es wird
ge
#
L
fein Lebenber dadurch verlekt und — wir bliden in ba innere
Leben und Spiekbürgerihum einer. Meinen Stadt vor mehr denn
bunbert Jahren — und — fagen vielleicht betroffen: Iſt's denn
nicht mutatis mutandis noch eben jo? Nun, die Röde haben einen
andern Schnitt, die aber d’rinnen fleden — bleiben bie Alten
mehr oder weniger! Nach biefer Furzen Einleitung, welche mir
meine: freundlichen Leſer wohl vergeben werben, komme ich zur
Geſchichte ſelbſt, bie den Titel verfetben, wie er da voͤrnen zu
Iefen ftebt, rechtfertigen. wird.
Wenn man aus dem’ Stäbtlein Bacharach am Rhein ſüdwärts
binausfchreitet und ber Landftraße folgt, fo findet man Heutzartage
etwa ein paar taufend Schritte auf ber Straße, gegen Rhein:
biebach zu, eine lange, hohe Mauer, unb zwar rechts von ber
Landſtraße, bie einen einfachen Pflanggarten trägt. In der Mitte
ber Mauer führt eine Thüre aufwärts, und über ber Thüte ficht
ein einfaches, vierediged Sommerhäuschen, das nur benußt wird,
um das Gartengeräthe darinnen aufzuheben. So breit die Mauer
ift, zieht fih dad Grundſtück am Berge hinauf bis bahin, wo bie
Selfen aufflarren, welche Moofe, Engelfüß, Ephen, rankende Linaria
und Furze, niebere Gefträuche. bebeden. Das Bergland ift mit
Wallnuß⸗ und andeten Obfibäumen bepflanzt, und trägt nichts
weniger als ben Charakter einer Anlage. Alles ift im Natur:
zuftand und zeigt, wie wenig Sinn man für Schönheit hatte, denn
zu einer ſchönen Anlage eignete fi das Pläßlein trefflich.
Das Alles wäre nicht ber Beachtung werth, wenn nicht oben
tn den Felfen ein Plägchen wäre, wie num fehöner eines zu finden
ift, und ber — Name? Bleibe ich zunächſt bei dieſem, fo trägt
bad Grunbftüd den abſonderlichen Namen: ber Berlefid. Woher
— BB —
- \
bes kommt, muß ich zuerft erörtern. Um das Jahr 1710 Iebte in
der guten Stabt Bacharach, welche damals noch ein churpfälzifcher
Oberamtsſihh war mit einem Knäuel hochfahrender, feinſchmeckender
Beamten, die um ein leckeres Mittagsmahl die halbe Pfalz b’ran
gegeben hätten, ein alter Junggeſelle von circa fünfundfänfzig Jahren.
Er war fleinreich und hatte einen fieber Ellen langen Junggeſellen⸗
zopf, womit ich, ohne Zorn und Abſicht, auf bie abnormen
Neigungen und Meinungen dieſer Weenfchenforte Hindeuten will,
fammt ihren fehroffen Eden und Kanten. Er hieß eben Herr
Berlefick und ihm gehörte das befagte Grunbftüd, welches damals
aber weber einen Garten, noch eime Mauer, noch ein Sommer:
bäuschen hatte, fondern am Weg einen einfachen Zaun von Weiß:
born und eine Lattenthüre ohne Schloß. "Auch wuchfen feine Bäume
da, vielmehr hatte die Natur freien Spielraum, ihre Hafelmuß:,
Ahorn: und wilden Rofertftauden auffchießen zu lafjen, mit diverjen
Brombeerranten, und Niemanben fiel ed ‘ein, ihr hindernd in ben
Weg zu treten. Weil aber ba Bergftüd das Liehlingsplägchen des
alten Herm enthielt, und er ba in ber guten Jahreszeit von
ein Uhr bis ſieben Uhr Abends ausschließlich fich aufhielt, To
empfing ed jemen Namen und bewahrte fein Andenken wenigftens
in dieſer harmloſen MWeife, während es fonft von ber Erde ver:
ſchwunden wäre, wenn nicht — Sebaſtian Fabian, der getreue
Chronift, feiner Vaterſtadt eine Epifode aus feinem Leben, und
ohne Zweifel die interejlantefte, aufbewahrt hätte in einem eigenen \
(bem 68.) Kapitel feiner „Chronifa ber alten, berühmten Stabt
Bacharach.“ |
‚ Diefes Bläschen bat in feiner eigenthümlichen Schönheit feinen
alten, treuen Freund überdauert, und ich bin als frifcher, fröhlicher
Knabe. gar oft halbe Tage lang bort geweien unb habe meinen.
Träumen nachgehängt, Ohne daß ich von Berlefick mehr wußte, als
ben Namen, womit das Feldſtück oder vielleicht nur jenes Plätschen
belegt wurde, Der Felſen tritt nämlich) an einer hoch oben liegenden
——— — — — — —
— — — —
— 4 —
Stelle etwas vor und bildet eine Art natärlicher Grotte, bie jedoch
oben offen ift und nach bem Rheinthale zu fi atsweitet. Schling-
pflanzen, befonder3 Ephen, hingen damals über jenen Felſen herab
und ſchmückten bie lange Grotte gar Heblih. Wilde Rofen hingen
ihre mit weißen Blütben und Snospen bebediten Zweige lang
herunter. Zur Seite fand bichtverwachienes Gebüſch und ſchloß
e8 ab. Rings herum batte eine finnige Menſchenhand, oder beffer
bie Hand eines ſinnigen Menfchen, Sitzbänke aufgemauert, bie
‚trodten umb bequem waren, umb eine bebeutenbe, vwieredige Schtefer-
platte, bie anf einem Pfeiler rubte und in der Mitte ſtand, bildete
einen Tiſch, der oben flad war und ben man nicht. leicht umwerftn
konnte. Rechts, gegen bie Stabt bin, war das Plätzlein offen.
Ein‘ prächtiger Nägelchenbaum fand da, und Jasmin und Roſen
— und — in bem felfen, der ben Boben biülbete, war bier eine
vieredlige Rufe ausgehauen, in welche ein Duell riefelte, der etwas
höher aus dem Geftein quoll; klar, rein und köſtlich war das
Waſſer. Der Ablauf des Quells rann den Berg hinab und diente,
als vielleicht achtzig Jahre ſpäter der Garten angelegt wurde, dazu,
dieſem die nöthige Befeuchtung zu geben.
Es läßt fich Fein lieblicher, anmuthiger Plätzlein denken, «als
das befchriebene. Was aber feinen Reiz um das Doppelte erhöhte,
bag war bie Ausſicht, welche man genof. Der Felsboden war
geebnet und fenkte ſich etwas abwärts. Das Gebüſch war niebrig
gehalten, was dieſen altanartigen. Raum ummob, und fo fah man
vor. fi den Rhein in feiner Breite, wie er an ber Wirbelai fi
durchdrängt und an den Felfen ſchäumt; fah links Bacharach mit
- feinen Thürmen, Kirchen und feinem weiten Hafen, welcher damals
ſchiffreich war, weil ein Rheinzoll bier erhoben, ber aber päter
nad Caub verlegt wurde; ſah die ſchöne buſchreiche Inſel, mit dem
Hüuächen auf der Spige, wo Guſiav Adolf weilte, ald 1682
fein Heer bort auf einer Schiffbräde den Rhein überfchritt.
Blickte man rechts hinauf, jo lag Lorchhauſen, das langgeſtreckte
\ — 266 —
Sch, Rheindiebach mit ſeiner ſtattlichen Burg Fürſtenberg vor
dem Auge, und hoch oben blickte das Schlößchen auf dem Nieder⸗
wald, das damals eben erſt erbaut worden war, weiß aus dem
dunkeln Rahmen des Waldes, Der Rhein aber bildete ſcheinbar
- einen See, weil oben und unten bie Bindungen bed folgen Stroms
ihm dies Anſehen gaben. .
Hier brachte Herr Berlefil die Nachmittage zu, fobald bie
Witterung es geflattete. Sein Haus in der Stadt befand fick,
wenn man zum Krahnenthor hinein ging, rechts, das zweite, unb
war, wenn auch ftattlich, doch alt und fpiggiebelig, wie er e3 von
feinem Herrn Dehm ererbt, an welcher Stelle fpäter das Gaſthaus
- zum weißen Roß aufgeführt wurde, ohne daß es ala Gafthof
ixgendje gedient.
Er war von mittlerer Größe, ber Herr Vellefid, neigte zu
einer anſtändigen Wohlbeleibtheit, wenigſtens hatte ſein Bäuchlein
eine ſehr ſtarke Wölbung nach Außen, die den Schneidermeiſter
Praſſel, der ihm arbeitete, zwang, der langen, bis auf die Schenkel
reichenden Weſte einem abſonderlichen Bogenſchnitt zu appliciven.
Wenn er ſo dahinſchritt, das eben ſich ſtark mit Weiß miſchende
Haar hinten in einen Büſchel feiner Zöpflein gebunden, die jeden
Morgen ber Perückenmacher Stübing ordnete und flocht, mit dem
feinen Dreimafter bedeckt, mit den Furzen Kniehoſen und Knie⸗
jhnallen, ben fchwarziwollenen (Sonntage waren es feibene)
Strümpfen und Schuhen mit mächtigen filbernen Schnallen, dem
Veberbraumen , breitſchößigen Node mit Turzem Krägelein umb
gewaltigen Auffchlägen an der Hand, und tellergroßen blanken
Knöpfen, in ber. einen Hand das ächte Meerrohr mit dem Glfen:
beininopfe, in ber andern bie feine holländifche Thonpfeife, bie er
abfomderlich zu fchonen wußte, — fo war er ohne Zweifel eine
ftattliche Erfcheinung. Gr war auch ein recht hübſcher Dann, aber
ber, Sehler, daß er nie Waſſer trank und einen entfchiebenen
Abſcheu vor dieſer, die Augen fo klar erhaltenden Gottesgabe
!
— 256- —
hatte, und, ba er doch eine.hibige Leber Hatte und viel, fehr vie
Durſt, ben er dann mit dem Töftlichen Weine Bacharachs, Morgens
mit«cothem, Mittags mit weißem, Löfchte, brachte e8 hervor, daß
feine Geſichtsfarbe, befonder3 bie der Wangen, fehr hochroth umb
die feiner Nafe eimen bläulichen Flimmer hatte, ber faft bem
Metallglanzge nahe kam, und biefe abnorme Färbung Tief ihn
weniger ſchön erfcheinen, woran allerdings feine Waflerfcheu ſtarken
Antheil hatte. Wer ſich indeſſen darüber hinausſetzen Tonnte, ber
‚fand ihn auch noch immer ſchön; body war das nicht Jedermanns
Sache. Gut war er von Herzen, benn er töbtete Feine ‘liege, bie
ihn flach, auch wenn fie fißen blieb. Er Tonnte Feinem Menſchen
ein Leib anthun und nicht leicht etwas abfchlagen, worum man ihn
bat; aber er hatte doch einen Hauptfehler, nämlich, er war von fo
auffahrender Hiteblitigfeit, daß er dem Pulver glich. Wenn ſolch
ein geiftiger Bremfenftich Fam, Huil dann war’3, als flünbe bag
Männlein in Feuer und Flamme; dann Tollerte er wie ein Welſch⸗
hahn; dann wurde fein Kopf purpurroth, die Nafe ſtahlblau, und
hatte er Einen vor fi, fo groß wie der Riefe Goliath weiland,
fo fuhr er ihm an bie Gurgel oder bläuete ihn ab mit feinem
Meerrohr, daß es eine Art hatte Mitunter mäßigte er ſich auch,
zumal früh am Tage, wb er noch nicht viel Bacharacher getrunfen.
Hätte der Mann eine Frau gehabt und Arbeit, fo flänbige
Arbeit, wie ein Beamteter ober bergleichen, er wäre eine “Perle
von einem Marne geworben, zumal wenn die rau ed verſtanden
hätte, das Pantoffelchen weich und zart zu führen und pfiffig, was
fie freilich Alle find, wie jeber Ehemann zu erzählen weiß. So
aber tranf er aus Langweile, wurbe ärgerlich, veizbar und jähzornig
au Langweile und meinte, er babe allemal Recht, wurde hitzköpfig
und hatte Niemand, ber ihm gemütälich nahe ſtand. Das ift in
Summa ber meiften Hageftolge Schidfal und das Ende vom Lieb,
das fein Duett if. Solche Einfpänner find alle kurioſe Heilige
und werfen leiht um. Es find nur halbe Dienfchen, wie Doctor
— — — — — —
— 267 —
Martinus richtig bemerkt hat. Aber das bleibt feſt, fie find beim —
größten Reichthum arme Schelme, denen bad Leben eine Wüſte
wird, weil bie Liebe fehlt, beren Alter ein Sammer iſt, weil ber
gehekligte Kreis ber Familie mangelt, an beren Grabe ber
geheuchelie Schmerz Krolkodilsthränen weint, weil inmerlih das
Gerz über das fihöne Erbe lacht.
Solche Gedanken waren in ben legten Jahren, ſeit in dem
Hauſe gegenikber ein lieblich Kind zur reizenden Jungfrau erblüht
war, auch durch Berlefick's Gehirn gegangen, und die Liebe zu
dem engelichönen Mädchen Hatte ein Stockwerk tiefer, nämlich im
Herzen, fi) in einem Grab eingeniftet, ber an eine Hochzeit allen
Ernftes denken Tief. Die Sache rajcher zum Ende zu führen, war-
ein Entſchluß, der in den Sommertagen des Jahres 1720 raſch
zeifte, weil mancherlei Umftände zufammentrafen, von denen nod
die Rebe fein wird umb muß, weils eben in ben Gang ber
Geſchichte gehört.
So war er benn an einem gluthheißen Anguftage des
genannten Jahres an fein Lieblingsplätzchen gegangen. Der Weg
hinauf war jäh, und erſt heute war ihm ber Gedanke einer
‚bequemen Serpentine gekommen, ber ebeitens ſollte verwirklicht
werden, denn wenn er auch zuſammenhielt, geizig konnte man ihn
nicht ſchelten. Lief ihm das Herz mit dem Kopfe fort, und das
begegnete ihm wohl einmal, fo gab er mit vollen Hänben, und
galt es die liebe, Herrliche Bequemlichkeit, dann fparte er nicht,
denn er Tiebte fie überaus.
„Das war ein ſchwer Stüd Arbeit, fügte er, alß er auf
ben Vorplatz der Guotte trat und fich bie rinnende Stirne trocknete.
„Jetzt darf ich mich auch wicht dahinein ſetzen, wo es fo kühl ift!
Wer — ſich zu vermählen gedenkt, muß den Leichtfinn ablegen,
mit dem bie ledige Jugend ſolche der edlen Geſundheit nachtheilige
Zufänbe mißachtet. Man betrachtet fich, als gehöre man ſich ſchon
nicht mehr allein am. 3% heivathen will ich!“ fuhr er im Selbſt⸗
Horn's Erzählungen, 17
— 268 —
geipräche fort. „Man hat mir's oft geſagt, es wäre Zeit. Rum,
Fünfundfünfzig iſt die Blüthe des männlichen Alters, und der
Stübing ſagt ale Morgen, wem er mid rafirt und frifirt:
Conſerviren ſich wie Rieslingwein, der alle Tage beſſer wird.
Meiner Sir, wie Rieslingwein! — Freilich, meine Haare werben
melirt und ſtechen in's Hellafchgraue, das die Leute falſch Weiß
nennen; aber fonft bin ich doch noch ein refpeftabler Menſch, auf
Ehre!’ — Dabei trat er feft auf dem Felſenboben. — „Und,“
fuhr er fort, „ich Tann Anfprüche machen, denn id, bin reich, wie
Keiner in Bacharach. Hätt's übrigens doch früher bedenken follen;
aber dba wählt man unb bebenft unb büftelt fih’3 heraus und
meint, es müßte ein purinziger Engel fein und tappt neben b’ran
und kommt zu Feinem Ziel. Ich Narr! Grade vor der Nafe blübt
die reizendfle Rofe, und ich warte biß heute? Eidam’3 Guſtelchen
ift ein Engel, dafern es einen auf Erben gibt! Zwanzig Jahre,
rofig, blauäugig, blondhaarig, gewachſen wie eine Tanne, heiter
wie der Himmel über mir, luſtig — fingt ben ganzen Tag wie
eine Lerche, flink wie eine Bachftelze, ſchelmiſch wie ein ächtes
Bacharacher Kind und rheinifche Natur! Die feh’ Einer alle Tage
vor fih, wie er zum Fenſter tritt, und werde nicht Tapitalgedig!
&3 muß fertig werden, und bald; ber Strid, der Ferdinand, foll
mir nicht mehr dazwiſchen kommen! Nun, ber ft fort, und das
war ein Meiſterſtück, wie ich kaum eins fertig gebracht babe. Aus
ben Augen, aus bem Sinn, beißt’3 bei den Mädchen, und komm'
id — nun, id falle in's Gewicht! — Ferdinand ift blitzſchnell
vergefjen I‘
Berlefid trat, trotzdem, daß er noch glühte, in bie Meine Grotte
‘und feßte fich nieder, ſchob eine Schieferplatte von der hinteren, an
bie Felfenwanb anlehnenden Bank zurüd und nahm einen Weinfrug
heraus. Es befand fih nämlich daſelbſt eine nur ihm allein
hekannte, weil von ihm felbft mühſam ausgemauerte Bertiefung,
welcher eine Anzahl Krüge verborgen werben Tonnte. „Das
° . —. — —
war auch ein Meiſterſtück,“ ſagte er. Ich könnte Maurermeiſter
werden!“
—
„Eine Erquickung thut nach ſolcher Strapatze Noth!“ ſagte er
zu ſich, horchte aber in demſelben Augenblick mit Anſtrengung auf
einen Ton, der an ſein Ohr geſchlagen. Es war ein trockenes,
metalliſch gellendes Huſten, das allmälig näher kam.
„Ei, ſo wollt' ich, daß Du dürre Bohnenſtange wär'ſt, wo
der Pfeffer wächſt!“ zürnte Berlefick. „Muß mich der Schmarotzer
denn bis in dieſen ſtillen Winkel verfolgen, weil er Luſt hat, ſeine
durſtige Kehle mit edlem Wolfshöhler oder Leimbacher zu netzen!
Kein, mein lieber Rector, diesmal iſt's Numero Null”
Der Krug verihwand wieder an fein Plätzchen und Berlefid
nahm eine Stellung ein, als fite er in tiefen Gedanken.
Nach Furzer Zeit wurde zuerft ein dreiediger Hut fichtbar,
dann ein langes, bleiches, mit einer weißen, dickgepuderten Perücke
umrahmtes Geficht, darauf eine Lange, fpindelbürre Geftalt in
einem fchneeweißen, breitfhößigen Tuchrode mit großen, vergolbeten
Tellerknöpfen, rother Atlasweſte und ſchwarzen Kniehoſen unb
weißen Strümpfen, Schnallenſchuhen und einem ungemein langen
Meerrohr mit filberhem Knopf. Es mar der Rector ber lateiniſchen
Schule, Har Strunk, ein Dann von Gelehrſamkeit, der aber gerne
am fremden Tifchen Gutes aß und trank, viel vebete, fich in aller
Leute Angelegenheiten gerne mifchte ala Rathgeber und Freund und
unter dem Pantoffel feiner Frau fand. Kinder hatten fie nicht,
waren von Geiten ber rau reich und Fleibeten ſich nach ber
neueften Mode; babei wär ihr Haus eine Klatſchanſtalt, die ihres
Gleichen nicht hatte.
„Servus, Serviteur!“ rief er hußend. „Serviteur, Hert Ber⸗
leſickl Es ift aber wahrhaft ftrafbar, feine Freunde zu nöthigen,
auf biefem heilloſen Berge Befuche zu machen!’ fagte er, ſich bie -
Perlide gemüthli abnehmend, um ben Schweiß zu trocknen. „Da
wird men Aſthma boppelt quälend!| Die Sophie hat’3 auch gejagt.”
. 17 4
— WW —
Berkefick brach, überwältigt von dem Tomifhen Ark bes
kahl gefchorenen Hauptes, in ein unmäßige Gelächter aus.
„Biel Ehre für mich, daß Ihr's doch thuet,“ Tagte Verlefid
Inigend. „Es zeigt fi, dah mein Tusculum doch Reis für Euch
hat. So viel ich aber weiß, if es das erſte Mal, daß Ihr Eure
Abel bier herauf träget.“
Ein ſtechender Blid bes Rectors bewies, wie zornig er war.
Er war heftig, aber die Gewöhnung, den Zorn feiner Herrfcherin
Sophie gegenüber zu unterbrüden, Yatte ihm viel Macht über fi
felbſt gegeben, dennoch Tonnte er übet eine dreifache Beleibiginng
nicht ſchweigen.
„Euer Lachen ift beleidigend, beſonders ba Ihr fonf ein fo
feiner, umgängliger Mann ſeid — bob ber Rector mit verbiſſenem
Geimm dm.
„Nehint'tß nicht kraus, Hetr Rector! Es kann Tan Muß
dem Lachreiz wiberfiehen ‚I wenn Ihr fo gemuthlich Cure MNyhel
ubnchut.“
„Schon wieder Atzzel!“ rief ber Rector, — „both zuerſt ein
Anderes. Ich degtrife nicht, wie An Dann, der in UÜtéris bewun⸗
dert und von gelehrter Bildung iſt, einen feuchten Mintel, wie
dieſen, fen Tusculum nennen kann. Das if doch eine Sünde
gegen Alle claffifähe Bildung, und geht mir durch Mark und Gebein.“
„Thnt mir herzlich leid,“ ſagte Berlefick lachend; „aber ich
glaeube, daß ich dieſe Bezeichnung rechtfertigen kann.“
„Etwa, wie ben gemeinen Volksanusdruck Ahzel für Peruche?
tief der Rector, dem bie Geduld auszugehen drohte.
„Ganz gewiß!” rief Berlefick, und ließ ſeiner Lamme ben
Ausbruch im allertollſten GAchter.
Der Reetor warf ihm einen Blick ber Beradtung zu, Ver
inbefien gar nicht verfing.
„Begreift Ihr dein wit,” fahr Betlefick vwblich tuhlger
fort, „daß das tertiutn eomparationis ſo nehe liegt? Ich erlenne
261 —
einen guten Witß in bean Namen, den bad Voll der unnqtürlichen
Kopfentftellung gibt. Die Atzel ober Elfier iſt bekanntlich ſchwatz
und weiß und bat einen ungewöhnlich laugen Schweif. Nun iſt
Gure Haarhaube auch ſchneeweiß von Puder und ber gewaltige
Schlupf hinten ift ſchwarz, wie deun auch her Schweif ober Zapf
ſchwarz bewidelt iſt, der Guch im Naden hängt. Pegreift Ihr's
denn nicht, wie paſſend bie Vergleichung iſt? — Ueberdies if es
noch ein ehrlich deutſcher Name!“
„Was deutſch?“ donnerte der Rector; aber er beſann fi,
um doch nichts zu verderben. „Ihr ſeid und bleibt ein wunder⸗
licher Heiliger, die Sophie hat's auch geſagt! Ihr wollet allexwegen
Oppoſition machen gegen bie Weltbeherrſcherin, die Mode, und dag
ſtehet Guch übel zu Geſichte. Wie viel paſſender wäre es, wenn
Ihr, ftatt Euer firuppige® Haargewächs in natura zu ixagen, ig
es der Plebs thut, und 648 gar feine Farbe mehr bat, dieweil e2
halb weiß und halb fchmarz if, wie Kümmel und Salz auf bey
Faſtenbretzeln, mit einer ehrwürdigen Perücke bededtet! Und qus
Bründen, Her, bie mich baute in Liebe zu Euch geführt und
einen anftändigeren Empfang und Behandlung verbienten. Die
Sophie hat's auch geſagt.“
Berlefick wurde ernſt. „Laßt ben Streitapfel,” fagte er, „und
entwickelt dieſe Gründe, wenn es Euch beliebt,‘
Drer Rector war innerlich wüthend üher ben Böotier, wie er
Berlefid im Stillen nannte. Er ſetzte mit vor Zorn zitternder
Hand feine Perüde wieder auf, kam aber unglücklicher Weiſe nicht
in's rechte Fahrwaſſer und ſehte fie verkehrt, fo daß her Zapf
porn bin kam.
Ehe er ben Fehlgriff, der Ihn dopyelt exzürute, gut machen
Jonnte, braufte wieder Berlefil’2 Gelächter Tod.
„Laſſet die Atzel fo Aigen!” xief er qus umb bog fh mr
Lachen. „Sie Tleinet Cuch lieblich und Ihr enindet aine neue
Mehr, was doch in Guchen Mugen ein Perdienſt if.”
— 262 —
Der Rector erbleichte vor Zorn über ſeine Dummheit und
Berlefil’8 ãrgerliche Rede und Lachen.
„Wie Ihr doch kindiſch lachen könnet über einen Fehlgriff,
zu dem mich Euer aufregendes Lachen brachte!“ rief der Rector
aus und ſchob bie Perücke zurecht und drückte fie feſt.
„Ich dachte mir,“ fiel Berlefick in die Rede, „wenn Eure
Sophie Euch alſo geſehen, fie hätte Euch ihre Hand und ihr Herz
nicht gefchenft, denn Euer Kahlkopf hat nichts Reizendes, Ihr
Könnt mir’3 glauben!‘
„Dad wäre meine Sorge gewefen!‘ rief ber WRector.
„Meine Frau bat Bildung genug, bag Schidlihe im Auge zu
behalten, und würde fich nicht benommen haben, wie ein ungebil-
detes Bürgermäbchen etwa, das unverbdient unb als Bach zu
Ehren fommen fol.”
Das war ein Stih für Berlefick, ben biefer fühlte. Er
erinnerte fi der Aeußerung des Rectors, daß es Gründe gäbe
für ihn, eine Berüde zu tragen. Es ahnte ihm, daß zwifchen dieſer
Bemerkung und dem Stiche, ben ihm ber Rector beigebracht, ein
Zuſammenhang ſei, und er wurde plötzlich ernſt.
„Laſſen wir die Poſſen!“ rief er aus. „Es will mir ſcheinen,
daß Euer Beſuch in meinem Bergplätzlein, das zu erſteigen Euch fo
große Moleſte gemacht Hat, eine gewichtige Urſache haben müſſe.
Ich wünſchte, Ihr redetet von der Leber und Farbe!“
„Das iſt doch ein vernünftig Wort,“ ſprach der Rector, zog
ſein zierliches Taſchentuch heraus, legte es auf die Steinbank und
ſetzte ſich darauf, während feine Augen ben ganzen Raum burdh:
forfchten. Das Refultat biefes Blickes mar Fein erfreufiches, denn
ber Rector mochte auf ein feines XTröpflein gerechnet haben, konnte
aber nichts entdecken, was barauf hätte ſchließen laſſen, daß Berlefick
bier feinen Nektar habe, wie man ihn fonft bei ihm fand.
Berlefid Hatte ınit Genugthuung biefen Blick beachtet.
„Es thut mir leid,” fagte ex, „daß ich Euch nichts vorzufeben
I‘
— 263 —
habe, als etwa biefen reinen Quell, bei befien Genuſſe man noch
ſich nieberfnien und fihlürfen muß, wie wir es etwa ala Knaben
gethan haben.’
‚Leibe nicht an Durſt,“ warf ber Rector bin; „aber Ihr
müßt wohl viel leiden, da Ahr doch an Eure Wolfshöhler und
Leimbacher gewohnt ſeid.“
„Wenn ich hier bin, lebe ich als Einſiedler,“ ſagte Berlefick.
„Und man ſagt doch, daß das nicht auf die Dauer Eure
Meinung ſei, was auch nicht gut wäre, wie die Sophie auch ſagt,“
bemerkte der Rector, froh, einen Anknüpfungspunkt gefunden zu
haben. „Darum meine ih auch, Ahr ſolltet mehr der Mode
huldigen, das gefällt den Weibſen.“
„Meine Erwählte iſt vernünftiger,“ ſprach Berlefick.
„Erwählte?“ rief der Rector. „Alſo wirklich ſchon gewählt?
Ei! El — Hm! Meinte dazu, Euch einen Beweis meiner Liebe
mit gutem Mathe zu geben. Die Sophie hat's auch gefagt, man
bebürfe deſſen in felcher Lage.‘
„Danke!“ war Berlefick's Iafonifche Antwort.
e Der Rector ſah verlegen zur Erbe und wußte nicht, wie er
die Kehr Friegen ſollte.
„Ihr vergeht Eure Gründe, Herr Rector,“ bemerkte lachend
Berlefidt.
„Run, ich meinte, wer mit Heirathsgedanken umginge, müfie
nach ber Mode fragen, die doch in bem Augen ber Frauen eine
Macht if. Da wäre es Pflicht, eine Perüde zu tragen, bie
Sophie hat's auch geſagt. Es gibt nichts, was ben Mann ehr:
würdiger, anftändiger, gehaltener erfcheinen läßt, als bie Perlidie, bie
jeber gebilbete Mann trägt. Da Ahr num, wie ich nicht zweifle, ben
unfinnigen Gebanfen aufgegeben, das junge Ding, bie Tochter bes
Schiffers Peter Eidam zu eheliden —“
Das war Berlefid ‘zu’ viel. Sein Zorn bliste auf mit
zafender Macht. f
— 21848 —
„Schert Euch zum Hauer!” ſchrie er. „Wer bat Euch
berufen, mir vorzufchreiben, was ich than fol? Ihe und Eure
- . Stadtfchelle, bie Sophie, bie Alles auch gefagt bat, folt Euch um
mid nicht befümmern! Lehrt Cure Schüler, tratſcht mit Eurer Frau
über Andere, aber bleibt mir mit Rath vom Leibe!”
Der Rector fland erfchroden auf, nahm feinen Hut und machte
fi) davon; benn er wußte, jetzt war nichts mehr mit ihm zu
machen, und ihm männlih Bart zu halten, war feine Sade nicht.
Aber den Berg hinunter brummte er zornig in ben Bart, und
verfchwor fih ihm nie mehr über bie Schwelle zu geben.
Unten am Eingange zu Berlefil’3 Berg kam ihm der Cantor
und Schulmeifter Schmidt entgegen, ein alter Mann; fauber, aber
‚ befcheiben, faft bürftig gefleibet.
Diefer- verbeugte fih, zur Seite tretend, und wünfdhte dem
Herren Rector einen guien Abend.
„Wohin will Er denn, wertber Herr Cantor?“ fragte, ſtehen
bleibend, der Rector, ber fih um alle Leute und alle Dinge u
ſchaffen machte. |
„Dahin, woher Ihr kommt,“ fagte Schmibt, „zum Herm
Berlefid.“ \
„Da tommt Er eben recht, daß fi Gott erbarme! Der ift
in einer wahren Berferferwuth, ein Krippenbiffer, ein Maſſtk, wie
die Pferbejubert fagen (aber es ift Hebräifch), Tchlägt Hinten und
vornen aus und if grob wie Bohnenſtroh. Gehe Er nur hin, er
kriegt auch noch feinen Senf.
„Ei, il’ fagte der Cantor. „Ein Maffif? Und folde Wautht
Ich begreife nicht, wie ein ſo ruhige Mann —“
„Ruhig?“ rief der Rector aus, „danm bleibt auch das Pulver
ſtokmäuschen ſtille, wenn Feuer d'ran kommt. Und was war's?
Ich ſag' Ihm, Herr Cantor, nichts war's, als daß ich ihm in
freundſchaftlicher Weiſe von einem dummen Streiche abrieth, den
er zu machen im Begriffe ſtehen ſoll, nämlich des Schiffers
— Mb —
SEibam Tochter zu ehelichen, das junge Ding, eben erfi Hügges
achtzehn Jahre —“
„Und ein halbes,“ fagte ber Cantor, „das weiß ich genau,
denn ich Bin. ihr Pathe.“ .
Der Rector ſtutzte. Da komm' ich ſchön an! dachte ee
A denn Alles gegen mich verfchworen? -
Als er betroffen ſchwieg, ſprach der Cantor: „Angenommen,
Herr Rector, ed wäre ein dummer Streich, was ich, meines Ortes,
gar nicht gefagt haben will, da es an und für fich recht gut 3,
wenn bie Frau —
„Sleigalterig mit bem Mann iſt,“ fiel ihm bennocd ber
Rector, fich ermannend, im die Rebe. „Eure Bathe it ein lieblich
und recht tugenbfam Sind, das wohl einmal zu meiner Frau
fommt, von ber ein Mädchen etwas lernen Tann, — aber der alte
Berlefick Fönnte doch ihr Vater fein. — Unb bie will’ er, wie ich
höre, nehmen.‘
„Es if ein Figlih Ding, wiber ben Wind zu fegeln, wenn
man nicht muß,‘ Tagte befcheiben ber Ganter, „und Der es unbe
rufen thut, kommt nicht felten in bie Patſche; wir Gelehrten ſollten
das wiffen! — Guter Rath iſt wohlfeil und doch will ihn Niemand
ungefordert.“
Bei dem Worte: „Wir Gelehrten“ zuckte der Rector, als hätte
ihn eine Horniſſe geangelt. Er ſah dem Cantor mit einem Blide
vernächtenber Verachtung an, wollte ihm mit einer Imperatormiene
den Text über ſolchen Schulmeifterbünfel Iefen; aber zur rechtden
Zeit äußerte bie gute Zucht feiner Sophie ihte Wirkung und feleute
für heute ben zweiten Triumph. Er brummte etwas in den Bart,
wandte dem Schulmeiſter ben Rücken und tannte wie ein Behefiener
fort, ohne ihm ein herkömmliches Adje zu fagen.
Der Cantor blieb Heben und ſah dem Sector wach, ſchattelte
ben Kopf und ſagte zu fich: „Wenn's Dem in Capitolio nicht
rappelt, fo weiß ich nicht mehr, ob das _ Sprüchlein richtig ift: daß
-- 6 —
man ben Vogel an bem Gefang und an ben Federn erkennen
folle. — Weiß wohl, was feine rau will! Wie oft hab’ ich bie
Buftel [on vor biefer Kreuzfpinne gewarnt, bie bad Mäbel wie
eine Fliege gefangen hat in ihrem Net; es Hilft aber Alles nichts.
Seben Abend bat es der Kudud bei der gelben Here. Die rau
Apotheker Raspel will fie ihm freien. Das ift jo Eine von ihrer
Sorte — Kaffeefchweiter und Räfonnir-Raspel, wie fie in ber
Stadt Heißt. Himmel und Erbe, wie follten bie Zweie ſich Berle:
fick's Reichthum zu Auge machen! Nein, ba gönn’ ich's doch Lieber
dem Guſtelchen! Freilich haben bie jungen Dinger heutzutage
immer die Liebe im Spiel. Das iſt ein unbrauchbar Stüd Möbel.
Berforgung ift Numero Ein! Das ift bie befle Lieb’, die mit
der Che kommt! Die hält aus,, während ber bumme Raufch
vergeht. Ih, zum Beifpiel, und meine Eva, wir fannten uns
gar nicht vorher. Ich war fünfzehn Jahre älter als fie. Mein
Eollega Rumpel machte bie Freier. Es wurde richtig, und —
unfere Ehe ift ein heiterer Maitag gewejen, trop Noth und Eorgen,
und Gott weiß ed, wie inniglich lieb wir uns haben, und nichts
mehr wünfden, als Gott möge uns an Einem ‘Tage zu fidh
nehmen, daß nicht Eins das tiefe Weh des Scheidend fühlen und
tragen müfle!” _
Er ſah wehmüthig hinab zum Rheinufer, wo feine Eva in
dem Keinen Gärtlein banbtirte, und in bem Blide des braven
Mannes lag bie ganze Tiefe einer innigen Liebe. Cine Weile
ſah er dem theueren Weide zu, dann wandte er ſich um, den Berg
zw erfieigen, — denn beute war ber Berfalltag ber Zinfen, die er
Berlefick jchulbete, und ber alte Junggefelle hielt gar viel auf
Ordnung, was ber ehrlide Schmidt wußte Er hatte das Geld
mübfam zufammengefpgrt, hatte fih’8 mit feiner lieben Eva amı
Mund abgebrochen und fühlte fich jet glücklich, daß er es bezahlen
konnte, obwohl auch andere Lüden waren, bahin es gepaßt Hätte.
4
2.
Berlefick's Higkopf hatte allerdings etwas mit bem Pulver
gemein. Er bfigte plöglih auf, aber wie mit dem Rauche bie
Wirkung des Pulverd weg ift, jo war’ mit feinem Zorn. Erft
noch rannte er wie ein DBefeflener herum, dann aber, nachdem er
fi mit einem Dutzend Kraftworten Luft gemacht, ſetzte er fich
ruhig nieder, nahm feinen Krug und feinen Becher heraus und
tran? mit Behagen. Da hörte er nahe, leife Tritte und ſah ben-
Cantor vor fi. Bei feinem Anblide ſchwanden die letzten Wolfen,
die feine Stigne noch belagert hielten. Er dachte nicht daran, feinen
Krug zu verbergen, wie er eg bei dem Rector gethan, fondern erwiederte
den achtungsvollen Gruß de Cantors mit aufrichtigen Wohlwellen.
„Ich glaubte Euch, geehrter Herr, in großer Aufregung zu
finden,’ — bob ber Gantor an, ber nicht wenig erflaunt war,
ſtatt einem Wetter mit Donner und Blitz die ruhigfte Stimmung,
bie heiterſte Stirne bei Berlefid zu finden.
„Fehlgeſchoſſen, lieber Herr Schmidt! Iſt vorüber; war nur
ein Bißchen Gallenüberfchuß über einen Narren! Der Rector bat
wiqh geärgert.“
Kann mir's denken,“ war. des Cantors jur weiteren Mit
theilung anfpornenbe Antwort. „Solche Anträge Innen Einen
wohl ärgern.” .
„Wie? Was? Anträge?” rief Berlefick. „Wißt Ihr um
bie —*
„Nicht mehr und nicht weniger, als was mir der eitle Mann
felbſt unten, wo er mir begegnete, mitgetheilt,“ ſprach erſchrocken
Über die Aufregung Berlefick's ber Cantor. „Zürnet mir nur nicht
und glaubet nicht, als theile ich feine Meinung | ur
„Ei, fo redet doch!“ rief höchſt ungebuldig Berleſickk. „Was
wollte er denn?” “
„Run, fagte ber Cantor zögernd, „Euch eine gefaßte Neigung
— 24668 — |
— wenn ih fo fagen barf — ausreden, und eine — Freierei
machen.“
„Der eine Freierei? Ei, ſo ſoll Dich ja!“ — rief brauſend
vor Grimm Berlefick. „Aber wißt Ihr's denn?“
„Freilich weiß ich.“
„Und Ihr laßt mich ba zappeln, wie ein Fiſchlein an ber Angel?”
„Beehrter Herr Berlefick,“ fagte ber Cantor, „ich pflege mich
in keinerlei fremde Affeiren zu mengen, allerwenigft in bie, fp da
Freiereien und Ginfchlägliches tendiren. Dannenbero möget Ihr
mir ed zu Gute halten, wenn ich hier rebe, wo Ihr ſolches entſchie⸗
benft fordert. Er meinte, das fchöne Schifferfind Eud aus dem
Sinne zu praßticiten und dafür Euer Auge wohlgefäflig auf bie
Frau Wittwe Naspel zu Ienten, vornehmen Apothekers Raspel
nachgelaffene finderlofe Hausfrau.“
„Die? — Die Ratfonnir-Radpel, mie man fie Hier bezeichnend
nennt, bie citrongelbe, alte Here, die den armen Raspel tobt getirgert
bat; bie Here wollt’ er mir freien? — Nun, bann mag er von
Süd fagen, daß ihm die Raspel im Halſe fiedden blieb! Ich weiß
nicht, wa ich bem Atzelhelden gethan hätte, — aber ich fürdyte,
die Abel hätte Flügel gekriegt — Item — lieber Herr Camer,
feet Euch und trinkgt eimmall Ich will nicht mehr am ben albernen
Narren deuten.‘
Er reichte ihm ein volles Glas. Der Cantor trank mit aller
ber Formalltät jenen Zeit Berlefid’# Geſundheit und fegte das
faum angenippte Glas wieber auf ben Tiſch.
„Mein' auch,“ fagte er dann, „bad wär bie Rechte für
Euch, wenn Ihr eiwa ben lobenswerthen Gebanken auzführm
wollte, Euch eine liebevolle ‘Pflegerin zu ſuchen. ine abſcheulicha
Zumuthung! Aber ed if eine Prakiik der Sophie, die iR mit bee
Rnapel Ein Herz und Eine Seele und bie Zwei würben fi in
Euerem Geld ein Bene zugelegt haben. Da wäre ih bean dach
andemer Meinung.‘
— 169 —
„Soy“ ſagte VBerlme ſchmunzelnd. „Welcher denn, wenn
16’3 wiſſen darf ?“
„Was man denkt, foll man auch fagen dürſen,“ bemerkte ber
Cantor, — ‚ich meine fo Etwas in Eurer Nachbarſchaft. — Ba
Bat meine Rebe Era eine Pathe —
„Ihr meint Eidam’s Gußelchen 2’ fiel ihm ber ungeduldige
Berleſtel in die Mebe.
„Gerade Die!“ fagte Scmikt „Richts für ungut, Her
Berlefick, aber das Maͤdel ift eine Perle.”
„Weiß ſchon, lieber Cantor,“ fuhr ſehr freundlich Beriefet
fort — „aber —
‚Aber? Sollte da ein Aber ſein?“
„Run, Ueber Dann, man weiß nit —“
„Was denn verehrter Hirr? —
„Ib fo en Mädchen unſer Einen nimmt, lieber Freund.
„Unfer Einen? Mit wen ſtellt Ihr Euch denn gleich, verehr⸗
tefter Herr Berlefil? Das liebe Mind wird die Ehre zu würdigen
fen, die ihm wiberfährt, wenn es Buch ein Ernft wäre.”
„Freund!“ rief Berlefick, ganz eleftriftit, „es ift mein voller,
ganzer, purer, grümblicher, ernſteſter Ernſt! Ith wäre ber glikflichfle
Menſch auf der Erde! Helfet mir wirken, und Ihr ſollt Beweiſe
meirter Dankbarkeit haben, die — ”
„Bedarf deſſen gar nicht,” ſagte der ehrliche Eantor. Aus
Hochachtung pegen Such mb Vlebe zu dem guten Kinde ſoll's mir
eine Hauptaufgabe fein!’
Berleſick ſchenkte wieder ein und ſchob dem Kantor das Glas zu.
„Haltet ein, geehrter Herr,” rief diefer. „Mir kommt fo ein
Neklaritbpflein ſelten zu; ba kiUnnte 28 leicht die Qerlammern
uminiren und meine often Beine aus der Linea Bringen, wie
mic aus bem Readume. Auch möchte id) primo loed bie Auge⸗
fegenheit abfolviren, bie mid) bierhergeführt. Ich Habe dem Hexen
Stabtfveiber und Caffiter, ber deß Rechnens nicht recht Meifter
— m -
iſt, in meinen wenigen Freiſtunden feine Jahresrechnung gefiellt,
und mir etwas verdient, auch gefpart, wo unb wie e& ging, daß
ich’3 konnte ‚zufammenbringen. Es wird Einem ſchwer bei ſechzig
Gulden Gehalt, summa summarum nad, der Competenz.“
Berlefick Hatte, innerlich bewegt, den Worten bes Sorgenvollen
gelauſcht. Sebı gute Herz machte alle feine Nechte geltend und
fein Auge Haftete, feucht werbend, auf bem fauer erworbenen
Gelbe, das er num einftreichen ımb im ben Gelbfad zu feines
Gleichen ſchieben follte. Die Mipfiände bed Lebens fielen ſchwer
auf feine Seele.
„Lieber Freund,” hob er weich an, „habt Ihr denn aud ben
Apparat zur Quittung 2’
„Ich war in Eurem Haufe und die alte Rofina ſagte, Ihr
feiet bier. Da hab' ih Papier, Feder und ein transportables
Zintenfäßlein zu mir geftedt, um e8 Euch bequem zu machen.”
„Stedet das Gelb einmal wieber ein, ſagte Berlefick.
Der Cantor ſah ihn verwundert an. _
Berlefick fchrieb und reichte ihm dad Papier. „Leſet's,“ fagte
er, „ed wirb jo richtig fein" _
Dem Gantor entfiel das Papier vor Schrecken. „Was iſt
das?“ fragte er erichroden.
„Was iſt's denn?” fragte Berlefick zurüd. „Ihr habt bie
Binfen für fünf Sabre vorausbezahlt. Damit iſt's abgethan. Dies
Geld fiedet Ihr ein und thuet Euch und Eurer guten Eva irgend
ein Beneftcium bafür an.’
Der Cantor glich einer Bildſäule. Allmälig wurde fein Auge
thränentrübe,
„Gott vergelte es Euch, ebler Herr,“ fagte er ergriffen. „Run
kann ich wenigſtens das Nöthigſte beſorgen. Gott lohn's.“ Er
drückte Berlefil’3 Hand innig, wiſchte fi die Augen und ging,
"weil ihm das Herz zu voll war.
Berlefick ſah ihm bewegt nad. „Armer, alter Mann,‘ fagte
— 271 —
er, „Eine Sorge hab’ ich von Deinen Herzen genommen!‘ — Dann
rieb er ſich vergnügt bie Hände und fagte: „Das bört Guſtelchen
bruhwarm!“ Er trat auf den Vorſprung des Felſens, um bem
Glücklichen nachzuſehen, ber mit leichtem Herzen heimeilte. Jetzt
erblickte er wieder Einen, der auf ihn losſteuerte. Diesmal über
glänzte fein Antlit eine neue Heiterkeit. Es war ber Schiffer
Eidam, Guſtelchen's Vater, fein nächſter Gegenüber-Nachbar.
Raſch eilte Berlefick zu feinem Weinverfted, nahm zwei volle
Krlige heraus und emvartete dann ben flämmigen Schiffer, der
raſchen Schrittes nahte.
„Grüß' Gott, Herr Nachbar,” rief ihm ber Schiffer entgegen.
„Weiß ſchon, wo man Euch bei biefem berrliden Wetter aufjuchen
muß. Bin geftern Abend von Köln angelommen und bab’ Euch
ba die erften Häringe mitgebracht, und ba ich wohl dachte, ber
Menſch Iebe nicht, wie der Fiſch, vom Waffer, fo hab’ ih gleich
bei'm Greifenftein am Krabnenthor ein Weißbrödlein mitgebracht
zum Vespern.“ -
„Habet allezeit vortreffliche Einfälle, Herr Nachbar, und treffet den
Nagel auf den Kopf. Seid willfommen, fammt Eurem Vesperbrode!“
„Mein Gufteldien bat fie gleich gepußt,” fuhr Eidam fort,
indem er Blätter von einem Hafelftrauche pflüdte und bie Häringe
d’rauf und fein Schiffmefjer mit dem Burftiele bazu legte. Während
deſſen ſervirte Berlefid den Wein und, heitern Humors begannen
Beide unter Iufligen Reben fich zu laben, nachdem Berlefick bie
Häringe, Eidam ben Wein gebührend berausgeftrichen. Das Glas
felerte nicht, zumal bie Häringe ben Durſt Tchärften, und bald
zeigte fih am Beiden, daß der Wein mohl des Menſchen Herz
erfreut, die Zunge Läf, aber auch bie ftrenge Goldwaage ber Eon
venienz und ihrer Förmlichkeiten zur Seite fehiebt, um rascher zu
bean Serne ber Dinge zu bringen.
„War bie Reife elucuich⸗ fragte Berlefid,” als Eidom darauf
Vezũgliches geſagt.
— 272 —
„Könnt's wicht rühmen,“ ſagte Eibam. „Denkt Euch nur, wo
die Sieg in den Rhein mündet, bat ſich eine Sandbank angelegt.
Da fuhr meine fchwer belabene „Stadt Bacharach“ auf und bein
‚ einen Bodenleck. Ich mußte von Bonn ein Lichterfchiff holen usb
im Schlepptau bie lebig gewordene mitführen, ben Led benfiellen
Iaffen und fie friſch Talfatern. Da ift mein ganzer Profit flöten
gegangen. Verſtanden, Herr Nachbar? Daß if bag Unglück!“
„Thut mir herzlich leid,“ verſetzte theilnehmend Berlefid.
‚run thut fi mir eine Gelegenheit auf, wo ich den Schaden
mit Weberfluß erjeben kann,“ fuhr Eidam fort; „Ihr wiflet, Herr
Nachbar, die Stadt Bacharach hat ein altes Recht, zu jeglicher
Meſſe ber freien Stabt Frankfurt am Main ein Schiff zu fenben,
und auf demſelben Vacharacher Rothwein zu verzapfen. Dieſes
Jahr iſt zur Herbſtmeſſe bie Reihe an mir. Da ih nun Pech
hatte mit dem Led, fo muß ich baran benfen, den Schaben zu
repariten; aber dazu iſt nachbarlicher Beiſtand nöthig.“
„Soll geleiſtet werden, Herr Nachbar, mit Vergnügen. Ms
braucht Ihr denn 7
„Geld und Wein, Herr Nachbar. Ihr habt das Geld in der
Mſte und ben Töfllihen Rothwein im Keller. Wolltet Ihr
mir das Nöthige borgen bis nach ben Ablauf der Meſſe? ES
koſtet viel. Muß ba ein Zelt auffchlagen, Gläfer und Flaſchen
kaufen 2c.”
„Cut nichts,“ ſprach Berlefick. „Werbe Euch nicht festen
laſſen.“
„Dacht' bach gleich,” ſagte Eidam, „Ihr würbet mich nit
ehne Hoffnungsfracht abfegen laſſen, ſchiffiſch zu reden.“
„Legt Euch getroſt vor Anker,“ verſedte Berleſick. lãchelnd in
gleicher Redeweiſe.
„Meiner Seel'!“ rief der Schiffer aus, Ihr ſeid ein Menn,
wie ein David, ob Ihr gleich Feine Harfe fpielt. Mein Guſtelchen
fogte, als ih ihr meine Noth klagte: Gebet une zum Herrn
—
— 2738 —
Nachbar, ber ift eim feelenguter, Tiebreiher Mann, ber läßt Euch
nicht zwifcher Thür’ und Angel.”
Berlefit beugte ſich orbentlih vor, ſah vergnügt in bes
- Schifferd geröthetes, wetterhartes Antlitz unb fragte mit dem
Ausdrucke feliger Befriedigung: „Hat fie das gejagt, ba liebe
bolbfelige Mägdlein 7
„Meiner Seel’!" rief der Schiffer und ſchlug auf feine Bruft,
daß es nachhallte.
„O, wie hör' ich das ſo gerne,“ ſagte mit ſchmelzendem
Laute Berlefick. „Eure Tochter iſt die Perle der Töchter unſerer
Stadt, ein Schatz, ein Reichthum. Ich kenne keine Jungfrau, der
‚ich fo gewogen. wäre. Immer heiter; ſingt wie eine Lerche, vom
Morgen bis. Abend; nie müßig, immer im Walten, Sorgen,
Arbeiten; im Haufe mie geblafen. Man meint, man wäre in
Holland I Sieht man fo der Jungfrau Walten und Thun, fo
möchte man ben Pater beneiden, der fie immer um fich hat, und
— möchte fi an feine Stelle wünſchen.“
Der alte Schiffer, welcher in Folge ber genoffenen Häringe
orbentlich getrunfen ‘hatte, war befonderd animirt. Cr hörte mit
Entzüden bes reichen Nachbar Rede, bie barauf hinauszuſteuern
fchien, wovon ihm ber Vetter, der Cantor Schmidt, ein Wörtlein
batte fallen Taffen, als er ihm begegnet war. Er überlegte, fo gut
“ er Fonnte, was bier das Gerathenfte fein möchte, und es fchien
ihm, als thue er das Mechte, wenn er zu ber begeiflerten Lobrebe
beifällig nidte. Das that er denn auch und das war zugleich ein-
Sporn für Berlefil, Am rafcherem Schlage bes Herzens fein
Innerſtes vor bem Auge bed Schiffers darzulegen.
„Gewiß,“ fuhr er fort, „es ift dag meines Herzens fefte
Gefinnung, und ich fage Euch offen, ich meine mich felber, wenn
ih jo im Allgemeinen rede. Doch will ich's nicht hinter dem
Berge länger halten, und es frei herausreden: Euer Guftelchen
hat mein ganze Herz gewonnen. Da wir nun fo traulich allein
Horn’s Erzählungen IX. 18
= m
find, fo will ich ome Blume, von ber Farbe reden. Ihr Seumet
mid. Ich bin in der Wolle gefärbt; ich Habe ein ſchönes Beilg-
tum; würdet Ihr mir ein Körblein geben, wenn ich um Euer
Guſtelchen würbe zu meiner ehelichen Hausfrau. Hab’ unb Gut
verfchriebe ich ihr, fo ich etwa vor ihre ſtürbe.“
Obwohl der glüdliche Cantor berichtet, wie es um des Herrn
Berlefick Herz zu ſtehen ſcheine, fo wer doch Eidam überrafcht,
als ihm die Werbung fo urplöglidh über das Genid kam; inbeffen
waren Jeine Gedanken noch Mar genug, um fie zu ordnen. Das
erfannte ex ſchnell, daß eine folche Partie unter ber Sonne für
Guſtelchen nicht mehr. zu machen ſei, denn Berlefid war unbeftritten
der reichſte Mann im Oberamte Bacharach, und ficherli wurde
ſein Kind von Hunderten beneidet. Er war alſo raſch entſchloſſen,
und als Berlefick geendet und, etwas betreten, unter ſich ſah,
ſtand er auf, nahm ſeine Pechkappe vom Kopfe, verbeugte ſich und
ſagte: „Herr Nachbar, ich bin von ſolcher Ehre ganz betroffen
Wie hätte ich mir ſollen träumen laſſen, daß mein Kind Eures
Herzens Gedanken auf ſich gezogen? Was mich betrifft, ſo ſag' ich
mit Freuden Ja und Amen dazu.“
Berlefick ſprang freudig auf, faßte des Schiffers breite, harte
Hand und drüdte fie,
„Ihr machet mich fehr glücklich,“ fagte er begeiftert. „Ihr
folt an Eurem Schwiegerſohn Eure Freude leben. Dad
Suftelhen will ich hegen, wie meinen Augapfel und es auf ben
Händen tragen und wahr machen das Sprüdlein: Bei ben Alten
ist man gut gehalten; aber Eins hat mich erfchreckt, ich will's nicht
leugnen, das, daß Ahr fagtel: So viel an mir ift ober was mich
betrifft. Zweifelt Ihr etwa an des Mädchens Einwilligung?’
Eidam war etwas verlegen. Er kannte bie Liebe Guſtelchens
und bed Terbinand, eines Neffen Berlefick's von Seiten feiner
nerfiorbenen Stiefſchweſter. Diefer Ferdinand hatte neben Berleſick's
Wohnung, auf der Ede der Unter- und Krahnengaſſe, ei dem
⸗
— 23753 —
—alten Tobias Wink bie Kaufmannſchaft erlernt und war als Laden:
burjche (wie man bamals die Commis nannte) im Haufe geblieben.
Da Hatte fi das Verhältniß entfponnen; aber e3 hatte Feine
Ausficht, denn Ferdinand war blutarm und Guſtelchen's Vermögen
war nicht weit ber. Ferdinand bätte nur boffen dürfen, wenn
Berlefit ihm jene Stätte bereitet; aber fo brav auch der unge
wor, Berlefil trug ihm tiefen Groll, feit er wußte, dab er ihm
bei Guſtelchen in’3 Gehege ging. Deßwegen rubte ber Alte nicht, _
bis Wink ihn entlieg und er nun in der Ferne fein Fortkommen
batte fuchen müſſen. Bas wußte das fchelmige Guſtelchen wohl
und trug feine Dankbarkeit gegen DBerlefid in der Seele, und ber
Schluß Berlefick's, daß es bei ben Mädchen heiße: aus bem Auge,
aus dem Sinn, war falfch; denn die Frau Rectorin war bie treue
Freundin der Mutter Ferdinands gewefen und hatte auch gegen .
ihn wie eine Mutter gehandelt, und nun vermittelte fie zwiſchen
ben jungen Leuten die Botfchaften. Eidam wußte um biefe Liebe
und kannte feines Kindes feite Seele. Er war verlegen, aber er
dachte wohl, fein Kind werbe feine Verforgung beachten. Ex fapte
baber: „Nicht, ala ob ich bran zweifelte, denn ich glaube nicht,
baf mein Kind die Hand ausfchlagen Könnte, die Ihr ihm bietet;
aber die Mädchen find Heutzutage anders, als zu meiner Zeit,
aber immer ihres Kopfes. Man muß da fäuberlich verfahren, wie
mit dem Knaben Abfalon, wie’3 in der Bibel fteht.”
„Da habt Ahr Recht,” ſagte Berlefil. „Ich bin gar nicht
ber Meinung mit ber Thür in's Haus zu fallen ober mit Sturm
und in der Haft dag Alles abzuthun. Gut Ding will Weile haben
und id wollte Euch bitten, einftweilen unfere Abrebe für Euch zu
behalten. Ich will mir das Kind geneigt machen und bei ihr felber
mein Heil verfuchen nach gelegener Zeit und Umftänden.‘
„Weiſe gerebet, mie immer,” fagte ber Schiffer. „Sind wir
bier aber von Laufchern fiber? — Das Feld bat Augen unb
Ohren!”
18*
— 176 —
„Seid ohne Sorgen,” fagte Berlefll in voller Sicherheit.
..&3 iſt feine Seele bier; aber ber Hintmel weiß, wie bie Plauder⸗
taſche, ber eitle Narr, der Rector Strunk, es erfuhr, was ih im
Herzen trug feit langer Zeit? Hab’ ich denn vielleicht meine Augen
nicht immer bewacht?
„Freilich,“ ſagte Eibam, „Ihr gucket viel nach unferen Kenflern
und ba hätte man Lunte merken können. Ihr wißt, die Welt iſt
ſchlimm Heutzutage. Thut nichts. Ich will ohnehin das Guſtelchen
ihnen aus ben Augen rüden für einige’ Zeit. Ich nehm's mit
nad Frankfurt, und dort mag’3 einige Zeit bei meiner Schweſter
verweilen, bie in Frankfurt verheirathet if. Dann benfen bie Leute
niht an das Mädchen und das Gerede und Genede Hört dann
ohnehin auf.’
„Hm! Hm!” brummte Berleftil in den Bart. Der Plan des
Schiffers gefiel ihm im Entfernteften nicht. Doch wollte er nichts
fügen. „Bin auch noch nicht in Frankfurt gewefen,” warf er bin.
„Ihr? Habet bie halbe Welt bereift, und nicht in Frankfurt
gewefen? Das begreif’ Einer! Geht doch über das Bohnenlied! “
„Und geht hoch einfach zu,’ fagte Berlefit. „Sch war noch
jung, als mir bie Eltern flarben und ber Gerber Lauer in ber
Nofengaffe mein Bormund wurde. Der wollte abfolut, ich follte
ftudiren, weil e8 mein Vater gewünſcht. Ich Hatte Feine Neigung
dazu; allein ich mußte gehordhen und kam .einftweilen auf bie
Nedarfchule zu Heidelberg. Als ich die endlich hinter mir hatte,
flarb Lauer, und mein Vetter Olimart, ber nun als Bormund
eintrat, meinte, ich wäre ein Narr, wenn ich flubirte und mich in
bag Joch eines Amtes fpannen ließe. Solch eine Rede gefiel mir
bei meinem Widerwillen gegen jeglihe® Studium, den mir bie
pebantifchen lateiniſchen Schulmeifter beigebracht. — Hundert Gulden
Befoldung- für ein gelbgeärgertes Leben! rief Dlimart aus. Beamten:
hudel, Kabenbudelei nach Oben ober Drud von Oben! Pah, fei
fein Efel, Zunge. — Richtig, ich folgte ihm. Ich reifte nach
— 377 —
England unb Frankreich — und fpäter verwünfchte ich ben Rath,
weil eine geordnete Thätigfeit bem Leben feine Bedeutung gibt und
ein Menſch, wie ich, boch eigentlich zwecklos lebt. Doch ich vergefie
die Hauptſache. Ich möchte einmal das Paradies ber Handwerks⸗
burfcheg und Dienſtmädchen, nämli Frankfurt, ſehen.“
‚Nichts leichter, als das,“ fagte darauf Eidam. „Ihr fahrt
mit mir hinauf. Das Meßſchiff hat Raum. Ihr wäret dann
auch ſtets bei'm Guftelchen und Tönntet die Sache unter ber Hanb
zu Stande bringen, wie e8 ein weiler Mann zu machen verfteht.‘‘
s ,„Bortrefflih!” rief Berlefid. „Doch — wie iſt's mit bem
, Efien, Trinken und Schlafen? Kann ic daB auf dem Schiffe bei
Euch baden? Ich zahle beſtens!“
„Verſteht ſich, daß Ihr das könnet. Wir wohnen und ſchlafen
ja Alle darauf. Freilich nicht in weiten Sälen. Ihr ſeid ja aber
zur See geweſen nach England, und wiſſet, die Kojen ſind enge,
aber es geht, und dauert ja auch kein Halbjahr. Ihr könnet ein
Bett ſchicken und ich werde ſorgen.“
„Für ein Fäßlein für uns, ſorge ich,“ bemerkte Berlefick.
„Gut; aber ſtille nur! Es darf's Niemand wiſſen,“ ſprach
Eidam.
Da es anfing, kühl zu werben, rüftete fich Berlefid zum
Heimgang und Eidam machte fich früher davon, damit eben nicht.
fein Zufammengeben mit: Berlefil ein Auffehen mache.
Kaum war Berlefid unten auf den Weg, als ed rafchelte im
Gebüſch und ein Kopf zum Vorſchein Fam, ber fich überall umfah
und, als er ficher war, auf Entdeckungsreiſen ausging, nicht nach
fernen Inſeln, fondern nach dem Weinbehälter, von dem er gehört. °
Endlich entdedte er ihn. Noch zwei Krüge waren dba. Den einen
ließ er ſich ſchmecken und den anderen nahm er mit, als er feinen
Weg in entgegengefeßter Richtung einfhlug Es war ein junger
Burfche, und wer ihn genauer angefehen, ber würbe in bem Schiffs:
jungen auf dem Schiffe Eidam's ihn wieber erfannt haben.
⸗ — 278 —
Pitt oder Peter war ein ſchlitzohriger Schelm, aber, mie er
auch zu allen Malefize und Lumpenſtreichen eine abfonderliche
Raturanlage hatte, fo treu diente er Guſtelchen, bie ihn aber auch
hegte und pflegte, weil er eine Waife war. Der Krug Wein machte
ihm viel zu fchaffen, und e8 war ein Glüd, daß er auf dem Schiffe
ſchlief und fich gleich in die Kajüte Iegen konnte. Ein ferneres
Glück aber, dag Niemand zu Haufe an ihn dachte, denn dem Vater
ging Viel im Kopf herum und ber fehönen Tochter noch mehr, bie
bei ber Frau Nectorin gewefen war. Erſt am andern Morgen
brachte Pitt die ganze Begebenheit zu Guftelchenz Kenntniß und zwar
von A biß 2.
3.
- Daß fi auch ber befte Rechnenmeilter in ber Welt ſchon
einmal verrechnet bat, ift eine Erfahrungöwahrheit, aber am aller-
meiften, wenn er Einer ift, ber meint, er fühe das Gras machfen
und böre bie Fliegen huſten. Gold ein Klugpfiffer war Berlefld.
Er batte fi dennoch arg verrechnet, al3 er meinte, feine Unter:
redungen an dieſem Zage feien unbehorcht geblieben; barin ferner,
daß fein Weinverſteck ficher fei; ferner darin, baß ihm bie Frau
Rectorin nicht? anhaben Fünne, und endlich im dem Ferdinand und
bem Guftelden. Das waren Grempla genug, barin.er fi} geirrt,
und doch verfland er zu rechnen. Nur in dem Cantor Schmidt
unb feiner rau war feine Rechnung richtig.
Als Berlefid am folgenden Tag auf fein Pläbchen fam, war
ber Vorrath erfhöpft. Er fann, und die Sache war ihm bebenf:
li; aber bie Härtnge unb die Unterrebung hatten beide geſtern das
Ihrige getban, und er Tam ber Sachlage nicht ſicher auf ben
Grund. Trocken ba oben zu fißen, ober das Exempel zu maden,
das er bem Rector empfohlen, bebagte ihm nit. Er ging beim
und Rofina trug barauf einen bebedten Korb Knauf und Berlefid
folgte ihr. .
_ m —
Birt jap eben bei Guftelchen und veferirte von geſtern haar⸗
Hein jebe Sylbe. Guſtelchen wollte berfien vor Lachen. Aber von
dem wegftibißten Weine fagte er kein Wort. Hätte indeß Guſtelchen
ihn ſcharf angeſehen, als er ben Korb ſah, den big alte Rofina fo
vorfichtig teng, fie hätte die Luft wahrnehmen müffen, bie über bie
Züge bed Böfen Buben binflog, ber ohnehin auf Berfefid ein böſes
Ange Hatte, weil er ihn einmal abgewallt, ala er ein Vogelneſt auf
dem Berge ausheben wollte Wieber Tag er Heute auf ber Lauer
in der Nähe Berlefid’3, wohin er geräufchlos, wie eine Katze,
ſchlich. Ehe er aber dorthin ging, fagte er zu Guſtelchen: „Sei
Ste nur gutes Muthes, dem will ich in Franffurt ſchon Streiche
jpielen, die ibn kopfſcheu machen ſollen, unb auf dem Schiffe ſoll's
‚auch nicht d’ran fehlen.” Singend und pfeifen® ging er dann fort
und lag bald in feinem Hinterhalt. Indefſen kam Niemand unb
Berlefid ging bei Zeiten beim — und als bie Nacht Fam, war fein
Meinneft Leer!
Das verleidete ihm fein Pläblein über alle Maßen. Gr Hätte
Nnoch fo viel barım gegeben, wenn er’3 hätte herausbringen können,
wer ihm den Streich gefpielt, aber das lag in undurchdringlichem
Dunkel. Das Schlimmſte war, daß Guſtelchen von Allen wußte
und nun ihre Mafregeln nehmen konnte. Befonders bemühten fie
ber Cantor und bie Pathe Eva, fie ber Heirath mit Berlefick geneigt
zu machen. Sie warf die Sache gar nicht weg und meinte eben -
nur, fie fei doch noch zu jung; ſie wolle ſich die Sache überlegen
und Herrn Berlefid erft auch eirimal genauer kennen lernen; fie
babe ja noch Feine zwanzig Worte mit ihm gerebet, unb das reiche
doch nicht Hin, fich Tennen zu lernen. Der Cantor binterbrachte
ihm bieje Neben des Mädchens und das entzüdte ihn, Bon da an
ging er oft zu Guftelchen, die ihn immer mit ber größten Freund:
lichfeit aufnahm.
Er Hatte fich allerdings barin verrechnet, daß er Sophia, bie
Rectorin, für eime nicht zu beachtende Jeindin hielt. Der Rector
. — 280 —
hatte ihr Alles referirt, was ihm auf dem Berge begegnet war, und
wenn ſie auch einmal lachte, beſonders über ihres Mannes Zorn
wegen der Atzel, ſo blieb doch genug übrig, ſie zu erzürnen, ins⸗
beſondere, daß er ſie perſönlich verhöhnt. Es iſt ſchon erzählt
worden, daß Guſtelchen heimlich zu ihr kam und daß ſie die Liebe
Ferdinands und Guſtelchens förderte. Von jetzt an wurden hier
alle Pläne geſchmiedet und Berlefick ahnte nicht, daß Alles, was
ihm zum Aerger war, von ihr ausging.
Er war glüdfelig, da ihm Guftelcden zuvorfommend artig
war, werm er binüberging. Die ganze Stadt gratulirte ihm, was
er mit Behagen annahm, und Guſtelchen erduldete alfe jene
Medereien, deren eine junge, reizende Braut die Fülle ertragen muß,
mit dem beflen Humor, und fo war benn bie Sache eine abge-
madte. Die Alten Iobten bed Mädchens Klugheit; bie Jungen
meinten, fie nähme ihn nur feines Geldes wegen, und um ſich über
die Maßen puten zu können; die werbe nun bie erfte Rolle in ber
Stadt fpielen u. ſ. w.
Während das Meßſchiff hergerichtet wurde, "und namentlig
das Leber ber Gerber an Bord Fam, das zur Meſſe gefanbt
wurde, ſaß Berlefick oft bei Guſtelchen. Eines Tages geſchah das
wieder.
„Es iſt hübſch, Herr Nachbar,“ fagte fie, „daß Ihr die Reiſe
mitmachet.“
„Freueſt Du Dich, mein Engelchen,“ fragte er ſüß, „auf dieſe
Mitreiſe?“
„Gewiß,“ erwiederte ſie. „Angenehmer könnte mir nichts
kommen; aber Ihr werdet Mancherlei ertragen müſſen. Da iſt
zuerſt der entſetzliche Lohgeruch des Leders und dann — die ſtrenge
Zucht, die ich auf dem Schiffe übe. Es muß dba Zucht und Orb-
nung walten, fonft geht’3 nicht.‘
„Wie fo, Kind?’ rief Berlefid. „Iſt da was Beſonderes?“
— „Nun, ich muß offen reben, fehe ich,‘ ſagte vertraulich dag
— 281 —
Maͤdchen. „Sehet, mein guter Vater bat bie rheiniſche Natur,
gerne Wein zu trinken. Unfer Doctor Silbereiſen fügte mir aber,
wenn et viel trinke, rühre ihn ficherlih der Schlag, zumal wenn
er wenig Bewegung babe. Da muß ich ordentlich wachen über
ihn, und es gilt ala Geſetz, baß auf dem Schiff nicht ein Tropfen
Wein getrunken werben barf, bamit er nicht in Verfuhung fommt.
Es iſt meine Kindespflicht, dafür zu forgen.“
Berlefick erjchrad auf ben Tod. „Und ba Geſetz gilt auch
mir?“ fragte er.
„Ei, ſonſt wär's ja kein Geſetz, Herr Nachbar,“ ſagte dns
Mädchen, „und Ihr werbet doch nicht den Verſucher fpielen wollen?
Ueberhaupt, fag’ ih Euch im Vertrauen, ift mir ein WWeintrinfer
völlig zuwider. Wenn ich einmal Einen heirathen foll, fo darf er,
nur Waſſer und nicht? als Wafler trinken! Das ſteht unmanbelbar
feft. Außerdem wird nichts d'raus.“
Berlefick erbleihte „Schöne Ausſichten!“ fagte ex zu fich,
während er zu Boden ſah. „Schöne Augfichten! Waſſer trinken?
Da wär’ ich in acht Tagen maußgtobt. Er feufzte und fchwieg
Fummervoll. |
„Dauert bie Fahrt lange?“ fragte er endlich ganz unſchuldig.
Ueber Guſtelchens Gefiht zudte ein Lächeln eigener Art.
„Acht Tage,” fagte fie rubig. „Sud ift gewiß vor ber Langeweile
bange?“
„Mir? Bei Dir? Kind, was fällt Dir ein? Mir wär's ſchon
recht, wenn ſie gar nicht endete? So enge und nahe, alle Tage
bei einander — gibt's etwas Lieblicheres?“
„Ho! Ho!“ rief Guſtelchen lachend, „das wär' mir denn doch
des Guten zu viel. Aber Ihr könnet ruhig ſein. Ich will Alles
aufbieten, Euch zu unterhalten. Ich habe noch etwa ſechs Stränge
Baumwolle, bie fuperfein ift, und die mir mein Vater zu Strümpfen
mit von Köln brachte. Sie ift noch nicht gewidelt. Wegen Raum:
erſparniß nehme ich Teine Krone mit. Die haltet Ihr mit ben
, |
=: 292 —
Armen und ich wickele. Derweilen erzähle ich Euch allerlei Ge⸗
ſchichten. Außer der Baummolle Habe ich noch einige verworrene
Zwirnftränge, auch noch Wolle zu wide. Das if eine ruhige
Arbeit. Es Iernt ſich leicht, und Luft und Lieb’ zu einem Dinge,
macht alle Müh’ und Arbeit geringe, fteht im ABC⸗Buch.“
Berlefick z0g ein langes, beträchtlich einfältiges Geſicht, als er
biefe Unterhaltung vernahm. So Etwas war ihm im Traume
nicht eingefallen und er dachte mit Entſetzen an des Rectors Wort:
daß das weibliche Regiment ihn fehon noch zur Raifon bringen
würde. Da begann es ſchon. „Geht das fchon vor dem Braut-
ftand an, was wird's erft in der Ehe werden?’ dachte er. „Keinen
Mein trinken und Garn wideln! Hilf Simmel, ba hören meine
. Borflellungen urplöglih auf! Armer Berlefid, was fol aus bie
werden. Freiheit! goldne Freiheit des Junggeſellenlebens, wo flieheft
du bin?" .
Guſtelchen achtete die gefaltete Stirne nicht, und nicht den
ſtillen Seufzer, der fi aus ber gepreßten Seele herausrang, und
fuhr fort: „Noch Eins, Tiebfier Herr Nachbar, — aber nicht wahr,
Ihr nehmet mir’ auch nicht übel? — Ach rebe, wie ich denke, und
Ordnung muß fein.
„Uebel? Herzchen, was könnt' id Dir fibel nehmen. Ich Tage
Dir's vielmehr im Voraus zu. Du haft Recht, Ordnung über
Alles!“
„Wie Ihr doch gut und liebenswürdig ſeid!“ rief das Mädchen
aus und ſah ihn mit einem bezaubernden Blicke an, der ihn alle
Höllenqual vergeſſen ließ, welche ihm auf der vermaledeiten Fahrt
in Ausſicht geſtellt worden war.
„Ihr wiſſet,“ ſagte ſie und lächelte, „mein Vater hat zwar
eine fatale Schiffergewohnheit, ich meine das ekelhafte „Prümchen,“
doch nicht die allerekelhafteſte des Rauchens. Das wäre abſolut
mein Tod. Ich kann den giftigen Qualm nicht vertragen, ohne
daß ich krank werde. Da Ihr mir's nun bereits zugeſagt, ſo halte
— 2883. — /
ih Euch beim Worte, bag Ihr nicht rauchet im Schiffe, was ohnehin
polizetfich verboten tfl, von wegen ber Feuersgefahr. Es fieht Euch
auch gar übel an. Ahr wäret ein doppelt liebenswürdiger Mann,
wenn Ihr ber Pfeife Valet gäbe. Sch ſag's Euch im Findlichen
Bertrauen, ich heiratbe nie einen Mann, ber raucht, ſchnupft oder
ein „Prinnchen“ zerarbeitet. Das ift Grundfag bei mir, und ber.
—* nicht.” -
Berlefick fiel fchier vor Schrecken in Ohnmacht. Er war einer
der ſtärkſten Raucher, und es koſtete ihn eine rieſenhafte Ueberwin⸗
dung, ſo lange die Pfeife zu entbehren, als er bei Guſtelchen zu
Beſuche war. Acht Tage ohne Rauchen! Und er war durch ſeine
Galanterie gebunden. „O ber gute Rector!“ ſeufte er, „der trägt
ſein dickes Ehekreuz, aber ich fürchte, das Guſtelchen macht ſeine
Sophie noch gut! So ein Stück Weib kann einem das Leben ver-
ſalzen und verpfeffern! Ach, was ſoll das werden? Acht Tage? Ja,
das ganze Leben! Nein, das ertrag' ich nicht. Die Fiſche im Rheine
oder Maine werden meinen Leichnam verſpeiſen! Ach!“
Guſtelchen hörte den Seufzer.
„Ach, Herr Nachbar,“ ſprach ſie ſchmelzend, „es thut mir
herzlich keid, daß ich Euch ſolche Entſagung auflegen muß. Es iſt
aber ja nur auf acht Tage; dann ſeid Ihr wieder frei. Ich ſterbe
Een durch ben Tabaksqualm. Meine Bruft ift fo ſchwach, daß
fie ihn nicht eine Stunde erträgt.”
„Was das Launen find!” dachte Berlefid. „Man follte gar
nicht meinen, daß in fo einem fchönen Köpfchen folche barocke Dinge
außgehedt werden Tönnten? Wenn die erſt älter wird? O Jemine!
Lüg’ du und ber Kuckuck! Schwache Bruſt? Singt den ganzen
Tag, daß man fir auf dem Sanct Werner Hört! Daß bi Gott
beffere, du fchöne Here!’
„Run noch Eins! Die Tage der Fahrt gehen herum. Ihr
jolt fehen, wie ich Euch unterhaltel Aber in Frankfurt dürft' Ihr
nicht umbergeben, wie bier! Das if die Stabt der Mode. Da
-
— 24 —
müßt Ihr Euch puben, jonft feld Ihr dem Uz und Spott auögefekt.
Nicht wahr, das wollet Ihr nicht, befonber, wen Ihr mich auf
die Meffe führt?”
„Bei Leibe nein!’ rief Berlefikk — „aber —“
„Macht Euch Leine Sorgen barüber, wie Ahr die Mobe
erfahret; fehet nur den Herrn Rector an. Der ift nach ber neueften
Frankfurter Mode gefleivet und frifirt. Kürzlih war auch Euer
Vetter Ferdinand hier, ber fagte —“
Bei dem Namen Ferdinand zudte Berlefick zufammen, als hätte
ihn eine Zarantel geflohen. Er wurde Treibebleich.
„Iſt Euch Etwas?" fragte Guſtelchen beforgt. „Vielleicht bag
Herzwafler? Sol id Euch ein Neumieber Kümmelchen Holen 2
„Dante, danke!“ fagte Berlefil. „Es ift nichts! Fahre nur
fort, Du füßes Plaudermäulchen!‘‘
„Nun, ber Ferdinand erzählte mir, in Frankfurt trage alle
Welt Perüden. Wer bie nicht trage, werbe verhöhnt. Und Ihr
traget noch Euer altmodifhes Haar. Ich begreife Euch ohnehin
nicht!" —
„Ich, eine Atzel?“ rief Berlefil. „Cine Adel?”
Guftelhen wollte berften vor Lachen. „Seid Ihr fo dagegen?’
fragte fie. ‚Aber dag hilft einmal nichts. Mit den Wölfen muß
man heulen. Ich denke, Ahr werbet mich doch. einmal in ben
Braunfeld und über die Mefje und in bie Schaububden auf bem
Roßmarkt führen ?'‘
„Verſteht ſich,“ erwiederte Berlefick mit Selbitgefühl.
„Aber meinet Ihr, ich wollte ed erleben, daß mein Cavalier
ausgelacht würbe? Ach ſänke in die Erbe vor Scham und Xerger !
Ich Tenne ohnehin nichts Schöneres, Geſchmackvolleres und Kleib-
fameres, al3 ben neuen Anzug bed Herren Rectors. Wie er, fo
gebt ganz Frankfurt. Schneeweißer Rod vom feinften Tuche;
purpurrothe Atlaswefte; ſchwarze Sammthoſen mit filhernen Snie=
ſchnallen; weiße ſeidene Strüinpfe und Sabots mit großen Schnallen ;
*
— 286 —
dazu einen feinen Hut und ein Meerrohr mit goldenem Knopfe.
Herr, das müßte Euch wundergut kleiden und ich würde mich
freuen, Euch einmal in ſolcher Kleidung zu ſehen! Sie iſt zum
Küſſen ſchön, dieſe Tracht! Und wir haben hier einen Friſeur, wie
er weit und breit nicht zu finden iſt, nämlich den alten Stübing,
der hat in Paris ſeine Studien gemacht! Laßt Euch doch eine
Perücke machen! Ohne fie könnet Ihr nicht reiſen und Euch nirgends
ſehen laſſen. Hier, in unſerem Bacharach, wären wir hundert
Jahre zurück, wenn nicht ber vortreffliche Herr Rector wäre! Der
zeigt uns den Fortſchritt der Zeit und ber Bildung. Ohne ben
"verfämen wir völlig. Darum nehmet Euch ihn zum Vorbild, wenn
Ihr gefallen wollet.“
Und dabei lächelte ſie wieder, daß es dem guten Berlefick zu
ſchwindeln anfing, als hätte er einige Rüge über das tägliche
Maß geleert.
Als er nah Haufe Fam, ſetzte er ſich in den Sorgſeſſel und
ließ die ganze Unterredung mit Guſtelchen an ſich vorübergehen.
„Unerhörte Zumuthungen!“ rief er aus. „Grauſiges Pan:
toffelregiment, aber ich habe A geſagt und muß B ſagen. Sollte
mir gar der miſerabele Ferdinand den Rang ablaufen, der gewiß
in ſolchem Kleide einhergeht? — Nein!“ ſagte er und rief: „Rofina,
den Schneider Praſſel, den Friſeur Stübing, den Schuſter Schüppert
rufen. Raſch!“
Rofina dachte: „Da brennt's“ und Tief, was fie laufen konnte.
Die Meiſter kamen. Sie legte ihr Ohr an den Schalter und
hörte Alles. Auf's Koſtbarſte beſtellte er den Anzug. Sie nahmen
die Maße und Stübing ſagte: „So eine Perücke ſoll der Burger⸗
meiſter von Frankfurt nicht haben. Meiner Sir!"
Bid zum folgenden Sonntag follte und mußte Alles fertig fein.
Auch ben feinften Hut beforgte Stübing von Bingen.
„Den Sonntag werde ih fie freudig überrafchen!” fagte
Berlefil und fchnalzte mit dem Daumen und Mittelfinger, wie ein
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— 286 —
tanzender Tyroler. Eine Stunde ſpäter wußte Guſtelchen Alles
durch die alte Roſina und beugte ſich vor Lachen.
Der Sonntag kam. Berlefick ſtand ſchon eine Stunde vor
dem Kirchgeläute vor dem Spiegel fir und fertig und betrachtete
fi wohlgefälig. „Meiner Seel'!“ fagte er, „die Abel fieht mir
gut. Hätt's nie geglaubt!’ . '
Als es zu läuten begann, fand er an ber Thüre und Tugte
durch die Nike. Als Eidam's Thüre aufging und ber alte Schiffer
mit dem roſigen Guſtelchen beraustrat, riß er bie Xhüre weit
auf, ſchoß hinüber und machte Kratzfüße mit einem jo ſelbſtgenüg⸗
Samen Gefichte, daß es Jedem erfcheinen mußte, al wolle er
fragen, ob man aud bie Wandelung beachte, bie feine liebliche
Erfcheinung erfahren und die eine fo totale fei, daß er ſelbſt
darüber erftaune.
Guſtelchen koſtete eg eine riefenhafte Ueberwindung, nicht in
ein - lautes Gelächter auszubrechen, benn das bläulich-roth ange
Yaufene Geſicht, die Nafe mit dem Metallglanze nahmen ſich unter
ber weißen Perüde entfegliche fomifch aus. Alle Welt flaunte. Das
junge Volk Ticherte und Tachte, je nachdem es bem Gegenftande .
ber allgemeinen Aufmerffamkeit näher ober entfernter war. Er
ging mit Eibam, ber fich ſtolz trug neben dem reichen fünftigen
Schwiegerſohne; Guſtelchen aber ſchloß ſich wohlweislih an bie
Nachbartöchter an, bie es dennoch nicht laſſen Tonnten, fie mit
Berlefid zu necken. Sie zog fich klug aus ber Affaire, denn fie lächelte
und meinte: Bei den Alten fei man gut gehalten. Das jchloß ihnen
ben Mund und ließ es zweifelhaft, ob ed Ernſt oder Scherz gewejen.
Der Rector traute feinen Augen faum, als Berlefid an feinem
. Haufe vorüberging.
„Seh' ih mir ben alten Hageftol; an,’ rief er aus und zog
feine Sophie an's Fenſter, bie laut auflachte, fo erinnere ich mich
feine Uzes auf bie Ateln und nun trägt er einel Es muß ihm
unter ber Perüde ein Weniges rappeln?“
d
— 297 —
„Möglich,“ ſagte Sophie; aber bie Macht bed Weibes feierte
bier einen Triumph, wie felten einen höhern. Sie wußte mehr,
als fie fagte.
4.
Es war an einem etwas fpäten Nachmittag, als von Pferden
träge gezogen, das Bacharacher Meßſchiff fih den Umgebungen
von Frankfurt näherte. Berlefid fland am Bugfpriet und blickte
fehnfühtig nach ben Thürmen ber Reichsſtadt, fehnfüchtig wie
Einer, ber bie Wüfte durchwandert hat, auf bie erften Palmen-
wipfel fchaut, bie über bad Sandmeer beraufweben. Was. er
durchgemacht, außgeftanben, gelitten in acht entfeßlichen Tagen, das
drüden Worte nicht aus, aber es ſtand leſerlich auf feinen gelb-
bleichen, eingefallenen Zügen gefchrieben, in feinem trüben, boblen
Auge, in ber ganzen ſchlaffen Haltung feiner Geftal. Er war
vom Fleiſche gefallen, baß der Rod um ihn fchlotterte. And wer
das Alles veranlaßt, das war Guſtelchen mit ihren Launen, ihrem
baroden Geſchmack für Unterhaltung, ihrer Abneigung gegen die
Pfeife und gegen das Weintrinfen. Hätte er noch bie gehörige
Nachtruhe gehabt! Aber in dem engen Raume, in bem er lag,
war ed nicht auszuhalten gewefen und allerlei Unweſen war in
dem Bett. Bald. rafchelte eine Maus brinnen herum, bald Trabbel-
ten Käfer über fein Geficht, bald Ing Sand in bem Linnen, bald
Nußſchalen, und es war, ald ob ein böfer Geift jebe Nacht auf,
etwas Anderes ſänne, ihm ben Schlaf zu rauben. Gelbft geſchah
ed einmal, dag, ala Nachts Regen fiel, das Gefüge ber Bretter
ber überwölbten Dede nicht gehörig geftopft und Talfatert war
und der Regen durch ein Loch wie ein riefelnbes Büchlein auf
ihn rann. Das waren unabweisbare Mißſtände eines fo engen
Haushalts, wie er auf einem Rheinſchiffe nicht anders fein konnte,
wie Berlefick, nicht ahnend bie neckende Bosheit eines Buben,
— 288 —
meinte; e8 hätte fi) das Alles einmal überwinden lafſen, aber
— aber — bes Mädchens Launen waren ?Tolofjal; fie wären, hätte
fie fie nicht mit einer Engelsfreundlichkeit begleitet, rein zum
Desperatiwerben geweſen.
Erflih mußte er jeben Nachmittag von Eins bis Zünf, ja
bis Sechs ruhig bafiten und Garnftränge halten. Sie widelte
unendlich" langfam, trieb Kurzweil und Poſſen dabei, und wenn
ihm, weil er Nachts nicht fchlafen Tonnte, bie Augen zuftelen und
er fih vor Schlaf nicht Halten konnte, Tchalt fie ihn ungalant und
meinte, ein Anderer ihr gegenüber würbe bei zwanzigtägigem
Wachen Feinen Schlaf kriegen. Welche unerhörte Eitefleit und
Selbſtüberſchätzung war das! Gr hätte fie dem einfachen Bürger-
mäbchen nie zugetraut. Ja einige Male fprübte fie ihm Waffer
in’3 Gefiht, baß er fo naß war, wie eine begofiene Kate. Es
war eine reine Folterqual, bie er ausſtand. Jeden Morgen putzte
fie fi ftundenlang und fragte dann hundertmal, ob er auch glaube,
daß fie fo den jungen Herren in Frankfurt gefiel: 2 — Mit bem
Kochen ging es fo ſchlecht, daß Eidam wetterte und ‚aate: „Daheim
kochſt Du fo gut, und auch fonft, wenn Du mitfährft auf dem
Schiff, aber alle Mittage regelmäßig verfalzte Suppı . halbgares
Fleifch, angebranntes Gemüſe,“ — es hielt’3 kaum ein 'tenih au.
Sein Flaſchenkeller mußte vom Schiffe und feine Thonpfeifen warf
fie von der Bank, fammt dem Käftlein, daß fie alle in tauſend
Scherben gingen, und doch wollte er ja auf dem Schiffe gar nicht
rauhen! Während de Garnwickelns entwidelte fie ihren Lebens⸗
plan ala Hausfrau. Himmel und Erdel Es graufete Berlefid
vor folcher Wirthſchaft. Denn da follten alle acht Tage Kaffeevifiten
gehalten werben und in allen follte die Frau Rectorin Sophie
parabdiren, auf bie fie dicke Stüde hielt, und bie Raifonnir- Raspel
und no fo ein paar alte Regifter, die berühmt waren wegen
ihrer böfen Zungen. Junge, fagte fie, würde fie nie einlaben,
benn ihr fehlimmfter Fehler fei eine entſetzliche Eiferſucht, die fie
— 289 —
nicht ruhen und raften Kaffee Da hörte Alles auf, und Berfeftd
wurbe täglich bedenklicher und ernſter.
Der Unmuth, welcher fich feiner Seele bemeiſterte, wuchs mit.
jeder Minute, und in eben dem Maße wuchs fein leibliches Uebel⸗
beſtnden, welches aus dem Enthalten altgemohrnter Bedürfnifſe
entfprang, als da waren: Tabakrauchen und Weintrinken. Wer
bie Macht folder Bebürfniffe in der Jahren Berleſicks Tennt,
begreift ed, wie es um ihn fand. Und das unbarmberzige
Mädchen hatte Feine Augen für feine Notb, Fein Gefühl für feinen
Sammer! | “
„Es Tiegt etwas Diabolifches in dem Mädchen!‘ rief er auß.
„Wer hätte das benfen follen? So fchön unb fo boahaft? —
Nun frag’ ih aber, wenn das am grimen Holze annähernben
Brautflandes als Blüthe ericheint, wie wirb bie reifende Frucht bes
Eheftandes fein? Wenn fi folde Tücken in ber blühenden Mai—⸗
zeit des Leben? zeigen, wie wird's werben, wenn einmal das Alter
biefe Launen Üx%fleinert, diefe Tücken giftiger macht?
Das warkn Vorſtellungen, welche im ber Dual fchlaflofer Nächte
feinen Geiſtedeunruhigten und ihn enblih bahin braten, daß an
die Stelle ber Liebe eine ſtarke Abneigung trat; daß er den Gedanken
verwünfck bad Mädchen freien zu wollen; daß er feinem Jung:
gefellenftande eine Lobrede über die andere hielt. Freilich — wein
nun ber Morgen fam und das Mädchen frifch und blühend, wie
ber junge Tag, aus ihrem Meinen Schkafbehälter trat und ihn an⸗
lachelte — ja — dann zerftob bag Alles wieder, wie Nebel vor der
Some. Indeſſen fehrten dann body die reumüthigen Gebanfen
bald wieder zurüd und immer öfter umd ſtärker, und ſelbſt dte
liebreizendſte Huld konnte am Ende nicht mehr Das bewältigen,
was ferne Seele einnahm und je mehr und mehr beherrfchte. Dazu
wuchs fein leiblich Uebelbefinden mit jedem Tag.
Enbdlich erblickte er Frankfurt. „Victoria!“ rief er im Inner⸗
ften feiner Seele aus. „Victotia! Nun will ih an's Land und
Horn’s Erzählungen. IX. 19
— 290 —
reichlich nachholen, was dieſes vermaledeite Meßſchiff mir als Qual
bereitete!“
Kaum war dad Schiff vor Anker gegangen und ber breite,
folide Steg auf das Ufer gelegt, da fchlich Berlefick hinaus umb
an's Ufer, um ein Wirthshaus aufzuſuchen, wo er trinken und
rauchen fünne, fern von der Macht eines Weſens, das mit feinen
Launen auf dem Schiffe herrfchte, wie der Sultan in ber Türfei
und noch Ärger.
Das Wirthshaus war bald gefunden unb auch eine Pfeife
und Tabal. Da firömte neues Leben durch feine Adern. Ein
Nebel bob ſich von feinem Geifte, eine Weltlaft von feiner Bruft.
Er z0g den Rauch gierig ein und ließ ihn durch bie Nafe, um den
Genuß doppelt zu haben. Der köſtlichſte Hochheimer perlte wor
ibm im Glafe und glitt binunter wie Nektar. Die Umwandlung
war wunderbar, die mit ihm vorging. AU fein Leib und Web,
Gebrefte und Noth verfhwand, und es war ihm zu Muthe, ala
kehre feine Jugend zurück.
Als gänzlich fremd ſaß er allein in einer Ede. Wie hätte er
aber auch der Unterhaltung beburft? Daß aber da Vergleiche nicht
ausblieben, war natürlich. Er dachte dieſes feligen Alleinlebens,
ber Herrlichkeit ber Selbfiherrfchaft, bed Wohlſeins des Jung:
gefellenftandeg — und bes Fnechtifchen Joches ber Frauenherrſchaft;
ber wunbbrüdenden Feſſeln weiblicher Laune und Tücke; des
Beugend unter einen fremden Willen; der täglich fich erneuernden
Dualen des Nichtrauchens und des Waffertrinfen? — fu — es
reifte ein Entſchluß in feiner Seele, den er übrigens auszuſprechen
fih hüten wollte. Er war zu weit vorgegangen, um plöblich zu
breden. Er wollte allmälig zurüdgehen unb es dahin bringen,
bag bag Mädchen felbft erflären müfje, fie wolle ihn nicht. Aber
da trat das reizende Bild wieder vor fein Auge und drohte, alle
Entſchlüſſe rein zu nichte zu machen, die er gefaßt hatte. Er trank,
um Courage zu friegen, und gine Flaſche folgte der andern, eine
— 91 —
Pfeife der andern, bis ein Dufel feine Seele umfing und nun der
Wein erft recht fchmedte und erſt recht zu wirken anfing. Nach
einer halben Stunde war er völlig trunfen und fanf in einen tiefen
Schlaf. Weckte man ihn aus folgen Sclafe, dann mwurbe er
raſend und ſchlug blind um fidh.
Pitt hatte immer ein ſcharfes Auge auf ihn und fah ihn weg-
fehleihen. Der Schelm ahnte, um was es ſich handelte, und ſchlich
ibm nad, bis er ihn in ber Thüre des Wirthshauſes verfchwinden
ſah. Er kehrte auf's Schiff zurüd, ſchlich zu Guſtelchen und refe⸗
rirte, wo denn ein lautes Lachen die unabweisbare Folge war.
Vater Eidam bemerfte in feiner Geſchäftigkeit gar nicht, was
da auf dem Schiffe geſchah. Es war Vieles zu beſchicken, zu ordnen,
zu beforgen; denn je früher das Zelt fertig war, befto eher fein
Gewinn anging, ber um fo größer in Ausficht fand, als Berlefick
ihm köſtlichen Wein zu fpottbilligem Preis erlaffen. Da mußte er
zum Schreinermeifter laufen, daß er ihm bie Borde beforge und das
Zelt rüfte, und dergleichen mehr. In biefer Gefchäftigfeit floffen
bie Stunden bin, bi? das Dunkel eintrat.
Da ſchlich ein netter, junger Mann in ber anftändigftien Klei⸗
dung vom Schiffe und zwei fchöne, freubeftrahlende Augen beglei-
teten ihn. Pitt Tief nebenher und bezeichnete das Wirthshaus, in
beifen Thüre Berlefick verſchwunden war.
Diefer ſchlief unterdeſſen in einer Edle hart und feft.
Pitt trat in die Stube und fragte ben Wirth, ob nicht ein
Herr, den er befchrieb, hier eingefehrt fei, worauf der Wirth lachend
in die Ede deutete, wo Berlefick ſchlief. Pitt ſchlich zu ibm hin
und da er feft fchlief, zog er ihm mit großer Gemwanbtheit ben
Beldbeutel aus der Tafche und verbarg ihn in der feinigen; als⸗
dann Fehrte er zum Wirthe zurüd, der Gläfer orbnete, und fagte:
„Der fchläft wie ein Sadl Ich Friege ihn nit wach. Ruüttelt
Kr ihn wach, ich will Hülfe holen, daß wir ihn an Borb bringen,
denn er gehört auf unfer Schiff.”
19°
— mM —
‚Der Wirth ging zu Berlefick und rüttelte ihn.
. Zormig fuhr er endlich auf und ſchlug dem Wirth in's Gaſicht.
„Was me Du mich?“ rieß er aus, und ein zweiter Schlag
felgte in rayider Schnelligkeit dem erſten, benu ber Raufg war
noch nicht vorüber.
Der Wirth flammte aus Sachſenhauſen und war nicht geneigt,
unerwiderte Püffe hinzunehmen. Schlag auf Schlag folgte ram
und Träftig; aber Berlefick war dem Eräftigen Wirte geranchjen,
zumal er no trunken mar. Durch das Geſchrei berbeigerufen,
trat ein Knecht für feinen Herrn auf ben Hampfplatz, ber Berleſiek
halb zu: Baden geichlngen Hatte und ebem im Begriffe war, einige
Stadtknechte oder Geleitöreiter zu. rufen, welche bie. Polizei übte,
als Ferdinand mit Pitt: hereinſtürmte und ben Knecht. zurückdrängte.
„Was gibt's denn?“ rief er. „Ih höre, daß bier eim
werther Verwandter nen mir mißhandelt werde?“ 5
„Was? Mißhandelt?“ vief fchlunnend ber Wirth, „Angefallen
bat mich bey Menfch wie ein Bandit! Dort liegt er und bat einen
Denkzettel von Sachſenhäuſer Fäuften! Mein Peter bat ihn zurecht-
‘getrommelt, abeu auf bie Mehlwage muß er! Ich will mein Recht
ſuchen! In meinem Haufe hat er mich angefallen und wich blut⸗
runſtig gefchlagen. Ich bin ein freier Reichsbürger!“
„Am Alles bitt? ih Euch,“ flebte Ferdinand, „wacht Feine
Händel, Her Wird. Er iſt ein grundbraver Mann. Vielleicht
war er. etwas ſchlaftrunken.
„Ja, ſchlaftrunken? Meintrunfen war er und bat, fait za
bezahlese, mich. angefallen. Thut das ein ehrlicher Mann? Hab?‘
ſchrie der Wirth.
„Stille nur; er if ein veicher Mann, der Euch tauſendmab
Das zahlen kann und wird, was er verzehrt bat. Macht na
feinen Lärm!’ bat Ferdinand.
Er gab dem Wirthe die beſten Worte, bi dieſer ſich endlich
beruhigte und ein va holte.
— 283 —
- Berlefil war, betkubt ven den Schlägen des Knechtes und
des Wirthes, zufammengeſtürzt, doch aber gleich wieder zu ſich
gelommen. Sein Rauſch war vorbei. Er hörte die Stimme und
horchte auf. Ja, das war Ferdinand, der ſo liebevoll für ihn
Meat. Et erfanute feine Stimme Verlefick kroch unter dem
Tiſche heraus and Fand eben aufrecht, als das Lit Tom. Daß
Blut ram ihm über das Geficht herab und gab Ihm. einen entſetz⸗
lichen Aublid.
Seht lenkte der Wirth em und holde Waffer und einen
Schwamm. Ferdinand reinigte ihn und ‚gab ihm die engelsbeſten
Worte, ſich ruhig zu halten. Dies Ermahnen und Bitten fand
Anklang bei Berlefick. Dadurch aber flieg des Wirthes Muſh
wieber, ber mit ben Stadtknechten auf's Neue zu broben begann.
Ferdinand machte ihn darauf aufmerkſam, daß er gegen ihn zeugen
- müßte, und fchlichtete endlich, zu Berleftck's Freude, den unange
nehmen Hanbel.
Als aber der Wirth bie Seche forderte und Berleſick bezahlen
wollte, fehlte ihm ber Geldbeutel. Dies mwedte feinen Zorn auf%
Neue und veizte ben Wirth fo, daß wieber ein neuer und Hefligerer
Hader zu entbrennen begann. Auch jetzt verfuchte Ferdinand mit
Gluͤck daB Vermittleramt, während der diebifche Pitt mit großer
Energie b’rem zu reben begann, inben er -nerficherte, ein Man, .
wie der reihe Herr Berlefid, gebe nie aus ohne einen wohl
geſpickten Beutel; ber habe goldene Müden und beren mehr, als
der Virth kupferne.
Berlefick erinnerte ſich, daß er ziemlich viel Geld in ſeinem
Beutel gehabt habe; allein er war abhanden gekommen. — Wie?
Das wußte Niemand, jo wenig als wo und wann? Denn‘ weder
dem Wirthe, noch Den beiden Anderen kam e8 in ben Sinn, einen
Vetdacht auf ben Schiffsjungen zu werfen, ber ſich :fo Pad benahm
> auch bei: feinem Diebſtahle geſchickt ſich benommen.
Um ben Handel zu ſchlichten, zahlte Ferdinend bie Zeche und
— 4 —
verſetzte, ba fein Gelb nicht ausreichte, feine Uhr. Damit war
denn für's Erſte der Wirth zufrieden, und Ferdinand und Pitt
begleiteten Berlefik, der über entſebliches Kopfweh klagte, hinaus
und dem Meßſchiffe zu.
Se mehr Berlefick von feinem Raufche genas, deſto mehr Tonnte
ex bie fatale Lage Überbliden, in welcher er fih an bem fremden
Orte befunden, und deſto höher fchlug er ben ihm von Ferdinand
eriwiefenen Liebesdienft an, welchen offenbar ein guter Geift gerabe
zur guten Stunde herbeigeführt hatte.
Er ließ fi von ihm führen, benn die Schläge des Knechtes,
ber ſich wohlweislich aus der Affaire gezogen hatte, ließen ihre
Wirfung mehr und mehr hervortreten in heftigem Schmerz in den
Schultern, am Rüden und in den Seiten, wie nicht minder am
‚Kopfe Es waren Püffe gewefen, bie fich ein folives Denkmal in
blauen Flecken geftiftet Hatten.
So brachte ihn Ferdinand in das Sarf, wo Eidam in großer
Angſt ſeinetwegen geweſen war. Guſtelchen ſchlug aber bei ſeinem
Anblick die Hände zuſammen, denn ſein Kleid war zerriſſen und
bot einen Anblick der Verwüſtung dar, welcher ſchreckenerregend war.
Es war ein Glück geweſen, daß er ſeine Staatsperücke nicht getragen.
„Seht Ihr, Herr Nachbar,” fagte fie, „dag iſt die Folge über:
tretener Schiffsordnung. Hättet Ihr Waſſer getrunken, jo wär”.
das Euch Alles nicht paffirt. Und geraucht habt Ihr au? Pfui,
ih rieche es.“ Damit wandte fie fih und ging nad der Küche.
„Das fehlt noch,” ſeufzte Berlefil, „daß ich, fratt Mitleid
mit meinen gerfchlagenen Gliedmaßen zu finden, eine Strafftand:
rede anhören muß! Lieber, guter Ferdinand, bringe mich in mein
Schlafpläglein.” Diefer führte ihn hinab. Dort half er ihm fi
entkleiden. Berlefick ſchloß ein Käftlein auf, griff blind hinein und
reichte Ferdinand Geld, ohne es zu. zählen. „Da, mein guter
Junge,“ fagte er, „haft Du Gelb für Deine Auslage und um
Keine Uhr einzuldfen.”
— 295 —
„Es iſt zu viel, Herr Better,” entgegnete Ferdinand abwehrend;
aber das half nichts. Er mußte es behalten und verſprechen,
Niemandem von den Bacharacher Gerbern und Krämern, die auf
der Meſſe anweſend ſeien, Etwas von dem Vorgefallenen zu
erzählen. Dann dankte er auf's Wärmſte für feinen Beiſtand und
ſeine aufopfernde Bereitwilligkeit, ihm zu dienen, und Ferdinand
ging, um bei Guſtelchen noch ein Stündchen zu plaudern, wo denn
auch Peter Eidam die Vorfälle kennen lernte, und meinte, das ſei
die Frucht des langen Faſtens, welches ihm Guſtelchen auf dem
Schiff auferlegt. Dennoch konnte der Schiffer ſich nicht entbrechen,
in das herzliche Lachen der jungen Leute einzuſtimmen — und
geheimen Zweifeln Raum zu geben, ob jemals aus der beabfichtigten
Verbindung etwas werden würde.
Derweilen lag Berlefick in feinem Bett in einer fieberiſchen
Gluth und verwünfcte das Meßſchiff und das Mädchen, melches
er ber Urbeberfchaft an diefem Malheur, wie er fich gelinde aus:
drüdte, inbiveft anflagen mußte Was hätte er d'rum gegeben,
ſäße er in feinem weichen Sorgfeffel daheim und könnte eine Flaſche
Leimbacher als Sorgen: und Schmerzenftiller leeren? Je ſchwärzer
ibm bed Mädchens Thun erfchien, deſto helleres Licht fiel auf
Ferdinands Benehmen. Bittere Neue erfüllte fein Herz bei dem
Gedanken, wie er ben alten Wink gezwidt und mit Einflagen feiner
Darlchen gebroht, biß er den braven Jungen fortgejagt. In etwas
berubigte e8 ihn, daß er Ihm ein bübfches Röllchen Kronenthaler
in die Hand gebrüdt hatte; aber ber Wurm der Neue über fein
Verhalten gegen Ferdinand wühlte boch fort und fort noch in feinem
Innern. Ruhelos und ächzend warf er ſich auf ſeinem Lager
herum, bis endlich fpät ber Schlaf ihn feinen Vorwürfen unb
feinen Schmerzen enthob.
Unterdeffen faß ber Tagedieb Pitt in feiner Koje und zählte
das Geld in Berlefick's Beutel, welden er ihm entwendet batte.
Den Beutel warf er in ben Main; das Gelb aber widelte er
— MM —
ſorgfältig ein und verbarg es in einem Winkel feiner Koje. AU-
mãlig wurde es am Ufer ſtille und die Nacht legte ihren Schleier
über die Begebenheiten dieſes Abends, der für Berlefick am ſchlimmſten
geworden war und ihn ohne Ferdinands Dazwiſchenkunft leicht noch
in polizeilichen Gewahrſam hätte bringen können.
—
5.
Als Berlefick am andern Morgen erwachte, war er faſt an
allen Gliedern gelähmt. Sie ſchmerzten ihn entſetzlich, und als
Pitt nach ihm ſah, rief der Strick: „Ihr ſeid ſo blau im Geſicht,
als hätt! Euch ein Blaufärber getunkt! Und blutrünſtig ſeid Ihr
dazu! Ihr könnt Euch vor keinem Menſchen ſehen lafſen.“
„Das iſt ohnehin vorbei,” feufzte Berlefick, „denn ih kann
‚ein Glied regen. Die Burfchen haben mich gebrofchen, daß ich
d’ran zu tragen haben merde. Rufe mir einen Chirurgus.“
Pitt ging und dachte: „Damit hat’3 noch Zeit. Was brauche
ih um ben Alten in ber Stadt herum zu laufen, bis ich fo einen
Barbutz finde!“
Der ſchlenderte hinauf und lungerte auf dem Verdeck herum,
wo jetzt eine Heidenwirthſchaft begann. Es wurde ausgeladen,
was an Leber im Schiffe war, und wenn fo eine trockene Sohl⸗
leberhaut anf bag Vorberbed geworfen wurde, bebte das Schiff
bis in Berlefil’3 Koje, daß er zuſammenfuhr. Schürger find
überall Gefellen, deren Manierlichleit und VBefcheibenheit mit Fug
und Grund in erhebliche Zweifel zu ziehen find. Auch diefe waren
der Art, daß das Befle, was aus ihrem Munde ging, Schimpfen
und Fluchen war, was fie mit aller Macht einer Aepfelweinkehle
thaten. Das Hang da unten in der engen Zelle, wo Berleid
jene Clauſur aushielt, wie ferner Donner. Dies wäre jedoch
Alles noch zu ertragen geweſen, wenn nicht Schreiner und Zimmer:
leute jetzt gerade über feinem zerſchellten Kopfe zu fügen, zu bobeln,
— 9 —
zu hümmern und zu klopfen angefangen hätten, daß ein &ejunder
mit Marem Kopfe juftement bespernt geworben wäre. Sie arbeiteten
an ben Schenkzelt über feinem Kopf, und er hatte, was bie
Neuzeit einen Rabenjammer nennt, im höchſten Grabe Kopfiveh,
Schwindel, Unbehagen, und bazu kam nun ber Äuferliche Schmerz
von dem Serbläuen ber. Fäuſte des Wirthes und bed Knechtes,
der Uerger, daß er vor den Mädchen Sich blamirt und von ihr,
ber nafeweifen Dirne, eine Strafrede und Levitenlefen hatte ein-
fieden müffen, und nun bier lag in einem Raume, ber fo enge
war, daß ihm jchier das Bischen Lebenzluft ausging, beffen er
beburfte in feinem Elend. Es war zum Verzweifeln! Schmerz,
Aerger, Grimm zerarbeiteten ſich in feinem Innern, als es an die
Thüre feiner Kajüte Flopfte, ald wäre bag Fingerchen von Sammt,
und ein melodifhes Stimmchen fragte: „Darf und Tann ih einmal
Öffnen 2 | i .
Wie wenn die Sonne durch bie Nebel. bricht, fuhr plötzlich
ein wunderſamlich verflärenber Lichtſtrahl über das Antlitz des
armen Dulderd und gab ihm einen von bem früheren völlig ver-
ſchiedenen Ausdrud.
„Sie iſt's!“ rief in ihm. „Sie denft an mich! Sie hat
doch noch ein Herz für mich und bereut gewiß ihr naſeweiſes Ge:
ſchwätze von geftern.”
„Herein nur, mein Engelchen!“ vief er freubig bemegt, und
alles Herzeleid war vergefien.
Guſtelchen hatte den Kaffee auf einem Vorſtellbrette, Bffmete
die fchmale Türe und ließ ihr heibfeliges Geſichtlein erſcheinen.
Aber beinahe hätte fie Kaffee, Milchbrod und Zuder mit einem
Plumps zur Erde fallen laſſen, benn ſie brach bei ſeinem Anblid
im ein unmähiges Gelächter aus.
Berlefick's Hikfopf und Jähzorn regte ſich gewaltig, allein er .
verfuchte ihn zu bändigen, was ihm einigermaßen gelang.
— 8 —
„Was iſt denn fo zu Jacken?” rief er mit zornzitternder
Stimme „Ich follte denken, daß ich eher Mitleid verdiente.‘
Guſtelchen rang und rang, aber immer auf’3 Neue Übermannte
fie der Lachreiz, und ein wahrer Sturm brach los. Endlich wurde
fie Herr über fidy, aber ftatt ihm Rebe zu ſtehen, flellte fie ben
Kaffee auf das winzige Tifchlein vor feinen Peinlager und eilte
hinweg, kam jeboch alsbald mit einem Spiegel wieder und hielt
ihm den vor.
„Seht ſelbſt,“ ſagte fie lachend, „ob ich dem Lachreiz wiber-
ſtehen konnte?“
Berlefick blickte in den Spiegel und lachte ſelbſt, trotz Schmerz,
Grimm und Aerger laut auf; denn in ſeinem Geſichte ſah man
Gelb, Grün, Blau und Schwarz in wunderſamen Uebergängen bis
zur intenſivſten Stärke und Sättigung, und namentlich hatte fi
ber blaue Metallanlauf der Nafe in ein dunfles Blau verwandelt,
das faſt ſchwarz genannt werden fonnte. Auf allen biefen Farben:
Nuancen, durch welche fein Geficht einige Aehnlichfeit mit ber
Palette eines Malers erhielt, thronte eine ſchneeweiße baumwollene
Troddelmütze, weit über die Ohren heruntergezogen, unb bildete
einen höchſt wirffamen Contraft.
Guſtelchen reichte ihm jeßt die Hand und fagte: „Da Ahr
nun felber mit Eurem Lachen das meine gerechtfertigt habt, fo
Iaffet uns jeßt vernünftig werden!’ Sie ftellte ben Spiegel weg;
aber troß bed Vorſatzes, vernünftig zu werben, zudte ihr ſchönes
Geſichtchen dann und warn noch einmal, und jelbft wenn ihr
füßer Mund recht verftändiglich rebete, war Berlefick jede Minute
gewärtig, daß wieder urpläglih jo ein Lachorkan losbrach. Er
war verſöhnt. Sie ſprach gar zu lieb, theilnehmend und freumblich;
bedauerte den unfeligen Rumor auf bem Verbed und goß ihm den
‚ Kaffee ein.
Berlefick hatte Feinen Appetit, aber in ber Weije „mußte er
u 298
— ——
trinfen und effen, und Beides ſchmeckte koöſtlich. Er vergaß al’ fein
Leid in der Nähe des Mädchens wieder.
Endlich ſagte er: „Iſt denn Pitt zu einem Chirurgus ge⸗
gangen?“
„Nein,“ ſagte Guſtelchen darauf. „Er lungert oben herum.
Ich wußte nicht, daß Ahr ihm das arfgetragen.“
„Das iſt ein heilloſer Bube!“ rief zornglühend Berlefick aus.
„Erhitzt Euch doch nicht,“ beſchwichtigte Guſtelchen und eilte
hinweg.
Bald darauf Fam ein Chirurg, unterſuchte und fagte dann
ſehr gravitätifch: „Sontufionen, bedenflicke Eontufionen! Ihr müßt
abſcheulich traftirt worden fein, Herr? Da muß eine Tunftmäßige
Behandlung eintreten. Aber wie fol das bier, in dem Mefie,
möglich werben? Ihr müßt heraus!“
Berlefick wehrte fi, obgleich der Scanbal über feinem Kopf
in ftetem Wachfen war, und der Heilfünftler fügte fih. Er machte
Auffchläge, Iegte Pflafter auf und ging dann.
Es war eine einfache Nothwendigkeit, daß fi auf dem Schiffe
faft Niemand mit ihm befaflen konnte. Da war Arbeit in Hülle
und Fülle, denn je eher bie Wirtbichaft auf dem Meßfchiff eröffnet
und⸗ im Trage: und Anzeige-Blatt angefündigt werben konnte,
befto eher begann der Profit bed Schiffers Eidam. Deßwegen
mußte jedes Glied der Schiffsbewohnerſchaft angreifen und helfen.
So Tag benn ber arme Zerbläute allein in feinem ſüdheißen
Kämmerlein und blies, wie man fagte, Trübfal auf, Noten. Er
hatte Zeit, zu benfen, Wie auch bes Mädchens Lieblichkeit unb
Freundlichleit, Mitleid und Sorgfalt ihm woblthat, er erinnerte
fih doch wieder aller Ouälerein auf dem Schiff; er gab dem
Gedanken wieder Raum, was aus feinem Behagen werben follte,
wenn ber Feine, eigenfinnige und fleinharte Kopf ihn unter das
Regiment des Pantoffeld nehmen follte, und ber befonnene Verſtand
rieth: Laß die Heirathsgedanken fahren | Der Rector hat Recht! —
⸗ — ae —
Er ſpann den Fabden weiter. Die Eriawerumgen an das Herzeleid
ber Reiſe und was als erſtes Abenteuer in Franffurt fi daran
Imüipfte, traten in ihre Rechte — kurz — ein Heimweh nad feinem
fhönen Plätzlein am Rhein, an ben weichen Lehnſeſſel am Ofen
daheim, an die Stille feines Haufes, am bie goldenen Xxöpflein
aus feinem Keller, an bie biauen Wälklein bes Knaſters — ergrüf
ihn mit Mat, und mander Stoßſenfzer entrang ſich der Bruft.
Auch Zorn brach dann unb warm los, aber er vichtete ſich gegen
ihn felber, daß er nämlich fo einfältig fei und allemal fich wieder
von der ſchönen Here bethören Taffe.
In dieſer Gedankenreihe unterbrad ihn Ferdinand, der bie
erfie freie Stunde benutzte, nach dem Better Rrengtväger zu fehen.
Er blieb bei ihm und plauderte mit ihm won allerlei Dingen;
erzählte ihm, daß eine große Bude mit Thieren auf dem Roßmarkt
ſtehe, allwo jedſtündlich ein Meunſchenſtrom aus⸗ und winflutbe,
weil fo Außerordentliches in Frankfurt noch nie geſchen worden.
Das unterhielt ihn ungemein angenehm. Was aber Beriefld um⸗
gemein alterirte, war bie Nachricht, daß fein Nachbar in Bacharach,
ber alte Wink, mit Tob abgegangen ſei, welche ihm Ferdinand
brachte. Nicht ala ob Berlefick etwas für feine ihm gelichenen
Gelder befücchtet hätte; Wink hatte Feine Nimber und war nicht
sone Vermögen, hatte aber ber Gelder zur Reparatur ſeines Haufes
bedurft, daß Sei einer winterlichen Ueberſchwemmung viel gelitten,
fonbern darum griff ber Tod bed Mannes ihn an, weil er ihm
an guter braver Nachbar geweſen.
Ferdinand verbreitete ſich Aber die vortheilhafte Bage d
Haufes, Über die Frequenz des Ladens und das blühende Geſchäft,
und man konnte merken, wie sin beifer Wunſch in feiner Seele ſich
wehmüthig äußerte, dann aber fl jchnell wieber verkroch. Berlefid
nette das, und fein gutes Herz fing an, für den guten Ferdinaub
zu operiven. Als er endlich weggegangen, überlegte ſich Berlefid
die Sache in bie Zimge und Breite, Höfe unb Tiefe, und es kam
ihm ver, als ſei er bem gutem Inugen ſchuldig fr das Hetzzeleid,
fo er: ihm bereitet, einem rechten: heilenden, fein eigenes Gewiſſen
befrierigenden Grſach zu geben; doch kam er noch zu beiner Gin
feheihung. Dennoch gang in feiner troſtloſen Cinſamkeit bie Ange⸗
legenheit in feinem Kopfe hernm, und ber Gedenke, bag er nicht
ſehr viel anf bie Kopitalfchuld Winf’3 zuzulegen babe, um be&
Haus an ſich zu bringen, legte ein anſehuliches Gewicht in derdinauda
Wagjchale.
Berlefick war indeſſen richt der Mann, der raſche Entſchlüſſe
faßte. Ge mißte eine Sache ziemlich oft drehen und wenden, ehe
er. fie gehörig erfaßt hatte, und dazu wurde ihm Zeit. gelaſſen, bemm
der Chirurgus ließ ihn, da ex vom Pitt gehört, ber Alte habe
Geld, fo leicht nicht aus feinen Klauen. Er behandelte. die Sache
mit. einer Wichtigfeit, daß es Berlefid mundsmal um fein Leben
lange wurde. Er mußte Arznei nehmen, eine firenge Diät baltem,
umb «3 fehlte" nicht. an allen erdenklichen Pflaſtern, Einreibungen
und Aufſchlägen. Berlefickss Zuſtand war oft unerträglich. As
das Zelt fertig war, konnte er deutlich das Gläſerllingen hören,
eine tautaliſche Dual für ihn, der nach einem guten Tropflein ein
heißes Verlangen trug; er konnte das Gelächter droben deutlich
hören und das Stampfen ber Füße, wenn bar Leuten ber Kopf
jchwer warde, machte ihn volas to. Dana und wann fa
Eidam nach ihm, roch fellener Ouſtelchen, ums nur Pitt ärgerte
ihn alle Tage. Da waren bie Befuche Ferdinands Labſal für
ihn, bie benn täglich fi) wiederholten, biß endlich der Chirurgus
mit einem Knix feine ellenlange Defervitenrehnung überreichte und
zuglgich die feiner Hanzayothele, welche die Heilmittel geliefert, und
ihm fiir nöllig genefen. erklärte.
Freudig ſprang er amd: bem Belt und wenige Minuten (gäbe
KB er oben im Zelte, wa ihm: Surfleldyen lächelnd eine Flaſche
Irebengte;. in deren dundelm nf er all' dem Jammer der wderhate
Woachen im Echiffentrließe hinabſchwenkte
— IR —
Das war aber eine Wirthſchaft da oben! Es wimmelte
von Trinfenden, und man fah nur zu Bar, die fchöne Schenfin
batte fo viel Antheil baran, als ber FöRliche Mothwein, ben Bacha⸗
vach’8 Berge geliefert. Sie wußte aber auch mit ihrer herzge⸗
winnenden Freundlichkeit ben edlen Nektar zu würzen. Alle biefe
Freundlichkeit aber, bie fie Jedem erwies, war für Berlefick Gift
und Galle, ba er ſah, wie gefaltfiichtig das Mädchen erfchien, und es
fam ihm mandmal vor, als thue fie es, um ihn zu ärgern.
„Aber, Herr Berlefick,“ fagte fie eined Tages, „Ihr feib doch
recht vergeßlich. Auf der Reiſe bot ich Alles anf, Euch die Zeit
durch angenehme Unterhaltung zu verfürzen, und Ihr denkt nicht,
daß Ihr mir verfprochen babet, mir bie. Sehenswürbigfeiten ber
Meile zu zeigen?“
„Daß dich Gott beffere mit deiner Unterhaltung I ſprach
Berlefit in fi binein und gedachte der Dual des Garnwidelns
und ber ſchauerlichen Schiffsdisciplin, mit der fie ‘ihn gemartert,
und bier, wo alle Leute rauchten, blühte fie unter Tabalgqualm
wie eine Rofe und fagte nichts, daß er felbft rauchte und trank
nah Herzensluſt. Was in ibm vorging, verfchwieg er und
entgegnete, daß, ba morgen Sonntag fei, er fie gerne dahin
führen wolle. Das nahm fie an. Pitt fand dabei, und wer
des Buben Geficht beobachtet hätte, würde barauf einen Plan
baben Iefen Fünnen, ber ficherlich feinem Feind ein Ungemach
bereiten mußte.
6.
Der Sonntag Fam mit feinen G@lodenflängen und feiner
Herrlichkeit. Pitt war frühe braußen gewefen, und gegen neun
Uhr, als am Mainufer viele Luſtwandelnde erfchienen, fah man
eine große Zahl lotteriger Gaflenbuben aus ber Hefe des Volkes
in ber Nähe des Bacharacher Meßſchiffes fi verfammeln, bie in
Vebhafter Bewegung waren. Ihre Blicke waren auf bad Schiff
— 508 —
gerichtet und man ſah, fie erwarteten Jemand, um an ihm ihren
Mtibwillen auszulafſen.
Ahnungslos waren bie Bewohner bed Meßſchiffes. Wenige
Leute famen, um ihren Frühtrunk zu bolen, welche Eidam allein
bediente. Ferdinand war zeitig ba, und ihm allein waren bie
Buben aufgefallen, ohne daß er aber einen Argwohn fahte. Der-
weile er bei Eidam faß und biefem erzählte, wie glücklich ihn bie
gänzlich veränderte Gefinnung feine® Herrn Better made, pußte
fih Guftelden in ihrem engen Kämmerlein und Berlefick legte
ſeinen höchſten Staat an, ben weißen Rod, bie hochrothe Wefte,
die Schwarzen Kniehoſen mit Zubehör; er fette bed Perüden:
machers Stübing Kunſtwerk auf, dem die Puderquafte neuen Glanz
und Schmelz verlieh, und trat endlich alfo im höchſten Pub auf
das Berbed, wo Ferdinand kaum fähig war, der Lachluſt über das
grelle Farbenfpiel ber Bekleidung feines theuren Herrn Vetters
den Rappzaum anzulegen. Berlefick war nicht ohne Eitelfeit und
gefiel fich jetzt felbft in dem hoͤchſt modernen Anzuge, beffen bizarre
Farben jedoch bei rubigerem Nachbenfen Ferbinand nicht geringe
Sorgen bereiteten, da das Alles zu auffallend war.
Berlefick fette fich zu ihm, beitellte bei Eidam eine Flaſche
Achten Wolfshöhler und war erflaunlich guter Dinge. Guſtelchen
wollte heute auch im reizendſter Weife erfcheinen, um Ferdinand
recht zu gefallen. Sie madte bewegen ungemein lange und
ließ Berlefil und Ferdinand Zeit, ihre Flaſche zu leeren, wobei
jedoch Ferdinand, trog aller Mahnungen feines Herrn Vetters,
nur ein Gläslein trank und alfo Berlefick genöthigt war, bie
ganze churpfälzifche Flafche, bie eine halbe Maß bielt, zu Teerem.
Man merkte an ber höhern Farbe feines Geſichts und feiner Nafe,
fowie an der zunehmenden Lebhaftigfeit feirrer Rebe, bag ber Wein
einige Wirkung zu thun nicht verfehlte. Endlich Fam Guſtelchen.
Selbſt ihr Tobfeind, wenn fie auf Gottes Erbe einen gehabt,
bätte befennen mäüffen, vofiger, holdſeliger habe er fie nie, aber
— 508 —
auch kaum jemeald unb irgenbivo fo eim “Mädchen geſehen. Die
- Wirkung ihrer Erſcheinung war in ber That zauberiſch. Hochſt
geſchmackvoll war ihr Anzug Roſenroth ımb weiß weten bie
einzigen Farben, welche ihren Wiberfißein auf das holdfelige, tofige
Geſichtchen warfen, und fie trat fo geſchämig, fo züchtig verhüllt
auf, daß gerade dadurch jener Zauber unendlich erhbht wurde
Verlefick's ganze Seele trat in bie Augen. Ferdinand wagte wur
base und warn einen entzücten Blick auf fie zu richten, aber dieſer
Blick reichte auch bin, bad ganze Wohlgefallen und das ihn durch⸗
ziebenbe Gefühl auszuſprechen. Selbſt der alte Eidam konnte fich
nicht ſatt an dem lieblichen Kinde ſehen. — Ferdinand mahnte
zum Aufbruch.
Mit allem Ceremoniell jener e umftändfichen wnb peinlich artigen
Zeit reichte Berlefick Guſtelcher feinen Arm, trug in ber anbern
Hand das lange Meerrohr und ſchritt mit ben zierlichhten Schritten
ber Dielbrücke zu, welche zum Ufer führte.
Niemand bemerkte, daß Pitt am Steuerruber fand ımb mit
feiner Mütze dem Janbagel, den er am Ufer zuſammengetrommelt
hatte, ein Zeichen gab.
Saum erfhien Berleſick anf ber Landungsbrücke vB Schiffes,
als die Buben ſich enger ſchaarten und in einen brüllenden Halloh
ausbrachen.
„Seht einmal, ein Papagei!“ rief Einer.
„Papagei Papagei!“ ſchrieen ein paar Dutzend Kehlen,
klatfchten in die Hände und brüllten vor Lachen.
„Seht nur, er bat einen blaurothen Schnabel und hinten ein
Schwänzlein im Naden!“
„Hallohl Hol ſchrie der Haufe und immer toller gebehrbeten
fih bie Stride, während Pitt am Steuer ſich wälzte vor Lachen
und Luft.
Die Luſtwandelnden ſammelten fi auf bad Geſchret und bald
war eine ungewöhnliche Menfchenmenge bier verſammelt, welche,
— 308 —
von der tolle Mi dee Buben und dem allerdiugs hochſt komiſchen
Anzuge Ders erregt den at um tin Sean
vermehrten.
Anfangs fuuhie Betlefick. Es kam % gt nicht in den
Sn, daß er geinehtt, daß er der Gegenftand dieſes höchſt ärger:
lichen Wuftritteß fein. Tine Guſtelchen erbleichte und etglühte in
Einem Augenblick. Ihrem Scharfblick entging bie: Gefahr eines
höchſt fatalen Auftrittes nicht; Dem achtete Berlefick nicht auf bie
Buben, ſo zogen ſie Ihm nach mit ihrem giftigen Witz und Spon,
und die Geſchichte wurde mit jedem Schhtitte, den fie thaten, ſchlimmer;
achtete er auf fie und erkannte fich als ben Gegenſtand ihres
UNS, dann brach Fein Jatzotn Te Ip und nun erſt war das Fatalſte
zu geweertigen.
Ste zupfte ihn darum Am Ar ‚und ſagte mit zitternber
Stimune: „Ach, lieber Herr Berlefik, tommt doch zurück!“
Er blieb ſtehen und ſah le verwundert an. „Zurück 9 Frage
er erſtaunt. „Was faͤllt Die ein, mein Kinib 9”
„Ach, ach — die — Bilben dort!“ ſtotterte das —
Mädchen.
In dieſem Augenblicke fielen die Schuppen von ſeinen Augen
denn er ſah, daß Ferdinand die Buben zu beſchwichtigen ſüchte,
freilich wohl vbllig vergeblich, denn gerabe feine Witten und Ver—
ſprechungen reizten den muathwillagen Uebermuth ber Knaben. Immer
toller ſchrieen fie: „Papagei! Papagei” und dr Gelachter wurde
immer wiehernder.
Jetzt entbrannte des Wii Boen in einer Welke, wie er felten
loabrach. Er gab dem Mahbchen einen Ruck, daß fie zwei Schritte
zurückfuht, ſchwcrug das Lange Meerrohr und ſtürzte auf den Haufen
zu. DE großer Kraft Table er Ferdinunsd und ſchob ihn aus beim
Bere: „Gch,“ rief er ihm zu, vun laß mid an bie Meute,
ich will ſie Aurartgen!‘
Bergeblich ſſehte Ferbinand win Maßigung a ferime Ihn am
Hpan’s Erzählungen. IX.
— 0 —
Arm. Der Wüthenbe ſchleuderte ihn zurück, daß er ſchier zur
Erde purzelte, und fuhr unter die Knaben. Dieſe wichen ihm
ſchreiend und lachend aus und ſammelten ſich um feinen Rüden.
Dies fteigerte feine Wuth. Cr fuhr herum und lief ihnen nad.
Diefe Hehe machte die Scene fo unwiberftchlich komiſch, daß Alle,
bie müßig und neugierig bier flanden, in ein laut jchallenbes
Gelächter ausbracken.
Berlefit war völlig von Sinnen. Gr lieh bie Buben nun
und rannte gegen bie Erwachienen, indeß die Buben ihn an feinen
Rodſchößen fahten und herumzerrten.
Während dieſer immer ſchlimmer werdenden Scene war
Ferdinand in das Zelt geeilt, um Eidam zu rufen. Dieſer hatte
den Lärm gehört, ſich aber in eifriger Bedienung ſeiner wenigen
Gäfe wenig d'rum bekümmert. Jetzt eilte ex heraus, und kaum
überblidtte er die ganze Sachlage, als er, die herkuliſche Schiffer-
gefalt, in drei Sägen bei Berlefick war, ihn an ben Lenben faßte,
in die Höhe bob und ben Zappelndben und ſich wüthenb Wehrenden
anf dag Schiff trug, wo er mit ihm hinter der Bretterwand bed
Zeltes verſchwand.
Dies geſchah unter dem wildeſten Halloh der Buben und
dem brauſenden Gelüchter der Zuſchauer. Ferdinand war indeſſen
weggelaufen, um einige Stadtſoöldner zu rufen, welche erſchienen,
einige ber Buben faßten unb bie anderen zerfireuten.
Einem Schlaganfalle nahe, ſank Berlefick auf eine Ban des
Zeltes, wo ihn Eidam nieberfeßte; er war feines Wortes fähig,
fo kochte der Zorn in ihm. Erſt nach langer Zeit begann fich
feine Seele Luft zu machen im maßlofeften Schimpfen und Fluchen
auf fol” Gefindel. Ferdinand war berweile wiebergelommen und
führte ihn in fein Schlafkämmerlein. Sie mußten an Guſtelchens
Stübchen vorbei, wo weinend über bie erlittene Schmach das
Mädchen fa. Raum erblidte fie Berleftd, als fie fich nicht mehr
halten konnte und in jungfräulihem Zorm außrief, nie werde fie
— 3097 —
mehr. mit ihm einen. Schritt vor. bad. Schiff tun. Gr ſcheint
unter dem Fluche zu ſtehen, daß er bier in der Stadt nur Händel
aufauge, bie zum Verderben ober zur Schmach für ihn und Anbere
ansichlägen. Ferdinand winkte und bat, aber das Mädchen Tonnte
es fich nicht werfagen, ihrem. Gefühle Rechnung zu tragen.
„Das fehlt gerade noch!“ rief Berlefick und fein Zorn regte
fi mieber. „Himmel und Erde, was bab’ ich bew Rackern gethan?
WE nicht, als feien fie beftelli gemefen, um mic zu bänfeln?
Uns Du willſt, daß id Das in De und Wehmuth hinnehmen
fol? Etwa dazu flennen und Beulen? Das if Meibsart; mein
if, breinfchlagen, wenn man mich ſo abſcheulich beleidigt. Bin ich
Schuld? Himmel und Edel Bin ih Schulb, daß bas Geſindel fich
ba ſammelt? — Und mir machſt Du Vorwürfe, ber ich doch ledig⸗
lich ber leidende Theil bin? — Das fehlt noch, um mir vollends ben
Leiden zu machen! Verdammt ſei ber Gedanke, mit bem Tangwelligen
Meßſchiff nach Frankfurt zu fahren. Berbammt der Gedanke —“
Ferdinand bat eindringlich. „Liebfler Herr Vetter, Tafiet uns
gehen, ich bitte Euch.”
„Du haſt Recht, Ferdinand,” rief er nun. „Beben! ba ift
das rechte Wort. Ich will paden und das Schiff, biefe ſchwimmende
Folterkammer für mich, verlafien. Heute noch.“
Er zug Ferdinand mit fich in fein Quartierlein.
„Ach, mein @ott,” fagte hier ber Jüngling betrübt, „es thut
mir fo leid, bag Ahr mit Eidam's brechen wollt. Thuet 23 nicht!‘
„Treue Seele, ſagte plößlich beruhigt Berlefid, „Du weißt
nicht, wie es ftehtz aber ich will Dir's nur fagen. Ich war ein
Narı, ein Eſel bazu, web wollte das Mädchen heirathen, das
Guſtelchen droben. Ich meinte, fie fer ein Engel.’
„Sn fie denn das nicht?" fragte Ferdinand, der fich meifter:
baft und beibenmüthig hielt.
„Ein Engel? Schöner Engel!” rief der Alte. „Eine Here
iſt's, bie Einen bethört, aber voll XTeufelei. Sie ift an allem
20?
— 308 —
mb ſchuld. Sie Med mich bayı gebrächt, mir bei Nectors
Marrentracht machen zu laſſen. Ich verſteh's jet reihe gur, watum
bie Satanafſe da braußen Papanei Aefen. Seh' Ich ıulter Narr bemw
niht fo 5? Sie Hat: mich ſchier zu Tobe gemnttert auf ber Her⸗
fahrt mit dem verwimſchien Garnwickeln!Sie hat mir Tabak und
Wein verboten und ift ao die Schuld, daß ich die Püffe bei dem
Werhe befam und: noch hintennach in bie Mehlwage geſetzt worben
wäre, wenn Da nicht, wie ein guter Genius, gekommen und muß
aus der TDunke gezogen Gättef. Nein, Ferdinand, ich will nichts
mehe vom Heirathen wiſſen. Hoch lebe das eble Junggefellenthum
mit feinem Frieben und Behagen!“
‚Dan frimme ich volllommen bei,” bemerkte. Ferbinund.
„So? Du auch?. Herrlicher Junge! Weißt Du was,“ ſagte,
fe ta eine heitere Stimmung Abergehenb, Berlefick, „weißt Dw
wog? Ich reife ab und De begleiteſt wid.‘
„Ah, teurer Herr Veiter,“ bemerkte Terbimand, „daß ginge
ſchon, aber es geht nicht, denn ich bin durch meinen Contract bis
gen Weihnachten gebunden.“
„Verdammt!“ rief Berlefick und ſtampfte auf den Boden.
„pt ſich denn das nicht ändern?’
„Wenn — wenn — Ihr vielleicht mit meinem Herrn Beincipal
redetet,“ — verfeßte Ferdinand. „Vielleicht wäre «8 dann thunlich.“
„So komm gleich!“ ſagte ber Alte und griff nach Hut und Stock.
„Ach, wertheſter Herr Better,” ſprach ftodenb ber Simgling,
„wollet Ihr mir nicht Almen, komm ich Euch ettwaß fage?“
„Heraus baml!'' rief Berlefid.
„Euer Anzug,“ fuhr ber Jüngling deroper fort, „iſt fo anf
fallend, daß ich fürdte — *
„Das ift ein verntinflig Wort,“ Tagte aciger Berlefick, bei
meiner Seel’, das geſcheidtſte, welches ich noch hier gehört! Siehſd
Du, das find ale des Guſtelchens Tüden! Sie if Schuld! Der
Erznarr, der Rettor, trügt ſich ſo. Bumms, da mußte ich’B auch,
N — 29 —
nmb fie fagle ger, bier rge ih Jeber Io, und als warde ich in
anderm Anzug ausgelacht.“
e „Zoe nehnu dem Guſtel chen Ale übel auf. x weiß, wie
werth fie Euch Hält, liebſter Herr Veuer, und. wie fie Euch hoch
ochtet. Sie meinte gewiß, es ſei ſo, weil bes. Herr Reckor fich
ma der neueflen Mode Bleibe Hat Feine Linder, ber Mann, und
ift vermögen.”
Berlefit hörte gebielbig zu und das gab Ferbinamb ben Muth,
weiterzugeben in feiner. Rebe für ben Sciffsfrieven. „Sie bat
geweint über den Schimpf, und für: ein chrbares Mädchen ift fo
etwas keine Kleinigkeit,‘
„Du haft abermals Redgt, fiel ihm Berlefick in bie Rebe.
„Ich fee im Zorn Alles ſchwarz. Es if wahr. Rus, nun, geh’
Sinauf und ſuche ben Frieden herzuſtellen. Ich will Dir's hoch
verdanken! Derweile ziehe ich eine fchwarze Weſte und meinen
Beberhreumnen an. Er iſt neu und fein und wird nicht auffallen.”
Er that fogleich bie nöthigen Schritte und war ſchnell bat
am Zul, Als jedoch Fadinand wegeilte, entſtand auf dem Verdecdk
ein Zetermordie. Es war eine Bubenflimme, die fo ſchrie, als ob
Wr Gewalt geſchühe.
„Das iſt des Tagediebs, des Pitt's Stimme,’ ſagte Berlen
„Ich glaube, der Eidam gibt ihm ein Frühſtück mit den Tauende?
— Hars oft ſchon verdient, der Radcker!“
Beide fliegen binomf und was ſich ihren Augen darbot,
beſtätigte Berlefich's Vermuthumgen, obwohl doch andere Umſtände
ohwwalteten.
Während unten in ber. Kajute Berlefid und Ferdinant ige
Geſpräch führten, war en ſtädtiſcher Rumorknecht auf das Schkff
getreten ımb nahm Eidam allein. Er theilte ihm mit,. ba der
Polizeiberr bie Buben eraminirt, die bem freunden Heren dan
Ecandal bereitet, und herausgebracht, da Pitt, der Schäffäjunge,
fie beſtellt und mit Gelb zu dem Numor gebungen;habe. . : .
— 310 —
„Mit Geld?“ fragte Cidam erſtaunt. „Der hat nicht fo viel,
als ich in meinem Auge leiden kann!“
„Der Polizeiherr,“ fuhr der Rumorknecht fort, „ſendet mich
ber, daß wir ihr einmal durchſuchen.“
Eidam fand ganz ſtarr vor Erſtaunen ba. Er kannte wohl
feinen Schiffsjungen als einem gutgewidelten Strid, aber : Pie
Streiche hatte er ihm nie zugetraut.
„Barum burchfuchen?‘ fragte er enblich.
„Weil ber Herr,” fuhr ber Rumorknecht fort, „der in dem
Wirthshauſe die Händel mit dem Wirthe hatte, wahrſcheinlich, wie
ber Wirth ausſagt, von dem Buben beſtohlen worden iſt.“
Das machte den Schiffer wild. „Kommt,“ ſagte ex, „ber
Bube If in die Stadt geſchickt, wir wollen feine Koje unterfuchen.”
Das geſchah, und man fand eine anjehnliche Summe Geldes,
barunter hollãndiſche Ducaten.
Als fie mit dem Gelde wieder auf's Verdeck kamen, trat Pitt
in das Zelt.
Der Rumorknecht faßte ſogleich Pitt mit energiſchem Griffe
beim Kragen und rief: „Spitzbube, nun haben wir Dich!“
Pitt erbleichte und begann zu zittern. Alle ſeine Frechheit war
dahin. Er ſchrie wie ein gefangener Marder und verſprach, Alles
einzugeſtehen.
Zu dieſer Prozedur kam eben Berlefick und Ferdinand recht gelegen.
Eidam, ber von Zorn erhitzt war, hielt ein getheertes Tauende
in feiner Hand und dies hochnothpeinliche Zungenldſungsmittel
wirkte Wunder, denn während Pitt voll Angſt ſeine Augen darauf
gerichtet hielt, bekannte er feinen Diebſtahl und ſeine Aufhetzung
ber Buben am Strande, denen er das Gelb gegeben hatte, welchee
an der Summe fehlte, bie er Berlefick entwendet; er bekannte ben
Beindiebſtahl ebenfo.
Alle fanden betroffen ba, als ber Tagebieb feine Saworfendeit
und auch den Grund ſeines Haſſes gegen Verlefick eingeſtand.
— 811 —
Jetzt erſt erwachte Eldam’s Zorn. Er riß ben Strick aus bes
Rumorknechts nerviger Fauft und maß ihm das Tau unbarmherzig
an. Selbſt Guſtelchens Flehen half nicht.
Als er endlich fein ſchiffiſ ches Strafamt vollzogen, übergab er
Pitt dem Rumorknecht.
„So,“ fagte er aufathmend. „Jetzt Bat bie Schiffszucht ihr
geheiligtes Mecht. Das war für bie Streicke, bie er auf bem Schiffe
verübt. Was er im Wirthshaus, auf Eurem Stabtgebiete gethan,
mödgt Ihr nach Urtel und Recht beftrafen.’
Damit übergab er den böfen Buben dem Rumorknecht, ber
ihn nach dem Gefängniß abführte,
Lange wurde bie Gefchichte noch verhandelt an Borb be Meß⸗
ſchiffes, und unvermerft gelang e3 Ferdinand, die milberen Saiten
anzufelagen, deren Ton einen frieblichen Klang annahm. Freilich
weigerte fich Guſtelchen entfchieben, heute in bie Stadt zu gehen,
unter dem Borwanbe, die Gaffenbuben möchten auf eigene Fauf
dem Herrn Nachbar aus Rache noch einen Denkzettel anhängen.
Dabei blieb’3 denn, und Berlefid und Ferdinand traten allein
ihren Weg nach dem Roßmarkt an.
Unterwegs ſprach Berlefik feinen - Willen auf's Beftimmtefte
aus, Frankfurt am andern Morgen zu verlaffen, unb begab fidh,
ba bie Wohnung von Ferdinand Principal auf dem Wege lag,
zu biefem.
Hier trug Berlefick auf die Entlaffung aus dem Verhältniß
an, in das Ferdinand zu dem Kaufmanne getreten war. So be
lobend ſich auch dieſer Über Ferdinand ausfprach, und fo wenig er
ibm im Wege ſtehen wollte, fo machte er boch darauf aufmerkſam,
daß er ihn jeht, mitten in bem Meßverkehr, unmöglich entbinden
könne; er wolle aber, fagte er, wenn bie Meſſe vorüber ſei
und er einen: andern Ladengehülfen gewonnen haben würbe, ibn
ziehen Laffen.
Das genügte ſowohl Berlefid, als Ferdinand, bem noch die
— 82 —
Riickreiſe mit dem geljebten Mähchen in Ausſicht Bay, palflemmen,
und Beide yerließen vergnügt bad Haug, mm nach Dem Roßmarkte
zu geben, ja, Berlefick ſchien ſehr geneigt, ben Gehanken ar eine
ſchen morgen vorzunehmende Abreiſe aufzugeben, um gläbann in
der alten Geſellſchaft, und frei von Guſtelcheus quälender Schiifs-
ordnung, heimzukehren, : bg fie jebt den Tabql herzlich ertrug und
nichts dagegen hatte, menn Berleſick ſich dem Nothen im Zelte
Ichmecken ließ. Leider aber fehlte. ein ungrwartetes Ereigniß biefen
ſchnell gefaßten Entſchluß umſturzen und ihm Frankfurt vollends
verhaßt machen,
041
Die ‚Angelegenheit der Rückkehr Ferdinands nad Bacharach
befprechend, nahten fie. fi einer umfangreichen Bude, welche ‚auf
dem Roßmarkt errichtet war. Bilder wilder Thiere uud ihrer
Almpfe mit Menfchen waren am Cingange zu fehauen, und ein
Mpbr lud das Pubſlikum mit den feltiamflen Grimaſſen zum
Beſchauen der Herrlichkeit ein.
Auch die beiden Wanderer nahten ſich ber Cingangspforte.
Herlefick erlegte für fie Beide ben Eingangspreis und fie traten in
den Raum, wo bemm Lömwen, Tiger und alle möglichen Thiere zu
"chen waren. Sehr zahlreich waren Vögel fremder Welttheile und
Affen vertreten. Beſonders merkwürdig war ein fogenannter Drang-
Utang, ein Thier von beſonderer Größe, Wildheit und tückiſchem
Weſen. Dieſer zog Berlefick beſonders an, und ex trat, trotz her
Warnzung des Aufſehers, nahe an ben Käfig heran. Im Geſpräche
wit Ferdinand drehte er ſich einmal gegen dieſen um, bev- etmas
zuxüdſtand, ba fuhr bei. Affen krallige Hand zwiſchen ben Eiſen-
ſtangen heraus und erfaßte mit Blitzesſchnelle Berleßd's Perücke.
WE dieſer fühlte,, daß der Affe feine Haarhaube erfaßt habe,
ftieß er einen Schrei des Schredend aus und bückte ſich ſogleich
jnſtinctmäßig, um dem feinblicden Angriff zu entgehen. Es ‚war
— 38 —
inheilen zu ſpuͤt. Dirch fin Yen Klick bie. Perücke in ber
Gewalt bes Affen, der fie in ben Käfig nahm und fie grinzend in
Sehen riß
Ks fig Verlefick aus dem Bewiche des unmittelbaren Angriffs
des wildan Thieres fab, erwachte fein Zorn, und che Ferdinand,
der ſelbſt höchſt erſchrocken war, es wehren konnte, griff er ben
Affen mit feinem Meerrohr an und ſchrie vor Zorn. Der Affe
z0g- fich mit wildem Gefchrei in ben Dinkergrund feines Käfigs
ZiZarück, erfaßte aber mit. einer vajchen Wendung bad Meerrohr und
zog es an fich. Berlefick war nicht gelonnen, aud dies Gut der
Beſtie zu Überlaffen, und hielt es ſeſt. Dadurch kam jein Am in
den Bereich der Eifenftangen, und rafch ergriff ber: Affe den weiten
Aufſchlag ſeines Nermels und zog ihn baburch felbft mit folder
Hewalt gegen die Stäbe, daß ber Affe fein Geftcht erreichen konnte.
Dies Alles hatte fi mit folder Schnelligkeit ereignet, daß
Ferdinand kaum einfchreiten konnte.
Jetzt aber, bie Gefahr erkennend, ſchrie ev: „Laßt los, laßt
Ins!“ und riß ihn zurüd mit aller Gewalt. Mehrere Anweſende,
beſonders Frauen, fchrieen heftig, Anbere lachten. Durch biefen
Tumult begaunen bie Thiere zu fchreien, unb Töne, wie fie nur
ſelten in ſolcher Gemeinſchaft hörbar wurden, Tiefen jich jetzt von
allen Seiten vernehmen. Berkefil tobte wie ein Raſender. Die
Wärter eilten herbei und fchimpften ihn und brehten mit gericht-
® Viper Alage über den Rumor, ben er apgezetielt. Sie zerrten ihn
gegen. den Ausgang und fliehen ihn, wie auch Ferdinqnd ihn ſchützen
mochte, unter dem entſetzlichen Geſchrei ber Thiere, bem müthendfien
Schimpfen ber Auffeher und dem wichernden (Gelächter ber Menge
ber: Zuſchauer in der Bude zur Thüre hinaus, daß er noch eine
Strede fortitolperte und ohne Zweifel Bingefärzt wäre, wenn nicht
Ferdinand ihm nachgeeilt und ihn am Ayın griffen hätte.
Um die Bude herum war eine große Menge Menſchen ner:
fammelt, die -auf ben Weggang ber ſich im Zelte Vefindenden
— 814 —
warteten, um einzutreten, teil müßiges Gefindel, das ſich bier
herumtrieb.
Der Anblick Berlefick's bewirkie, daß Alles in ein lautes
Gelächter ausbrach. Nicht nur bot fein kahlgeſchorner Kopf einen
komiſchen Anblid dar, auch fein jerfedies Kleid diente dazu, jenen
Eindruck zu vermehren.
Er wüthete vor ohnmächtigem gorne.
„Herr Vetter, um Gotteswillen bitt' ich Euch, ſeid ruhig,“
rief begütigend Ferdinand, Er zog ihn mit Gewalt fort, aber der
Alte wollte weder Perücke, noch Meerrohr miflen, und wiberftrebte.
Immer wilder braufte bie Luft ber Zufchauer biefes allerdings
komiſchen Auftritts auf.
„Herr Better, wollt Ahr noch ber Polizei anbeimfallen ?“
rief angſtvoll der Jüngling aus. „Iſt's nicht genug, daß Ei
das Volk verhöhnt?“
Dies wirkte gewaltig auf den Erzürnten. —
Berlefick fühlte an feinen Kopf und rief dann: „Fort, Fer-
dinand, fort!“ Er erkannte ſeine Lage und empfand plötzlich das
Ungemütbliche derſelben.
Ferdinand zog ihn eilend hinweg, begleitet von dem Halloh
bed Pöbels, und erreichte glücklich den Laden eines nahewehnenden
Perückenmachers, um Erfag für einen ber wichtigften Theile des
Verluſtes zu finden.
Ein Lärm, wie ber vor ber Thierbude und in berfetben *
fonnte indeffen ber wachfamen Stadtpolizei, zumal. an einem Some-
tage, nicht unbemerkt entgehen. Dem fragenden Polizeimann
Höheren Ranges wurde das Haus bed Perückenmachers bezeichnet,
wohin fi) der Urheber be Lärms geflüchtet. Dorthin eilte er und "
trat eben ein, als ganz erichöpft.umd einer. wahren Troftlefigkeit
verfallen, Berlefid in einen Lehnſeſſel gefunfen war, während ber
Haarkünſtler fih um ihn bewegte,
Die Polizei jener Tage Iitt nicht an Dem, was man Hoſlichten
— 85 —
nennt. Polternd trat ber Numotknecht⸗ Corporal ein umb über:
Häufte den Alten mit ben heftigſten Vorwürfen, inbem er ihm
befahl, ihm ſofort auf das Polizeiamt zu folgen, benn, ſetzte er
Binzu, daß Berlefick derſelbe fet, ber eines Abends im Wirthshauſe
Arm goldenen Apfel Braleflz getrieben, heute Morgen einen Auflauf
bei dem Bacharacher Meßſchiff veranlapt und auch jest wieber Eike
"Ruhe ber freien Stadt und ben Sabbatfrieben ihrer hochehrſamen
Buͤrgerſchaft geftört babe, das bürfe nicht ımgerilgt bleiben u. |. w.
Es war nahe daran, daß auch jet wieber ber Jähzorn
:Berlefil’3 losgebrochen wäre und feine.Lage nur noch verſchlimmert
hätte, wenn nicht Ferdinand mit aller Macht fi in den Riß
gelegt. Er erzählte wahrbeitägetreu bie drei Vorgänge, welche ben
Alten in folchen fchlimmen Verdacht gebracht hatten, beſonders aber
ben letzten bebauerlichen Vorfall.
- .Diefe Erzählung wirkte fo gewaltig auf bie Lachmuskeln bes
ehrfamen Polizeimannes, baß er dem Reize nicht zu wiederſtehen
vermochte und ſich vor Lachen ausſchütten wollte
Nach dieſer für Berlefick allerdings fatalen, dennoch aber hoͤchſt
günſtigen Wendung ber Sachlage wollte fich ber. Polizeimann ent⸗
fernen; allein ein unabſehbarer Haufe von allerlei Volt hatte ſich
vor dem Hauſe verſammelt. Ferbinand befürchtete neuen Scandal
und drückte dem Mann ber Sicherheit und ausübenden Gewalt
- ein Geldſtück in bie Hand und bat ihn, das Bolf zu entfernen,
weil fonft Teichtlich neue unangenehme Auftritte erfolgen könnten.
Sol eine mit Nachdruck begleitete Bitte verfehlte Ihre Wirkung
nicht, wie fie benn feiten erfolglos bleiben bürfte; ber Officdamt
füuberk die Straße, und eB trat nun fo viel Ruhe ein, daß man
an die Bedeckung des entblößten Hauptes durch eine neue Atzel
denken konnte. Sie fand ſich endlich und viel weniger auffallend,
als diejenige geweſen, welche als Zeichen des Sieges in ben zerſtb⸗
enden Klauen des Affen geblieben war. Den Hut hatte Yerbinand
gerettet, und auf feinen Vorſchlag traten‘ Beide durch eine Seite
— 36 _
thüre, die anf eims enge Gafſe minbete,. inYa Freie un enamen
unbeachtet der Menge, bie, wenn auch in angemeſſener Entfemung,
eines neuen Schaufpiels zu ihrer. Bouſtigung. haette, -.. .
Berlefick ſprach Fein. Wort. Sein Geſicht war ungewöhnlich
bieich umb die: Farbe der Naſe war fait. ſtahlblau. ine ſolche
Gemuthsbewegung hatte er. noch nicht erlebt. Er war ſo ange:
griffen, daß ihn Ferdinand am Arme führte,. um bad Han eines
Schneibers zu. ſuchen, ber ſchnell in biefen Notbfalle die Fragmente
bes Ieherhraunen Stantärodes wieder zu einem Ganzen vereinige.
Glüucklicherweiſe brauchten Beide vicht weit zu gehen, um gu
finden, was fie ſuchten. '
Nachdem auch hiefer Schaben gebeilt. war, fragte Ferdinand den
Alten: Theuerſter Herr Vetter, wohin befeblt Ihr. daß ich evch
führe?“
„Bohn Du willſt, mein Sohn,“ ſagte mit wenlender Stimme
Berlefick, „nur nicht auf daB Schiff, wo ich entweder wieder eime
Strafpredigt oder ein Gelächter zu erwarten babe, Das aber fühl’
ich,“ fuhr er, fih ermannenb fort, „daß ish nach dieſen heillofen
Begebenheiten einer Hergflärfung bedarf. Ich habe einen. refpertablen
Hunger und Darf. Wähle aber ja feine Kneipe, bamit mid in
biefer Unglücksſtadt kein neues Malbeur heimſuche. Es wird ums
ja Niemand kennen.“
Ferdinand bog nach der Zeile ein und führte in dort in eines
ber erſten Gafthäufer. Leider aber mußte Berlefick bier feine letzte
Unglüdsgeichichte mit len Nebenumflänken. mit anhören und Zeuge
fein, wie man fie belachte. Durch bie Dienſte, welche er ihm ge-
leiſtet, hatte indeſſen Ferdinand einen: ſolchen Einfluß auf ihn
bereits gewonnen, daß jeine Bitten, bach ja durch Nichts zu ver⸗
then, daß er der Mann ſei, dem das Abenteuer begegnet, ihn
zum Schweigen brachten, obwohl bie Anoſchmückungen, weiche das
Abenteuer hier erfuhr, ihn mehr denn einmal reisten, bie Thettade
in's vechte Licht zu ſiellen.
‚Rap und hier bldben, Yerbinamb;“ Togke. :Beriekd mit. Feſtig⸗
kert, ala fich Die Glfie mehr mb mehr verloren halten. „Seine
Mut. der‘ Erbe Joh midi won. Nacht auf das Pflaſter biefer
Sendıt bringen, "bie, : ſeit ich fie betreien wur. Unhai über wich ge
bracht bat: “
Er Tief einen. Ausfwärter: und- verlangte ein Bimmer für fh.
Als ihn dies angewieue: worden war, beitellte.er ‚Kaffee und
hollaͤndißche Bfelien ; und als Beides gebracht worden war und bie
Pfrife dampfte, kehrte Ruhe in ſeine Seele zurück. Nach einer
ziemlich langen Schweigen, welches Yerbinank: wicht. gu tören wagte,
hob endlich Berbefick alſv zu veben an:. .
„Mein Eutſchluß if reif, mein lieber Ferbinand. Mit frühen
Morgen beſteige ich das Marktſchiff, welches gen Mainz führt, um
in- ben Frieben meines Hanfeß zurückzuklchren. Auf das fatale.
Schiff kehre ich. nicht mehr zurück. Ich bleibe bier. "Du gehe
bir, packeſt meine Sachen und läfſeſt fie hierher tragen, und
während dieſer Zeit lege ich mich. auf das Nuhebett, um mich gu
erholen. WIÜR Du, nach jo vielen Liebesdienften, auch noch dieſen
Deinem väterlichen Freund erweifen?“
„MitFreuden, Herr Beiter,‘ entgegnete ber Fingling;
„aber —' -
„Br haft Du für ein Aber? fragte raſch Verlefick
„Wollet Ihr ohne Abjchied das Schiff verlaſſen?“ fragte
beforgt Ferbinand. „Sieht das nicht auf, als ſchiebet Ihr mit
Groll von bem Schiff und: jenem Bewohnern?“
Berlefit fühlte, wie wahr biefe Bemerfung fe. Et ſchwieß
verlegen und kratzte ſich hinter em Oht. Endlich ſagte er; „Was
ſol ich hinter dem Berge halten? Ferdinaud, es gibt nicht beicht
eine Lage, bie peiilicher iſt, als: Gegenſtand des Gelächters Anderer
zu fein. Ich habe dieſe Mehr, ſeit ich, bier bin, jo empfinblich ger
tragem; wie es nur einem: Ehrenmann irgend begegnen kann. Irh
bin. es nachgerade ſatt gewdrden. Nun muß id nad dem, was
— 58 —
ich witen im Goftzimmer erfahre, als gewiß vorensſehen, daß fie
anf dem Schiff Alles wiſſen, beun bie Güſte, bie dort ihren
Schoppen trinken, werben wohl bie Mähr mit allerlei Zuthat hinter
bracht Haben. Wenn auch ber alte Eibam ein gefebter, verſündiger
Mann ift, fo ift dagegen das Guſtelchen ein Lachtäubchen erſter
Art. und wird fi weiblih d'ran ergößt haben. Nöthigenfalls
macht fied, wie neulih, und hält mir ‚eine Strafprebigt, zu ber
id, da ich allerdings felbft an meinem Mißgeſchick Schuld trage,
ſchweigen und bie Galle verjchluden müßte Beides wäre vollends
unerträglid. Darum magft Du ihnen mein Abje bringen. Baſta!
Willſt Du mir noch einen Liebesdienſt thun, fo fieb’ zu, ob Du
mein Meerrohr wiebertriegft. : Hier ift Gelb. Loͤſe ed, wenn's bie
Bette nicht zerbrodhen bat, aus. Es liegt mir viel daran, es
zurldzufriegen, ba es ein theures Andenken meines feligen Vaters
iſt. Ich weiß,“ ſetzte er zögernd hinzu, „es iſt ein kitzlicher Auf⸗
trag; aber ich kenne Deine treue Liebe und werde danlkbar fein,
dankbar, Ferdinand. Du ſollſt mit mir gewiß zufrieden fein.“
Er reichte ihm Gelb, und Ferdinand ließ ſich's nicht merken, wie
unlieb ihm bdiefer Auftrag ſei, und entfernte fi eilig, während
Berlefick fih auf das Ruhebett legte unb balb in einen tiefen
Schlaf ſank. —
AZuerft begab ſich Ferdinand in die Bube, wo bie Ruhe mit
Mühe wieder hergeftellt war.
Der Wörter hatte dem Affen das Meerrohr entriffen, ohne
daß es verleßt wurbe, und gegen ein anfehnliches Trintgelb empfing
es Ferdinand wieder. In Eile wanbte er fi nun dem Meßfdhiffe
zu. Nicht ohme Sorge fragten Eibam unb Guſtelchen nach Berlefid;
ala fie aber hörten, er befinde fi wohl, dba machte das Komifche
bes Iehten Abenteuers auch feine Wirkung gewaltig geltend. Alles
wußten fie bereit3, dem ganz Franukfurt ergöbte ſich an bem ſpaß⸗
haften Zweilampfe Berlefick's mit bem Affen und fprach davon.
Allerdings berührte des Alten Entſchluß Eidam unangenehm,
— 89 — j
aber zu machen war ba nichta weiter, als daß ex fich entichloß, fo
wenig, er auch ablommen konute, ihn dieſen Abend noch zu befuchen.
Ferdinand padie feine Sachen ſchnell, und ba er richtig ſchloß,
daß fein Herr Vetter in ben Armen des Schlafes Erfah für -bie
Leihen dieſes Tages gefunden haben würde, jo feßte er fi zu feinem
lieben Guſtelchen. Es währte freilich Iange, bis fie zum Ernſte
kamen, beun Yerbinand berichtete getreulich Alles, was vorgefallen
und was Berlefid gefagt hatte.
Eine Wolfe Iegte fi) auf bes Mädchens fchöne Stirne und
umflorte ihr Auge,
„Es if wahr,” fagte fie, „ich babe dem herzguten, alten
Mann übel mitgelpielt. Gott vergebe es mir; aber die Rectorin
war bie Anftifterin, und — es galt, ihn von einer Thorheit zu
heilen, zu ber mein Vater und Bathe bereitö bie Hanb geboten
batten. Was ber Galgenſtrick, ber Pitt, an ihm verbrochen, if
nicht meine Schuld. Ich abnte nichts davon, benn er beforgte das
Bett allein. Das aber ift doch endlich errungen, baß er mich nicht
zur Frau haben will. Er. ift gründlich von feiner Thorheit geheilt
und Du biſt ihm lieb geworden. Ich hoffe, ed gebt ein neues
Morgenroth aus biefen Trübfalen des armen Mannes für ung auf.”
Auch Yerbinand theilte biefe Hoffnung unb freudig verließ er
das Mädchen, um bie Effekten Berlefick's in ben Gaſthof tragen zu
Iafien, wohin ihn der Schiffer Eidam begleitete.
Berlefil war durch ben langen Schlaf erquidt. Sein Gemüth
wear. heiter, denn feine Pfeife dampfte und eine Flaſche Föftlichen
Hochheimers fand vor ihm, als Beide bei ihm eintraten.
Hoderfreut nahm er das Meerrobr aus Yerbinands Hand und
drüdte den Jüngling bewegt an feine Brufl.
„Daß vergeß ih Dir niemals, Du mein Schußgeift in diefer
unglüdbringenden Stabt. Ohne Dich wär’ ich ja verloren geweſen
in ben Drang- und Trübfalen, bie mich bier betroffen haben!‘
So rief er entzüdt aus und reichte mit ben herglichften Worten
— 20: —
bein Schhiffer feine Hand. Er entſchuldigte fein Wetzgehen var.
Scehiffe mit beinfelbere offenen Belenniniffe, welchen er gegen
Ferdinand. abgelegt, und im beſten Einvernehtaen leerten fie ſelb
Dutt noch einige Flafchen und ſchieben dann auf frhhliches Wiedev⸗
ſehen tn Bacharach. Ferdinand aber begleltete am anbern Morgen
ſeinen Herrn Better ans Markifſchiff und nahm bort einen warten
Abſchied von ihm, dem hoffnungsreiche Worte beſonderen Werth
verliehen.
.
8. Br
Zum erflen Male fühlte fich Berlefick wieder volllommen
gehtefich, als er in feinem Schlafrock in bem weichen Lehnſtuhle
ſaß und die theuern Räume feiner Häuslichfeit überblickte
„Es iſt doch nirgends beffer, als daheim,“ fagte er in ächt
bentfcher Gemuthlichkeit und blies ein blaues Woein edlen Knaſtets
in bie Luft, reichte dann nach einem Safe, gefüllt mit golbenem
Leimbachet und leerte es mit einem ächt rheiniſchen Zuge. „Es
war ein unfeliger Gedanke, mit ben Meßſchiffe nach Frankfurt zu
fahten,“ fagte er zu fi; „aber ein noch heiffoferer, das junge,
ſchnippige Ding heituthen zu wollen. Das "bat mid kurire! Meiner
Ser’, ver beſte Doctor HRS nicht beffer ferfig gebracht. Gottlob,
es ift vorbei, und der Erſte, ber mir vom Heirathen rebet, wich
zur Thür hinausgeworfen, daß er Fracht! Baſta! Dabei bleibe it
Der Junggeſelle ME allein fein eigerter Herr und frei. 3a, frei,
frei, freil“ Er trank wieder. „So eine Frau, wie hübſch fle auch
fein mag, hackt Einem das Mus auf bem Kopf und mat Einen,
ohne daß man's matt, zum Sflaven. Himmel und Edel —
Das Mädel war ja meine Bramt noch nicht, und was hat's ſchon
Alles aus mir gemacht? Erſilich einen Narren, ber fidy Heidete,
wie ber verrückte Rector! Zweitens einen Anachoreten, einen Buͤßer
in befler Fotm, ber fich nahezu acht Tage das Liebſte verſugte,
Wein und Tabak! Drittens eine Garnkrone, die mit Engelsſgedulß
Garn von fich abwickeln ließ, und enbli ein Siadigeſprüch —
ja’ — was fol ich ſagen? — Alles Web, das ih in Frankfurt
erfuhr, ging ja, freilich ohne Ahr Wifſen und Wollen, von ihr aus.
Fert mit dem Joch! Ich will frei leben und flerden!
&r fand raſch auf und ging mehrmals mit feſtem Auftritt
eimeß vollen Selbſtbewußtſeins bie Stube auf umb nieder, und
fepte ſich darın wieber behaglich in den Geffel. Eine Iange Zeit
fandte er dicke Tabakswolken aus, was er immer that, wenn er in
Nachbenken verfunfen war. Die alte Rofina trug das Abendeſſen
auf: er ſah's nicht, obgleih er von der Reife müde und hungrig
war und fich gefreut hatte, einmal wieber allein an feinem gewohnten
Tifchlem die von der renommirten Köchin Nofina ſchmackhaft zu⸗
bereiteten Speifen zu genießen. Ste mußte ihn zweimal erinnern.
„Ja fo!” fagte er dann, und ructe ſich das Liſchlein an den
Seſſel heran.
„Apropos! Roſima,“ ſprach er dann, „rufe mir doch ben
Herrn Stadtjchreiber noch biefen Abend.”
Rah diefem Befehle ließ er es fich weiblich ſchmecken und
faum war abgebedit, als auch ſchon der Stadtſchreiber hereintrat.
Er machte eine Menge Knixe und Kratzfüße und ſagte dann: „Es
freut mich über die Maßen, Euch wohlauf zu ſehen, geehrter Herr
Berlefick, beſonders nach ſolchen Drangfalen, wie Ihr fie in
Frankfurt habet erdulden müſſen.“
„Wie? Was?“ rief Berlefick, dem es wie Eis durch die Adern
rann. Gr mußte todtbleich geworden fein, das fühlte er, denn es
war ihm kalt vor Schrecken bis an's Herz hinan.
Der Stabiſchreiber, der des Mannes Jähzorn Tarınte, wid KB
in die Nuhe Ber Thuͤre zurick, um nothigenfalls ſich ſalviren zu
Pannen. Er ſagte verlegen: „Die Herren Rothgerber haben gar
mancherlei Satalitäten ung bericytet, die Euch ſollen zugefloßen ſein,
maßen ich mein Beileid nicht wollle unbezeugt laſſen.“
„Sparet Euer Beileid für dringlichere Fälle, Herr Stadt:
Horn’s Erzählungen. IX. 21
ſchreiber,“ eiferte Berlefick, „und fagt ben Herren Rothgerbern, fie
ſollten fih um ihr Leber kümmern, das ohnehin das ganze
Meßſchiff burchflänkert bat. Es waren Meine, poſſirliche Unfälle,
bie ein böfer Bube, ber Pitt, des Schiffers Eidam Sciffsiunge,
mir angezettelt hatte. Er brummt dafür in ber Mehlwaage zu
Frankfurt. Ab damit! Laßt und von etwas Anderem reben.
Sind die Schulden des verforbenen Wink bereit gerichtlich auf:
genommen?’
Der Stadtfchreiber, welcher im Stillen Gott dankte, daß er
fo glimpflih weggefommen war, bejahte bie Trage und gab ibm
ungefragt bie Verficherung, daß auch feine zweitaufenb Gulden
primo loco verzeichnet flünben.
„Hat er Kein Teflament gemacht?‘ fragte Berlefid.
Rein,’ erwieberte der Stabtfchreiber.
„So wird alfo das Haus verſteigert?“
Der Stadtfchreiber bejahte abermals mit dem Zuſatze, daß dies
ſchon morgen gefchehen würde.
Auf die Frage, ob das Haus Liebhaber habe, meinte ber
Stadtſchreiber, es fei fo gut gelegen, daß er kaum daran ziveifeln
könne.
Nach einigen gleichgültigen Redensarten dankte Berlefick für
bie Mittheilungen, und ber Stadtſchreiber machte ſich eiligſt aus
der Stube.
Aber jetzt brach des Alten verhaltener Grimm los. „Alſo
auch hier bekannt?“ rief er aus und rannte in der Stube herum,
wie ein Beſeſſener. Er fluchte auf die Gerber und auf ſeinen
Unſtern, denn er dachte ſich's, wie die Sophie, die Rectorin, trium⸗
phiren würde und ‚die Raifonnir-Raspel, bie ihm ber Rector
zugedacht. Indeſſen fah er, als er ruhiger wurde, ein, daß ba
auch nicht das Mindeſte zu machen fel. „Doch“ — fügte er —
„ich babe ein Mittel, fie bavon abzubringen, ih muß in anderer
MWeife von mir reden machen, und das will ich.”
— 323 —
Das Mittel war probat. Als am andern Tage ber Ausſcheller
die Verfieigerung im Winl'ſchen Haus außrief, kleidete ſich Berlefid
Rattih an und ging in dat Nachbarhaus, ba bie Verfleigerung im
Haufe felbR vorgenommen wurde.
Das Haus wurbe angeſetzt, unb nach einigen Geboten blieb
Berlefid für 2700 Gulden Letbietender. Er trat au ben Tiſch
und fagte: „Herr Stabtfchreiber, fchreibet mich nicht als Abfleigerer
, fondern meinen Better Ferdinand von bier, bdermalen in
unthurte
Ale Hälfe wurben lang und Aller Augen richteten ſich fragend
auf Berlefid. Er lächelte.
Sept kamen die Labeneinrichtungen zum Angebot. Auch biefe
fleigerte Berlefilt an. Als er das Protocol unterfchrieben hatte
für Ferdinand, ergriff er Hut und Meerrohr und ging hinaus auf
feinen Berg, benn ber Nachmittag war mild und ſchön. —
Set Kief dad Gerüht von Dem, was gefchehen war, wie ein
Lauffeuer burch bie Stabt und Niemand war betroffener, ald Sophie,
die Frau Rectorin, bie völlig an Berlefid irre zu werben anfing.
Die neue Mähr ließ die alte ganz vergefien, und Berlefid
batte feine Abficht erreicht. Was er mit bem ferbinand beabfichtige,
zu erratben, war die Aufgabe. Der Rector kam, ihn zu befuchen,
allein Berlefid bebauerte, wie er ihm durch bie alte Rofina, bie
er gehörig inſtruirt hatte, fagen Tieß, baß er feinen Beſuch nicht
annehmen Tönne, ben er fih für immer verbitten lafle Das war
benn body dem Rector zu viel. Schäumend vor Zorn eilte er
beim, feiner Sophie e8 zu berichten, bie benn ihrer Galle recht ben
Zügel f Kick ließ.
„Sr ift ein Narr geworben, bie Sophie hat's auch gejagt,“
war des Rectors Rede überall.
Unterbeffen ließ Berlefick alle Bauhandwerker der Stadt kommen
und übergab ihnen die Herſtellung des Hauſes, welches er vom
Grund auf repariren ließ. Er ſchonte keine Koſten dabei, und als
21°
— 834 —
Guſtelchen endlich mit dem Meßſchiffe zurückkam, temıte fie weder
ihren Ohren, noch Ihren Mugen, und bie Bruſt ſchlug höher bei dem
GSedanken, daß hier des Geliebten Gluͤck blühe and — das Über.
Allein in Berlefick war doch eine grundliche Verindetung vor
gegangen. Et Rand nit mehr ftundenlang am Fenſter und blickte
nach ihr, wenn Tre drüben am Fenſtet ſuß und nühte ober frkkte
Er kam nicht mehr heruber, und als der alte Eidam Ihm den Michn
zahlte and das Darlehn zurückgab, da zahle er für bie Reife nach
Frankfurt wie ein Fürſt, alfo daß Eidam das Geld nicht annehmen
woitte und +3 nur gezwungen that. Darauf wußte Rofiaa cine
Ertraflafche holen, und als Beide vertraulich beieinander ſahen umd
Eidam nun die Erbffnungen wegen ber Sermählung zu empfangen
Herb hoffte, halb fürchtete, fagte Berlefick:
„Herr Nachbar, Ihr wilfet, Alter ſchützt vor Thorhelt nich.
Mich bat etwa vor vier Wochen, als wir in meinem Berge
beieinander waren, bie Angel ber Thorheit geftochen, baß ich noch
an's Heirathen date, und zwar waren, wie Ihr wifſſet, meine
Gebanten duf Euer Töchterlein gefallen. Davon bin Ih nun
furht, und daB iſt ber Gegen ber Reife mit dem Meßgßſchiff.
Euch bin ich ol zu Denk verpflichtet, einmal, weil Ihr mir dus
Zutrauen fchenftet und nichts gegen meine Abfichten. einzumersben
hattet, ſodann Dafür, daß Ihr mich zu ber Reiſe berebetet, bie mir
bie Augen geöffnet Bat. Ich will bem Glück Eures Windes, das
mich doch nur gezwungen genommen hätte, nit im Wege ſtehen
und ledig leben und bieiben. Das ſoll aber umfer gutes Einver⸗
nehmen und nachbarliche Freundſchaft richt ſtören, darauf geb’ ich
Euch die Hand.“
Er reichte fie dem Schiffer, der in der größten Werlegenheit
war und nicht wußte, follte er traurig fein, ober fich freuen. Er,
für feinen Theil, hätte es gerne gefeben, berm ſolch einen Schwie⸗
gerfohn bekam er nit wieber; über freilich hatte Ihm Guſtelchen
auf ber Heimfahrt ohne Hehl gefagt, fie werde liebet ſtetben, als
— 85 --
dea Alten Fau werben, und wie «3 wit hen Ferdinand ſtand,
wußte er auch genau, viel genauer, als früher.
Die unangenehme Stellung Eidam's bei biefen Eröffnungen
wurde dadurch gehoßen, daß ber Stadtfchreiber eintıet, um nad
Berleftt8 Wunſch bie Ausgleichung feiner Forderungen an bie
Wink'ſche Nachlafſenſchaft mit bem zu zahlenden Kauffchilling vor-
zunehmen. Er ſchob fi und Hinterbrachte feiner Tochter die Sache,
bie feelenfrob war, während ber Vater ihr über die Behandlung
Berlefick's auf dem Schiffe nachträglich noch einmal den Tert las
und ben Kümmel ried, wie er e3 während ber Yahrt felbft mehr
mals insgeheim gethan hatte, ohne aber den geringſien Erfolg zu
erzielen.
‘ Niemand bebauerte aufrichtiger und aus treuerem Herzen biefe
Wendung der Dinge, als der ehrliche Cantor und feine Frau, bie
ihrer Pathe großes Glück frohlodend begrüßt halten.
Berlefickss Herz war ſeitdem leicht. und froh. Er fang und
pfiff ſogar, wenn er nicht rauchte, was Roſina nie erlebt hatte
und nicht verfäumte, der Jungfer Guſtelchen zu berichten, bie ſich
fo herzlich barüber freute, daß auch diefe Freude der alten Rofina
ein Räthſel blieb.
In Berlefil’3 Thun war auch barin eine Aenberung einge:
treten, daß er, obgleich das Wetter noch lange Bin ſchön blieb,
nicht mehr auf fernen Berg, auf fein Lieblingsplätzchen ging. Des
hatte aber feinen Grund darin, daß es wit Pitt's Bekenntniß ach
berausgelommen wear, wo er ſeinen Wein verbeugen hoͤtiet. Damit
war ibm ein Reiz bed Pläbleind geraubt. Er Ichle überhaupt
eingezogener und ſtiller, ging bloß zu ben Arbeitetn m Nebenhaus
and leijete bie Einrichtung, und Ahends machte er einen Spazier⸗
gang. Begegnete ihm ba der Herr Rector und ſeine Ehehälfte mit
der von ihnen unzertrenvlichen Raiſonnix⸗Raspel, ſo mer Berlefek
hochſt hoflich, aber von drüben herüber grollien ihn zornige Blicke
— 836 — J
und Gefichter an, und lachend ſagte er oft: Die Sophie hat'ßs
auch gefagt! ‘
So kam denn ber Herbit, welcher bem alten Herrn vielfache
Beichäftigung brachte. Das Haus war nım fir und fertig, und er
war frob, daß er bierin Unterhaltung fand. Noch vor Weihnachten
traf Ferbinand, wie er ihm gefchrieben hatte, in Bacharach ein und
wohnte bei bem Herm Vetter. Grenzenloß war feine Dankbarkeit,
als ihn Berlefick in das Haus feiner Lehre führte, ihm bie Ein⸗
richtung zeigte, die trefflich unb zweckmäßig war, und ihm dann bie
quittirte Kaufurfunde und fomit bag Haus zum Geſchenke machte.
Thränen entflrömten ben Augen Ferdinands, ber ohne biefes
Greigniß dad Ziel feiner Wünfche in weiter, bunfler Ferne hatte
liegen geſehen.
„Nur Eins,” fagte Berlefick, „habe ich von Dir zu verlangen.
Du bift ein Schüler des Rectors und bift wohl einmal zu ihm
gegangen. Ich kann ihn nicht leiden. Verfprih mir, daß Du
feinen Verkehr mit ihm haben willſt.“
Das that Ferdinand, und Berlefid eröffnete ihm, baß er bie
völlige Einrichtung ſeines Gefchäfts beftreiten werde.
9.
Ein halbes Jahr fpäter war Ferbinands Gefchäft eine ber
blũhendſten in der Stabt. Sein Angeſicht firahlte von Glück.
Nichts ſtörte das herzliche Einvernehmen zwifchen ihm umb feinem
Herrn Better, bem er ben bolländiichen Knaſter unb bie bollän-
diſchen Pfeifen in Töftlider Qualität beſorgte.
Die Zeit, bie manches Unliebe ausgleicht, war denn aud eine
Bermiftlerin zwifchen Berlefll und dem Rector geworden, beſonders
fett die Frau Raspel eine Stätte unter bem Raſen bed Sand
Werner gefunden hatte. Sie ſprachen wieber miteinander und nach
und nach Fam e3 auch wieber zu Beſuchen. Ouſtelchen war gegen
» — 397 —
den Herrn Nachbar fehr herzlich, und er freute fich deffen, ohne
daß die Gedanken bes vorigen Jahres irgend je und wie aufge
taucht wären. Ex war fehr heiteren Gemüths unb hatte fich fo des
Geben? an Ferdinand erfreut, bag er überhaupt eine Freigebigkeit
annahm, die ihm Niemand fonft zugetraut. Er ging auch wieber
täglih an fein Lieblingsplägchen und empfing bort feine Beſuche,
doch mußte Rofina ein gewiſſes Deputat Krüge Binauftragen, über
bie hinaus nie gegangen werben Tonnte, dba das Fleine Kelferlein
befannt geworben war.
. Eined Tages ſaß er ba in ber Kühle am Mittag eineß fengenb
heißen Zunitages. Niemand ließ fich rings umher erbliden. Die
ganze Natur fchien gelähmt und Fein Vögelein fang in den matt
herabhängenden Zweigen.
Berlefick dachte darüber nach, daß doch Ferdinand nicht wohl
länger eine Junggeſellenwirthſchaft halten und führen könne, als
biefer unvermuthet ben Berg heraufitieg und zu ibm trat. Wie
immer, bieß ihn Berlefick freubig willlommen, denn ber Jüngling
befaß feine ganze Liebe, feit er fo tüchtig fein Gefchäft führte und
bie wohlverdiente Achtung ber ganzen Stabt genoß.
Heute ſah man es ihm beutlih an, daß er etwas Schwered
auf dem Herzen hatte, daS nicht recht herab wollte Auch Berlefick
merkte daß und abnete, was es etwa fein möchte, nämlich eine
Heirathsangelegenheit.
Lange wurde von Dieſem und Jenem geredet und Berlefick
ergötzte ſich an der wachſenden Verlegenheit ſeines Vetters. Er
wußte lange, daß zwiſchen ihm und Guſtelchen eine alte Liebe
beſtand, zwiſchen die er einſt unfinnig hatte hineintreten wollen.
Und doch hatte es ihm Ferdinand nicht nachgetragen, ſondern ihm
die viele Lieb' und Treu' in Frankfurt erwieſen. Das ſchlug er
ihm doppelt Hoch an. Freilich ahnte Ferdinand nicht, wie er dachte,
und fürchtete, er möge die Wahl Guſtelchens aus allerlei Gründen
mißbilligen. — Darum wurbe es ihm fo ſchwer, davon zu reden,
— 828 —
und — es war doch nothwendig, dem ohne eine ſorglich waltende
Hausfrau ging's eben nicht mehr.
Bexlefick wollte ihm endlich doch das Herz erleichtern und ſaske
er meine, es drücke ihn Etwas?
Da brach ber Arme die Fejſeln und rebdete zwar ſorgen⸗ und
angſtvoll, aber beredt, weil wahr, über feine häusliche Lage und die
Rothwendigkeit einer weiblichen Gehülfin, bie ala ihe eigenes fein
Hausweſen verwalte.
„sn Summa, Du wilft heirathen? ſagte lachend Verlefick.
„Run, in Deiner Lage und in Deinen Jahren — haſt Du Recht,
und ih wüßte Div eine wadere, tüchtige rau.‘
Ferdinand erbleichte.
„Brauchſt nicht bleich zu werden,“ rief Berlefick. „EB iſt
eine verſtändige —
„Ach Gott,“ rief angſtvoll Ferdinand, — „ich —
„Nun, ſo laß mich doch ausreden,“ ſagte Bee, „an
weißt ja noch gar nicht, wen ich meine,‘
„Freilich,“ fiel Ferdinand ihm in die Rebe, „aber es tzunte
mir mit Euch gehen, wie Euch mit dem Rector, wie Ihr mir
einmal erzäblt habet.“
„Ich wollte Dis,” fuhr, unbeiert von dieſer Einſchaltung,
Verlefil fort, „ur vorſchlagen. Die Wahl bliebe Dein, und ba
wär's Eidam's Gufteldyen, das ich vorzüglich geeignet, fünbe, zumal
ba3 ja Dein alter Schab ift, bei dem ich olter Naxr Dir einmal
in's Gehege gehen wollte.‘
Er hatte die Worte kaum ausgeredet, als Ferdinand ihm um
den Hals fiel und ihn herzte und Füßte „Gott bat. mir in: Euch
meinen Bater wieber geſchenkt,“ xief er mit umiger Ruͤhrung aus.
„HOhne Ture Cinwiligung bätte ich nicht gebeiratbet, und nun
trifft Eure Meinung mit meiner Neigung zujamuen. Wer ifl
glühficher, als ih?"
-, Ih wiirde auf Guſtelchen rathen,“ verſehte Berlefick und
— 829 —
wiſchte fig eine Träne weg, hie Ferdinands herzliche Worte ihm
andgepeeht. — „Aber, Ferdinand,“ fagte er, „Du ſollft dad Wert
som Vater, ben ih Div erfege, nit umfonft gejagt haben. Ea
fehlt zur Haushaltung noch viel, und Eidam iſt kein reicher Mann.
Das Alles beſtreite ich. Vaſta! Nun geh' zum alten Eidam
und frage, ob Du ſein neuer werben dürfteſt? Heute Abend ſoll
bei mir Verlobung fein. Gage mir's aber zeitig.‘
Ferdinand eilte fort und Fam fihon nach einer Stunde, trotz
ber Hibe, wieder ‚beraufgelaufen.
„Richtig?“ fragte Berlefid.
„Alles!“ war Ferdinands Antivort.
Da brachen ſie denn ſchnell auf, und am Abend ſahen um
Berlefick der ehrliche Cantor und feine Frau, Eidam und das
glückliche Pam. Das war bie ganze Geſellſchaft, aber fie waren
glüͤcklich, und ber Kuß, den Guſtelchen Berlefick unter Freuden⸗
thräsıen gab, bat ibm alle Unbill ab, bie fie ihm auf dem Meßſchiffe
zugefügt. Hier hörte er denn aud, daß des Rectors Sophie das
Alles angezetteli hatte; aber ex zürnte ihr, er zürnte Gußtelchen
nicht mehr. Alles war vergeſſen und vergeben, und als er eine
Standrede über bie Wahrheit des Sprüchwortes hielt, daß nur
Gleich und Gleich ſich gut geſelle, da ſchloß er fie mit des Ractors
Bependen Rebe und Satztzſchluſſe: Die Sophie hat's auch gejagt,
und Ale lachten aus Herzens Grunde. \
Sp heiter, wie er heute war, hatte ihn Niemand jemals
gefeben.. Er wollte aber auch nur Glüdlide um fich haben.
Darum ftand er auf und holte ein Papier, bad er vor Aller Augen
zerriß, und ed bann dem Cantor reichte, der ihn flaunend anfab.-
„Heute, fagte er, „fol jedes Herz froh fein. Es iſt Eure
Schulbverfchreibung, Vetter; fie ift nun bezahlt.‘
Der Cantor verlor ganze feine Faſſung iiber bdiefen Schritt
Berlefick's aber feine Freude war doch fo innig und groß, wie
fein Dan. \
— 880 —
Hter Fünnte ich enden, ba Sehaflian Fabian nur noch Die
Bemerkung macht, bag die jungen Cheleute den Herrn Berleſick
bis zu feinem Ende auf ben Händen getiggen Hätten; allein ich
finde einige Seiten weiter noch einen bierher gehörigen Punkt.
Er beißt: |
„Item e3 if in voranftehender Hiftoria viel die Rebe geweſen
von bed Peter Eidam feinem Schiffsjungen, bem Pitt, fo ein
Salgenftrid geweſen und allerlei Maleſiz dem Herrn Berlefid
zugefüget. Selbiger Tagedieb hat in Frankfurt etliche Zeit gefefien,
worauf fie ihn alsdann ein Weniged geftäupet und über das
MWeichbild freier Stadt binmusgetrieben. Item, was er vor den
Mauern bed Arbeitshauſes noch nicht wußte, felbiges bat er fattfam
innerbalb berfelßen gelernt, wo er mit allerlei Spitzbuben⸗
geſindel zuſammenſaß. War eine gute Schul’ für ihn! Hernachmals
ift er erft redit ein Spigbube worden, und hat viel Unfug getrieben,
bis der Krug ben Henkel brach, ber lange zum Waffer, aber nicht
zu ben bes Leben, gangen ifl. Er ift nämlich nacher etlichen
Jahren im Speffart gefangen worden und find fo viele Malefiz⸗
ſtreiche auf ihn gekommen, daß er iſt nach Verdienſt zu Hanau
zum Strange verurtheilet und auf ber Sanbedgrenze, allwo, wie
jevermänniglich weiß, der Galgen, gleichwie drüben über'm Sifein-
gegen Heilloſſen-Wörth über, allwo Churpfalz (Gott erhalt's!) und
Churmainz (ift nicht mein's) grenget, ſtehet, ihme ber Stab ge:
brochen und er gehenfet worden.”
Eine Nacht in der Holzshanerhütte.
Aus dem Nachlaffe meines Großoheims.
III I SI NIE
Bas Jahr 1811, erzählt mein Großobeim in feinem Tage
buche — war das fchönfte, gefegnetfte feit Fünfzig Jahren. Man
meinte, es hätte feinen Winter verloren — oder ber herrliche
Komet, ber bis in den October in voller Pracht am Nachthimmel
fand, häfte ihn mit feinem gewaltigen Schtweife weggefegt. Tief
im September gab es noch Gewitter, wie im Juli, und bad war.
dag Eigenthümliche, daß fie meift Nachts Tamen; daß fie die At-
mofphäre nicht abFühlten und daß ihre Negengüffe nur Nachts
fielen, während am Tage die Sonhe mit tropiſcher Kraft berab-
brannte. Es war eine Jagdzeit, wie ich mid) feiner aus meinem
Leben erinnere. Ya, Fagdzeit! Damals ging noch ber ſtolze Edel:
biefch in ben Hocwäldern des Nheinlandes, wenigſtens bed Huns-
rüdend; damals grungten noch Rubel von Keilern, Bachen unb
Friſchlingen durch die Waldhöhen, und daB ſcheue Reh fehredte
nicht felten in biefen ſchönen Waldregionen, bie freilich damals bie
übel verftandene Forſtwirihſchaft und die fatale Einrichtung ber
jogenannten Coups über Gebühr lichtete. Die Jagd erfreute noch
des Menfchen Herz, wern bie Jagdzeit Fam — ber Hafen, Füchſe
und der Hühnervöfler gar nicht zu gebenfen, die reichlich vorhanden
waren, |
Ich war in jener Zeit felten bahelm, und von Treib: unb
Keſſeljagden, von Pürfchgängen und Anſtand vbollig gefättigt, Tehrte
ich in der Regel ſpät im Jahre in bie vier Wände zurüd, denn
bie ſaͤmmilichen Torfibeamten waren meine Freunde ımb meir
Schuß Hatte fih einen Ruf erworben im Lande. Kein Amt band
mich, feine Geſchäfte Iafteten auf mir, feine Kinderſchaar forderte
väterliche Auffiht, Feine Frau murrte über mein Ausbleiben —
warum ſollte ich nicht hie Freuder ber, Jegh gendehen?, : Zenſeits
bes Rheins, aus den naffautfchen Forſten heimkehrend,“ fand ich bie
Einladung zu ben Jagden ber Berghöhen, bie fih vom heine tief
in's Land hinein ziehen. Sie fam von treuer Freundeshand und ich
folgte alsbald. —
Dort droben lag ein Forſthaus auf dem Waldgebirge, einſam
und ſtille. Mächtige Eichen, an denen Jahrhunderte vorübergegaufcht
waren, ſtanden um daſſelbe herum und der Wind ſpielte in ihren
Wipfeln und Aeſten gar oft ſeine ſchauerlich wilden Melodien auf,
bei denen es ſich, wenn man müde dort einfehrte, unbeſchreiblich
behaglich ſchlafen ließ. Hundegebell, Windesbrauſen und das Ge
Happer der hohen Pantoffelabſatze ber hochbetagten, aber höchſt
lebendigen Schweſter des Oberförſters, die ſich die Tracht und die
ſtrenge Sitte des vorigen Jahrhunderts treu bewahrt hatten, waren
die einizigen Laute, welde bie dauerndſte Ruhe und Stille unter⸗
brachen. Der Oberförſter oder Garde à cheral, wie fein Titel in
ber verbammten Franzoſenwirthſchaft hieß, wor ein prächtiger Menſch.
Groß wie ein Miefe Goliath, breitſchulterig und woetterhart, wie
Einer, der alle Unbill der Zeit und ber Witterung ertragen gelernt
von ber Wiege an, bzummig und Inurrig anzußhauen und anzu:
hören, wer er fanft wie ein’ Mädchen und gemüthlich wie eine
Großmutter. Im Dienſte aber verſtand er feinen Scheu und als
Züger noch weniger. Ich mollte es Keinem gerathen haben, eine
Kuh oder ein Altthier zu ſchießen flatt eines Bockes! Hinderniſſe
gab es für ihn nicht und bie Witterung wußte das Höchſte
ihrer dem Gefchöpfe unlieben Macht entwickeln, wenn er zum Rüd:
zuge blied.
Ben ihm, bem alten Freunde, Schul⸗ und Lebensgenofien,
lag die Einladung auf meinem Tiſch, als ich heimkam. Dort oben
hatte ich meine ſchönſten Tage und Stunden verliebt; dart oben
— 388 —
war bie reichſte, lohnendſte Jagd; dort oben lebte man frei von
allem Zwange, ed ſei denn Im Bereiche der Jiungfer Ottilie, ber
Schweſter meines Freundes, welcher Zwang aber dennbech ſein
Anſprechendes hatte. Was konnte mich abhalten, Waidgeräthe anzu⸗
legen und ben Gebirgaweg einzuſchlagen? Go trat ich denn den
Bang an, zur Jagd vollſtändig gerüßet, von meinem trefflichen Caro
begleitet und von der beſten Laune. Mit allgewohnter Herzlichkeit
aufgenommen, trat ich am Abende in das einſame Forſthaus, wo
es ſo ungemein behaglich war.
Schon am erſten Abend wurden die Dispoſitionen gemacht,
die Jagden beſtimmt und am nächſten Morgen weckte mich das
Hundegebel mit grauendem Tage, das zum Walde rief.
Wie ſich Jagd an Jagd reihte und manch' ernſtes und komi⸗
ſches Abentener ſich folgte, das iſt nicht mein Zweck zu erzählen.
Meine Tagebücher würden zu einer Bibliothek anſchwellen. Nur
die Geſchichten einer Nacht will ich feſſeln, daß ſie mir nicht ent⸗
fallen und ich auch ſpäter noch einmal ſie mir zurückrufen kann.
„Heute müſſen wir auf den Anſtand! Ich werde Dich an den
beſten Wechſel ftellen,” ſagte eines Mittags der Oberfoͤrſter. „Ich
fürchte nur, daß ums dieſe Nacht ein Gewitter überraſcht. Es ſind
wieder alle Anzeichen da und dies Jahr hat wunderliche Launen
bis in den Altweiberſommer.“
„Thut nichts,“ ſagte ich. „ſtommi's frühe, fe gehen wir
heim; kommt's fpät, fo haben wir vielleicht unſere Jagd gemacht.
Und werben wir naß, nun, fo kleiben wir uns um ober legen una
zu Bette.”
„Brad geſprochen,“ fagte er bachend. ‚Kine beitten Fall heß
Du aber vergeſſen, ben ich nachtrage, ben namlich, daß es unß
ſchnell über die Haut kommt. In dieſem Falle führe ich Dich in
die Holzhauerhülte, die uns ganz nahe liegt. Ottilie ſorgt befür,
daß wir weder Durſt noch Hunget leiden müſſen, nnd mein alter
Holzhauermeiſter Knipp fell Bir Geſchichten erzählen, von been
Du ja ein Freund di 9
%
— 84 —
Damit war die Sache erledigt. Ottilie padte dem Säger-
burfchen einen Korb vol Unentbehrlichkeiten bes behaglichen Dafeins,
auf bie fie fich verftand, und wir zogen zum Walde.
Der Abend war für die Jahreszeit wahrhaft fhwül: aber
auch die Befürchtung meines Freundes traf ein. Che wir unfere
Stelle erreichten, rollte fehon ber Donner über unfern "Häuptern,
und wenn wir nicht durchweicht werben wollten, ohne doch aud
nur im Entfernteften unfern Zwed erreicht zu haben, blieb uns Feine
Wahl, als die Einkehr in der Holzhauerbütte.
Unweit eines bochemporragenden Graumadengefteing fahen
wir, von ber Höhe nieberfteigend, den Rauch ber Hütte Gie
lehnte an dem Felfen und ein Dreied mächtiger Buchen ficherte
ihr Beſtand und Halt. Als eben die erften, fetten XTropfen vom
dunkeln Himmel nieberfielen, erreichten wir fie Es war etwa adht
Uhr und die Nacht Fam ſchnell und dunkel, denn der Himmel hatte
ven Wettermantel dicht zuſammengezogen. Blitze zudten blendend
om Himmel bin und der Donner rollte fchon mit gewaltiger, wenn
auch bumpfer Stimme.
. Sol’ eine Waldhütte ift ein ganz eigenthiimlicher, aber gegen
Wind und Wetter ſchützender, ſehr foliver Bau. Man muß eine
gejehen haben, um fich eine beutliche Vorſtellung bavon zu machen.
Sunge, ſchlanke, hochſtämmige Bäume werben gehauen und im
weiten Zirkel mit ben biden Enden in die Erde, Stamm an
Stamm, eingerammt und an einander bauerhaft befeftigt, jo daß
die Hütte vollfommen die Geftalt eines Zucderhutes annimmt. Run
werben die Stämme fo dicht, als ed geſchehen kann, mit Reifig
durchflochten und zwar bis oben bin. So entfleht eine bidhte
Wand, die aber vor Regen und Luftzug noch nicht hinlänglichen
Schu gewähren würde Hierzu kommen bie abgefchälten, großen
Rafenftüde, welche feucht auf das Meifig gefchlagen werben, und
zwar in mehrfachen Lagen, bis auch ber allerwilbeflen Laune des
Wetter und ber Ausbauer eines langathmigen Landregens eime
⸗
— 835 —
Schutzwehr entgegen ſteht, vor der ihre Macht die Segel ſtreichen
muß. Daß oben eine Art Schornſtein angebracht wird, um dem
Rauche den freien Abzug zu bereiten, verſteht ſich von ſelbſt.
SR der Bau vollendet, jo iſt die Thüre das Nächſte, woran
man benft. Groß iſt fie nit. Die Deffnung bleibt zwifchen zwei
Bäumen, und um fie gehörig fchließen zu Tünnen, werben lange
Reifigbüindel an zwei oder drei Stangen eng aneinander gebunden
und von außen wibergeftelt. Nun ift das Haus gebaut unb das
Einrichten ded Wohn: und Schlafraumes erforbert die nöthige Auf-
merffamfeit. Ob biefe überall gleich ift, weiß ich nicht; darum will
ich eben nur bie unfere befchreiben. Rechts von ber Thüre flanden
auf einer Erhöhung von Waldfleinen und Rafen zwei Eimer voll
frifhen Quellwaſſers, das nicht ferne zu finden war. Bon da af
‚ zogen fich die Betten bin, und zwar rund herum an der Wanb.
In der Länge eined Mannes abgefchnitten, waren brei mäßig bidt
Stämme auf einander gelegt und an Hinter ihnen eingerammte
Pfähle oder Pfoften befeftigt. Sie bildeten eine Sitzbank und flanden
fo weit von ber Wanb ab, ba zwifchen ihr und ber Bank Raum
blieb, um aus Moos und dürrem Laub eine hohe und weidhe
Schlafſtätte für je zwei Perſonen zu machen, bie durch Querwände
von ähnlicher Zufammtenftellung gefchieben waren. Inmitten ber
Hütte ftand ber Herd, ben eine berbe Steinplatte deckte. An ben
Wänden waren Holznägel eingefchlagen, an benen Kleider, Borräthe
in Säden, einige Blechgeräthe, Sägen unb bergleichen hingen.
Links der Thüre lag das fauber aufgefchichtete Brennholz. Der
Boden war reinlich gelehrt, und ich kann fagen, daß es mich auf
ben erften Blid in dem Raume anmuthete. Auch für ben Ober-
förfter war ein ſolches Moosbett vorhanden, auf dem zweie fehr
bequem Raum hatten. Es war mit reinem Linnen überbedt und
Hatte zwei ebenfo überzogene Mooskiſſen. In der Nähe bes Bettes
fand ein roh aus Zannenbrettern gemachtes Schränflein, barinnen
feine Borräthe aufgehoben zu werben pflegten. Cine Kaffeemühle
und ein Waſſerkeſſel Iegten Zeugnig ab, wie gerne mein alt-
— 886 —
Freund die edle Fluffigkeit Uebte, welche das LAbfud der Bohne
Arcwbiens iſt. —
Alz wir elntraten, lag ein Haufe won Kohlen und heißer
Aſche auf dem Herde und der duftige Geruch gebtatener Kartoffeln
erfüllte die Hütte. Die matte Gluth ließ drei oder vier Geftalten
erkennen, welche ſich bei unſerem Eintritte grüßend von den Sig:
balken erhoben, welche zugleich die Scheidewand der Bettſtellen
bildeten.
„Gnien Abend, Knipp!“ grüßte der Oberförſter eine der im
Dreiviertelbunfel ftehenden Männergeftalten. „Hat ber Saveriges
(wie dag Volk den Namen: Zaverius ausfpricht) den Korb meiner
Schwefter abgeſtellt?“
„Alles in Ordnung, Herr!” antwortete eine fonore Stimme.
„Gut, aber fchreitet an's Werk; bie Karteffein find reif,
wenn mich meine Witterung nicht im Stiche fäßt,“ fagte meik
Jreunb. \
Alsbald erfihien ein Jüngerer am Herde, ſcharrte die heilen,
gebratenen Kartoffeln in eine große, irdene Schüſſel und flellte fie
fergfältig in eine am Boden befindliche Vertiefung weben bem
Herde, in welchem noch heiße Afche lag und legte ba auf bie
Kohlen geipaltenes Holz, das fchnell in heller Lohe aufging. Rum
erſt zundete ber Mann, welden mein Freund mit ben Namen
nipp benannte, eine Oelampel an, bie an einer einfachen Draht
fette hing, und jett war die Hütte fo weit beleuchtet, ba man bad
Einzelne unterfcheiden konnte. |
Knipp war em Greis von etwa fiebzig Sahren, aber no fo
robuſt und fihmellträftig wie ein angehender Fünfziger. In feinem
ſchönen Kopfe Teuchteten Mare, große Augen, bie noch Feiner Brille
bednrften, unb wäre ſein Haar nicht ſchneeweiß geweſen, Niemanb
wirbe ibm Für fo alt gehalten haben, als er war. Der Ausduid
«3 Gefichtes war ernfi, finnig und bo milde Der Jüngere
fein Sohn, ber bie Befehle des Water mit großer Punkllichkel
* Die Uebeigen waren gewöhnliche Menjchen, bie mir kei
Jierefie einfiäitten,
Als die Flamme loberte, fang bald das Waffer im Keſſeh; hie
Reffeemilhle wufickte und Knipp Dfimete das Gıhrlinflein, aus bem
er Milch umeb Anbeved beramluchm. Murz, ein herrlicher Kaffee
lobte uns, zu dem wir gebratene Kartoffeln mit Butter afen, eine
Zufammengruppirung köſtlicher Art; dann ſchmeckte ums Falter
Bilveraten und Bein vortrefflih und die Holjzbauer waren unfere
Bhfte, was Ihmen ehr wohlthat und gefiel.
Als Knipp Alles weggeräumt, ſeyten wir uns auf bie Balken.
Das Feuer verloſch umb bie Heine Lampe warf ihr büflereß Licht
auf die Räume, bie nur in ihrer nächftien Nähe Keller beleuchtet
waren. Die Pfeifen wurben angezündet und mir ſaßen gemuthlich
beiſammen.
Draußen war indeſſen das Bewitter echt losgebrochen. Ber
Sturm tobte in den Buchen, in bern Schu bie Hütte fand, iR
wollte er fie mit einem Athemzuge eutwurzeln. Daß vanfchte, heulte,
krachte, als folle Alles in Trümmer gehn. Hätte bie Hüte frei
und nicht - unter bem Schuge ber brei Buchen und bei Felſenß
gefauden, ber ſich hinter ber mlchtigen Baumgruppe und faſt bis
zur Hulfte ihrer Hbhe erhob, ber Sturm hätte fie uns, trotz ihrer
harten Bomart, Über den Köpfen zuſammengeworfen. Vom Sturme
gepeitſcht, Flug ber "Regen heftig gegen bie Wände der Hütte und
ich dachte jeben Augenbid, er würde unb überflutben. Mur in der
Ruhe Knipp's gewann Ich Zuwauen in unfer Obbach. Die Blige
folgten Ach, ziſchend wie feurige Schlangen, Die ſich verfolgen, und
ber Donner rote umb prafßfelte furchtbar über bie Wipfel beß
Waldes dahin.
„Das MR wieder bee Kopf ber alten Burg," ſagte ber Dber-
förfier zu Rnipp, „ber DaB Wetter halt!“ Dieſer nickte. Fort und
fort blieb das Wetter gleich ſtark, wild und graufig. Plotzlich
erhellie ein Blitz ſelbſt die RRume ber Huͤtie; Heil brachend folgte
ber Deumerfchlag. Knipp Heß bie ra 3 den Mande und
Horn’s Erzählungen. R. 22
— 338 —
ſagte: „Gott ſei uns gnädigl“ — Dann athmete er tif auf und
ſagte: „Nun hat es ſich entladen und von der „alten Burg“ los⸗
gemacht!“
Wirklich trat Ruhe in ber Natur ein, aber bie Stetigkeit,
mit welcher jet der Regen zu fallen begann, fihmitt und jede
. Hoffnung ber Rückkehr nad, dem Forfihaufe in biefer Nacht ent-
ſchieden ab,
„Nun, Knipp,“ fagte. ber Oberförfter, als unfere Pfeifen
bampften, ‚zum Heimgeben ift weder das Wetter noch ber Wald-
weg angelban. Wir müſſen bleiben. Zum Schlafen fehlt uns auch
noch die Luft. Wißt Ahr was? Erzählt ums eine Geſchichte, bie
For erlebt. Den Herrn bier werdet Ihr vecht erfreuen! Und Ihr
babt Manches in ber Welt erlebt.”
Der Alte lächelte. ‚Wenn Sie es jo wollen,’ fagte er, „da
will ich Ihnen wohl eine Geſchichte erzählen, bie in meine jungen
Jahre fällt und an die ich durch Mattes bier erinnert werde. Die
Perſonen, deren Unglück ich Ihnen jetzt erzählen will, habe ich ſelbſt
noch genau gekannt, und den Mann, der das unglu anrichtete,
kennen Alle, die den Hunsrücken kennen.
„Sie wiſſen,“ hob er an, „die Bäche, welche von der Höhe
des Soon ber Nahe zufließen, oder, vom Hunsrücken kommend,
bie Soone Höhe durchbrechen und fih dann in die Nahe ergieken,
haben ſich alle diefe Rinnfale in unvorbenflicher Zeit gewühlt. Es
find weniger Thäler, als enge, tiefe, wilde Schluchten, die ſich dann
und wann einmal Tefjelartig zu einem lieblichen Thalgrunde er:
weiten, wo dann auch bie Seiten ber Berge mehr abgeflacht und
ben Pfluge und ber fleißigen Dienfchenhand zugänglich find, während
ihre Sohle faftige Wiefen birgt. In einem folchen Thalleſſel,
welchen ein mwafjerreicher Bach burchfchäumte, Tiegt eine Mühle, bie
aber feit ber Begebenheit, welche fie berühmt gemacht hat, ſchon
breimal ihren Herrn wechfelte, und doch find nicht eben ber Jahre
viel ſeitdem in's Land gegangen. Das hatte fo feine Gründe, bie
freilich nicht eben gerade luſtig zu hören und zu erzählen find,
— — — — — — — —
| — 889 —
„Die Mühle lag nicht eben ſehr günſtig, beim fie Hatte zum
nädfeen Dorfe thalabwärts brei Biertelunben, und zum nächſten
im Gebirge eine gute pfälzer Stunde, bie, wie wir bier zu fagen
pflegen, ber Fuchs gemeſſen hat, wobei er bei jebem Schritte bie
Sthweiflänge zugab. Dennoch war fie biejenige, welche. am Mleiften
“zu thun hatte in ber ganzen Umgegend. Sie hatte nämlich Wafler
bie Fülle durch's ganze Jahr unb ber Müller, ob er gleich als
Hochmuthspiuſel bekannt „war und bedacht wurde, war fehr thätig.
So kam ed, daß bie Muͤhle nie leer wurbe und ber Müller immer
reicher... Dennoch kam faft Niemand auf bie Mühle Er hatte drei
Säule, die ein fchöneß Gewicht wegzogen und der Mahlknecht führte
die Frucht zu und bad Mehl fort, und ber Müller lebte wie ein
Einfiedler. Er war Wittwer und fein einzig Kinb war ein Müllers:
find von wunberbarer Schönheit. Sie war in ber Stadt erzogen
worden bei einer Mutterſchweſter, und ba wußte.fie, daß fie ſchön
und reich fei. Damals, fie war eben achtzehn Sabre alt und nichts
Schöneres zu fehen, als Thalmüllers Gretchen, Tamen alle Sonns
tage bie jungen Burfchen auf bie Mühle, aber als ſie merlten, bag
entweber ba Gretchen fie hänfelte oder fich nicht3 um fie fünimerte,
blieben fie weg und fagten:- Die warte auf einen Grafen, ein ehr⸗
licher Bauer oder ˖ Müller fei ihr zu geringe. Wahr ift es geweien,
und fie fagte es ohne Hehl, fie wolle nicht ihr Lebenlang in ben
Kuhſtällen nachſehen oder Mühlſtaub athmen; fie fet für etwas
Beſſeres erzogen. Bon ba an wurde es. wieber jo flille auf der
Mühle, wie früher. Das geftel dennoch dem eitlen Gretchen nicht,
und es hätte gar gerne einen hübſchen Schab gehabt, freilich keinen
Bauer und keinen flaubigen, mehligen Müller, bie ihm beide ein
Greuel waren. j
„Run wäre dazu Rath geweien; denn bamals diente ala Mabl-
burfche nach pfälzifcher Zunftorbuung ber Sohn de Müllers vom
Hurbache drunten in der Mühle, unb ber Jacob von ber Hurmühle,
war ein bilbhübfcher, reicher und Freuzbraver. Menſch, allein er war
jo fchüchtern, daß fie ihn nur ben Einfaltspinfel nannte und ihren
| 23°
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Ä — ww —
Narren mit ihm trieb ober ihn verüchtlich über die Achſel anſah.
Muh doch war für fie die Zeit gkkommen, me ſich To «ur. Mehchen
verlieben muß, wie mom jagt, mb der Jacob hatie He firrbende
eb. — Über — der Jacob war ein mebliger, Hunbiger Müller
unh der Vater überlieh ihm die Mühle ganz alleue, während er ſich
mit dem Aderhau abgab, med ſeine Liekhaberei war. Mer Müller
hätte nichts auf der Welt lieber geſehen, als ber Jacob wäre fein
Cibam geworben, denn er hatte ihn lieb, wie feinen eigenen Sohn,
unb einen braveren, treseren Wüllerburfchen Hatte er fein Lebtag
acht gehabt.
„Der Alte hatte bei femem ſtolzen Töchterlein wohl einmal, fe
wir man fügt, auf den Buſch gellopft, aber ba flieg dem. Gretchen
bag Blut in bie Wangen und Stirne und bad boldfelige Mähchen
wear gar nicht mehr hübſch, als es ſo zornig wurde und erklärte, fie
nahme nie einen Bauer, noch weniger einen befiliubten Müller. Der
Alte war, ohne baß er es merfte, unter den Pautoffel feines Ichönen
Kindes gerathen, bad fo klug war, daß es ſchreiben Tonste, wie der
Schulmeiſter, rechnen, wie ber Aocifer und veden, wie ein Buch.
Da zeg er ſich zurüd, jo fehr es ibm auch Ärgerte, und verwimſchte
ben Gedanken, das Mäbel ber Lenebas in ber Stadt zur Auf⸗
fingung übergeben zu haben. Sie hatte es aufgeſtutzt, daß es in
die Mühle nicht mehr paßte, auf einen Karren zu lang, auf einen
Bogen zu kurz war und doch in eine Ghaife nicht paßte. Das
wer ſchlimm! Herr Oberförſter,“ tagte ber alte Knipp rimjchaltenb,
„es iſt nicht gat, wenn ber Menſch aus feinen Fugen gehoben _
wirb! Es muß Oberförfter und Holzhauer in ber Welt geben, mb
es ift nur gast, wenn Jemand reiht auf feimem Blake ficht. Denn
wären wir alle Dberförfter, fo ſtünd's fchlimm um's Holzhanen,
und wären wir ale Holzhauer, fo mär’3 bald auß mit em Walde
web dem Hoelzhauen. Ich fage das fo als Beiſpiel. Wer's weiß,
ber verfleht'st
„Ihr habt Recht, Knipp, aber fahrt jort,“ ſagie der Oberförſter
d Kripp eherche.
— Bl —
„Mit deß Müller Jorn währte «3 nicht Inge. Wenn Das
Gretchen ihn anluchelte, dann war Alles vergefſen. Er war in
Summa ein schen einfältig und das Mädel konnte mit ihm
malen was es wollte Gr tagte, wie es pfiff. Das mar
688 zroeit Unglück im Haufe, denn Me Siebterziehung bei Maden
war das erſte.
„An Freiern von Weit uab Breit fehlte es nicht, denn baß
Möbel war Erbtochter und rei; aber Gretchen weilte abfelut
eine Liebſchaft, wie fie in den Büchern flehen, aber fo keine plumpe
Freierei. Das verſtand ber Alte sucht: und ſchüttelie gar oft ben
KRepf, wenn fie recht? und links Köche auziheilte. Als der Jacob
m’3 Haus kam, der fo ſchlank und doch fo räftig, fo Mühenb umb
frifch, fo treu und hübſch war, dachte er, wenn's bem nicht glildt,
dann geht daa Mädel in's Klofler. Aber ed glädte ihm nicht sub
das Mädel war proteftanstifch, unb da ift’3 nicht? mit dem Mlofter,
und zudem hatte es much gar Teine Luft.
„Bor ber Mühle ift ein großer Hofenum umnd maiften brinnen
Rest ein Nußbaum von umgebenvem Umfange Seine Achte beſchatten
ben weiten Hofraum, und es ift ber fchönfte Baum ber Art, welchen
ih jemals gefehen habe. Am Stamme biefes Baumes fand im
Sommer Gretchens Nähtifchlein und fie ſelbſt faß daran, arbeitete
und träumte mit offenen Augen, wie die Hafen fchlafen, und id
glaube nicht, daß fie vom Ins-Kloſter-Gehen träumt. Was fle
aber träumte, weiß ich nicht. Sie war an einem Tage mutter:
feelenallein zu Haufe, der Jacob mit Mehl in's Dorf hinunter und
ber Müller mit dem Pfluge m den Adler gefahren, da hörte fie
plöglich raſche Tritte, blicte auf und fah vor ſich einen fungen,
ganz hübſchen Jägersmann, bei dem ein großer, wildausſehender
Hund war. Die Doppelflinte King um die Achfel und im Büchſen⸗
ranzen teten Feldhühner, bie er erlegt und von benen er gleich
zweie bem Mädel darbrachte. Er mar fehr Höffih und fah aus,
8 gehöre ihm die Welt, wenigſtens zu zwei Drittheilen. Er
war vom mitllerer Gobge, mehr: gewandt als Fräftie. Gen Har
— 52 —
war reich, ziemlich dunkel unb feine Augen lobernde Fackeln. Wenn
auch ber Jacob hunderttauſendmal ſchöner war und liebenswürdiger,
ber war doch fo angelhan, als wäre er überall ſicher, daß ihm de
Mädchen gut fein müßten, und es ſchien, als müffe er auch bier
feiner Sade gewiß fein. Gerade fo war feine Art.. Aer dazu
flug er auch den rechten Weg bier ein. Aus feinen Augen ſprach
Bewimberung ber Schönheit Gretchens. Er ſtand da, als wäre
er eine Bildfäule, bezaubert und bebert burch biefe Schönheit; dann
aber floß ihr Lob von feinen Lippen, baß eine Gluth bie andere
iiber das Geficht Gretchens jagte. Es war doch kurios! Hätte
ber gute Jacob fo etwas gethan, fie hätte ihn mit Unwillen, ja mit
Zorn zurüdgewiefen. Hier that es ihr im Herzen wohl, fo verlegen
fle auch war, und wie fie ſich auch mehren mochte, er fuhr dennoch
fort. Ob er gleich wie vom Himmel gefallen erfchien, jo Tonnte
fie ihm doch nicht grolfen, und baß er etwas Rechtes jet, glaubte fie °
‚ficher, weil er fo eine Art hatte. Endlich ſchien er fich zu befinnen
und bat fie flehentlich, ihm doch das nicht zu verargen, wozu ihn
fein Herz getrieben. Nun, das wirkte noch mehr auf bad Mädel
ein unb machte ihr vollends ben. Fremdling thener.
„Sr bat fie um Milch und fie brachte fie ihm mit einem
Lächeln, wie es ber brave Jacob nie errungen hatte. Er erzählte
ihr dann, er fei ber Jäger des Baronz, ber jenfeits’ der Berge fein
Schloß babe. Dort wohnte ein Baron, ber allerdings Wälder bejaß,
bad wußte das Mädchen, und jo fehlte nichts, was Zutrauen eins
flößen Tonnte, zumal, wenn das Herz ſchon in's Spiel gezogen
worden ifl, Er babe, erzählte er weiter, einen Stein im Brett bei
dem Herm Baron und werbe, ehe ein halbes Jahr in's Land gehe,
Revierförfter. Dann fei für ihn ausgeſorgt, zumal er reicher Leute
Kind fei von ber Mofel.ber — und was er Alles plaubderte, um
‘em Mädchen zu gefallen und fie firre ‚zu machen.
„Nach einer Stunde ging er und meinte, wenn er eher. gewußßt
te, daß dies Thal eine ſolche Perle umſchlofſe, wire ex früher
,
— BB —
ſchon in der Mahle vorgefprochen haben. Ob er denn auch wieder
toramen bünfe?. |
„Errbthend ſagte fie Sa, und als er in fie brang, ob fie es
gerne fähe, jagte fie.noch glühender Ja, und — fie mußte jelbft
nicht, wie es zuging, «ber fie wiberfirebte nicht einmal, als er fie
umfaßte und einen Kuß auf ihre Lippen brädte. — Und body ging
er noch nicht. Es hielt ihm erſtaunlich ſchwer, fich loszureißen.
Daß ih es kurz mache — fie hatte ihm, als er endlich ging,
zugeſagt, ihn, weil er es auch wünſchte, nur dann zu ſehen, wenn
ſie allein ſein würde. Dazu wurde ein Zeichen verabredet, das er
vom Waldhe aus ſehen konnte.
„Mehrere Tage vergingen, ehe fie das Zeichen geben konnte;
aber fie wußte ihn in der Nähe und fie träumte noch viel mehr,
als früher, aber ihre Träume waren anderer Art; fie lächelte Dabei
fo felig und voll Hoffnung, und das Herz pochte fo laut, daß fie
es fchier. zu bören meinte,
„Eben das Geheimnifvolle war bad Reizende bei ber Sache,
und das machte ihr die Liebſchaft ſo theuer.
„In ber Mühle ahnte noch Feine Seele etwas von ber Sache,
bern Gretchen mußte ed immer jo einzurichten, daß fie mit dem
Jäger allein war, und ihre Bekanntſchaft wurde immer vertauter
und inniger. Hundertmal fagte er ihr, er könne ohne fie nicht
leben, und daß bewies er. auch baburch, daß er Tagelang im Walde
lag und auf das Zeichen lauerte. Nun war das doch zu viel von
ihm gefordert. Daher ging fie denn bisweilen mit ihrem Strich
geuge in ben Wald und dba fand fie ihn immer, unb bie hebe
Eiche, die dort ſtand, war das verfchwiegene Pläschen. ihrer Liebe.
Da wurbe denn auch einmal verabvebet, daß er Abends unter ihr
Senfterlein kam unb bert plauderte.
„Solche „heimliche Liebe, non ber Niemanb weiß,“ war gar
za ſchön, aber der Winter bröhte bach durch fein Kommen ber heim⸗
lichen Lehe :einen Damm entgegenzufeßen, und — mite
anders werden. —
— 34 —
„Dgleich Niemand etwas bit: fett won der Suche mußte, fo
ahnete doch der Jacob etwas der Art. Er legte ſich auf bie Lauet
und kam auf bie rechte Fährte. Sie war auch gar zu kalt und
abſoßend gegen ihn und er befam nicht einmal mehr einen freunb⸗
lichen „„uten Morgen,’ noch ein freundliches Geſicht. Was ſollte
er ba noch hoffen? — Sein Auge wutde trübe, ferne rothen Wangen
blichen ab; alle Freude wich von ihm. Sollte et fie immer fehen
und bach ohne Hoffnung? Nein, bie Mühle war ihm zur Qual
geworden. Cr kündigte auf und ging. Das war bem Müller ein
rechtes Leib; aber er wagte nichts zu ſagen. Jacobs Hand drückte
er und ſagte: „Wär' mir's nachgegangen, Dar wärft bier geblichen
auf'a Hanze Jahr!‘
„Gin Jäger ift beſſerl“ ſagte Jacob mit ſchneidender Schärfe.
„Ein Jäger? Was wilft Du damit?“ fragte ber Müller.
.Nichts, nichta!“ entgegnete Sacob und ging.
„Der Alte ſtand betroffen ba und ſann; aber er fand nichts
head. Dennoch war ihm das Wort din Dorn in ber Seele.
„Item, ber neue Mühlburfche war ein alter Sefelle, dem nichts
fo vecht von Krabben ging. Da mußte der Alte mehr zu Haufe
bleiben und fig der Mühle annehmen, während ber Mahlburſche in
ben Ader fuhr. So kam es denn, daß er endlich Jacobs Wort
verſtehen lernte und einſah, wie es mit Greichen und dem Jäger
ſtand. Er fotſchtt bei Gretchen nach ihm und feinem Herkommen
und feiner Stellung, und hörte, was ſie wußte. Daß beruhigte
ihn, und als er den Jäger näher kemmen lernte, gefiel er ihm ertuk,
denn er mar voller Geſchichten und Schwänke. Und wenn er be
wor, ging bed Gretchens lirſchrothes Gchnähelein, baß ber Weite
ſelber feine Luk au dem Mäbchen und ſeinem Glüche Hatte, Lebti-
gend waren bie Außfichten für den Jäger auch jehr gut, nur das
ine wurmte dem Müller, was aus Müfle und Thal iderden folle,
das feit Menſchengebenken bei feiner Familie war, und. er konnte
fig nicht um die Ede finden, und das Iag ihm zentnerfchwer auf
ber Seele, da er Gretchend Abneigung gegen bie Maͤhlte und das
— 346 —
dinfae Deben kanntt. Inbeſſen warbden äie Zweie immer vwericamtet
und es begann dem Gretchen doch nunhehaglich zu werden, daß ihr
Geliebter nichts won ber Hochzeu ſſrach, and eigentlich wicht bei
ihrem Bater um fie freite. Em verlief der Gemımer und ber Herbſt.
Eine Vierzehntagefrift war er einmal weggeweſen, weil er mit bein
Herm Baron auf ber Jagd fin mße. Das war eine trübe
Zeitl Selbſt dem Müller was «4 ungedegen, bafs ber Jäger fo
lauge fehlte, denn er Jatte ihn Lieb gewonnen.
„ALS er wieber fam, es war an einem hellen, freundlichen Sorm:
tage im Oetöber, war ein Jubel in bee Mühle, wie nie zuvor.
Greichen war außer fi vor Wonne ımb ber Jäger ließ fie gar
richt von fih. Eben fahen fie bei'm Kaffee, voller Luft und Herr-
Uchkeit, als drüißen aus dem Walde ein Kerl heraußfilirzte, ber ein
entjenliches Anfehen hatte. Et mar Plein, aber auferorbentlich breit:
ſchultetig, Hatte ſchwarzes, firuppiged Haar und Bart und ein paar
Augen im Kopfe, aus denen Wiloheit und Spigbüberei herausblickte.
Er trug ein langſchößlges Wamms, eine Rappe, eine Doppelfiinte
md Jagdtaſche.
„Er ſprang in fichtlicher Haft gegen bie Mühle und ſah fi
oft mit erfennbarer Angft nad dem Walde um, ala ob er von
borther verfolgt zu werben fürchtet. Bei der Mühle angekommen,
drückte er fein breite, entfegliches Geficht gegen die Scheiben und
klopfte haftig und derb dreimal dawieder.
„Dex Jäger fuhr empor, fab das Geſicht vor dem Fenſier,
ſprang zu feiner Flinte und Mütze, drüdte flüchtig einen Kuß auf
Gretchens Lippe und verſchwand. |
„Greichen war vor Schreien. einer Ohnmacht nahe, und der
alte Müller ſaß auch da, wie eine Bildſcicke. Als fie ſich erholt,
eilten beibe vor die Mühle. Sie fahen eben noch bar Jäger wit
ben Schwarzen mn Geume bed Waldes anf dem jenfeitigen Berge,
mtb dalh waven fie ihten Blicken entichunaten. Mit ſeltſam beflome
merken Herzen Toheten belde in die Muͤhle zutück uud bein Wor
*
— 348 —
farm über ihre Lippen; aber zentnerſchwer lag s α umb
ber Kaffee blieb unberührt ſtehen.
„Was war das?“ ſprach endlich ber Müller.
„Ich weiß es nicht,“ war Gretchens Antwort, der ein Kiefer
Seufzer folgke:
„Wenn nur nichts Schlimmes dahinter ſteckt,“ jagte ber Min⸗
ler, dem es unheimlich zu Muthe war.
„Was denkt Ihr, Vater?“ rief das Müdchen — und Niemand
hätte ſagen können, ob mehr Angſt und eigene Unruhe oder mehr
Unwille über des Vater? Aeußerung in Wort und Ton .gelegen habe.
„She es aber zu weiteren Erörterungen kam, wurden fie geftört.
Es Hopfte an ber Thüre und Jacob trat herein. Es war. baß
erfte Mal, daß er auf die Mühle fam, feit er aus dem Mahl:
bienfte getreten war, und was ihn trieb, Heute zu kommen, das
lag fchwer auf feiner Seele. Seit Jacob wußte, wie es um Gret-
hen ſtand, hatte er alle Lujt zum Leben verloren und der Summer
nagte raſtlos an feinem Herzen. ine unerflärlihe Angft um
bag geliebte Mädchen ließ ihn nicht raſten. Es war ihm zu
Sinne, ald läge ein ſchauerliches Geheimniß über dem Jäger, ben
Niemand kannte. Es heraußzufriegen, wer er fei, um nöthigen⸗
fall® das Mädchen noch zu warnen und zu retten, war fein .uner-
müdliches Streben. Er verfhmähte ed nicht, tief in ben Huns—
rüden hinein Wanderungen zu machen; befuchte die großen Märkte
des Landes; beſah fich alle Förſter weit und breit, und fanb ben,
den er fuchte, unter ihnen nicht. Endlich gelang es ihm, eine
Spur zu entdeden, die aber feine Haare firäuben machte. — Er
forfchte weiter und weiter, und endlich ſtand ihm das mit voller
Gewißheit eh, was ihn heute zur Wrähfe trieb. -
„alt. Hätte der Müller und Gretchen lant aufgeſchrieen, als
Jacob eintrat; denn im der kurzen Zeit kaum eines halben Jahres
war eine fchauerlide Veränderung in ihm vorgegangen... Die Gehalt
or abgemagert und gebüdt, wie jonft das hohe After ben Racken
ugt; bie Bruſt fehlen eingebogen, bie Augen Iagen tief-in ihren
— —ſ ⸗ — ⸗ —
— 347 —
Höhlen und waren fo matt und miübes die bliühende Wange war
eingefallen ımb Blei; ver Bang ſchleichend, und bei jedem Gcheitte
Hörte man ein Hüften, das fo hell und gellend Hang, daß es
erfchredtend war. Beine Hände waren blaͤnlich weiß unb gar mager,
und wenn er fpradh, Tlang’3 fo ie ms der Bruft heraus, daß «8
Einem bange wurbe, i
„Sie grüßten Jacob herzlich; auch Gretchen, aber fie wurde
weiß wie Schnee ald er hereintrat. Auch dem Müller war es nicht
geheuer. Es Fam ihm vor, als habe Jacob ihm eine Hiobspoſt zu.
bringen. Er ſah gerade fo aus.
‘ „Bit Du Frank, Jacob?“ fragte er ihn, feine Hand drüdend,
bie ſich kalt anfühlte,
„Ach ja,“ verſetzte Jacob. „Ich glaub', ich hab' nicht mehr
weit —“ Gretchen ſah tief in ihre Taſſe. |
„Sp muß ein junger Burfche wie Du nicht reden!” ſagte
der Müller, der ſich wieder zurecht fand.
„Warum nicht?“ ſagte darauf Jacob. „Man muß doch am
Beten wiffen, wie es um Einem flieht. Was thu' ih auch im ber
Melt? Der Gang zu Euch ift der letzte, den ich wohl thun werde,
fuhr er fort; „und den hätt' ich nicht gethan, wenn nidyt meine
Lieb’ und Anhänglichkeit an Euch-fo groß wäre. Ihr hörtet auch
von fonft Niemanden, was ih Euch zu fagen fomme. Aber es
‚gilt das Glück Gretchens, da burft’ ich nicht mehr länger warten,
wenn's nicht ſchon zu fpät tft, das heißt, wenn fie ſich ben Jäger
nicht ſchon verlobt hat.“ —
„Die Angſt in des Mädchens Seele wurde noch größer bei
dieſen Worten; aber ſie fühlte, daß ſie ſich ermannen müſſe; es
kam ihr vor, als ſpräche jetzt aus Jacobs Seele der Haß, der
Neid, der Grimm verſchmähter Liebe und ſie richtete ſich ſtolz auf
und ſagte:
„Und wenn bag wäre, Jacob, was ginge es Dich an?“
„Mich?“ erwiederte ex mit tonloſer Stimme. „Nein, mich
geht's auch gar nichts mehr an. Glaube mir, Gretchen, mit mir‘
%
— u —
ia's vorüber. Mine SHoffsuengen find tobi; allein Dich gehts an,
und meine Biebe zu Dir maͤhte sicht tie vedhte, tunıe, ehrlädhe gewe⸗
fer fein, wenn ich du zaubern könnte, Dich einen entſetzlichen Schick
fale miigewarnt entgegen geben zu Iaflen. Du weißt nicht, was Dir
droht; Du biſt blind in, Deiner Liche und Deinen Vater haft Du
auch blind gemacht. Der mit dem Du umgehſt, iſt —
„Ehe aber das Wort über feine Lippe kam, das ben entfeglichen
Schleier Lüften Tonnte, ſtürzte athemlos ber Muhlburſche berein
und fehrie:
„Ach Gott, Meifter, die Mühle ift dicht mit Landdragonern
umſtellt!“
Der Müller fuhr empor, als hätte ihn eine Kreuzotter ge:
biffen. Seine Farbe wurde fahl, wie bie einer Xeiche; denn — was
Jacob gefagt und das, was follte dad werben? Was ſtand ihm
und ſeinem Kinde bevor?
„Ah, daß es fo kommen mußte!” feufzte Jacob und blickte
mit Thränen in ben erlöfchenben Augen auf das bleihe, rathlofe
Mädchen.
„Jetzt wurde bie Thüre aufgeſtoßen und der Wachtmeiſter der
Surpfälzifchen Landbragoner ftürmte herein.
„WVWo iſt er?“ donnerte er dem an allen Gliedern zitternden
Müller zu.
„Wer denn?‘ fragte mit zitternber Stimme ber Müller.
‚Bas? Du Hehler!” rief ber Wachtmeiſter. „Du weißt es
nicht? — Den Schinberhannes*) ſuchen wir, der bei Dir
*) Johanned Bftfler, genannt „Schinderhannes,“ tft ein Räuber deweſen, beffen
Duode bu in bie erben Jahte uaſeres Jahrhacere Die Gegunben des Yunstiutens
ber Nabe, des Gaues u. ſ. w. unſicher machte. Er war befonbers ber Schrecken ber
Juden, beren Zuctruthe er war. Das Bolt betrachtete" ipn ih günftigerem Lichte
und umgab ihn mit einem tomantifhen Blanze Er wurbe in Mainz bingerichtet,
und Hat tm Brockhaub'ſchen Eonverfations-Lericon feine Stelle gefunden, wo unfere
‚ Der, wenn CE Pu nfpricht, DaB Nahere bes ihn finden Summen. -
feine Herberge hat umb ser Schatz Deiner ſaubern Todter if! Er
iR mod) in Haufe, und ber ſchwarze Peter, fein Gpiehgefelle, wit
m. Sprich, wo IR er verfiel? — Gr entgeht umb biedmal fe
werte, wie Du und Deine Tochter”
„Das Madchen ſtarrte ben Wachtmeiſter an, wie eine Wahn⸗
ſinnige. Ihre Augen traten faft auB ihren Höhlen.
„Der Müller wankte zurüd und faul händeringend in feinen
Seffel. Da nahm Yareb das Wort und legte es dem Wachtmeiſter
aus, wie ber Schinderhannes in die Mühle gebommen je, wolle
er Ach anßgegeben. ımb wie er Tochter und Vater herüdt habe,
wie fie ihn nicht gefannt unb wie ex eben, als er in's Haus getre⸗
ten, mit bem fchwarzen Peter broben im Walde verichwunben
fei; wenn fie ihm eilig nachſetzten, könnten fie ihn vielleicht noch
einholen.
‚Der Wachtneifter ließ ſchnell eine Anzahl feiner Leute ihm
nachfegen, von den übrigen aber die Mühle durchfuchen. Er jelbft
blieb in ber Stube,
„Gretchen regte fich nicht. Sie glich einer Bilbfäule ohne
altes Leben. Der Müller bebedite mit beiden Händen fein Beficht.
Der Wachtmeiſter Tannte ben Jaceb und fragte ihn über Alles
aus. Aus jeinen Reben ging hervpr, daß er genm wußte, was
in der Mühle vorgegangen war; aber er verſchwieg Manches und
fiellte Alles fo milde bar, ba her Weller wie Gretchen, wie es
bean auch war, ala Getäujchte und Betrogene erſchlenen.
„Wenn bem To if, thut 28 mir leid, Beibe verbaften zu
möffen,” fagte der Wachttneiſter. „Ich om nicht bräßer; ich muß
fie dem Gerichte überliefern.”
„Ich bürge mit Beib und Beben, Hab und But für fiel‘
fagte Jacob. „Laßt Pe nur Hier.’
„Das Tann mit michts helſen!“ fagte ber Wachtmeiſter.
„Sie werben als Hehler angefehen. Ich muß fir fefielu und ab:
fübren Infjen.’
„In biefem Augenblide ſchien Gretchen zum Leben und Bewußt⸗
.
fein zu erwachen unb bie Worte dei Wachtmeiſters verßßenben zu
baben. Gie ſtieß einen fürchterlichen Schrei aus und entiprang
burch bie Thüre ber Stube. Draußen an ber Hausthüre flanben
zwei Lanbdragoner mit: gezüdten Säübeln. Mit riefiger Kraft
ſchleuderte fie Beide zur Seite Der Wachtmeiſter wollte fte erha⸗
fhen, aber ein Stiid ihres Kleides blieb in feiner Hand, fie aber
entiprang, verfolgt von allen Dreien.
„Dberbalb ber Mühle war ber reißende Bad in einem ver:
bältnigmäßig engen, eingebämmten, fehr tiefen Lanal eingeengt,
um ben vollen Strahl auf die Mahlgänge zu leiten. Erlen und
Weiben bildeten auf beiden Seiten eine dichte, dunkle Schutzweht
und ein ſchmaler Pfab führte daran hin.
„Dorthin flog das Mädchen in der Haft ber Bergweiflung, und
zwifchen den Grien und Weiden verfchwand fie, aber ein bumpfer
Schall, wie wenn ein Körper in’3 Waffer ftürzt, fagte ben Verfol⸗
gern, was gefcheben ſei. —
—„Umſonſt ftürzte der Wachtmeifter hinzu, bog bie Zweige aus⸗
einander und griff in bie eiſige Fluth. Die brängende Gewalt des
Waſſers hatte den Leib be Mädchens fchon in die dunkle Tiefe
" geriffen, wo das gewaltige Getriebe zweier mächtiger Räder ſich
befand, die in dieſem Augenblide ftodten.
„Spät erft, als bie Lanbdragoner von einer fruchtlofen Ber:
folgung zuriidfamen, gelang es, ben zum Entſetzen verſtümmelten
Leichnam des Mäbchens aus ben Rädern heraus zu ſchaffen, unb
ſelbſt das geſchah nicht ohne Gefahr. Der Müller war in einem
Zuftande völliger Stumpfheit. Es war fo, als habe er nicht bie
geringfte Theilnabme an Allem, was vorging.
„Der Wachtmeifter nahm ein Protolol auf und führte dann
ben Müller mit binweg. Jacob blieb, weil es Pflicht war, bei
dem Mühlburfchen und ber Magb in ber Mühle. Wie es ihm
um das Herz mochte geweien fein?
„Am andern Morgen ließ er im Dorfe, zu bem die Mühle
gehörte, bie ‚Anzeige machen.
— 30 —
— 351 —
„Gretchen wurde beerdigt ganz in. ber Gtllle. Wenige folgten
der Beide. Jacob "ging hinter bem Sarge. Er ſiand lange am
Grabe bed Mädchens und ſeine Thränen rollten auf ben feifchen
Hügel, Sie mußten ihn zur Mühle zurüdfahren, wo er blieb, bis
der Müller entlaffen worber' war. | |
„Das war ein Wiederſehen! |
„Ich kann kurz enden,” fagte Knipp. „Der Müller folgte
no ‚in dem folgenden Winter feinem Kinde und vermachte alle
feine Habe dem Jacob — ber aber die Mühle nicht mehr betrat,
benn als das frifche Leben in ber Natur ſich regte, ſchloß er fein
Ange für biefe Welt, allgemein betrauert.‘‘
Knipp ſchwieg.
„Und der Schinderhannes?“ fragte mein Freund.
„Se bat das Thal nie wieder betreten,” entgegnete Knipp.
„Wie e8 in feinem Innern fand — daß weiß ih nicht!" —
Lange war es jtille in der Waldhütte. Jeder hing feinen
Gefühlen und Gedanken nad.
Draußen heulte der Sturm, ala wolle er ben Felſen über die
uns bergende Hütte ſchleudern und die Buchen entwurzeln, bie fie
mit ihren Aeſten bebediten. Der Regen fchlug heftig gegen bie
Wände der Waldhütte und vollendete jo die ſchauerliche Stimmung,
in bie und bie Erzählung Knipp’3 verfeßt hatte. Erſt nah und
nad entfpann fich wieder das Geſpräch, welches fich natärlih um
bie Perſon, bie Bande und bie Räubereien bes Schinberhannes brehte,
ben Knipp noch von Angeficht gejehen, ba er fein ganzes Leben im
Walde verlebt hatte. Doch wollte die ernfte Stimmung nicht wei
hen. Dem Oberförfter war dieß unangenehm. Er ſchlug mehrmals
einen beitern Ton am, aber er verflang wieber ohne Wirfung und
bad Gefpräch fodte nur zu bald wieber.
„Wenn wir nicht einfchlafen ſollen,“ fagte endlich mein Freund,
„ſo muß ich denn auch eine Geſchichte erzählen. Ihr kennt Alle
den Wald, der ſich unweit Oberſtein, droben an der Nahe, gegen
Sübdoſten hinzieht. Er heißt die Winterhauch. Eine ſeltſame
LS
Cage gest won biefem Walde im Munde beö Volkes im jener Ge⸗
gemb. 34 wmuh fie zueeft erzählen, weil ſouſt das Nachtelgende
dunkel bliebe. Die MWinterhauch gehörte in ihrer früßer noch weit
größeren Ausbehnung ben Dynafien vor Oberfiein, den Herren von
Falfenftein, die auf ber Burg oberhalb Oberſtein faßen, von ber
heute noch in ſchwindelnder Höhe über bem durch feine Achatſchleife⸗
rein berühmten Städten ein Thurm thront, ala letzter Reſt ber
* mãchtigen Burg.
„Einſt lagen die Ritter in gewaltiger Fehde mit dem Exgbifchef
von Trier, ber ihr Grenznachbar war. Der Erzbiſchof bebrängte fie
hart und fie boten in biefer Noth alle Die um den mädtigen Walb
ber ‚Winterhauch liegenden Dörfer auf, um ihnen im Kampfe zu
helfen, verjprachen aber ben Leuten große Gerechtſame in biefem
Walde für ihre Hülfe ine Urkunde wurde darüber aufgefebt,
welche unter ber Platte des Hauptaltars in ber Kirche zn Oberflein,
bie achtzig Stufen über dem Gtäbtlein in einer Ausweltung bez
Felſens erbaut ifl, geborgen wurbe, damit fie durch das Allerhelligſte
ver jeder Frevlerhand beſchützt werde.
„Die Leute halfen wader und der Kampf war ſiegreich für die
Herren von Falkenſtein. Run Fam e3 aber, daß die Bauern heillos
in ben Walde wirtbfchafteten, nicht allein bag Holz bieben, ſondern
auch das Wilb erlegten, um ihre Saaten zu reiten. Da gereuete
bie Herren ihr Augefänbniß, und fie Hätten die Urkunde gerne ver⸗
nichtet, wenn ſie fich nicht vor dem Frevel entſetzt hütten. inft
jagen fie in einer finftern Nacht zuſammen und zechten und wieder
ſprachen fie ſich höchſt mißvergnägt über bie Bugeftäinbnifie au,
denn bie Jagb in der Winterhaud war faft nits mer.
„Im Nebengemache Yörten die Frauen bie Wehllagen Ihrer Che⸗
herren, und Eine, Ted und telffühn, ſagte: Laßt uns hingehen unb
bie Urkunde holen!‘ Zwar gab's da manch' Hinderniß zu Befiegen,
aber Fe Werwand fie alle, und fe wanderten Pe in dunkler Nacht zux
eirche, hoben bie Platte und braten bie verhängnißvolle Urkunde,
je nun unter lautem Jubel und Preis Ihrer muthigen Frauen ver⸗
— 88 —
brannt wurde. Dien Folge war, daß bie Bedienſteten der Herren bie
Bauern pönten. Das kam zum Prozefie, aber als die Bauern ſich
auͤf die Urkunde im heiligen Gewahrfam beriefen — fehlte fie und
fie verloren Prozeß und Gerechtſame. Solcher Frevel kbonnte aber
nit ungeftraft bleiben. Alle bei dem Urfundenraube Betheiligten
farben ſchnell hin und — geben nım zur Zeit bes Herbſtes im
Walde um unter gewaltigen Halloh und Jammern, Hundeheulen
und Ach und Web. Begegnet ihnen Einer, fo reihen fie ihm ein
Borgament bin — will er e8 aber ergreifen, fo rafen ihre fener:-
ſchnaubenden Roſſe mit ihnen bavon und fle werben bie Urfunbe
nicht los, die ihnen biefe Dual bereitet.
„Das ift bie in ber Gegenb allgemein befannte und geglaubte
Sage,’ ſprach der Oberförfter. „Das Stüdleln aber, das vor vielen
Jahren, als ber Schiriderhannes auch in ber Winterhauch fein Wefen
teieh, daran fich knüpfte, iſt dieſes.
„Richt ferne von ber Winterhauch wohnte damals ein penfionirter
Birkenfeldiſcher Amtmann auf einem ihm gehörenden Hofgute, bag
er ſelbſt bebaute. Er mar. ein fleinreicher Mann und Toloffaler
Geizhals, babei ehelos, dein eine alte Schabele Haus hielt. Wer
ihn Tannte, hatte oft feinen Aerger Über des Mannes Bramarbafaden.
Er fpra im ächten Jägerlatein von feinen Jagdabenteuern, und,
ba er mit ben Forfibeamten aut fland, war er bei allen Jagden.
Dennoch aber Tonnte er es fich nicht verfagen, auch einmal auf
eigene Fauft in ben Forft zu fchlüpfen und einen Nehbod zu blaten.
Darüber freute er fich denn über bie Maßen. Er fpielte ben rei:
geift unb war doch babei voller Aberglauben; pried feinen unüber⸗
winblihen Muth, und war feig, wie es nur mögli war. Bor
bein Schinderhannes Batte er einen Tobesfchreden, aber man konnte
ihn alle Tage rabotiren hören, er würde ihn nieberfchtegen wie einen
tollen Hund, wenn er ihm nur einmal fchußrecht käme. Mit folchen
Meden Hoffte er ben Raͤuber zu ſchrecken und kramte fie. darum
überall freigebig aus. Der Mann mar inbeffen genauer gekannt,
als errmeinte, und die Leute mußten, was fie von ihm zu halten hatten.
Horn’s Erzählungen. IX, 28
— SH —
„Einmal, zur Blatezeit, war der Herr Ammann mwieher gieim-
BG zeitig in ben Wald geſchlichen, um tigen Spießer im. feine
Küche zu bringen, ohne Vorwiſſen des Forſtbeamien. Er kanme bie
beſten Wechſel in der Winterhaudg und fuchte ſich einen aus, wo er
ſicher warr.
„Die Nacht kam ſchwarzdunkel und ber Amtmeam blatete.
Das war nicht ohne Erfolg; als aber der Rehbod ſchreckte, ſachr
her Alte zuſaurmen, daß ihm ſchier bie Flinte aus ber Hand fiel
umd der Bod war fort. Es war ibm biefen Abend gar nicht geheuer,
wıh daß kam baber, daß ihm bie Sage einfiel. Deunocd überwand
er bie Furcht und blieb, obgleich das Zügerglüd ihn verlieh.
„Ploötzlich kroch fein Hund eng an ihn, als ob er irgenb etwas
Unheinsliches wittere. Den Alten überlief es eidkalt, denn in dem⸗
ſelben Augenblid erhob ſich ein feltfam gefpenfiig Treiben in Walde.
Man hörte Töne, bie wie Hundegeheul Hangen, dann Pferdewiehern,
Scehreien, Halloh warb Jagbruf — Alles durcheinander, ab bald
war ed Kine von ihn, bald reis. Es rafielte entfehlid. Wäike
ziſchten von ber Erbe auf und erloſchen wieder und bergleichen
Dinge, wie fie der Alte nie gehört und geſehen. Eine Tobedungft
ergriff Ihn Das waren, ohne Zweifel, die geipenfligen Oberfeiner,
bie ihm die gefbohlene Urkunde veichen wollten. Eiskalt riefelte es
duch feine Glieder. — Der Hund kroch fa ie ihn. Balb näher,
bald entfernten vernehm ex ben Teuſelsſpuk und boch ſah er in ber
gremlichen Dunkelheit nichts. Berne wäre er beimgelaıfen, aber er
wer mie an bie Stelle gebannt. So nerging eime geraume Zeit.
Es mußte längft die Geiflerxiumde vorliber fein, und doch wagte er
nicht, ſich zu vegen
„Endlich wurde es ſtille im Walde mb ber Monh ging auf.
Jet aber Hätte ihn Einer follen Inufen ſehen! Als er das Freie
gewonnen hatte, wurde fein Hund wieder lebendig und ber Muth
Torte Tongjeam zurüd. Nach einer halbſtündigen Waxberung Ing
der Hof vor ihm im Silberfcheine des Mondes. Der Hof lag in
ber tiefen Ruhe da umb gutes Muthes ſchloß er die Würe anf,
— 5 — ‚
wie ex es gewohnt war, wem er von ſeinen Jagoſtrippereien fpät
heimkehrte; was ex aber jegt vor ſich ſah, war doch fo abjonberlidger
Kt, daß Ihe ein neneßs Eutſetzen übelam, — denn alle Thinen
“bei ineven Hausraunmes ſtanden offen. Alles lag bunt durchein⸗
‚uber. Sein Schreibepult, darirmen ex feine Schaätze geborgen hatte,
war offen und alle Schabfächer waren Germisgezogen. — Bitternd
‚ trat er naͤher, und bem geübten Blücke Bünbigte es ſich an, bafı
Alles ausgeleert war.
„Maxiann'!“ rief er verzweifelt. in Stöhnen antwortete
„Als erinbag nebenangrenzende Zimmer trat, hörte ex das Stöhnen -
beutlicher unb eine ſchwache Stimme ſprach: „Ad, Herr Amimann,
lebt Ahr noch?”
„Es war die Alte, die gefeſſelt am Boden Tag.
„So viel hatte er bei'm hellen Mondlichte gefehen, das durch
die Fenſter fiel. Set eilte er, Kicht zu zünben, aber erft nach vieler
Mühe gelang ihm die2. -
„DaB Erfte war, die alte Mariann loszubinden.
„Dieſe erzählte dann, daß gegen elf oder zwölf Uhr Einer ar
der Thüre geklopft habe. Sie, in der Meinung, es ſei ihr Herr,
bee ben Schlüffel meitzunelmwen vergefſen habe, fei voreilig tm Oeff⸗
wen geweien, denn alsbalb feier Dreie hereingeſtürzt, hätten fie zu
Boben gerifien, ihr ein Tuch in den Mund geflopft und fle gebunden.
Darauf Hätten fle bern Alles außgeraubt und ihr dann das Tuch
wieber abgenommen und böfii gute Nacht gefagt. Einer aber fei
zu ihr getreten ımb habe ihr den Auftrag gegeben, dem Heren
Amtmann zu ſagen, bie Oberſteiner, been Xeufelsfpuf er im Walde
gehört, feien feine guten Freunde und er ber Schinberhannes, der
ben Herrn Amtmann einmal babe beſuchen wollen; er habe aber
abfichtlich bie Abweſenheit beifelben benubt, weil ihn der Herr Amt:
mann ohere Zweifel wie einen tollen Hund würde todtgeſchofſen haben,
wie er oftuals gelurßert; ex laſſe ihm auf ben Schreck im Walde
eime gute Nacht wäinfchen !
„Des war eine feine SidapoR nach a’ dem Gchreden im
23°
— 34 —
Walde! Alles war leer und ber Alte war ſchier des Tobes. Schwer
erholte er ſich von folder Nieberlage, aber bie Folge wear, daß er
nicht mehr bramarbafirte, nidgt mehr wilbbiebte und fi kaum mehr
ſehen ließ. Hinter feinem Ofen janb er es ſicherer.“ — Gin lautes
Gelächter folgte biefer Geſchichte; aber allmälig nehn-bad Geipräd
bie Wendung zu Jagdgeſchichten, wozu Ieder von uns feinen Bei⸗
trag lieferte. Nur Knipp ſaß ſtille und in ſich gelehrt ba.
„Knipp!” rief der Oberförfter, „Ihr waret boch mich oft genug
babei, und nun fitet Ihr da, als hättet Ihr nie eine Büchſe knallen
gehört. Erzählt doch auch "mal etwas!“ /
„Dad will ich wohl,” fagte ber Holzhauermeifter, „aber wenn
ich eine Iuftige Gefchichte erzählen foll, fo erlaffen Sie es mir doch.
Ich bin heute nicht dazu aufgelegt und die Gefchichte, welche mir
buch Ihre Jagdgeſchichten in die Gedanken gekommen it, bat
nicht? Aufheiterndes.“
„Nun denn, fo erzäblet fie nur!” vief ber Oberförfter. „Ich
fönnte body bei dem entfeglichen Wetter ba brauben noch nicht
ſchlafen.“
„Man erlebt Vieles,“ hob denn nun rip an, „wenn man
fo alt wird, wie ich geworben bin. Die freundlichen Begebenheiten
treten aber leichter in den Hintergrund, während bie traurigen niel-
und nagelfeft im Gebächtnifle haften. Man meint, ber liebe Herr:
gott wolle Einem das Abjcheiben leichter machen, weil die Welt
und das Leben fo trübe vor bem Auge bes Alters liegt. So wei:
len denn auch jegt meine Gebanfen bei einer Gefchichte, die ich im
meiner Jugend erlebt habe. In meiner Heimath, ich bin vom Idar
ba hinten ber, ftand damals ein junger Hülfsförfter. Ex hieß Siinen
und Jedermann hatte ihn lieb. Für einen Förſter war er eigent:
lich zu weich und zu fanft, denn er hatte fo etwas Mädchenhaftes
fi; aber in Dienite war er wie Pulver unb treu ‘wie Gold,
nb auf ber Jagd entging ihm nichts, was er einmal aufs Korn
nommen hatte. Daher war er auch ein Liebling bed Dberfärfters,
bei dem er gelernt, word. binfemn Data er ws feine frühe und gute
inftellung zu verdanfn. : .
Hain Forſthaus, wo er mit feiner uften Dintter wohnte, lag
rum taufenb. Schritte von unſerm Dorfe; daher fanmten wir ihn
le gut. Bei Miemanden aber war er Lieber und häuftger, als bei
. mem brasen Schulmeiſter. Der war: auch ein rechter Sagblieb-
haber und ber Simen nahm ihm gerne mit. Wild gab's genug,
unb dem armen Schulmeiſter war dann unb wann ein Stüd Wilb
recht willfommen, denn es ging knapp bei ihm ber. Lieber Bott,
acht Kinder wollen etwa zu Innppern haben. Zwar war Eins,
das Älteite Mädchen, bei einer Baſe an ber Moſel, die e8 an Kin—
beöffatt angenommen, aber fieben blieben boch zu ernähren, und
bei ber geringen Befoldung bed armen Mannes war Schmalhang
Küchen: und Kellermeifter im Haufe. Gar manchen Rehbod Tief
ber gute Simon dem Schulmelfter ganz. Er verkaufte ihn dann
nach Trier, und für den Erlös gab's Brod, Schuhe ober Kleidungs⸗
ſtücke für die Witrmlein. Mittwochs und Samſtags Nachmittags,
wo ber Schuimelfter frei hatte, war er denn auch regelmäßig mit
Simon im Walde, umd er ſchoß immerhin fo gut, wie ber Förfier
Simon auch. Der alte Herr Oberförfter kannte ihn auch gut von '
ben Treibjagben Ber, bei denen er immer feine Stelle wacker behaup-
dete. Cr wußte auch, baß ihm Simon dann unb wann etwas
zufliegen ließ und hatte nichts dawider, weil er bed Diannes Lage
bannte und ein guihergiger Mann war, und, wie gejagt, mit bem
Bilde nicht zu geigen brauchte.
„Eines Tages lud Simon ben Schulmeiſter ein, mit ihm auf
bei Anſtand zu gehn Des batte aber zu thun und mußte es
ablehnen. So kam es beun, daß Simon fich fehnell entfernte und
nur noch fagte: er ginge an bie hohe Eiche. Das war ein guter
Wechſel. Indeſſen änderte Simon doch feinen Ort und ging mehr:
vechts im die fogenannten Bruchlbcher“ wo ber Wechfel eben fo. gut
war. Diefe Stelle Iag aber faft eine Dreiviertelitunde recht? von
ber hoben Ciche, wohin er haste gehen wollen. Die „Bruchlöcher“
waren aber ein hohes, bishtes Bachenſtargenholg, wie Hein ätmlichee
Buchenbeftand im Reviere war. Dort hielten fich Rehe gemug und
die Jagd war fetb erfolgreich,
„Dem Gchuluseißer mmrpıie ed gewaltig, daß es bes Sims
hatte müflen gehen laſſen nud bie Jagbiaek zuckte tim in allen
Ahern, benn ber Abenb war jo wunderſchön. Er raffte fich daher
zuſammen, that ſchnell feine Arbeit ab, nahm ein Stück Abeudbred,
bie Jogdtaſche und bie Flinte um — und bald gemig war er im
Walde.
„Hier ſtand er einen Augenblick ſtille. Sollſt du zu ihm am
bie hohe Eiche gehen? fragte er Ach; dann iſt es leicht uglich,
daß bus ihm bie Jagb verdirbſt/ durch dein Kommen. Es iſt beſſer,
bu ſchleichſt dich in die Bruchlocher und fagft’3 ihm nachher. Gebacht,
gethau
„Seife ſchleicht er durch's Diclicht des dichtbelaubten Schlages.
Allmalig nähert er ſich dem Wildwechſel. Noch kann er ben feſtge⸗
ſtampften Wildpfad im Dunkel ber Macht und bed Waldes erblicken.
Noch wenige Schritte, und er iſt zur Stelle. Da kracht's dicht vor
ihm und — lautlos ſinkt er zuſammen. Die Rugel war ihm mitte
in ber Stine in ben Kopf gebrungen.
„Im Feuer gefallen!‘ imbelte Simon unb brängte ſich durch
bie Buchenflangen; aber wer Tönnte feinen lähmenber Schrecken
befsgreiben, als er mac dem Nehbode taftet, ben er geichoflen zu
haben meinte, umb eine Flinte berüßrte und danñ ben entſeelten
Leichnam feines Lieben Jagdgefährten, des Schulmeiſters? — Aus
fänglich ſteht ex, wie an Leib unb Seele gelähmt. Er iſt keines
Gedankens fähig ALS er fich nber wieber erholt und ſich zu dem
Armen bidt, um zu fühlen, ob noch Leben in ihm ſei — it ex
ſteif und eiatalt. De ergreift ihn die Verzweiflung und er eilt
ws Dort, wo er fagt, waß und wo es geſchehen, wed dann eilt
& fort im Sturme na& der Stadt, wo er firh den Gerichten
überliefert.
„Die Leute, welche das wahre Werhältniß Imınden, bebauertem
— wu wm Wi U — — — — —— —
— 859 —
im eben ban Grabe und Maße ven armen Simon, ala ben braven
Schullchrer und feine troſtloſe Familie.
„Simon wurde, wie es ja anbers nicht kommen konnte, freige⸗
ſprochen; aber nie, meine Herren, — ſagte Knipp — Habe ich einen
Menſchen gefehen, der tiefer in feinem Innern zerriſſen, unglücklicher
und elender geivefen wäre als Simon. Er wollte fogleich bie Foͤrſterei
aufgeben unb Soldat werden, weil ihm in biefem Berufe ein
ſchnellerer Tob In Ausflcht zu ſtehen ſchien, allem ber gute Ober
förfler nahm fih feiner an wie ein Vater, unb ber Pfarrer beB
Dorfes fand ihm darin wader zur Geite Sie beftimmten ihm,
Förfter zu bleiben, um feiner guten Mutter willen, bie eine hochbe⸗
tagte Frau war; aber ber Oberförfter wirkte es auß, daß er an bie
Obermofel verfept wurde, damit ihn nicht alle Tage bie befanmte
Umgebung an fein Unglück erinnerte unb er. wieber zur Ruhe käme.
Die Stelle, welche er erhielt, war beffer ala bie, welche ex bis jept
gehabt, ımb dies ſetzte Ihn in den Stand, feinen Gehalt mit ber armen
Witwe und ben Waifen bes Erfchoffenen zu theilen. Und als nad
etwa einem halben Yahre feine Mutter ſtarb, gab er faft Alles an
fie ab, da er ſchier Feine Bebürfniffe hatte Obwohl er in einem
kleinen Stäbtlein wohnte, fo führte er boch das Leben eines Ein-
flebleed. Er ging im fich geehrt dahin, Hatte mit Feiner Seele
Umgang und that gewiſſenhaft feine Pflicht. Was ihm begegnet
war, wußte eigentlich im Orte Niemand, und fo Hielten ihn bie
Leute für gemüthskrank, bebauerten ben jenen jungen Dann und
ließen ihn gehen.
„Neben feinem Haufe wohnte eine betegte Wittwe mit ihrer
Tochter, die einen Kramladen hatte. Da faufte Simon fein Pulver
und feinen Schrot und was er etwa ſonſt brauchte Dieſe Leute
nahmen gar vielen Antheil an ihm, beſonders das ſechzehnjahrige,
jehr hübſche Mäbden. Das Mädchen faßte nad und mad eine
lebhafte Neigung zu ihm. Der Gedanke war ihr erquicklich, were
fie die Wollen von feine Stine ſcheuchen köwsie, und fie fonnte
Stundenlang es fi ausmalen, wie fie ihn wöſten und aufbeitern
— 860 —
wollte. Und doch war das Mädchen fo ſtille und traurig, dah es
Simon manchmal ſelbſt auffiel. Ueberdies war in. ben Geſichta—
zügen des Mädchens etwas Belanntes, was ihn, ohne daß er ſich
davon Rechenſchaft geben konnte, umgemein. anmuthete. Er [ab
fie nun öfter an, und auch in feinem Herzen erwachte eine Nei⸗
gung zu dem holdſeligen Ammichen, bie immer tiefer wurzelte und
ben Gedanken in ihm weckte, mit ihr verbunden zu fein. Aber
dachte er an fein 2003, dachte er, fie Fönne es erfahzen, baß er
einen Mord, wenn auch einen völlig unabſichtlichen, auf feiner
Seele Habe, fo fürchtete er, fe würde ſich mit Abſcheu von ibm
abwenden. Darum kämpfte er muthig gegen fein eigene? Herz und
feine Neigung. Dennoch wurbe feine Liebe ſtärker. Er ſah & auch
ein, daß dies vereinzelte Leben ihn nur immer trübfeliger, maß:
leidiger und unglüdlicher made, und — da er deutliche Beweiſe
ber Liebe des Mädchens bemerkt zu haben glaubte, auch die Mutter
Ret3 fo Liebevoll und theilnehmend gegen ihn war, — fo faßte er
ben Entſchluß, um fie zu werben; aber fie mußte Alles willen,
Alles, ehe er fie um ihr Jawort bat. Er war zu ehrlich, etwas
zu verſchweigen.
„So kam es benn, baß er öfter binüberging und länger weilte,
als er nöthig hatte. Er erkannte es, daß ihm Mutter und Tochter
ſehr herzlich enigegenfamen. Das hatte fo einige Monate gewährt,
als ber Winter Tam, wo er manchmal die Abende drüben bei
Mutter und Tochter zubrachte. In dem Stäbtchen fah man die
Verbindung ala eine gewiffe an, obgleich‘ von feiner Seite noch Fein
entfcheidender Schritt getban war. Eines Abends, wo er allein bei
der Mutter war, faßte er den Muth, fie zu fragen, ob fie wehl in
eine Verbindung zwifchen ihm und Ammichen willigen würde. Die
einfache, brave Frau nahm ben ehrlichen Antrag freundlich auf und
jogte ihm affen, wenn Ammichen mit ihm glücklich zu werben hoffe, fo
wolle fie freudig ihren Segen geben; jedoch miüffe auch igre Mutter ein⸗
"gen, denn Auimichen fei nur ihre angenoummene Tochter und
ruderstind. Das hatte Simon, ber mit fonft Niemanden
— sl — ‚
Umgang, hatte, nicht geahndt. Wahrlcheinlich würde nun bie Frau
über Ammichens Serfunft ſich weiter: geäußert haben, allein es
Pingelte. tm Laden und, da es fchon ſpät war und Ammichen erſt
am andern Morgen von dem Beſuche bei. einer auf dem Rande
mohnenden Freundin zurückkehrte, ſo nahm Simon einen herglichen
Abſchied und ging heim, feſt entſchlofſen, gm andern Tage ſeine
Angelegenheit zu einem, wie er hoffte, —** Ende zu führen:
„Wie glücklich ihn auch die Einwilligung ber Nachbarin und
wie ſehr ihn auch ihre Verſicherung, bie Mutter würbe auch nichts
gegen bie Verbindung haben, froh machte, fo lag es ihm doch um
endlich ſchwer auf der Seele, daß er nicht anders konnte und durfte
als Ammichen Alles zu entdeden, was feine Seele belaſtete. Er
betete zu Gott um Kraft dazu, und ging bann, als er Ammichen
zurückkommen gefehen batte, hinüber. Wahrſcheinlich hatte ihre
Tante ober Mutter ihr fchon Alles anvertraut, benn fie erglühte,
als Simon in die Stube trat; aber die Erglühen wor ber Art,
ba Simens Herz vol feliger Hoffnung wurde. Er fehte fig zu
ie und nahm ihre Hand, die fie ihm ließ, deren Beben aber er
fühlte, obwohl bie feine auch nicht ohne Beben war:
„Die Alte dachte wohl, fie fei bier völlig überfiäffig und
mochte darin ſehr Recht haben. Sie machte ſich alſo im Laden
und in der Küche allerlei Geſchäfte und ließ die zwei jungen Leute
allein.
„Eine Welle ſaßen fie flille. da, das Mädchen in peinlicher
Erwartung, bie aber dennoch wieder eine boffnungsvolle war; er
ringend mit dem Worte, das zwar fein Herz erfüllte, aber doch
nicht über die Lippe wollte Endlich fand er Muth und Wort.
Sie hörte ihm gefenkten Blickes zu, als er ihr fagte, wie er fie
liebgewonnen babe, und wie er feinen höhern Wunſch habe, als fie
in fein Haus als fein Liebes Weib einzuführen. Was er fagte,
max jo offen, treuherzig und ehrlich, daß fie, als er fie num ent-
fehiahen. fragte, ihn mit einem Blide anſah, im dem er ihre Liebe
zu ihm leſen konnte und feſt und freudig Ja fagte.
— 99 —
4
„In dieſem gluͤclichen Augenblicke vergaß er Alle, was er The
vorher hatte ſagen wollen und er, als bie Tante wicher am und
Re mit Freeubenthrünen fegmete, Tam ihm mit einem Male. biefe
®rinnerung und flef wie eime recht ſchwere Luft auf feine Gede.
Er fuͤchlte, daß er Alles tagen müfle Gr begann baber davon zu
eben, warum feine Seele fo belaket und gedrückt ſei, daß man
ihn bier für halb geiffeßkrant Halte; davon ſei ber Grumb ein Un⸗
gluck, das ihm paſſirt fe. Er nannte ben Ort, wo er als Förſter
geſtanden und ben Nomen des braven Lehrers, ben er erſchofſen
babe. Ein gellender Schrei entfuhr faft gleichzeitig den Lippen
Ammichens umd ihrer Tante.
„Simon ſtarrte fie erbleichend an, —
„es war mein Bruder und Ammichens Bater!’' rief bie
Tante voll Enttepen.
„Das Mäbchen fant ohnmactig in der Tante Arm.
„Simon rührte fih wicht. Alles Leben jchlen aus ihm ge
wichen. Endblich richtete er ſich auf, brüdte einen Kuß auf bes
Maͤhchens erbligene Wange und' wankte hinaus. — Er ging im
feine Wohnung: und nad einer halben Stunde fah man ihn mit
raſchen Schritten nach dem Walde gehen. Niemand aber fah ihn
wiederkehren.
Die Leute meinten, er babe fi ein Leib angethan aus Bere
zweiflung, benn e3 blieb nun nicht verfchwiegen, was geſchehen
war; aber dazu war Simon zu religids. Vielmehr ſtellte es fich
jpäter heraus, daß er in fremde Kriegäbienfie geireien war. Ban
bat inbefien fpäter nie wieber etwas von ihm gehört, mb e8
IR zu dermuthen, daß ihm jein Leib doch noch ba Herz ger
brochen habe.
„Und Ammiden? werbet hr fragen. Es war wel ſchwer
für bad arıme, brave Mäbden und fie war tief gebeugt. So friſch
fie früßer gebläht, fo ift bach nachmals nie wieber eine Röthe auf
ihre Wangen gelommen. Ihre Tante ſtarb nicht lauge nachher
und hinterließ ihr Laden und Habe, Da fehlte es wit an Freiern,
auch wicht am braven jungen Männern darunter; aber fie verheira⸗
thete fich wie, ſondern nahm ihre tler und Geſchwiſter zu fich
und half biefe erziehen, bie alle brav werben ww wohl verforgt
in ber Welt.”
Knipy ſchwieg, denn feine Etzählung mar zu Ende. Sie
mb una Gelegenheit zu manchem exwmften Geſpräche; allen dieß
ſtockte am Ende auch wieder. Der Oberfſbeſter zog bie Uhr, hielt
fie gegen bie Bampe und ſagte: „Erſt nem Uhr!“
Draußen ſrürmte es gewaltig unb ber Wind heulte wunberlich
in dem Walde. Die Blume ächzten unter ſeinen heftigen Stößen
und ber Regen ſchlug plätfchernb gegen die KHfitte, welche indefſen
in biefer Nacht eine Probe beſtand, bie fiir bie Vortrefflichkeit ihrer
Bauart und Einrichtung bad befle und giltigfte Jeugniß ablegte.
Unter ben beiten Holzhauern, bie mehr im Dumlel der Hütte
fafen und beſcheiden fich zurüchhtelten, war jetzt ein Miflen ver⸗
nehmbar.
„Erzählt's doch!“ hörte ich den Einen zu dem Andern fagen.
Ya ergriff die Veranlaſſung, ihm zuzureden, und als and, mein
Freund einſtimnutt, hob endlich ein alter Mann zw erzählen an:
„In ber Stabt pflegt man zu fagen: auf des Dorfe gehe
Alles fo ſtille und ordentlich ber, daß man kaum von foichen Dingen
böze, wie fie fi in ber Stabt leider alle Tage ereigun. Das
it wohl. nicht ganz wahr. Menſchen finb Überall Menfſchen, umk
te Leib. umb ihre Fehler tragen fie überall nit fi herum, wit
fe ihr Schatten begleitet. Ich will Ihnen eine Geſchichte erzählen,
bie ich erlebt Habe, bie, Ihnen beweiſen wird, wie ‘auch auf dem
Vorfe fi Dinge ereignen, - die das Menfchenherz abfchiltern mit
allen feinen Gebrechen. |
„Ich bin daheim, wo ber Donneräberg mit feinem ſchönen
Buchenwäldern fi emporhebt, weithin das flache Land ber Pfalz
überfchamend. Dort lag ein kleines, von pfulziſchen Landen umn⸗
ſqloſſenes Gebiet, das Nafſau⸗Saarbrückſſch geweſen iſt. Sie willen
ja, wie vichherriſch es bei uns zu Laube ausſah, ehe die Franzoſen
— 864 —
das Land. nahmen. Meine Heimath iſt ein anſehnliches Dorf im
dieſem kleinen Gebiete. Mein Vater war dort Holzhaner und: ich
folgte ihm in dieſen Erwerbe und kam durch gar mancherlei
Geſchicke in dieſe Gegend, wo ich mich verheirathete und ſeitdem
wohne. Der hauptſächlichſte Beweggrund, warum ich meinen Hei⸗
mathsort verließ und in bie Ferne zog, war eben bie Basic,
bie ich Ihnen erzählen will.
„Man fagt, bie Rheinpfälzer feien ein leichtfmig Walt, und
th will 23 nicht in Abrede flellen, daß das in vielem Betrachte
wahr it. Das Leben ift Iuftiger, beiterer wie hier, und es gebt
ziemlich Alles oben brüber bin, ohne daß e3 tiefer munter bie Haut
bringt. So ſieht's auch Häufig mit. ber Gefinmung und dem Gefühle
-ber Beute. Eine Erfahrung mag für Viele reden!
„In unſerm Dorfe wohnte, wie ich etwa achtzehn bis menngehn
Jahre alt war, eine Witwe, beren Mann in einem Steinbruche
am Donnersberge fein Leben verlor. Er und feine Frau: hatten
leichtſinnig in ben Tag hinein gelebt, herrlich und in Syreuden,
wenn fie Geld hatten, und wenn fie Feind hatten, legten fie ſich
krumm und darbten. Da denkt man nicht an bie Zulunft, nicht
an bie Tage, von benen es in ber Schrift Heißt, fie gefallen mir
nicht, und wenn fie dann enblich noch kommen, kriegt man unliebe
Miethsleute und Tifägenofien, nämlich Mangel und Sorgen. So
war es ber Wittwe ergangen. Sie mußte im Tagelohn umb mit
Waſchen ihr tägliche Brod verdienen und ihr Kind, ein liebliches
Mabdchen, vrziehen. Lieschen wurde freilich nicht ſonderlich gottes⸗
fürchtig erzogen, denn ber Sinn ihrer Mutter war allezeit geblieben,
‚wie er im ber Jugend gewefen, und — ber Apfel fällt nicht weit
vom Stamme; auch barin fiel er nicht weit, daß Lieschen fo bilb-
. hähfch wer, wie ihre Mutter einft gewefen, ja, bie Lente meinten,
e3 ſei noch hübfcher, als fie einft war. Leichifinnig und Jeidht-
fertig aber war’& auch, das tabelten bie Leute, obwohl fie aners
kannten, daß man dem Mädchen eigentlich etwas Uebles nicht nach⸗
jagen konnte und fie unendlich gutmüthig war. Leichtfinnig und
BU —
gutwihhig zußeımmmgemiicht, gibt felten eine dauernd — * ſchn
Farbe, ſagt man bei uns im Sprüchwort.
„Als das Märchen Tonfirmirt und aus der Schule war, that's
bie. Wittwe Breier in die Stadt, wo es bei einer Verwandten blich
und dag Nähen, Kleidermachen und Sticken lernte, und wie das
Getieftel alle heißt, womit die Mädchen und Frauen ſich abgeben.
Der Gedanke war nicht übel, denn ſo ſicherte ſie ihrem Kind doch
ben Lebensunterhalt, mochte Gott über fie etwa heute oder morgen
verfügen. ‚Aber in ber Stabt war das Lisschen bei Weiten fe
ſtreuge nicht gehalten, wie es bei. feiner Art und Weife hätte gehal⸗
ten werben follen. Die Verwandte war eine alte, gute, Tränkliche
Frau. Die befam Sand in bie Augen, blauen Nebel davor und
Liesſschen ging Gaffaden. Leichten Staub weht leichter Wink in bie
Höhe — kurz, Lieschen kam höchſt unmuthig beim, als feine Mutter
erkrankt war. Sie pflegte fie zwar getreulich, bis fie genefen war,
aber nun ſollte Lieschen auf dem Dorfe bleiben — das war eine
bittere Arznei. Sie follte ihr Brod felbft verdienen, das forberte
Ausdauer und bie hatte fie nicht, und es fehlte an Unterhaltung,
denn der Anblid des wunderholden Lieschene, mit den flammenben
Augen fuhr wie ein Blitz in die Jungburfchenberzen, und ich will
ed wicht leugnen, daß ich auch die Wirkung fühlte Item, das
ſchöne Lleschen war für mich zu alt. Auf dem Dorfe balten fi
bie Zahrgänge zufammen und felten greift einmal einer in die
andern über. Sie find im Umgange fireng gefchieden.
„In Lieschens Jahrgang waren’ Viele, beſonders Burſche, und
die waren alle gründlich in bag Mädchen verliebt. Sie that's den
Burſchen mit ihren fadeligen Augen an. Ste hatte fie alle am
Bündel — und doch Feinen -- denn fie Tiebte es, Allen lieb zu
fein und feinen lieb zu haben. Das können fie bei biefen Iimftänben
ermeflen, daß fie viel beneidet wurde von den andern Mädchen,
beſonders von ben reihen; aber eine Feindſchaft gab's doch eigent-
lich nicht, und, wie groß auch oft der Neib war, etwas Webles
brachte er nie auf das Lieshen. Sie hatte bei ihrer Leichtfertigleit
body fo eime Art, bie bie kechen Burſche mewmaltig im Zeume zu
balten wußte. '
„einer Tomte jagen, dech er mehr hlitte, als ber Anbere und
Wär zampelten ar ber Angel, wie ber gefangene Fiſch. Nun geht
das doch im ber Regel nicht Iamge. 158 Isımnt eine gewiſſe Zeit,
da das Spaſſen alle ik ımb ein Müdchen an bie Haube bemit
unb an ber eigenem Herd.
‚Die Breier's Wittwe hatte nichts als ihr geriuges Hausgeräthe,
denn fie wohnte auf Zins, und wäre fie auf einen Baum gefliegen,
fo hätten ihre Rechte an dem Boben ein Ende gehabt. Da ifi’s
boppeit nöthig, dran zu denken, daß fünf Donate nad bean Mai
ber November kommt.
„So viel hatte doch die Breier's Wittwe fich abgeiehen, daß ber
weile Salome Net bat, warn ex fast: Es habe Miles feine
Zeit. Sie fagte baher oft zu Lesen: „Tändeln bat auch feine
Zeit. Sich’ zu, daß es Dir nicht geht, wie Jener, bie ſieben Leb:
baber, aber feinen Hatte, ber fie nahm.”
„werauf antwortete wohl das Lieschen einmal ganz ſchnippiſch,
aber ed kam ihr bach vor, ala fei ie Mutter nit weit von ber
Wahrheit.
„Zwei waren damals die ftigfien Bewerber um ihre Gunſi.
Beide Hatten fie herzlich lieb und Lieächen fie auch. Wer das
Bü hat, führt bie Braut heim, heißt's — aber es konnte auch
beißen: Wer bie Mutter für ſich hat. Hier hieß es fo.
„Lorenz Müller unb Caspar Bogel biegen bie Zwei. Grafen
web Barone waren fie alle beide nicht, fonbern Holzhauer, wie
ig; aber es war eben doch ein Unterſchied. Der Caspar wat eine
Waiſe; er hatte das Gnadenbrod bei einem Better gegeifen, ba er
Bein war — und jebt, wo er erwachfer war, mußte er fich für
ihn plagen. Das war er mlibe, denn ber Gaspar war zwar von Herzen,
wie es fchien, wicht böfe, aber er war heftig, jähzornig, und bamı
qab'a ſelten eine Schranke, bie er nicht überfprang. Er wollte
änbig werben, eignes Brob effen und Lieschen heimführen. Yes
— -
dem Gehankes King: feine Secle. Zwar veimt arm auf arm am
Beten, aber im Beben reimt’3 doch übel, umb wenn gwei Arme
sufammen kommern, tragen fie am Hausrath nicht ſchwer. Eaäper
hätte feine Habe unter dem Arme tragen Tönnen’ ober, wie man
jagt: ex Bätte fie in ein Berliner Kofferchen paden Tönen, un
das Lieäehen hatte eben auch noch für Nichts gefergt, nicht einmal
ein eigenes Bettlein. Es pußbte ſich gerne und das koſtet Gelb.
„Der Lorenz Müller bagegen war reicher, bas beißt, ex Hatte
ein eigenes, nieblicheß, aber hübfeges Häuachen, ein gutes Bette,
duen Tiſch und ein paar Stühle; aber er war Giner, ber ſich zu
beifen weiß. Wenn der Caspar ledig and dem Walde beimping,
fo trug Lorenz gewiß einen Laftlorb Spähne aber eine Laß Meile,
was ihm ber Förfter erlaubt hatte; auch wohl eine Laſt Futter für
ferne Ziege, bie ex fich bielt und bie ihm Lieschend Mutter fütterte,
benn er war ihr nächſter Nachbar.
„Für bie Mutter war ba bie Wahl feine Qual, wohl aber
für das Lieſchen, das augenfcheinlich mehr Reigung zu Caspar
teng. Lorenz war ihr zu verfländig unb ruhig, feine Liebe nicht
fo ferig, wie bie bes Kaspar. Beide Burfchen fühlten es herams,
ba zwiſchen ihnen das Loos ſchwankte und haften ſich, wie
grimmige Feinde. Beide waren aber ohne Widerrede die ſchönſten
Burſchen im Dorſe und wand auberes Madchen miäre glüdlich
geweſen, wenn es einer von ihnen geliebt hätte; Lieschen hatte Belbe
und war ., nicht glücklich, weil fie in ber Wahl zu feiner
Entfcheidung bam.
Lorenz war endlich des langen Hinhaltens überbrüffig. Eines
Tages, als Lieschend Muster in fein Haus trat, um ibm, wie er
fie gebeten battle, die Ziege zu mellen, bat er fie um ein Gefpräg
- unter vier Augen, wozu fie gerne bereit war. |
" Man braucht nicht Nathsherr von Nürnberg zu fein, um ſich
vornuftellen, was das Geſpräch betraf. Es galt bie Werbung um
Lieschen. Die Mutter hatte Gründe genug, Lorenz ihre Einwil⸗
ligung zu geben und ihm zuzuſagen, daß fie Alles aufbieten wolle,
waren aber ein hohes, bichtes Buchenſtengenholz, wie Bein ähnlichen
Buchenbeftanb im Reviere war. Dort hielten ſich Rehe geuug und
- bie Jagd war ftetb erfolgreich,
j „Dem Gcußsseißer warnite es gewaltig, daß ce den Simon
hatte müffen gehen laſſen nud bie Jagdheſt zuckte ihm in allem
Adern, denn ber Abend mar jo wunderſchön. Er vafite fi daher
zuſammen, ihat ſchnell feine Arbeit ab, nahm ein Stück Abeubbrob,
die Jagdtaſche und die Flinte um — unb bald gemug war er im
Walbe.
„Hier Rand er einen Augenblid ſtille. Golf du zu ihm am
bie hohe Eiche gehen? fragte er Ach; dann iſt es Leicht moglich,
daß du ihm bie Zagb verbirbft, burdy bein Kommen. Es iſt buffer,
du ſchleichſt dich in die Bruchlöcher und fagft’a ihm nachher. Gedacht,
gethan
„Seife ſchleicht er durch's Dicicht des dichtbelaubten Schlages.
Allmaͤlig nähert er ſich den Wildwechſel. Noch kann er den feſtge⸗
ſtampften Wildpfad im Dunkel ber Nacht und des Waldes erblicken.
Noch wenige Schritte, und er iſt zur Stelle. Da kracht's dicht vor
ihm und — lautlos ſinkt ex zuſammen. Die Kugel war ihm mitten
in ber Stirne in ben Kopf gedrungen.
„Im euer gefallen!‘ imbelte Simon und brängte ſich durch
bie Buchenſtangen; aber wer könnte feinen lähmenben Schrecen
befehreiben, ala er nach dem Rehboce taftet, ben er geichoflen zu
baden meinte, und eine liste berüßrte und basıiı ben entfeehtese
Leihnam feines Tieben Jagdgefährten, des Schulmeiſters? — Ans
fünglich ſteht ex, wie an Leib und Gere gelühmt. E iſt keines
Gedankens fähig Als er fich aber wieber erbolt und ſich zu dem
Armen bild, um zu fühlen, ob woc Leben in ihm ſei — it ex
ſteij umb eiſkalt. Da ergreift ihn bie Verzweiflung und er eilt
in's Dorf, wo er fagt, waB und wo es geſchehen, und dann eiit
er fort un Sturme nad ber Stadt, wo er ſich den Gerichten
überliefert. '
„wie Beute, welche das wahre Berhältniß kammen, bebauertem
nn 2
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im den dem Grabe ınb Maße ben armen Simon, als ben braven
Schullehrer und feine troſtloſe Familie.
„Simon wurde, wie «8 ja anbers nicht kommen konnie, freiges
ſprochen; aber nie, meine Herren, — ſagte Knipp — habe ich einen
Menſchen geſehen, ber tiefer in ſeinem Innern zerriſſen, unglückllicher
und elender geweſen wäre als Simon. Er wollte ſogleich bie Foͤrſterei
aufgeben und Soldat werben, weil ihm in biefem Berufe ein
ſchnellerer Tod in Ausficht zu ſtehen ſchien, allen ber gute Ober:
förſter nahm ſich feiner an wie ein Vater, unb ber Pfarrer beb
Dorfes fand ihm darin wader zur Seite Sie beitimmten ihn,
Föriter zu bleiben, wur feiner guter Mutter willen, bie eine hochbe⸗
tagte Frau war; aber ber Oberfürfter wirkte es auß, daß er an bie
Dbermofel verſetzt wurde, damit Ihn nicht alle Tage bie befanmte
Umgebung an fein Unglüd erinnerte und er wieber zur Ruhe käme.
Die Stelle, welche er erhielt, war befler als die, welche er bis jept
gehabt, und dies ſetzte Ihn in den Stand, feinen Behalt mit ber armen
Bittwe und ben Waiſen bes Erfchoffenen zu theilen. Unb als nad
eiwa einem halben Jahre feine Mutter ſtarb, gab er fait Alles an
ie ab, da er fchier Feine Bebürfniffe hatte Obwohl er in einem
kleinen Stäbtlein wohnte, fo führte er doch das Leben eimeB Ein—
fieblerd. Er ging im fich gekehrt dahin, hatte mit Feiner Geele
Umgang und that gewiſſenhaft feine Pfliht. Was ihm begegnet
war, wußte eigeinlich im Orte Niemand, und fo hielten ihn bie
Leute für gemüthskrank, bebauerten ben Ieösen jungen Dann und
ließen ibn gehen.
„Neben feinem Haufe wohnte eine betegte Wittwe mit ihrer
Tochter, die einen Kramladen hatte. Da kaufte Simon ſein Pulver
und ſeinen Schrot und was er etwa ſonſt brauchte Dieſe Leute
nahmen gar vielen Amheil an ihm, befonders bad jedhzehnjährige,
ſehr hübſche Mädchen. Das Mädchen faßte nach und nach eine
lebhafte Neigung zu ihm. Der Oedanke war ihr erquicklich, wenn
fie die Wollen von feiner Stirne jcheuchen köunte, und fie konnte
Stundenlang es fick ausmmlen, wie fie Ihn iröſten und aufheitern
— U —
wollte. Und doch war.bad Mädchen fo ſtille unh tmurig, bei ea
Simon mandmal felbft auffiel. Ueberdies war in. ben Geſichta⸗
zügen bed Mädchens etwas Bekannter, was ihn, ohne daß er ſich
davon Rechenſchaft geben konnte, ungemein anmutbete. Cr ſah
fie nun öfter an, und auch im ſeinem Herzen erwachte eine Met:
gung zu dem holdfeligen Anımichen, die immer tiefen wurgelte und
den Gedanken in ihm werte, mit ihr verbumben zu. fein. Aber
dachte er an fein Loos, bachte ex, fie koͤnne es erfahren, daß er
einen Mord,. wern auch einen völlig unabſichtlichen, auf feiner
Seele habe, fo fürchtete er, fie würde ſich mit Abſcheu von ibm
abwenden. Darum kämpfte er muthig gegen fein eigenes Herz und
feine Neigung. Dennoch wurde feine Liebe ſtärker. Er ſah es au
ein, daß die vereinzelte Leben ihn nur immer tyübfeliger, maß:
leibiger und unglüdflicher mache, und — ba er deutliche Beweiſe
ber Liebe des Mädchens bemerkt zu haben glaubte, auch bie Mutter
fets To liebevoll und theilnehmend gegen ihn war, — fo fahte er
ben Entſchluß, um fie zu werben; aber fie mußte Alles wiflen,
Alles, ehe er fie um ihr Jawort bat. Er war: zu ehrlich, etwas
zu verſchweigen.
| „So kam es denn, daß er dfter hinüberging unb Länger weilte,
als er nöthig Hatte. Er erkannte es, daß ihm Mutter und Tochter
ſehr herzlich entgegenfamen. Das hatte fo einige Monnte gewährt,
als der Winter Fam, wo er manchmal die Abende drüben bei
Mutter und Tochter zubrachte. In dem Stäbtchen ſah man bie
Verbindung als eine gewiſſe an, obgleich von feiner Seite noch Fein
entjcheidender Schritt gethan war. Eines Abends, wo er allein bei
ber WRutter war, fabte er den Muth, fie zu fragen, ob fie wohl in
eine Verbindung. zwifchen ihm und Ammichen willigen würde. Die
einfache, brabe Frau nahm den ehrlichen Antrag freundlich auf und
fogte ihm offen, wenn Ammichen mit ihm glücklich zu werben hoffe, fo
wolle fie freudig ihren Segen geben; jeboch müſſe auch igre Mutter ein-
willigen, denn Ammichen fei nur ihre angensinmene Tochter und
ein Bruderskind. Das hatte Simon, ber mit fonft Niemanden
— 861 —
Umgang. hatte, nicht geahnet. Wahrſcheinlich würde nun bie Frau
über Ammichens Herkunft ſich weiter: geäußert haben, allein es
klingelte im Laden und, da es fchon fpät war und Ammichen erſt
am andern Morgen von dem Beſuche bei einer auf dem Rande
wohnenden Freundin ‚zurädichrte, ſo nahm Simon einen heuglichen
Abſchied und ging Keim, feſt ntihlofien, gm andern Tage ſeine
Angelegenheit zu einem, wie er hoffte, glüͤcklichen Ende zu führen:
„Wie glücklich ihn auch, die Einwilligung der Nachbarin und
wie ſehr ihn auch ihre Verficgerung, die Mutter würde auch nichts
gegen bie Verbindung haben, frob machte, fo lag es ihm doch um
enblich ſchwer auf der Seele, daß er nicht anders konnte und burfte
als Ammichen Alles zu entdeden, maß feine Geele belaſtete. Cr
betete zu Gott um Kraft dazu, und ging bann, ala er Ammichen
zurückkommen gefehen Hatte, hinüber. Wahrſcheinlich hatte ihre
Tante ober Mutter ihr fchon Alles anvertraut, benn fie erglühte,
als Simon in die Stube trat; aber dies Erglühen war ber Art,
daß Simons Herz vol feliger Hoffnung wurde. Er fehte ſich zu
"ige und nahm ihre Hand, die fie ihm lieh, deren Beben aber er
fühlte, obwohl die feine auch nicht ohne Beben wer:
„Die Alte dachte wohl, fie fei hier völlig überfiäffig und
mochte darin ſehr Recht haben. Sie machte ſich alſo im Laden
und in ber Küche allerlei Geſchäfte und ließ bie zwei jungen Leute
„Eine Welle faßen fie flile da, das Mädchen in peinlicder
Erwartung, hie aber dennoch wieber eine hoffnungsvolle war; er
vingend mit dem Worte, das zwar fein Herz erfüllte, aber doch
nicht über die Lippe wollte Endlih fand er Muth und Wort.
Sie hörte ihm gefenften Blickes zu, als er ihr fagte, wie er fie
liebgewonnen hake, und wie er feinen hoͤhern Wunſch babe, als jie
ig fein Haus «is jein Liebes Weib einzuführen. Was er fngte,
was fo offen, treuherzig und ehrlich, daß fie, ala er fie nun ent-
ſchaam fragte, ihn mit einem Blicke anſah, im dem er ihre Liebe
zu ihm lejen Fonnte- und fer und freudig Ja fagte.
— 998 —
„In dieſem —&— Aungenblide vergaß ce Alled, was er Ye
vorher hatte ſagen wollen und erfi, als die Tame wieder fam und
Re mit Feeudenthrünen ſegnete, kam ihm mit einem Male dieſe
Erinnerung und fiel wie eine recht ſchwere Laſt auf feine Gede:
Gr fühlte, daß er Alles fagen müſſe. Gr begann daher davon zu
reben, warum feine Seele jo belaſtet und gedrückt ſei, daß man
ihn hier für halb geiſteskrank halte; davon ſei ber Grund din Nie
gluck, das ihm paſſirt ſei. Er nannte den Ort, wo er als Foörſter
geſtenden und ben Namen des braven Lehrers, den er erfchoffen
babe. Ein gellender Schrel entfuhr faſt gleichzeitig ben Lippen
Ammichens und ihrer Tarte.
„Simon ftarıte fie erbleichend an. —
„Es war mein Bruber und Ammichens Bater!’' rief bie
Tante voll Entteßen.
„Das Mädchen fant ohnmagtig in der Tante Arm.
„Simon rübrte fih nicht. Alles Leben ſchien aus ihm ge
wichen. GEnbli richtete er ſich auf, brüdte einen Kuß auf bes
Maͤdchens erbliene Wange und‘ wankte bins. — Or ging m
feine Wohnung umd nad einer halben Stunde fah man ihn mit
raſchen Schritten nad bem Walde geben. Nieinand aber ſah ihn
wiederkehren.
Die Leute meinten, er babe fi ein Leib angethan aus Bere
zweiflung, denn es blieb nun nicht verichwiegen, was geſchehen
wer; aber dazu war Simon zu religids. Vielmehr ſtellte es fidh
jpäter heraus, daß er in fremde Kriegsbienſte geireten war. Man
bat inbefien fpäter nie wieber etwas von ihm gehört, mb «B
IR zu vermuihen, daß ihm fein Leib doch noch das Herz ges
brochen babe.
„Und Ammichen? werbet Sr fragen. Es wer wohl ſchwer
jür das arme, brave Mäbchen unb fie war tief gebeugt. So friſch
fie früher geblüht, fo ift bach nachmals nie wieder eine Röthe auf
re Wangen gefommen. Ihre Tante ſtarb nicht lange nachher
hinterließ ihr Laden und Habe. Da fehlte eb nicht an Freiern,
— 38 —
unch wicht am braven jungen Männern bunter; aber fie verheira⸗
thete fich wie, fondern nahen ihre Mutter und Geſchwiſter zus fich
nnmd half dieſe erziehen, bie alle brav wurden ud wohl verſorgt
in der Welt.“
Anipp ſchwieg, denn feine Etzählung war zu Ende. Sie
gab uns Gelegenheit zu manchem eruſten Geſpräche; allen dieß
ſtockte am Ende auch wieder. Der Oberfieiter zog bie Uhr, be _
fie gegen bie Banpe und fagte: „Erſt nam Uber‘
Draußen Rürmte es gewaltig und ber Winb heulte wunberlich
In dem Walde. Die Buͤnmme ächzten unter ſeinen Beftigen Stöhen
und ber Regen ſchlug plätichernb gegen bie Hütte, welche indeffen
ia biefer Nacht eine Probe beſtand, bie für bie Vortrefflichkeit ihrer
Bauart und Einrichtung bad’ befle und giltigfte Jeugniß ablegte.
Unter ben beiden Holzhanern, bie mehr im Dunkel der Hütte
faßen und befcheiben ſich zurückhtelten, war jegt ein lüfern ver⸗
nehmbar.
„Erzählt's doch!“ hörte ich den Cinen zu dem Andern fagen.
Jeh ergriff bie Beranlafſung, ihm zuzureden, und als and, mein
Freund einflimmie, hob endlich ein alter Mann zu erzählen an:
„sn ber Stabt pflegt man zu jagen: auf deu Dörfe gehe
Alles jo ſtille und ordentlich ber, daß man kaum von folchen Dingen
hẽre, wie fie fi in ber Stabt leider alle Tage ertignen. Das
iſt wohl. nicht ganz wahr. Menſchen find überall Menſchen, ab
Hr Leib und ihre Fehler tragen fie überall mit fidh herum, wit
fie ihr Schatten begleitet. Ich will Ihnen eine Geſchichte erzählen,
bie ich erlebt habe, bie, Ihnen beiveifen wird, wie auch auf dem
Vorfe fit Dinge ereignen, - die bad Menſchenherz abfchilbern mitt
allen feinen Gebrechen. |
„Ich bin baheim, wo ber Donneraberg mit feinem ſchönen
Buchenwãldern fi emporbebt, weithin das finche Lanb ber Pfalz
überſchauend. Dort Iag ein Kleines, von pfülziſchen Landen um⸗
fchlofſenes Gebiet, das Raffau⸗Saarbrückiſch geweſen iſt. Sie wiflen
ja, wie vichherriſch es bei uns zu Lande ausſah, ehe die Franzoſen
— 374 —
alleine und hing ihren Gebauken und Hirzgeſpinnſten nad, unb
baß, was fie nit hatte, erſchien verflärt und boppelt ſchoöͤn und
herzlich, unb mas fie hatte, dad Beſte ſelbſt, war nichts werth.
„Ich weiß nicht, meine Herren,’ — fagte der Holgbauer, —
„ob Sie ſolche Naturen gelannt haben? — Uber fie ſind leider fo
felten nit. So viel iſt aber gewiß, glüdlih ſind und werben fie
niemals.
„Ja, ja, bei Caspar war's eben jo, daß verborgened Feuer
inwenbig immer tiefer hinabbrennt. Je mehr er feine gottlofe Liebe
unterbrüden unb beherrſchen wollte, deſto tiefer wurzelte fie und
bäumte fich gegen ihn jelber auf, wenn er Lieschen ſah und nicht
zweifeln konnte, wie fie gegen ihn gefiunt fei. Es iſt kaum au be⸗
zweifeln, daß fie fich heimlich fahen und daß ein verbrecherifcher
Umgang ſtatt hatte; doch ift nie barüber etwas kund geworben. Mar
vermuthete es wohl.
„Daß Lorenz dem wilden Caspar ein Dorn im Auge war,
weil er eben zwiſchen ihm und Lieschen ſtand, ſie ihm entriſſen
hatte, das if wohl keinem Zweifel unterworfen; er zeigte feinen
Haß aber nicht anders, benn daß er feine Nähe mied, wo er fonnte.
Wie ed aber in Lorenz's Haufe ſtand, nein, das war ein Sammer!
In Lieshen’3 Herzen wuchs die Abneigung gegen ihren Mann
täglich. Es fiel ihm kaum auf, denn er wußte es leiber nicht
beſſer. Womit er ihre Xiebe verſcherzt babe, wußte ex nicht, weil
er ſich ſelbſt und alle Welt ihm das Zeugnig geben mußte, daß in
ihm auch nicht die geringfte Aenderung eingetreten war. Er that
ähr Alles zu Gefallen; es Fam fein ungegohrnes Wort über feine
Lippe; fanft und freundlich war er überall und allezeit gegen fie.
Taf er fie manchmal weinend und fragte er fie: Warum weinſt Du
denn? Es brüdt und fein Mangel; ich arbeite fleißig und verthue
nichts; ich fuche jeben Deiner Wünfche zu befriebigen; ich gebe
Dir Fein hartes Wort, wiewohl Du fo lieblos gegen mid biſt;
ih trage Dich auf bee Händen. Deine Liebe if noch fo inuig, wie
je war als ich Di freite, und doch, doch — biſt Du unglücklich
— 875 —
und 6 kommt wir vor, als ernte ich nur Haß für meine Liche!
Dann max es, ala käme ihr eine beſſere Einſicht. Sie reichte ihm
ihre Hand, aber wollte er fie an ſeine Bruſt brüden, fo entwand fe
fich ihm und fchauderte innerlih. So ſtand's, ald ber Herbſt kam
und bie Holzfäller zu Walde zogen. Auch Caspar ging in ben Wald,
aber er und Lorenz kamen ſelten zuſammen.
„Einmal fügte es ſich, daß ber Förfler fie zum gemeinfamen '
Fallen einer flarfen Buche anftelltee Sie ſtand in einem fehr
dichten Unterholze, in dem ich befchäftigt war, ohne daß Beide es
wußten. Mir pochte das Herz vör. Angft, ich wußte nicht warum,
und ih will es gerne geftehen, daß ich meine Arbeit verfäumte,
um fie zu beobachten. Schon gleich im Anfange ihrer Arbeit ent:
ſtand ein Mortwechfel zwiſchen ihnen. Leider war ich nicht nabe
genug, alle Worte zu verftehen, aber er Bezog ſich auf Lieschen,
Caspar war heftig. Lorenz antwortete fanft. Die Angft meiner
Gele wuchs, weil ich das Schlimmſte beflkchtete. Ich ſchlich mich
fort, um ben Förſter zu ſuchen und ihn zu bitten, Die Zweie von
einander zu tb.
„Im Fortgehen war mir’, ala hörte ig einen Schrei. IH
ſtand wie angefeffelt und borchte mit namenlofer Angſt im Hagen;
aber es blieb ftille unb ich hörte den Schall verboppelier Artfchläge
und lief, was ih laufen konnte; jenen Schrei aber hielt ih für
eine Ausgeburt meiner Einbildungskraft. Den Förſter fand ich erſt
nah einer halben Stunde athemloſen Umherlauſens. Gr wies
mich zornig zurück; aber in bemfelben, Augenblicke gab es einen
gevaltigen Lärm im Walde. Dem Föorſter wurde es denn doch
unheimlich und wir liefen zurück.
„Ber Holzhauermeiſter kam und entgegen und rief: „Ad, wag
bat fi ein Unglüd ereigueti Der Baum Hat- ben Lorenz im Fallen
zerfchmettert! Es ift zum Entſetzen!“
„Iſt er Wh?" fragte haſtig ber Förſier.
„Mauſetodt!“ mar bie Antwort.
„Bir eilten zur Stelle. Es war fo. Der völlig mequellqhte
— 3716 —
Leichnam Tag da, und Caspar, bleich wie eine Leiche, erzlihlte ben
Hergang. Er habe, fagte er, Lorenz gewarnt, weil ber hohe, kaͤhle
Stamm unb bie gewaltige, hohe Krone ein ei Fallen babe vor-
herfehen Tafien.
Als es Frachte, fei er weggefprungen. Da aber ber Baum
nur noch ſchwach gehängt habe, fo fei, tro& feines Widerrathens,
Lorenz noch einmal auf den Rand der Vertiefung getreten und
habe einen wuchtigen Hieb geführt. Darauf ſei raſch der Baum
gefallen und habe ihn unter ſeiner Laſt begraben. Er habe um
Hülfe gerufen, worauf denn die Holzhauer zuſammengeſtrömt ſeien
und mit vieler Mühe den Leichnam hervorgezogen hätten.
„Ihr hättet ihn, da er todt war, müſſen liegen laſſen,“ ſagte
der Förſter. „Daß er todt war, zeigte der völlig zerſchmetterte Kopf.
Das Gericht mußte ja kommen!“
„Was, Gericht?“ rief Caspar. „EB iſt ein Unglüd, ba3 bu
Gericht nichts angeht’
„Der Förſter ſchickte auch ſogleich nach ber Stab. i
„Am Nachmittage kam das Gericht. Es wurde unterfucht, die
Zeugen verhört und Caspar verhaftet.
„Mit der Rechtspflege, meine Herren,“ — ſagte der Holzhauer
— „ſtand es damals traurig genug. Ich wurde nicht verhoͤrt.
Warum? — Ich weiß es nicht. Anzeige zu machen, hielt mich bie
Angft zurüd, weil ber Förfter ſchwieg, ber ja Alles fo gut wußte,
wie ich. Kurz — Caspar kam frei und als das ſcheinheilige Trauer:
jahr um war, wurde er und Kieschen ein Paar. Jetzt blühte fie
'wieber auf wie eine Rofe unb ber ganze Himmel hing voller Geigen.
Ging Caspar zu Walde, fo gab es einen Abſchied, als reife er in
ein fremdes Land voll wilder Thiere; fam er zurüd, fo flog fie ihm
entgegen und der Jubel war groß.
„Im Dorfe war darüber nur eine Stimme, imb ob id gleich
” Wort zu fagen wagte, fo munfelte man doch Hin umb ber viel
Immes, und ih hörte mehr als einmal: Wenn das ſo fort
— 871 —
gebt, dann weiß man nicht, was man jagen foll! ade braven Leute
mieden das Paar, To viel fie konnten.
„Aber es kam ſo, wie die Leute vermutheten; nur im umge⸗
kehrten Verhältniß, wie es zwiſchen Lorenz und Lieschen gewe
ſen war.
„Sie hing an Caspar mit einer geckigen Liebe; aber Caspar
wurde immer ernſter, einſilbiger und Tälter gegen fie. Sie wollte
durch deis Berboppeln, ihrer Liebfofungen ihn wiedergewinnen, und
ba8 gerade ſtieß ihn mehr zurück. Das nahm reißenb zu unb bie
Nachbarn wollten gejehen haben, wie er fie, als fie ihm mit offenen
Armen entgegen Pam, zurüdgeftoßen babe, daß fe taumelte und
ſchier hingeſtürzt et.
„Caspar blieb wenig zu Haufe. Im Walde trank er viel Brannte
wein, und war er im Dorfe, fo faß er in ber Schenke, kariete und
tran? bis er völlig betrunken heimfam. Dann machte fie ihm Vor:
wirfe und e8 Fam zu empörenden, voben, gewaltthätigen Auf-
tritten. Es war fo, als müfle Caspar das erwachende Gewiſſen
im Trunfe betäuben.
„Ben der Zeit an konnte man an Lieschen auch eine recht große
Beränderung wahrnehmen. Sie verhehlte ihre Tränen nicht mehr;
ihre Wangen blihen. Kummer und Unmutb wurden übermächtig
und bie Reue tagte an’ ihrem Herzen.
„Caspar Fam zulegt kaum mehr aus ber Schenke. Der Verdienft
ging Hin und Lieschen Mitt oft bittere Roth zu dem Elende, deſſen
Laſt ſie trug.
„Caspar war trotz dem Allen ein fleißiger Arbeiter im Walde.
Einmal mußte ich mit ihm und einem Dritten eine Buche fällen.
Der Baum war dem ähnlich, den er einſt mit Lorenz zu füllen
gehabt hatte. Che wir begannen, ſtand er lange in fly verfunfen
da und betrachtete den Baum; dann fchintelte er fi, wie wenn ein
Tieberfroft über ihn füme Mit wahren Widerfireben ging er am
die Arbeit. . oo u 2
„Rehmt Euch in Acht,” vief ih, als der Baum fchon ſtark
— IR —
angehaum war, „ed Zönuie ein Yinglid geben, wie hawmals, als ber
Lorenz umkam! Der Baum ift juſtement genabe fo 1’
Da ſchrie ploͤtzlich Caspar: „Buhe, was wild Des bamit
ſagen?“ und fpraug gleid einem Wüthenden ınit geſchwungenet Art
auf mid ein.
„IH trat einen Schritt zurüd und fragte, ihn ſcharf anjehenb:
„Was wolle Ihr mit mir!’
„Barum nannte Du den Lorenz?“ [umge er vor Wuth.
Beil ig durch ben Baum daran erinhert wurde,“ ſagte ich,
„bein ic war damals nicht weit weg!“
„Da holte er mit ber Urt nad mir aus, daß a, wäre ich nicht
zurüdgeiprungen, mir ben Schäbel wirbe gefpalten haben. Der
Holzhauer ſpraug herzu und riß ihn zurüd.
„BiR Du verrüdt, Caspar?’ rief er aus. „Was that Dir
ber unge?”
„Haſt Du nicht gehört,“ ſchrie er, „mas ex gefagt hat ?“
„Ich Habe nichts darin gefunden, was übel gemeint wäre,“
fagte der Holzbauer.
„Ich aber,” vief Caspar, glübenb vor Zorn. „Er meint, ich
hätte den Lorenz tobt geſchlagen.“
„DaB jagt Ihr,“ vief ich; „aber ich habe es noch nicht geſagt.“
„Noch nicht?” ſchäumte er; „alſo Du wilfi e3 noch jagen?”
Unb wieder drang er wüthenb auf mid ein,
„Darüber Fam ber Förſter, ber ihn fogleich aus bem Dienſte
jagte.
. „Er ging mit furchtbaren Drohungen gegen mich, und fein
Weg mar in's Wirthshaus. Dort ſtieß er bie ſchrecklichſten Dro⸗
hungen gegen mich aus, und als er völlig trunken war, taumelte
ex heim. Zu Hauſe gab es ſogleich die heftigſten Auftritie. Die
Leute verſammelten ſich daſelbſt, wie das ſo geht, und viele hörten
ea, daß er ausrief: Du biſt Schuld, daß ich den Lorenz tebt-
geſchlagen habe. Du haſt micht verlockt! Immer wilder wurde der
Streit im Haufe. So viele Keute auch daſtanden, Niemand wagte
I — ‚
-
8, in das Haus zu gehen — biß ehr gellender Schrei drinnen
endlich bie Kute zwang. Gie riffen die Thüre anf und- ein ent⸗
ſetzlicher Anblick bet ſich hhten Augen der. Am Boben Ing das
funge Weib mit zerſchmettertem Sqhubel mtb Camper lehrie an
ber Wand.
„Seht, die Bab’ ich zum Schweigen gebradgt! Se geht’d noch
Einem?’ Cr nannte meinen Namen.
„Sen Maß war indeſſen voll. Die Leite fiberwälfigten und
Sonden tin. Sie Mlefen nach dem Arzte nnd ben Gerihlen. Es
war inbeffen längſt zu Pr fire ärztliche Hülfe Ber erſte Hieb
wor MENGE, denn bie Schärfe ber Art battle den ganzen Kopf
gefpetten.
„Caspar war nüchtern geworden während der einleitenden Ber⸗
nehmungen. Als man ihn zu dem Körper. ber fo ſchauderhaft
Ermorbeten brachte, ſank er bewußtlos nieber. Nach vielen Bemü-
bungen bes Arztes Tam er wieder zu fih, und nun befannte er
Alles.
„Mit Lorenz hatte ex. ſelbſt ben Wortftreit angefangen. Lorenz
ſchwieg anfänglich zu Mlem, aber als es ihm doch zu arg wurde,
antwortete er ihm. Ein Wort gab das andere, bis Caspar in
feine blinde Wuth gerieth und bie umgefehrte Art dem Armen auf
den Kopf Shlug Mit einem Schrei, ben ich gehört Hatte, ſtürzte
er zuſammen und war todt. Kaspar verdoppelte nun ſeine Hiebe
an dem Baume und legte den Leichnam Lorenz's ſo, daß ihn der
- Stamm traf und zerquetſchte. Bon feiner Frau ſagte er, fie ſei
ibm immer vorgefommen, als fei fte blutig. Ste habe ihn ver-
Iodt und feinen Haß gegen Lorenz gereizt in ben heimlichen Zuſam⸗
menkünften, unb fo babe fie zuerft den Gebanfen bed Mordes in
ihm angeregt. Daher fei er denn auch fo wüthend geworden, als
fie ihn einen Mörder genannt babe,
„Jetzt,“ — fagte der Holzhauer, — „kann ich's kurz zufammen:
faifen. Der Prozeß girig zwar langſam, aber dag Urtheil lautete
auf den Tob durch das Beil. Es wurde an ihm vollzogen.
y
— 0 —
„Seitdem dulbete es mich nicht mehr. daheim. Die Erinnerun-
gen waren zu ſchrechaft für mic. Ich ließ mich bier nieder, um
dort wegzukommen und es bat mich noqh night gereuet.“
Der Holzhauer hatte feine Geſchichte geendet. Sie hatte uns
alle mit Grauſen erfüllt.
Während draußen ber Sturm noch immer aus voller Baden
blies und der Regen in Strömen fiel, ſtrekten wir uns auf das
Mooslager. Mein Freund fehlief bald. Ich qber Tormte den Schlaf
lange nicht finden, denn bie Bilder flanben ver meiner Seele, bie
des Holzhauers Erzählung herauf beſchworen hatte.
‚Hier endet ber Abſchnitt aus ben Aufzeichnungen meines Groß⸗
oßeling,. der ‚überfchrieben ift: „Eine Nacht in ber Holzhauerhätte,’‘
und den ich bier ungeänbert mitgetheilt habe.
THE NEW YORK
PUBLIC LIBRARY
ASTOR, LENTX AND
TILDEN FIJUNDATIONS
R L
. Ter ke\W-
W. O. v. Horn’s
Gelammelie Erz ählungen.
.
Henc Bolks- Ausgabe.
Vollſtändig in 12 Bänden.
— —
Behnter Band.
Mit einer Zuuſtration.
Braukfurt a. M.
D. Sauerländer's Verlag.
1862.
EMPB
Drud von J. ©. Gauerländer
un, Tue
a Inhalt.
Geite
Gui be Saint = Flour. Eine Novelle (Hierzu eine
Yußration).. . . . .1
Die erſte Wohlibat. . . . ... 249
Im Walde. Erinnerungen aus dem Leben eines dorſt · Eleben 268
Was mir einmal ber Todtengräber erzählte. . . 808
Die Naht im Bleich-Häuschen. Eine Geihihte. . . 838
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Gut de Saint- Sour.
Eine Novelle.
(Dierzu eine JIuſtratien.)
1.
_ E⸗ war um die Zeit, welche unmittelbar dem Diner vorher⸗
geht, als in einem der Seitengemächer des Speiſeſaals im Louvre
eine lebhaft fi) unterhaltende Gruppe in einer Fenſtervertiefung
fand. Die Sonne fchien hell und Mar auf das hohe Fenſter und
ihre Strahlen brachen fih in den Glutbfarben der Glasmalereien,
welche das Fenſter zierten, und warfen dadurch ein wahrhaft
verflärendes Licht auf die Geflalten ber Männer, welche jene
Gruppe hilbeten. «
Wider dem fleinernen Fenfterfreuze lehnte mit verfchränften
Armen der König. Ein bis zum Knie reichender Hermelinmantel
Bing loſe an goldner Schnur um feine Schultern: und bebedte
zum Theil dad weiße Atlaswamms, das Inapp um bie Taille
ſchloß, und von dem abwärts, aus gleichem. Stoffe, bie gebaufchte
Hoſe ſich zog und in Stiefeln endete, beren unermeßlihe Schnäbel
weit hinausreichten und oben, gegen das Scienbein gekrümmt,
fi umbogen, und in einer Geierflaue endeten. An reihem Wehr-
gehänge war das koſtbare Schwert befefligt. Ben Kopf deckte ein
Barett von rothem Sammt, von dem weiße Federn hernieberwallten.
Seine Geftalt war von mittlerer Größe; das Gefiht nicht
unfchön, aber es trug die beutlichen Spuren einer rafchen Lebens⸗
weile. Nur das bunfle Auge verrietb, daß es aufbligen Tonzte,
wenn bie Leibenfchaft ihm ihr Feuer lieh, umb ber gene Außdınd -,
Horn’s Erzählungen. X.
— 2 —
des Geſichtes war der Art, daß man erkennen mochte, die Seele,
bie ihm ben Stempel gab, war wilder Leidenſchaft nicht fremd.
Rechts, in ‘einiger Entfernung von bem Könige, ſtanden zwei
Geiftlihe, hohe Würbenträger.ber Kirche. Der Eine, groß, bager,
mit anachoretiihem Ausbrud und ſehr firengen Zügen, war der
Erzbifhof von Paris, ein Mann in ben Fünfzigern, angethan
mit bem Gewande feiner Würbe, wie es in bie Situation paßte,
zu welcher er bierhergelommen, nämlich, um ber Gaſt bes Königs
zu fein. An feiner Seite, body etwa einen halben Schritt zurüd,
fland ber Beichtvater des Königs, im ſchwarzen Abbefleibe; ein
Mann. von etwa vierzig Jahren, wohl genährt nnd blühenden
Antliges, von unterfeßter Geftalt, mit ſchlauem Geficht und Heinen,
ſchwarzen, ftechenden Augen. Wenn bie Haltung bed Erzbiſchofs
würbevol war, und eine gewiſſe Energie, das Bewußtfein des
Könnend, ausſprach, fo war die feine demüthig; aber aus biefer
Demuth blickte ihr Gegentheil unverkennbar heraus, und wenn er
ben Blid jegt an den Boben beftete, jo Mochte man vermutben,
er hänge Berechnungen und Plänen nad, deren Ziel ein golbener
Krummftab ſei. Links vom Könige Fand der Marquis von
Tavannes.
Die Geſtalt des Marquis war noch ziemlich jugendlich, aber
der Kopf, durchfurchten Antlitzes, ſchien einem Mann anzugehören,
der jenſeit der Dreißiger ſtand. Wenngleich muskulös, war ſeine
Geſtalt dennoch ſehr beweglich, und der unheimliche Blitz ſeines
Auges verrieth, daß er zu raſchem Handeln bereit war; der Aus:
brud feineß Gefichtes war ber eines wilden Fanatismus.
Der Erzbiſchof hatte eben einen längeren Vortrag geenbet.
Die eiferne Kälte feines Geſichtes war von ber vollen Lebhaftigkeit
feine® Vortrags kaum verändert.
Der König hatte ihm zugehört und bie tiefen Falten feiner
Stimme, bie. auf bie Augen fich herabſenkenden Brauen zeigten,
ber Eindruck war ein tiefer; aber freundlicher Natur war ber
\
Inhalt der erzbifchöflihen Rebe nicht geivefen, unb nicht ber
@inbrud, ben fie zurüdgelafien.
Eine Paufe war eingetreten. -
Nach einigen Secunden fagte ber König mit ziemlich flarfer
Betonung: „Wir haben ba8 Wort ber Kirche gehört, Hören wir
nun das bed Adels auch. Herr Marquis von Tavannes, was
“ haltet Ihr von bem, was ber Herr Erzbifchof geäußert?”
Tavannes mochte biefe Wendung nicht erwartet haben. Er
zudte zufammen, verbeugte fi tief unb fagte: „Zu viel Ehre,
Sire, meine Meinung hören zu wollen, nach ber gewiegten Rebe
des hohen Prälaten.”
„Uns gilt es, auch noch andere Meinungen zu hören, und
wie Kirche und Abel bes Staates Stützen find, fo ſoll auch, ba bie
Erfte geredet hat, ber Adel bed Meiches feinen Vertreter finden.
Daß Wir Euch bafür erkennen, Halten Wir für gerechtfertigt,“
ſprach Heinrich II.
„Vollkommen!“ ſprach der Erzbiſchof mit einem -fchnell
vorüberfliegenden Lächeln zum Könige gewendet, ber fein Wort
balb an ihn, Halb an Tavannes gerichtet hatte.
„Sure Majefät wollen es,“ ſprach Tavannes, fich neigend,
„ſo will ih nicht zurüdbalten, was ich für Recht halte, und als
ben Ausdrud der Gefinnung bed Adels vollfommen vertreten
Tann.‘
Bei biefen Worten richtete er fich fe auf. Sein Auge wies
eine dunkle Gluth, in feinen Zügen prägte ſich die wilde Leiben-
ſchaft aus, bie in ihm zu gähren begann.
„Sire,“ ſprach er, „am innerftien Lebensmarke Frankreichs nagt
ein giftiger Wurm, der ſchonend, leider allzu fchonend gehegt,
wenn nicht gepflegt wurde. Thron und Kirche untergräbt fein
giftiger Zahn, und wenn ihm nicht bald der Kopf zertreten wird,
fo wird feine Macht Taum mehr zu bewältigen fein. Sire, Eure
Majeſtät weiß, wen ich meine!’ .
Der König nidte ibm zu. „Ihr bewegt Euch,“ ſprach er
1°®
- 4 —
Darauf gu Tavannes,„in allgemeinen Sägen. Wir wünſchen, daß
Ihr das Gefagte begründetet und auch über die Wittel Much
äußertet, jenem giftigen Wurme das Haupt zu zerſchmenern.“
„Der Calvinismus, Give,” hob Tavannts zu reden an, „hat
bei ben halben Maßregeln wie ein Unkraut gewuchert unb um ſich
gegriffen. Das ift sicht bloß im ECalvados, in ben Gevenmen, is
der Dauphins uuter dem Bolfe geichehen, jondern au unter den
Augen ber allerchriftlichten Majekät. Berfappt ſchlichen anfänglich
die Benfer Emifjäre herum; jebt wagen fie es, jene Berlappiing
abzuwerfen; heimlich hielten fie früher ihre Verſammlungen, in
benen ihre Präbdifanten ihre Lügen und ketzeriſchen Lehren nortrugen
und das Salrament höhnten — jet thun fie es faft öffentlich,
fa ohne Scheu, und wenn ihre Anzahl früher nad) Hunderten zu
bevechnen fein mochte, fo geben jetzt ſchon Tauſende den Maßſtab
an bie Hand. Es ift Mar vor Aller Augen,” fuhr er fort, „daß,
wie früher bloß der Mittelftand des Volkes die Stätte war, ‚wp
biefe Lehren ihren Herb fanden, jebt in bie Kaufmannſchaft, in
den Adel, die Beamten, ja bis in bie Parlamente, bis an bie
geheiligte Krone hinan, bie ketzeriſche Gemeinſchaft ihrer Verzwei⸗
gungen bat. Blicken Eure Majeftät in das Parlament von Paris,
da figen bie Proteftanten und geben keckes Zeugniß von ihrem
&lauben und ihrer Gefinnung. Die Klugen fchweigen noch und
verhüllen, was fie im Innern tragen; bie Eifrigen fprechen es Ted
aus und fürchten einen Arm nicht mehr, dem fie die zermalmenbe
Kraft und Schwere nicht zutrauen |’
Des König? Auge bligte auf, und mit Unwillen fagte er:
„Herr Marquis, vergeffet nicht, vor wen Ihr redet!“
Der Marquis beugte fich tief. „Vergeben Eure Majeſtät, wenn
ich vielleicht im heiligen Eifer für meinen Glauben zu weit
ging und mid) vergaß; mein treue® Herz weiß bavon nichts,
Fordert mein Herzblut, und es fol für feinen Königlichen Herrn
fließen I’‘ _
Der augenblidliche Unmuth des Königs ging ſchnell vorüber.
- 5 —
„Die Ketzerbrut ſoll ed erfahren, daß ber Atm, ben fie gelähnet
glaubt, noch zermalmende Kraft hat,“ ſprach er niit einem Nach⸗
drucke, der deutlich wahrnehmen ließ, wie bie Funken gezüundet
hatten.
Der Hofmarſchall mit ben Pagen erſchien, dem Könige zu
welden, daß er den Beginn bed Dinerö nur zu befehlen habe.
„Laßt und gehen, meine Herren!’ fagte er. „Die nächſte
Zukunft wird es lehren, was wir thun, und aller Welt zeigen,
daß Frankreichs König der Kirche treuefler Sohn iſt!“
Er ſchritt den Flügelthüren zu und, leuchtende Blicke wechfelnd,
folgten die Herren ben Gebieter.
Eben als biefe Unterredung ftattfand, ereignete fich - eine
Scene in einem prunkvollen Gabinete des Louvre, bie wit biefer
im engften Zuſammenhange fand.
Die Wände diefes Cabinetes waren mit Gobelins behangen,
welche in den glühendſten Farben bie üppigſten Scenen der
griechiſchen Mythologie dem Auge vorführten. Die Geräthe waren
von der koſtbarſten Art in Stoff und Form. Die prachtvollſten
Teppiche bedeckten den Boden und roſenrothe Behänge ber Fenſter
zauberten ein wunderbares Licht, ganz geeighet, die Reize ber
Bewohnerin in reichſtem Maße zu erhöhen,
In einer ſchwellenden Gaufeufe Tag halb, halb ſaß fie — ein
reizendes Weib in einem Anzuge, ber die üppigen Formen recht
hervorhob. Sie konnte nit mehr auf ben Schmelz ber erfien
Jugend Anfprüde machen, aber dennoch wer fie außerotdentlich
reizend, und das geiftreiche, ſchöne Geficht mußte ben befiegen, ber
es wagte, hineinzublidden, befonders in bad Auge, das eine bezau⸗
bernde Wirkung übte,
Es war Diane von Poitiers, Herzogin von Balentinois, bie
Geliebte König Heinrich IL. von Frankreich, bie unumſchränkte
VBeherrſcherin feines Herzens, feines Willens, ſeines Reiches.
Nabe bei ihr faß ein junger Abb6, ein Bild namenlof
Schönheit, Sen tfunlmes Auge ruhte auf Diana hrs wu
— 6 —
dervoll geformte, weiße, kleine Hand ruhte in der ſeinen und die
glübhenben Küffe, welche fie bebediten, ließen auf eine Vertraulichkeit
fchließen, bie weniger in feiner Würde, als in den Vorzügen jener
äußeren Erſcheinung gegründet zu fein fchien.
„Herr Abboͤl“ rief Diane, ihm bie Hanb entziehend und mit
dem Zeigefinger brobend, „Ihr vergeßt gänzlich, was Euch zu
mir führte!“
„Ich möchte den feben, dem e8 an meiner Stelle anders
ergingel” -fprach der Abbe in einem Tone, welcher feine Stim-
mung rechtfertigen follte und ein ſelbſtzufriedenes Lächeln über
die fchönen Züge ber Herzogin führte, bie die Schmeichelei fühlte,
„Schmeichler!” rief fie und bie rofigen Spigen ihrer Finger
berührten die Wange des Abbe mit leiſem Schlage.
„Reben wir jebt von Auderem! Ihr fagtet, Ihr hättet ein
wichtiges Wort mit mir zu reden?‘
Der Abbe ermannte fih und fagte: „Ja, gnädigfte Frau, ich
fam, um bie Nothwendigkeit verfchtedener Schritte Euch an's Herz
zu legen. Es ift ber Ausdrud ber Gefinnung des Herzogs von
Buife, wie bed Cardinald. Es muß etwas Ernſtes gefchehen,
bamit nicht immer frecher der Proteſtantismus werbe, der nach ben
böchften Stellen greift, die Macht an fi reißt und Frankreich in
zwei Heerlager fpalten will.‘
Diane börte ſinnend au; aber man mochte es erfennen, wie
biefe Worte mit ihrer Geſinnung harmonirten.
„Die Kiche allein vermag es nicht,” fuhr der Abbe im
glühender Begeifterung fort. „Ihr fehlt der Arm ber Gewalt, das
Schwert ber Rache und Vernichtung. Beides gehorcht Eurem
Winfe, wie fich ihm jebes Herz beugt. Reichet der. Kirche Eure
Macht dar und der Sieg iſt gewiß. Wenn dann bie Mächtigen
unter ben Ketzern gebengt, zertreten, gefallen ober des Lanbes
verwiefen find, fo find ihre Güter und Schlöffeer — Euer!“
Diane fah mit aufbligenden Arge ben Sprecher an.
— 7 —
„Ich wiederhole es — Euer!” — ſehte er mit großem Nach⸗
drude hinzu.
„Und was hofft Guiſe von ſolchen Schritien?“ fragte fie
liſtig laͤchelnd.
„Der Abbe hatte wieder ihre Hand gefaßt, beugte fich auf fi,
und brüdte feine heißen Lippen in langem Kuſſe darauf.
Jetzt richtete er ſich auf und blidte in bag fieggewohnte Auge
ber Herzogin.
„Ich müßte nicht ganz Euch angehören,” Tifpelte er, „wenn
ih nicht darauf antworten follte — Macht! — Aber was hilft
ihm eine Macht, die zu drehen Euch nur eimen Wink koſtet, wenn
fie fich vergefien follte? In diefer veizenden Hand ruht ber Kapp⸗
zaum, der fie zügelt. Ahr Hat noch Fein Ehrgeiz, Feine Herrichaft,
fein Streben nach Oben bin Widerftand zu leiften gewagt. Wo |
aber eigentlich die Macht, wie der Reichthum Euch zufällt; wo
Ahr, wie die Kirche, fo ben Adel Euch verbindet; wo Ihr folde
heilbringende Dienfte Frankreich leiſtet, ba, mein’ ich, follte bie
Wahl entchieden fein!” —
Ste if es!“ ſprach Diane von Poitiers mit ber ganzen
Entſchiedenheit ihres Weſens und erhob fidh.
Auch der AbbE war aufgeftanden, aber feine Blicke fchienen
in biefem Augenblicke das hinreißende Weib zu verſchlingen.
„Geht,“ ſagte fie liebreich, „ſagt has dem Herzog. Die
Stunde meiner Toilette naht.“
„Kann ich denn?” fragte ſchmelzend ber Abbe.
„Ihe müßt, verfegte fie mit zauberifchem Lächeln. „Solche
Opfer ber Hingebung werben nie verkannt.“
Der Abbe. brüdte bie reizende Hand an feine Lippen. und.
verjhwand durch eine Tapetenthüre, welche bie Gobelins bem
Blicke entzogen. Diane fah ihm mit Befriedigung nach, wiegte
das Haupt einigemal nad Vornen, lächelte in den großen Spiegel
und Flingelte ihren Damen. —
Die dolgen dieſer beiden Scenen traten bald Bon ben Schar
platz des Lebens. Scmeller als Alles rief fie kin Greigni hervor,
bad fih im Parlamente von Paris zutrug, deſſen Wurgeln aber. im
den lUnterrebungen gı fuchen waren, bie ber König mit bem
Erzbifchof und Tavannes, Diane von Poitiers mi dem Abbe
gehabt, während im geheimen Cloſette bes Königs der Beichtvater
feine Thätigkeit entwidelt hatte, jene Fäden in feiner Sand
vereinigend. —
Der König kannte die Namen ber Keber im Parlamente von
Paris, ſowohl derer, die kein Hehl hatten, als derer, die es noch
nicht wagten, ihre Ueberzeugung tückhaltlos hervortreten zu laſſen.
Durch einen eclatanten Schritt ſollte ihre Vernichtung eingeleitet
werben; denn im Parlamente faßen Männer von Geiſtes⸗ und
. Rebniergaben, wie fie Frankreich nicht wieder aufweijen Tonnte;
bier’ wurden bie Sntereffen des Glaubens beleuchtet, vertreten,
geivahrt mit ber Macht ded Wortes, welches Herz und Geiſt m
gleichem Maße überwältigte und mande Blige fuhren aus biejen
Mauern heraus und zündeten dort im Volk ein Licht, bas heil
und hoch aufflammte. Die Feinde des Evangeliums erfannten
vollkommen klar, wie wichtig es fei, wenn die Kräfte, welche fich
ber Ausführung des bie Proteftanten vernichtenben Edictes ven
Escouan, dem Icon da, wo fi Feine Macht entgegeanftämmte,
Ströme Blutes bingemordeter Proteftanten, auflodernbe Scheiter⸗
Haufen todesmuthiger Belenner bed Evangeliums gefolgt waren,
in dem Parlamente von Paris entgegenfiellten, befiegt würden;
benn das Parlament ‚hatte bis jetzt ber Ausführung biefes blutigen
Edicks einen unüberſteiglichen Damm entgegengefeht.
Seit König Carl, dem Achten, beſtand in Betreff des Parla⸗
mentes von Paris eine”ganz eigenthümliche, bie Macht des Parla⸗
mentes beſchränkende Einrichtung. Am legten Mittwoche des
Monats (Dies Mercurii, daher ker Name: Mercuriale) begab fi
der koͤnigliche Generalprocurator feierlich in die Sitzung des Parle
mentes, hörte den Verhandlungen zu unb zog dann biefenigen
Mitglieder, welche etwa ſich verfehlt, zur Rechenſchaft. Gr übte
nd U —— —
- 9 —
dabei ie gtohe Gewalt bie feibſt bi zut Cutfebsmg vom Amte
suchte. Ea iſt unzweifelhaft, dah durch dieſe ‚Einrichtung die
Gelbſtherrlichkeit des Parlamentes gebrochen wer und bie meunſch⸗
liche Auckſſicht auf bie Stellung irgendwie ber Zunge Feſſeln
anlegte, aber auch ber Füniglichen- Macht Vorwände lieh, mißliehige
ſPerſonen fofort zu entfernen, snangenehme Debatten zu bafeifigen
und fo ein Biel zu erreichen, anf Ivelches man Iosfleuerte. DAB
Edict von Etcouan war im Bereiche des Parlamente von Paris
noch nicht zur Ausführung gekommen, weil daſſelbe ſich ihm widet⸗
feßte ober: doch die Belenner bed Evangeliums in feinem Schooße.
Gerade die beften Köpfe, bie glänzendſten Rebner, die entſchiedenſten
@haraltere gehörten biefer Partei an, und wie oft auch die Ver:
Sache erneuert wurben, es fchien, als bräche fich die Gewalt ber
Brandung an einem Felſen.
Die vereint wirkenden Parteien des Clerus, der Guiſen, Dianew’ß
von Poitiers und des Königs Hatten ſich vereinigt, noch einmal
das Edit von Eſacouan vor das Parlament zu bringen und es fo
geleitet, daß an der Mercuriale, alfo gerade am lebten Mittwoche
des Monats, wo der Generalprocurator der Sitzung beiwohnte, die
Verhandlungen barüber bie vollfte Thätigfeit in Anfpruch nahmen.
Die Sihung Hatte begonnen. Die Fanatiker jener Parteien
Hatten bereits Alles aufgeboten, bie Nothwendigkeit des Einſchreitens
gegen bie Keterei in's Licht zu fehen; Gründe auf Bründe hatten
fie gehäuft, um dem Berfolgungsebicte bie Sinberniife feiner Aus⸗
führung wegzuräumen; aber auch von ber proteitantifchen Seite
erhoben fi jebt die Männer, bie als Zierden bed Parlaments
galten, und fchlugen jene Gründe nieber, dag an Fein Aufflehen
mehr zu denken war. Was inbefin ar ſtichhaltigen Gründen
wangelte, dad mußte ‚blinde Wuth erfeben, und jo entſtand ein
Kampf ber Meinungen und Intereſſen innerhalb der Mauetn des
Parlamentes, wie ihn bie Gefſchichte dieſes Inſtitutes noch wicht
aufgewieſen hatte. Die Leibenſchaften waren auf. beiben Seiten
ehljefielt; bie ſtharfen Pfeile des Wortes flogen herüber und
“
”
— 10 —
Yimüber — abs fich plolich ber beſte Redner bes Parlamentes, ber
geiftreichhte Anhänger bes Evangeliums — ber bis jeht geſchwiegen
batte, ber Barlamentsrath Claude de Viole, Herr von Saint⸗Flour,
erhob. Bor ihm Hatten bie gewichtigen Stimmen ber Parlaments
väthe Ferrier, bu Faure, bu Bourg und Andere gerebet; aber als
be Biole fi erhob, entſtand eine Todesſtille. Die Gefichter ber
Gegner wurden bleich, bie ber Belenner bed Evangeliums ſtrahlten,
denn Alle wußten e3, wenn Viole redete, war ber Sieg für feine
Sache feine Gecunde mehr zweifelhaft.
Als eben Biole im heißeften Fluſſe feiner Rebe für die
Slaubens⸗ und Gewiflensfreiheit feiner Blaubensgenofien war,
und bier ber Iebhaftefte Beifall, dort Zorn und Wuth fi auf ben
Geſichtern malte, öffneten ſich die Flügelthüren unb ber Huiffter
des Parlaments rief in den Saal hinein: „Seine Majeflät ber
König!”
Mit dem ganzen Pompe der Majeſtät, begleitet von bem
großen Gefolge, trat der König an der Stelle des Generalprocurators
ein. Das Parlament erbob fid. Der Ruf: „Es lebe ber König!”
hallte im Saale wiber.
Tiefer unerwartete Eintritt des Königs machte den verſchieden⸗
artigſten Eindrud. Während eine momentane tiefe Stille auf ber
Verſammlung ruhte, ſah man bier bleiche, angiterfüllte Gefichter,
dort triumphirende, mit hämiſchem Lächeln und Siegesfreube.
Nach einer Furzen Begrüßung ber Verfammlung flog ein Blick
bed Königs über fie hin, ber einen finflern, gefahrbrohenden Aus:
brud halte. Er nahm mit bedecktem Haupt auf der erhöhten Eftrabe
Platz. Sein Gortege ordnete fi) und mit einem herriſchen Tone
befahl er, daß man ba fortfahre, wo fein Eintritt die Verhandlung
unterbrochen habe. Set fchwoll denen ber Muth, bie fo nahe am
Unterliegen gewejen waren, und, ihres Hinterhaltes gewiß, ſchleu⸗
berte der wilbe Fanatismus feine Blitze gegen bie Keber, bie fo
fiegreich erſt kurz gefämpft, unb bie man jest für muthlos hielt.
Aller Augen waren jezt auf be Viole gerichtet. Das bleiche
— 11 —
Antlitz war noch blelcher geworben; aber das bunkle Auge fprühte
Blitze einer mächtigen Begeifterung. Immer rafeger fuhr er mit
der Hand Über ben fchönen Bart, ber fein Kim zierte und bie.
fleberifche Bewegung, in der er wear, Heß Außerorbentliches erwarten.
Jetzt erhob er fih von feinem Sike, ber gerabe bem Könige gegen:
über fi befand. Jedermann kannte biefet Mann, ber unerjchüt-
terlich in feinen Grundfägen und im Erfüllen feiner heiligen Pflichten,
fih nie vor einer weltlichen Macht gebeugt, aber wit Kraft und
Schärfe bes Geiſtes eine wunderbare Berebtfamleit verband; ber nie
ber Wahrheit etwas vergab und bereit war, lieber als Mariyrer
zu fterben, als das Zeugniß für feinen heiligen Glauben ba nicht
- abzulegen, wo etwa perfänliche Gefahr drohte „Wahr iſt es,“
ſprach er mit volltönender Stimme und mächtigem Feuer, und das
Auge ſchoß Blige umter den dunklen Brauen hervor, bie fich tief
berabfenkten, „wahr iſt's, daß der Verfolgungsgeift das Vaterland
In grenzenlofe Verwirrung flürzt; aber wer löſt bie Bande gejeb-
licher Ordnung? Wer bewaffnet die frieblihe Hand bed Bürgers
zum Schuße feiner heiligften Güter? Die thun es, bie bie gotwer—⸗
liehenen, heiligen Rechte des Menfchen mit Füßen treten, bie den
Bruder, ber anders denkt und glaubt, zu GSchaffoten und Scheiter:
baufen fchleppen; Gott gab die Freiheit bes Gedankens; Gott ver-
lieh bie Freiheit be3 Glaubens und Ihr wollt ihn in Feſſeln
ſchlagen! Ihr wollt mit fleifchlichen Waffen den Geift bannen in
Formen, und ben neuen Wein in bie alten Schläuche zwingen, bie
er zertrümmert, weil fle alt und faul find. Friedliche Unterthanen,
treue Bürger find bie Proteflanten; aber Eure Verfolgung bewaffnet
bie Hand mit dem Schwerte, bie frieblih mit bem Pfluge den
Ader furchte, oder im Gewerbe nuͤtzlich thätig war; Cure Priefter
find es, bie, weil fie nichts vermögen gegen das fiegende Wort
Gottes, Die einkerkern, hinſchlachten, verbrennen, verbannen, bie
bie Schwert des Geifles führen; das ift bie alte Art, bie von ben
Albigenfern ber fich als bie Teichtefte empfiehlt; aber das ſchulblos
vergofiene Blut fchreit um Rache zum Himmel! Unb bort iſt ber
— 2 —
Vergeltet, befion Arm sicht verkürzt if und den erteicht, Heute ober
morgen, ber freveli.
„Ich bekenne es freudig, bier vor Bolt und Menſchen, daß ich
der Kirche angehbre, bie am reinen Worte Gottes hält, ala an dem
Oute, das Menſchengewalt nicht antaften kann. Mögen fie ben
Leib todten, ben Geiſt Fönmen fie nicht morden, und wie einſt in
ver Tagen ber Chriſtenverfolgung, jo wird ans dem Blute ber
Martyeer eine Saat aufgehen, bie bie. Ohnmacht ber Menſchen⸗
gewalt bezeugt. Das Palladium ber Kirche ift die Glaubens⸗ und
Gewiſſensfreiheit, und ihr ewig bamerhbed Fundament das Wort
Gottes, welches bie Pforten der Hölle nicht zu erfchüttern ver-
mögen. Laffet uns das freie Bekenniniß unſeres Glaubens —
und der Friebensengel ſchwingt feine Palme über Frankreichs ſchönes
Land; treuere Unterthanen bat kein Fürſt der Erde. Die innere
Zerclittung endet, und ber Gewerbfleiß, den meine Glaubensgenoſſen
int das Land gebradt, wirb feine Segnungen über Frankreich ver:
breiten. Das Edit von Escouan Fößt den Dolch in Frankreichs
weite Eingeweide. EB fü Haß, Mord, Blut — feine Ernte
iſt Fluch, Fluch, Fluch! Verwüſtung und Elend find feine Folgen.
Den Bruder beit es gegen ben Bruder, ben Geiſt der Hölle, den
Fanatismus beihmwört es herauf, und feine bluttriefende Geißel
wird Frankreich zu Tode hetzen. Und wer trägt die gräßliche
Schulb?“ —
Er hielt inne. Die heftige Erregung ſeines Innern gab dem
Aeichen Geſichte, das von ſchwarzem Haare umwallt war, ben
Ausdrud, ber an Einen Propheten Iſraels erinnerte. — Und noch
einmal fragte er nach Liefer Pauſe, in ber ma ben Schlag
ber allfeitig, wenn auch verfchiedenartig etregten Kerzen vernehnen
bonnte:
„Wer trägt die Schuld? Mit den Worten des Propheten
Elias ſpreche ich, wie er zum gottloſen Ahab ſprach: Du biſt's, ber
Iſtael verwirret!“ —
Sein ſtethender Blid traf den König, daß er den feinen niever-
- HB —
flug und bleich wurbe wie cine Leiche. Er ſaß ba wie ber Sunder
vor dem Jädterfiußl einen Meinen, Seffen Wort ihn zermalmend
tzaf, wie einft Davib vor Nathan, als biefex ſagie: Du bil ber
Mann bes Tobes!
Die Berfammlung war, wie wenn fie erſtarrt wäve. Aller
Blicke ruhten auf dem Könige. Heinrich IT: rang, ſeine Faffung
wieder zu gewinnen und einen Entſchluß zu faffen, aber er ver-
mochte e3 nit. Er bob die Sigung auf und verließ in fieber-
bafter Bewegung ben Saal. Erſt jebt erhob ſich ein wilder Tu-
mult. Die Anhänger der Guifen wollten über Viole berfallen,
aber eine Phalaux fand um ibn. Die Unentfehiebenen waren zur
Entfchiebenheit gelommen. An ſeinem Fener war das ihre ent:
zündet worden. Sein Muth hatte den ihrigen gehoben und mit
ſich fortgeriſſen.
Du Pleſſis-Mornai trat zwiſchen bie Parteien. „In dieſen
Räumen,“ ſagte er, „hat immer die Wahrheit ihre Zufluchtsſtätte
geſunden und das Recht die ſeine. Entweihet die Räume nicht!
Gebt nicht das Beiſpiel, daß bie Nation Euch nachahme und ein
Strom Blutes ſich über Frankreich ergießel“ —
Dies Wort aus dieſem Munde wirkte Wunder. Wenn auch
in wilder Erregung, verließ dennoch die Verſammlung den Saal,
ohne das Recht der freien Rede ſchmählich zu verletzen.
Was ſich im Parlament ereignet, trug ſchnell das Gerücht
durch Paris. Faſt kein Haus, keine Hütte gab es, wo nicht die
Begebenheit verhandelt wurde. Wie auch der Glaubenshaß viele
Herzen beherrſchte, ber kühne Freimuth Viole's, dem Könige gegen⸗
über, weckte Sympathien, mo man es nie hätte glauben ſollen und
der Proteſtantismus gewann an biefem Tage mehr Herzen, als er
fonft in einem Jahre würde gewonnen haben.
Aber Im Loupre, in dem Botel bes Herzogs von Guife, is
dem Palaſte des Erzbifchofs war Altes in einer Bewegung, bie
unerhört war. Da drang man auf Fräftige Erfüllung des Edicies
von Ezcouan; ba forderte man blutige Sühne; da fprad man von
— 14 —
beleidigter Majefit und Hochverrath, und aller Brimm manbte
fh gegen Viole, über deſſen Haupte das Schwert bed Damokles
an einem Haare hing. Der Verhaftsbefehl wurde ausgefertigt,
‚und als bie Nacht ihren Schleier über Paris breitete, nahte das
Berberben bem Mann, ber ed gewagt, bie Wahrheit dem König in
das Angeficht zu fagen.
— — —
2.
Es ſchien, als ſtehe bie Natur im Einllange mit dem Menſchen⸗
herzen. Ein Gewitter hatte ſich über Paris geſammelt, das Blitz
auf Blitz entſandte. Der Donner rollte, furchtbar dröhnend, über
der Stadt. Der Sturm tobte durch die Straßen, daß kaum ein
Wanderer Widerſtand leiſten konnte, und in den Kaminen war ein
Heulen, als ob die Geiſter der Hölle lebendig geworden wären —
und doch fiel kein Tropfen Regen. Es ſchien, als ſei das Gewitter
gebannt über der unermeßlichen Stadt.
Erſt gegen zehn Uhr hatte der Donner aufgehört und die Blitze
zückten nicht mehr. Das Geläute der Glocken hatte aufgehört und
ein ſanfter Regen, ber jedoch nur einige Augenblicke währte, tödtete
den Staub, der ſich ſonſt bei jedem Tritt erhob.
Der Parlamentsrath de Viole ſaß an dem Bettchen ſeines
. Kindes, eines vierjährigen Knaben, und blickte auf den friedlichen
Schlummer bed Kindes mit flillem Sinnen. Diefer Knabe war
das einzige Gut, welches er aus ben Trümmern feines Glückes
. gerettet hatte. Sein geliebtes Weib war ihm geftorben. Nun bing
feine Seele mit dem ganzen Reichthum feiner Liebe an dem Knaben,
ben fie ihm gelaffen. Er hielt bie Hand bes Kleinen, ber fo rubig
fepltef, und fein Herz wogte in ber Erinnerung an bag, was heute
geſchehen. Allmälig traten die Creigniffe biefes bebeutungsvollen
Tages Tlarer hervor in ihren Winzelheiten; baf aber ihm eine
Gefahr brohe, ahnte er nicht.
Da klopfte es heftig am bes Haufe Thüre; der Bebiente
. eG
O2
— 1 —
öffnete, und raſch traten zwei Däumer herein, deren Giner in wenig
Sprüngen die Stiege broben wear unb ohne Weiteres in Viele's
Gemach trat. Als er ihn bier nicht fand, eilte er in das Gabinet,
wo Biole in tiefen Gedanken an feines Kindes Bette ſaß.
„Viole,“ ſprach er, „wie möcht Ihr fo forglos bier bei Eurem
Kinde fiken, während Eure Feinde Euer Berberben bereit befchloffen
haben? Lohn’ es Euch Bott, was Ihr heute thaͤtet, aber nun gilt
es auch, die Folgen Enred Wortes von Euch fern zu balten. Euer
Urtheil iſt gefprocden — ber Tod!”
„Ich ſtehe in Gottes Hand," fagte ruhig ber Barlamentsrath
und blidte mit ber vollen Seelenrube des guten Bewußtſeins in
das Auge bu Pleſſis⸗Mornai's.
„Wie?“ rief der treue Freund, „Ihr wollt ruhig das erwarten,
was ein wüthender Feind Euch bereitet? Wollt Ihr in der Baſtille
den langſamen Hungertod ſterben, nachdem Euch die Folter alle
Glieder zerriſſen?“
„Ich fürchte ſie nicht!“ ſagte Viole.
„An Eurem Muthe zweifelt Niemand,” rief bu Pleſfſis⸗
Mornai; „aber dient Ihr damit dem Glauben, bem Baterlande,
daß Ihr Euch, ftatt Euch ihm zu erhalten, binfchlachten laſſet?“
„Ihr fürchtet zu viell Sprach Viole. „Sie werben es nit
wagen!”
„Richt wagen?” fragte Mornai. „Der Verhaftsbefehl if
ausgefertigt: und in Tavannes’ Händen. Glaubet Ihr, baß ber
zögere? Um Gotteswillen, eiletl Jede Minute ift koſtbar! Blickt
bin auf dies ſchuldloſe Kind! Ihr felb fein Alles, Vater und
Mutter. Sie hat es eingebüßt, welt Ihr ihm bie letzte, die
einzige Stütze rauben? Wollt Ihr es den Händen Eurer Feinde
üiberliefeen? "
Viole erbebte.
„Ferrier, bu Faure und du Bourg find geflohen,” ſprach
dringender Mornai.
„Was ſagt Ihr?“ fragte auffpringend de Viole.
— 3 —
„Be ſind ſchen jemfeitö der Barrieren von Boris, fule
Jener fort, und Ihr weilet noch 9“
„Go weit alfe iſt es gekommen,“ fagte Viole mit ſchmerzlichen
Ausdrucke, „daß Frankreich feine Söhne ausfiäßt! Aber es if fe.
Die Sterne lügen nicht! In ihren wunderbaren Stelluugm ſtand
das geſchtieben. Ja, mir wird es Har; ich muß fliehen, um
meines Kindes willen muß ich.’
„So eilet um Gotteswillen, che es zu fpät iſt,“ rief Mornai
und drängte ihn.
Er gab endlich nach. „Ich will fliehen,‘ ſagte er, „aber nur
mit meinem Knaben. Wie wird das möglich fein?"
„Ich kannte Euer Baterherz, Viole,“ fügte Mornai, „unk
babe Die nöthige Fürferge getrofſen, daß fein Hinderniß in ben
Weg treten kann. Nur Eile thut Noth; denn zögert Ihr Länger,
fo ereilen fie und, umb Ihr unb Euer Kind, Ihr feid Beide
verloren.‘
Das. wirkte.
Biole ordnete nun jchmell das Nöthige, padte Gelb und
Papiere ein.
Momai rief bie beiden Diener. Das Kind wurde geweckt
und, durch das Zureden des Vaters berubigt, ließ es ſich in einen
Mantel hüllen. Wenige Minuten fpäter traten fie in bie Nacht
hinaus. Es war finfler wie im Grabe. Der fehlaftrunfene Knabe
war in des Dienerd Armen bald wieder eingefchlafen. Du Pleſſis⸗
Mornai jehritt vor ben Dreien ber.
Dur abgelegene, dem Parlamentsrath unbelannte Gaſſen
und Gäßchen, durch Paſſagen und über freie Plätze wandelten fie
m raſchem Schritt. Endlich hörten fie deutlich das Plätfchern ber
Wellen der Seine, bie fich, noch aufgeregt von dem wilden Sturm,
am Ufer bradden. -
: „Gott fei gelobt!‘ fagte Balklaut du Pleſſis⸗-Mornai zu
Biole, „wir find dem Ziele nabel Möge er guäbig über uni
wachen!‘ — -
\ 7 —
_ Noch eine kleine Straße wanberten fie ſo fort, bann bogen fie
in eine dunkle Gaffe, die fich bem Ufer zuſenkte.
Hier blieb du Pleſfis-Mornai fliehen und huſtete dreimal.
Drunten am Ufer wurde ihm in eben ber Weile geantwortet.
Jetzt faßte er de Viole's Hand und langſam ſchritten ſie das ab⸗
ſchüſſige Pflaſter hinab.
Hier trat ihnen eine dunkle Geftalt entgegen.
„Wie viel Uhr iſt's?“ fragte der Unbelannte.
„Beinahe Mitternacht!‘ entgegnete du Pleſſis-Mornai.
Ohne weitere Fragen Tehrte ber Unbekannte gegen den Fluß
zurück umb mehrere Andere traten aus einem großen Kahn
an's Ufer.
Die Fliehenden wurben bineingeleitet, und nachdem fie fi
niebergefegt, ſchoben die Schiffer ben Kahn vom Ufer los —
fprangen hinein, ‚und während Einer das Steuer ergriff und bie
Anderen bie Ruder einfenften, flog ber Kahn über bie Wellen Hin,
an den noch erleuchteten Häufern vorüber und nicht Yange, ſo lag
Paris hinter ihnen. . N \
„Wohin führt Ahr mich? * fragte Viole.
„Meberläßt vertrauensvoll mir Alles,” entgegnete du Pleſſis⸗
Mornai, und fpornte die Ruderer zu raſcher Fahrt.
Endlich trat an beiden Ufern der Seine der Wald auf. Der
Mond Yeuchtete im erften Viertel genug, um dies zu erfennen.
„Die Gefahr ift nun für's Erfte vorüber,” ſprach Mornai zu
Biole; ‚aber dennoch thut die Eile Noth; denn ſchon mit grauen-
dem Tage werben Euch auf allen Wegen Verfolger nachgefenbet.
Wenn Yhr nicht einen bedeutenden Vorſprung gewinnen könnt, fo
if all unfer Mühen umfonf. Welche Richtung gedenkt Ihr ein⸗
zuſchlagen?“
„Die nach der Auvergne,“ erwiederte Viole. „Auf Saint⸗
Flour kann ich wenigſtens einen reiflich erwogenen Plan zur Reife
kommen laſſen.“
„Wenn Ihr auch dorthin geht,“ lagte der ok Freund, „fo
Hsrn's Erikglungen. X.
a
-— 18 -
kürft Ihr dert nicht weilen. Meht nach England. Das iſt das
Einzige, was ih Euch rathen kann. Diene van Poitiers lechzet
nach Euren und ber überigen nifighenm Güten. Mur zu balb
werden ihre Agenten erſcheinen.“
Wohl mugt Ihr Recht haben,“ fagte Viele nach ‚einigem
Beſinnen; „aber bie Berge der Auvergne find reich ar Schlupf⸗
winkeln. Dort iſt meine Heimath; dort habe ich tzezue Freunde;
dort kenne ich vom ehlen Waidwerke ber jeden Shlupfwinkel, und
mögen fie fommen und ſuchen, und ſinden fie wit; allein ob das
anf die Dauer auäreiche, bezweifle ich ſelbf. 48 wirh mir aber
nicht ſchwer werben, Über La Rochelle nach England zu entlomznen.
Wieder trat eine Stille ein und Jeder ſchien einen Juchtplan
zu erſinnen.
Mittlerweile hatten fe” ine Stelle erxeicht, wo dunkler Hoch⸗
walh nahe an dag Ufer ber Seine heramtxat. Die Sichel des
Montes ſtaud am Rande des Harizants, und das fahle Licht fiel
auf das Uſer. Die Wolkenmaſſen, welchq nor in Mae hen
Himmel ſchwarz bedeckt Hätten, waren verzogen. .
Das fcharfe Auge bed Schiffer am Steuer entbedte eine
menſchliche Geſtalt am Ufer. Ming Wendung des Steuers ſchob
den Kahn in bie Mitte bes Stfromes. Hier lieh er bie Ruder ein⸗
ziehen. und ben Kahn ruhig auf. bem Zuge der Wellen hingleiten.
Als den Mahn ber Stelle gegenüber war, pfiff ber Gienermann
dreimal in kburz abgefloßener Weil, Sein Tan wurbe ebenfo
ewiedert und [nel] machte num ber’ Kahn eine Schwenlung gegen
bes Ufer und lagte bei.
„Beinahe zweifelte ih an Guremn Entkommen,“ ſagte näher
tretend ber Unbekannte. Cr reichte has Austretenhen ſeine Hand
und half ihnen an's Ufer.
„Iñ Aller bereit?" fragte Mornai.
„Wie Ihr befohlen!“ eywisderte her Mann.
„Wartet bier,” befahl du Pleſſis-Mornai den Schiffern und
ging mit Viole und bau beiden Diengern in bee Melk. Cine
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Strede wanderten. fie in dem Dirikel Vans ben es war ein Pfah,
der nicht zu verſehlen man. Endlich erreichten. fie einen freien
Raum; iur Walde. Bart fanden Roſſe zur. Flucht beyeit
„Modiai,“ ſprach Biole, „ber Schte Freund wirh- erft in den
ſchwerſten Lebensftunben erfannt. Ihr feid ein folder. Mandmal
kamet Ihn mir väthfelhaft, unentfchieben nor. Vergebt, th that
Euch Unrehtt‘ —
Mornai drüdte Violes Hamh. „Der Scheim trügt“ ſagte er.
„Ich habe: erkenn, daß ich fo unendlich mehr nützen hann. Sch
bir ft und viel verlanut worden und werde es wohh nad oft
erfahren müſſen; aber in mir, im ber eigenen Bruſt, liegt nein
Treſt in ſoſchen Füllen, Nicht Jeden vermag, was Audere können;
aber ſteht Jeder treu auf feinem Poſten, jo lann das Uebel
gedämmt werben. Ihr haht mich erfannt. Glaubt an mich, welch
Acht auch auf mac fallen möge Num aber müſſen wir ſcheiden.
Gott ſchütze und: geleite Euch. Seid feiner Gnade empfohlen.“
Viole hielt feine Hamb feit im. der Seinem. Seine Lippe
zisterte und eine Thräne trat in ſein Auge.
„Ebdler Mann,“ fagte er, „ich: weiß es, und führt bie. Hand
Gottes wieder zufammem. War Ihr geſagt, iſt nicht leer verhaln
Rehm meinen innigſten Dank. Möge Gott aus. meiner Rettung
keine: Gefahr für Euch hexvorgehen Infien. Gott fegne Sucht”
Stumm prefßten bie ‘Männer ſich gegeufeitig, an bie Bruſt,
dann wanbte ſich Mornai und verſchwaud im: Waldı Er erreichte
das Boot wieder und fuhr quer über ber Fluß. Drüben wartete
feinen ein Diener mit Pferden, und ehe «3 lebendig in ben Straßen
von Paris geworden war, hatte eu bie Gegend erreicht, wo Viole's
Wohnung ftand.
Welch' ein Anbli bot ſich ihm hier!
Zertrümmert waren alle Geräthe, zerſchlagen die rienei und
Fenſter; ſelbſt die Bilder ber Ahnen des Parlamentsrathes, waren
in Stüde zerriſſez. Seine Habe mar geplündert und geraubt.
Die Wohnung. bot ein BHd graufenkafter Zerſtörung und, wie er
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% ”
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\ fe- daſtand, tief ergriffen von’ dem, was er ſah, ſchlichen zwei
Diener bes Entflohenen herbei, die zur Zeit ber Flucht auswärts
waren. Aude fie hatten die Wuth feiner "Verfolger erfahren durch
[were Mißhandlungen. - Sie Mebten Mornai um Schutz und
Unterhalt an.
„Seid getroſt,“ ſprach der edle bu Pleſſis⸗ Mornai, „Ihr
ſollt, bis beſſere Tage kommen, in meine Dienſte treten.“
Dieſe Ausſicht richtete die Armen wieder auf, und fie erzählten
nun, wie faun wenige Minuten nach ber Entweichung ihres Herrn
fie heimgefehrt feien und ganz betäubt von bem Schreden, daß fie
bag Haus offen und feine Seele barin gefunden hätten, bageftanden
wären. . Niemand babe ihnen ja’ fagen Fünıen, wohin er ettwichen.
Der Gedanke Habe fie gefoltert, daß feine Feinde ihn nach ber
Baftille gefchleppt, da auch fie in der Stabt gehört, wie er, dem
Könige gegenüber, für feine Glaubensgenoffen geredet. Dieſer
Furt und Dual. feien fle inbeffen ‚bald entriffen worden; denn
wenige Augenblide fpäter fei ein wilder Haufe in dad Haug
gerürmt, den Marquis von Tavannes an feingt Spike. In allen
Räumen des Haufes habe man gefucht; fie Gabe man gefchlagen,
geftoßen, mißhandelt und gefordert, daß fie fagten, wo ihr Herr
fei. Als fie das .nicht gekonnt, habe man mit Folter und Kerfer
gedroht. Endlich habe denn doch ber Marquis eingefehen, daß er
ohne ihr Vorwiſſen entfiohen fein müſſe. Wüthend barüber, daß
ihm fein. Schlachtopfer entgangen, habe er das Haus und Alles,
was es enthalten, bem Haufen preiögegeben und ſei bann binmeg-
geeilt, um mit Berittenen nad) allen Richtungen hin die Entflohenen
zu verfolgen. Da nun bie wüftefte Plünberung erfolgt ſei, wäre
ihnen Gelegenheit. gegeben worden, fi) ben Unholden durch Ent:
fernung zu entziehen, und erft gegen Tag feien fie in bie zerftörten
und außgeraubten Räume zurücgefehrt.
Du Pleſſis-Mornai hörte mit Entfegen biefe Erzählung an,
und verließ dann mit den Dienern Viole's die Stätte, wo es bie
Ereigniſſe bezeugten, was ben ebeln Bewohner würde erwartet
— 1 —
haben, wenn er das Unglüd gehabt gätte, i in ihre Hänbe au en,
die ihn fo bodenlos haften.
Während ſich dies bier zutrug, war dort am Ufer ber Seine
der Wald nicht lange Zeuge der Vorbereitung zur weiteren Flucht.
Der Diener, den Mornat bier mit ben Roffen hatte warten
laſſen, war ein treuer, zuverläffiger Menſch. Zwar mit ber
Auvergne unbekannt, wußte er doch in ben Gegenden, welche fie
zuerft zu bdurchreifen hatten, genau Beſcheid. Jeder Wald," jeber
Schlupfwinkel war ihm befannt. Ein Saumroß trug Lebensmittel
und Erquidungen. Mornai Hatte Alles vorgefehen. Um fi
möglichſt unkenntlich zu' machen, mußte be Biole feinen "Bart
"abnehmen, feine Kleidung mit der im Lande üblichen vertaufchen.
Selbſt bie Pferde waren ber Art, daß fie durch Schönheit und edle
Race kein Aufſehen erregen konnten. Am Tage raſteten ſie meiſt
in den Wäldern oder auf einzelnen Höfen und Mühlen, und in
der Nacht fehten ſie ihre Reife fort. Und als fie endfich jene
Gegenden erreichten, wo bie zerflüfteten, verbrantten Berge ber
Auvergne begannen, da wurde Viole ſelbſt der Führer bes Heinen.
Zuges.
Was ihn am Schwerften Gefikmmert, bie Beſorgniß, fein
Kind, fein theurer Gui, werde die Reiſe erſchweren, verſchwand
gänzlich. Das Kind freute ſich der wechſelnden Umgebung; freute
fich, bei feinem Vater ſein zu können, den es in Paris ſelten
geſehen, und ſo ging die Reiſe ohne Abenteuer, ohne Gefahren und
leichter vorüber, als er zu hoffen gewagt. Daß der edle du Pleſſis⸗
Mornai für bie beiden Diener, für feine Habe ſorgen werde, durfte
er mit Zuverficht vorausfeßen, und jo kam es, baß feine Seele
keicht wurbe, als er bie: Beyebene feines Heimathlandes vor
ſich ſah.
—
‘
3.
Die Auvergne iſt eins jener Gebirgsländer, wo die Natür,
Gptt allein weiß in weithen Zeitträumen, eine Werkflätte furchtbarer
Gewalten hatte; wo bie Zerſtörungen durch vulkaniſche Eruptionen
een Amſang, eine Macht und eine Damer nachweiſen, bie ben
Veſcheuer in eben dem Maße in Erſtaunen ſetzen, als fie ihn ait
Gntjegen. erfüllen. Ungeheuere Krater zeigen bie Herde jener
Grfcgütierungen, tie dieſe Berge zerklüfteten, jener Lavafelder, bie,
dh im Feuerflufſe, weithin bie Hochebenen bildeten, bie Thaler
""qusfüliten, bad Lehen ber Geſchöpfe zerſtörten, Wälber verbrannten
und num ben Iden Aublick gewähren, ber bie Seele mit Schauer
erfüht, Wo das Feuer aftlos hervorquoll, ba Bat ein anderes
Element ſeine Etaͤtte gefunden. Das Waller. hat viele ber boden⸗
Iofen Krater ausgefüllt und Seeu fluthen ba, wo einſt bad Feuer
weliete, Mächtige Tuffſteinlager dehnen ſich aus. Der Bimmöflein
bedeckt weite Strecken und Baſalte erheben ihve ſeltſamen Säulen⸗
gebilde oft auf ben Spitzen der Bergkegel in grotesken Formen.
Wo bie Macht der athmofphärifchen Einflüſſe einwirken konmte,
iſt ber Proceß ber Verwitterung ſeit ben Jahrtauſenden wirkſam
geweſen, in fruchtbare Erde bie Lavafelder umzuwandeln und noch
Beute, in dem Zeitpunkte ber Begebenheiten aber, denen dieſe Blätter
gewideet find, noch viel mehr, bebeden unb bedecten mächtige
Waldungen dieſe Gegenden, wo bie Bevbdlkexung noch ziemlich
vertheilt war.
Einzelne Kegelberge erheben ſich wie Pyramiden gen Giunsel
und weithin reicht das Auge in bie wilbe Banbfchaft von ihren Gipfel.
So Tag tn faſt gleicher und anſehnlicher Entfernung vos den
Srädten und Gtäbtchen Pierrefort, Conlabez, la Boute und Longert
in einem fehr breiten, von Lava theilweife erfüllten Thale,. welches
ein fich weithin ziehender Bergrüden von beiden Seiten einfchloß,
und gerade ba, wo es einen weiten Keſſel bilbete, ein einzelner
hochaufſtrebender Kegel. Bafalte und Trachite traten bier und ba
in slide, geflüfteten Gefsktungen an feinen Seuren zu Lage,
wänrenb ſonſt ein dichter Buchenwald ihn bekleivete. Er war
ſewindelnd hoch und fiel fo jah ab nad wien Seiten, bich er
völlig unzugängli ſchlen, fah man ihn aus ber Ferne. Erſt a des
Nähe gewahrte man einen im Baumfchatten verſteckten, ſich ringe
un ben Berg aufwärts winbenben Weg, ber aber an vier Stellen
durch Thore gefperrt war, welche fefte Thürme vertheibigten.
Oben hatte er einft einen Krater; aber bie Zeit, wo aus
feinem Schlunde Flammen emporftiegen, lag weit in ber Seiten
Ferne. Verwitterndes Geftein von feinen Rändern war hineingeftürzt
in den Zudungen, welche wohl noch lange nad; dem Erlöſchen ber
kleineren Vullane die Ausbrüche der mächtigeren hervorriefen. So
hatte ſich im Laufe der Zeit dieſe Tiefe ausgefüllt und eine Ebene
gebilbet, wo die Pflanzenwelt ihre Riefen emportrieb, als die kampf⸗
luſtigen Zeiten des zehnten und eilflen Jahehunderts ben Gedanken
gebaren, mädtige Burgen auf Höhen und Gipfel unzugänglicher
Berge zu Schutß und Truß zu erbauen. Auch auf bieſer Höhe ent⸗
ſtand eine ſolche Burg, von deren erſten Artfängen fo wenig, als vom
beiten, bie biefert kühnen Gedanken gehegt und ausgefichrt, bie Chro⸗
nilen ber Mönche ber zahleeichen Eldſter des Lembes zu erzäßlen wiffen.
Es waren Mauerw für bie Ewigkeit gebaut. Ganze Felsblöche
hatte der unzerſtörbare Moörtel verbunden zu einem Ganzen, und
eine folche Mauer umſchloß in bebeutenber Höhe und in gleichen
Entfernungen von Thärmen befchäßt, bie ganze Runbform deß
abgeſtutzten Kegelbergeß.
Innerhalb diefer Außern Mauer 309 fich in engerem Kreiſe eine
zweite, noch hoͤhere. Fallbrücken vetbanden dieſe beiden Mauern, bie
an ungeheuren Kelten, im Falle eines Neberfalls, aufgewunden were
den Tonnten. Die Thlleme ver inneren Mauer flanben fo, daß, aus
der Kerne gefehen, fafl ein Thurm an dem Amber ſtand, das heißt,
fie nahmen ihre Stelle genau zwiſchen den Thürmen ber Außeren.
In den Kreiſe, ber ſich innerhalb ber zweiten Mauer bildete, befanb
ſich ein gerkumiser Hof nd am dleſen ſchloß ſich za beiden Seiten
“ .
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ein großer Garten an, welcher bis ‚am bie großen Gebäude hinlief,
welche fich an ber fchroffften, der abendlichen Seite des Berges, an
bie innere Mauer lehnten, überragt von einem mächtigen runden
Thurme, deſſen Haupt in ungeheurer Höhe über alle Thürme und
Mauern hinausblickte.
—
Links von dieſem Hauptthurme zogen ſich die Wohnungen der
Knappen und Reiſigen hin, nebſt den Ställen und Vorrathshäuſern.
Rechts aber ſtand, mit einem breiten Bälcone geziert, das ſpitz⸗
giebelige Ritterhaus, mit weiter Hallen, Sälen und Wohngemächern,
deren Ginrichtung jedoch dem feinern Gefchmad einer fpätern,
Yururiöfern Zeit ihre urfprünglichen Formen hatte zum Opfer
bringen müffen.
Da erblidte man bie mächtigen Kamine, bie des Steinmegen
Meißel verziert hatte mit Darftellungen von Schlachten ,_phan:
taftifchen Thiergeftalten und Frucht: und Blumengewinden oder
Trophäen von Waffen felffamer Form; da ſah man an den Wänden
bie dauerhaften Xebertapeteh, in die goldene Darftellungen gepreft
weten. Da ftand an den langen Wänden das Schreinwerk von
maſſivem Holz, an dem der Schniger feine Kunft geübt hatte, und
die Stühle mit hoben, ausgearbeiteten Lehnen unb fchwellenden
Kiffen von derbem Damaſte. Da hingen an den Wänden Foftbare
Rüfungen in blanfem Stable mit eingelegte, herrlicher Arbeit.
In dem Schreinwerke feffelten den Blick hinter ben helfen Glasſcheiben
bie Schüffeln, Teller und Pokale aus edlem Metalle, häufig mit
ben ſchönen Bildwerken getriebener Arbeit ober dem ſchönen Niello
verziert, wie nur bie italifche Kunft die Geräthe ber Tafel ſchmückte,
und aus ben Fenſtern leuchteten bie Malereien in den brennenbften
Farben, durch welche der Sonnenftrahl herrlich ‚gebrochen wurde.
Alles athmete hier einen Wohlſtand; alled wies auf einen gebiegenen
Reichthum bin, wie er nur alten, mächtigen Familien eigenthümlich
war. Das war bie Burg Saint-Flour, dem ebeliten Geſchlechte
ber Auvergne, ben de Viole's zuftändig, und fo weit bad Auge von
, .
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.— — —
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den Zinnen des Wartthurmes reichte, erkannten Land und Leute
dieſe Familie als ihre angeſtammte Herrſchaft.
Die Zeiten der mittelalterlichen Kämpfe waren indeſſen längſt
zu Grabe gegangen, aber nicht die Burg, welche Zeugniß von der
Macht und dem Reichthum des Geſchlechtes gab. Es gehörte zu
ihrem Stolze, zu ihrer Lebensaufgabe, ſie zu erhalten, wie ſie aus
fernen Zeiten, ſtets in jungfräulicher Reinheit, nie erobert, nie befiegt,.-
den fpäteren Sprofien des alten Stammes war überliefert worden..
Reich begütert, wie in der Auvergne, fo in der Dauphine, war bie
Familie in zwei Aefte auseinander gegangen. Die Güter in ber
Dauphiné beherrfchte die ebenfall3 mächtige Burg Arbeque, welche
auf ſteiler Höhe unweit Pont de.Royan Tag.
Der AR, welcher fi de Viole de Saint: Flour naunte,
bewohnte, bie Burg dieſes Namens in ber Auvergne; der andere
AR nannte fi de Viole d'Arbeque und blüthe auf biefer Burg in
der Daupbine,
Als von Genf aus das Licht ber Reformation i in Frankreich
Eingang fand, geflaltete fich bier ein Berhalmiß, wie es vielfach
fih erwies.
Die Familie de Viole hatte nur noch zwei Repräfentanten,
einen Herrn be Viole d’Arbeque und Claude be Biole be Saint
Flour. Jener war nie in bie verfhlungenen Wege der Willen:
ſchaft eingetreten. In dem Stolze feines alten Stammes verachtete
er bie Schäße bed Erkennen! und Wiſſens. Ihm galt ed nur, den
Adel in feiner Reinheit und Würbe zu erhalten, in den Kriegen -
des Könige Fahnen zu folgen, und manchen Ruhm hatte er
ſich erworben. Gleichalterig mit ihm, war Glaube be Viole be
Saint⸗-Flour zu anderen Thätigfeiten bes Geiſtes geleitet worden.
Der Durſt des Willens drängte ihn, in die Schachte der Wiſſen⸗
ſchaften Hinabzufleigen, und fein Lehrer hatte ihn früh in bie
Gebiete der Aftrologle eingeführt, welche er fpäter mit befonberm
Eifer verfolgte. Noch in ben reiferen Jahren, nachdem ihm bie
Sorbonne ihre Weisheit eröffnet, war er hinüber nach Genf geeilt,
— HH —
und hirt hatte ber wie raſtende Trieb des Erkennens fhm bad
Evangelium erſchloſſen, an deſſen heiligem Goltesquelle fein Ser
vie vollſte, veichſte Befriedigung Fand. d'Arbeque war in vielen
Beziehnmngen einer andern Geſinnung ergeben — floh, auf Teen
- alten Adel, und dieſe verſchiedenen Richtungen Hatten die
Wirkung herdotgebracht, daB eine unüberſteigliche Muft ihre
Herzen hrennte. Sie wutden ſich völlig fremb, fa noch mehr,
ein glühender Haß entzweite fie völlig, ber jedoch anderen Wurzeln
entwuchs.
Caude de Viole be Saint⸗Flout war ein Fenerkopf. Die Hemd
zu einer Ausgleichung zu bieten, war feine Sache nicht. Er ber
durfte feines Vetters ſo wenig, wie dieſer ihn nöthig hatte So
blieben fie geichieben.
— —. &laube de Viole lebie auf Feiner Burg Saint⸗Flour, jagte in
feinen weiten Forſten und trieb Aſtrologie, bie er in Benf bei
einem alten Spanier, welcher Acerebo hieß, eifrig fortgejeht hatte.
Er vertiefte ſich in feine Studien fo fehr, daß er In Gefahr war,
ganz bem Reben und einer, feinen veichen Kenniniſſen entſprechenden
Laufbahn entzogen und entfremdet zu werden.
Da ereignete ſich Endas, und dies Ereigniß gab feinem Leben
eine andere Richtung. Zu
Seite Beſidungen grenzten an die Bilter einer andern eblen
Familie ber Auvergne. Seit Jahren ſchwebte ein Prozeß Aber
deg Eigenthum eines ausgebehnten Waldes. Die von Dudraque
beſtritten das Recht ber Viole's an dieſen Wald. Bereits alle
Inſtanzen hatte der Prozeß durchlaufen, und die Koſten deſſelben,
wie eine Reihe von Nnglüd2fällen, hatten den Wohlſtand ber
Familie dDudraque gänzlih untergraben. Run wurbe er vor
den Parlamente zu Parts verhandelt, und alle Ausfichten waren
bafür, daß Viole ihn gewann. Er felbft eite nad Barid, mr
"ne Mechte zu vertreten.
Der Blarız und das Feuer feiner Berebtfamfeit, ‚unterfiltt
unzweifelbaften Documenten, welche er In den Archive zu
Stunte Flour gefunden, machten ihn zum Sieger in dieſem Nechts⸗
fireit und — leiteten die Blicke des Kanglers be PHopttal auf dab
eminente Talent bes jungen Mannes.
Eines Abends trat ein alter, chrwurdiger Parlamenthrath In
ſeine Wohnung.
„Ich komme,“ ſagte ber ehrwürdige Hann, „Euch Glüd gu
wimſchen zu dem glänzenden Siege, den Ahr vor ben Schranken
des Parlaments erringen. Ich würde Such auch zu der bedeulen⸗
den Vermehrung Eures Beſihes Glück wänfgen, ı wenn ich Könnte.“
Biole Rupte.
„Barum Tönnt Ihr das nicht?“ fragte er mit Erſtaunen.
„Haltet Ihr es für ein Untecht, Herr Patlamentsrath ?“ —
„Das nicht,“ ſagte der Greis, „denn Euere Documente ſind
unzweifelhaft. Sie weiſen Euch ben rechtmäßigen Beſitz zu; ich
ſelbſt habe das Urtheil fällen Helfen; aber es ſtürzt einen edlen
Greis in das tieffte Elend. Der alte d'Oudraque ift beitelaem
durch dies Urtheil geworben und vollends durch die ungeheueren
Koften deffelben, bie er gu tragen hat. Ger würbige Mann iſt
gebeugt, wie ich noch nie einen Menſchen geſehen habe. Und er
ſteht nicht allein in ber Wet. Sein Unglüd zieht fein ſchuldloſes
Kind mit in den Abgrund — ober überliefert e8 ben Laflern deß
Hofes, denn Diane von Poitiers, gerührt von ber Lage bes Mäb-
chens, will es in ben Kreis ihrer Damen aufnehmen. Ihr wißt,
was daB heißt. — Ein anberer Ausweg ift nicht übrig. Ich babe
heute heiße e Thramen im den Augen bei Greifes und be3 Mädchens
gefehen.
Birke | ftand Betroffen da.
„Ihr feld ein Ehrenmann,“ fagte er; „Ihr wärt ber Freund
meines Vaters. Ihr wißt, ich ſetzte Altes daran, mein Recht zü
erlarigen, nit den Wald. Gott bat mich gefegnet. Sagt dem
Greiſe, daß ich auf den Walb zu feinen Gunſten verzichte und
ihm morgen bie Urkunde einhänbige. Sagt ihm das. Seine Thränen
würben mir auf der Seele brennen.“
— 28 —
Der eble Barlamentsrath bu Bourg ummarmie ben jungen
Mann mit tiefer Ruͤhrung.
| „Ich Tannte Euch, Viole,“ fagte er mit bebender Stimme.
„Ihr ſeid meines Freundes würdiger Sohn. Ich wußte, daß es
nur dieſer Mittheilung bedurfte, um dieſe Wendung herbei zu
führen. Kennt Ihr d'Qudraque?“
„Nein,“ ſagte Viole. „Ihr wißt, daß der Rechtsſtreit eine
Kluft zwiſchen uns bildete, die uns ſeit länger denn funfzig
Jahren ſchied.“
„Ich weiß es wohl,“ ſagte du Bourg; „aber iſt es recht, daß
eine ſolche Feindſchaft fortdauere? Wahrlich, nein!“
„Sehr wahr,” ſagte Viole. „Ich ‚bin bereit, die Hand aus
Herzenägrunde zum Frieden barzubieten.’
„Auch das hab’ ich von Euch erwartet,” fagt bu Bourg.
„So ſchlage ih denn vor, daß Ihr mich zum alten d’Oubraque
begleitet.‘
Biole widerſetzte ſich nicht.
Sie gingen. Ihr Weg führte ſie nach langem Wandern in
eine dunkle Gafſe der Citos. In ein unanſehnliches Haus leitete
der Greis ſeinen Begleiter. Du Bourg öffnete die Thüre zu einer
kleinen Stube, und fie traten ein.
Dad Gemach war ärmlich. Bei einer Lampe ſaßen zwei
Perfonen, ein Dann von etwa Techzig Jahren in unfcheinbarem
Hauskleid und eine . Jungfrau von höchſtens achtzehn Jahren.
Sittig, aber einfach war ihre Kleidung; aber Viole befannte ſich
ftille, daß er nie ein meibliches Weſen erblidt, das fchöner, nie
eins, beffen Züge engelveiner unb feelenvoller gewefen. Sie faßen
ftille ba, ber Kummer malte fi unverkennbar auf ben Gefichtern.
„358 bringt bie Hiobspoft, bu Bourg,“ fagte der Greis weh⸗
mütbig. „Sie bat mich ſchon früher ereilt. — Doch — wer ift
ber junge Mann, der Euch begleitet 7°
„Der Sohn eines Freundes,“ Tagte ber Parlamentsrath, —
„Blaube de Biole be Saint⸗Flour.“
- — 9 —
Der Greis eebkeicte und in bes fchönen Mãbchens Augen
traten Thränen.
„Du Bourg,“ rief der Greis, „Ihr wart mir jederzeit. ein
Freund, aber heute werde ich zweifelhaft. Wollt Ihr meinem
Feind einen Triumph bereiten, ber mich niederdrückt?“
„Nein, fagte Viole, und die Bewegung feines Herzens klang
in feinem Zone durch, „nein; Gott verhüte, daß Ihr fo mein
Kommen audlegen folltet! Lange Zeit, fat über ein halbes Jahr⸗
hundert, hat ein umfeliger Rechtsſtreit unfere Familien entzweit.
Das fol nicht länger fein. Sch komme, Euch anzufündigen,
gnäbiger Herr, daß ih auf den Wald verzichte, aber um Eure
Freundſchaft bitte. “
’ d'Oudraque ſah feft in bes jungen Mannes Auge.
„Ich danke Euch,“ fagte er, „für Euere Befinnung! Es fol
mir lieb fein, wenn der Hader zwifchen Nachbarn endet, aber eine
ſolche Wohlthat anzunehmen, bin ich zu ſtolz. Behaltet, was recht-⸗
mäßig Ener iſt.“
Du Bourg und Viole begriffen, daß fie fich übereilt. Beide
waren verlegen und rathlos. |
„Marie,“ fagte d’Oubraque, „lade bie Herren zum Siten ein.”
In dem Wefen bed Greiſes Tag eine Höheit und Würde, bie
Viole niederbrüdte. Er faßte feine Hand und bat, ihn nicht zu
verfennen. Es' fei ein Herzenswunſch, fich mit d'Oudraque aus:
ı zuföhnen.
Der Alte drückte feine Hand. „Ich: will nicht mit der Schuld
des Haſſes beladen vor meinen Richter treten, “ſprach er „aber
rebet nie wieder von bem Gegenftande, ‚ ber unfere Familien
entzweit.“
Sie ſetzten ſich. Du Bourg gewann feine Fafſung wieder.
Er leitete mit der Gewandtheit des Weltmanns ein Geſpräch
ein, an dem auch Marie Antheil nehmen mußte, und Viole horchte
mit angehaltenem Athem, wenn das fein gebildete, Ene Mãdchen
Baur ee
ſprach. Sie ſchieden ala Freunhe, und Miole nahm einem. tiefen
Eindrud mit hinweg.
Als fie auf ber Straße angelangt waren, faßte Diole des
Borlamentärathe Hand.
„Um Gott«aswillen, verhiltet, daß dieſer Engel am ben Sof
komme,“ fagte er mit einer Wärme, daß bu Bourg lächeln mußte,
„Wir Haben heute einen bummen Streich gemacht,“ fagte er,
‚ih will mich büten, einen zweiten Binzugufügen Der alte
d'Oudraque ift ein Ehrenmann, aber er verfteht keinen Scherz,
und fein Zartgefühl bat eine Feinheit, dag es wicht bie leiſeſte
Berührung duldet. Geine Sebnfänbigfeit tft feinem Zartgefühle
gleich. u _
Biole ſeufzte. Das Mädchen hatte einen Eindruck auf ihn ge⸗
macht, ber nicht jenen flitchtigen ihn beizugefellen geftattete, welche
ber nächite Augenblid verwifcht,
Schon nad einige Tagen befuchte er d'Oudraque wieber.
Je mehr er Marien kennen lernte, befto tiefer wurzelte bie Liebe in
feinem Herzen.
Endlich fagte er zu du Bourg: „b’Oubraque hat meine Ver⸗
zichtleiftung auf den Forft nicht angenommen; nun weiß id einen
Ausweg.“
„Welchen?“ fragte bs Bourg mit Intereſſe.
„Dieſen,“ ſagte Viole — ‚es gibt mie Marie zum Weib und
macht mich, zum gluͤclichſten Menfchen.‘'
Du Bourg fah ihn an. „Viole,“ fagte er, „zum Scheren
ſeid Ihr zu edel; iſt es oben Euer Gruft, ſo fegne Euch Gott!”
Die, Freude bei Parlamentsrathes war außerordentlich. Er
Übeenahm es, ben Sinn bes. Men zu ewforfchen; denn über
Mariend Gefinnung glaubte Viole im Klaren zu fein, ba er fie
beobachtet. Auch du. Bourg mar bald feiner Sache gewiß, benn
d Oudraque äußerte ſich mit ebenſo viel Achtung als Wohlwollen
über Biole,
Viole ging nun öfter zu Marien und gewann bie beglüdenke
ı — gl —
qewihheit, daß je ige Kiebe. Eile murde feine Matlin, und ber
Greis ging wi) dem jugendlichen Paare nad Saunt⸗-Flaur.
Fünf Jahre eines ungefärten Glüches flofien ihnen theila zu
Saint: Flour, theila in Paris bin, bean Biole war zum Parle-
mentärotb ernannt warden, Sein gelichted Weib, ba ihm bie
Erde zum Himmel machte, ſcheukte Ihm einen Knahen, aber fie
Fränfelte feit dem Wochenbett und erlag endlich. Der Vater felgte
ber gelichten Tochter bald, und Viole ſtand allem mit feinem Kiude,
verlaflen unb arm im Leben da. .
In die Mauern von Saint-Flour begrub er fih mit feinem
Schmerz, und nur dem Bitten, bem Drängen feiner Freunde gelang
eß, ihn wieber in den Kreis ber Thätigfeit zurüdzuführen, aber -bie
Blüthen bes Glüdes hatte bie Hand bed Todes abgeftreift. Viole
war ber Freude abgeftorben. Seinem Kinde, feinem Beruf und
feinen aſtrologiſchen Studien waren feine Kräfte und feine Zeit ge:
widmet. Selten milderte ein Lächeln ben tiefen Eruß feiner Züge
Mit der ganzen Kraft feines Weſens gab er ſich dem Wirken für -
feine Olaubensgenofien Hin, und dies Streben mar e3, welches bie
Sataftrophe herbeiführte, welche ihn zwang, aus Paris zu fliehen,
feine Stellung, ja fein Vaterland aufzugeben.
Als ein Flüchtling kehrte er nad) Saint-Flour zurüd, alg ein '
Geächteter. Der Drt, wo er bie glüdfeligften Tage feines Lebens
verlebt, konnte tim ſelbſt auf bie Dauer keine Sicherheit geben.
Welch’ einen Wechjel des Gfüdes hatte er im Kreislaufe mentger
Jahre burchlebt.
Und es fchien, als fei dad Maß feiner Leiden noch nicht
vol. Durch bie Strapazen ber Reife erfrankte fein Kinb, das
letzte But, was ihm aus bem völligen Schiffbruche feines Lebens
geblieben war.
Tag und Nat faß er am Wetichen feines Kindes und
belaufchte jeden Athemzug. Umſonſt wor had Flehen feines Burg⸗
warts, bed treuen Rabaud, daß er fi Ruhe gänne und ſich ſchone.
Er wi nit. Der Schmerz drohte ſein ahnehin ſchwer getroffene?
v
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— 32 —
Se — zu brechen; doch die gotniche Vorſehung erbarmte fich bei.
Bielgeprüften. Die Krankheit bes Kindes brach fich, das Fieber
Ihwand. Bald erholte fi das Kind wieder. Jetzt trat bie Sorge,
"Ihm den Bater zu erhalten, in ben Vordergrund; benn Biole
konnte fich Über feine Lage nicht täufchen. Es war zu verwundern,
daß ihm die Rache feiner Feinde, namentlich der Haß Tavannez’,
ber einft vor dem Parlamente einen Rechtsſtreit verlor, deſſen
Verluſt er allein Viole's Echarffinn und firenger Rechtlichkeit zuzu:
fhreiben hatte, und der ihn bewegen mit ber Gluth eine vet-
worfenen Herzens bapte, fo lange Raft und Ruhe auf Saint:
Sour ließ. ol | ”
Mit Rabaud fprach er oft über feine Lage, benn ihm konnte
er fich unbedingt anvertrauen. Rabaud war aus ber. Dauphine
. und ftand feit den Tagen feiner Jugend in Viole's Dienften, feinem
Herrn mit wanbellofer Treue ergeben. Auch Rabaud tbeilte
du Pleſſis-Mornai's Anfiht, daß Viole nah England fliehen
müffe; aber da trat bie Vaterliebe mit al’ ihren heiligen Rechten
in den Weg. Sein Kind Tonnte und burfte er ben Můhſelig⸗
keiten einer Reiſe zur Küſte, den Gefahren einer Seereiſe nicht
ausſetzen. Und ohne Gui — glaubte er das Leben nicht ertragen
zu können.
Rabaud ſchlug ihm vor, Gui ihm anzuvertrauen. „Er wolle,“
ſagte er, - „in feine Heimath, in bie Dauphiné gehen und Gui für
feinen Sohn ausgeben, ihn aber io erziehen, wie es ‚fein Stand
erheifche.”
Biole wußte in feinen Händen den Sohn wohl verforgt —
. aber fi von ihm zu trennen, konnte er. nicht über fich gewinnen.
Da entfchieb fehnell ein Brief, ben Rabaud aus ber Hand eines
wandernden Zigeuner erhielt, ‚deren Horden Frantreich durchzogen.
Er war von du Pleſſis-Mornai.
„Ihr feid Feine Stunde mehr auf Saint-Flour ficher,” fehrieb
er dem Freunde. „Man vermuthet Euch bort und trifft Vorberei-
33 —
tungen, euch dort gefangen zu ı nehmen Ihr Tennt Tavanned. Er
fegt Alles daran, feine Race an Euch zu befriedigen. Cr hat
ben boppelten Plan, Euch zu verderben, und ben giftigen Dolch
dadurch um fo tiefer in @uer Herz zu bohren, daß er Euren.
Sohn in dem katholiſchen Glauben erziehen laſſen will. Ahr feib
geächtet. Der König bat Dianen von Poitier Eure ſämmtlichen
Güter geſchenkt. Ahr Tennt dies Weib. Sie wirb nicht zaubern,
Saint⸗Flour in Befig zu nehmen, Fliehet fo ſchnell Ihr könnt.
Geb' es Gott, daß diefer Brief noch zur guten Stunde in
- Eure Hand kommt. Vermeidet, wo möglig, Städte und Dörfer
auf Eurer Flut. Dan achtet überall auf Eu. Gott ſchube
ul" —
Der Brief trug keine Unterſchrift, aber es war die Handſchrifi
NMornai's. Viole kannte fie,
Als er diefe- Zeilen geleſen, ſank er, bleich wie der Tod, in
feinen Lehnſtuhl zurüd. Rabaud ahnte den Inhalt. Er fragte
sicht. Viole reichte ihm den Brief.
- 18 er ihn gelefen, rief er: „Jede Minute iſt koſibar, laßt
und ſchnell und entſchieden handeln. Ihr müßt nach La Rochelle
fliehen und von ba nach England; ich‘ mit Gut nach ber Dauphine.
D, vertraut mir Euer Kind an. Gott fei mein Zeuge, baß ich es
fo erziehe, wie es feinem Stande gemäß iſt!“
Gr lieh Viole nicht zu Worte fommen, fonbern. eilte hinweg,
die nöthigen Anordnungen zur Flucht zu treffen. Viole Tämpfte
den ſchwerſten Kampf feines Lebens; aber bie Stimme ber Vernunft
gebot bem Herzen, Rabaud's Vorſchlag anzunehmen. Die Lage
bed Augenblicks, bie Noth forderte gebietefifh bag Opfer des
Herzens, und wie es auch bluten mode, ber Mare Bli auf jene
j Lage entfchieb.
8
Horn’s Erzählungen. X, 8
—
4, 5
2 als die Nacht auf die dunkeln Berge der wwergne “ihren
bunkleren Schleier außbreitete, nahte ber gefürchtete Augenblick be
Scheiben. Rabaud, der ſich ſchnell des Knaben ganze Liebe‘ er:
“ mwötben, erzähfte ihm, fein Bater müſſe verreifen, und Viole waffnete
fly mit der ganzem Kraft der Selbſtbeherrfchung, ala er den
Kruaben an ſeine Bruft und den langen Segenskuß auf feine
Stirne brüdte. Ach, er meinte, das gepreßte Gerz milffe brechen;
er er war Dann und riß ſich los, und während er ben Weg
nach 2a Rochelle einfchlug, floh Rabaud mit vem Knaben in der
Richtung ber Dauphine. In einer Mantel gehüllt, - bielt abiedh:
ſenld Rabaud und ber Diener den Knaben, und da er bald fanft
‚Anfhlief, Tonnten. auch fle ihre Neife ungehemmt fortfegen, und
waren, als e8 tagte, fchon weit genug von Saint=Fleur und aus
jenem Kreiſe gewichen, innerhalb befien das Auge des veifolgenden
Haſſes nach feinen Opfern ſuchte. -
Viole floh in ber äußeren Erfcheinung eines Pferdehändlets
und Roßlamms, einer Rolle, zu welcher er, bei großer Vorliebe
gegen das edle Thier, eine befondere Befähigung hatte: Bas lange
Haar und Bart waren. entfernt, Der Kummer und bie Erfahrungen
ber Ketten Zeit hatten -eine fo weientliche Veränderung in ſeinen
äußeren Menſchen hervorgebracht, daB ihn in ber bürjtigen Kleidung
feines Gewerbes Niemand würde erfannt haben. Zubem war fein
Pferd ein Thier von ber Fleinen, aber dauerhaften Auvergnatenrace,
und er ſprach, aus früheren Zeiten ihm noch eigenthiimlich, bie
Mundart der Auvergnaten bis in ihre feinften Eigenthümlichkeiten
mit einer Gewandtheit und Fertigkeit, die auch den ſchärfſten
Beobachter hätte täuſchen müſſen.
Er ritt nur Feldwege, ſoviel es ging, und wenn er die Land⸗
ſtraße benutzen mußte, ſo geſchah es zur Nachtzeit. Bis jetzt war
er ungefährdet weiter gekommen, aber es ſtand ihm eine Gefahr
bevor, am bie er weniger dachte, als irgendwie. Seine Feinde
\
— 85 —
haltten aber bie’ Zeit wohl beruf, bie fein Aufenthalt in Saint:
dlour ihnen gegönnt.
Eines Tages hatte er eine weite Strece zurückgelegt, und war
gegen Abend gendthigt, auf die Landfſtraße einzubiegen. Nur noch
eine glückliche Tagreiſe — und er mar in La, Rochelle!
Muthiger fchlug fein Herz und raſcher trabte er mit ſeinem
Auvergner Klepper einem armſeligen Dorfe zu, wo er eine fried⸗
liche Schlafftätte und die nöthige Erquidung zu finden hoffte.
Ploötzlich vernahm er Hufſchlag hinter ſich. Auszuweichen war
nicht möglich.
Die Dämmerung begann ſchnell hereinzubrechen. Um feinen *- .
Verdacht zu weden, ließ er fein Thier im Schritte gehen, und bald
war ber Reiter an feiner Seite. Ein Blick, ben er beim Gruße
des Reiters auf diefen warf, ließ ihn ein Glied ber gefürchteten
Marochauſſée erkennen. Sein Herz pochte bei, aber er nahm
ih zufammen.
„Ein Roßkamm?“ fragte ber Reiter.
„Ja,“ erwiederte Viole im Dialekte des Volkes der Auvergne.
„Was willſt Du fo .weit von Deiner Heimath machen?“
„Geſchäfie,“ entgegnete Viole. „Anſer Einer muß oft gar
weit herumziehen, ehe er findet, was er ſucht.“
„Was ſuchſt Du denn?“ fragte ber Reiter und fein ſtechendes
Auge mufterte ben Roßkamm, der ihm Verdacht einflößte.
. „Darf ich Euch vertrauen?” ‚füferte Viole, ſich gegen ihn
neigend.
„Freilich!“ rief der Andere; „Du ſiehſt, daß ich im Dienſte
des Königs ſtehe.
„Nun,“ verſetzte Viole, „Ihr wißt wohl, daß die Hugenotten
ſich unter Cdligni rüſten.“
„Nein,“ rief, von ber Nachricht betroffen, ber Reiter.
„Ihe könnt mir's glauben,” fuhr Viole fort; „aber das Bunt
Ihr auch glauben, bap bie Unferen bie Hände nicht in den Schooß
legen. Der Herzog von Suife fammelt in Lothringen ein Heer.
. 8°’
— 36 —
Da fehlt's an Gäulen und ich und zwei Freunde haben eint
Lieferung von hundert guten Thieren übernommen. Ich will hier
herum ſolche auffaufen, bie ich brauden Tann, und ber eine
meiner Freunde iſt nach Languedoc, der andere in die Dauphine
gezogen.“
„Da köonntet Ihre aber Übel wegkominen, wenn Einer mebr
faufte als ber. Andere,“ fagte der Reiter.
Biole Iachte bel auf. „Ich fehe wohl, Ihr verficht von bem
‚Handel nichts. Denn gefeßt, es Taufte Einer von uns mehr
Thiere, jo wiffen wir ſchon Rath, fie unterzubringen. Billiger
Einfauf und tbeuerer Verkauf if, bie Grundlage eine guten
Geſchäftes.“
„Das iſt richtig,“ verſetzte der Reiter von ber Marechaufier.
„Hier in der Gegend wirft Du“ aber ſchlechte Geſchäfte machen,“
ſetzte er hinzu.
„Das glaubt Ihr,’ _jagte Viole, „ich nicht. Kommt Ihr
übermorgen wieder in das Wirthshaus dort im Dorfe, fo werde
ih Euch beweiſen, daß ich nicht im Trüben fiſche.“
> Der, Reiter ſchwieg. So ſehr auch Viole auf das Unbe⸗
fangenſte fich zu äußern bemühte, ber Andere hielt feinen Verdacht
feſt. —
Im Wirthshauſe ſetzte fih der Reiter in eine dunkle Ede,
um jebe Bewegung Viole's zu beobachten. Der Reiter fand in ber
Haltung Viole's etwas, was ihn bedenklich machte.
Diefer aß fein Abendbrod und unterrebete ſich mit ben Bauern,
die an dem Tifche ſaßen.
Da ging bie Thür auf und eine € Zigeunerin trat herein. Ihre
blipenden Augen überjchauten fchnel bie Geſellſchaft. Plötzlich
that fie, als erblide fie jetzt erſt Viole. Mit freundlichen, vertrau=
lichem Lächeln trat fie ihm näher.
Biole erfannte bie Alte fogleih und hatte Mühe, feine Angſt
zu bewältigen. ..
„Ei guten Abend, Pierre Rabaud,“ fagte fle herzlich. „Seit
— 37 —
warn bift Die hier? Du Haft gewiß ſchon gewittert, daß Giles
Rollet zu Domville feinen ſchönen Schimmel verkaufen will?” —
„Woher weißt Du denn das, Adelma?“ fragte Viole, der
ſchnell von feiner Angft befreit war.
„Hel“ lachte die Alte, „wir wandern hier und da herum
und hören da Mancherlei, wie Du weißt.”
„Hält er ihn theuer ? fragte. Biole halblaut, fich zu der
Alten neigend.
„Pah, er iſt nicht jünger geworben ſeit vor zwei Jahren —
aber der Herzog von Guiſe kann ihn noch mit Ehren reiten.“
„Pſt,“ ziſchte Viole und machte ein Zeichen, daß fie vorfich⸗
tiger ſein ſolle.
Adelma ſah fich beſorgt um; als ſie feinen Gegenftand zu
bemerken fchien, - der fie ängſilich machen Könnte, fuhr fie fort:
„Wenn e8 Dir vecht ift, Pierre Raband, fo will ih ihn einmal .
anshorchen, was er fordert?” —
„Darüber wollen wir morgen reben,” ſprach Viole, „für
beute bin ich fehr müde und will zu Bett: gehen. Gute Nacht!‘
— Er fland auf und ging weg.
Der Reiter von ber Marächaufise winkte der Alten.
- „Kennt Du ben Roßkamm?“ fragte er.
„Wie Tot? ich nicht,” ſprach fie Tachend. „Wer kennt ben
Pferbehändler Pierre Rabaud von Erenella nicht? Seine Zrau hat
mir mande Wohlthat erwiefen, und er begegnet unfer Einem
gar oft.” /
Der Reiter ſah fie forſchend an, weil er immer noch Verdacht
te.
„Soll ich Eng wahrſagen?“ fragte Adelma. |
„Geh',“ fagte der Reiter, „und ſuche Dit Andere, die Dir
glauben.”
„Auch Ihr glaubt mir, was ich Euch ſagen werbei” verſetzte
mit fo auffallendem Nachdrucke bie Alte, da der Reiter ihr feine
Hand lieh.
—
. „Diefe Linie,“ fagte fie, in bie Hand ſchauend, „weiſt 0
Clernont. Rechts von ber Kathedrale, Nr. 187, ſitzt in einge
Heinen Hinterftube ein Vögelein, das von Soint Flour ausgeflogen
iſt! Gute Nacht!“
Sie wollte ſich entfernen. „Halt!“ rief der Reiter und faßte
“fie. „Bleibe! Was ſagteſt Du da?” —
„Ihr habt's ja gehört,“ erwiederte Adelma.
„Woher weißt Du es?“
„Kennt Ihr den Cap? Caß ift ber ſchlaueſte Spürhund. Er
hat's geſagt.“
„Kann ich mich darauf verlaſſen?“ —
„Mich hat Caß noch nicht betrogen!
, „Alte, Du ſollſt veich belohnt werben!” rief der Reiter, ſprang
auf umb eilte hinaus. Wenige Minuten fpäter hörte man ihn
bavon jagen.
” Die Alte fehlen das fo theilnahmlosß anzuhören, als berühre es
fe nicht, und doch jubelte fie innerlich.
Die Stube wurde leer und die Alte kauerte fih in einen
Winkel. Sie war oft in dem Haus und zog durch Wahrſagen.
manche Gäſte an.
Allmälig wurde es auch fill in dem Haus, und als gegen
Mitternacht alle Bewohner ſchliefen , ſchlich fie in ben Stall,
wickelie Stroh um die Hufe des Pferdes, bag Viole geritten ‚und
führte es vor das Thor. Dann ſchlich fie an feine Kammer unb
klopfte leife.
Viole, der nicht ſchlief, auch ſich nicht ausgekleidet, öffnete.
„Schnell, “ſagte fie und ſchlich wieder ‚hinab. Er folgte.
‚Sie führte ihn zu feinen Thier und jagte: Ich srlannte Euch -
im Wald, als Ihr vorüber rittet und "auch bie Gefahr auf ber
dhndfkraft, dein der Reiter iſt ein ſchlauer Schelm. Nun hab! ic}
ihn auf eine falfche Fährte gebracht. Ihr müßt ſchnell fork, bern
ei ift bier herum nicht geheuer. Ben Ihr ſcharf reitet, ſeid ii
Mg Mittag in La Rochelle.
Ed
— —
Selma," fagte-er, „ich bin Bir. ewig verſchuldet!“ Er ſchwang
un auf's Roß, drückte Ihr ein Goldſtulck im die Hanb und ritt weg: .
Wie em Steinbilb ſtand die Alte ba und wog das Goldſtürk
in ihrer Sand. „Gold!“ rief fe grimmig. „Ja, damit meinen
fie Alles abgethan!" Sie murmelte zürnend fort und Tehrte in
669 Hans zurüd, alle Thüren wieder forgfältig f chließend; dann
Bfinete fie ein Fenſter, ſtieg hinaus, drückte es wieder zu und
verſchwand in dem Dunkel ber Nacht. |
| Biole erreichte ungeführbet La Rochelle und beftieg ſchon am
endern Tag ein Schiff, das ihn nach Englands Mühe brachte.
Es war hohe Zeit für ihn, wie file Raband geweſen, daß fie
fiohen, den fchon am folgenden Tage wurde bie Burg Saint⸗Flour
durch Bevollmächtigte Dianen's von Poitiers in Befit genommen,
und da man Vidle in ber Nähe vermuthete, Alles durchſucht.
Es war ein offenbared Walten ber göttlichen Borfehung, daß
Maband nicht in bie Hände ber Verfolger fam.
Nach vielen. Mühen und Befchwerben erreichten fie endlich das
Dorf, wo Rabaud geboren war. Seine alten Freunde erkannten
ihn wohl wieder, aber Niemand wußte um feine, Verhältniſſe im
Saint⸗Flour, nie war, ſeit ſeiner Entfernung, eine Runde von ihm
in die ferne Heimath gedrungen; ſo wurde es ihm ein Leichtes,
Gui für feinen Sohn auszugeben und bern Knaben dazu zu beſtim⸗
mer, daß er ihn feiten Vater nannte Es fiel keinem Menſchen
ein, baran zu zweifeln, und Rabaud lebte ımangefochten in einem
Anfacheri Haufe, das er miethete, forgfältig bie Mittel verheim⸗
lichend, die er in feined Herrn Auftrag für Gut gerettet ‚hatte.
Bon Tag zu Tag hoffte er auf Munde von feinen Herrn:
über es blieb todtſtille und aflinälig gewöhnte er fih daran, ihn
als tobt" zu betrachten. Der Grund dieſes Schweigens aber Tag
In einer teuffiſchen Berechnung Tavannes', die ihres Zweckes nicht
verfehlte.
. Ms -ihm Viele und fer Mind entgangen maren und durch
heimliche Nachforſchung die Gewißheit ihm ‚geworben mar, daß Viole
90 —
über La Rochelle nach England entwichen, das Kinb aber anderswo
geborgen fe, wußte er bie Kunde außzufprengen, Gui de Biole ſei
‚in feine Hände gefallen utb werbe nun im einem Kloſter erzogen,
um als Mönch darin zu bleiben, während Viole's Briefe nie in
Rabaud's Hände kamen. —
Du Pleffis:Drornsi bot Wled auf, über das Kind unb feinen
Aufenthalt Nachrichten einzuziehen, allein es war vergebens, und fo
kam es, daß Tavannes' VBorgeben Blauben fand, und um fo mehr,
je freudiger Tavannes es überall verfünbete.
Diefe Nachricht fand auch ihren Weg über. sn Kanal, zu
einem Obre, das es nicht hätte hören follen. —
Biole "war in England glüdlig gelandet, aber er wollte nicht
feinen Rang geltend machen, nicht in ben Regionen leben, Die ihm
zugänglich gewefen wären. Er zog auf ein Dorf in der Nähe von
London und hüllte fi dort in ein Geheimniß, welches fein Auge
durchdrang. Er lebte feiner Wiſſenſchaft, ber Aſtrologie, weil er,
befangen von den Träumen, bie ihre Ausgeburt waren, bie Schid-
fale feines geliebten Kindes, die Schidfale feiner Glaubensgenoſſen
in Frankreich in ben Sternen Iefen zu Finnen glaubte. Se mehr
fein ifolirtes Leben ihn dem menfchlichen Umgang entfrembete, deſto
fefter wurde er in biefem Glauben, deſto in.fich zurüdgezogener
und finfterer wurbe fein Wein. Wohl hatte er mit Rabaub
abgeredet, daß er ihm Nachricht gäbe, aber biefer hatte Kunde von
Tavannes' Berfolgungen und Nachſtellungen „erhalten durch einen
andern Diener Viole's, einen von benen, bie Mornai bei fi
behalten." Diefer, Namens Salers, ſchloß ſich nun au Rabaub an
und Beide wibmeten fich ber Erziehung Gui's, aber fie wagten nicht,
Nachrichten nach La Rochelle zu bringen, von bem fie fo weit eutfermt
wären, weil ber Gedanke fie quälte, es könne ber wilde Tavannecß
fie auffangen. So kam feine Kunde zu Viole und ber Gram nagte
an feinem Herzen. Er fchrieb nad La Rochelle an treue Freunde,
und ſo wurbe ihm bie entſetzliche Kunde, bie Tavannes hatte
verbreiten lafſen.
m
— 414 —
Der Schmerz des Vaterherzens war namenlos. Sie führte
Biole an den Ranb der Berzweiflung. und des Grabes zugleich.
Dennoch flegte feine ſtarke Natur über bie Gewalt ber Krankheit,
die Macht feines Geiſtes über bie Verzweiflung. Sen Glaube und
feine Wiffenfchaft ließen ihn wieber Hoffnung fchöpfen.
Während biefer Zeit fehte Tavannes feine Nachforſchungen
nnermübet fort und ſelbſt die beiben Getreuen, in deren Händen
Viole's Kleinod ſich befand, bekamen Nachricht davon mb verbrei⸗
teten mit Abſicht die Kunde, das Kind ſei tobt. Auch dieſe Rach⸗
richt vernahm Du Pleffig-Mornai und fo gelangte fie an Viole.
Nun aber legte fich die finfiere Nacht des Schmerzes auf Viole's
Seele, und in ber Einfamfeit vertranerte er feine Tage, hoffend anf
jene Erlöfung ans ben Banden be Leibed. Seine Theuern waren
jenſeits, mit dem Leben bieffelt# hatte er feine Rechnung abgefchloffen.
Die beiden Getreuen, Rabaub von Salers, bie engverbunbene
Freunde waren, lebten inbeffen in ſtiller Zurlidigezogenbeit. Sie
batten ‚nur Ein Ziel ihrer Beſtrebungen — des Kindes Wohl, das
überall für Rabaud's Sohn gaft. Gie fuchten ihm wor Allen jene -
heilige, unerfchütterliche Liebe für ihren und feines Vaters heiligen
Glauben einzuflößen, der ihre Herzen erfüllte; bie Liebe für Alles,
was, gut war, in fein Gemüth zu Iegen, und Rabaud ließ es ſich
angelegen fein, nicht nur feine Leibesträfte auszubilden, ſondern
auch ächte, vitterliche Gefinnung ihm einzufügen.
Die Bilder früherer Erinnerung bämmerten bald und gingen
almälig unter. Er wußte es nicht mehr Anders, als daß Rabaub
fein Bater und Salers ein Verwandter fei
Als er heranwuchs, wußte Rabaud einen proteftantiichen Geiſt⸗
lichen zu gewinnen, welcher bem Knaben Unterricht ertheilte, fo im
ben Glaubenslehren, als auch in dem Wiſſen, befien er bedurfte.
Se, als er zum Jünglinge beranreifte, entbüflten fie ihm bie
Geheimniſſe feinee Familie, die Gefchide jeined Vaters.
—
Friſch und fröhlich war Gui harangewachſen, und wurde
fraͤftig und ehel und ſchön am Leib und Seele. Bein größtes
Vergnügen war bie Jqgd. Tagelang Fonnie er unermüdet in den
Paldern. utziherſtreichen und, reich mit Beute beladen, kehrte er
am Abend bein, Stets war einer der Txeuen ſein Gefährte. Sn
wucha er kräftig heran. Jahre kamen und flogen dahin in dieſem
freien Lehen, und während im übrigen Mankreich Verfolgungen
gagen bie Proteſtauten wütheten, ruhte ſtiller Friede auf dieſer
tiuſamen Gegend. So war Gui zu einem kräftigen Jünglinge
hexaugexeift, als Franz IL -plöglic fach und Carl IX. als Knabe
giyen Thron beflieg, ber eines ganzen Mannes bedurfte, amd Die
Zügel der Regiexung in bie Hand Katharina's von Medicis fielem,
baren hexzſoſe ſchlaue Potitik, zwiſchen ben. Chatillons und Guiſen
ſchwankeud, beide henutzte, um ihre hölliſchen Pläne zur Reife zu bringen.
» Genbe, dem das Henterbeil an einem Saar über dem Haupte
geſchwebt, wurde jet befvelt, und Katharina ſah fih am Kiel Ihrer
MWünſche — fie wurbe Regentin im vollen Sinne des Worießs
Einer ter erjim Schritte ihrer Regierung war ein Edict, das den
Brotefionten bie gotteäbsenftlihen Berfammdungen, unterfagte. Des
een Kauplerd U’Hepital milde Rathſchlage wurden nicht "gehört
und mit Strenge das Edict durchgeſetzt. Exft dann hörte man in,
ala in Langnedoc ernftliche Unruhen ausbrachen. "Der Hof ſah
wohl ein, ware ch führen könnte, wenn er mit Fanalismus fehte
Abfichten verfolgte, und P’Hopital’3 Vorſchläge zu einem Religions⸗
geſprache, zur Ausgleichung ver Mißvechkäiniffe in kirchlichen Ungen,
ſanden Bchör. Diele waren dagegen, fürchtend die ſtegende Gewaätt
des Proteſtantiẽmus; allein ber Catdinak won Lothringen‘, diefer
le Mann, ſah eine Gelegenheit, feine Gelehrſamkeit, ſeine Beredi⸗
ſamkeit geltend zu maden, "und ſo fand es flatt. "Aller Autze
waren auf die Abtei von Poiſſy gerichtet; allein diefer, wie fo viele
iliche Berfuche, mißlang.
" — # —
Indefen ſchienen günftige Sterne dem Proteſtantiamus zea
leuchten. Katharina von Medicis neigte ſichthar auf ſeine Seite 7
fie ließ ihn in ihren Gemäcern predigen; ſie ſchloß ſich enger m
Condé, an Koligni an, amd täuſchte Alle — denn offenhar habe
bag Beſtreben, ſich Condéè und Coligni zu gewinnen, um dem
ſogenannten Triumvirat Franz pon Guiſe's, des Connelables —XR
des Marſchalls von Sgint-André ein Gegengewicht entgegenzuſetzen,
mehr Antheil au dieſem Meinurngswechſel, als bie Ueberzengung
dieſer, ihren Gelüſteu nah Macht Alles natererdnenden Fürſſin.
Neue Hoffnungen ſchöpften die Proteſtanten, und bis im bie
Tholer der Dauphinéͤ drang bie frohe Botſchaft, die Rakaub bau
einer Reife nach Angers mitbrachte.
Neue Hoffnungsſtrahlen figen in Gui's Sohnesherz. Lebt.
noch, der theurt Vater, ſprach zu ſich der Jüngling, fa wird er
wiederlehren, jet, wo Alles ſich fo günſtig geſtaltet für die Ber
- jülgten, Auf feinen einſamen Streifereien buch bie Wälder irziumte
. ber. Süngling jo ſchön von per Zukunft, daß oft fein Heu in
Entzüden ſchwamm bei bem Gehaufen , den Vater wieder -gH
umarmen.
An einem ſchönen Herbſitage wanderte er, wieder Segleiie, yAn
feinem treuen Hunde, hinaus auf die Jagd. Der Mittag war
no nicht gekommen, und milb fiel ber Sonnonſtrahl herab ayf
bie Mälher und machte das Wandeln unter ihrem Lauhdach übheranud
anafuehm. Der Jüngling verſank wieder in feine Träumereiehn
und ſchritt, ohne die Richtung zu beachten, kräftig fürbaß. Mm
ftand gr plötzlich an bed Waldes Saym, ber eins bedeutende Höhe
begreugte. Bor ihm lag ein Thal mit üppigen Wieſen, inder
Entfernung gin Dorf — gerabe vor ihm in ſchwindeanhder ie
ei ſattliches, fehes Gchloß. Er wor fremd in dieſer Getend und
erfannte es, daß er ſich ſehr weit vtn drum Orta ber Zeinvnuh run
ifrnt. Bald jedoch eringerſe er. ſich, pon dem Echloh Arbezutt gehört
zu haben, und fein qudexes kounte das yor ihm liegende ſein. Ay
ar exmühft. Brennender Durſt quälte ihn. Er ſpälgs ringspmher
— 4 —
nach einer Duelle. Zu feiner Freude entbeckte fein ſcharfes Auge
bald am Fuße eines nicht weit von ihm liegenden Felſens bas Ziel
ſeiner Wünfche, einen klaren, fprubelnden Quell. Er wollte eben
fig dahin begeben, als fein Hund Laut gab umb, heftig am feinem
Miemen zerrend, emporfprang. Syn demfelben Angenbiid faßte eine
nervige Fauſt Gui's Arm. Gui fuhr herum, und vor ihm flanb
ein Fremder. Er war von majeſtätiſchem Weſen. Ein grünes
Jagdkleib trug er und eine reichverzierte Büchſe und ein ähnliches
Jagbmeffer. Der Mann war Iängft über bie Mittagshöhe des
Leben! hinaus — fchon an ber Schwelle des Alterd. Seine Züge
hatten etwas Ernſtes, Finſteres, das beim erſten Anblick abſtieß,
doch ein wohlwollender Zug ſchwebte um ben Mund ımd ber Blick
bes Auges war feft, Tlar und rubig.
„Bas ſucht Ihr hier?’ fragte ber Fremde fireng. „Gehört
Ihr ewwa zu ber — — bier herumftreifenden Zigeunerbande?“ —
/ Die erfte Ueberrafcung bei Gui wich ſchnell. Des Mannes
herriſches Weſen beleidigte fein Freiheitsgefühl, unb ein Stolz regte
fi in ihm, von dem er nie eine Ahnung gehabt. Er machte bed
Fremden Hand befcheiben, aber kräftig los, trat einen Schritt zurück
und maß ihn mit feften Bid.
„Ihr Habt eine Art zu fragen,‘ fagte er dann ſcharf, ‘als
ob Ihr Procutator bes Parlamente von Paris gewefen, bem man
bekanntlich eime ganz eigene Redeweiſe zuſchreibt — indeſſen biene
Eu zur Nachricht, daß ich Waſſer fuche, meinen Durft zu Löfchen,
und nit Zigeumern nichts gemein habe. Nun lebt wohl!‘
Er wandte ſich, nach ber Quelle zu geben; allein ber Frembe
vertrat ihm ben Weg und betrachtete ihn mit argwöhniſchen Blicken,
indem er fagte: „Wenn Euch, junger Menſch, meine Art zu fragen
auffiel, fo wiſſet, bag Ihr bier auf meinem Grunb und Boden
ſteht und ich ein Mecht babe zu fragen, wer Ihr ſeid.“ —
„Das Recht will ich Euch nicht beſtreiten,“ fügte Gui, „umb
barum durflig Euren Grund und Boben verlaſſen.“
Der Trotz, ber in biefen Worten lag, mißfiel bem Fremben
— 4 —
nit. Er ergriff Gui's Hand. „Nein,“ ſagte er, „wer Ihr auch
immerhin fein mögt, das ſollt Ihr nicht Robert d'Arbeque nach⸗
ſagen, daß er Euch ohne Erquidung von fich ließ.“ — Er Iamgte
ſchnell nach einer Feldflaſche und reichte fie Gui bar.
„Ich danke Euch!“ fagte Gui, und wies fie hinweg.
d'Arbeque maß ihn mit ſeltſamen Blicken. Ihr ſeid ſehr
trotzig“ — ſagte er gebehnt. „Ich babe Euch beleidigt und bas
thut mir leid; laßt uns nicht mit Groll ſcheiden!“
Dieſe Worte waren zu gutmüthig, als daß Gui ihnen zu
wmiderſtehen vermochte. Er reichte ihm feine Hand. „Ich trinke
wit Euch, Herr!” fprad er dann, nahm bie Flaſche und fagte,
indem er fie zum Munde führte: „Auf Euer Wohl!“
Die ungewöhnlide Art und Bewegung ſchien b’Arbeque zu
gefallen. Er verfuchte Gui zu entlöden, was ihn hierher geführt.
Diefer fagte ihm freimüthig, daß er ſich verirrt babe; er nannte
ihm den Ort, wo er wohne, feinen Namen Gui Rabaud. d’Arbeque
glaubte ihm nicht, fo gerade und ehrlich auch Gui ſprach. b’Arbeque
vermutbete entweber in ihm einen Räuber oder, was bei ihm
überwog, einen Jüngling von -Stande. Dagegen ſprach aber bie
ärmliche Kfeibung, die größtentheild aus Hirſchleder beflanb, ber
. Stoff, aus bem damals die meiften Sanbleute ber Daupbins ihre
Kleider bereiteten. Gui's Sitten, fein Anftand, ſelbſt das ſtolze
Selbſtbewußtſein ber Freiheit, das fi im feinem ganzen Weſen,
feiner Rede und Haltung. ausprägte, widerſprachen der eigenen
Ausſage des Jünglings „wieder zu‘ ſehr.
b’Arbeque lud ihn ein, mit ibm auf das Sqhloß zu gehen,
dba cr doch jetzt ben Rückweg nach ber Heimath nicht mehr wohl
amtreten und biefe vor ber Nacht reicht mehr erreichen Arme, und
die Nacht dort zu weilen. Das Nactlager ſchlug Gui beftimmt
ms, indefien Tonnte er, ohne unhöflich zu fein, des Barons Gin-
Yadyng nicht ablehnen. Darum ging er mit ibm. Auf bem Wege
zum Schloffe Ienkte fih das Geſpräch auf bie Jagd, b’Arbequs’s
Siehlingäbefchäftigung. Hier ‚trafen Beide in einem Punkte zuſam
—
Wei Mit Begeifterung ſprach Gui von’ dem Waldwerk iind von
bene Wilde, das In ben Forſten jenſeiks Pont de Royan ſich! fiide,
dArkbeque hörte mit: inimer ſteigenbem Wohlgefallen die Reben und
Erzählungen des Jünglings. Bet feiner einſamen Lebensweife wutbe
ihm ſelten bee Genuß, mit einem küchtigen Waidimanne zu jagen und
von der Jagd zu reden. Darum fanb er immer größeres Behagen
ne dent: Junglinge, ſo daß Kalb der Wunſch in ihm aufftieg, ihn
öfter um fich zu haben; und in ber Aufwallung ber Fteude fragte
er Gut, ob’ er. nicht in feine Dienfte treten wolle?
Gun's Stirne faltete fih. ine glühende Röthe überzog fein
Geficht. Ein ſtolzes Wort ſchwebte auf-ber Zunge, boch hielt er
ed gewaltfam zurück und fagte, mühſam fich ſelbſt bezwingend:
„Verzecht, wenn ich, es vorziehe, mein eigener, freier Herr zu
bleiben — allein,” ſetzte er begütigend hinzu, „wollt Ihr es
geſtutten, ſo ſoll es nicht das tegte Mal fein, daß ich Schloß
d'derbeque ſehe.“
Der Baron hätte geen das ſchnell entſchlüpfte, unbedächte
Wort zurückgenommen, da in dem Jüngling etwas war, was ihn
zwang, ihn anders zu behandeln, als es feine äußere Erſcheinung
mit ſich zu bringen ſchien, und ihn nöthigte, ſich faſt jenes Wortes
zu fchämen. Freudig ergriff er daher des Jünglings Aeußerung,
und bat ihn, oft mit ihm die Vergnügungen der Jagd zur theilen.
Und nun ſchilderte er auf ächte Waidmannsart in den größten
Hyperbeln den Reichthum feiner Forſten an Wild aller Art.. „Wenn
mir,” feßte er zulegt Hinzu, „die verdammte Zigeunerhorbe nur
nicht Schaben thut. Dieſes heimathlofe Volt der Wüſte pflegt fich
nur zu germ als die Herren ber Wälder zu ‚betrachten, und, bietet
fi zum Raub und Betrug nicht Gelegenheit, das Wild nieber-
zumachen, ohne Rüdficht, ob fie die Jagd auf Jahre hinaus
verderben.‘
„Alſo war wirklich folch eine Hotde in der Nähe, zu ber Ihr
nich rechnen zu müffen glaubtet?“ — fragte‘ Gut neugierig, da
hiefeg: Wolf mit feiner phantaſttſchen Lebensweiſe ihn gar ſehr
>
— NM — ,
imiereifirte, ohne daß: er noch unit ihm ichend nz
Gelegenheit gefunden.
Gesader in jemer: Zeit innerer, mannigfaqher. Spaltung und
Zerrüttung hatten fih aus Spanien über die Pyrenäen rüber
‚zahlreiche Zigeunerhorben nach Frankreich gezogen. Man hate nicht
Zeit, auf fie zur achten, und fie benußtere dieſe günſtigen Vorhält⸗
niſſe zu ihren Zwecken, wurden kühner und kecker mit jedem FJahre.
Säuberte auch einmal ber konigliche Statthalter feine Provinz von
dem raubenden und betrügenden Gefindel, ſo zogen fie fh in dam,
andere. Die damals noch geweitigen Wälder bieten ihnen: zu
Schlupfwinkeln, und die Fälle waren nicht ſelten, daß ſie eisfemme
Höfe, ſelbſt Ritterſitze und Burgen überfielen, um ſie ausgaplün-
bern. Dann verſchwanden fie ſpurlos, um in einer andern Gegend
wieder plötzlich heroorzutreten. Das Volk fürchtete fie und: alaubie,
doch ihren trügerifchen Wahrſagungen unbedingt.
„Allerdings,“ verfebte Seher darauf. „Schon feat acht big
zahn Tagen treibt ſich eine bebeutende Horde vieſes gottloſen
Heidenvolkes hier herum. Sie auszukundſchaften war größtentheils
meine Abſicht; daher heute mein Irrthum mit Cuch. Die Horde
zählt leicht an hundert bis hundertfünfzig Köpfe, und mie ſchien'b/
als hätten ro richt übel Luſt, mir einen Beſuch auf Aweque
abzuſiatten.“
„Ihr ſcheut, “. ſprach Gui, ibn forſchend auſehend.
. ‚Micht bad, mein junger Freund,” verſetzte Jener. „Es wäre:
nicht das erſte Mal, daß fie eine Burg zu überfallen amd auszue
plündern Miene gemacht. Und ich habe darum meine Leute wo
bewaffnet.“
Unter dieſen Reden kamen fie am Thore des Schhoffes. on,
das auf des Herrn Rif und feiner Hunde Gebell alſobald geöffnet
wurde, indem man bie Bugbräde herabließ, Sie traten em:
Wirklich ſah Bien Alles kriegeriſch aus, und- in Gui wollte. ſich
eine ſatyriſche Bemerkung eben Luft machen, als aus dem Portale
desjenigen Schloßtheils, der die Wohnung des Herrn umfahte, eine
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weibliche Genlt heraus und auf b'Arbeque zuflog, Angſtlich nad
ber Zigeunerhorde fragend.
d'Arbeque lachte. „Sei nur ruhig, ſprach er, „ſie find weit
weg, Gabriele!”
„Jetzt ſah Gabriele den Süngling, ber mit glühenber Rötke
auf ben Wangen baftand, im Anſchauen bet lieblichen Erſcheinung
vertieft.
Das Mabchen eiſchrad und ſah ben Vater forſchend an.
Als dieſer lächelte, fiel ihr Blick wieder auf Gui — aber nicht
ſcheu und mit Widerwillen, ſondern vielmehr mit ſichtlichem
Wohlgefallen.
„Wie ſoll ich Euch doch eigentlich meiner Toqter vorſtellen d
fragte ber Vater ben Juͤngling.
„Als Gui Nabaud, wenn es uch beliebt,’ eriwieberte mit
einer anftändigen Berbeugung ber Züngling.
„Ich bringe Dir in biefem jungen Dann einen Sf; ic
lernte ihn auf ber Jagd kennen umd wilnfchte, daß Du ihn gaſtlich
behandelteſt.“
Gabriele erröthete leicht, neigte ſich und liſpelte mit fühem '
Wohllaute: „Seid mir herzlich willkommen!“
Der Alte führte nun den Jüngling in den Saal, den rings
bie Bilder, der Ahnen bed Haufe be Viole zierten. Er führte ben
Jüngling zu jedem ‚Einzelnen, erzählte dann, welche Ehrenſtellen
fie an ben Höfen der Könige Frankreichs, feit Pipin und Carl bem
Großen befleidet hatten; wie fie fi im Krieg ausgezeichnet, welche
von ihnen den Kreuzzug unter König Ludwig VII. und ben früheren
unter Gottfried von Bouillon, Raimund von Touloufe, Robert
von Ylanbern und ben übrigen Helden jenes abenteuerlichen Unter
nehmens mitmachten, und all’ das Heer ber Thaten, bie fie geihan
und nicht gethan, mit breiter Ruhmredigkeit und großem Stolge.
Nie aber nannte er ben Namen „be Viole,“ weil er ibn an den
verbaßten Parlamentsrath, Gui's unglücklichen Vater, erinnert
haben würde; und fo blieb Gi bad nahe verwanbtfchaftlide Ber:
=
[4
— 4 —
bältuife, in dam er zu Arbeque ſtand, umkefonnt, ba zu
mal feine Freunde Rabaud und Sala we heilen. Grwähuung: ge
than. Er was ein aufmerkſamer Buhärer, und bad machte ihm
dem Baron noch weriber.
Einige Zeit darauß lud die liebliche Gabriele zuu Wittag
mahle, das fie in einem anderen Gemache unit faſt verſchwenderiſcher
Freigebigkeit bereitet hatte. Gui wußte nicht, wie ihm geſchah. Es
war das erſte Mal in ſeinem Leben, daß er fich in der Nähe eines
ſo lieblichen Geſchöpfes befand. Er vermochte kein Auge von ihr
zu wenden, und traf ihr Blick den ſeinen, dann ſchlug er ihn doch
nieder. Sprach fie, fo lauſchte er und hielt ben Athem an. Er
wußte zuletzt kaum mehr, was er that, fe hatte ihn Gabrielenz
Liebliches Wefen bezaubert. Ste war aber auch ganz geeignet, ſolchen
Eindruck auf ein reines Sünglingsher; zu machen.
Mit allen Reizen ihres Geſchlechtes Hatte fie bie Natur auf-
gefattet, und -biefe fchöne Hülle barg ein Herz, rein und klar,
wie ber Simmel, treu und fromm, fanft und bemüthig, und bad
war ihr Charakter beinahe männlich fehl. Ihr Weſen war unbe
fangen und natürlich; ohne alle Zurüdhaltung — fe mar ein
Kind der Natur, fern von bem frivolen eben, das jene Zeit
auazeichnete, und gleich fern von jenem formellen, fleifen Zwang
erzogen, ber ſchon damals bie höhere Geſellſchaft zu beengen begann.
Daß ihr Bild fein Herz erfüllte, daß eine tiefe innige Liebe zu ihr
in ihm erwachte, war eine nothwendige Folge ihres beiberfeitigen
Zufammentreffens, und beinahe ähnlich war ea bei Gabrielen. Ste
ſah in Gui den erſten Yüngling ihres Alters, ſah in ihm ben voll⸗
erbeten, ſchͤnen Jüngling — und auch Abe Gerz liebte. Allein
frenid und unbekannt war Beiden dies Gefühl, usb darum ergriff
es die unbewachten Herzen um ſo gewaltiger.
Nur wit innerem Widerſtreben erhab ſich endlich, als ſchon
bie Sonne zu ſinken begmm, Gui, um an bie Rüdfehr zu denlen.
Recht aufrichtig und herzlich bat ihn d'Arberue, zu bleiben,. Bein
Herz wollte fo gerne; aber follte er die tzeuen amade Iniugfigen
Horn’s Erzählungen. X. 4
— 50 —
durch fein Außenbleiben? — Diefer Grund beſtimmte ſchnell ſeinen
Entſchluß. Mit dem Verſprechen, bald wieder zu kommen, und
mit Gabrielens Bild in ber Seele, riß ſich endlich ber Jüngling
gewaltſam aus den ihn zauberiſch umſchlingenden Feſſeln und eilte
flüchtig, wie eine Gemſe, den Felſenweg hinab, und in den letzten
Strahlen der Sonne ſah Gabriele ihn am Saume des Waldes
verſchwinden.
b.
In einem Zuſtande, der dem Traum am nächſten verwandt,
trat der Jüngling in die Waldesnacht, und in demſelben Zuſtande
fchritt er, ohne zu bemerken, wohin er ging, fürbaß. Cine tiefe
Finſterniß umgab ihn. Hin und wieber fiel mattes Sternenlicht
auf ihn herab, wo der Bäume Lanbdach es zuließ; allein es war
zu ſchwach, ihn erkennen zu laſſen, wo er ging und ſich befand.
Enger ſchloß fich der große Hund an feinen Herrn an und ging
vorſichtig nur wenige Schritte vor ihm her. Plötzlich ſtand er und
knurrte, und zu gleicher Zeit bemerkte Gui in ber Entfernung ein
großes Licht, um welches eine rafche Bewegung ftatt zu finden
ſchien, ohne daß er jedoch zu unterfcheiden vermocht hätte, was es
fet, da die Entfernung noch zu bebeutend war. Er gebot dem
wohl abgerichteten Hunde Schweigen und ſchritt vorfichtig dem
Lichte zu. Als er näher Fam, ftellte fi ihm ein Schaufpiel ber
allerfeltfamften Art bar. Ein großer, freier Raum Tag vor ihm,
in beffen Mitte ein großes Zeuer flammte. Rings um ben Platz
lagen auf Matten, oder ſaßen vielmehr mit unterfchlagenen Beinen
eine bedeutende Anzahl ſchwarzbrauner, wilbausfehender, phantaſtiſch
geffeibeter Männer umd Frauen reiferen Alters und Kinder. Um
dad Teuer tanzte eine gleichfalls nicht Meine Anzahl jüngerer
Männer und Mädchen in wilden, mitunter äußerft üppigen Stel:
‚Jungen und @ebehrben. Sie Batten daB Anſehen von Bacchanten —.
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— Bi —
ihr Haar flog los im Wind, und ihre durch bad Feuer gerötheten
Gefichter fahen wild unb feibenjchaftlih aus. Dreie flanben ba
und regelten ben Tanz durch eine ebenfo einfäche als bisher:
monifhe Muſik; der Eine bearbeitete den Dudelſack, indeß ber
Andere ein Schellentambourin fehlug und ber Dritte auf einer
gellenden Pidelflöte eine wilde Weiſe blies. Alle Tänzer fangen —
bisweilen ernſt und gemefjen, dann wilder und lauter und in
ſchnellerem Zeitmaß, und jedesmal richtete fi der Tanz nach ihrem
&efange. Ä
DaB ift die Zigeunerhorbel dachte Gui und hielt dem Hunde,
der Laute geben wollte, ben Mund zu. Cinige Hunde aber, bie
bei der Horde waren, witterten alfobald den fremden Genofien und
ſchlugen an, und in bemjelben Augenblide riß fih Gui's Hund
los und fiel jene mit großer Gewalt an.
Die Tänzer floben auseinander und bie ganze Bande erhob
fi wie mit einem Zauberfchlag, unb ehe noch Gui überlegt hatte,
was zu tbun, faßten ihn fchon vier Fräftige Arme und riffen ihn
. rüdlings zu Boden, und blißfchnell war er gefnebelt und am euer
unfanft auf die Erde geworfen. Neugierig fanden die Mädchen
und Frauen um ihn, in einer Gui ganz unverfländlichen Sprache
fi ihre -Gebanfen über ihn mittbeilend. Eine Weile befiberixte
die Bande mit einem alten Manne, deſſen gelbbraunes Geficht den
Stempel der Verfchlagenbeit, Lift und Büberei trug, und ber ihr
Hauptmann zu fein fohien. Die Mädchen, denen ber ſchöne Jüng⸗
Ting gefiel, Tächelten ihn an und legten ihr Fürwort für ihn ein —
jeboch vergeblih. Während noch die ziemlich ſtürmiſche Berathung
dauerte, Teuchte eine Alte, deren Haupt eine thurmartige Mütze
feltfam zierte, auf ihren Stab geftübt, daher, ergriff einen euer:
brand und beleuchtete ihn. Während ihr rothes, triefendes Auge
ihn belugte, murmelte fie unverfländliche Worte in den Bart;
dann wendete fie fich zu ben Männern, bie noch immer im Kreiſe
berathend ftanden, und rief mit einer Frächzenden, wiberlichen
Stimme, Gut verſtändlich:
4*®
N — 32 —
„NLaßt ihn los, die Alicautter beſiehlt ch. Er iſt Keiner won
der Burg Arbeque, Keiner von der feindlichen Brut, bie ihr ver⸗
nichten wollt,”
Oleſes Wert wirkte —* Schell waren ai Basche
geloſt, and er Rand frei unter ‚ihnen.
„Ber gibt Cuch das Recht; mich zu feſſeln?“ rief er wilb aus.
Die Altmutter ſah ihn freundlid am, und die Augen der
Mädchen ruhten wohlgefällig muf der ſchönen Geſtalt, bie jet in
ber drohenden, gebieterifchen Stellung um noch Vieles fchöner wer.
„Gebt mir meine Büchſe und meinen Hund und Jaßt midy
meines Weges ziehen!“ donnerte er jebt ihnen gu.
„Still, fie, mein Söhnchen!“ krächzte die Alte, „Du bift
jetzt nicht auf Satnt-Flour, was ohnedem für Dich verloren ifl.
Vergiß nicht, daß Du hier nit gebieten, ſondern nur bitten
und gehorchen kannſt.“
Gui erbleichte vor Schreden, das Geheimniß feiner Herkunft
aus dieſem Munde zu Hören:
„Weib,“ ſprach er nach gewonnener, ruhiger Beſtunung, „woher
kennſt Du mich?“
„Ei, ei,“ ſagte fie m demſelben Ton und auf dieſelbe wider⸗
liche Art, „Hüte ich Dich nicht kennen? Habe ich doch in ben
Bergen von Auvergne zuerſt das Sonnenlicht gefehen und feitbem
‚ 208 Rand Tieb gehabt und oft bort herum mid aufgehalten, wo
Deiner Väter Stammfig iſt. Sollte ih Dich nicht keunen, ber
Dn Deines Vaters Abbild HR? Dich nicht. fennen, ba ich Dich
als Knabe fliehen fah mit Deinem Rabtud in die Wälder und won
da nah Demphine? Hat doch Dein Vater mir noch Died Goldſtück
geſchenkt, als er floh, meinend, ich (hier wurde fie wild und zermig,
und ihr Antliß glich einem Yurie), ich, ‚bie fo oft auf Saint⸗Flaur
ſich fättigte, To manche Babe von Deiner Mutter empfing, ich Türme
ihn verratben an Heinrichs BMatyarıb9 — Nein, das Zonnie ich
nicht, und es hat mir wehe gethan und ich babe das Sundengeld
aufgehoben, bis ich ihn wiederfehe, um es Ihm vor die Fuhe zu
— U —
werfen. Doch“ — ſetzte fie beruhigt hinzu, nach einer Pauſe —
„xech vergebe 28 ihm, deun er war in Verzweiflung, Dich zurück
zu laſſen.“
Gui traute den Ohren kaum. — Aber er faßte die dürre
Hxnochenhand ber Alten und ſagte: „IN es, wie Du jagſt, und wie
ich nicht zweifeln kann nach Deinen Worten, fo nimm jet meinen
Dant, Abelma. Leider bin ih Arm und kann ihn Dir nicht thätig
beiveifen.”
Ei, daß ihr Leute doch Alles mit Golb abthun zu können
meint!” zürnte die Alte. Hat Dich denn bad Elend nicht Müger
gemacht? Hafl Du bein no nicht erfahren, ba auch arme’ —
Bier wurbe ihre Stimme enfl und feierlich — „heimathloje, ver⸗
achtete, verftoßene, mißhandelte Menfchen Gutes thun können ohne
Lohn? 4
Out drückte ihre Hand — und bie frühere Freurdlichleit kehrte
zurück auf ihre tief markirten Züge.
„Komm ,” fagte fie, „ſetze Dich zu mir und id wil Dir en
zählen von ben Zeiten, bie Du nit kennſt. Weg dat‘ rief fie —
„ich nehme ihn unter meinen Schub — er if eines braven Mannes
verftoßenes Kind.” — Alle wichen auf bie Seite, und bie Nilte
führte Gui zu ihrem Si am Stamm einer alten Buche. „Gebt
ihm feine Büchſe wieder,“ rief fie, „er iſt feed, ih will ed" —
Einer reichte ihm fein Gewehr.
Der Hauptmann ber Horbe aber trat jetzt zu ber Alten und
redete wieder heftig mit ihr in unverflänblider Sprache. Sie
erwiederte kurz, aber beſtimmt, einige Worte, und er zog ſich
mürriſch ind das Haupt ntit dem rothen Kaͤppchen fchlittelnd zurück.
„Die Narren meinen,“ ſprach fie nun halblaut zu Gui, der
durch ſeine Dankbarkeit und bie Erinnerung an bie von feinen
Eltern empfangenen Wohlthaten ihr ganzes Herz genommen hatte,
„de Narren meinen, Du bBmiteſt die auf Arbeque marnen, ba fie
morgen bie Burg zu liberfallen benfen, ba der alte Robert d'Arbeque
ms geſchmäht, mißhandelt Kat, und fie fü eine bintige Mache
- 4b —
nehmen wollen; aber fie wifjen nichts, als was geſtern geſchah.
Sie wiſſen nichts von dem blutigen Haſſe zwiſchen Deinem Vater
und bem b’Arbeque, ber ihn auch bitter gefränft bat, obwohl er
ihm fo nabe verwandt.”
„Verwandt 9‘ fragte Gui, den bie Mittheilungen ber rebfeligen
Alten in eine fieberhafte Spannung verfegten.
Die Alte fchüttelte den Kopf ungläubig „Weißt Du benn
nicht, und bift doch ein ſchmucker Junge, daß bie d'Arbeque's Deine
Blutöverwandten, Deine Vettern find? Iſt es Dir denn unbefannt,
daß fie de Viole heißen, wie Du?”
But fah fie verwundert an. Das Rätbfel Tonnte er nicht
löſen. Nie hatte er bavon durch Salers ober Rabaud eine Syke
vernommen. Gin Gefühl flieg in ihm auf, dad er nicht nennen
Tonnte, und ber Gebanfe tagte in ihm, Gabrielend Netter aus biefer
Gefahr zu werben. Schnell ſtand er Mar vor feiner Seele, und
eben fo fchnell war fein Plan entworfen, durch Schmeichelei bie
alte zu Firren.
„Was Du mir fagft, Mutter,” ſprach er nach kurzem Bes
finnen, „tft mir fremd. Nie bat Salers etwas gefprochen von
biefem Verhältniß, nie Rabaud. Nie wurde der Name b’Arbeque
genannt.”
„Adelma Tennet ber Dienfchen Herzen, wie bie Tage ber Zu⸗
kunft,“ ſprach wieber bie Alte. „Weil fie wußten, wie d'Arbeque
Deinen armen Bater gekränkt, barum ſchwiegen fie, um nicht auch
Dir ben Haß mitzutbeilen. Aber, Knabe,” fuhr fle im höher
ſteigendem Affecte fort, „vergiß nicht, was ich Dir foge, könnte
b’Arbeque Deinen Stamm mit einem VDolchſtoße niedermaden, er
würde nit eine Deinute zaubern. Doch” — fagte fie, „es gibt
vielleicht eine Zeit, mo ich Dir mehr fagen ann, und Du börf
gewiß Lieber von Deiner Mutter. — Gut, fie war ein Engel. Rur
ihr — — oönnte ih Deinen Bater, ben ich — — lache nicht bes
Alters, Knabe, dem freilich bie Gefühle ber Jugend — nur einer
fernen Heimath ahnlich find, zu ber bad Auge mit einem leiſen
- Bu —
Heimweh Hinblidt, — ben ich liebte, weil er eine Zierbe feines Wer
ſchlechtes war. Damals, Gui, war aber auch Abelma nicht bie
alte Here, wie man fie jebt nennt, damals war fie ein blühendes,
ſchönes Mädchen, um das mancher ſchmucke Jüngling warb — nur
Dein Bater überfah fie. Ich haßte ihn damals, denn verſchmähte
Liebe ift bitterer ala ber Tod; und als er Deine Mutter heimführte,
ba glich mein Zuftand ber Raferei, und ich würde fie ermorbet
haben; — aber ba fah ich fie — fie, bie fchön war wie ein Engel:
bild, und gut wie ein Engel, und fie nahm mid, die Leidende, auf
das Schloß, und pflegte meiner und haßte mich nicht, obgleich fie
ben Grund meiner Krankheit errieth — Gui, ba lernte ich ihr
Herz anbeten; und als die Kunde Fam, fie fei zu den Vätern ge-
gangen, dba weinte Abelma um fie, wie Du jegt — mein Sohn —
und mein Herz war feitden ber Altar, auf bem ihrem Andenken
oft Opfer ber Liebe gebracht wurden. Es war geheilt von ber
früheren Thorheit, dieſes Herz -
„Darum aber danke Gott, daß ich Dich heute fand und Dich
vom unvermeidlichen Tode rettete — und daß ich es konnte, Gui —
das iſt meinem alten Herzen viel, viel werth, denn ich habe ſo eine
Schuld der Dankbarkeit abgetragen.“
Gui war innigſt gerührt durch die Sprache der Alten. Doch
konnte er nicht begreifen, wie bei ſolchen wirklich edeln Empfin⸗
dungen wieder der glühende Haß, ob einer Beleidigung, wohnen
könnte. Er ſuchte das Geſpräch wieder auf die Unternehmung auf.
Schloß Arbeque zu lenken — jogleih aber waren wieber alle feind⸗
feligen Leidenfchaften erregt, und er war frob, als bie Alte fragte,
wie er doch hierher gelommen ?
Cr konnte ihr leicht ein Mährlein erzählen und fie glaubte
gern an feine Verirrung. Mit gutem Vorbedacht erwähnte er nun
ber Angft und Beforgniß, die Salers und Rabaud um ihn haben
würben.
„Ja, ba haft. Du Recht," ſagte die Alte. „Ich kenne fie, es
find gute Menfchen, bie Deinen Vater Kiebten und auch Dich gleicher:
michen lieben. Davum hut Die wohl, ſogleich mit Tagesanbruch
heim zu eilen. Jetzt möchte es zu Ppilt ſein; denn fteh nur, wie
das Bet ſchlift. Ya, ja, das M der Fluich be Alters, daß der
ſuͤhe Schlummer fein Auge ſlieht — boch es ſſendet Erſatz in ber
laugen Vergangenheit, in die es zurückblicken Kann, wie in ein ver⸗
lorenos Paradies.”
Obwohl es fpät iſt,“ nahm Gni das Wort, „ſo mößte ich
both gerne noch in dieſer Nacht heim, zur Beruhigung meiner
Freunde.”
„u haſt Recht,‘ fügte die Alte, „die Angft it peinlich.
Weißt Du benn ben Weg von bier au? Pont de Noyan liegt
rechts, Arbeque links, und mitten durch in gerader Richtung, etwa
zwei Stunden weit, Tiegt das Dörfchen.“
Ich Finde mich leicht zurecht,” ſprach freudig Gui, der fo
unerwartet die Richtung vernahm, bie er nehmen mußte, um
Arbeque zu finden, „und im Falle ich irven ſollte, blide ich zu ben
Sternen und finde mid.”
„Ja, bie trägen nicht,” fagte ernſt und mit einem tiefen
Seufzer die Alte.
Sie gebot jetzt been von ber Horbe, die noch wachten, fi
niederzulegen, und nahm Qui's Hand — fah hinein und fagte
dann dumpf — „Du gehft eine blutige Bahn — da ſtürmt's —
hu — wie wild — bob — fer ruhig — das iſt das OGlücks⸗
rad — — geh', geh” — bleibe fromm und treu — und zerfrete
fein Herz, dag Dich liebt — wie Dein Vater. — Leb’ wohl!"
Sie drängte ihn, fartzugehen. Er brüdte, ihre Hand und
fagte: „Habt Dank, Abelmal Ihr Habt mir Dinge gefagt, die ich
nicht wußte, Wohl wil ih Gurer Mahnung eingebent bleiben
und ſtets bie Pflicht über Alles ſtellen!“
„Wohl!“ ſprach fle, „folge der. Ich ſehe Dich wieder. Wie
— 0? das weiß ich nicht — doch vielleicht in den ernſteſten
—2
= 59 —
Situnden Deineb chend. Geh”, Abelma will Dir wohl — dern Du
EM Deines Baters Sohn umb Deiner Mutter Herz flug Aber Dir.
Lh’ wohl!“
7.
m filhem Schlummer lag Gabriele — fie träumte von dem
Junglinge, der fo tiefen Eindruck anf ihr Herz gemacht. Ruhiger,
als feit den letzten acht Tagen, ſchlief d'Arbeque, da er von der
tZigeunerhoͤrde heute in der Nähe um das Schloß nichts entdeckt
Hatte. Auch die Wehrmänner des Schloffes gerrofien ber Ruhe.
Es mochte Zwölfe vorüber geweſen fen, ala Gui die Alte verlieh.
Ehre Weile hielt er die Richtung nach feiner Heimath, um bie, bie
ihn etwa beobachten möchten, zu täufchen; dann aber wandte er ſich
ſchnell links, und hielt, fo guf er es vermochte, eine gerade Rich⸗
tung. Lange Seit wanderte er im ber Finfternig ber fühlen Herbſt⸗
naht. Er konnte ummöglich entdecken, wo er ſich befand. Als
aber nun bie Müdigkeit fich einftellte und er den Entfchluß gefaßt
bette, den Morgen zu erwarten, biinfte es ihm, als wüurde ber
Wald Lichter. Muthiger ſchritt er nun fürbaß und Hatte bald bie
Freude, bie dunkeln Umrifſe der Burg vor fih, und bed Wächter
Laterne auf bem höchſten ber Thürme zu fehen. Vorfichtig ſtieg er
bie felfige Anhbhe hinab. Gr fuchte lange, bis er den Weg fand,
ber zur Burg wieder am jenfeltigen Berge binanf führte. Nach
langem Suchen traf er ihn enblich. Er flieg nım, fo leiſe er Tone,
Kinn, doch vermochte er das Geräufch, welches durch bag Rollen
der loſen Steine verurfacht wurde, wicht zu vermeiden, und es
dänfte Ihn, als er ſchon nahe dem Thore war, einen gellenden
Ton, wie den einer Pfeife, zu vernehmen. Da fiel unten im
Abhange des Berges ein Schuß — und bie Kugel pfiff an ſeinem
Dhre vorüber und fuhr fchmetternd gegen das Thor. Jetzt pochte
Gut heftig. Der Schub weite die Wächter; es gab Lärm In
dem Schloß; «ber ein gmeiter Schuß fiel bald in größerer Nähe
r
— BR — -
und bie Kugel fuhr in Qui'tz rachten Gihenkel, baf ex mit einem
lauten Schrei des Schmerzend niederſank. Jetzt Samen Winblichter
auf die Mauern — es wurde lebendig im Hofe. Gui's Hunb
wimmerte, Gui rief mit matter Stimme — aber Niemand öffnete.
Wohl vernahmen fie ben Ton bed Schmerzens braußen deutlich,
und einige der Burgmänner waren ber Meinung, mar folle nach⸗
ſehen. Andere dagegen, vorfichtiger und beſonnener, wenbeten ein,
daß es unflug je, ba es leicht eine Lil der flarfen Horde fein
könne, bie Burg mit leichterer Mühe zu überfallen. Der Rath
ber Letzteren, bes ältern Theils der ſchwachen Beſatzung, fiegte, und
Qui lag berweile, von einem heftigen Blutverluſt ermattet, auf
einem Felsblock, auf ben er bingefunfen war. Ohnedem ſehr
ermübet, ſanken ibm bald bie Augen zu. Während in ber Burg
Alles zur Vertheidigung gerüftet ward und auch b’Arbeque fich
eingefunden — ſchlich Leife, Verrath ahnend, ein Zigeuner, der mit
einigen feiner Gefellen zur Beobachtung ber Burg fi im Gehölz
am Abhange des jenfeitigen Berges verborgen gehalten und jenen,
für Gui fo umbeilbringenden Schuß gethan, Ieife heran, bem
zu fuchen, ben fein Blei, wie er nah dem Sichverlieren des
Slagelautes ſchloß, getöbtet, indem er argwöhnte, e8 möchte jener
Züngling fein, den Adelma jo merkwürdig und auffallend in ihren
Schuß genommen — gegen den Willen ber Horde und bed Haupt:
manned. Gui's treuer Hund lag zu ben Haupten feine Herrn.
Das treue Thier vernahm ben anfchleichenden Zigeuner und ließ
ihn nahen, bis er nur wenige Schritte von Gui entfernt war —
ba fprang mit fürdhterlihem Gebel das ſtarke Thier mit einem
Sprung an be Zigeuners Hals. Paniſcher Schreden ergriff dieſen
ala er fih jo gefaßt fühlte und rücklings ftürzte ihn das Thier
nieber, und wühlte mit feinen Zähnen grinmig in ber Bruſt
beflelben. Bald ermannte ſich diefer wieder und kämpfte nun mit
dem Thier einen bartnädigen Kampf. Kaum drang ber Schall
biefes Streit unb bad Heulen des Hundes zu ben Ohren
VArbeque's, als er plöglih ‚ben Zuſammenhang ahnte. Schnell
| ling ſah.
— 9 —
lich er das Thor nieder und flärmte hinaus, Der plohliche Län.
zog den Hund einen Augenblid von feiner Beute ab, und mit
unglaublicher Gewanbiheit fprang ber: blutende Zigeuner auf und
mit mädtigen Sägen ben Berg Binab, im Didicht verſchwindend.
MWiüthend rannte das Thier ihm nach — doch bald Fehrte es blutend
und heulend zurüd und kroch zu ſeinem Herrn, den jetzt d'Arbeque
entdeckte.
Er ſchrie laut auf, als er den bleichen, blutenden Jüng⸗
„Ha, ich ahne es,“ rief er, „der Jüngling kannte die Gefahr
und wollte mich warnen. Armer, Du wurdeſt ein Opfer Deiner
Freundſchaft für mich,“ klagte er. |
Die Männer waren jebt zu Gui heran getreten. „Er ift
nicht tod, gnäbiger Herr,’ fprachen fie, „ber Blutverluſt hat ion
Bloß betäubt I‘
Died war eine frohe Botfchaft für H’Arbeque. Schnell befahl er,
ben Süngling in bie Burg zu fehaffen,, und Alles anzuwenden ihn
wieder in's Leben zuräd zu rufen. Einige Deänner ergriffen ihn und
trugen jihn vorfichtig hinweg. Langſam kroch ber treue Hund nad),
dem das Meffer des Zigeuners eine Wunbe beigebracht hatte. Im
Schloßhof angelangt, wurbe ſogleich das Thor wieder gefchloffen, bie
Zugbrüde aufgezogen und bie Wachen bezogen mit gemeffenen Be
fehlen des Yurgberrn ihre Poſten.
Gabriele, wähnend, der Kampf tobe ſchon heftig, fuhr, durch den
Arm und die Schüffe gewedt, aus ihren Träumen empor. Ihre Diener:
nen, Ängftlicher als das muthige Mädchen, fanden zitternd um bie ent⸗
fleidete Gebieterin und beteten leiſe. Gabriele fah fie an und erftaunte.
„Pfui doch,“ ſprach die Jungfrau, „ihr zittert, wo ihr handeln folltet.
Geht und ſucht Leinwand zu bereiten, wenn etwa ber Unſern einer
follte vermunbet werben.”
Sie trieb fie weg, kleidete fi ſchnell an, und eilte dann
binab in ben Burghof, wo fie eben ankam, ala fie ben bleichen Gui
hereintrugen. Gin Schrei augenblidlichen Entjepens entfuhr ihr, und
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fbleichent ſah fe ben bleichen Jüngling. Sie konnte keinen Zu⸗
ſtiirmenhang in diefen Ereigniſfen finben, und fragte nur, ob er
noch lebe. „Er Febt,” ſprach froh der Vater, „eile nur ımb hole
ſtarkende Eſſenzen, daß wir den Obnmächtigen erwecken.“
Deren aber bedurfte e8 nicht. Gut fchlug das Auge auf,
blickte um ſich, und als er mit deutlichem Bewußtſein inne wurbe,
wo er fich befand, reichte er d’Arbeque die Hand, bie biefer mit
Rührung brüdte.
mRebet nicht,‘ wehrte er; „hr feid zu matt f
Er trieb bie- Männer an, und bald war Gui im warmen
Gemache, wo allmälig wieder Leben in feine, von ber Falten Herbſt⸗
nacht faſt erſtarrten Gebeine kam. Gabriele flog herbei. Liebend
beugte fie ich über ben Süngling und beſtrich ihn mit ihren
Effenzen, die der Vater ihr von Paris hatte kommen laſſen. Die
Wunde wurde, nachdem ſich bie füllige Jungfrau entfernt, unter
ſucht, die Kugel ausgefchnitten, bie zum Glücke nicht tief einge
drauagen war, und burch ben Merbanb, ben ein vielerfahrener Krie⸗
ger unter ben Wehrmännern bed Barons angelegt, fühlte fi Gui
ganz leicht. Gr verlangte aufsuftehen;. doch b’Arbeque litt es nicht,
Gabriele Tehrie wieber und wor hacherfreut, ben Züngling jo heiter
zu finden.
Neugierig, aus feinem Munde deu Zufammenbang ber Gräig-
niffe zu erfahren, won bem nur dunkle Vermutungen in ben
Gemüthern ber Bewohner des Schloffes waren, umgabar fie fein
Aubebett.
Gut erzählte num, wie er, fih vom Schloß b’Arbeqie entfer-
ned, die Zigeuner gefunden, und was ſich bort begeben; wohl⸗
weislich verſchwieg er jeboch ferne Unterredungen mit Adelma. „Ich
eilte ſogleich hierher,“ fuhr er fort, „Cuch von der Gefahr zu bei
nachrichtigen, bie Euch gewiß binnen biefer unb ber folgenden
Nacht broht. Die Horde mußte jedoch einige von ihren Lerten Im
Nahe des Schloſſes zu Wächtern geſtellt haben, und einet Mefer
wemahım dad Werke ber xollendim Sjſeine und traf mich zufallig
zeit feiner Kugel.“
„Vergebt,“ nahm d'Arbeque das Wort, „daß wir nicht ſogleh
Euch zu Hülfe eilten. Hätten wir es ahnen Kösnen, daß Ihr es
wäret, dann würde Euch ſchnelle Hülfe geworden fein. Wir aber
hielten das Wimmern für eine Liſt de3 Geſindels, uns leichter zu
überfallen. Euer treuer Hund wurde Euer Retter; denn erſt als
‚er mit dem Mörder kämpfte, ſtürmten mir hinqus und fanden Euch.
Wie ſoll ih Euch danken,“ ſprach er dann bewegt, „was Ihr für
mid, ben Fremdling, der Euch gekränkt, freilich wohl ohne Abſicht,
hate? Ihr habt eine große Gefahr entfernt von und; unb nad
ber Art zu denken und zu handeln, die dieſes Geſindel zu befolgen
pilegt, habt Ihr wir und Babrielen — ja und Allen das Leben
gezettet
Gui wollte dag durchaus nicht gelten. laſſen; allein d'Arbeque
blieb auf ſeiner Meinung.
„Glaubt Ihr wirklich, daß fie einen Berjuch wagen werben?’
fragte er ben Süngling.
„Allerdings,“ entgeguete Gui, „und ich freue mich, daß meine
Wunde fo unbedeutend iſt, daß ich mich dankbar für Eure Wohligat
erspeifen kann. Vielleicht noch ehe der Morgen vollends mbricht,
werden ſie Naben.’
Kaum Hatte er diefe Worte geſprochen, als Schüffe auf Schüffe
ficken, und ein wübes Gefchrei draußen fich vernehmen ließ.
„Er hat bie Wahrheit gejagt,“ rief b’rheque, „fie fiub dal“
Und Alles ſtürmte hinaus auf bie Mauern und ließ Gabriele
und Gut allein. Die Jungfrau, bie biäher ben Iehhafteften Anipeil
an Allem genommen, ohne doch mitzureden — ſtand in biefem
Augenblid unſchlüſſig daz benn zwei Pflichten ftritten in ihrem
Herzen um ben Vorrang, bie mehr dem Manne zufommende,. Theil
au nehmen an bem Vertheidigungslampfe, zu. der ihr Fräftiger,
entſchiedener Sharafter fie hiuzog, und bie mehr weibliche, Pflegerin
des lLeidenden Weiters zu fein. Doch nur einen Augenblick dauerte
jener Streit und bie Weiblichkeit fiegte Sie blieb aber in ſicht⸗
barer Spannung. Kein ber Beiben war eines Wortes mächtig.
Gui horchte eine Zeit lang, dann fehlen er feinen Zuſtand zu ver⸗
geffen, riß fich empor, fprang vom Rnhebett, auf dem er angelleibet
Tag, griff nach feinem Gewehr und eilte zur Thür.
„Um: Gottesmwilfen, bleibt!“ rief Gabriele voller Angſt. „Wollt
‘hr denn gewaltfam Euern Zuſtand verfchlimmern?”
Kaum aber fprach fie das Wort, fo Tieß bie Ueberfpannung
der Kräfte bes noch ſchwachen Jünglings nach, und er taumelte
und fan? faft ohnmächtig in die auffangenden Arme bed Mädchens,
das, erröthend aus Scham, Furcht und LXiebe, ihn krampfhaft hielt
und an ihr Herz drückte. Er ſah matt zu ihr auf, aber mit einem
feligen Gefühl, und dies fprach fih im Blicke Mar und deutlich aus.
Schnell ermannte er ſich und fehrte, geleitet von Gabrielen, zum
Ruhebette zurüd.
Er reichte ihr ſtumm ſeine Hand, ſeinen Dank anzudeuten.
Gluͤhenderes Roth malte ihre Wange — aber fie gab ihm bie ihre,
und Gut brüdte fie im überwallenden Gefühl an fein Herz.
Schnell aber entzog fie ihm Gabriele — einen faſt zürnenden
Blick warf ſie auf ihn und eilte hinaus.
Da lag er nun, und bittere Vorwürfe fiber feine Kühnbeit
quälten fein Herz, und die Sorge um Salers und Rabaud, bie
Treuen, marterte ihn, und draußen börte er das dumpfe Toben
eines erbitterten Kampf — und jenes Tonnte er nicht gut machen,
das andere für den Augenblid nicht minbern und an biefem nicht
Theil nehmen, ba ber Blutverluft ihn zu fehr entfräftet und ber
Verband ihn zu gehen hinderte.
Und dennoch mußte er in biefer Lage verweilen, noch eine
"Stunde, bie zu einer Ewigkeit heranwuchs. Jetzt aber, als er
fange biefe Pein erbulbet, fehlen es ihm, als verlöre ſich das
Getümmel, das Schießen wurde feltener — allein er vernahm ben
Ton der Klage, des Bedauerns — auf bem Korridor, ber an feines
Gemaces Thüre binfief, vernahm er ſchwere Diännertritte, fie naheten
—.68 — ,
— die Thurr dffnete fih, ıdrb ſchwer verwundet wurde dArbeque
hereingetragen.
Gui ſah nur ihn, nur bie bleiche Gabriele, die Feine Thränen.
weinte — in deren Bruſt aber ber tiefſte Schmerz wuͤhlte. Gui
fprang von ſeinem Ruhebett auf, und bie Männer legten ben
Greis darauf. So ſchwach er war — jest fühlte er fih ſtark. Er
unterfuchte des Barond Wunde, fie war nicht ohne Gefahr. Er
wuſch, er verband fie mit vieler Geſchicklichkeit. Dann fragte er,
wie e8 mit bem Kampfe ſtehe? —
„Sie find entfloben,” fagte ber Reifigen Einer, „und ihrer
Viele decken den Kampfplatz. In den Dörfern läutete man Sturm
— da flohen ſie in wilder Unordnung, und in wenig Stunden find
fte ſchon weit weg, und die Gegend iſt rein von dem Gefindel.“
„But, fagte Gui, „ſo eilt nad dem Dörfchen meiner
Heimath und holt meinen Vater hierher; er ift ber Heilkunſt
mädtig und weiß ber Kräuter Kräfte!‘
Seine Befehle wurden fchnell vollzogen.
Gabriele reichte ihm die erquidenben Spezereien, bie er mit
kindlicher Sorgfamfeit anwandte; und jet erft vermochte fie die
Worte berborzubringen: „Iſt es gefährlich mit meinem Vater?“
Und nach dem Worte perlten die Thränen herab.
„Seb ruhig, edle Jungfrau,“ erwieberte Gut — „noch iſt
feine Gefahr, und der Himmel wird fie von dem theuern Haupte
fern halten.’
Gabrielens Hände falteten fih, und ihr Blick wandte ſich
verflärt embor. Sie wurde ruhiger und vermochte thätiger zu fein
um ben theuern Vater, konnte Gui's Bemühungen theilen, unb es
war, als 06 Bruder und Schwefter wetteiferten in Tiebender Sorg-
falt um bes geliebten Vaters Leben.
Ihre Bemühungen gelangen. b’Arbeque f chlug bie Augen anf
und lächelte fie an — bann reichte er Gabrielen feine Rechte, Gui
feine Linke unb ſprach Teife freundliche Worte und fragte dann,
fchnell fich befinnend, wie es flehe um die Zigeuner?
— 64 —
„ie ſmd eniflohen,” antwortete Gui, „und bie Wahlſtatt
beden ihre Leichen.‘
Er lächelte und ſchloß das Auge wieber und ſchlummerte
ſanft — doch zudte manchmal der Schmerz im Schlaf über das
Geſicht.
An ſeinem Lager ſaßen Gabriele und Gui. Die Sonne
hatte gefiegt über ben berbftligen Morgennebel — ber Tag ſchien
freundlich und hell durch bie Bogenfenfer bed Gemaches. Bleich
waren Gabrielend? Wangen. Gui fab bie mit Trauer. Er bat
fig, ber Ruhe zu genießen, weil er wache an bed Vaters Lager. .
„Ach,“ antwortete fie, „ich follte ruhen können? Und Ihr,
ber Ihr Ruhe beblirftet, felbft verwundet -feid, vergeßt Euch felbft
über meinen Vater, und ich follte an mich benfen, ba ich mich
doch ſtark fühle? — Nein — das verlanget nit, oder Ihr kennet
nit bie Kindesliebe.“
Gut feufzte tief auf: dieſe Worte berührten eine Saite, deren
Ton wehmüthig fortklang im Gemüthe des Jünglings. Selbft in
ber Nähe des Weſens, das er mit aller Kraft eines reinen, jugend-
lichen Herzens liebte, konnte er bie Wehmuth nicht bannen, die
biefe Srinnerung wedte, und er verſank in tiefes Sinnen. Wo ift
er jest vielleicht, dachte er, ber treue, unglücliche Vater, wenn er
noch lebt? Er bedurfte vielleicht meiner in den trüben Stunden
eines freudenleeren Daſeins, und ich bin fern! —
Es vergingen mehrere Stunden, bis Rabaud Sam, Tiefen
Ernſt, ja eine deutliche Mißbiligung des Borgefallenen,. glaubte
Gut in feinen Zügen zu leſen. Er reichte ihm ſeine Hand wit bem
Ausdrude der treueſten Liebe. „Ich babe Euch Sorge gemacht,
mein Bater — verzeiht — es geſchah nicht mit Vorſatz, und daß
ih Euch nicht noch in berfelben Nacht wiederſah, verhinderte bie
Erfüllung einer heiligen Pflicht!“
Rabaud’3 Züge erheiterten ſich.
„Ich zürne Dir nicht, Bul, ob Deiner That, nicht ob Deine
Ausbleibend — wenn ih auch glei nicht froh fein kann über
D 2
— 5 —
bus, was geſchuh. Dft if ein unbedeutendes Ereigniß daß Saat⸗
Ion. einer Zulumft, die reiche Kammerernte Liefert” — doch dieſe
Dort ſchienen ihm unwillkürlich eriſchlüpft — er io jetzt
Gabrielen und erſchrack.
. „Berzeibt, Sräufein,” ſprach er ernſt, „daß ich Sad, mu grüßen
verfäumte — ich Batte nur Mugen und Sinne für Gui.““
Nun forfchte er nach der Wunde NArbeque's. Gui ſagte ihm
feine Bemerkung. Gabrielend Augen hingen an feinem Munbe,
„fie zitterte fieberhaft.
„Iſt's aljo, dann feid ruhig, Fräulein, und bittet Gott, daß
er meine Mittel ſegne. Ich hoffe, Eueren Vater zu heilen. Und
Du, Gui,“ fragte er dann — „Du ſchweigſt — wie ſteht es um
Dich?“ — —
„Mir iſt ja jo wohl, Vater,“ ſprach der Jüngling in einem
ODoppelſine, ben nur er verſtand — ben aber Gabriele ahnen
mochte, denn eine leiſe Röthe flog tiber ihre bieichen Jüge, und
fre entfernte ſtch.
Leiſe erzählte nun Gut die Begebenheiten ber jlingſt verfloſſe⸗
nen Stunden. Rabaud empfahl ihm Ruhe und Pflege feiner ſelbſt
"and beobachtete dann den Baron. —
„Wir haben große Angſt ausgeſtanden um Dich, Gut, ſprach
er dann wieder; „Gottlob, daß ſie in einer Hinſicht wenigſteni
umſonſt warn” —
Jetzt ſchlug Arbeque bie Augen auf und richtete fie feſt und
ſorjchend auf Rabaub. CS war, als ſuche er In. feinem Gedächt⸗
niffe nach diefen Zügen, bie ihm ſchon irgendwo begegnet feien.
Gabriele war wieder herein getreten.
RR will ber Menſtch?“ fragte her Baron heftig ſeine
Tochter.
„Anfer Retter bat ihn beſchieden zu Euret geilung, mein
Vater,“ ſagte ſie famft. — „Es iſt fein Vater Rabaud.“
— richiete fich vArdeyne haſtig auf and jab ſcharf in Ss
Züge —
Horn’s Erzhlungen. ‚X 5 .
— 68 —
„Euer Vater?“ fragte er dann mit einer ſeltſamen Heftigkeit.
„Es iſt mir, als fei dieſes Geſicht mir begegnet an Orten, bie ich
nicht Liebe, und in ber Gemeinschaft mit Menfden, bie ich hafje“
— flieg er wild herau2.
„Ihr täuſcht Euch wohl” fagte fanft Gabriele Vertraut
Euch ihm an. — Er iſt ja der Vater des jungen Mannes, dem
Ihr ſo viel verdankt.“
„Du haſt Recht, Kind,“ ſprach er dann — „es if wohl nur
ein Fiebertraum.“
Und er lieg nun Rabaud bie Wunde unterfuchen — verbinden
— jedoch ununterbrochen firirte er ihn mit flecdenben Bliden.
Rabaud behauptete einen Gleichmuth, der fich durch Nichts
irren ließ.
Er that feine Pflicht — empfahl Ruhe und fagte dann —
nicht ohne Empfindlichkeit: „Es gibt Züge, gegen bie wir oft einen
Widerwillen haben, weil fie uns an Begebniffe mahnen — bie
— — doch, es wird beffer fein, ich entferne mid) — da ich bag
Unglück babe, Euch zu mißfallen. Zudem bebarf Gut der Wartung
und: Pflege; barum werben wir ung. heimbegeben, und ich kehre
wieber, wenn der Verband neu angelegt werben muß — auf ben
Fall, daß Ihr es wünfcet, gnädiger Herr!”
Gabriele ergriff feine raue Hand. „Laßt Euch das bittre
Wort nicht verlegen, das vielleicht nur ‚die Fieberhitze ſprach. —
Ich beſchwöre Euch, zu bleiben. Zudem dauf Guer Sohn nicht
bier weg — ‚wir find ihm zu hoch verpflichtet.” —
b’Arbeque richtete fih auf. ‚Nein, ſagte er — „das fonn
nimmer geſchehen, und auch Ihr jolltet nicht mein Wort fo fcharf
"nehmen. — Ich bitte Euch, Bleibt.” . |
Sn Gabrielens Auge flimmerte eine Thräne, fie ſah Gui fo
bittenb, fo flehend an. Gui war in feltfamer Lage. Er blidte
forfchenb in Rabaud's Geficht, bad unverändert den Ausbrud eines
finftern Genf behielt. Er fah ihn bittenb an.
- 67 —
„Wohlan,“ arwiederie Jener, „Euer Wille geſchehe. cunaut
aber, daß mein Sohn der Ruhe genießen darf.“
Gabrielens Antlitz erheiterte ſich bei dieſen Worten. Sie
flog hinaus, für Gui ein Gemach zu bereiten, und bald ging er,
geſtützt auf Rabaud, dahin.
Rabaud ſetzte ſich zu ihm; aber fein Wort fam über femme
Lippe. Er ſchien nachzudenken über unangenehme Dinge
Hui war zu begierig, ben Zuſammenhang beifen zu erfahren,
was er ahnte, ohne e8 ſich bewußt zu fein. Er fragte Rabaud.
Ganz wider feine Gewohnheit fchwieg diefer lange — dann fagte
er — ‚laß das jebt. Nur fo viel wife — es Tiegt eine unüber⸗
ſteigliche Scheidewand zwifhen uns, Dir und diefem Haufe —
Darum” — er fahte bed Jünglings Hand und brüdte fie mit
inmiger Liebe — „wache Über Dich und. Dein Herz! — Dein Name
muß ewiges Geheimniß bleiben vor d'Arbeque's Ohren. Es kommt
vielleicht bald eine Stunde, wo ih Dir, wenn biefe Mauern Hinter
ung liegen, mehr fagen Tann, mehr,‘ fette er mit tiefer Betonung
hinzu, „als Dir und mir lieb fein dürfte.”
\
8.
Sie blieben Beide noch acht Tage. Die Zigeunerhorde war
verſchwunden, ber Statthalter der Dauphine Tieß fie verfolgen —
über es fchien fall‘, als feien fie in die Erbe verfunfen ; denn
nirgends wollte man fie gefchen haben.
Gui Fonnte nach einigen Tagen wieder ‚gehen. Rabaud's 3 Kunf
beilte fchnell feine Wunde; auch d'Arbeque genas fchneller, als es
fonft im höhern Alter der Fall zu fein pflegt. Seit Rabaud in die
Burg getreten war, ſchwebte ein finfteres, unbeimliches, Grauen
erregendes Weſen über allen, und verftimmte bie Gemüther. Nur
Gabriele blieb ſich gleich, und diefe Heiterkeit, dieſe unverdroſſene
Thãtigkeit, deeſe liebevolle Aufmerkſamleit zeigte ſie Gui in einem
5°
- ®
— 68 —
jmmer liebenswürdigern Lichte. Sprach ſie mit ihm, dann Mar fie
ernſt, gemeſſen, oft. ſeierlich. Sprach er vom. Scheiben, dann
umflorie Wehmuth ihren Blick. Bald ſchwamm fein Herz in
einem Meere von Wonne — bald nagten Zweifel am feiner Seelt.
Rabaud's klarer Blick ſah tiefer, er jah die Liebe keimen,
asien, und ihn brannte e8 auf der Burg an die Sohlen, - Eine
Unruhe, eine Angit fonbergleichen trieb iha um. Auch dArbeque
ahnte das Geheimniß, das noch tief und unbelannt in Gabrieleng
Vuſen lag Der Stolz des Freigern empörte ſich gegen Biefe
Lebe zu einem Jünglinge nieberen Geſchlechtes. Willkommen - mar
ihm darum eines Tages bie Erklärung Rabaud's, gegen ben er
ohnebem einen unbezwinglichen Haß im Herzen trug — daß feine
Begenwart fürder wicht mehr nöthig kei.
d'Arbeque wollte ihu reich belohnen, nicht ſowohl um feinen,
als feines Sohnes Dienſte, dem er Lohn zu Bieten durch feine
Hochachtung gegen ben Jimgling verhindert wurde.
Rabaud fah ihn groß an. „Ich danke Euch, „guäbiger Ser, “
fagt er; „gebt die Summe den Armen; ich bebarf ihrer nicht
und diene nicht um Lohn.”
Den Baron verdroß der Stolz des Mannes.
„Ich weiß es,“ verfeßte er, „daß Ihr deß bedürft — Ihr
ſeid arm.“ —
Ihr irrt,“ erwiederte Rabaud — „wir haben aus ben
Stürmen jo vief gerettet, daß wir leben können, und ber Parla⸗
mentsrath de Viole ließ nie einem treuen Diener harben,‘
. Bei diefen Worten erbleihte d'Arbeque. — „So ift es bog
wahr,“ riej er aus, „mad ich vermuthete — fo dienteſt Du bem
Berhapten, und ich ſah Di auf Saint-Flour!?“
„Euer Gedächtniß täuſchte Euch nicht,“ fuhr Rabaud ruhig
fort; „ber Haß ſieht ſcharf. Wohl dem, der ſo vergelten kann —
wie mis ſich bie Gelegenheit barbet |‘
“x b’Arbeque ſchwieg. Er unterdructe den innern Grimm. In
dieſem Augenblide trat Gui herein. Sam Auge leuchteſe — rine
— BB —
unbefäreiiäite: Schafe Ing‘ mıf. ſeinen Bliger, — - Ce’hatte
son Gabrielen ſich beurlauben wollen — — er Hand: fie‘ tr tief
Gedanken vorfinden Ant Saale, wohn er fü. begeben, um' noch
einmal die Bilder ſeiner Ahnen zu beſchauen; fie fuhr auf, als fie
ihr Tomımen. Tab. Gui wollte zurücktreten, — doch ſie bat ihn, 8
hleiben. King Wei Faden; ſie ſtumm vor einander. Mui mar
tief bewegt. „Ah muß Euch Lebewohl” fagen, Fräulein,“ ſprach
m dann mit zitternber Stimme. „Nehmt: den Dauk eineh - —
treuen Herzens !“ — Gohrielmd Thräum zarmen — fie; gab
ihm ihre Hand — fie bat ihn, nichts von Dank zu reden — fie
gRhachte . jeiner Hülke — daß er ihr. Retter geworden — Gy
prigs ſich glücklich — obgleich ex beſcheiden das Verdienſt ablehnte.
Er hielt ihre Hand noch, ex drückte fie an feing Rippen, an ſein
Herz. Sein Muth wuchs mit feiner Liebe — er wagte, fir m
fen Herz zur ziehen. Da fuhr ein Schauder durch Gabrielens
ganzes Weſen — ſie ſchlang ihre Arme um ihn, drüdte ihr Haupt
an feine Bruſt — daun riß fie ſich gemwaltfam los und verſchwand
durch eine Nebenthüre. Lange fand Gui quf der Stelle wie
‚ bezqubert, — Dann ging er mit einem Himmel in feiner Bruſt
auf d'Arbeque's Gemach zu und ‚trat gernde ein, ala Rabaud ‚jeneg
Gehejmniß Bi,
‚np. biefer. At nicht Dein Sohn!“ rief vArbeque aus *
„die Züge ſind de Pioles Züge!“ —
Ihr habt auch das errathen!“ ſprach mit furchterlicher Rärte
Rabaud, „Es ift fein verwalſtes Kind — Gut’ de Sat Sour.‘ “
Da flammte une wilde Gluth in d'Arbeque's Blicen anf.
„gebt wohl!” — rief jetzt Rabaud und "ergriff Sul’ —*
— „Ihr ſeid des Dankes AWerhoben!“ J
Mb raſch zog er den Illnzling mit Fig hinweg "cd ie
Höfe des Schloſſes. Als bad Thor Hinter Ionen Mh ſchloß, atheneie
VTabato erit.anieber: frei auf.. Gut war in einen Traume befangen.
Erx wußte Das, wa er gehört, Taum: zu deuten — ber Camtrrfk
won ‚echt wie. ein Maifroß in bie Bluͤthen feiner Liebe gefallen,
N
- — 70 —
bie fich kaum erſchloffen und Ihn doch fo guͤdlich gemacht hotten.
Er beichwor Rabaud, ihm Rede zu ſtehen. Dieſer aber zog ihn
mit ſich fort und beobachtete ein hartnädiges Schweigen.
So mußte er folgen, ohne zu wollen. Nur als fie bie. Höbe
jenfeit bes. Thals erflommien hatten, ri er fi 108, um noch eine
. mal nad) ben Schloffe zu blicken, das feine Welt umſchloß. Da
wehte ihm Gabrielens Tuch den Scheibegruß zu, und eine innere
Stimme rief ibm zu: das fei ber Scheibegruß für dieſe Welt.
Er. ſchauderte. Noch einmal winkte auch er — und des Waldes
Dickicht entzog ihn ihren! Biden. Kräftig ſchritt Rabaud weiter.
Kam vermochte ihm Gui zu folgen. Auf feine Yrage gab er eine
Antwort, und endlich ſchwieg Gui unmuthig. Erſt als ſie ſchon
eine gute Strecke zurückgelegt hatten und eine freie Stelle des
Waldes fich ihnen darbot, ſtand Rabaud ſtill.
„Vergib mir, Gui,“ ſagte er, mein ſeltſames Benehmen. Es
wird Dir mancher Auftritt der letzten Stunden rathſelhaft ſein —
ich will Die die Räthſel jetzt löſen.“ — Er hob nun afı, aus dem
früheren Leben ſeines Vaters die Begebenheiten mit d'Arbeque zu
erzählen, nachdem er ihm vorher geſagt, wie nahe ihm b’Arbeque
verwandt. Gui hörte mit fleigendem Intereſſe, aber auch mit
wachfendem Schmerze der Erzählung zu. Als Rabaud geendet,
ſchien es Ihm, als ſchlöſſen ſich des Paradiefes Pforten Hinter ihm.
Rabaud's letzte Worte fielen centnerſchwer auf ſein Herz.
„d'Arbeque's Haß,“ hatte er geſagt, „if ohne Ziel und Ende
Nie vergibt er; darum ift unferes Bleibens in biefen Gegenben
ietzt nicht mehr lange, zumal er uns kennt.“
‚Und wird nicht gerabe her Dienft, ben ihm den Feindes
Sohn geleiſtet, ſein Herz milder ſtimmen und bie Reue über ben
Minden Haß in ihm weden?“ fragte Gui. .
Mannſt Du. bie Steine. bier erweichen?! war. —
Antwort; „kannſt Du bem Base, ber bort Über bie Felſen hinab
is den Abgrund flürzt, gebieten, daß ex feinen Lauf rückwänts
-
- m —
nehme? Ranuf Dur ben flarven Winter numandeln zum MAuhen⸗
© ven Lenze?“
„Euer Urtbeil if fürchterlich Hartz; verzweifelt Ihr an ber
Miglichkeit der Befferung eines Menſchenherzens?“
„Ren, Gui. Ich will glauben, daß ber Verbrecher ein ebler
Meinſch werben kann, aber nimmer, daß b’Arbeques Haß ih in
Wohlwollen verkehre. ch Tenne ihn, ich weiß, was Dein Vater
that, ihn auszuſöhnen — aber es war Alles umſonſt. Sein Stun
DR eiſern 4 -
Gui brach ab. Schmerz, bitterer, herber Schmerz erfüllte fein
Herz. Er fühlte zum erſten Dale bie brennende Wunde in feinem
Annern. Gabriele — war für ihn verloren. Die Träume feines
Glückes, denen er oft in ſtiller Nacht auf Schloß Arbeque Gehör
gegeben, ſie zerrannen.
Finſter kehrte er heim. Der treue Salers Narrte ihn an.
„Was iſt geſchehen?“ fragte er.
Rabaud winkte ihm Schweigen zu.
„Dir, Gui, habe ich einen ſeltſamen Gruß,“ ſagte Salers
darauf, ſich zu Gui wendend. „Ein Zigeunerweib war hier vor
ungefähr acht Tagen, die alte Adelma, die ſo oft auf Saint-Flour
war. Sie gebot mir, dieſe Zeilen Dir zu reichen.“ |
Bui riß das Blättchen auf.
„Sie branfen fen, bie Stürme, bie ih Dir verkündet,”
ſchrieb eine faſt unleferlihe Hand; „noch. ift ihr Ende mit ba
Erſt wenn Blutſtröme um Dich geflofien find — erſt dann kommt
Sieben — ex liegt weit, weit von Dir. Das aber hätteſt Du mir
nicht thun follen! Ich allein weiß, was geſchah, denn ich folgte
VOir. Du haft gebüßt — wüßten es meine Söhne — Du möchteſt
flehen, wohin Du wolltet — ihr Dolch fände Dein Herz. Abelma
zürnt Dir nicht.“ —
Er halte die Worte laut geleſen. —
„Reue. Rathſel!“ rief Salers — weher kennſt Du da⸗
waielige Weib?’ .
+
‘
-
⸗
— W —
Gui erzahlte chaen vheie Daft ine αν „mi
ber Zigeunerbande.
„Anferes Bleiben ift nicht länger Hier,‘ ſprach Ealere
„Unſer Frieden if gefldet. Gebe Gott, daß nichts Schlimmercs
folge!“
Gui erhob fich. „Nicht Euer Siehe, der meirige iſt geſtört.
Darum laßt mich ziehen. Dieſes unthätige Leben. post ohntbdem
nicht miehr für mid. Ihr kennt die Anzeichen eines blutigen
Kampfes der Glaubenzparteien im Baterlande. Mein. Ertichluß if
gefaßt; ich trete in die Neihen ber Kämpfer für meinen Beiligen
Blauben und feine Rechte ein, für bie mein Suter mit ein
anbeen, jchärfern Schwerte ſtritt!“
Ein tiefes Fener leuchtete aus feinen Blicken bei dieſen Wortes,
Rabaud ſah ihn erfchroden, aber mit einer innern Freude an. E
ſchwieg inbefien, wie Salers, ber enblid äußerte: „Nur wicht zu
fhnel, mein Gut. Laßt uns ald befonnene Männer handeln,
wohl erwägen, — dann fei’8 in Gottes Namen!“
Die Heiterkeit, der Frieden — der fonft in bem engen Haͤuschen
ber Freunde gehaufet — er fchien gebannt, verfchwunsen für immer.
Auf Gui's Herzen Tag eine Laft, bie er nicht abzuwälzen Im Stanbe
war, nicht bie Freunde, fo germe fie. es geihan hätten. Ruhe war
in feinem Innern — aber. eine Talte Grabesruhe, bie Frucht ber
Reſignation auf be Sehens ſchönſtes, der Liebe Glück. So gern
auch das jugendliche Gerz ben Anker ber Hoffunug noch faht ımb
feſthant, ſelbſt am der ‚Grenze ber Möglichkeit — jo-gab--ihr doch
Gui nicht mehr Raum in feinem blutendem ‚Herzen: Rabaub?s
Worte waren von zu 'mächtigem Einfluß auf Ihn, und femes dunkle
Wort Adelma's, fo frei von dem Aberglauben, ben bie Menfchen
feiner Tage begten, befonderd von ber bie Zukunft enthüllenden oder
A
⸗ — N —
derchſchauenden Macht bieſes: numendifirenbeit Bolkes auch übrigens
Gui'a Seele war, übte dennoch ſeinen geheimnißveollen Zauber aus
wub fügte neue Wülten‘gn benen, bie bereits feine Seele ums
nachteten. So floß fortan ſtill und öde das Leben ber Dreie hin.
Rur der Plan Gui's brachte eine Abwechfelung. in das einfürmige
Tyoeiben. Dabei fiel indeſſen wieder eine Daft auf. ſeine Seele, bie
mamlich, welche ber. Gedanle an die kriegeriſche Ausrüſtung brachte,
Sollie er als Landoknecht zu den Truppen ber Proiefteten, wolche
Goligni führte, ſtoßen, fo bedurfte er eines Rofſes und ber nöthigen
Waffen. Nach Allen, was er wahrnahm, war er arm, deun ber König
hatte ihn ja, als ex feinen Vater ächtete und für ewig des Landeß
verwies, ja ſeinen Namen, als einen dem Galgen Enigangenen an
ven Galgen auf dem Montmartre ſchlagen ließ, aller feiner Güter
btraubt. Wie follten es bie beiden Alten möglich machen, bie
Mittel aufzubringen, deren er jetzt bebwrite? Am ſie nicht zu
kränken, wagte ex nicht einmal eine Frage, fohbern ſetzte fill voraus,
er. werbe mit feiner fchweren Büchſe, und wie ‘er gebe und flehe-
in Coligni's Lager gehen und feine Dienfte anbieten müſſen. Daß
man ihn bei feiner Jugend und Kraft: zurückweiſe, befürchtete er
gerade nicht; allein es Tag bach etwas. Schmerzliches barin, daß et
nit / bort eintreten Fonnte, wie es fein Stand und fein Herfoflinsen
wäürbe unter andern Umfänben bedingt haben, - — was überwunden
fein wollte. ne}
Eines Tages, Wu Sturm and’ Hagel, wie ihn bie Tage bei -
April wohl noch einmal zu bringen: pflegen, um das Haͤuschen
tobte, ſaß er ſtill in ber Ede eines Fenſters und blidte hinausin
das wilde Toben bed unfreundlichen Wetters. — Er war allein in
dem Gemache, denn heute waren Salers und Rabaud häufig allein
ir dem kleinen Raume geweſen, ber ihnen zur Schlafftätte diente;
fie tramten ba viel In Papieren und redeten oft eifrig miteinemden
Das hatte er gehört, als er vorüberging, iNı6 es warsigm aus dem
Goand .auffälig, well: font eine r se € Silk im qhrer Wohnung
‚am cherrſchen pflegte, |
.
-
·— 74 — .
Jetzt wurde bie Thüre geöffwet .und.:Weive traten ein. Umver-
kennbar lag etwas Feierliches in ihrem Wehen, das fo wenig zu
ber einfach gemäüthlichen Weiſe paßte, welche fie ſonſ angenommen
hatten. -
„Gui be Biole be Saint » Flour,”’ hob endlich wit einer
bebenden Stimme Raband an, „Ihr feib ben Kinderfchuhen Iängft
eutwachſen und in Eurer Seele ift ganz frei unb unabhängig. ber
Wunſch eutflanden, Euren Arm ber heiligen Suche bes Evangeliums
gu weihen, das feiner bedarf. So if ed würdig bed Namens, den
Ihr tenget, den ein ungerechtes, vom Religionshaſſe eingegebenes
Artheil wohl ſchmaͤhen, aber nicht entehren Tonnte. Set aber, wo
as biefer Entſchluß fordert, daß Ihr würdig Eures Namens auftretet,
tönt es Roth, daß Ihr Mittel habet, bie Euch das geflaiten, und
"ung, als treum Dienern, ift ed heilige Pflicht, Euch eine Rechen⸗
Schaft zu gebes von dem, was wir Beide gerettet haben in bem
Schiffbruche Eures eblen Vaters, den Gott fegne, und wie wir es
verwaltet haben. Wir legen bie Nachweife und Rechnungen bier
Kor. Euch nieder. Prüfet fiel‘.
Gui fand, wie erflarıt vor Rabaud. Er fchaute mit einem
Gefühl in fein Angeſicht, dag aus Schreden und Staunen gemifcht
war; denn mit einem Male war ja bier Alles anders geworden.
Das väterliche Du war einer Anvebeweife gewichen, welche bie,
welche dadurch bisher vereint waren, auseinanderriß und bie
Scheidewand Falter Lebensformen bazwifchenftellte, deren trennende
Gewalten er erft recht Tennen gelernt, ala er mit b’Arbeque
zufammentraf.
7,808 fol das?“ rief «er mit dem Ausbrud des Gefühls,
bes feine Seele erfüllte „Was fol das? Wollt Ihr mich weg:
fioßen von den treuen Herzen, die biß jetzt meine Zuflucht und
Heimath waren? Was bab’ ich geihan, daß ich ſolches Gutes
verluſtig geworben bin?” —
‚In ben Augen ber beiden Männer zitterten Thraͤnen und
Rabaud war zu bewegt, um reden zu Tönnen. Sales. tagte:
m —
„Dre. Zeitpunkt. mußte einmal kommen, wo das Berhäftnig ein
anderes werde, wo wir in das Verhältniß ber Diener. zurüdtreten,
aus dem und.bad Unglüd Eures Hauſes gehoben hatte.“
> Ehe aber He Salers biefe Wirte völfendet, Yang Gui in
Rabaud's Armen. Er bat, er flehte, er. drohte, mie wieder zu
nen zurüdzufehren, wenn richt Alles bliebe, wie es bis heute
gewefen. Sein Dank, feine Liebe ſprach fich in einer Weiſe und
Falle aus, daß die Männer davon überwältigt wurden. Range aber
dauerte es, bis fie ſich dazu verflanden, einen Entfchluß aufzugeben,
ber aus ihrem Pflichtgefüht erwachſen war. Aber wie glüdlich
hatte fie da gemacht, was fie eben erlebt? "Wie reich war durch
Gul's Liebe Alles belohnt, was fie. in aufopfernder und hingebender
Treue bie lange Reihe von Jahren ihm geleiftet hatten.
J Als endlich die Ruhe in ihre Herzen zurückgekehrt war, bat
Rabaud den Jüngling, ſich zu ihm zu ſetzen. Er legte ihm genaue
Rechenſchaft ab. Da ſtellte es ſich denn heraus, daß er immer noch
ein anſehnliches Vermögen befaß, das zwar in keinem Vergleiche
mit jenem ſtand, welches ſeine Voreltern, ja noch ſein Vater,
beſeſſen, aber dennoch hinreichte, über die Sorgen des Lebens den
Geiſt hinauszuheben. Rabaud Imite wohl geſorgt, als er Saint
Flour verließ und bu Pleffiz- Mornai ahnete es nicht, daß ber
treue Salers, ber in Mandes burg feinen Herrn eingeweiht war,
was fonft Niemand wußte, einen Schatz bei ih trug, als a,
Paris verlafiend, ben Sohn feinez Herrn aufzuſuchen, die Spur
feines Freundes Rabaud verfolgte. Das hatten nun Beide in
Eins zuſammengeſ chmolzen, treu verwaltet und in fich ſelbſt wachſen
laſſen.
Mit Grfaungg, ja Gui, daß er reich ſei!
„„Aber was ſoll ich ‚mit dem, was Aübrig bleibt, mern. ich mir
‚ein Roß, ein Koller, Piſtolen und Schwert gekauft ?fragteen
EB ji Cuer, Ihr Treuen,“ ſprach er. „Cueres Alters Tage ſollen
nit wor; BRangel:.getrübt wethen. GVott weiß es; ob ich je mr
Stande fein werbe; Euch zw: cnũhten: amnd ho Viebt w rgeliän,
bie. Ihr u min geübte A ee Bu ia.
„Berrwälteh : wollen wir & denn,“ Inge Sales, +:5, denn
unſerxe/Bedirfniſſe find Uein / und es ai Nor kormnende
Ira Beil ... ”
Rabaud Befprag fi num mit ui — fi Auachfung u
über feinen Sintritt in's Heer.
1. Ach, will erſt genauere Kunde. einziehen ter Die, Verhaltnige
unſerer -Glaubenägenpfien und ihre Stellung gegen den Hof,.:che
mir handeln,“ bemerkte er, und Gui war wohl damit zufrieden.
Judeſſen nahmen die Erfigniſſe damals ſchnell eine eruſte
Wendung, die Gui's Wüuſchen ſehr zuſqgte uid ihm eine auf⸗
bahn, wie er fig juchte, zu exäffuen verhieß.
Die Hinneigung Katharinens von Medicis zum Proteſtantismus
trug einen Schein der Aufrichtigkeit, der Montmorency und den
Marſchall von Saint-Andre mit Furcht und Schrecken erfüllte, die
ſo fanatiſche Katholiken waren.
‚Die Proclamation bes Ediets von "Saint: Germain en Laye
mehrte diefe Furcht. Sie ſahen ihren Fall, ben Fall ihrer Macht,
Ihres, Einfluſſes naben. Es galt ein ſchnelles, kräftiges Handeln,
den Strom zu deimmen, der ‚bräufend fi) heranwälzte. Franz
don Guiſe, der Dritte des unheilvollen, fanatiſchen Bundes, wär
nicht in Paris. Er weilte ſeit einiger Zeit in Lothringen," Pläne
ſchmiedend mit dem ſchlauen Cardinal zu der Ketzer Vertilgung,
und des eigenen Hauſes Glanzerhöhung und Machtanwuchs.
Ein Eilbote Saint Andre’ "befchteb ihn nad Paris, wo feine
Gegenwart jest unumgänglid ndthig war, denn man wußte, baf
Katharina, ben Stolz und bie Macht bes Triumvirat3 und be
Guiſiſchen Haufes fürchtenb, An Condé geſchrieben, ihn bringenbft
gebeten hatte, ſich mit Coligni und Dandalot, ſeinem Bruder, ihrer
und bei NRöonigh anzunchmen und fie mB hen Banden ber Guiſen
zu befreien. Man muß, daß die Proteſtauten juss@äillen ch
ruſteten. Franzr empfing :biefe Botſchaft mit. Zgeude. Schnell mn
— 27 —
Kieh: ex- Lothungen neit. einem hebestenven Weaſolge von Herren, bie
af ſeiner Seite ſſanden nud einer nicht unanſehnlichenMacht
von Soldaten; Montmorency und. ESaint⸗Andr faumeölten eine
Amet bei Poris, und bei. Orleaus machten bie Proteſtanten, an
ihres Spitze Gendé, Gollgnt, d'Audelot, Anton von Guest, die
Herren von Larochefoucault, Roban, Bealis and Grammont, Mine,
I zu vereiwigen. .,
Franz von Guiſe eilte. Es wer am.1. März 1068; ala er
in Vaffg, einem Stadtchenm in ber Champagne, eintenf, wu dk
eine kurze Friſt von der angelreugter Reife zu waflen. Der Herzog
Heß alsbalh im der Kirche des Ortes Meſſe Kefen und ſein Gefolge
begleitete ihn dahin, jedoch faßte die Kirche bie Menge nicht, die
mit der Partei der Guiſen dahinſtrömte; und viele derſelben mußten
eben weilen. Da erfchallie unweit davos der Geſang der Pros
teſtanten, die in einer Scheune ihren Gottesdienſt in heiliger We⸗
Duck hielten. Es wear ring willkommene Gelegenheit für bie fana-
tiiten Diener and Sölönei Guiſe's fick am den ruhig ihres Glaubenßs
lebenden Pawteftonten zu vengreifen, Sie ſtoͤrten durch Steimwiürfe
mad beleitigende Worte, durch Lärm und Unmut hen Gottesdient
der Proteftanten, die ie einer nicht Meinen Anzahl ‚bier vereint
waren. Anfangs lonen es dieſe ruhig; aber dieſe Ruhe erhiäte Zee
deſto mehr, und bald kam es zu Thätlichkeiten. Die Protefianten
mußten Gegenwehr leiſten ben Angreifenden, und fe entſpann ſich
ein erbitterter Kampf, der von Seiten ber wehrloſen Proteſtanten
einſtweilen nur mit Steinwürfen geführt wurde.
Der Lärmen außerhalb der Kirche endigte die Meſſe. Guiſe
flurzte heraus und ein heftiger Steinwurf traf ihn ſogleich fo heftig
an die Stine, daß Dr faſt beſumungslos in. bie Arme eines ber
Seinen daumelte amd mit Blau bedeckt wurde.
Das war die Bofung mined entſehlichen, wiltbesben PR
zwiſchen ben erbitterten Barieien.: Dean: enguiit ſchuell bie Waffen,
mb ein unmengichliches Bluibab erfolgte, Schanungselos mütheiens
die Guiftichen anter. dem Hugemsitens Sechszig Leichen deckten: Die
— 78 —
Wahlſtatt von proteſtantifcher Seite, und. ber zweihunbert Yen
winidete zählten fie. Auch die Guiſen Hatten gelitten wi ihr Berluſt
war ebenfalls nicht unbedeutend.
Zitteend trat der Richter. vom Jaſſy vor ben griutimigen Herzog
unb flehte um Schonung für die ungtüdtigen Proteftanten, bie ja
bob ben Streit nicht veranlaßt.
„Seid Ihr auch ein Ketzer!“ fuhr ihn zormig der Herzog ar.
„Nein,“ ſprach muthiger der Nichter, „ich bin ein Katholik,
wie Ahr, gmäbigfter Herr — aber mein Herz bintet bei dem
Morden; um fo mehr, da es gefeßtwibrig, wie unmenfchlich tft,
und das Ebict vom Januar freie Nellgionsübung ben Proteſtanten
vrtheißt. u
- Mit vollenden Augen ſah ihn der Herzog an; dann riß er
fein Schwert aus ber Scheide und rief: „Dies ſoll jenes verſtuchte
Ebict zerhauen!“ —
Der Richter verließ mit tiefem Abſcheu ben unmenſchlichen
Herzog. : Dad Blutbad dauerte fort, bis der Schleier ber Nacht
bie Greuel diefed Tags umhüllte. Die Proteftanten flohen in bie
Berge, in bie Wälder; und bie Mredliche Kunde dieſes Tages von
Baſſy drang mit Windeseile burch Frankreich und zu den Ohren
Coligni's. Die Tadel bes blutigen Bürgerkrieges war” angefacht!
Das blutige Loos war geworfen in den Scho oß einer unheil⸗
ſchwangeren Zeit!
Po |
1.
Auf dem . Wege won Grenoble nach Sainte- Miarcelline ritt
eines Tags in fpäten Nachmittagsſtunden Gut be Viole auf einem
überaus fchönen und guten Roſſe, das er eben erft in Grenoble -
um hohen Preiß erflanden. Die Ausführmg feines Vorhabens
war nahe. Zu feinen Obren waren fie ſchon gebramgen dic Greuel-
thaten von Vaſſy. — Es war. ihm bie Nüftung ſeiner Glaubens:
— — — — — — —
— 79 —
genofſen befannt geiwrben, und Rabaud hatte Tags vorher bie
Botſchaft gebracht, es werbe: für Coligni's Heer der Herr von
Maugiron in der Dauphinéè. Dieſe Kunde beſtimmie denJüngling
zur raſchen Ausführung feines Planes, ben er mit: feinen väter⸗
lichen Freunden erwogen hatte und zu bem ihn, wie fein Herz, fo
bie Lage: drängte, in⸗welcher er ſich befand. So fehr aber auch bie
neue Laufbahn bes Jünglings Ehrgeize ſchmeicheln mochte, fo war
doch fein Herz tief bekümmert. Auch jeht wieder war ſein, Herz
bei Gabrielen. Es war fo- flil und einfam in ber Gegend, durch
bie er ritt. Neben ihm am Wege bin, jeboch im eimem beträchtlich
tiefen Bett, firömte bie Iſere und ihr Braufen war ba#- einzige
Geräufch, das die Stilfe der Eindde unterbrach, und dieſes Braufen
wiegte ihn noch mehr in feine Träume ein. Die Bergangenheit
lag vor ihm. mit ihrer Fargen Freuden, und bie Zufunft dunkel
und blutig. Gabrielens Bid ſchwebte vor - feiner Seele. Ihre
Liebe war ja ber einzige Sonnenblick ſeines Lebens, und jo ſchuell
ging er vorüber, fo eifern war bie Macht des Berhängniffes zrifchen
‚ihre Herzen getreten! Lebhaft wurde ber Wunſch in feinem Herzen
‚wieder rege, ben er jo oft jchon bekämpft, fie. wieber zu fehen, noch
einmal in ihr Auge zu blicken und dann dem Lebensglück auf ewig
Lebewohl zu jagen. Schon war- er im Geifte bei ihr, ſchon lag
fie an feiner Bruſt. — In folden Träumen ſchwelgte das liebende,
hoffnungsloſe Herz des Jünglings. Er hatte ben Zügel auf des
Pferdes Hals gelegt und es gehen laſſen, wie es wollte, ohne
darauf zu achten, daß es mahe am fleilen Ufer. ber Iſere hin⸗
ſchritt und nur ein Fehltritt ibn in ben Wellen des Stromes
begraben: konnte.
„Seht Euch vor,” rief plötzlich Hinter. ihm eine flarfe Stimme,
bie einem Neiter angehörte, der im faufenden Galopp ihm folgte,
„fonſt liegt Ihr drunten in ber Iſere!“
Der Jüngling fuhr aus ſeinen Träumen auf, ergriff w
Pferdes Zügel und riß es mit. ſtarker Fauſt herüber in den er
und fab alsbald den Warner an feiner Seite.
— U —
„Das hätte leicht fo einen Sprung. zuwe: Beben hinaus geben
Konmen!‘* fcherzte ver Reiter, und fah dem Jüngling dabei in das
bleiche, ſchöne Geficht,
Es max ein junger Maun- vom etwa ahcht und zwanzig Jahren,
mit miſitäriſchem Anzug. Ein breitkrempiger Federhut ſaß recht
vnternehmend auf: einer Seite, mb: ließ bie langen, brauuen Locken⸗
haare graziös auf bie Schulter wallen. Eine himmelblaue Feldbinde
fſchmückte ihn. An Feiner Seite hing ein ſchönes Schwert, Heiterkeit
und Bon ftrahlie aus feinen. Bliden. .
Gui grüßte ihn mit Auſtand umd dankte für bie Warnung.
"2 „Habt gewiß am’ä Liebchen gedacht, mein junger Freund!“
fuhr laͤchelnd jener fort.
Gui errxöthete, verneiute das aber ſtotternd, denn bie Lüge
Tooäkte richt Über bie Zunge, und bemerkte: „Es gibt jo »iele Dinge
in: unſeren Tagen, bie wohl geeignet ſind, bei, der Antheil daran
Komet, in recht ernſte Betrachtungen. zu verſenken.
Der Weiter neigle fich vor und fah fcharf in bed Jünglings
Kutlig, das ihm biefer offar. zumenbete. Dies ernſte Wort und
die Jugend bes Redenden fchienen jenem fo vecht nicht zu einamber
za pallen. — Doch ber Bid in Gui's Aniliß ſchien ihm VBertrauen
eingefloßt zu haben.
„Da habt Ihr ein Fehr wahres Wort geſprochen, junger
— entgegnete darauf derſelbe; ‚28 kommt nur bamuf am,
mit welchen Augen man die Vorgange auſicht. Habt Ihr von
Bafiy gehortꝰe
„Wie follte mir fremd geblieben ſein, was jedet Gemüuüth
empört?“ fragte Gui und ſah ſcharf den Fremden an.
„Da Habt Ihr ſehr Recht,“ anwortete der; „felbſt ber
gemäkigte Katholik hört's mit Abſcheu und Enutſetzen. Wie viel
mehr ber Proteſtant, der in dieſen Vorgüngen nur das fteht, was
ihn früher oder ſputer treffen wird und unausbleiblich if” — fuhr
er fort, indem er ben Horzen freien Lauf heß, „oem nicht wir
Reoteftanten ung ſelbſt ſchützen und uns bie Glaubensdulduug mb
Beuckrienkfreibett erlämpfen, dia man um? gutwilig ‚nicht zugeßzehen
toll ‚Aber ſie iſt. andlich gelonemen, bie Stunde, wo bie Kraft
an bie Ställe: gebulbiger: Schwäche tritk, Orlecus if; Zeuge ber .
Vereinigung unferex Häupter, und es find Namen, auf bie Frankreich
ftolz zu fein gewöhnt iſt.“ "
GSui haite ihm ſtille zugehört. Set fragte er: „Und werdet
auch Ihr in ihren Reihen fechten?“ J
„Auf die Frage möchte ich kaum antworten,“ verſetzte hibig
ber Fremde; „jedoch Ihr kennet mich nicht. Wiſſet alſo, ich heiße
Maugiron und- werbe bier im Sande für Coligni's und Condé'z
Heer, in dem ih Hauptmann au fein, mir zur Ehre rechne.”
„Ihr ſucht Waffengeführten?“ ſprach Gui — „wollt Ihr mich
. bazu, fo biete ih Euch bier meine Hand.” |
FVreudig ſchlug Maugiron ein. „Seid mir willkommen!“ tief
er aus. „Doch ſagt mir nun, da Ihr wiſſet, wer ich bin, auch
Euren Namen!“ —
„Gui de Viole,“ heiße ich.
„Vlokle?“ fragte Maugiron. „Viole d'eArbeque — doch nein,
dieſer hat fa nur ein Mind, Ein bleiches Mädchen, das »ich Beute
noch fah. Aber welcher Viole feld Ihr dem! N kenne bes
Ramens Rientanden mehr, in ber Dumuphine und Anvergne, bie
ich welblich durchſtreift.“
‚De Viole de SgintiaFlour, — verfette Susi, deſſen ‚Gurke
von dem Sedanken an Gabrielen ergriffen war, bie Maugiron ein
Peiches Mauͤldchen“ warnte, die er heute geſehen habe. — |
Ger Ihr - lie jenem ehlen Parlamenbaraih de Viole an
— ber fo mie: für Selmen Glauen rit und femes drama
Eifer murbe?’’
: ‚Jar war mein PHater,“ ſprach wehmüthig ber- Jungln
‚Sa ſei die Stande: gejegnet, in ber ich. Cuch fand,“ xief ſroh
—⸗ „bear im Sohne mind bed’ Daderh. Helbenmush aufleben
undauf ſelche Stiter banf unſere Sacht Stolz fein. —
Glaubt mie ma Zunge‘ — untezhrach Kr feiner
Horn’s Erzählungen. X.
l
* — 32 —
Nebe Eui — „Ihr ſagtet ben, daß Ihr meinen Veiter bYchagise
Und ſeine Tochter geſehen; darf ich wohl fragen, wo dies gemein?“
— But ſprach dies mit einet Haft, die Maugiron anffiel.
„Wohnt Ihr vielleicht zu Schloß Arbeque?“ fragte er
neugierig.
„Nicht doch““ — verſetzte Gui — „ih — kbnnte dann,
wenn ich von Euch Gewißheit erhielte, den Ritt dahin erſparen.“ —
v3 ſah fie jenfeit Grenoble, in ber Richtung "von Bari. —
Die Tochter, ein ſchönes Mädchen, fehlen Trank, fie ſah fehr bleich.”
Der redfelige Maugiron ahnte es nicht, wie er bag, ohnedem
leidende Herz durch diefe Kunde noch tiefer betrübte. Er bemerkte
wohl: feines Begleiters wachſende Verſtimmung und meinte, durch
ſeine Redſeligkeit ihn zu zerſtreuen. Er begann demnach die Stärke
bes Hugenottiſchen Heeres, bie Tapferkeit feiner Führer, bie Kampf—
luſt feiner Streiter zu ſchildern. Es kam ihm babei nicht darauf
an, ob er mit ben größten Hyperbeln fi ausdrückte.
Gui blieb ernf und ſtill. Er hörte wicht einmal Maugiron's
Gerede, und erſt als biefer Iaut zum zweiten Male fragte, wo er
wohne — kam er zum Haren Bewußtſein zurück.
Er fab die Nothwendigkeit ein, Maugiron fein ganzes Ber
hältnig auseinander zu fegen. Mit mehr Gehuld, als bei dem
bewegligen junget Manne zu erwarten war, hörte er- zu und
begengte ihm daun feine Theilnahme an dieſem Geſchide. Gui
fragte ihn nun genauer um das Reſultat feiner Werbarng, um ben
Ort bet Verſimmlamg ımb bie Zeit.ded Aufbruchs, indem er den
MBuniä äubfprech, recht balb nach Orleans zu Tommım.
„Dazu Tann Rath werben, mein junger Waffenbruder,“ ſprach
zutraulich ber Hauptmann. „Euer Name fihert Eu eine nicht
unbedeutende Stelle im Heere — darum will ich Euch: ſogleich
"zum Führer von hundert Oeworbenen machen, bie ſchon Tewitten
find und in Sainte⸗Marcelline meiner warten. Mit ihren
mögt Ihr Me Reife ſchon Übermorgen antreten. Ich werde erſt
wder Gach wiebeufehen, vn we a cie hen ie
Schlag fällt.”
Died. war dein Ylngling ſche ——— Yekt, Pr Gabriel:
nicht mehrt Hier weite, wo ihn alfo nichts nicht feilekte, als hie
Diebe Eier?’ und Rabaud's, seht wollie er hinweg aus dieſen
Gegenden, bie die Erinnerung an ſein in der Blürhe zerſtörtes
Gluͤck ewig.’ wach erhielten, in ben neuen Wirlungsireis, id -
freudig nahm er darum Dlaugiron’s Anerbielensan: Cie hatten
Jet Sainte⸗ Marcelline erreicht. . Schon farben: bie ‚Sterne om. '
Firmament, und Jiber ber Bergen von Auvergne ging eben der
Mond in feiner ganzen Fülle auf und beleuchtete ihren Weg. Gui
fonnte nicht weiter. &r blieb bei Maugiron und durchwachte wit
ihm die Nackt, die Verhäftniffe ihrer Partei beſprechend und Abrede
nehmend über ben Zug nach Orleans... Beide selen ſich wog,
und fo ſchloffen fie innige Ireundſchaft.
Am Morgen verſammelte Maugiron ſeine Leute. Er ſtellte
ihnen in Gui ihren einſtweiligen Führer vor, gab bie genaueften
Befehle zum Aufbruch und ließ fie Gehorfam in Surs Hand
geloben. "Müugiron mußte weiter, Er umarmte Gui, ihm ein
herzliches Lebewohl fagend, nachdem er ihm ein Schreiben an
Goligni eingehänbigt, im welchem er über ben Erfolg feiner
Bemühungen Rechenfchaft gab und ihm Gui empfahl.
Gui eilte nun, nachdem ihn Maugiron verlafien, zu feinen
Frfunden. Freude erfüllte fie bei Gus Nachricht, doch auch
Arauer,ob der Trennung betrübte fie wieder. .
. -Ralbomb. pellte: mit: kenfgeibten Bipge Gui's Ref. Kir Iche
daa eble Thier und lieh es ich ‚nicht nehmen, es jelbi zu wer
forgen. ‚Ungetmennt:: erlebten fie bie -menigen . Stunden ihres
Zajemenlebenz, bie ‚ähmen no gegönnt waren, Eine tiefe
James war ührr ihre Geſpräche perhreitet. Die :heikpı ‚Alten
Haken . je: danig de Jungling, ße maren io ſehr am ſeine Megan
er. ba es ihnen umeablich ſchwer wurde, „Bch,von un
’ . 6*
zu treitten. Liebend berelicten "fie BES Fi TÜRE vor,
Thräne benetzte die grauen Wimpern.
E dem die Stheldeſtande. Tief: gerührt —* fe ben
Züngling aubd druchten ihn an ihr Herze Auch Gui war cerſchut⸗
usb . in. lichte wie Achte Mariſchen ja Muck fo ‚Hetzibh, ſo
Unblich,. bei. nach ihm: die. Treimung weahs that, weher aid m 4B
ſelbſt geglaubt. Me wußte ſich gewaltſam Aosgeigen. Tadſend
Setens wiſche. begleiteten ihnn. Er ſchwang ſich auf’ Roß und
war bald den thränenden Aicen het Alten entfchwunden, deven
Schwerz allein darin Linderung fand, daß der Süngling. dem. Weg
fe: Beaufs wurd ſeines Nuhmes ging, und ihnen perheißen hatte,
recht oft. Nachricht vou femen Schedfuken zu geben.
Auch Su twodnete feine Augen. Auf ber Anhübe vor dem
Dieihen hielt er un. Wehmilthige Blicke ſandite er dem OQrte,
wo er jo harmloſe und in der legten Zeit ſe hinvolle Tage
verlebt. Ein, tiefer Seufzer entflieg feiner Brufl. — Er, wandte
fein Roß und flog den Weg nach Sainte⸗ NMarcelline dahin.
Dort traf er feine Schaar gerüftet und feiner harrend. Ein
jubelndes debehoch! begrüßte den ſtattlichen Führer, und ohne
Zeitverluſt verließen fe ben Ort, ihre Richtung nah Orleans
nehmend.
11, J
VDas “pr Bieter Heer deB Ecimtdirtt Rand in und
jenſeits Paris, welches einem ungeheuern Hager ihnlſchet ſahß, Are
ver Hauptſtadt eines den Frieben; wenigfens ſchaͤnbar uſchenden
Hofs. Odbgleich Autkirtita von Madicis den Prinzen Tondé
driugendſt gebeten, fe und den König und Yen’ Winden Ser Gutſen
und ihrer Gertsften, des Conneiable's Montnescench ib: Nun har:
haus Gummi: Misdre, ji Veſerien] oalnehl Ar [omsb- ber Pirna:
tiomu Teyänfgte, ſeine Lehern in ihren Gemtchera hatie preiiigek
afſſen, fo war Me - do wi — Mumleriu it der BVicſtel ung
..= ) =
Ki: re Bar ies Qehen wirkt hatte —* %
ein von ber Noth bed Augenblides gegen ihre Ueberzeugung ihr
Aſdeyrungoa, baten ollen, von ſich die furchſbaren Fräpgavien,
daen en ſie jetzt mug, wiedex gentigt zu machen. ſEhe ſie bie,
deaſeliſigen rieft · Hergog mans han Guiſe ſcgich hejnraqh
fie ſich mit einem Manne, den ihr ‚in ‚Veriranter als inen der
enfahreaſten and bemanberiiten Afxplogen, die jemals Andechiſiens
balſamiſche Luft geathmet und aus ben Schachten mauxiſchex Weiß⸗
Het die inß geſchopft, ana ben Fanßtellatignen hei Himmels bie
Räthſel des Daſeins zu löſen, empfohlen. ER. man bieie nin
finſeran, Üranger, ſehr laidenſchaftlicher Mani — weniger bet
Rade sugeiben, ſich um wichtz Lünmmeind, als feine Beobachtungen
und Berechnungen, und nur dann Antheil nehmend an den Kpaigr
niſſen des Tages, wenn Kathqring ihn befragte, wag von ihnen
die ewige Sternenſchrift melde, ober wenn fie in ſchwierigen Spa
fees Rother hedurfte. ßatharing's Bertramen: war ſchwer zu
erringen, und ber finftere Acevebo würde ſchwerlich jemala es ſich
ememion haben. — Kälte isht das Aftzologen impyrmigendes Weſen,
feine Sicherheit. nn Feßigleit. — da Teint feine. gengue Henntzüß
ber Lache Sranbreichs und ihrer ſelbſzeigenen ugd ſeige ‚geheimen
Warnungen vor Saint-André und Franz nen Hpiſe nach feinen
erſten Beobachtungen ihm. in ihrem Aherglaubben sine, Freund
gempnuen, deſſen Kinfliſderungen auch ihr night ſo leicht zur befie-
gendes Mißtrauen unterlag. Darum ſuchte ſie den Meiſter gapz
in ihr Jaltreſie qu ziehen. Sie, überhäufte ihn mit. Gehchenken.
Vicht menig aher erfiaumte Fe, als ex nur einen Meinen Theil
derſelben behielt, und bie anderen wit ber Katharina ſchmeichelnden
Bemerkung zurüdgab:_ Cr ‚she. nux je viel, alt er hefirfe —
iur Berkrausm Spk fein. reichſter Sohn. . Mie ließ ihm. gengu beob-
achten. Er Hatte mit Niemanden Umgang ,- ber, ihr verdächtig
un Er gigeg ir a: Houvxt. — Das, Me; ließ nicht
Mnger an-‚beh Aſtrologen Treue gweifehn, und Katharing ſchaͤpte
fich glücllich ihn gewonnen zu haben, und gab das firenge, Menk-
uchten ia Sr war xvt ihret Seche KM. vBie verttrrute
im 9 te
ie Base, hr wilche He fich jeht verſedt fa; war 1 vente
forberte fo gebieteriſch ejlangenffngheit mit dem Stheine der
Taubenunſchulb, daß fe nicht ohne‘ Acevebo’s Rath handeln mochte
Sie beſchied ihn daher zu ſich.
Bleicher als gewöhnlich, ſtnſterer nad, is ſonſt, trat er in
ihr geheimes Eabinet.
Ihr ſeht fo bleich, Reit era fie theitnchmend, „fuhlt
Hr Euch unwoht?“ —
Er verbeugte ſich tief, ſumm dankend für die Escape
ber Königin. Nach einer Paufe ef Tagte er mit. ‚einer hohlen
Stimme:
„om ber Sternen habe ich gelefen in fester Nacht, und tein
Schlaf kam in mein Auge.’
„Anb das folte auf Guch fo wonenig emngewien haben,
was Euch fo’ oft’ begegnet?“
„Das nicht!“ antwortete Jener, und richte ben burchötitikgen-
ben Blick des ſchwarzen Auges feſt auf die Köntgin.
„So waren's die Dinge, die Euch bie Geſtirne Tund gaben? “
fragte fie in Walhjenber Spannung. "
„IE tengite es nicht,“ ſagte Aeevedo.
„Und was, ich bitte Euch, meh! laſet 37 — was fahet
—
„Stebme Blutes !“ — ſproch er meuenheft felerlich ¶ e
um Eure Majeflät ffien, ‚wie ein Meer. Ströme rauchenden
Blutes.“
„und 159 fragte bebenb aathauina. —
Ihr ſtandet auf einem delſen und ba Blut —* ‚mr Xu,
und Eure Hand war irtig.*
Er ſchauderte. „Wurde Fr feine: Finde vor dem Aus⸗
gange ber jebigen ‚Berbättnifie?": ‚ron Read: einer we
ruhiger.
Das Schwerte: Wirk: bus Raaien dan, Zayfınbe platen —
und nichts gewannen ſein.“ —
„Nichts77 + Umb: Muiſe, Bein: nnd" —
in Ihr Ziel iR nahe. Ihre Sierme gingen under, in bes Nähe
des Mars — ſchnell — ſehr ſchnell — fie fallen. Guiſe buch
Katharina trat zum Fenſter, dia. freudige Bewegung ihre
Herzens den Mugen Aceyedo's zu verbergen.
„Wie aber ſtcud es mit ben Hugenotten?“ fragte fie nad
dissiger Zeit. ..
„Wollen verhüllten wir bie Siernbilder. Der Tag war
nahe und mein Werk varüber in dieſer verhaͤngnißreichen, wunder:
baren Racht. “
Katharina maß jetzt mit raſchen Schritten das Vemach. 4
wer beutlich: zu: bemerken, wie die Leidenſchaften in ihrem Innern
tobten, wie fie. ſich vergeben? bemühte, fie zu beſchwichtigen. Der
Aſtrolog ſtand ruhig und feſt, wie ein Standbild, da; aber ein
ſtechender Blick falgte ihr überall und beedachtete ihre Züge, und
ein hamiſches Lächeln. Hog ſchnell über bie feinen,
Nachdem bie: Königin einige Zeit fo auf⸗ und abgegangen
war, ließ fie fih endlich in die Kiffen ihres Ruhebettes wicber,
dem Aftrologen einen Wink gebend, fich ‚unweit von ihr zu feben.
„Meine Lage iſt Euch Fein Geheinmiß, Acevedo,“ hob fie,
nachdem fie fi geſammit, au;: „Euch find weine. Pläne
Har.“ —
„Trenne und herrſche,“ fügte er, finſter vor ſich hinblickend.
Die Königin verzog unwillig bie Lippen, body wollte fie es
nicht hören und fuhr fort: „Ihr wißt, daß ide mid in Condaͤ's
Arme zu werfen gebadhte, den Guiſen zu entgehen. Es mißlang.
Condo zauberte zu lange. Ihr wißt, welche Opfer es mich: Bafteie,
biefen Schritt zu verfuchen, daß ich ſelbſt den Schein anmnahm,
ven Reber gewegen zu. fein, ben Ketzerglauben, ben weine Seele
wie bie Hölle haßt, in meinen Gemöchern predigen ließ. Sie fink
—
- font gebeucht biefe Der, und ben Ha Duiſen HeneenBewinn.
Gebt mir Euren Rath, wie ich diefer Lage mich adiwinde”“ ı
„Eurer Majeſtät Sinficht bedarf meines Rathes : ib". Tante
auswerchend Acevrdo — ;,bod noch einmal fage üb, bätet uch vor
Serint⸗ Androͤ Oniſe und dem alfen Connetable“
Katharina ſchwieg mürriſch. Sie hatte Acevedo's Ruh ecwarke
and ſah num, daß er miBwetchen wolle.
„Ihr habt mir ſonſt Euern Rath wicht vosentfnlter, warum
wollt Ihr's jetzt?“ fragte fle heilig. „Ihr ſeht es ein, sah, meine
Lage nicht die günſtigſte iſt. Mir ſcheint nur ein Weg! offen, sen
— an GBGuiſe zu ſchreiben, ihm meine wahre Gefinwung:zu ent⸗
falken. Mt einer Lüge muß ich jenes tolle. Hinneigen zum Prote⸗
ſtantismus bekleiden. Ich muß Guiſe ſagen, daß ich Cond⸗ lochen
wollte.”
„Sollte das wieklich eine Unwahrheit ſein, meine —** Se
bieterin?“ fragte Acevedo mit einem fihkamen Lächeln.
‚Raßt bad und vatbet mir, fol ich jenen Schritt thun?“
„Wenn bie ausgeſprochene Curer Majeſtät wahre Geſimrang
iſt, wie ich nicht zweifle, da ich mich. nicht Aberreden kann, daß ea
Euch jemals Genſt geweſen mit Euver Hinneigung zu den Ketzern,
jo ſtuume ih, wenn meine Meinung b& @urer Majeſtät Gewicht
Hat, ganz in bie weife Abſicht, Die Ahr heget.“
Ratharina ſaun nach. „Es fei denn !“ſprach fie bean ent-
fäeben. Kommt nl. einer Stunde weicher, Meier — denn Zhr
folt an Guiſe die Briefe überbringen.‘ —
, Asse migte fich tief und entfernte ſich.
Katharina ſetzte ſich, ſtützte den Kopf in die Hand — a
dam Fihnell den Kiel aumd ſchrieb.
Cie Stunde floß bie, und Ateredo Im mieber in tur dus
ber. Wnigin.
Sie weite. ihm bie Briefe, 2 2
- „Im Stang, vom Muiſe's aigene Hans fü —E uerd Acevedo
ging, die Briefe in ſeinem Gemmnide verbergend.
2° Mer: ſein: ng ſaheta pp rühdhbtgnsAfgrnitg ont Snlfriungär
wohl aber in den Öftlichen Theil bes Louvre, wo er feine Wehming
we: er Hab. bigein,T und Binkturihnnfien bie Alle in o Schloß
und ein gewaltiger Riegel raffelte. Zwei ganze Stunden wihniesek
Sb er wieber heraus trer und min⸗ ſich nn: Franz nor: rife begab,
der jenſeits Paris, doch unweit der Barriera; ſich in derMatte fair
Truppen, umgeben. von Velen Diner, in anem pruucboellui Ge⸗
seite befand, 0: : Ba Re fir. 7
Mir ging feſren Schrictes durch de: Zeitgafien. mund die Reihen
ver; die [chf abentenerliche Figur sei Aſtrologen bogaffendanuad
ſpöttelnden Soldaten auf bed, HGerzogs Gezelt U, 0° 9 2.
Ein tumultuarifcher Auftritt: ſand gerade dort ſtatt. Man
ſahrte eben einem: mit Ketten belafteten .DRatın in des Heryegk Zelt,
das son Offizieren umgeben war. Uweit beifelben lohnte an einum
Baum ein Knabe von etwa 18, ahren. Bleich, aber ſchijn Toon
ſeine Züge. Weiche Baden Hoffen um das: ſchöne Geſicht, um heiße
Thranen oiefehtes: über bie Wange,. die andy fein hama behedile.
Acevedo's Blic fiel auf ihn — bach dein. tAuftrog mi A. &
- Werkamgte zu dem Herzog. ä
„Ihr müßt einen Augenblick verziehen, Meißen, “ rach De
Martuis von Tavannes, ‚der ihr. afiens im Lomre peichen:
„Beim Auftrag. leibet keinen Aufihub, Marquis“ ſprach at
gemeflen, „er ‚Pommi' von ber Bintigin Matter: — mildetennich.
VMer Mais sn in das Bet mb Tam bel wieder, ihn un
yeführen.. -
Eaim/ indrs Mienuine, Bolten be Mercy init dem. union
Blick, der feinen Glauben verlaffen, um Guiſe's Mörder en wierden
ſenden mit: mehreren: Auderen umher. Mer Herzog ſaß in einem
Zelbeſſel. In einiger Gntfernumg funk ber: geſeſſelte Gefaugem,
den man eben eingeführt, mit dem ber gms im hacten⸗ Werw⸗
ſprach. —
Acencho⸗ [ab an mb arſchrach abend ef. At; in fi
hinein und wandte ſchoell den Blick ab, den Herzeg gebichrenderihli
begufifen, Ir: feinen Geufsnchläffig ;erwicherte um: ie frugke, weh
er bringe?
„Den fie get an Guy wc, Durdplandhti t erwicheeht
Arevebso.
— Ein Birk bes Herzogs und Alle traten ab — ſelbſt Saiut⸗
Une, bad, mit Zögern.
Accocho veidhte dem Herzog bad Billet ber. Kömigier.
Er lag es flüchtig, dann Tächelnd noch einmal.
„Meldet ber Königin,’ ſprach er dann mit herriſchem Gtolze,
„daß ich bie Ehre haben würbe, meine Antwort ilaslhh zu üben
bringen, wenn es Ihrer Majeſtät genehm ſei.“
„Saint⸗André!“ rief er bann.
Accvebo verbeugte fich und ging — doch vernahm er noch bei
Hergogs Worte zu dem Marſchall: „Habt bie Güte, ber Königin
ben Borgang mit ben Ketzer zu melben!“
Acevebo trat aus bem Zelte Noch ſtand ber Knabe an dem
VDaum umb tang bie Hunde. Das jugenbliche, leidende Geficht ſprach
zu Acevebo's Herzen. Er trat zu ibm.
„Barum weinft Du, mein Sohn?‘ fragte ex fo fanft, als es
ihen möglich wer.
Der Kruabe fah ihn zweifelnd an; boch ſchien er Bertrauen zu
faſſen zu dem Einzigen, ber ihn bier mit Theilnahme amgerebet.
„Ach,“ ſagle er, „Me haben meinen Herrn gefeflelt, wie einen
Verbrecher, und werben ihn wohl morben, und ich habe Riemanden,
ber fich feiner und meiner anninımt in ber fremden Stabt!” Er
prach das fo rührend, und doqh fo unficher, fo beängſtigt, daß es
Arevebo jammerte.
„Komm' wit wir, Knabe,“ fagte er dann, „‚uielleigt kann dh
etwas fir Deinen Herrn thun, umb bei mir edle wohl gehen,
wenn Du treu und verſchwiegen biſt.“
Der Knabe ſah ihn ängſtlich zweifelnd an.
„Ach, ich kann ihm nicht verlafſen!“ ſprach ex be. „Die
Angewißheit feines Schickſals würbe wich Höhlen“
— — 1 —
zer: Laeb ecke: glhaen, opfern u men
bamit ih für ibn thue, was möglich if.’ _
Er nahmeo degn Knaben Ganb:und zog ihn mi hat —*
willenlos folgte ihm dieſer.
Wo flihrt Hr wis, hin?" fragte. Angie, as * igen
43 her Maatern von Pariß waren.
„In das Louvre,“ ſagte Acevedo, „wo ich bei be Bing ps
Deinen Bern ſprechen Wil.“ “ \
Sie famen dort an.
„Belle hier!“ gebot Acrvedo, „./ che ger —E8
Er melden der Monarchin des. Herzogs Autwqoxt, die fie mit
Wohlgefallen nernahm, und ‚verlieh fie dann ſchnel, um u ben
- Mmaben: in jein Gemach ſich zu begeben. - -
Dort angelangt, begann er den Knaben mchulveien
d'Arbeque nach Paris gekommen?
Erröthend und ſtotternd erzählte dieſer, bei er bie eigestliche
Urſachs nicht Terme, doch ſchiene es ihm, als ob ex geheime Gründe
gehabt,, bie Dayphine gu verlaſſen ugb nad Paris zu gehen, zumal
ba ber Hof fich auf die Seite ber. Hugenotten geneigt. An den Bor- _
poften babe man fie augehalten. Montluc babe feinen Herrn er⸗
kannt und ihn gefangen genommen und ald Verbrecher behaudelt.
. Tränen entquollen ununterbrochen bei biefer Erzählung ben
Schönen ausbrudgvollen Augen. bes Knaben, und tiefer Kummer
feuchtete aus feinen Zügen.
7 Ücevebo betrachtete ihn forſchend. Er ſchlüg daB Auge nieder.
Acevebo faßte feine Hand — fie war zart und weid. — Er fah
fchnell in bag Geheimniß, und es ſchien, als erfchüttert @ fein
Gemuüth.
Gabriele d'Arbeque!“ ſagte er dann, „danke dem Herrn, deß
ich Dich fand. Ich kenne Deinen Vater, doch woher? das frage
nicht: Das Geheimniß iſt mir heilig; mein Arm ſchützt Did. Ver⸗—
traue mir, und Du wirft es nicht bereuen!“
Da ſank der Knabe, einer Ohnmacht nahe, vor ihm nieder,
. N —
welehe ee) shi fee. Ds zu⸗ feinem
Herzen. en 75 BT 12)
un. TIEREN Auch. m map
Ihr knieen.“ . Te
Dann ihob ar. ſeine Hank. empar. ‚Bet, t anb —* er
feierlich „zu ihm ſchwöre ich Much, ba ib: BT AU SE)
srfliten: width‘ n.
Da drüdte das Mädchen feine Hand— an. m Ram anh ann
‚Gott und dem edlen Retter. re
„Hört mich⸗“ ſagte dann ‚Acebebo, er tief erfepätiert war.
: Bet Boden, auf dam wir ftshen, if gefährlich, : nei. Geichlecht
merk berborgen bleiben. Du biſt mein Wiener fortan, Gabriele
meinem Herzen Kind — und Id til em — Du teift mein
Bohn — 1” — j
Da lag Gabriele an feinem den, me Kae Di die
WManen aus ben Augen, '
Er verließ fie min. Saint⸗ André -Tonnte je dei ber Korrigin
geweſen ſein. Und während er mit ſtuͤrmifch bewegtem Herzen zu
Katharina‘ ging, lag Gabriele anf ihren Knieen, dem Schopfer
brünſtig dankenb für bie Rettumg zut Stunbe ber hochſten Noöth.
Die Königin empfing ihn mit ben Worten: „Ihr kommit zür
guten Stunde, Meifter, Saint: Andre bat mid) eben verlaffen. Men
bat einen ber berüchtigften Hugenotten "gefangen genommen, der an
ben Unruhen ber Doupbine und bed Venaiſſin ben thätigfien An-
theil genommen. Der ſchlaue Fuchs iſt ſelbſt in die Falle ge
laufen! Saint⸗André meint, man ſollte ein recht gräflices Beiſpiel
ſtatuiren.“
„u bin zu fremd in der Dauphiné,“ verfeßte Mcevchg ‚ um
ohne genauere Bezeichnung den Manu zu erkennen. Geͤfallt es
Cuxer Majeſtaͤt nicht, mir, den Namen zu nennen?“ =, *
„Es iſt der Baron de Viole dꝰArbeque. u BEER
. „Ea iſt doch micht jener: Parlamensraih Be Violez — — ———
—
— 4 —
mi: Die rc warigh entReit rohen! Ta eine: wiibee
ben jagt. mus RZ an tr. gar Im
Howe Br lee aut ur, Sekierie Yu;
‚oe iſt Ver Urtheil miatmager; Helerthaut in’ wechenn and" beiihih
diſn Wohl et Mehr : Niunt wie Aber at en Menreir nchwätt
Ackvtdo Nackte in fi hinem, sone deg es wanarine *
und verbeugte ſich.
mb was gebenkt Gure Mujefnaͤt m Hunt“ 2
„Noch IR ch mein Efeu" gefaßt. Wr Ay aiIweilen
ſicher in der Baſtille. — Doch muß ich den Triumdirn stadhgaben 4
„Mulffen?“ ſragte ſchatf betonens Acevebd. „Seit went muß
Frankreiche Regentin — lchuwill nicht Tagen = gegen Die Gefühle
ihres Herzens — boch geden die Milbe, wet ei umsfichtige King!
heit etheiſcht haubetn? — : une
Katharina erhob fich ftolz. Sir worf 9 in bie Benft. a
Habt Necht, Atevedo,“ ſagte fie — naber gebienet nit on bie
Klugheit jetzt Veachgeben?" —
„Ich beſcheide mil, Curer Major Borfehläge zu mechen,“
verfegrel ſener, ‚allein mit keiner Partel Wuechent, mit feiner in allge
enge Verbindung treten und — Ale beherrfchen, das wat: der ef,
denich Cu mit hoher Bewunderung fo Ticker, Fo .energifch” gehen
ſah. Habe Ihr: Utſacht gehadt, ihn znterumd .— mi
So ſchlau Katharina war — fie war Weib. Bier&iiinckheiel
war fo emabſtchuich geſprochen, bam von elhcın: Dieimd, der ſich
nicht um ihre Gunft beuweben, dartun wickte fie man:fo mchr. Wip
lin: ves Beifall aberhoy ww Set, dort arg ſehnen darüber:
gehend.
„Ich ſehe, Acevedo, Zhr- leſet nicht allein in ben Stermen
ſagte ſie, und ein freundlicher Blig des ſchwarzen Flammenauges
begleitete die Worte, ‚Wie. wi Ihr in dieſem Falle, jenes Ziel
—— at j I,
. I: —— ——————— „ wide/ Dies Melzer ‚in ei
—— und ihn dort ſeſthalten/ uls einen Mineje die rither
— 24 —
ober ſputer ihren bebentenben Merth kei den Gmgewiten Haben
und, zur guten Stunde audgegeben, einen Schritt näher. zum Ziele
. füpuen wir. — Deua müſſen dieſe ſchweigen, und. jene werben
widyt erbittert. Zeicht iſt hie Anbflupt gefumben. — Die Erklärung,
mom wolle mit des Ketzers Hinrichtung bis zu einem Zeitpunkte
warten, wo fol ein Beiſpiel Träftiger wirke, muß Guiſe und
Saint: Andr& beſchwichtigen.“
Katharina fand einige Augenblide nachbenkend ba; kann fagte
fie: Ihr Habt nicht fo ganz Unrecht, und eh wirb Euer Rath fein,
_ den. ich befolge. I ur
Acevedo Hatte feine Wbficht erreicht und bantte ben Himmel
im Stillen. Katharina's Herz lag gu Mar vor ihm enthüllt, er
Tanınde al! bie geheimen Triebfebern ihres Handelns zu gut, als
daß er nicht mit Gewißheit auf die Erreichung beſſen, was er
beabſichtigte, hätte zählen kͤmen.
Gnuãbig entließ ihn die Königin, die er um bie PAR bat,
vier Tage ungeflört feinen Beobachtungen fi hingeben zu bürfen.
‚wer Vorabend wichtiger Ereigniffe ſcheint gehonunen,“ fagte
&, „es wird darum um fo nothwendiger Ic den Schleier der
Zeclunft zu Lüften.‘
Gerne: geftand fie es ibm zu, und er verließ ‚ber abnigin
VGemach. Ueber einen weiten finſtern Gang führte dee. Weg zu
feinem Benade.
In Diisten deu. Ganges inet ihm feife ein Bernunmunder sul:
gegen mnh flüßerte: „Die Piefiisr Mosmai, 2
. But,‘ ermieberte Aceredo veißte ler, Ink Same
ſchnell verbarg und dann verſchwand.
.. .* 12. . Yin I
In einem „großen flattlichen Haufe bes Patent vom Aula
aß ‚ber Abmivel. Goligui an einem. grohen Tiſche, ‚ver voller Mapiere
sh, Röriefe Ang, in das Leſen 'herfeiben vertieft. Ihm gegeniiber
— 9 —
feb,: mit auf ie Brua gejunfenem ‚Haupte, ‚pebandlaenli ‚eier; Ya
befannter, ber in ber lehten Nacht, mar wuefste nicht weit, mdberunuilt
zuce den Wachen, aan 1 Samen, mh num Füan fa Dee
Stunden mit Goligni allem war.
Das Gemwach, in dem Beide fich befanden, hing mit einem
Vorſaale zufammen, ber jeßt ber’ Aufenthaltsort ber Offiziere
Goligni’3 war, bie feiner Befehle dort harrten umb über bag un⸗
begreifliche Alleinfein bes Räthjelhaften mit bem Abmiral allerlei
feltfame Vermuthungen begten, ohne doch in's Klare kommen zu
können. Aus bem Gemade, worin ſich ber Abmiral mi bem
Fremden befand, führte eine Thür in den Garten des Prevot, von
wo aus man in eins der winkeligſten Gäßchen der alterthümlichen
Stadt gelangte. Die Fenſter des Gemaches gingen ebenfalls nach
dieſem Garten, und durch keine gegenüberſtehenden Gebäude beein:
trächtigt, verbreiteten ſie ein helles, wohlthuendes Licht in das,
durch ein hohes Getäfel von dem koſtbarſten Holze, mit allerlei
Schnitzwerk in ben ſeltſamſten Formen, Gewinden und Schnöorkeln
ohnedem etwas verdunkelte Gemach.
Eoligni war in ein einfaches, grünes Gewand gekleidet, über
welches er ſeine reichen Waffen und bie Feldbinde feiner Partei tong.
Der Ihm gegenüber ſitzende Frembe hatte ein fehr bigarres Aeuben.
@in langes, rothbraunes, fa mönchiſch geformies Gawnah, das
um ben, Lab: von einer breiten Binbe gehalten wurde, loß falten:
deich une bie große, vom Alter nicht, wohl aber bon Leiden ‚gebeugte
Geſtalt. Sein lauges, bınsfieß, hin und wieder erſt greiſendes Haer
flel anf bdas am Halſe feſt aultegende Gewand, und über die Bruſt
walite ein reicher, ſchöner Bart faſt bis zum Gürtel. Das Geßcht
wer: bleich, bie Wangen eingefallen, bie Züge ſtarr, der gange Aua-⸗
druck des Geſichtes kalt und fürchterlich ernſt. Das feurigt Auge
da nief in feiner Hohle. Ea allein gab dem Takte, ſtarren, man
Hätte ſagen möotzen, ſteinernen Geſichte Autbumd und Leben. Wien .
hatte ſchwören mögen, daß über dieſe Züge niemals das OAchels
ball Frinde pille ‚te chen —R air Telegramm:
Bor; geſpenſtig adzuichen „1: 2:
Bs herbſchee eine: sieie Stille im⸗ Omi. —8
aufzublicken, und der Andere ſchirn be’ ernfſteſen Verachtungeh
nachzuhängen.
Als der Admiral, deſſen Geſicht, ſonſt fo ruhig, fo mild und
wohlwollend, den Ausdruck des Unwllkens, ja detz Zornd angenom—⸗
men, geleſen, warf er bie Papiete heftig auf den Tiſch — fland
auf und maß mitt großen, haſtigen Schtitten das Gemach, und
rief‘ dann endlich, In ber Nähe bes Fremnden ſtehen bleibend, mit
Heftigkeit aus:
„Das iſt eine Verworfenheit, deren ich dies Weib nicht fähig
gehalten!” Ihre Denkweiſe hat zwar einen fo ächt Haltentfchen An⸗
ſtrich, daß man ihr wohl ſchon viel zutrauen darf” —
„Alles“ — ſchaltete, ihn unterbrechend, der Itemde ein mit
einer tiefen, hohlen Stimme.
„Allein,“ fuhr Coligni fort, daß fie fo mich tänfchen wilde,
ahnte ih nicht!“ Er trat wieder zum Thſche, ſah aufmerffum In _
die Papiere und trat dann ſchnell vor ben Fremden.
„mmexuſch,“ Tief er, „wenn Du mich hintergingeſt? Wenn Du
uch, :Büberei: bie Fackel deu :bistigen Rritged anfachieft welche
Strafe wäre oh genug für. DihI“ '
arime verſehte ber Bjrambes aber ſein Gef ieh id fe,
Srine Ruhe blieb dieſelbe. Cr ſeh fefl in Geligni’s- Mage. —
line Weile ſtand ber, Monisal ſo ver ihm. Sie ſehen ae
Ang in Aug. Mein Wort dans Über ihre Lippen.’
Endlich faßte ber. Anmiral feine Hand. ‚ADtsiiter Aommeba,"
ſagte er, „ich ſafſe Zutrenen zu Guch. Die Zilge der Schrift: finb
authentich mb eh. Bleibt Ania fein Zweifel berg alien "wit: Taaut
ht band“
. „web. tft mein Bein, Her ‚Abwksei} — Habt —⸗—
—A m. Bir bermacttge
a
- 1—.
„Ihr gebt mir da einen herben Verweis, ſprach lächelnd ber
Abmiral; „aber Ihr folltet das nicht. Bedenkt Ihr, wie viel biefe
Briefe toiegen, jetzt wo Ihr fie in die Wagfchale des Völkerwohles
Yegt, dann werbet Ihr bie Frage billiger beurtheilen.”
„Ihr wißt bereit,‘ antwortete Acevebo, „daß ich daB zwei-
felhafte Glück babe, Katharina’3 Bertrauen zu befiten, baß id)
im Louvre in ihrer Nähe wohne, daß ich das einzige Gut, wen
man's fo nennen will, dad man mir Vieß, das arme elende Da:
fein, der heiligen Sache meines Glaubens geweiht habe; fragt num
nicht‘ weiter.‘
„Doch noch eine Trage müßt Ihr mir beantworten: Wie
gelangtet Ihr zu biefem Vertrauen 2‘
„Ich Iefe in den Sternen die verfchlungenen Wege bes Ge
ſchicks,“ erwieberte er feierlich, „Einer, dem fle vertraut, hat mich
ihr empfohlen.’ .
„Und fie fragte nie nach Eurem: Glauben?“
„Niemals.“
„Nie nach Eurer Heimath?“
„Herr Admiral,“ ſprach mit bitterm Ausdruck der Aſtrolog,
‚so viel fragte fie mich nie, als Ihr. Ihr wißt, Euch diene A)
nicht. Lohn fordere und verlange ich nicht. Darum fchweigt jebt.
Es thut mir weh, Euch das jagen zu müffen; allein ich muß.
Mögt Ihr denken von mir, wie Ihr wollt. Selbſt der Menfchen
Meinung ‚von ‚mir if mir gleihgültig geworben. Einem bin ich
Rechenſchaft ſchuldig. Ich habe nichts zu fürchten — zu ‚hoffen —
nur bag Grab. Lebt wohl!” -
Er ftand auf.
Coligni faßte feine Hand, ihn zurückzuhalten. ‚Ein tiefes. Mit-
leid. bewegte, fein Herz. „Armer Dann,’ Sprach .er wehmüthig —
„Such muß ein fchredliches Loos gefallen fein.‘
„Das jchredlishfte, gnädiger Herr,“ erwiederte der Aſtrolog —
„doch laßt mir meine Geheimniſſe.“ Indeſſen drang des Admirals
mitleidiger Ton wohlthuend in ſein Herz. „Lohn' Euch Gott die
Horn's Erzählungen. X. 7
-
— 8 —_
Teilnahme an einem Manne, ben bie Menfchheit ausftießl‘ fagte
er ſanft. Er machte feine Hand aus ber bed Admirals los und
trat zum Fenſter, wie es fchien, eine fich feiner bemeiftern wollende
Rührung zu unterbrüden. Ex verfanf dort wieber in ein Sinnen,
das ihn völlig theilnahmlos machte, denn ex blickte nicht einmal
herum, als nun bie Thür fih öffnete und ein Offizier hereintrat,
der Ieife dem Admiral sapportirte, und als dieſer mit bem Haupte
fchweigend genickt, wieber abtrat, und bald darauf wieber mit
einem Fremden bereintrat. Der Admiral fchien verlegen. , Ihm
wäre es lieber geweſen, Acevedo hätte fih entfernt; allein er
dachte zu fchonendb, dieſes wunde Gemüth durch eine berartige
Mahnung zu verlegen. .
Mit dem Offiziere trat ein Jüngling herein, ber mit eblem
Anftande den Admiral begrüßte und ihm ein Blatt überreichte. -
„Ab! Maugiron,“ ſprach biefer Taut, als er bie Schriftzeichen
fah, „bringt Ihr mir gute Kunde von ihm?‘
* „Die befte‘, antwortete befcheiden der Jüngling, ben Goligni
wohlgefällig betrachtete; „ich babe ihn gefund, thätig und in feinen
Beftrebungen glädfich verlaſſen!“ —
„Bag ift eine frohe, willlommen: Botſchaft,“ fagte Eoligni,
das Blatt entfaltend, und las dann eifrig.
„Ihr feib warm empfohlen,” ſprach Coligni nach einer Pauſe,
in der er ben Brief burchgelefen, „und Maugiron's Empfehlung güt
viel bei mir, junger Mann; hr. bringt mir wadere Kämpfer und
_ woblberitten, wie ber Capitän jchreibt. Wie viel finb’& ihrer?‘
„Hundert, gnäbiger Herr,’ verſetzte Jener.
„Und Euren Muth und Arm bazu! Seid mir willfommen!
Habt Ihr fchon gefochten?“
„Unter Eurer Führung, gnädiger Herr, hoffe ih zum erfen
Male in meinem Leben ben Sieg erfämpfen zu helfen.”
Coligni Yächelte. Ihr habt die Schaar ohne Anfland bierher /
geführt; feid Ihr mit ber Mannfchaft zufrieden ?‘‘
„Sehr wohl.”
3 — 90 —
„Dann mögt Ihr der Führer bleiben im Feldzug und durch
Tapferkeit werdet Ihr mein Vertrauen rechtfertigen!“
„Mein Wille iſt gut,“ ſprach feierlich, die Hand auf's Herz
legend, der Jüngling.
„Wohl dann Euch,“ ſprach Coligni mit einem Seufzer, „denn
der iſt des Menſchen Himmelreich. — Doch faſt hätte ich etwas
Wichtiges vergeſſen, was auch Maugiron in der Eile, womit er
dieſe Zeilen ſchrieb, vergaß, — Euren Namen?” —
„Gui de Viole de Saint-Flour.“
Bei dieſen Worten, die der Jüngling laut und vernehmlich
ausſprach, fuhr, wie von einem electriſchen Schlage getroffen —
Acevedo herum — der bisher auch nicht die entfernteſte Notiz von
dem Vorgange genommen, nicht einmal ſich nach den Eintretenden
umgeſchaut hatte. Ein wildes Feuer loderte in ſeinem Auge. —
Er ſah den Jüngling an — und er erbebte. Seine Hände falteten
fih fo Frampfhaft, daß alles Blut aus ihnen zurüdtrat; fein Blid
baftete durchbohrend auf dem Süngling. Ein tiefer Seufzer arbei⸗
tete fich aus der Bruſt hervor, und fein Herz pochte fait hörbar.
Was mit ihm vorging, fah ber Admiral nicht, ber ihm ben
Nüden zumwanbte, und Gut war in biefem Augenblide zu fehr mit
ſich jelbit befchäftigt, um e8 wahrzunehmen, und ber Offizier war
abgetreten. Beide vernahmen nicht ben Ausruf, ben er jedoch auch
gebämpft ausftieß: „Großer Gott!!“ — 5,
„De Biole de Saint-Flour?” wieberbofte der Abmiral — „das
ift ein Name, ber einen hellen guten Klang in Franfrei bat.” —
„Er fand am Galgen auf Montmartrel” ſtöhnte halblaut
Acevedo, und eim Schauber burchriefelte feine Gebeine; aber fein
burchbohrender Blick wich nicht von dem Sünglinge, fein ganzes
Weſen war in einer fürchterlichen Spannung. —
| — ‚Dann feld Ihr ohne Zweifel ein Angehöriger des edlen
Barlamentsrathes be Viole, ben man ſo ſchändlich mißhandelte?“
— fuhr Coligni fragend fort.
70
— m — —
„Sein einziger Sohn!” ſprach Gui, und das freudige Bewußt⸗
fein, einem edlen Vater anzugehören, hob des Jünglings Bruſt.
Acevedo's Hände ſanken jetzt ſchlaff herab. Er fank in einen
Stuhl und ſeine Bruſt arbeitete fürchterlich. — Er lehnte ſich weit
vor und ſah mit unbeſchreiblichem Ausdruck in Gui's Geficht.
Dahn fuhr ſeine Rechte nah dem Herzen und ex flüſterte leiſe:
„Herr, Herr, du thuſt Großes an deinem Knechte! Gib ihm Kraft,
daß er es trage!” —
— ‚Dann feid Ihr mir zwiefach iwillfonmen,“ fuhr freudig
Sofigni fort, ihm feine Hand reichend. „Möge bes edlen Vaters
Sinn ‚und Geift und Muth in Euch neu aufleben, zu Heil und
Frommen unfere heiligen Glaubens! Ihr Habt ihn frühe verloren,
mein Sohn,” fprach er wohlwollend — „Frankreich, das undanfbare,
ſollte bint’ge Tränen weinen am Grabe feines ebelften Sohnes;
vor allen aber muß bie unfere Glaubensgemeinfdhaft; denn fie
"hat in ihm eine ihrer Fräftigfien GStügen, einen ihrer muthigſten,
edelſten und beredteſten Vertheidiger verloren. Er Hätte follen
an Beza's Seite zu Poiſſy flehen, und noch größer wäre unfer
Triumph, noch größer des eitlen, berzlofen Cardinals Niederlage
gewefen I’ —
Diefe Worte des Admirals brachten eine fürchterliche Wirkung
bei Gui hervor. Wohl hatten die Freunde Saler3 und Rabaub
auch ſchon bie Vermuthung gehegt, die tief betrübende, Gui's Bater
fei nicht mehr; wohl ‘hatte er felbft innig getrauert — aber bag
jugendliche Gemüth gibt fie nicht leicht auf, die beglückende Hoff⸗
nung, und immer trug fie Gui noch im ‚Herzen, dennoch einft ben
theuren Vater wieder zu finden. Jetzt traf ihn, fo entſchieden
ausgefprochen,, diefe Nachricht - unerwartet, und darum um fo
gewaltiger.
Coligniꝰs liebevolle Behandlung, die Erfüllung feiner aller-
Tühnften Wünſche, haften bie bleichen Wangen bes Jünglings mit
dem Roth ber Freude feit langer. Zeit zum erſten Male wieber
— 0 —«⸗
gemalt — jett erblich er, wie eine Bei, und wuſne einen Stuhl
faſſen, um nicht zu ſinken.
„An ſeinem Grabe? ſagt Ihr, gnadiger Hear,” — rief er mit,
bebenber, fast erftidter Stimme. \
Coligni ſah fein Erbleihen und eilte, ibn zu halten. „Was
iſt Euch?“ fragte er beſorgt. „Wußtet Ihr nichts von des Edlen
Tode?“ —
Gui ſah ihn ſtarr an und ſchüttelte das Haupt, gewaltſam
die Thränen des Gefühles zurückhaltend, die hervorbrechen wollten.
„O, dann thut es mir ſehr wehe, daß ich ed gerade ſein mußte,
der Euch dieſen herben Kelch reichen mußtel” klagte Coligni; „allein
es iſt geſchehen und ich kann es nicht widerrufen — er iſt nicht mehr,
Euer: edler Vater; ich habe bie ſichere Kunde von Pleffis-Mornai,
dem treueften Freunde Eures Vaters.“
Da bedeckte Gui mit beiden Händen dag Geſicht und FHhıdhätg Taut.
Coligni bielt ben Jüngling, den er vom erſten Augenblick gn
lieb gewonnen, umjchlungen, und eine Thräne des Mitgefühleg zitierte
im Auge des Helden.
Der Aſtrolog war aufgeſtanden. In einer vorgebeugten Stellung”
fand er da, und es ſchien, als wolle er hinzyeilen, um den Jüng-—
Ling an's Herz zu drücken. Sein Geficht war leichenblaß, feine Lippen
zudten; Thränen ſtanden in feinen Augen, aber es waren feine Thränen
des Schmerzes — denn über ‚bie bleichen Züge de Mannes wor
eine Verklärung verbreitet — die aug einer andern, Quelle mußte
entſprungen ſein.
Coligni wandte fi jetzt zum erſten Male wieder zu ihm mit
ben Worten: „Wahrlich, Meifter, man möchte den Vater im Orgbe
beneiden um bie Trauer. eined wadern Sohnes!“
„Sei ſtark, mein Herz!” ſprach leiſe zu ſich Aceredo, ber
heftig zufammengefahren war, ala Cofigni ihr qugeredet. Mühſam
ſammelte er_ fig.
Einige Offiziere mußten ken Ton bed Schmerzes gehört babe
fie ftürzten bereit unb betrachteten verwundert bie Scene, Ri
“
’
— 192 —
fi ihnen darbot, unb bei bem Anblick bes weinenden Süngfmgs flog
ein ſpoͤttiſches Lächeln Über das Geſicht des Einen,
Eofigni bemerkte es.
„Capitän,“ ſprach er ernft, „habt Ihr einen Bater, ben Ahr
findli liebt?
Der junge Mann fuhr zurüd vor dem firafenden Blide bes
Abmirala und bejahte verblüfft bie Frage.
„Dieſer junge Mann bat einen) Vater verloren, den er, den
Frankreich mit Stolz nennt, und erfuhr⸗ jetzt eben von mir die
Trauerbotſchaft. Dies zu Eurer Nachricht, und noch bie Bemer⸗
fung, bie Ihr nicht vergeflen wollet, ba wer einer Thräne fpotten
ann, keine Thräne verdient. — Laßt ung jet allein!" —
Tief befhämt entfernte er fidy mit ben Anderen.
Gui blickte auf. „Ich fühle es,“ fagte er, „daß ber Ausbruch
meine? Schmerzes bier nicht hätte flattfinden follen; verzeiht mir,
gnädiger Herr!“ —
Coligni ſah ihn mißbilligend an und ſagte dann: „Ihr habt
Euch Eurer Gefühle nicht zu ſchämen, dem auch den grauen Helben
ehtt die Thräne des Gefühles.“
Gui drückte feine Hand am fein Herz. Reden konnte er nicht.
' „Euer Verluſt iſt unerſetzlich,“ fagte nach einer Baufe Eoligni;
„Mein bebürftet Ihr jemals väterlichen Rathes, väterlicher Hülfe —
dann fuchet mih auf — ein Vaterherz findet Ihr dann immer!“
Acevedo konnte ſich jetzt nicht mehr halten. Raſch Irat er -
herzu und reichte Gui feine Hand, indem er mit bebender Stimme
fügte: „Und Bier biete ih Euch bie Freundeshand; verſchmäht
fie nicht 1”
Der Süngling ſah Ihn durch Thränen lächelnd an und drüdte
bie bargebotene Hanb herzlich.
Da ergriff’ mit fürchterlicher Gewalt ben Alten. „Gott,
Bott!" rief er aus, und eine heiße Thräne fiel auf bes Singlings
".
-
\ — 18 —
„Herr Admiral,” rief er dann biefem zu: „Fordert mein
Gerzblut, und es ift Euer!”
. Dann’ eilte er raſch ber Thüre zu, die nach bem Garterf
führte und verſchwand.
„Seltſamer, räthſelhafter Menſch pi fagte nachdenkend der
Admiral. „Wie gräßlih muß das Schickſal geweſen fein, das
. biefen Geiſt beugte und bie harte Rinde um biefes Herz legtel?''—-
Gui richtete ſich auf in einer heftigen Bewegung. „Wer war
ber Mann?” fragte er. '
„Das kann ich Euch nicht fagen, denn ich Tanne ihn ſelbſt erſt
kurz; allein daß er ein edler, großer Menfch tft, das weiß ich.’
Gui entſchuldigte fih noch einmal. „Schweigt, Herr de Viole,“
antiwortete dar Abmiral, „auch id war Sopn und verlor einen
edlen Baier.’
Er rief jebt feine Offiziere und ſtellte chnen Gui vor, empfahl
ihn ihrer Freundſchaft und entließ mit herzlichem Wohlwollen den
Juͤngling.
x
13.
Des Admiral warme Empfehlung erivarb Gui bie zuvorkom⸗
menbfte Behandlung bei den Offizieren, und das öftere Zufammene
fein mit bem Admiral, ber dem Sünglinge wohlwollte, bie Aus⸗
zeichnung, die ihm von dem Prinzen Condé bei ber Muſterung
bed Heered wurde, umb die Zuneigung, bie Mouvans, fein Obrift,
und der wadere Maugiron, der ber allgemeinften Achtung ob ſeiner
Thätigfeit- und Tapferkeit genoß, ihm bewiefen, machten feinen
Aufenthalt in Orleans angenehin, benahmen ihm wenigftend das
Ginerlei eines ruhigen Lagerlebens und die damit für viele ber
Dffigiere verbundene Langeweile.
Die erſten Tage feines Aufenthalts in Orleand waren traurzg
and forderten mitunter ſchmerzliche Opfer. Er ſollte heiter Igin
unier ben Fröhlichen, ſcherzen mit den Scherzenden, jubeln mit ben
_ m —
beim Gelage Jubelnden — und ſein Herz war ſo voll, ſo ſchwer;
‚ fein Gemüth fo düſter, fo wehmüthig feine Stimmung, daß er oft
meinte, das Herz müſſe brechen, während er fi) bemühte, eine
heitere Miene zu machen. . Hier hatte er noch Feine Seele gefunden,
ber er fein Inneres erfchließen Fonntee Maugiron war edel und
gut — er achtete, ſchätzte ihn; allein er ſtand duͤrch ſein reiferes
Alter-boch wieder dem Jünglingsherzen mit feinen ſchwärmeriſchen
Gefühlen ‚su entfernt; auch war ‚ihre Freundſchaft noch zu jung,
um Anfprüche auf ſolche gänzliche Hingebung machen zu Fönnen.
Allein mußte Gui fein ſtilles Web, den- boppelten Schmerz, ben
ber Verluſt des Vater und feiner Liebe feinem Herzen brachten,
tragen. An einem Nachmittage, wo Maugiron ihr gebeten, an
einem froben Gelage Theil zu nehmen, wo aber auch fein Gemüth
ganz beſonders wehmüthig geflimmt war, vermochte er es nicht, in
ber Reihe der Fröhlichen zu fein; er ſehnte ſich zudem nach einer
Stunde im Freien. Er, der dort in ber kleinen Hütte bei Salers
und Rabaud nie lange gemweilt, beinahe immer im Freien gelebt,
er war nun fchon fange in ber Stabt, ohne im Freien bie
erquidende Luft geathmet und dort Frieden gefucht zu haben für
das vielfach gequälte Herz. Darum eilte er hinaus vor die Thore
Orleans: aber da war Zelt an Zelt und ein wildes, regellofes
Treiben. - Eilenden Schritte ging er burch bie Zeltgaſſen hindurch,
bis er das Freie nun endlich erreichte Er ſah ſich nad, einem
ftillen Plägchen um und entdedte in einiger Entfernung einen
Hügel, der, mit Gebüſch bewachſen, eine freie Umficht verſprach.
Die Sonne war ſchon im Sinfen. Gluthroth malte fie der Himmel
und in mwunberooller Verklärung lag Orleans mit feiner Häuſer⸗
maffe, das Lager mit feinem bunten Leben und die ganze freunds
lihe Gegend mit bem breiten Silberbande der Loire vor ihm da.
Aber alle diefe Reize gingen faft unbemerkt für ihn verloren, ba
er bier einmal fiil und ungeftört feinen Empfindungen nachhängen
konnte. Seine innere, fo gewaltfam erfchütterte Welt that fich feinem
Blid auf, und fehmerzlich flel er auf, ein einfames Dafein, auf ein
’ ” X R
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— 108 —
im Lenze ber Jugend veröbete Leben. Diefe Betrachtungen drückten
ben Süngfing nieder. Er vermochte bie Thränen wicht zurückzuhalten,
die den Augen entquollen, und Alles, was ihn umgab, verſchwand
vor feinem Blid. Allmälig ſank bie Sonne hinab. Das Gluthroth
des Himmels verglomm. Die "Tinten. wurden immer tiefer und
gingen zuletzt in ein dunkles Grau über, das nur noch ein Purpur⸗
ftreifen fäumte. In immer dunflere Schatten ſank die Gegend, unb
der buftige Schleier. ber Dämmerung hüllte Alles ein. — Wie e3
außen bunfler wurbe, fo auch in Gui's Innerm. Immer düſterer
wurden bie Bilder feiner Phantafie, immer beflommener feine Bruft
— immer tiefer fein Schmerz. "
Plötzlich berührte eine bite Knochenhand bie feine.
„Saläm alächum! ſprach eine wibrige, Frächzende Stimme.
„Wer bift Du, daß Du mich ſtörſt?“ rief Gui und griff nad)
dem Schwerte, das an feiner Seite Bing.
„Eine fchmwere Stunde Deines Lebens iſt gelommen, Gui de
Viole,“ fagte die alte Adelma. — „Friede ſei mit Dir! Das mein
Wunſch. Ich halte Wort!“
„Willſt Du Dich meines Elendes freuen?“ fragte, von einer
widrigen Empfindung durchdrungen, Gui.
„Du gleichſt Deinem Vater, mein Sohn “ ſprach bie Alte,
mit hörbarem Schmerz; „auch Du ſcheuchſt die Herzen von Dir..
O, thue e8 nicht, Qui de Violel Adelma follte Dir grollen, denn
‚vielen ihrer Kinder grubft Du ein Grab. Der Sohn ber Wüſte
haßt und rächt fi wild — Adelma nicht. Sohn Deines Vater,
Du haft ihre Liebe geerbt. Sie trauert mit, Dir — denn er foll
todt fein. Er ſoll es fein — doch — er iſt's wohl auch. — Meine
Augen ſehen nicht mehr ar und die Todten ſtehen nicht auf. —
Sei ſtark, mein Sohn,” fuhr fie fort, und ihre Stimme verlor bag
Widerlihe — „ber Kelch iſt bitter. — Ich babe ihn auch getrunfen
— mein Herz empfand auch einen Verluft unermeßlich groß, und
empfand ihn mit einer Gluth, die Die fremb if — und feine
Hoffnung blühte ibm — wie Dir. Verzage nichtl Verzage nicht!
— 16 —
— Berlaß ben Ort bier, man harret Deine Das ce fie aus ber
Ferne ſchon und ber Ton verhallte.
Gui legte die Hand auf fein Herz. Es war ihm — als wäre
Frieden ihm gegeben.
Adelma war verfhwunden und er Tehrte ruhiger heim.
Sein Diener meldete ihm, daß Oberſt Mouvans ſchon zu dreien
Malen nach ihm geſendet habe.
Gui verließ ſogleich feine Wohnung, um dahin zu eilen.
Er trat in Mouvans' Gemach.
Da ſaßen drei Krieger noch um ihn — einer mit den Abzeichen
der royaliſtiſchen Armee, wie Franz von Guiſe, Saint-André und
der Connetable die ihrige nannten. Dies machte Gui betroffen,
denn er konnte es nicht begreifen, wie doch Mouvans mit ſeinem
glühenden Religionseifer ſo traulich bei einem n Feinde fiten könne.
Das Räthſel ſollte ſich bald löſen.
Mouvans und Maugiron traten ihm entgegen.
„Ihr habt lange auf Euch warten laſſen,“ ſagte ſanft ver
weiſend ber Oberſt, „wo wart Ihr doch?“
„Verzeiht,“ ſprach Gui, „daß ich nicht zu Euren Dienſten
war — es geſchah, ohne daß ich es beabſichtigt. Ich lebte in meiner
Heimath flet3 im Freien, und fo ergriff mich heute ein wahres
: Heimweh nad) ber freien Luft, bie ich in Orleans nicht: athmen
kann. Auch muß ih um Vergebung bitten, Maugiron, daß ich
nicht Wort hielt!“
„Für's erſte Mal ſei Euch vergeben, wenn Ihr Euch zu sen
verſprecht,“ fagte, feine Hand drüdend, Maugiron.
Mouvans nahm wieder dag Wort.
„Hier iſt ein Edelmann, ber ſich ſehr gefehnt nad) Euch,
Hauptmann de Viole!“ Er führte ihn zu dem Fremden, vor befien
Ehrfurcht gebietendem Wefen fi Gut tief neigte.
„Darf ich fragen, was mich dieſer Ehre werth made?” fragte
Gui befcheiben.
Der Fremde antwortete nicht. Mit verfchränften Armen fland
.
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er vor Gui, ben das gerzenlicht beleuchtete. Es ſchien, als ob eine
innere Bewegung ihn am Reden hinderte. Sein forſchender Bid
ruhte unverwandt auf Gui's Geſicht. Enblich ſagte er:
„Ja, es find die Züge feines Vaters!“ — Doch dieſe Worte
ſprach er mehr zu fich ſelbſt, und erſt nach einer kleinen Pauſe ſetzte
er bewegt hinzu: „Als ich Euch zuletzt ſah, junger Mann, da waret
Ihr noch Kind und ein Flüchtling, wie Ener Vater.“
Gui fah in Scharf an. Es dämmerte eine Erinnerung in ihn.
Diefe Züge waren ihm jo fremd nit. Die Erinnerung wurde all-
mälig Tlarer, und mit bober Freude ſprach er dann fragend:
„Du Pleſſis-Mornai?“
„Ja, ber bin ich, Deines Vaters Freund!’ rief jetzt ergriffen
ber Fremde, und zog den Jüngling an feine Bruft.
Mit leuchtenden Blicken ftanden die Anderen umher als ſtumme,
aber innigft theilnehmende Zufchauer diefer Scene. Selbft über
bad büftere Geficht des anderen Fremden flog ber Ausbrud der
Ruͤhrung.
„Wie entſannet Ihr Euch doch des Namens noch?“ fragte
du Pleſſis.
„Ich ſah Euch ſo oft, und mein Gedächtniß hat mir Euer
Bild bewahrt und den Namen meines und meines uͤnglüdlichen
Vaters Reiters grub bie Dankbarkeit unauslöfchlih in mein Herz,”
fagte Gut.
Mouvanz Tonnte fi jebt nicht mehr halten.
„Brad, brav, Viole!“ rief er auß; „der verdient es; denn
ſeht, er bat uns bisher fo treue Dienfte geleiftet. im Stillen; unb
jet, wo bie Entfcheibung naht, tritt er öffentlich in unfere Reihen.‘
Du Pleſſis zog jetzt Gui an feine Seite. „Zwiſchen bamals
und jest, zwifchen bem Knaben Gut und dem Sauptmanne de Viole
liegt ein fo bebeutender Zeitraum,” ſagte er zu Gui, „und fo man:
ches mir dunkle Ereigniß, das ich wiffen möchte, baf ich Euch rechi
Bringend um deſſen Mittheilung bitten muß. Vergeßt dabei nicht,”
ſetzte er hinzu, „daß auch das Kleinſte mir von Bedeutung MI”
‘
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u — 108 —
Gui, der fich von der Theiknapme beg nahe Befreundeten fo
wohlthuend angelprochen fühlte, erzählte ihm num, während bie baei
Anderen in einem entfernteren Theile des Gemaches mit einander
eifrig ſprachen, bie Ereigniffe feiner Jugend big in das Fleinfte De-
tal. Nur ein verſchwieg er, und ein tiefer Seufzer füllte bie Lücke
au. Liebevoll und dankbar gedachte er der Freundſchaft Salers’
und Rabaud's.
„JIſt denn niemals nach Euch geforſcht worden? unierbrach
du Pleſſis ſeine Erzählung.
„Nur dunkel entſinne ich mich,“ ſprach Gui, „daß. einſt Ra—
baud von Grenoble kam und die Nachricht milbrachte, daß man
unſere Spur ſuche; ſonſt nie. Unſer Schlupfwinkel lag fo ver⸗
borgen, daß unſere Feinde und nicht Teicht finden fonnten. Zudem
galt ich fir Rabaub’3 Sohn.”
„Eure Feinde?’ fragte bu Pleſſis. „Nein, die forſchten nicht
nach Euch; wohl aber Euere treueſten Freunde, Euer Vater und
ih! — Und nirgends entbedten wir Eure Spur.”
„D, mein ®ott, mein Gott!‘ rief Gui [hmerzlid aus. „So
nahe war mir bag höchſte Glück meines Lebens — und nun i3
für immer dahin!“
„Richt für immer, mein Sohn,” ſprach feierlich du Pleſſis —
„unſere Hoffnung, wenn fie auch hienieden ſtirbt — reicht über bag
Grab hinaus!” — |
Gui drückte gerührt feine Hand. „Ach,“ fagte er dann —
„erfüllt mir die einzige Bitte und fagt mir, was Ihr von ben legten
Schidfalen meines Vaters wißt!“
„Es ift wenig, was ich Euch fagen kann,“ nahm bu Pleſſis
das Wort, „denn meine Kunde reicht felbft nicht weit, Seit Eure
-Spur fih im Dunkel verlor, wurben bie geheimen Nachrichten von
Eurem Vater, die ich durch DVermittelung des Cardinals von Cha-
tion erhielt, feltener. Einmal hörte ich durch eine Zigeunerin etwaß
von Eu — aber ich mißtraute bem alten Weibe und bielt es fix
eine bei diefem ſchlauen Wolfe jo oft porkommende Liſt.“
‘
_ — 19 —
„D, der huͤttet Ihr trauen dürfen ſagte Gui, „es war ſicher
die alte Adelma, die genaue Kenntniß von unferer Familie Bat und
einen Antheil an mir nimmt, ber über meine Erwartung und Be-
gehe geht.“
„Barum wußte ich dag nicht!” rief Pleſfis. Wie wilrbe
dieſe Kunde ihn beglückt haben!“
Sie ſchwiegen Beide und verſanken · in ſchmerzliche Vorſtel⸗
lungen. a
Pleſſis nahm darauf wieder das Wort und erzählte Gui, wie
nun, nachdem Gui nirgends zu entdecken, auch Salers und Rabaud
verſchollen geweſen ſeien, auch alle Kunde von dieſem gefehlt und
ſelbſt der Cardinal von Chatillon, der die wärmſte Theilnahme für
ſeinen Vater vielfältig bewieſen, ſeinen Aufenthalt in England nicht
wieder habe ausfindig machen können. Ein Zufall, den er jedoch
feläft nicht ‚genau Ferne, habe endlich bie Kunde von Diele 5 Tod
dieſem gebradit.
Mochte Mouvanz, 'wahrnehmend die ‚traurige Stimmung ber
Beiden, fie diefer entreißen wollen, oder war es das .eigenthümliche
Feuer feines Temperaments, das ihn in biefem Augenblide hinriß,
er rief plößlih du Pleffis zu, wenn er mit feinem Gefährten ng
etwas zu reden babe, müſſe er .eilen, ba er fich entfernen wolle, um.
morgen zur Reife rüftig zu ‚fein.
Diefe Benterfuny unterbrach jenes Gefpräch, und erft jetzt er⸗
innerte fih Mouvans, daß Viole nicht einmal wiſſe, wer jener andere
Fremde fei.
„Montgommeril‘ fagte er, „ehemals ‚Hauptmann der könig⸗
lichen Leibwache.“
Gui betrachtete jetzt erſt aufmerkſam dieſen und ſah ein bleiches,
finſteres Geſicht, in das der Kummer ſeine leferlichen Schriftzüge
eingegraben.
„Seht in mir die unglücliche Urſache von König Heinrichs II. |
ſchauberhaftem Tode;“ ſagie Montgommeri zu Gui — „einen
*
⸗
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— 10 —
Königsmörber, obne ben Willen zu jener Greuelthat je gehegt zu
haben.
Er hatte nämlich bei einem Luſtturniere mit ſeiner Lanze den
‚König tödtlich verwundet, ber auch in Folge dieſer Verwundung
ſtarb. Montgommeri blieb ungeſtraft, weil willenlos und ohne alle
Abſicht er des Königs Mörder geworden war. —
Mitleidig ſah ihn Gui an. Man ſah, jenes Unglück, deſſen un⸗
ſchuldige Urſache er war, lag mit Centnerſchwere auf ſeinem Herzen.
Du Pleſſis zog ihn in ein Fenſter und ſprach eifrig mit ihm.
„Und wohin geht der Hauptmann?“ fragte Gui Maugiron.
„Nach Rouen,“ ſagte dieſer. „Condé hat ihm ‚die Vertheidi⸗
gung des Orts anvertraut. Guiſe macht Miene, ihn zu belagern.“
„Laßt ung mit ihm gehen!“ fprach plößlich Gui eifrig. „Wo:
zu liegen wir hier im trägen Nichtsthun. Laßt und dort Lorbeeren
‚ fammeln! Coligni wird e8 ja geftatten.’ |
Maugiron legte bie. Hand an bie Stirn und fann nad).
„Wahrhaftig,“ fagte er dann, „Ihr habt ba einen herrlichen
Gedanken außgefprochen. Wer weiß, wann fih uns bie Bahn
öffnet! Es feblt Condé noch an Gelb und Leuten. Zwar hofft er
von bem Mannwſeib auf Englands Thron Unterftühung — aber
e8 dürfte fi) noch in die Länge ziehen, bis fie fommt, obgleich
Poinings bereit8 Havre und Dieppe befeßt und nun noch Rouen
. möchte in feine Hände haben. Eliſabeth eilt nicht.“ \
Er verließ jetzt Gui und fagte zu Montgommeri:
„Wie wär’ ed, wenn wir Beide, be Viole und ih, Euch be
gleiteten? Wollt Ihr und? Viole ſprach den Wunfch eben au, , und
ich theile ihn von Herzen.“
„Mit Freuden,“ ſagte Jener; allein ohne Condé's und des
Admirals Erlaubniß, wißt Ihr, darf ich nicht. Erwirkt Euch die,
und Niemand ſoll mir willkommener ſein, als Ihr, wadere
Kämpfer!”
Recht freundlich blicte bu Pleſſis auf den Juͤngling, ‚ und
gleicherweife Mouvans.
— 11 —
„Der Wunſch macht Euch Ehre, Viole,“ fagte ex zu ihm,
„denn in Rouen gibt es heiße Tage. Ich werbe Euch bie Stelle
bei Eueren Reitern offen halten und will morgen beö früheften bei
bem Admiral Euch vertreten — doch nein — Ihr mögt mich be
gleiten.“
Nun ſchieden fie mit frohen Ausſichten. Auf bie herzlichſte
Weiſe entließ bu Pleſſis den Juüngling.
Früh ‘am anderen Morgen trat Gui mit Mouvans in das
Gemach des Abmirals, bei dem fie ſchon Condé antrafen.
Kurz und bündig trug Mouvand Gui's Bitte vor.
„Ich kenne Eueren Wunfch ſchon, be Viole,“ ſprach freundlich
ber Admiral, „und zweifle nicht, daß des Prinzen Hoheit Euch dieſe
Bitte gewähren werde.“
„Seht in Gottes Namen!” ſprach Condé, „und Fämpft wacker
fuͤr unſere gute Sache. Haltet Rouen und laßt es Euch nimmer⸗
mehr nehmen!“
Jetzt war Gut’? Wunſch erfüllt, und nad Verlauf mehrerer
- Stunden ritt er und Maugiron neben Montgommeri an Mouvans'
Quartiere vorüber, ber ihnen Heil und Sieg wünfchte, ben Weg
nach Rouen.
Schon unterwegẽ brachten ihnen Kundſchafter die Nachricht,
daß das royaliſtiſche Heer nahe. "Schnelle Tagreiſen gab es nun;
aber fie erreichten Rouen noch zu guter Zeit mit ihren Truppen,
ehe noch das Tatholifche Heer fich bliden ließ. Auch Poinings warf
noch eiligft eine Kleine Anzahl Engländer hinein, zu Montgommeri's
Unterftügung, ber fich nicht ſtark genug fühlte, dem mächtigen Heere,
das Guife hierher führte, Tange zu widerſtehen. Eifrig wurde nun
an ber beſſeren Befeſtigungder Stadt gearbeitet. Montgommeri
war überall felbft; und wo er war, ba begleiteten ihn Gut und Mau⸗
iron und theilten feine Arbeiten, feine Mühen und Entbehrungen.
Er verfagte fich felbft den Schlaf, um feiner Pflicht zu leben und
bie Stadt in ben rechten Vertheidigungsſtand zu feben.
⸗
=
—- 12 —
14.
63 war in ben letzten Tagen bed Monat? September 1562,
ba eben die Arbeiten zur Befeftigung Rouens längs ben Ufern der
Seine unter Montgommeri’3 Leitung vollendet waren — als flüch⸗
‚tige proteftantifche Landleute in die Stadt flürzten und die Ankunft
beö feindlichen Heeres meldeten. — Montgommeri befahl fehnell
Maugiron und Gui de Biole, in-anderen Theilen ber Stabt bie
nothwenbigften -Vertheidigungdanftalten zu treffen. Der Züngling
flog dahin, ordnete die Anftalten auf's Vorſichtigſte und fehrte,
nachdem er ſich vorn Allem ſelbſt überzeugt, an Montgommeri’s
Seite zurüd, der auf dem Walle ftand und dem nähenden Heer
entgegen fab. Bald zeigte es fish in ziemlicher Nähe. Deutlich fah
man, wie bie Regimenter vorüber zogen, ihre Stellung in. einem
bedeutenden Halbfreis einnehmend. Der Klang kriegeriſcher Mufit
tönte luſtig berüber, und man fah die fliegenden Fahnen. Eine
‚bampfe Stille Tag auf Rouen. Auf allen Gefichtern. ſchwebte ein
finſterer Ernſt, der jedoch weit von Muthloſigkeit entfernt war.
Eine Ahnung Tünftiger ‘Leiden lag ſchwer auf allen Gemüthern.
Der Bailli, der Prevot, waren bei Montgommeri, an befien Seite
‚auch ber wadere Vertheidiger bes Evangeliums, Auguftin Marlorat,
der angebeiete Prediger des .proteftantiichen Glaubens, ftand. Un⸗
zäblige Menſchen bebedten die Wälle und jaben es mit an, wie das
‚Heer ber Hofpartei das Lager ſchlug. Montgommeri's Fallenauge
. .ntgingen bie Streitmaffen ‚nicht, bie fich dort entwidelten. Im
Stillen erwog er feine Kräfte im Gegenſatze jener, und fo nieber-
ſchlagend ihm auch bie. Einficht ber eigenen Ohnmacht wurde — fo
war dennoch heute feine Stirne glätter und fein Auge:heiterer als
je,:und er fcherzte felbft mit denen, bie ihn umgeben.
Aller Blicke flogen von dem Lager ber Feinde zu Montgom⸗
meri's Antlig, dort neuen ‚Grund gu Beſorgniſſen ober Ruth zu
ſuchen. Gewiß ıwar bed Hauptmanns und Befehlshabers Heiterkeit
von dem beſten Erfolg in dieſen kritiſchen Augenblicken.
— 18 —
Roh war daB Lager der Feinde nicht vollendet, als ber
Abend fi herabſenkte und manchem angftvoll pochenden Herzen
Ruhe verhieß.
In Begleitung Montgommeri's unterfuchten Gui und Mau⸗
giron die Poſten, und kehrten mit ihm zum Stadthauſe zurück,
wo Montgommeri ſein Quartier genommen. Dort angelangt, über⸗
raſchte ſie freudig eine Deputation der Bürgerſchaft und aller
Gewerke der Stadt, die den Commandanten baten, mit den Truppen
gemeinſchaftlichen Antheil an der Vertheidigung der Stadt nehmen
zu dürfen.
Montgommeri nahm mit Vergnügen dieſe Anträge auf. Er
ließ die Vorgeſetzten der Stadt zu fich beſcheiden. Die Liſten ber
waffenfähigen Mannſchaft wurden ihm vorgelegt, und mit Wohl⸗
gefallen vernahm der Commandant den bedeutenden Zuwachs feiner
Macht. Die Bewaffnung wurde angeordnet, mit Beihülfe der Vor-
gejeßten der Stadt, die Eintheilung ber Bürger beftimmt, ihre
Anführer ernannt, und ehe noch der Tag graute, war das Formelle
biefer "wichtigen Handlung vollgogen. Kurze Raſt gönnte fi Dont:
gommeri und genoffen feine beiden Freunde Maugiron und Saint⸗
Flour. Der Morgen rief zu neuer Thätigkeit. Art Maugiron und
Gui de Saint: Flour übertrug nun Montgommeri bie Vertheidigung
des Stadtiheiles, der jenſeits der Seine lag und mit ber Stadt
dutch die Seinebrüde in Verbindung ftand. |
„Gehet dort Hin, ‚meine Freunde,” fprah er, „wo Eure
Tapferkeit ein weites Feld finde. Es mag Euch nicht entgehen, °
daß gerade dort gewiflermaßen die Vorhut ber Stabt, alfo ein
gefährlicher, ‚ein um fo bebeutenderer Poften if. Erwäget darnach
das Vertrauen, das ih in Euch fee, und bie Freundfchaft, bie ich
für Euch hege. Ich lege Alles in Eure Hand, und was Euch, mein
theure Biole, an, Erfahrung noch abgeht, az erfebt Maugiron's
Umſicht, und ſomit geht mit Gott an's Werk.“
Gerührt von des edlen Mannes Freundſchaft ſchieden ſie und
nahmen ihre Stelle ein, die ganz das war, was Montgommeri vb‘
Horn’s Erzählungen. X. 8
— 14 —
ihr geſagt; denn gerabe in biefer Richtung finnb die Hauvtmacht
bes Feinde, und es war zu erwarten, daß bei einem Sturme dort
gerade der Angriff am hitzigſten werden würde.
Mit außerordentlicher Schnelligkeit war das feindliche Lager
aufgeſchlagen worden. Katharina von Weir, mit ihren Söhnen
Earl IX. und dem jüngeren Heinrich, ber Connetable und Satmt-
Aubroͤ und König Anton von Navarra, waren im Lager gegen
wörtig. Franz von Guiſe flanb mit einer andern Heeresabtheilung
bei Paris, Condéè und Golignt, bie noch immer in Orleans zum
derten, beobachtend und erwartend.
Schon am Morgen diefeg Tages erfihten als Barlamentär ber
Marauis von Tavannes an ben äußerſten Linen ber Bertheidigungs-
werke Rouens und verlangte zu ben Befehlahabern. Mit verbun⸗
benen Augen wurde er vor Maugiron geführt, ber ‚bereit an
« Montgommert Gui de Saint: Flour abgefendet.
Montgommeri lachelte, als ihm Gui feine Meldung machte.
„Die Antwort ftele ich in Euren Willen, fagt das Maugiron,“
wor feine Entgegnung, und in fliegender Eile kehrte der Jüngling,
der nach Thaten fich fehnte, zurüd,
„Sagt dem Connetable, ber Königin, dem Könige, ‚wir feien
treue Unterthanen Seiner Majeſtät — allein nie werben wir uns
freiwillig der Blutgier der Guifen und ihrer Partei unterwerfen,‘
ſprach Maugiron mit befonderem Troge zn Tavannes, „und nur
über unfere Leichen. gebe ber Weg nah Rouen. Sagt ihnen,‘
wiederholte er, „bad Alles auf’3 Beſtimmteſte unb fpart bie
Wiederkehr.‘
Er wandte ihm bann höhniſch den Rüden und fagte zu Gui:
„Laßt und eine Partie Schach fpielen, Herr de Viole!“ .
Tadvannes' Auge fiel bei Nennung dieſes Namens durchbohrend
auf Biole, er zauderte noch.
„Ihr ſeid entlaſſen!“ herrſchte ihm ſchneidend Maugiron zu
und ſetzte ſich an den Tiſch, auf dem das Schachbrett ſtand. Die
Dffizierg, die ben Abgeſandten begleitet hatien.,, verbanden ihm bie
Augen und führten ihn wieber vor bie Werke hinaus.
Die Belagerungsarbeiten ber Feinde wuchſen riefenmäßig und
ſchnell. Das Landvolk der Normandie wurde aufammengetrieben
und mußte Hand anlegen zum Verderben feiner Glaubensbrüder in
ber Staht, und bald begann ba euer bes Geſchützes ben grim-
migen Gruß der-Stadt zuzubrüllen. ‚Alles, was in Maugiron’g
Kräften ftanb, die Arbeiten außen zu hemmen, geſchah. Sein
wohlunterhaltenes und wohlgeleitetes euer zerflörte oft bie Arz
beiten mehrerer Tage in kurzer Zeit. Häufige Ausfälle thaten ben
Qelggerern heftigen Schaden und ſteigerten die Erbitternng auf's
Heftigſte
Katharina ſah es ungern, ah Rouen follte mit Sturm
genommen werben. Sie verfuchte Alles, was in ihren Kräften
ftand. Trotz ber Wachſamkeit Montgommeri’3 und Maugiron's
wußte fie dennoch ihre heimlichen Anerbietungen an die Bürgerfchaft,
die fie durch Montgommeri beherrſcht und geknechtet glaubte, -
gelangen zu laſſen; allein fie erſtaunte, al3 ihre Antwort ber glich,
bie Tavannes zutlcgebracht hatte. Immer näher rüdten inbeffen
bie Werke der Belagerer — größer wurbe im Innern ber volk⸗
reichen Stadt die Noth, da alle Zufuhr abgeſchnitten war und die
Belagerung nun ſchon einen Monat gedauert hatte Der Conne—
table, welcher von dem Herzog von Guife die bitterften Vorwürfe,
ob feine? Zauderns, empfing — wollte nicht mehr Länger zuſehen
- md ordnete emen Sturm an. König Anton von Navarra entriß
ſich den Armen der buhleriſchen Hofdamen Katharina's, um an dem
Sturme ritterlichen Antheil zu nehmen. Er begann mit dem grauen⸗
den Morgen gerade da, wo Maugiron und Gui befehligten. Mit
grimmiger Wuth war der Anfall. Ein mörderifches Geſchützfeuer
wühlte in ben Reihen. Der Wal war ſchon erſtiegen von Tavannes'
Leuten, als Gui mit ziner Abtbeilung Bürger und Engländer fi
auf biefe flürzte‘ und fie vernichtet. Mit gleichem Wuthe ftritt
man überall, und gegen Mittag zogen fich die Belagerer zurüd und
g*®
\
‘
- — 116 —
fiehen eine große Zahl ber Shrigen in den Gräben als Opfer des
Wagniſſes liegen.
Auch König Anton von Navarra war verwundet worden. Die
Wundärzte Achteten indeſſen diefe Wunde gering, und Anton, ber
nun an der Belagerung feinen Antheil mehr nehmen Tonnte, fand
Zerftreuung bei den Hofdamen. Unerwartet verfchlimmerte fich feine
Wunde, und nach wenig Tagen befehloß er eine Laufbahn ohne Ruhm,
und feine Thräne wurde ihm im Lager von Rouen nachgeweint.
Aber feit dem Tode Antond gewann bie Belagerung Rouens
‚ einen ernfteren Anftrih. Unermübet thätig war ber alte Mont-
morenci. Die Laufgräben mwurben eröffnet; die Minen der Bela-
gerer fprengten bie Vertheidigungswerke in die Luft; das euer
zerftörte fie umb brachte den Gebäuden der Stadt unerſetzlichen
Nachteil. Weit jeder Stunde wuchs die Gefahr ber Belagerten,
und bie Noth griff mit Riefenarmen um fi. Krankheiten ber
"gefährlichften Art im Gefolge des Mangels, der Entbehrung, -ber
Unruhe und Angft, wütheten gräßlich, fo unter ber Bürgerfchaft
al3 ber Befakung, und troftlofer wurde Rouens Lage mit jedem
Augenblide. Kummervolle Blicke richteten bie Befehlshaber in bie
Richtung von Orleans — aber fein Erſatz, feine Hülfe fam.
Unter biefen Umftänden ordnete der Connetable Montmorenei einen
Hauptflumm an.
Am Abend vor dem Sturme trat fpät ber Diener Gui'g be,
Saint: Flour in das Gemach feines Herrn, ber, erſchöpft von ben
unaufbörlichen Anftrengungen, fi in feiner Rüftung auf das Lager
geivorfen hatte, einige Stunden der Ruhe zu genießen. So ſchwer
e8 auch ber treuen Seele wurde, des Jünglings tiefen Schlaf zu
ftören — er mußte — benn ein unbefannter Menſch hatte ihm einen
Zettel gegeben, ben er fehr wichtig genannt, und ihm befohlen, ihn
augenblicklich in feine Hände zu bringen...
als ihn der Diener rüttelte, fuhr der Jungling haſtig auf.
„Was gibt es!“ rief er dem Diener zu.
%
⸗ — 1u —
Diefer erzählte die Umſtände und reichte Ihm dann das künſtlich
geſchloſſene Billet. Eine fefte Hand fchrieb: -
„Seid auf Eurer Hut! Montmorenci flürmt morgen. —
Schont Euer Leben, Viole; Rouen könnt Ihr nicht halten.
Sichert Euch den Rüdweg, die Rettung!“
„Wirf ihn“ in die Flammen eg Kamine, ben entehreuden
Brief!“ zürnte der Jüngling und verließ das Lager, um zu
Maugiron und Montgommeri zu eilen. Doch kehrte er wieder
um, ſich genauer nach demjenigen zu erkundigen, der die Zeilen
gebracht.
Der Diener fonnte ihm jedoch nur Unzulängliches ſagen, und.
unbefriedigt eilte er von bannen.
Noch graute der Tag nit, da rückten leiſe und vorfichtig die
Truppen des Connetables an. Schlagfertig barrie in tiefer Stille
ber Theil ber Beſatzung, ber noch waffenfähig war, unter den—
Befehlen. Maugiron’3 und Gui's. Sept, gls bie Feinde nahe waren,
bonnerte mit einem Mal ihr euer mit entjeglicher Gewalt unter
fie und fie wien. — Froher Aubelruf ertönte auf den Wällen; -
aber nur auf einen Augenblid; denn dicht, wie Heufchredenfchwärme,
drangen fie wieder an. Die Sturmglode von ber Kathebrale heulte
entjeglih in bie allmälig dimmernde Nacht. Das Geſchütz brüllte,
ber Schlachtruf ſchallte gräßlich von allen Seiten. u
„Kein Quartier!“ fchrieen bie Feinde. .
„Kein Quartier!“ brüten bie Belagerten entgegen. Sie
hatten den Wal erfliegen und -drangen unaufbaltfan herein.
Bräßlid war der Tumult. Da mehrte das in breien Theilen ber
Stadt ausbrechende Feuer das Schredliche ihrer Lage. Wüthend
kampfte Omi und Maugiron.
Ihre Schwerter mäheten furchtbar. Aber der Andrang war _
zu heftig. Sie wichen gegen die Seinebrüde zurüd. Nener mörbe-
riſcher Kampf entfpann fih da. Ein Wall von Leichen bildete fich
um fie — aber ihre Reihen, wurden lichter und fchmolgen von
Minute zu Minute mehr zufammen. Vergebens fahen fie ſich nach
— 18 — “ ”
Gräfe von Montgommeri, von den nglästbern um. Auf allen
Seitens Rouens wüthete ber Kampf, ‚überall ungtädtie für Me
tapferen Bertheibiger.
Allmllig gramte ber Tag und ließ fte das entfetzliche Schau:
fpiel erbliden. Bald erleuthteten graßlich die Rammen ben Kampf-
platz, bald Hällten bite Rauchwolken fie ein und broßten fie zu
erftiden. Schon waren bie Feinde in der Mitte ber Stabt — fie
war eröbert. Noch zeugen ſich Fampfend Gui, Maugiron und einige
ihrer Leute zurück, und trafen im dem Augenblid in ber Nähe !ves
Stabthaufes ein, als von ber andern Seite ein Schwarm Feinde
fie im Nacken anzufallen droßte. -:
Schnel warfen fie fih in das Gebäude und ſchlofſen das
Portal, nicht ermägend, daß fo ihr Zul um fo ficherer war.
Jetzt ſtanden bie Freunde einen Angenblie ba und überdachten
ihre Bag.
‚Anfer Stündlein iſt gelommen,” ſagie Maugion. ‚Baht
uns bie Serle Gott empfehlen und einen ritterfichen Tod Reben!”
In dieſem Augenblicke faßte eine unſichtbare Hanb Weide, ”
„Folget mir!” Pprach eine hohle Stimme.
Willenlos gehorchten Fe.
| Mit feichtiger Eile ging es hinab und hinauf, über lange
Gänge, und endlich öffnete ihr Führer eine Thuͤr und gog fie
hinaus. Und immer weiter ging es unaufhalkſum. —
Nach einer ziemlich langen Wanderung ſtenden fie am Ufer
ber Seine. Der Mann, den ſie jetzt erſt, wo die Sonne blutigroth
Über dern Greuel der Verwüſtung aufgegangen wur, beuflidger
erblickten, drängte fie in einen Kahn, ſtieß rafch vom Ufet ab, und
dahin glitt der Kahn und war bald, bei der ſchnellen Strömmmg
des durch herbſtlichen Regen andeſchwollenen Stroms, außerhalb
„Ihr ſeid gerettet fürs Erſte,“ Pprach dieſer jetzt, und ri
erkannte In ihm jenen Unbekannten, ven er einſt dei Goflkhi
0-0:
„Ihr habt Tuer Wort herrlich gehalten, edler Mann,’ fagte
u dankbter, „das Gr mir damals gabt, als ich Kuh bei
Tofigni fh.” |
DE Alten Auge ruhte moßlgefälig auf ihm. „Schade,“
fagte ex dann, „mern au daB Leben zweier tapferer Streiter noch
‚in ber unglüdlihen Stadt hätte verbluten ſollen!“
Weiter ſprach er nichts mehr. Sein kraftiger Rem ruberte
noch Immer den Kahn weiter abwärts, Im ber Entfernung ſahen
Fe jet nur noch die Rauchſaͤulen ber brennenden Stadt.
An einer Stelle, wo dichte Waldung fich bis zum Ufer herab:
. 308, legte Acevedo, denn er war es, ben Kahn an's Ufer.
„36 Tann Eu nicht Kinger dienen,” fagte a, „und muß
Euch nun Eurer eigenen Klugheit überlaſſen. Haltet Such heute
no in bem Walde verborgen und ſchlagt dann in ber Tonmmenden
Nacht den Weg gen Orleans ein. Merket Euch die Richtung von
Rouen und bleibt möglichſt weit von ber Stadt entfernt. Sott ſei
mit Euch 1” vief er auß, und fprang, ohne auf ihren Dank zu
hören, in ben Kahn und ruderte ſchnell hinüber an’? andere Ufer. '
Roh einen Gruß warf er ihnen zu und verſchwand dann im
Didicht, die Geretteten ihrem Nachdenken überlaſſend.
„Der arme Montzommeri!“ das mar Maugiron’3 erſtes
Bott.
„Er wird wahrfcheinli auch gefallen fein. Schade für ihn
— er wer ein tapferer Mann, ein Hedi” |
Die Freunde rrauerten um ihm aufrichtig. ,
Mangivon fragte na Ihrem Netter. Gui erzählte, was tr
wußte, und das war wenig. Sie dachten nun an ihre Sicherheit
und fuchten tiefer im Wald ein Dilicht, wo fie AG in einem
Fuſtande großer Erſchbpfung mieberlegten, unb nach :ben Heftinen
Anſtrengungen einer durchlampften und durchwachten Nacht, ta
wen tiefen Schlaf fanken, ber Re in ſeinen Feffeln gefangen Hielt
und faſt einem Zuſtande der Bewußtloſigkeit glich. Mer Abenb
nahte fon, und noch inuner Tehllefen die beiden Ermüdeten.
— 120. —
Gui erwachte zuerft und. fühlte. zugleich einen ungemeinen
Hunger und Durſt. Er richtete fih auf und ſah fih um. Alles
war bunfel um ihn. Er fühlte nach Maugiron. Der fchlief tod
feſt. Stören mochte er ihn nicht, und fo legte auch er fich wieder
auf bad Moos, das fie weicher dieſes Mal gebettet als das
weichſte Pfühl.
In dieſem Augenblicke dünkte es ihm, äls rege ſich etwas in
feiner Nähe. Er Horchte genauer und glaubte keuchende Athem⸗
züge zu vernehmen. Maugiron war es nicht; denn e8 kam von
ber andern Seite.
„Gui de Viole!“ rief jetzt eine: bekannte Stimme, „biſt Du
erwacht? — Siehe, ih bin Dir nahe in ben gefährlispften Stunden
Deines Lebens!”
„Adelma!“ rief freudig der Jüngling. „Lohne Dir Gott
Deine Treuel” |
„Stehe auf,” fagte fie, „und wecke Deinen Gefährten, denn es
ift Zeit, daß Ihr eilet. Die Verfolger waren Euch nahe genug.
„Die Verfolger? fragte erfchroden Gui.
„Ja doch,“ entgegnete die Älte. „Meinſt Du denn, cuere
Flucht ſei ſo unbekannt in Rouen? Ich bin dort geweſen, um, wo
möglich, Dich zu retten — aber ich ſah Dich nicht. Doch meiner
Söhne einer ſagte mir, daß Ihr, in Begleitung eines Fremden,
glücklich entflohen.“
„Ich eilte hierher, wohl wiſſend, welchen Weg ihr genommen
— aber ih ſah Euch nicht, auch Den nicht, ber Euch rettete, fo ſehr
ih es gewänfcht. Endlich entbedte ih Eure Spur und fand Euch;
aber zu gleicher Zeit fchallte auch ber Ton vieler Stimmen vom
Ufer ber. Ich fchleihe bin und finde ben greulicden Tavannes, ber
Euch verfolgen will. — Er kennt mich und fürdptet mich, ba Ich
ihm jo Manches prophezeibt, was ihm nicht gefällt, und, er forfcht
mic aus. Ich erzählte ihm, meine Horde liege in bem Wald und
ich weile ſchon ben ganzen Tag über hier. Spgleich fragte er nad)
Euch. Da habt Ihr einen Irrweg eingefchlagen, Marquis, fage
ER. 200 en 0 | ie ad
.
. D
— ia —
ich Abm; denn jeht, ba drüben am rechten Seineufer liegt im Sl
. ber Kahn, ber fie wahrfceinlich rettete — deutlich anzeigend, in
welcher Richtung Ihr fie zu fuchen habt. Die Augen des fchlauen
Fuchſes entdeden dag Schifilein, und alſobald Teuthtete ihm meine
Weifung ein. Sie fegen über und fuchen Euch nun bert. Daran -
mögt Ihr fehen, daß Eueres Bleibens hier nicht Länger iſt.“
Gui hatte ber Alten mit ſteigendem Erſtaunen zugehört. Er
wedte Maugiron; aber dieſer nahm Anſtand, fi) ihr anzuvertrauen.
Gui verpfänbdete fein Ehrenwort für bie Alte, bie fi) dadurch
gewaltig gef chmeichelt fühlte, und da erſt folgte auch Maugiron der
Führerin.
Ihr Weg ging durch Dickicht, über Stock und Stein. Die
Alte humpelte ſchnell und unermüdet fürbaß; allein ſchon nach einer
halbſtündigen Wanderung erflärte Maugiron, daß er nicht mehr
weiter könne, weil er eine gänzliche Erſchlaffung und einen quälen-
ben Hunger und Durft fühle.
Die Alte lachte. „Da langet zu,” rief fie, umd reichte ihnen
ein rauhes Brod, das faft ungenießbar war. Gut fühlte fich gewiß
in eben dem Zuftande, wie Maugiron, allein er mochte nichts fägen.
Nun aber griff er Kaflig nach der Brodrinde, bie ihm bie Alte
reichte, unb aß fie mit einer Luft, als wäre es bie köſtlichſte Speife.
Adelma, die bie Gegend genau kannte, fehaffte auch Waſſer,
und neu geftärkt traten fie dann wieber ihre Reife an. — Doch
ver fonft fo heltere Maugiron, der im jedem Ungemache fcherzen
konnte, war einfilbig und düſter. Das Schiefal Rouens, ber Tod
Montgommeri’3, ben er als gewiß voraugfegte, ſchmerzte ihn tief.
Er äußerte dies gegen Gui, als biefer. nach dem Grunde feiner
Berfiimmung gefragt hatte. .
„Da habt Ihr wohl Urfache zu trauern,” ſprach in ihver
gewohnten Art bie Alte. „Adelma ift dort geweſen und bat Greuel
der Verwüftung gefeben, vor ber ihr ſchauderte.“ _
„Großer Gott!” rief Maugiron erfhüttert aus, „das muß
.— 12 —
ſhredlich geweſen fein, "term 2b ſelbſt ein Zigernnerhetz zum
Schaudern "briaitel”
"Die Alte ſchien es zu überhören, ober wollte eb nicht Hören.
Sie ſchwieg.
Gui bat leiſe ſeinen Genoſſen, fie nicht zu beleidigen. Ste
allein dann uns vor Irrwegen frchern, uns retten, ba wir von
Feinden umgeben und des Wegs nenfundig find. Thut es um
meinetwiſlen, Maugiron,“ Sn er. "3 din ber Alten ve
verpflichtet.“
Maugiton lachte. „Meint Ihr dena, biefes Zigenneruoit Habe
fo feines Ehrgefühl wie Ahr?” fagte er lachend.
„Mas will ich nicht unterfutchen,“ entgegnete Gui; „allein
auch unter ber bichten GErdkruſte liegt oft ber Diamant, und warum
wett Ihr jeden Zinzelmen verbammen, wern ein Volk ijchbecht iA”
„Seid rubig, Violez Ahr nehmt warmen Antheil an ber Alten;
aber glaubt Ihr, daß fie bort in Rouen, um menfchenfreunbliche
BZwecke zu erveichen, herum ſtrich ober um im Raüben leichter zu
‚ Ülgent“ —
Adelma war weit voraus — fie vernahm ihre Unterredung
micht. Jetzt blieb ſie ſtehen, um Athen zu ſchöpfen, und Gui
mußte ſeine Vertheidigungsrede, bie er eben ihr zu halten ſich
anjchidte, unterdrücken.
„Glaubt mir,“ ſagte ſie in ihrer frühern Erzaͤhlung fort⸗
fahrend, „daß Euere Landsleute in Rouen grimmiger gewüthet als
Barbaren. Ich ſah Säuglinge morden, Weiber und Jungfraueu
ſchänden, Häuſer anzünden — Greiſe würgen — ich ſah — und
mir lief's eiskalt über die Haut, einen Greis von hohem Alter und
großem Berbienfte, den edlen Marlorat, am Galgen!“ —
„Marlorat!“ riefen in büfterm Scähmerze Beide wie mit dner
, Stimme.
„Ja,“ fuhr Adelma fort, ſo war e3.- Und was meint Var,
daß bie Ernte dieſer Seat fein wirdy“ —
„Du wirft uns zulegt eine politifche Offenbarung - geben
. — 18 —
welter] ® tief jeht Maugtron; „Taf das Keber unb- füge uns,-%6
Ta ven Hunptmann Montgommeri Bermi? "'
„Den, ber ten König aufjpiehte im Turnier?“ — Tragte he
— „ja, ben Tenne ih — er vertbeidigte bie Stabt.”
„Mrd weißt Du, was aus ihm gewoördend“
„Er iſt der Strafe entgangen, bie den Hauptmann se Trofe
traf.” —
Mangiron etſtaunte über deß Weibes Kenmniß; aber eine
innige rende erfüllte fen Herz, da er Montgommeri gereiltet
wußte.
„Iſt es aber auch ſicher, Du a, fragte er, „daß Mont⸗
gommeri gerettet AR?‘
„Ich Lüge nieht, Hanpimann,“ fagte fie unmuthig. „Es war
mein eigener Sohn, mein eilfter füge ich, der ihm durchhalf.“
„Möge ihm der Hauptmann riichlich Iohnen, dba ber Lohn
des Himmels nicht Beil Tlingti” rief jeht beiten werdend Raugiron
aus — „wiihrlich,“ Tehte er binzn, „Du Alte haft Verbienitel Mer
Alf wackere Söhne ber Welt ſchenkte, die jo tapfer bie Gefakfeien
zu enkkleiden wiffen und mit ben mttleidigftien Bögen, ben uber,
von Schlachtfeld zu Schlachtfeld ziehen und mittlerweile Elſtern⸗
tugenden Üben — ber verbient ein Denkmal 1” j
„Ihr folltet des Atters nicht fpotten, Hauptmann,” ſPrach
fest Tcharf verweifenb bie Alte. „Es if. im mindeften Betrachte
nit edel. An Anderes mag ich Euch nicht mahnen!“
„Run, nun, Miütterchen, werbe mir nicht gram! Sieh’, ich
biete die Hand zum Frieben, und will Die fie fogar mit ritterficher
Eourtoifie Fühlen, wenn Du es verlangt. Auch gebe ich einem
Deiner Eilfe ober Allen bie Erlaubniß, alles Geld, mE fie bei mir
farben, werm ich werde gefallen fein, von Rechtswegen zu behalten 1"
Die Alte Tonıtte doch ein Lächeln nicht verbergen über 'ven
fomifchen Ausdrud bed Hauptmann, unb ber Friede war hergeftellt.
Während Maugiron mit ber Alten fcherzte, ging Gui nad:
benfend und ſtille neben ihm ber. Er dachte an jenen Haupt:
—
— 124 —
manı de Croſe, ben er in einem Ausfall als tapfern und menfd-
lichen Soldaten Tennen und achten gelernt hatte. „Was follte ihm
das Todesurtheil zugezogen haben?“ fragte er. fi felbft und dann
laut bie alte Adelma.
8," fagte fie, .. „wißt Ihr denn nicht, daß er auf Condé's
Befehl Havre in ber Engländer Hände Tieferte? Dafür bat ihn
ber Connetable viertheilen laſſen.“
Zwiſchen ben Freunden entſpann fi nun ein lebhafter Streit
über bie Rechtmäßigkeit ober Unrechtmäßigleit bed Todesurtheils
über Croſe. Maugiron war empört über jene Handlung Condé's,
er nannte fie frei einen Verrath an Frankreich — ja er ſiellte den
Herzog von Guife gegen Condé, der Frankreich von feinem
GErbfeinde befreit batte, und diefer lieferte ihm einen Hafen von
fo großer Bedeutung aus, ber die Seine beherrfchte und ihm ben
Weg in das Herz Frankreichs babnte.
Der alten Abelma war nichts, was auf bie jegigen Berhält:
niffe Einfluß hatte, unbedeutend. Sie borchte begierig auf bie
Streitenden. Doch wurde ihr Neben enblih zu laut und fie
mahnte an bie nothiwendige Klugheit in ihrer gegenwärtigen Lage,
was bie beiben wohl einfahen und befolgten.
In gerader Linie hatten fie ununterbrochen ihre Wanberung
fortgefegt, denn Adelma wußte fo geſchickt die beiden Männer in
Zigeuner umzuwandeln, daß auch Fein Auge fie zu entbeden
vermochte, und nad einer Iangwierigen und höchſt ermübenben
Fußreiſe erreichten fie endlich Orleans, wo noch immer bag huge:
nottifche Heer ftand, in gleicher Unthätigfeit wie früher. Es beburfte
eined Ereigniſſes wie die Eroberung und Zerfiörung von Rouen,
und bie Ankunft deutfcher Hülfsvölker unter ben Befehlen bes
Herrn don Andelot, Coligni's Bruber, und bed wadern Rodels⸗
bauffen, um endlich neues Leben in biefe todten Maſſen zu bringen
und Energie in das erſchlaffte Weſen.
-
x
— 155 —
Conds und Eoligni jaßen vereint in ernfter Berathung über die zu
thuenden Schritte, nachdem b’Andelot angelommen war. Die Un:
gewißheit über Rouens Schiefal lag fchwer auf ihren Herzen. Roc
war Feine Kunde zu ihnen gelangt über beifen Fall, und fie ſchmei⸗
“heiten fich mit dem jeht möglichen Entfab, und befpradjen bie
ſchnelle Ausführung dieſes Planes eben, als man zwei Zigeuner
meldete, bie, wichtige Nachrichten von Rouen bringend, fie nur dem
Admiral oder Conde’n eröffnen wollten.
Sie wurden bald vorgelafien.
„Welche Kunde bringt Ihr?“ fragte Conde haſtig. ‚Kommt
»Ihr aus ber Gegend von Rouen?’
‚Aus Rouen ſelbſt,“ antwortete der Aeltere der beiden ‚Zigeuner,
— „das in ben Händen des Connetables iſt.“
„Das lügſt Du, Hund!“ rief Condé, aufſpringend und auf
ihn zueilend, „das iſt unmöglich, tapfere Männer vertheidigen bie -
Stadt I"
„Slaubt diesmal dem Gapitän Maugiron, den Ihr ja auch
tapfer genannt, gnädigſter Herr, Rouen ift in Feindes Hand!”
„Maugiron? Ihr?“
„Leider!“ ſagte der Hauptmann - — „leider in ſchimpflicher
Verkleidung und durch eine an's Wunderbare grenzende Rettung
entgingen be Viole und ich, und wahrſcheinlich auch ber tapfere
Montgommert, dem allgemeinen Blutbabe — wollte Gott, ih wäre
auf Rouens Wällen gefallen!’
Höchſt betroffen fanden beide Anführer der Hugenotten da.
Sie traten kaum ihren Ohren, als Maugiron nun ba8 erzählte,
wovon er Augenzeuge gewefen, und was er von Abelma, berem
Wort doch in der letzten Zeit bebeutenb an Zuverläffigkeit bet ihm
gewonnen, gehört hatte.
DODen Admiral betrübte dag Ereigniß tief — doch ertrug er ch
ſtill und männlich. Condé klagte bald, bald fluchte und ſchwur er,
blutige Vergeltung an Paris zu üben, und Marlorat’s und Croſe's
Tod furchtbar zu- ruchen.
v ‘
— 120 — U
Coligni kaunte fein Temperament, das von einem Extreme zum
anhern fprang, und ließ ihn ‚gehen Im Stillen nung ex ben
Stand ber Dinge, una war nur in fo fern mit Condé einig, bag
es jept an ber Zeit ſei, entfcheibend zu handeln.
Maugiron und Gui be Viole verloren nichts in ben Augen
ber Anführer. Aus ihren Erzählungen und aus ber langen Dauer
ber Belagerung ging ea bervar, daß tapferer Widerſtand war ge-
leiftet worden.
Einige Tage nach ihrer Rückehr in's Lager der Hugenotten
kam auch Montgommeri an und beftätigte alle ihre Auaſagen auf's
Getreueſte. |
Freudig war bad Mieberfehen ber drei freunde. Sie
hatten ſich gegenfeitig für tobt "amgefehm und aufrichtig
betzauert. —
WS die Nachrichten von Rouen im Heere ber Qugenotten
befannt wurden, flieg die Erbitterung gegen bie Katholiken furchtbar.
Laut verlangte das Heer, endlich in's Feld geführt zu werben,
und die Heerführer ſahen fich genöthig, dem Wunſche Gewährung
zuzugeſtehen.
Coligni, den kein Ungemach beugen konnta, war unermübet
thätig zur Eröffnung bes Feldzuges. Conde kümmerte fich meniger
barum, Sein Gemüth war nod immer in ber größten Spannung;
und ob auch Coligni ihn noch ſo ſehr bat, nicht des Connetables
Grauſamkeit mit Gleichem zu vergelten, fo vermochte er dennoch
den Grimm des Prinzen nicht zu mäßigen über Marlorat's Mord,
ben er perfönlich ſehr hoch geſchätzt und Croſe's Blutgericht, ber
nur ber Bollftreder ber Befehle des Prinzen geweſen. Er lieh
öffentlich als MWiebervergeltung ben Parlamentsrath Jean Baptifte
Sapin, ben er in Orleans gefangen bielt, unb den ihm in bie Hänbe
geratbenen Abt von Gaftined, Jean be Troyes, auffnüpfen.
Die Unternehmungen der Hugenotien waren überhaupt von
unglüdligen Unfällen begleiti. Rouen war gefallen, nur «Lyon ’
“und Orleans waren von den bedeutenden Stäbten Frankreichs neh
— 121 —
in ihrer Gewalt. Die Engländer, mit denen Cendé jenen unglück
feligen Bertrag gefchlofien, und denen er Havre und Dieppe über:
lieferte, exflillten ihre Verſprechungen nicht fe, wie je geleiftet.
und von Coubb: aftwartet wurden. — Die Ariegsnäller, die Duvas
aus Guyenne beranführte, wurben von dem gramfameen MWentluc
geſchlagen und zerſtrent, unb nur bie Ueberreſte fammelte eroche-
foucauld und führte ſie gen Orleaus.
Alle dieſe Mißgefchicke waren: aber nicht im Stande, Galigni’s
Helbenmmuth web ben ber Seinen zu untergraben. — Höchſt erwunſcht
waren daher bie 8000 Deutſchen, die b’Andelot heranführie, abgleich
auch fie vielfach gelitten, und nur nach unbeſchreiblichen Muͤhſelig⸗
. Beiten es ihnen gelang, Orleans zu erreichen.
Neuer Muth belebte das Heer, ala bie Rachricht des Solbigen
Aufbruches fich zum verbreiten anfing. Jubel unb Frohlocken war.
überall Auch Gui und Maugiron, bie nichts winfhten als Krieg,
um die Lorbeeren des Sieges zu ernten, fahen e& mit Freuben,
Das hugenottifche Heer. brach endlich auf und erſchien plöglih .
vor den Thoren von Paris, wohin ber Hof nach der Eroberung
Rouens zurüdgefehrtt war. Allgemeiner Schreden ergriff Paris,
als es die Feinde vor feinen Thoven fah. Der Hof zitterte, indem
er die gerechte Rache der Hugenotten fürchtete und aus Condé's
Handlungen fchliegen zu müſſen glaubte, was bie Hugmotten thun
würben, wenn Paris in ihre Hände fiele. Schnell knüpfte man
Unterhandlungen an, die fich in eine für bie Hugenotten fehr nad:
theilige Länge zogen. — Der firenge Winter trat indeſſen ein. Paris
war ununterbrochen befeftigt worden. Sechstauſend Spanier maren
zum Heere des Hofes geſtoßen, und die-Unterhandlungen zerfchlugen
* endlich ganz.
Condé's Heer hatte viel gelitten. Er ſah fich in bie Roth:
wendigkeit verfeßt, fich in die Normandie zu ziehen, um neue Kräfte
zu fammeln und- die englifchen Subfidien zu erzwingen. \
Kaum aber war Condé von Parid abgezogen, als bie bei
- weitem ſtärkere royaliftiiche Armee ihm auf dem Fuße folgte.
—
15. N
Es war am 19. December, als beibe Heere unweit ber Pleinen,
aber alten Stabt Dreur, an ben Ufern ber Blaife, einander im
Angefihte fanden.
Coligni und Condé rechneten an biefem Tag auf feinen An-
griff; deſſenungeachtet ftanb ihr Heer ſchlagfertig.
Unvermuthet griffen die Feinde das Heer ber Hugenotten an.
Auf die Reiterei, die befte Heeresabtheilung ber Hugenotten, flürzten
fi die Feinde mit flürmifher Gewalt — aber mit Heldenmuth
wurde ber heftige erſte Angriff zurüdgejchlägen und bie feindlichen
Truppen geworfen.
„D'rauf, Kinder!’ rief Mowvans freudig, „nie fliehen I”
Gleich dem reißenden Walbftrome ftürzte fich Mouvans Regi⸗
ment auf die Schweizer, bie wie ihre Berge ſtanden und vom Alten
Connetable von Montmorenci felbft befehligt wurben. Mörderiſch
wiütheten die Hugenotten in den Reihen ber Schweizer, die endlich
zu weichen begannen. Mouvans' Auge fpähte nur nach bem Conne⸗
table — jebt erblidte er ihn... Gui de Viole, ber an feiner Seite
kämpfte, erhielt fchnell den Befehl, fich enger an ihn anzufcließen, -
und im faufenden Galopp ging’3 weiter — jekt war der Eonne
table erreicht, von Gui's Reitern umzingelt. oo.
„Ergebt Euch!’ Fchrie ihm grimmig Mouvans zu, indem er
ben Säbel über feinem Haupte ſchwang.
Der Connetable, wohl einfehend, daß er verloren fei, ergab
fih an Mouvand und wurde von Gui zugüdgeleitet, ber alfobald
wieder freudig mit feinen Leuten in das Treffen zurückkehrte. Conde
hatte das Mitteltreffen des Feindes gänzlich gefchlagen, fein Fußvolk
zerfplittert — aber allzu bikig im Verfolgen des Sieges, ben er
zu feinen Gunften fchon entſchieden glaubte, fein Fußvolk ſelbſt
entblößt.
Wie ein Tieger flurzte ſich Franz von Guiſe, dies bemerkend,
mit ſeinen Gensd'armes auf daſſelbe und ſchlug es in eine regel⸗
N
— 19 —
loſe Flucht. Saint Andre warf fich Jetzt zwiſchen die hugenottiſche
Reiterei, bie noch das feindliche Fußvolk verfolgte, und bie Fuß:
vbller, unter denen Guiſe mähete mit unerhörter Wuth — und
plizlich ſah ſich Condéẽ im Rücken angegriffen. Seine Reiterei war
zerſtreut. Er mit Wenigen allein, ſein Pferd war ohnedem ver⸗
wundet, konnte nicht Stand halten und wurde von dem Sohne des
Connetebles nach hartnaͤckiger Gegenwehr gefangen genommen. Der
Royaliſten Yubelgefchrei erfüllte bie Luft; ber Sieg ſchien ſich auf
ihre Seite entſchieden neigen zu wollen.
Coligni, der nie größer war, als im Unglücke, ſammelte hinter
einem Gehölze dag flüchtige Fußvolk und ſetzte über die Blaiſe,
von Neuem bei dem Dorfe Blainville das Heer des Hofs angreifend.
Mouvans kämpfte noch immer muthig mit Saint-André und zog
ſich kämpfend auf das Dorf zurück, wo Coligni ſich mit ihm ver—
einigte und ein neuer heftiger Kampf ſich entſpann, der hartnäckig
bis in die Nacht dauerte. In dieſem Kampfe fiel Saint Andre.
Mit Einbruch der Nacht zog fi Coligni zurüd. Der Gieg
mar unuentſchieden, dev Verluſt gleich groß atıf beiden Seiten. Das
Schlachtſeld war weithin mit Todten und Verwundeien bebeeft.
Auch Gut lag ſchwer verwundet, unter feinem Roſſe, das zu gleicher
Zeit mit ihm tödtlich verwundet worben par.
Die Nacht jenkte ſich kalt über das Schlachtfeld herab, bie
ſchreckliche Lege der Schlachtapfer noch burd Ihre Kälte nermebrenb.
Auch die Royaliſten hatten fi zurfdgegogen und die Verwun⸗
deten ihrem Schickſal überlaffen.
Hell und glãnzend waren die Sterne herauhezegen. Ein
ſchneidender Oſtwind blies über das Schlachtfeld hin, wo der Tod
in tauſend Geſtalten ſeine Opfer geſucht und gefunden, und
gräglich tönte dad Winmern und das Aechzen der Sterbenden und
Berwunbelen. _ | |
Haufenweife Trocken fe zufammen, bie Unglücklichen, Freunde
und Yeinbe, und ſuchten Wärme in ber fehreflichen Nachtkälte, und
Horn’s Erzählungen. X. 9 -
-
4
— 10 —
Mancher, für den noch Rettung möglich gewefen wäre, farb einen
. gräßlichen Tod.
Gut lag befinnungslos unter feinem Roß. Er war ſchwer
verwundet. Nur einmal fam er zur Befinmung, aber der Schmerz
raubte fie ihm bald wieder — denn ein feindlicher Sübel hatte
einen’ furdätbaren Hieb über feinen Schädel geführt, und nur durch
bie Wendung der Klinge auf der Hirnfchale war er dem augenblid-
Vichen Tod entgangen. Daburch aber war gerade bie Wunde fürd-
terlich groß und breit geworden. In dem Augenblide ber Beſinnung
zog er bie Dede feines Pferdes über die Flaffende Wunde und fiel
wieder in Ohnmacht, und ben Jammer ber Unglüdlichen deckte der
dunfle Schleier ber Nacht, die fich in anderer Weife auf Manchen
für dieſes Leben herabfentte. .
16.
Eine fehr wahre Bemerkung war ed, bie Maugiron einft über
das halbwilde, heimathloſe Volk der Zigeuner gemacht hatte — es
folgte in den kriegeriſchen Zeiten, wie der Raben Schwärme, den
Schlachtfeldern, um die Gefgllenen zu berauben. Ihr ſeltſamer,
durch finſtern Aberglauben gleichſam geheiligter Umgang mit ben
Menſchen, ihr herumſchwärmendes, regelloſes Beduinenleben weihte
ſie bei ihrer Schlauheit in die tiefſten Geheimniſſe ein, machte ſie
ben Menſchen weniger, als die Menſchen und ihre Berhältniffe
ihnen befannt, und fe hielten fie gewöhnlich auf des Todes Ernte
feld eine Aehrenleſe, bie ihrer Arbeitſcheu und Xrägheit oft auf
ange Zeit hinaus Vorſchub leiſtete. Hauptfächlic im. füblichen
Frankreich und in ben baskiſchen Provinzen ſich aufhaltend, burch-
zogen fie von ba ganz Frankreich und Fehrten mit reicher Beute
in ihre pyrendiſchen Schlupfwinfel zurück. Adelma's Horde, eine
ber mutbigften und flärfften, bie damals Frankreich durchzogen,
folgte in ruhiger Ferne bem Heere ber Hugenotten. Lüftern nadh
\
. — 131 —
u.
Beute, harrten Alle einer Schlacht. Die Alte allein verwimſchte
fie. Menſchlicheren, ja: edleren Gefühlen hatte einſt bas leidende
Herz bes Mädchens auf Saint: Flour fi geöffnet, wo bie vollen⸗
bete Weiblichkeit mit dem Hohen Reichthume ber fanfteften und
reinften Tugenden und Gefühle in Gui's Mutter als Vorbild ihr
leuchtete. Und ber Nachklang biefes reinen ‚Tone Hang, wenn
“auch nicht ununterbrogden — doch ſtark burch ihr ganzes Leben
fort. Sie allein dachte mit Schreden an eine Schlacht, in welcher
Gui, ihr Liebling, ihrer Mohlthäterin Sohn — ber Sohn bes
Mannes, ben einft ihr Herz mit aller ſüdlichen Gluth geliebt,
Schaden nehmen Konnte. Sie hatte von den Anhöhen von Montfort
die Schlacht beobachtet. Kaum fah fie bag Zurüdziehen der Heere,
kaum fiel ber ſchwarze Schleier der Nacht. über das fchredliche
Gemälde — ba brach die Horde auf. und nahte fich durch das Ger
hölze, das fich von ben Anhöhen von Montfort bis Blainvile und
zu dem Ufer ber Blaiſe berabzog, bem Schlachtfeld, um die Beute
zu ſammeln.
Mit einer Fadel in der Hand eilte fie über bag Schlachtfeld.
Eine bange Ahnung ſchnürte ihre Bruft ſo feft zufammen, daß fie
faft nicht athmen Tonnte, und doch mußte fie dem unbegreiflichen
innern Drange, folgen und eines ihrer Todtenlieder halblaut fingen.
Schauerlih Hang bie büftre Fchwermüthige Melodie, langſam und
abgemeſſen gefüngen, von ber bäßlihen Stimme der Alten. Sie
achtete nicht auf das Treiben ber Leute ihrer Horde. Sie beleuchtete
jeben Todten, jeden. Verwundeten, und irrte fo in allen Richtungen
über das Schlachtfeld. Schon zu verfchiedenen Malen war fie au
ber Stelle vorübergegangen, wo ber unglüdlihe Gui lag, und
batte ihn nicht entdeckt. Jetzt Fam fie zum dritten Male dahin und
zog bie Dede hinweg, die über feinem Haupte lag — und —
erfannte' ihn: Einen Inuten Jammerſchrei fließ fie aus und warf
fich dann jammernd über den Jüngling bin. Einige Leute ihrer
Horde eilten herzu, meinend, es ſei ber, von Alleh geehrten, Aelter-
mutter etwas Gcälimmms zugeſtoßen. Staunend fahen fie ihren
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— 182 — j
Sehmerz. Es Toftete fie Muhe, die Alte von dem Mörper zn trennen.
Sie unterſnchten ihn, und Einer fagte dam: „Befinnt Euch, Mutter,
ber, um ben Ihr trauert, iſt nicht tobt. Zwar iſt er ſchwer ver⸗
wundet, faft iſt fein Kopf gefpalten; laßt uns ihn verbinden.“
Die Alte wurde ruhiger. Sie unterfuchte ſelbſt ben Jüngling.
> Matt ſchlugen bie Pulſe — er lebte noch. Sie ließ ihn aufheben,
eh ihm etwas Mein einflößen, ihn ſchnell verbinden, Fo gut es
möglich war, und Iud ihn dann ben beiden Männern auf.
Sie wanderten num über das Schlachtfeld Hin, durch die
Blaiſe, an ber Stelle, wo eine Furt ben Durchgang mögli
machte, und Tamen nach Yanger Wanderung bei ihren Zelten an,
bie bei Montfort im Walde waren.
Dort angelangt, wurde Gui in der Nähe des Feuers fo gut
gebettet, als es möglich war, und nun von der Kunft, beren Mutter
Noth und Natur war, verbunden. Der Aeltermutter ſtanden einige
Mädchen, ihre Urenkfelinnen, mit forglicher Treue bei, indeß bie
Männer in fliegender Eile zu dem Schlachtfelde zurückkehrten.
Den angelirengteften Bemühungen ber Alten gelang es, den
Verwundeten in's Leben zurücdzurufen. Watt ſchlug er — aber
exit ‚gegen Morgen, das Auge auf, und erkannte bald bie Alte.
Sie jubelte, als fie es ſah, daß er in’s Lehen uräd:
gekehrt ſei.
„Siehſt Du, Gui,“ ſagte fie freudig, „bie alte Abelma halt
ihr Wort. Ste if Die nahe in ben ſchwerſten Stunden Deines
Lebens. O Dank dem Himmel, daß fie es lann!“
Gui dritte matt ihre Hand und deutete mach Oben.
„Rein, Du’ ftirbft nicht‘ vieffie aus. „Du berfft wicht ſterben
Deine Bahn ift noch nit am Ziele!“
Er ſchloß fen Auge wieber. Die Mübchen Torgten Tl
ſtärkende Brühen, bie Adelma ihm sinflöfte, und fo fchlummerte
er wieber im.
Ein allgemeiner Unwille war indeß bei den mannlichen
heile ber Horde voge geworden, als Ne bie Anweſenheit eines
Verwundeten verrahmen, den Adelma umter ihre Obhut: genommen,
Hr Sohn, der Smuptmann ber Horde, machte ihr bie bitterſten
Vorwürfe,
„Undankbarer!“ vier fle, „Du biſt wicht werth, daß Vich Deine
Mutter unter dem Herzen trug. Des Juͤngkings Mutter rettete
mih vom Wahnfinn und Tod, und- Du willſt, daß ich ihr Kind
bern Tode preis gebe!” Bu
Er ſchwieg befhämt. Dann fagte er: Wie willft Du ihn
fortbringen? — Wir müffen ſchnell nad; ber Dauphiné aufbrechen
und fo zwifcher beiden Heeren hindurch ziehen; denn bort links
ſteyt das Heer Guiſe's, und Coligni zog ſich nach der Normandie
zurück. Die Beute iſt ungeheuer, die wir gemacht. Wie wollen wir
ſie fortbringen und den Verwundeten dazu — da hier keine Sicher⸗
heit für uns iſt?“
„So ziehet hin und laßt mich hier bei ihm!“ fagte Adelma
bitter, und bei biefen Worten war ein Blick, in dem ſich Verach⸗
tung und Vorwurf ausſprach.
Der Zigeuner ging ſtille hinweg, ft außerhalb bes Zalten
wagte er ed, murmelnd feinem Herzen Luft zu machen; allein er
hatfe den Muth verloren, weiter zu proteflipn. „Flechtet eine Bahre
von Reiſern,“ befahl er zwei Sünglingen, bie aläbeld gehorchend
an's Merk gingen. |
Eilig wurden die Zelte abgebrochen, bie Beute anfgspadk und
Aller machte fich reifefestig,
VDer Hamptmann trat nun mit den Yünglingen und ber Bahre
zu Adelma. Ausgeföhnt durch ihres Wunſches Erfüllung, fah fie
jetzt wieber freuudlich auf ihren Sohn; ehe noch eime halbe Stunde
. verflöffen war, fuchte man umfonft eine Spur von ben wanberichen
Shönen ber Wune.
Pd
— 14 —
Ein Eilbote Guiſe's brachte eine Siegesnachricht im vollen
Sinne des Wortes nad) Paris. „Sonde if gefangen, bie Hugenotten
vernichtet!’ fchrie” jubelnd der fanatifche Pöbel der Hauptftadt.
Das Geläute aller Gloden verfünbete ben Sieg ber trunfenen
Stabt, und Tauſende firömten zum Hohen Portale von Notre
Dame hinein, ein Te Deum zu fingen für ben Sieg über bie ge -
mordeten Brüder.
Zn feinem einfamen Gemade faß an einem Solianten ber
Meifter Acevedo und las eifrig. Der fchöne, bleiche Knabe Gabriel
faß, das Köpfchen in die Hand geftübt, an einem Sehfter, und
fhien trübe Erinnerungen an ber Seele vorüberziehen zu laſſen,
denn das Mare, ſchöne Auge ſchwamm in Thränen. Da ſchlug ber
Ton des Geläutes an ſein Ohr.
„Hört,“ rief er plötzlich aufſpringend — „alle Glocken läuten,
was bedeutet das ?!“
Acevedo horchte. Er faltete dann feine Hände und rief ſchmerz⸗
voll: „O Gott, das iſt bie Siegesfreude Frankreichs auf dem n Grabe
ſeiner Kinder!“
Ein kalter Schauer rieſelte durch ſeine Gebeine und es
ſchüttelte ihn wie Fieberfroſt.
Gabriel ſtürzte herzu. Angſivoll fragte er: „Was iſt Euch?“
„Kind,“ ſagte der Alte, „Du haſt einen Vater im Gefängniß
— wie wäre Dir's, wenn Du hörteſt, die Gefangenen werben ge-
richtet, oder fie find es wirklich?"
Gabriel erbleichte. „Großer Gott, e8 wäre ſchrecklich!“
„Siehe, fo ift e8 mir,” fuhr Acevebo fort. ‚Dort haben
Menſchen gefochten, die mir unendlich theuer find. Leben fie noch?
Wer kann mir Gewißheit geben?“
.„Ach,“ ſagte Gabriel, Ihr Iefet ja in ben. Sternen —
fraget fiel”
Acevedo ſeufzte tief. „Ach,“ ſagte er bann, „ber Tag iſt nod
‘9 lang — und ed ift eine ſchwere Aufgabe, das eigne Geſchick zu
forſchen !“
— 15 —
" Er fiand auf, denn eine peinlichE Angft und Unruhe verfolgte ihn.
Da klopfte es leiſe an der Thüre bes Gemaches. Schnell
öffnete Acevedo. Eine Hand reichte einen Zettel herein und zog
bann bie Thüre fehnell zu, jo daß ber Alte es nicht einmal ſehen
konnte, wer es geweſen.
Haſtig trat er zum Fenſter und las.
Darauf: trat er zum Kamin und warf ben Zettel hinein —
aber ſeiner Stirne tiefe Falten glätteten ſich nicht.
Schweigend verließ er das Gemach. .
Gabriel legte die Hand auf's Herz. „Er iſt ſo gut,“ ſagte er
leiſe, „und leidet doch auch ſo viel, der Arme, und die Welt muß
ihm viel genommen haben. Ach, mein Vater! mein — — Gui!“
feufzte er und ſank wieder in feine Träumereien zurid.
Zur Königin begab fich der Meifter. \
„Kommt Ihr, mir Glück zu wünfcen, Acevedo?“ — fragte
mit triumpbirenbem Lächeln Katharina.
„Nein, ſprach feſt Acevedo — denn anders iſt das Loos
gefallen.“
„Wie?“ rief die Königin, „Ihr wolltet an dem Siege zweifeln,
den Paris mit Jubel verkündet? — Ahr?” —
„Ich,“ ſagte, ſich ‚gleichbleibend, Wcevebo. „Zwar noch hörte
ich nichts von der Botſchaft, bie Ihr wahrfcheinlich von dem Her:
zoge werbet erhalten haben; allein mag er Eurer Mojerät melden,
was er will — bie Sternenfchrift lügt nicht.“
„Und was meldet ſie?“ fragte halb” enttäufcht Katharina.
„Condé if: in Eurer Gewalt. — Montmorenci in ber
Eoligni’d. Saint Andre Hat fein Geſchick erreicht, wie ih End
verkundigt — aber es fen fieben Taufende in bem Heere
Guiſe's!“ —
Katharina flarrte Ihn an. „So Tügt ber Giegeßbericht; das
ift Teiln Sieg Guiſe's — obwohl es eiu Sieg für mich if.” —
„Wohl,“ ſprach Acevedo, „nenn Saint-André iſt nicht mehr, |
und ber, der ECuch — veigeht, Majeſtät, daß meine Zunge das
— 186 —
Gräßliche ausfpriht, — ber an Eure geheiligte Perſon frevelnd
feine Hand ldegen wollte, Euch in ber. Seine erfäufen zu wollen
außfprach — er folgt bald feinem Bundesgenoſſen. Allo ſpricht ber
Sterne Wort.“
Katharina's Züge nahmen einen erſchütternden Ausdruck as.
Alle Leidenſchaften, deren ihr Harz fähig war, fanden leſerlich
darauf gerieben. Krampfhaft bebte und zudte ihre, Lippe —
aber fie ſchwieg. Sie verſtand den Aſtrologen, ber fo Fakt, «fo
, rubig baftand, als ob tiefer. Trieben in feinem Innern je. — Der
Aufruhr ihres Innern ging vorüber, Sie wandte fish, lächelnd
zu Acevedo: „Und wie wird es dann warden?" —
Katharina wird: Frankreich „reisen fügte Neevedo, „Euer
eigenes Herz befimmt bag Wiel’
Eine Glorie verbreitete ſich bei biefem Gedanken über Katha⸗
rina's Züge.
„Was wiſſet Ihr von Condé's Geſchick?“ — fragte fie darauf.
„Sure Majeſtät vergißt es nicht, wie nahe ihr Condé ſteht.
Ihr vergebt ihm den see der Uebereilung, zu dem ihr Partei⸗
bap trieb.” —
_ „Und wenn id; ibm r mn binriehten ließe, weil x Havre an
Eifabeth; verrieth?“ fragte mit höhnendem Stolze bie Königin.
„Der Herr leitet wie Wafſerbäche dev Könige Herzen,“ ſagte
Acevedo, „Condé fällt nicht durch Exre Hand!’ —
„Was trieb Euch dann aber zu mir?‘ fragte fie mod
. einer Welle,
„Die Bitte, bag Ihr mir es geſtatten wolltet, in daB Lager.
Guiſe's zu: gehen, um Euch ſichere Kunde zu bringen!”
„Gs ſei, Acevedo!“ Tief fie aus; „doch ſeid klug. Sch lohne
königlich, vergeſſet es nicht.“
Acevedo's Miene verzog fi ſpemntiſch Er euntfernte ſich ſehnell.
Er ging zu Gabriel. Kind,“ ſagte er, „bleibe Du hier —
doch neia, Du mag wid begleiten! — Mein Sm wi Ruhe und
ben!” .
—
es
— 137 —
\
und wohin führt unſer Weg?” -
„Weit, mein Sohn," fagte Acevede. „Du möchteſt hier nicht
ſicher ſein; denn ich werde längere Zeit weilen in der Ferne.“
⸗ — —
— — —
17.
Und weit und immer weiter hinab nach ber Auvevgne und
Dauphins zogen bie Zigeuner und in ihrem Sefelge der immer
gefaͤhrlicher erkrankende Gui.
Die alte Abelma verließ An nicht mehr. Wäre dui anck
ihrer Kinder geweſen, größere Kebe hätte das Munerhetz nicht
üben. föhnen.
Alle Sorgfalt ſchien indeſſen ftuchtlos Bleibe zu wollen. Das
Reiſen in biefer Sahreszelt war dem Leidenden ſehr nachtheilig,
und doch traute die Horbe nicht, ſich lang aufzuhalten. Der
Unwille über des Kranken Anweſenheit wuchs mit jedem Tag.
Adelma ſelbſt befürchtete zuletzt eine Frevelthat. Und ſo faßte ſie
den Entſchluß, den Süngling zu Rabaud und Salers zu bringen.
Wer mält aber die Freude und ben Schreden ber freuen Freunde,
als der geliebte Jüngling jetzt plötzlich wieder zurückkehrte in die
ſtille Hütte und — dem Tode nahe war? —
Sie boten Alles auf, ſie wetieiferten mit einander, mit.
Abelma, die noch weilte bei bem Liebling. ihren vereinten
Anftrengungen gelang es, ihu in einen beffern Zufland zu bringen.
Der Wundarzt von Grenoble, ben Rabaub holte, ſprach von
zweifelhafter Hoffnung, weil die Wunde ſehr verſäumt und gefährlich
geworden ſei.
Als Gui zum erſten Mal aus der todtaͤhnlichen Bewußßtlong ·
keit erwachte und Mabaub und Salers ſah und bie bekannten
Räume ber Hütte — da fehlen es ihm Fiebertraum, mb mn
ſchwer überzeugte er fi von ber Wirklichkeit des Verhältniſſes
138 —
Seine Leiden waren groß, ‘und weit hinaus ſchob fich die immer
noch ungewiſſe Wiedergeneſung.
Die Nachtheile der Schlacht von Dreux zu verhüten, vereinigte
fich Coligni mit ben Engländern in ber Normandie Seinem
Bruder b’Anbelot trug er die Vertheidigung bed wichtigen Platzes
Drleand auf, unb biefer warf fih mit einer nicht unbeträchtlichen
Macht hinein. Mouvans und du. Pleffis waren mit. ihren Regi⸗
mentern bei biefer Heeresabtheilung. Beide und ber Dritte im.
Bunde, ber wadere Maugivon, waren höchſt betrlibt über ben
Berluft Gui's be Saint-Flour. Käiner von ihnen hatte ihn fallen
ſehen — barum beutete ihnen fein rätbfelhaftes Verfchwinden auf
nichts Anderes als Gefangenfchaft.
Mouvans war unerfchöpflid; im Lobe feiner Tapferkeit, bier
an feiner, Seite bewiefen, und um fo mehr bebauerte man feinen
Berluft. Doc berubigten fie ſich ſchneller — da fie als Gefangnen
wohl — aber ihn doch figer wußten und bie Hoffnung begten, ihn
wieder zu ſehen.
Anders ſollte es ſich nach kurzem Zwiſchenraume geftalten.
Kaum war d’Andelot in Orleans eingezogen, als Franz von
Guife, nun alleiniger Befehlshaber des Heeres, vor Orleans
erfhien, um bie Belagerung mit allem Eifer zu beginnen; zu
Schloß Cornée hatte er fein Hauptquartier, und von bier aus
Teitete er die Belagerung der Stadt, bie d’Anbelot nit ritterlicher
Tapferfeit vertheidigte.
Von Guiſe's Treiben zu Schloß Cornde ſprach man im Heere
viel Seltſames und Ungereimtes. Ein geheimnißvoller Minſch, ein
Sterndeuter, hielt ſich bei ihm auf, fügte man Taut, und er habe
ihn eingeweiht in die Geheimniffe diefer unfeligen Kunft. Es war
nichts Unwahres, was man ſprach. Seit einiger Zeit war Acevebo
bet Buife, und mande Stunde ber Nucht bradjte er bei: dem
. weiten Meifter zu. Acevedo hatte ſich garız feines Vertrauens
"meiftert. “ u u ’ | ‚
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— 189 —
Eines. Abends, wo fie wieder in ihre tieffinnigen Betrachtungen
fih vertieft hatten, ſprach Guiſe ben fon oft berübrten Wunfch
aus, einige Zeilen in des Connetables Hände zu fpielen, ber von
b’Andelot in Orleans gefangen gehalten wurde. Was er ſchon
einigemal abgelehitt, nahm dieſes Mal der Meffter auf.
|
Ä „Ich wi es übernehmen,” fagte er, „ſchützt mir ben Knaben
! bier, und ſchon morgen bin ich in Orleans.“
ET Wie aber wollt Ihr daB vollbringen?’' fragte der Herzog.
„Dafür laßt mid) forgen,”- entgegnete - ber Aſtrolog. „Ich
habe in Orleans gelebt, als der Hof ſich dort aufhielt, und weiß
t Wege, die vielleicht Hunderten in Orleans fremd find.‘
Der Herzog war. froh, dies zu vernehmen, und fehon mit ber
einbrechenden Nacht Irat Acevebo feine gefahrvolle Wanderung an.
Nah Orleans zu fommen, wo er wußte, baß du Pleſſis war,
hatte Acevedo lebhaft gewünſcht; allein: feine Klugheit ließ es nicht_
zu, dem Wunſche des mißtrauiſchen Herzogs ſchnell zu begegnen.
Jetzt endlich fah er fih amı Ziele, und leicht gelang es ihm, ber
ſo genau bier befannt war, in die Stadt zu fommen.
Der edle du Pleſſis ſaß alkein in feinem Gemach und dachte
ben unglüdlichen Folgen ber Schlacht von Dreur nah, als ſeine
Thüre fich öffnete und, in einen Yangen und weiten Mantel gebiitkt,
ein Mann hereintrat, den er im erſten Augenblide nicht erkannte;
als er aber ben Mantel abwarf, flog Acevebo an feine Yrufl. Sie
hatten fich Tange nicht geſehen, darum war er innig und freudig,
ber Empfang.
-„Bringft Du mir Runde von Gui?“ fragte bu tes ben
Freund, und in dem Worte ſprach fich ber berzlichfte Antheil aus,
den er an dem Jünglinge nahm.
Acevedo erſchrack. „Gui?“ fragte er gedehnt — „von ir
erwarte Ihflel” —
„Großer &sttt" rief, von banger Ahnung bewegt, du Pleſfis
— „iſt ee nicht unter ben Gefangenen?“
—
y:.um vn vn
/ — 149 —
Acevpedo ſtützte ſich auf bie Lehne des Stuhles. Seine Kniee
wankten.
Ich Habe fie Alle geſehen, ich habe alle Verwundete gefehen,
alle Todte auf dem Schlachtfelbe betrachtet mit angfterfüllten Herzen,
aber ich fah ihn nicht!“ Das fprach er wit zitternder Stimmt.
Da faltete bu Pleſſis bie Hände,
„Sp weiß Gott allein, wo er tft und was ihn,traf,” fagte
er bewegt, „denn er verſchwand im “Gefechte, nachdem er helden-
müthig an Mouvans' Seite gefämpft und mit ihm den Connetable
zu Gefangenen gemadyt; und erft, als bie Nacht Fam, denn
früher verließ er nicht feinen Oberſten, feinen Freund Maugiron,
verſchwand er.”
„O men Sohn, mein Sohn!“ rief herzzerreißend Acevedo,
„fa fand ich Die, um Dir unbekannt zu bleiben und Did; wieber
zu verlieren!”
„Se Mann, Viole,“ ſprach Pleſfis, eine Thräne zerbrüdend,
und ſchloß ben Freund am feine Bruſt. — „Gerabe das Räaͤthſel⸗
bafte feines gänzlichen Verſchwindena gibt einen Schinumer von
Hoffnung.”
Aber es war umſonſt, ben Greis zu tröften. Tief und erfchüts
ternd war ber Schmerz. Er verließ bad Gemach bu Pleſſis' nicht
und bing ganz feinem Schmerze nad, ber buch ben Varmwef,
bag er fi dem Zünglinge wicht zu erfennen gegeben, unenblich
gefisigert wurde,
Am andern Tage gewahrten bie Belagerien eine ungewöhnliche
Bewegung im feindlichen Lager. Alle waren eine Angriffe
gewärtig — aber ex erfolgte nit. Erſt in ber Rat löfte fi
bag. NRäthfel gräßlich durch Kundſchaften.
An dem milbflaren Februartage war Herzog Franz von Guiſe
aus bem Lager vor Orleans nach feinem Quartiere, dem Schloſſe
Cornee, geritten. In Mitten bes Weges Iauerte anf ihn bei
Meunchelmoͤrders frevlexiſche Hand. Baltrot be Meray was 8, ber,
von fanatiſchem Eifer erfüllt, fcheinbar zu ben Katholiken ſich
— 4 —
hingeneigt und, um die Mordthat ar dent gefähtlichſten Gegner
ſeines Glaubens zu verüben, zu dem Heere ber Katholiken über:
gegangen war. Er erſah den günſtigen Augenblick, wo der Herzog,
von einer Anhöhe ſich umzuſchauen, ſein Roß anhielt, und traf mit
tödtlichem Blei Guiſe's Bruft ſo ſicher, da er wenige Tage darauf
ſeinen Geiſt aufgab.
Dieſe Rachricht weckte den unglüdlichen Keoce aus ſeiner
Lethargie. |
„Rebe wohl!‘ ſprach er zu bu Pleſſis, „ich muß zuruͤck in's
Lager, noch eine Pflicht zu erfüllen — zurück nad Paris. Ich
fſihle, dee mürbe Bau biefer Hülle bricht bald und ber Bewohner
kehrt zum Lande des Friedens heim.‘
Trauernd entließ ihn der Freund, nachdem er Alles verſucht,
ihn zum Bleiben in Orleans zu bereden.
Acxvedo kehrte in's Lager zurück, wo Gabriel in unfäglicher
Angſt feiner geharret.
Er fah des Mannes tiefen Schmerz; und ſoſchie liebevoll.
„Ach,“ ſagte er, „ich habe das: letzte Erdengut verloren —
ig bin win Fremdling hier!“
„Laß uns nach Paris zurückkehren,“ ſagte er zu Gabriel, und
fo verließen fie das Lager.
So weit entfernt auch eine Ausgleichung der Parteien zu fein
ſchien; ja ob fie gleich nach den Begebniffen der letzten Zeit‘ felbft
jenfeit8 der Grenzen der Möglichkeit zu Liegen fchten, ſo war fie
doch näher, ala man bathte, und Condé, ber ſich den Reigen des
üppigen Hoflebens hingegeben, bot bie Hand dazu bar. In
Drleand wurden bie Berhandlungen angefnüpft und nahmen einen
fo günftigen Fortgang, daß fie bald ihr Ende erreichten und von
beiden Marteten - beflktigt wurden. Die VBergümfligungen, bie
atharina, bie filh nun won zweien threr gefährlichiten Feinde
befreit ſah, ben Proteftimten zugeſtand, beruhigten dieſe, und gerne
— 18 — _
boten ſie ihre Hand zur Befreiung von. Haure, das noch immer in
den Händen ber Engländer war. Nur ber edle Abmiral und fein
Bruder waren unzufrieden mit Conde’3 Handlungen. Sie zogen
fi, von ber Unternehmung gegen Havre auß edlen Beweggründen
zurüd. Aufrichtig meinte e3 Katharina von Mebicid nicht. Es
galt ihr nur für ben Augenblid Ruhe zu gewinnen. Andere Pläne
bewegten. ihre Seele. Sie fürchtete Condés Theilnahme am ber
Regierung, da er nach dem Tode bed Königs von Navarra, feines
Bruders, Anfprüche zu haben fchien. Klug berechnend die Um⸗
ftänden, ließ fie durch das Parlament von Rouen Carl IX in
feinem vierzehnten Jahre mündig erklären. Die größten Wünſche
waren ihr erfüllt. Ihr Herz froblodte, und Acevebo, ber fo hoch
in ihrer Achtung, als fie niedrig in der feinigen fand, wagte es
zum erſten Male, für Arbeque's Befreiung. zu wirken. So erflaunt
auch Katharina über biefe Bitte war, fie fhien nicht abgeneigt, fie
zu gewähren, da Acevedo ihr das Vortheilhafte biefer Handlung
ber Milde in’3 klarſte Licht febte.
Aber dieſer Wunſch ſollte ihm nicht erfülit werden.
Arbeque, durch vielfache Leiden aufgerieben, kränkelte im
Gefängniß, und ſein Zuſtand ließ eine baldige Auflöſung erwarten.
Acevedo, der dies erfuhr, wußte ſich die Erlaubniß, ihn zu
ſehen, unter der Verſprechung zu erwirken, ihn zum Katholicismus
bekehren zu wollen. | :
Arbeque wußte feine Gabriele ficher bei dem menfchen-
freundlichen Manne, den er nicht kannte. Acevedo Hatte fich
Gelegenheit zu *"verfchaffen gewußt, ihm biefen Troft Tchriftlich
zu bringen.
Sept eilte er mit der troftlofen Gabriele zu bem Vater, ber
feiner Aufldfung mit fchnelen Schritten entgegen ging.
Erſchütternd war ber Augenblid, ba Gabriele an bes Vaters
ruſt Tag — feiner Beichreibung fähig. Schmerzlich ergriff fie
r eblen Acevebo, befjen Herz gebrochen war. Dieſes Wiederſehen
\ -
— 18. —
griff den Kranken fo heftig am, daß er bem Tode naher tam, alg
es vielleicht. andern Falls jegt noch gefchehen wäre,
Gabriele verließ ihn nicht-wieber, und Acevedo kehrte oft u -
ihm zurüd. Der Hof trat indeſſen jene für bie Broteftanten
unbeilvolle Reife durch Frankreich an, bie das Edict von. Rouffillen
gebar, bad dem faum geichloffenen Frieden den Todesſtoß zu geben
verbieß.
Acevedo, ben Katharina fo gerne bei fidh gehabt hatte, blieb
in Paris zurück, ſeine wankende Geſundheit vorſchützend, eigentlich
aber nur bei Gabrielen zu bleiben, wenn der Tod den Vater
von ihrem Herzen riſſe.
Still und trübe floſſen nun ſeine Tage behin. Sein Auge
blickte oft in den filllen Abendſtunden ſehnſüchtig hinauf zu ber
Geſtirne Bahnen. Dort, im Lande des Friedens, war ſein Alles,
dieſe Welt bot ihm nichts mehr. Nur die Sorge um Gabriele,
die ſeinem Herzen theuer geworden war, gab ſeinem Leben Reiz,
und der Gedanke, d'Arbeque's Haß in Liebe zu verwandeln, Ver⸗
ſohnung zwiſchen ihm und ſich zu ſtiften, beſeelte ihn.
So wandelte er denn auch einſt wieder zu dem Leidenden.
Weinend empfing ihn Gabriele. Er ahnete, was ihr Herz: bewege,
und ein.Blic auf b’Arbeque zeigte ihm, wie nahe die Scheide⸗
ſtunde ſei.
Der leidende Greis faßte ſeine Hand.
Ich fühle es,“ ſprach er matt, „mein Stünblein ift nabe.
Ah, ich wollte gerne die Welt verlaflen, — „de Gabriele iſt
hüulflos.“ —
„Men, das ift fle bei Gott nicht,“ rief Acevedo — „ſie iſt
meinem Herzen theuer, und ſie ſoll mein Kind ſein, wenn Ihr
ſterbet.“
Da verklärte ſich d'Arbeque's Geſicht.
„ohne es Euch Gott, was Ihr an meiner Verlaſſenen thut!“
fogte er; „Gabriele fagte mir, mie Ihr fie befchügt, wie Ihr
— 14 —
liebevoll fir fie geforgt, und das gibt mir die Hoffnung, daß Ihr
fie nicht verlaffen werdet!“
- Hcevedo hob feine Hand empor. „Bei Gott und feiner Gnade,
bie ich hoffe, ſchwöre ich es Euch, fie Toll mein Rind fein!‘
Da brüdte Frampfbaft ber Kranke jeine Hand.
„Bott ſegne Euch!’ fagte er mit tiefer Rübrung. „Ihr hebt
eine Laft von meinem Herzen; ad! he war ſo ſchwer, und friedlich
Kann ’ich ſterben.“
Da ergriff's mächtig das Herz Acevedo's. — „Arbequel“ rief
er, „Du ſtehſt abe an ber Pforte bes Grabes, auch mir iſt fie nicht
ferne. — Der Schleier falle — ich bin Viole de Sain⸗Flour!“ —
d'Arbeque richtete fich auf, Er ziäterke beftig. „Du!“ fragte
er, und fein Auge ruhte forſchend auf de Viole. „Du, de Viole 3
wieberbolte er; aber nit ber Haß, ben er fonft gefühlt, erfülkte
ſein Herz.
.„Und Deinen Sohn babe ich fortgeftoen, ala er, mein Leben
gerettet und Gabrielen, und ihre Herzen, bie fich liebten, Habe ich
auseinander geriffen — amd Du willſt Vater meines Kindes fein?
Kaunſt Du mir vergeben, Di Edler? D, rief er, „gib mir Deine
Hand 1“ —
be Viole zitterte. Er reichte ihm feine Hand.
Gabriele fam herein. „Rind,“ vief der Vater, „komm' —
fieb’, ich fcheide freudig, denn Friebe iſt zwiſchen und — er ift
Dein Bater, mein Freund! O, Tomm’ an mein Herz!‘
Da Tagen fie an feiner Bruft, und das ſelige Gefühl ber
Berföhnung zog durch Viole's Bruſt. —
Als er ſich aufrichtete — ſah er d'Arbeque's bleiche Züge —
er ſank zurüd auf Lager — er war nicht mehr! -
Und ohnmächtig ſank Gabriele in Viole's Arme.
Er brachte fie nach dem Louvre vermittelt einer Sänfte Stil
ließ er b’Arbeque beftatten.
Gabrielens Schmerz war namenlos. Viole (mie wir ihn jetzt
nennen wollen) verließ fe nicht. Sein Her; fand Trieben bei
—
18 —
Gabrielens Schmerz, und fie Troſt bei ihm. — Gie hatten ja
Beide Alles verloren, und nur noch fich ſelbſt. Uber lange, lange
bauerte es, bis die Zeit Gabrieleris Schmerz milberte, bia fie um
kindlichen Vertrauen bem, ber jet ihr Vater, ihres Oui's Vater
war, alle jene Begebenheiten, fo weit es bie jungfräulidge Scham
zuließ, vertrauen Tonnte, die d'Arbeque berührt hatte, und bie Viole
unbekannt waren.” Auch er fand Beruhigung in ber Mittbeilung
feines Gefchidd; aber er verſchwieg Gabrielen den wahrſcheinlichen
Top Gui's. Mutbig und ſtark trug ihn der ebfe Mann. Cr
erkannte es, daß diefe Mittheilung ihr Herz ganz brechen würde;
aber er weihte fie ein in feine Geheimniſſe, und höher achtete fie
ihn noch und inniger, ba fie bie erhabenen Zwecke feines Wirkens
erkannte. |
18. |
Den harten, ſchweren Kampf des jungen, umvermitfteten, kräf⸗
tigen Lebens. gegen bed Todes Gewalt kämpfte Gui lange Zeit.
Eine gefährliche Krankheit geſellte ſich zu feinem Wunödfieber und
dem Schmerze feiner Wunden. Large blieb biefer Kampf unent⸗
ſchieden. Alle Anſtrengungen ber. Heilfunft blieben: fruchtlos lange
Zeit, Endlich, ala bes Frühlings mildes Wehen neues Leben ber
Natur einhauchte, und frifche Kraft dur alle Pulſe der Schöpfung
wallte, ba ach wurde: bed Jünglings Zuſtand befier, und feine
Fräftige Natur entwand fich den Feſſeln des Todes. -
Aber feine Kräfte Fehrten nur ſehr langſam wieder. Es
vergingen Donate. y ehe. er wieber kraſtig in den Wäldern umher:
ſtreifen konnte.
, Seine? Herzens: innige Sehnſucht: zog ihm zu dem Orte Hin,
wo er bie. glüdlichften: Stunden feines Lebens gelebt. hatte, nad
Schloß Arbeque. Hier hoffte er Kunde von ber. Geliebten zu
erhalten. — Doch. er täufchte fick | | oo.
Er kawr eine Tages auf bad: Schloß; im mürrifcher Alter.
Horn's Erzählungen. X. 10
—*
— 16 —
öffnete, ber ihn nicht kannte; als er aber fich zu erkennen gab, ba
erinnerte fi) der Greis bes Jünglings wieber, und mit aller
- breiten Rebfeligfeit des Alter erzählte er von feines Herrn unglüd-
feliger Reife; von Gabrielens Thränen nad Gul's Entfernung,
deren Urſache man nicht gefannt; -von ihrem Widerwillen gegen
jene Reife nach Paris und enbli von’ bes Barons Tob, und wie
d'Arbeque, auf den Fall feines Todes, ihm die Verwaltung bes
Guts und der Burg für Gabrielen anvertraut.
„Wißt Ihr des Fräuleins Aufenthalt?” — fragte Gut mit
all der namenlofen Angft, die ihm ihre Lage, ihr Alleinftehen in
ber gefährlichen Hauptſtadt einflößte.
„Leider kenn' ich den nicht,” fprach betrübt der Greiß; „allein
fie felb bat mir bes Vaters Tod gemeldet, und die nöthigen
Weifungeri ertheilt.”
„Und woher?‘ fragte eifrig ber Süngling.
„Aus Paris,“ antwortete ber Greis. „Näheres aber fagte
fie nit. Sie nur in. Perſon wird Rechenſchaft von mir fordern,
Auch weiß ich nicht, wo fie meine Nachrichten treffen folten, ba. fie
ihren Aufenthalt nicht weiter angab.”
„Wer wird ihr beiftehen, wer fie ſchützen?“ rief Gut mit
bangen Ahnungen aus. „Ich will nad Paris und fie aufſuchen!“
„Seid Ihr jemals in Paris geweſen?“ fragte theilnehmenb
ber Greiß.
„In Paris war ich nie, obgleih ich mit Coligni's Heere
davor ſtand.“
„Dann will ich mich nicht wundern, daß Ihr's für fo leicht
haltet, bort Jemanden auszukundſchaften,“ verfeßte Jener. „Glaubt
mir, junger Herr,“ fuhr er fort, „hielt ich es für ſo leicht wie
Ihr, ich würde heute noch aufbrechen, um meine junge Herrin zu
ſuchen; allein Paris iſt mir nicht fremd, und darum habe ich den
Wunſch aufgegeben, der oft zum Vorſatz werden wollte. Auch
täuſcht Ihr Euch, wenn Ihr glaubt, es ginge ihr ſchlimm. Sie
beruhigt mich ihretwegen; fie ſpricht von edlen Menſchen, bie fich
N
rn
“ \
— 1417 —
ihrer väterlich angenommen. Es müſſen alſo nothwendig Grünbe
obwalten, bie die Verborgenheit ihres Aufenthaltes wünfchenswerth
maden, und biefe zu erforfchen, babe ich oft Ion umfonft mid -
angeſtxengt.“ —
Gui verließ tief- befümmert den Ort. Sie lebt; der Gedanke
erbeiterte fein Gemüth, und wie ein freumblich tröſtender Engel zog
bie Hoffnung in fein Herz, mit ihr aber auch bie Sehnſucht, dort⸗ |
bin zu ziehen, wo bie Geliebte ſich aufhielt, um, vertrauend auf ben
bimmilifchen Schutz treuer, engelreiner Empfindungen — nach ihr
zu ſuchen. |
Auch diefem Wunſche nahte Gewährung, obgleich von einer
‚ andern Seite. . .
Die Freunde Rabaud und Salers kannten Teinen ſchnlichern
Wunſch, als den, ihren Liebling, Gui, im rechtmäßigen Beſitze der
Burg feiner Väter zu ſehen. Bisher war Saint-Flour noch immer
Eigenthum des Staates geweſen, nachdem die verftoßene Diane be
Poitiers ‚bie Burg hatte zurüffgeben müſſen.
Jebt, wo der Frieden geſchloſſen war, wo der Hof geneigt
ſchien, alle Mißhelligkeiten auszugleichen, wo Coligni ſich in Paris
aufhielt und des Jünglings Schritte unterſtützen konnte, wo ein
edler Mann, wie der Kanzler l'Hopital, fein Gewicht in die Wang:
fchale des Rechtes legen konnte; jet ſchien der günſtigſte Augen⸗
blick gekommen. — Darum beftürmten fie auf's Neue den Jüngling
mit ihren Bitten und Vorſtellungen, händigten ihm alle die wichtigen
Dokumente ein, die Rabaud's Umficht zu der Zeit der Flucht
de Viole's gerettet, und ließen nicht nad, bis Gut zu handeln fich
entfchloß.
Gui war num bergeftellt. Seine Aräfte batte er wieder; aber
jene Friſche der Gefundheit, jenes blühende, jugendliche Weſen war
noch nicht wiedergefehrt und blaß waren feine Wangen noch. Allein
fein männlich ſchönes Geficht erhielt dadurch einen leidenden Aus⸗
druck, ber es anziehender machte. Die warme Jahreszeit war wieber
10°
j)
_ — 148 —.
gefommen — ohne Gefahr konnte er bie Reife unternehmen, an
beren, Ziel die Hoffnung fo viel Grwünfchtes verhieß.
Gui trat biefegmal wieder, von dem gerptteten Schätzen au
befferen Tagen ausgerüftet, bie Neife nah Paris an. Der alte
Rabaud wollte felbft ihm begleiten, allein bie gab Gui nicht zu,
weil er zu ſchwach war, und fo zog der Jüngling allein des Weges
mit einem Herzen voll fchöner Träume.
Der Hof Hatte eine Reiſe dur, Frankreich unternommen.
Katharina gab vor, den jungen König feinem Volke zeigen zu
wollen, und baburd, bie Bande ber Kiebe zwifchen König und Volt
fefter zu knüpfen; aber gewiß lagen andere Beweggründe tief in
biefem Herzen verborgen. Sie verfäumte es nicht, den König auf
bie verwüfteten Gegenden, auf die zerftörten Kirchen und Stäbte
aufmerffam zu maden, und alle Schuld auf die Proteftanten häu-
fend, des Könige Haß gegen die Ketzer nur mächtiger zu entflam⸗
men. Meberall trug fowohl Carl IX. als bie Königin Mutter,
bie offenbarfie Abneigung gegen die Kleber zur Schau. Es
war bie günftigfte Gelegenheit, den Samen, ber in der Bartbolo:
mäusnacht jo gräßlicde Frucht trug , auszuftreuen in Carl Genüth,
und nicht? wurde von allen feinen fanatifchen Umgebungen verfäumt,
was zu dem Zwecke führen Fonnte. Mit. bert fchredlichften nt:
würfen trug man fid, und Katharina nährte fie heimlich, wenn fie
auch wohl bin und wieder ben Ketzern einen freundlidgen Blid
gönnte. Nicht Milde war es, bie fie beſtimmte, jenem Bünbniffe,
dag zwilchen bem Papſte, dem Faifer, Spanien und Frankreich zur
Auseottung der Ketzer hatte gefchloffen werden follen, nicht beizu⸗
treten, fondern eine wohlberechnenbe Politik, die nur auf fich ſelbſt
fich ftüßen wollte. Ihrem Ketzerhaſſe bot fig eine befjere Gelegen⸗
beit in Bayonne dar, wo die Fänigliche, Familie mid Glifabetb,
Philipps A. fanfter Gemahlin, zuſammen kam. Aber nicht ben
Ergüffen der heiligflen Gmpfindungen mütterlicher und kindlicher
Liebe waren die Tage geweiht. Alba, ber in jo näher Wahlver⸗
wandtſchaft mit Katharina ſtand, ber gräßliche Blufrichter, ber allen
— 19 —
Geſetzen der Menſchlichkeit Hohn ſprach, war hier ihr ſteter Geſell⸗
fſchafter. Während der Hof in üppigen Genüſſen ſchwelgte, beſprach
fie mit ihm das Problem, das zu löſen ihr beiderſeitiger Wunſch
war, die Ausrotkung der Proteſtanten. Alba legte den Grund eines
umfaſſenden Plans in ihre Seele. Seraltfaine Unterdriüdung mit -
einem Schlage, das war fein Grumdſatz. Nicht gerade ftimmte ihm
Katharina bei, aber dennoch faßte feine Idee Wurzel, und fein
Wort: „Daß ber Kopf eined Lachſes miehr werth fei, als alle
Fröſche in den Sümpfen,“ blieb in ihrem Andenken.
Allein jene geheimen Unterredimgen blieben nicht heheim.
Heinrich von Navarra erfuhr das Geheimniß, und der zwölfjährige
Knabe vertraute der hochherzigen Mutter, was er vernommen.
Schaudernd begriff die edle Johanna den ſchrecklichen Plan.
Ihre Warnungen ſchreckten Condé aus ſeiner Ruhe auf und machten
den Admiral Coligni aufmerkſamer auf die Wege der Feinde. Doch
zu offner Widerſetzung war kein Grund vorhanden, jetzt wenigſtens
nicht. Der Hof ſchien frieblich. Katharina nahm ihre Maske vor,
und jene Verſöhnung der Häufer Chatilon und Guife war ein’
veräcgtliche® Spiel, das den Haß tiefer im bie Gemüther fenkte,
indeß üußerlich daB Heiligthum des Menfchenherzend, Freundſchaft,
erheuchelt wurde. — Katharina, je mehr ſie die Lage Frankreichs
erwog, je mehr fie einſah, daß ihre Verſchwendung und die Ueppig-
keit des Hofleben es entfräfteten, begann nur im Kampfe ber
Parteien ihr Heil zu ſehen. Er bot Gelegenheit zur Einziehung von
Gütern, bot Gelegenheit, ihrem Lieblingsſohne Heinrich, Herzog von
Anjou, eine wichtige Stelfe, den Oberbefehl ber Armee, Zu über:
tragen, und dem gfühenden Ehrgeize beffelben bie Bahn bes Ruhmes
zu eröffnen. Das neugeſchlofſene Bündniß mit dem Papſt und ben _
katholiſchen Kantonen ber Schweiz, die Annahme bon 5000 Schwei⸗
gern in franzöftfchen Sold zeigten ben Proteſtanten, was fie zu er:
warten hatten. Sie blieben nicht unthätig. So rfifteten ſich beide ,
- Barkeien.
Katharina’ alugheit hatte leicht einen Vorwand flit m
Ruſtungen gefunden. Alba führte ein mächtige Heer nach ben Nieber-
landen, dort zu thun, was Katharina beabfichtigte. Schernbar äußerte
man Beforgniß ob dieſes Heerzugs an ben Grenzen bes Königreiches.
Die Klugheit. vieth, ein Beobachtungsheer zufammenzugiehen, und
dies geſchah, indeß ber Franzisfanermänd Hugo nad; Mabrib eilte,
bie wahren Gründe Philipp II. zu melden, der feine Rolle mit
Sicherheit und Birtuofität ſpielte.
"So fanden die Sachen, als eines Tage Gui be Saint⸗-Flour
in den Hof des Schloſſes Chatillon einritt, wo Coligni ſich aufhielt.
-Bei ihm waren Mouvans und bu Pleffis, Die üble Geftaltung ber
Verhältniſſe für die Sache ihres Glaubens machte ben Gegenſtand
ihrer Unterredung aus.
Gui wurde gemeldet.
Alle jahen fi) erftaunt an, als fein Namen von bem Diener
genannt wurde. |
„Es geſchehen Dinge, die an's Unglaubliche grenzen “ ſagte
Coligni — „ſogar die Todten ſtehen aufl!“
Er hatte dieſe Worte noch nicht ausgeſprochen, als Gui herein⸗
- trat, bie Herren mit jenem edlen Anſtande begrüßend, ber ihm
eigen; mit jener, Hochachtung, beven fie würdig, unb mit jener Herz-
lichkeit, zu der ihn feine Liebe zu ihnen hinzog.
Die Ehrerbietung vor dem Admiral hielt alfein Pleſſis und
Mouvans zurüd, dem Trieb ihreß Herzens Folge zu leiſten und den
Jüngling an ihre Bruſt zu drücken.
Der Admiral trat ihm entgegen und reichte ihm mit väter:
licher Huld feine Hand... „Gottlob, daß Ahr lebt, Herr de Saint:
Flour,“ fpra er mit Gefühl, „wir haben Euch Alle als todt
betrauert; und ber Berluft eines fo tapfern jungen Mannes, befien
Leben und Ruf fo. fledenlos, hat meinem Herzen wehe gethan. Mit
Freuden beißt e8 Euch darum willkommen!“
Der Jüngling drüdte mit Rührung die Hand dieſes großen,
edlen Menſchen.
— 1 —
Sept aber Tonnte ſich der ſtürmiſche Mouvans nicht Länger
- Halten. |
„Komm heran,“ rief er, „Du wadrer Freund, der Du ſo ritterlich
treu an meiner Seite kämpfteſt, den ich mit Schmerzen verlor!‘
Da flog der Jüngling in des Mannes geöffnete Arme unb
aus ihnen in bie des fanfteren bu Pleſſis.
Als daB herzliche Bewillkommen vorüber, fprach ber Admiral:
„Seat Euch nun an meine Seite, Herr be Viole, und theifet
und umftändlih Eure Begebniffe feit jener unfeligen Schlacht bei
“ Dreur mit, - Sie müffen. feltfam fein — benn Euer Verſchwinden
war fo räthfelhaft, als nach fo langem tZwiſchenraume Euer plotz⸗
niches Erſcheinen iſt.“ —
Gui ließ ſich nieder. Sechs Augen hingen an feinem Munde
erwartungsvoll. Alles, was zwiſchen jener Stunde feiner Verwun-
dung und der lag, wo er die Freunde wieder ſah, erzaͤhlte er ihnen
nun mit Offenheit und Treue. '
Boll. Erftaunen hörten fie zu, machten ihm aber dann bittre
Vorwürfe, daß er ſo lange her ſchon nichts habe von fi hören
laſſen.
Gut entſchuldigte fich, fo gut es gehen mode.
Angelegentlich fragte er dann nach ben jetzigen Bechättniffen,
die ihm in feiner Einſamkeit unbekannt geblieben. .
Coligni übernahm dad unwillkommene Geſchäft, ben Jünglim̃
einen Blick in die verworrenen Verhältniſſe thun zu laſſen, und ihm
. bie feindfelige Stellung bes Hofes zu zeigen, beffen Treulofigkeit
feinen Glauben, Fein Zutrauen mehr verbiente.
Wie ſchmerzlich ſah fih Gui getäufcht. Alle feine Hoffnungen
fanfen nun zufammen. Gr äußerte feine Vorhaben, nad Pariz
haben gehen zu wollen, bort bie Zuruckgabe von Saint⸗-Flour zu
betreiben. |
Der Admiral lächelte wehmüthig.
„Diefe Hoffnung müßt Ihr aüfgeben, Herr de Viole,“ ſprach
ber Abmiral; „denn des Hofes feinbfelige Stellung beutet genugſam
— 152 —
an, wie wenig man Eure gerechte Forderung beachten wärbe; aber
auch den Zall angenommen, ber Hof wäre unferen Glaubens:
genofien günſtig, dennoch würdet Ihr nur eine trügliche Hoffnung.
nähren, da Katharina den Schatz, ber ohnehin durch bie Kriege
und bie Berwüftungen, die in feinem Gefolge find, erfchöpft if,
noh mehr duch ihre unfelige Reife und ihre Verſchwendung
in üppigen Hoffeften erſchöpfte. — Wie wolltet Ihr da Hoffen,
daß fie eine fo reihe Beſitzung, ala Samt: Flour A, zu
zsüdgäbe?” —
Diefe Gründe waren zu einleuchtend, als daß fie Hätten
widerlegt werden können. Gui ergab ſich in ſein Geſchick; aber
jener andere Gedanke, der feine Seele behertſchte, wurbe fo leicht
sicht aufgegeben.
Das Geſpräch wandte ſich nun auf Sie nothwendigen Rüftungen
ber Hugenotten. Der Admiral theilte nun mit, was bereit ge
ſchehen und wie viel noch gefchehen müffe.
„ud zu dem, was ich thun nuuß,“ fuhr er fort, vedarf ich
treuer, muthiger und unternehmender Männer, wie die find, in deren
Mitte ich jetzt ſtehe.
„Ihr, bu Pleſfis und Oberſt Mouvans, kennt ſchon bie Auf⸗
träge, die Ihr zu erfüllen Euch entſchloſſen; Ihr aber, de Viole,
noch nicht. Auf. Euch rechne ich, und darum wünſche ich, daß Ihr
in meiner Nähe bleibt; wollt Ihr das?“ —
Ein Schmerz zug bar des Jünglings Bruſt — aber er
richtete ſich männlih auf und gab feierlich fern Wort, au jeber
Unternehmung bereit zu fein.
Eoligni brüdte feine Hand. „So Fannte ich Euch,“ fagte er,
„und mein Bertrauen, das mich oft täuſchte, bat fi) in Guch
berrlich bewährt, und biefe ift eine von ben freudigen Erfahrungest,
an benen das Leben nicht eben reich iſt.“
Bis tief in bie Nacht blieben Mouvans und bu Bleffis in
“illon — bann aber verließen file den Admiral; Gut blieb im _
er Nähe und mußte ben Plan, ben fein Her entworfen, für
x —
— 18 — on
jetzt aufgeben. Zu bem Vater über ben Sternen betete er, und
‚feinem Schuß empfahl er bie Geliebte vertrauensvoll, und Frieden
Sam, bed Gebete reicher Segen, in feine bewegte Brufl.
Katharina's Kundfchafter umgaben mit Argusaugen ben Xb-
miral fowohl ald Eonb6, ber fi damals zu Noyers in Aurerrois
aufhielt, und hinterbrachten ihr jeden Schritt. — Damals wurde
sum erflen Mal am Hof und im Kabinete Katharina’3 der Namen
eines jungen Mannes genannt, der Katharina’3 wildes Herz durch.
die Erinnerung, bie er heraufrief muß ber Vergangenheit, in
ſtürmiſche Bervegung brachte. Gui be Biole be Saint-Flour
nannte man als Eoligni’3 Vertrauten, ala den, der die geheimen
Kufträge nach Noyers zu dem Prinzen Condé bringe, der felb in
der Nähe Johanna's von Navarra zu Nerac fei erblidt und von
ihr audgezeichnet worden. Man jchilberte ihn als eimen ber
muthigften Männer ver Hugmotten, der, noch Jüngling, in ber
“ + Schlacht bei Dreur mit Monvans den Gonnetable zum Befangenen
gemacht, und durch feine Tapferkeit in jener Schlacht bem konig⸗
lichen Heere beträchtlich gefchndet. Es war wirflid an dem. Unbe⸗
dingtes Vertrauen ſchenkte der Admiral dem jungen, fähigen Manne,
unb bie Klugheit, womit er fich ber wichtigften Aufträge entle
digte, der nie raftende Eifer für die Sache fein Glaubens,
ſtellte ihn noch täglich höher in des Admirald Achtung und
Werthſchätzung.
Es war zu Monceaur en Brie, wo ſich damals der Hof
aufbielt‘, und wo Katharina, bei bem fich allınälig mit Wetter:
wolfen umlagernden Horizont, das in ihrem finſtern Aberglauben
wurzelnbe Bedürfniß fühlte, bem ihr fo treu ergebenen Aſtroldzen
Acevedo, ber noch immer. in Paris in fait klöſterlicher Einſam⸗
keit Iebte, wieder um fi zu haben, und den ſie darum zu ſich
beſchied.
Acevedo verließ ungern Paris, aber er, ber durch die Nach⸗
richt von Gui's Wiedererſcheinen, die ihm insgeheim du Pleſſis
mitgetheilt, ein neues Leben gewonnen, er ſah jet, wie nothivenbf
⸗
— 14 —
es fei, feine Stellung zu behaupten, und fich tiefer in das
Geheimniß zu Hüllen, das ihn bisher verbarg; und fo folgte er
dem Rufe ber Königin, das Wieberfehen des geliebten Sohnes
beffern Tagen übergebend. -
Er wußte ihn ja jetzt am Leben; er wußte bie an's Wunder⸗
bare grenzende Erhaltung des SJünglings, unb feine banfbare
Seele ſchwur aufs Neue, ſich der heiligen Sache feines Glaubens
zu weihen, unb im Dunkeln bie Blige abzuleiten, bie ihm
Verderben brohten. — Gabriele fah freudig bie Aenderung des
Wefend bei dem Manne, ber jeßt ihr Vater war, den fie fo innig
verehrte und liebte. Sie fragte ihm mad; dem runde feiner
erneuten Lebendluſt, bie ihr um fo weniger begreiflich war, da fie
durch ihn bie fi immer mehr verfinfternden Ausſichten für bie
Glaubendgennfien Tante
Gabrie
war, in-auf
fagte ih,
wiederefunl
glüd, und
ſqmerʒlich
lings, ben
zurlictzauber
deſtohen, un
Biele
Er fah, wi
rohe ihr je
Bann
Berhäftniffe
| O Oy 0oooooo — —
— 155 —
wie zufällig und beobachtete fie. Eine unausſprechliche Verwirrung
bemeifterte fich Gabrielens. Sie beugte fich tief herab, benn fe
fühlte, daß Acevedo's Auge auf ihr ruhe.
Nachdem fie ihre Faſſung wieder gewonnen, fragte fie anſchet⸗
nend gleichgültig, aber mit zitternder Stimme, nach dem alten
Rabaud, der einft ihres Vaters Wunde geheilt. ”
Biole der jet genug wußte, fagte leicht hingeworfen, der
Alte Iehbe noch in der Dauphine Ein tiefer Seufzer arbeitete ſich
aus des Mädchens Bruft herauf; aber fie ſchwieg.
1%
- Die Hugenotten fahen mit jebem Tag ihre wachjende Gefahr
mehr ein, denn tmmer bebeutenber wuchs das Heer ded Hofes an,“
und immer deutlicher trat das Mährlein von einer Beobachtungs⸗
e armee an's Licht. Zu. Vallery und zu Chatillon hatten’ fie bereits
zahlreiche Verſammiungen gehalten, worin befchloffen wurde, eine
> Kräftige Stellung anzunehmen. Im engern Rathe zu Chatillon
war ein Plan entworfen worden, ber ,beſonders Conbe, Mouvans
und andere feurige Häupter der Hugenotten für ſich hatte, und da
er am ſicherſten zum Ziele führen konnte, auch zuletzt des Admirals
Beifall erhielt, der nämlich, den Hof in ber Stille in Monceaur /
en Brie, wo Carl IX. bie Freuden ber Jagd genoß, aufzu⸗
heben, was um fo leichter war, da Monceaux nicht befeftigt, alfe
auch um fo ficherer einzunehmen war. Zu biefem Schritte wurde
nun Alles in ber Stille vorbereitet.
- Gui de Viole war in dieſes Geheimniß eingeweiht, und war
von dem Admiral erſehen, die Kunde davon nach der Picardie zu
bringen, wohin ſich bu Pleſfis-Mornai begeben, um Truppen zu
werben und ben protefiantifchen Adel ber Picarbie für die neuen
Unternehmungen zu gewinnen;
Mit ben nöthigen Schriften verfehen, bie er heimlich auf
/
— 156 —
\
feistem Leibe trug, verließ Gui Ghatillon, umd trat, bio von feinem
Diener- begleitet, die Reife am, bie bei bem immer mehr wachfenbeh
Mißtrauen und bei ber jegt fich mehr und mehr anfachenden Gluth
dea Fanatismus viele Umſicht forderte, wie fie auf ber ‚andern,
Seite nicht ohne große Gefahr war. Mit den aufrichtigften Segens⸗
wünſchen entließ ihn der Mbmiral, deſſen Herz doch ein werrig
pochte bei dem Gedanken, wie doch ein unangenehmer Zufall bad
Beheimniß enthüllen Fönnte.
Die reizende Lage des Schloſſes Monceaux en Brie, mehr
aber noch der große Reichthum der das Schloß umgebenden
herrlichen Buchenwälder an Wild aller Art, feſſelte Carl IX.
mit faft unauflöglichen Banden an diefen Ort. Wie König Carl
Alles, was er ergriff, mit großer Heftigfeit und Leibenfchaftlichkeit
ergriff, ſo war die Jagd ihm wahrhaft zur Leibenfchaft geworben.
Reber ihr vergaß er Alles. Ste nahm ungetheilt fein ganzes
Weſen fo jehr ein, daß er durch fie ſelbſt zum Schriftiteller wurde.
Natharina von Medicis wußte gar Mug biefe Leidenſchaft ihres
Beniglien Sohnes zu befriedigen, unb ihn fo von den Regierungs-
| geldjäften entfernt zu halten. Daher ertrug fie gerne bie traurige
| Einförmigfeit, die ber Aufenthalt in Monceeur für fie haben
möchte — indem fie Aug den kleinen Verluſt des größern Ge⸗
winnes wegen trug.
Schon lange hielt Fi der Hof in Moneeaut auf, und noch
immer war Feine Ausſicht der Ruckkehr nach Paris, da Earl vom
frühen Morgen bis zum fpäten Abende bie Freuben der Sagb
| genoß, und felbſt oft die Damen bes Hofes zu biefen Freuden, jo
unweibli fie auch fein mochten, hinzog. Vor Allen gefiel fi
Margarethe von Valois, Carls Schwefter, in dieſen Vergnügungen.
Geiter und Yebensfrob, im Mai ihrer Tage ſtehend, geſchmückt mit
ber reichſten Fülle weiblicher Schönheit, fand fie Erfah für die
Einformigkeit Monceau's in biefen Zerfirenungen, ba ihr Sim an
bie immer jungen Freuden des galarteh “und Appiten Hoflebens
dewöhnt war.
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— BT —
&3 war am Ende Septembers, als Garl- eine große Hetziagd
eordnet hatte, zu ber bie verſchwenderiſchſten Vorbereitungen
gemacht worden waren, an ber ber ganze Hof Theil nehmen follte.
Eimer ber freundlichen Herbittage lächelte bem wilden Feſte. Frühe
ſchon, denn im Walde follte das Mittagsmahl in einem prachtvoll
geſchmückten Zelt eingenommen werben, fammelte fi bad Jagd⸗
gefolge im Hofe des Schloſſes. Die Herren bed Hofes wetteiferten
in Oalanterie gegen die Damen, bie in ben reichften und amım.
thigften Jagdkleidern, auf den zierlichften Zelten figend, des Hofes
Krone, bie ſchöne Margarethe, erwarteten. Einer ber ſchönften
ſchneeweißen Araber barrte, koſtbar aufgezäumt, ber Tieblichen
Reiterin, die enblih an ihres Föniglichen Bruder? Hand aus dem. .
Portale des Schloffes trat. Ein "allgemeines Ah! der Bewunderung
wurde laut, ala die Herrliche hervortrat im grünen Jagdkleide, von,
goldner Stickerei überdeckt. Sie war heute fchöner als je, das
geftand felbft bie eitle, gefalfüchtige Kuftrac, Saint-Andréè's ſchöne
Wittwe. Ein leichtes Roth malte die Wangen ber Tieblichen
WVrinzeſſin, und daß dunkle Gemand hob recht die blendende Weiße
ihrer Lilienhaut.
Selbſt Carla dunkles Auge blickte mit Wohlgefallen auf
bie ſchöne Schweſter, die fih fo leicht, ſo anmuthig auf das
ſchöne, ſtolze Thier ſchwang, und vief dem Marſchalle von Ta-
vannes zu: ,
„Unfere Jagd muß heute glüdlich fein, Marquis, denn
ſeht nur die reizende Göttin der Jagd, Diana ſelbſt, begleitet
ung!” —
Lauten Beifall und einmüthigen erhielt bie Galanterie be
Königs, Höher färbten ſich Margaretha's Wangen; bie Hörner
erſchallten in Iuftigen Fanfaren, und des Königs Auffigen gab bag
Zeichen zum allgemeinen Aufbruch. Katharina fland auf bem j
Balcon und weidete ihre Blicke vieleicht feit Tanger Zeit zum erfien
. Male mit weinen mütterlicher Freude an ber Tochter Liebreig, der
mit zauberiſcher Macht Alter Mugen auf- fie zog. Sie alla nahm
— 18 —
nicht Theil und der Liebling ihres Herzens, Heinrich von Anjou,
der eine Unpäßlichleit vorgefchligt. Bald war das Jagdgefolge ber
- Töniglichen Gefchwifter dem Blick entſchwunden, und nur noch aus
der Ferne Hangen luſtig die Hörner zum Schloffe herüber, und
bald verlor fich in reizendem Decreseendo ber Kiebliche Klang, bem
Katharina gelaufcht, und fie verließ den Balcon, fi in ihre
Gemächer zu begeben, um über wichtige Dinge mit Heinrich von
Anjou zu verkehren. , |
Alba's Saat, ausgeftreut in den flillen Zuſammenkünften zu
Bayonne, begann zu keimen. Katharina’3 Gemüth hatte ben Funken
aufbewahrt, ben der Würger fo leicht im baffelbe geworfen, als
handle es fih um ein Würfelfpiel. Oft fab man fie feit jenen -
Tagen brüten über finfteren Gedanken, öfter verkehrte fie mit dem
fanatifchen und graufamen Heinrich, dem Vertrauten ihrer blutigen
Entwürfe.
Auch die Stunden dieſes ungeſtörten Tages wollte fie mit ihm
verbringen in vertrauter Berathung.
Ste war faum in ihr Elofett getreten, ala ber bochfabrende
- Prinz, der in Carla ſchwächlicher Gefundheit die Hoffnung, Fünf-
tiger Thronfolge ſah, auch ſchon hereintrat und fich zur Mutter
febte. |
Ahr Gefpräd drehte fich für's erfte um ben nahen Ausbruch
ber Feindſeligkeiten. „Gedenkt wirklich Carl dem Connetable das
Kommando zu?” fragte er bie Mutter mit einem Tote, der nur
zu deutlich das Mipvergnügen am biefer Idee bed Königs aus⸗
ſprach.
„Urtheile nicht unbillig, Heinrich,“ erwiederte Katharina; met
muß bem Alten feine Gerechtfame Yaffen. Gebulde Dich nur eine
kurze Friſt — ich weiß es, daß fein Ziel nahe iſt.“
Heinrich ſah fie erftaunt an.
„Acevedo,“ fuhr fie fort, „bat ihm das Horoflop geftelt —
nbet fchnell, wie er behauptet, vielleicht in ber erſten Schlacht.“
—-———————— ——
— 159 —
Heinrichs Antlitz erheiterte ſich. „und was gedenkt dann ..
meine thenere Mutter zu thun?‘ fragte er. -
„ou bift dann am Ziele Deiner Wünfche — Du erbältft dann
ben Oberbefehl, und Tavannes und Coſſé fliehen mit ihren reichen
Erfahrungen Dir zur Seite und winden die Lorbeern zu Deinem
Siegerkranze.“
Voll dankbarer Freude küßte der Prinz der Mutter Hand.
„Ihr ſollt Freude erleben,“ ſprach er, „denn ih will fie
heben, bie Keber, wie bed Waldes Thiere, die Carl jebt hebt,
während er bie Keberbrut gewähren läßt nach ihrem verſtockten und
verruchten Sinn.”
„Säße ich an Carls Stelle auf Franfreihs Thron, anders
- follte es fich geftalten, und bald ſollte Frankreichs Boden fein Keper
mehr entweihen und unfere heilige Kirche uneingefchräntt herrſchen,
fo weit Frankreichs Zunge gehört wird.”
„Du fprihft mir aus ber Seele,” fagte vertraulich die Königin.
„Zu einfeitig, zu kraftlos war bis hierhin das Verfahren. Schlagt
- ber Schlange ben Kopf ab, fagte Alba in Bayonne, unb ihr zertretet
das ohnmächtige Thier mit einem Tritte Viel zu ſehr habe ich
nachgegeben,- und durch biefe Milde, die ich umgeilig nennen muß,
find fie fo fühn geworben, daß fie trogen unferer Macht. u
Heinrich ballte wild feine Fauſt. „Mit einem Tritte fie
vernichten, das wäre allein der Weg zum Heile; denn fo wachjen
fieben neue Köpfe, wenn einer vom Schwerte gefällt wird.‘ ’
Die Königin Tächelte teufliſch in fi hinein: „Das iſt Alba's
Meinung. Sie loden an einen Ort und fie niedermachen, die
Häupter, und dann durch Frankreich Statthalterfhaften, die vorher
mit vertrauten Leuten befeßt werben müßten, ein Gleiches ihun —
fo wäre kurz und fchnell das gute Werk vollbracht.‘
„Vergeßt es nicht,” fprach befonnen ber Prinz, „baß, fo -
Tange P’Hopital Kanzler ift, fein eiferner Stun und feine Neigung
für bie Ketzer Euch indirect hemmend im Wege fiehen wird.“
„l'Hopital?“ fragte die Königin und ein Zug bittern Hohns
— 10 —
Küftungen gefunden. Alba führte ein mächtiges Heer nad) ben Nieber-
landen, bort zu ihun, was Katharina beabfichtigte. Scheinbar äußerte
man Beforgniß ob dieſes Heerzugs an ben Grenzen des Königreiches.
Die Klugheit. vieth, ein Beobachtungsheer zufammenzuziehen, und
dies geſchah, indeß der Franzisfanermönd Hugo nach Mabrid eilte,
die wahren Gründe Philipp IT. zu melben, ber feine Rolle mit
Sicherheit und Birtuofität fpielte,
"So fanden die Sachen, ald eines Tage Gui be Saint-Flour
‚in ben Hof bes Schloſſes Chatillon einritt, wo Coligni ſich aufbielt.
-Bei ihm waren Mouvans und du Pleſſis. Die üble Geftaltung ber
Berhältniffe für die Sache Dr Glaubens machte den Gegenftand
ihrer Unterredung aus.
Gut wurde gemelbet.
Alle ſahen fich erftaunt an, als fein Namen -von dem Diener
genannt wurde.
„Es geſchehen Dinge, die an's Unglaubliche grenzen “ ſagte
Coligni — „ſogar die Todten ſtehen auf!’
Cr hatte diefe Worte noch nicht ausgeſprochen, als Gui herein:
- trat, bie Herren mit jenem - edlen Anſtande begrüßend, ber ihm
eigen; mit jener. Hochachtung, deren fie würdig, und mit jener Herz
lichkeit, zu ber ihn feine Liebe zu ihnen hinzog.
Die Ehrerbietung vor dem Abmiral hielt allein Pleſſis und
Mouvans zurüd, bem Trieb ihres Herzens dolge zu leiſten und den
Jüngling an ihre Bruſt zu drücken.
Der Admiral trat ihm entgegen und reichte ihm mit väter⸗
licher Huld ſeine Hand. „Gottlob, daß Ihr lebt, Herr de Saint⸗
Flour,“ ſprach er mit Gefühl, „wir haben Euch Alle als todt
betrauert; und der Verluſt eines fo tapfern jungen Mannes, deſſen
Leben unb Ruf fo.fledenlos, hat meinem Herzen wehe gethan. Mit
Freuden heißt e8 Euch darum willkommen!“
Der Süngling drüdte mit Rührung die Hand biefes großen,
eblen Menfhen.
— 151 —
Seht aber Tonnte fi der ſtürmiſche Mouvans nicht Länger
* halten.
„Komm heran, rief er, „Du wackrer Freund, der Du ſo ritterlich
treu an meiner Seite kämpfteſt, den ich mit Schmerzen verlor!“
Da flog der Jüngling in des Mannes geöffnete Arme und
ans ihnen in bie des fanfteren bu Pleſſis.
Als daB herzliche Bewillfommen vorüber, ſprach ber Admiral:
„Getzt Euch nun an meine Seite, Herr de Viole, und theilet
ung umſtändlich Eure Begebniffe ſeit jener unſeligen Schlacht bei
' Dreur mit, - Sie müfjen feltfam fein — benn Euer Verſchwinden
war fo rätbfelhaft, als nad fo langem tZwiſchenraume Euer plöß-
liches Erſcheinen if.” —
Gui ließ fich nieder. Sechs Augen hingen an feinem Munde
erwartungsvol. Alles, was zwifchen jener Stunde feiner Berwuna
dung und ber lag, wo er bie Freunde wieber ſah, erzählte er ihnen
nun mit Offenheit und Treue.
Bol Erſtaunen hörten fie zu, machten ihm aber dann bittre
Vorwürfe, daß er ſo lange her ſchon nichts habe von fi hören
laſſen.
Gui entſchuldigte ſich, ſo gut es gehen mochte.
Angelegentlich fragte er dann nach den jetzigen Verhalmiſſen,
die ihm in ſeiner Einſamkeit unbekannt geblieben.
Coligni übernahm das unwillkommene Geſchäft, ben Jüunglim̃
einen Blick in die verworrenen Verhältniſſe thun zu laſſen, und ihm
die feindſelige Stellung des Hofes zu zeigen, deſſen Treulofigkeit
keinen Glauben, kein Zutrauen mehr verdiente.
Wie ſchmerzlich ſah ſich Gui getäuſcht. Alle ſeine Hoffnungen
fanfen nun zuſammen. Gr äußerte feine Vorhaben, nach Paris
haben geben zu wollen, bort bie Zurüdgabe von Saint: Flour zu
betreiben.
Der Admiral lächelte wehnrithig.
„Diefe Hoffnung müßt Ahr aufgeben, Herr de Viole,“ ſprach
ber Admiral; „denn des Hofes feindfelige Stellung beutet genugfam
— 12 —
an, wie wenig man Eure gerechte Forderung beachten würde; aber
auch den Fall angenommen, ber Hof wäre unferen Glaubens—⸗
genoffen günfig, dennoch würdet Ihr mır eine trügliche Hoffnung -
nähren, da Katharina den Schatz, ber ohnehin durch bie Kriege
und die Berwüftungen, bie in feinem Gefolge find, erfchöpft iſt,
noch mehr durch ihre unfelige Reife und ihre Verſchwendung
in üppigen Hoffeſten erſchöpfte. — Wie woßtet Ihr dba offen,
daß ſie eine fo veiche Beſitzung, als Samt > Fleur iſt, zus
südgäbe?" —
Diefe Gründe waren zu eimleuchtend, ala daß fie hätten
widerlegt werben können. Gui ergab ſich in ſein Gefchick; aber
- jener andere Gedanke, der feine Seele bebertfchte, wurde fo Leicht
nicht aufgegeben.
Das Geſpräch wandte fih nun auf bie nothiwendigen Rüftungen
der Hugenotten. Der Admiral theilte nun mit, was bereits ge
fchehen und wie viel noch gefchehen müfſe.
„Und zu dem, was ich thun muß,“ fuhr er fort, „bebarf ich
treuer, mutbhiger und unternehmender Männer, wie die find, in beren
Mitte ich jett ſtehe. "
„Ihr, bu Pleſſis und Oberſt Mouvans, kennt fchon bie Auf:
teäge, die Ihr zu erfüllen Euch entfchloffen; Ihr aber, be Viole,
noch nicht. Auf. Euch vechne ich, und darum wünfche ich, bag Ihr
in meiner Nähe bleibt; wollt Ahr das?” —
®
Ein Schmerz zog bar bed Jünglings Bruſt — aber er
richtete ſich männlih auf und gab feierlich fein Wort, zu jeber
Unternehmung bereit zu fein.
Eoligni drüdte feine Hand. „So Fannte ich Euch,“ fagte er,
„und mein Vertrauen, das mich oft täufchte, bat fi) in Euch
herrlich bewährt, und biefe iſt eine von den freubigen Erfahrungen,
an benen baß Leben nicht eben reich iſt.“
Bis tief im die Nacht blieben Mouvans und bu Pleſſis in
Chatillon — dann aber verließen fie den Admiral; Gui blieb in _
feiner Nähe und mußte ben Plan, ben fein Her entworfen, für
+
x —
— 168 — on
jetzt aufgeben. Zu dem Vater über ben Sternen betete er, und
‚feinem Schuß empfahl er bie Geliebte vertrauendvoll, und Frieden
kam, be3 Gebetes reicher Segen, in feine bewegte Bruft.
Katharina's Kundſchafter umgaben mit Argusaugen ben Ad⸗
miral ſowohl als Condé, ber fich damals zu Noyers in Auxerrois
aufhielt, und hinterbrachten ihr jeden Schritt. — Damals wurde
sum erſten Mal am Hof und im Kabinete Ktatharina's ber Namen
eines jungen Mannes genannt, ber Katharina's wildes Herz durch
die Erinnerung, die er beraufrief muß ber Vergangenheit, in
ſtürmiſche Bewegung brachte. Gui de Biole be Saint = Flour
nannte man als Coligni's Bertrauten, als ben, ber die geheimen
Aufträge nach Noyers zu dem Prinzen Condé bringe, der ſelbſt in
der Nähe Johanna's von Navarra zu Nerac fei erblict und von
ihr ausgezeichnet worden. Mean jchilderte ihn als einen ber
muthigften Männer ver Hugenotten, der, noch Jüngling, in ber
“+ Schlacht bei Dreux mit Monvanz den Gonnetable zum Gefangenen
gemacht, und durch feine Tapferfeit in. jener Schlacht dem kbnig⸗
lichen Heere beträchtlich geſchadet. Es war wirklich an dem. Unbe⸗
dingtes Vertrauen ſchenkte der Admiral dem jungen, fähigen Manne,
und die Klugheit, womit er ſich ber wichtigſten Aufträge entle⸗
digte, der nie raſtende Eifer für die Sache ſeines Glaubens,
ſtellte ihn noch täglich höher in des Admirals Achtung und
Werthſchätzung.
Es war zu Monceaur en Brie, wo ſich damals der Hof
aufhielt, und wo Katharina, bei dem ſich allmälig mit Wetter⸗
wolken umlagernden Horizont, das in ihrem finſtern Aberglauben
wurzelnde Bedürfniß fühlte, den ihr ſo treu ergebenen Aſtroldzen
Acevedo, ber noch immer. in Paris In faſt klöſterlicher Cinſam⸗
‚keit Iebte, wieder um fidh au haben, und den fie darum zu fidh
beſchied.
Acevedo verließ -ungern Paris, aber er, ber durch die Nach⸗
richt von Gui's Wiedererſcheinen, die ihm insgeheim bu Pleſſis
wiczetheũt, ein denes Leben gewonnen, er ſah jet, wie nothivenbig
‘
_- 4 —
„bed geftattet mir, ba ich heute und morgen ber Himmelszeichen
Lauf beobachte, und vielleicht iſt es möglich, Cuch genauere unbe
zu, geben.” —
„Gut,“ ſagte Katharina — „thut das
Sie rief nun eine ihrer Hofdamen und ließ dem Afrologen
ein Gemach anweiſen, das ganz nahe an ihre Gemächer fick.
Acevedo verließ fie nun und ging mit Gabriel in das ange:
wieſene Gemach.
Katharina aber beſchied ihre Frauen zu ſich, um im leichten
Scherz und in flüchtiger Unterhaltung bag erregte Gewifſen zur
Ruhe zu bringen: und in einer Gefellſchaft fich ſelbſt wieder⸗
zufinden. |
Einfamfeit- Tonnte fie e jekt nicht ertragen, ba ber Hölle Furien
fie erfaßt Hatten.
. Eine Stunde rechts von Monceaur breitete ſich der herrliche
Hochwald aus, in dem Garl jet mit all’ ‘der ihm eigenen Leiden⸗
ſchaftlichleit feine LieblingSvergnügungen genoß. Am ſüdlichen
Saume deſſelben z0g fich bie Heerfitage hin, bie nach ber. Picardie
führte. An einzelnen Stellen trat der Hochwald bis an die Heer:
firaße vor, an anderen begrenzte fie bloß ein Hohes Gebuſch, indeß
auf der andern Seite Fruchtfelder und faftige Wiefen eine reizende
Fläche bildeten. Recht warn für bie herbſtliche Zeit fehlen bie
Sonne, und ber Himmel war ungewöhnlih Mar. Fernhin hörte
man das wilde Toben und Treiben ber Jagd; ; friedlihe Stille Tag
auf ber Ebene.
Still ritt auf der Heerſtraße ein Jungling daher auf einem
gar fchönen Roſſe, nur von einem in anſtändiger Entfernung
folgenden Diener begleitet. Sein Aeußeres verrieth adelige Ser-
Zunft — allein es war weit entfernt von jenem eitlen Prunk und
Flittertand, wie ihn die jungen Edelleute am Hofe Katharina's
liebten, Kein Ab: ober Feldzeichen verrieth, ob er der Partei ber
Chatillons oder Guiſen angehöre. Einfach, wie feine Kleidung,
waren auch feine Waffen; aber in ber ganzen Erſcheinung bes
— 165 _
Junglings Ing etwas Hohes, Ehrfurchtgebietendes. Kb war eine
männlich ſchöne Geftalt; allein jene frifche Blüthe der Jugend gi
ihm ab; vielmehr trug fein Geſicht einen Ausdruck eines leidenden
Gemülthes, und ber tiefe Ernſt, ber aus bem bunfeln, geifvolien
Auge ſprach, hatte für, feine Jahre etwas Fremdartiges. Alle
Unterhaltung mit feinem bie ungern fehenden Diener- verfhmähend,
ching ber Züngling ernfien Betrachtungen nach, und ſchien es nicht
- einmal wahrzunehmen, daß der Rappe, ben er ritt unb bem er
nachläſſig den Zügel auf bem fchönbemähnten Halfe ruhen (ih,
einen recht: gemächlichen Schritt ging. ’
Aufmerffam horchte der Diener dem bisweilen näher‘ ſchallen⸗
den Jagdgetöſe, und wartete ungeduldig auf die Gelegenheit,
ſeinem Herrn ſeine Meinung darüber zu fagen. Der ſchien e8
nicht zu hören.
Endlich Fonnte er es nicht Länger ertragen und fagte:
„Ihr ſcheint heute gar feinen Antheil an dem au nehmen, .
was Euch umgibt!‘
Der Yüngling ſah, ohne zu antworten, ihn an.
„Dort geht es luſtig zu, fuhr der Redſelige fort — „Kenig
Carl hat eine große Jagd.“
„Woher weißt Du dag?” fragte jet aufmerffam fein Herr.
„Man ſprach in unferer heutigen Herberge bavon, fuhr ber
Diener fort, „daß heute eine .ber glängenbften Jagden in biefem
Forfte gehalten würbe.” —
„So find wir wohl nabe bei Monceaur ?“ fragte: wieber ber
Yüngling. Ä
„Das mag höchſtens eine Stunde links abllegen* verfehte
ber Diener, „und wenn Ihr Luft tragt, bort Euch umzuſehen
fo .möchte wohl jener Waldweg, ben Ihr bort ſeht, ficher dahli
Kelten.”
„Dazu fühle ich eben Feine Luſt,“ antwortete Jener, „und 18
wäre mir welt lieber geweſen, Du hättet mich davon unterrichtet, -
baß biefer Weg fo nahe bei Monceaur vorüber führe, ba Du ber
186 —
Vegend kundiger bin aß ich, ber ich zum erſten Male hier verbei
fommne
VDieſer ſchavf ausgeſprochene Tabel brachte den Diener wieder
gun Sihweigen.
Der Züngling faßte des Roſſes Zügel, und der Sporn wild
bag Pferd zu raſchem Lauf. Es ſchien, als wolle er gerne ſchnell
aus biefer ihm unbeimlichen Nähe. Die alte Stille trat \wieber
ein. Das ſtille Hinbrüten - des Itinglings machte aber jetzt einer
wachſamen Aufmerkſamkeit Raum. Er warf von Zeit zu Bet
ſpähende Blicke nach dem Wald und trieb fein Pferb immer wieber
aufs Neue an.
Er Taufchte jeßt felbft aufmerffam dem Jagdgeldſe.
Plößlich aber hielt er fein NRoß mitten im Lauf an; benn ein
gellender Schrei ſchnitt durch fein Gehör.
„Was war das?“ fragte ex ben Diener, ber auch mit offenem
Munde horchte und ſein Roß anhielt.
„Das ſchien ber Nothſchrei eines Menſchen,“ antwortete er —
„und wenn mich mein Gehör nicht tauſchte/ von einer weiblichen
Stimme herzurühren.“
Raum hatte der Diener grendet, als ein wildes Raufchen in
den Zweigen gehört wurbe und ein heftiges Schuaufen. “-
An dem Jünglinge regte ſich bie Jagdtuſt. Er ſpannte feine
fharfgeladenen PBiftolen, indem er ſagte:
—— Hide."
Er fah mit gefpannter Aufmerkſamkeit auf bie Gegend, woher
das Gerduſch Jam, das jetzt immer deutlicher gu vernehmen war.
‚EB iR kein Hirſch“ — ſagte ber Diener, „wohl aber bei
Ghymaufen eines wild gewordenen Hoffen I‘ i
In demfelben Augenblide beftätigte fich biefe Vermuthung. Ein
ſchneeweißes Mo flog wild aus vbem Walde heraus. Vie Mähne
Safterte-umnd de geſtrecktem Galopp flog » dahin Aber die · Ehbene.
„Da iſt ein Anglũd gefchehen⸗ Wenig den Yünglitı Ade⸗
— AM —
Dat Roh: ft. reiteclos! Lens Meiter ıift zgefhhrgt, umd von An bau
I Schrei.⸗
„Ihr wollt ſagen,“ belehrte der Diener, „bie .‚Neiterin- fei
geſturzt, deun das ſchöne Thier trägt einen DBarkfattel. —
„Das if Eins,“ rief jet der Jüngling, „sage Du dem
Mole wach und fuche es eingufangen ‚ derweilen ich den Berr
ungluckten f
„Das ift fein leichtes Stück Arbeit!" brummte der Dieter,
indem er das Pferd Ärgerlich berummarf und ihm nachiagie.
Der Jimgling ritt mm ſelbſt fchnell im den Wald hinein, das
ver Richtung, ‚im: welcher. das Roß herausgekommen. Bald je
zwäßte: ur ſein Pferd anbinden, denn es war durch das Didicht
— gemacht, reitend vorwärts gu lommen. Daher ſuchte er
un nach ber Spur mit: aller Sorgfalt. Allein dies Bemühen mar
fehr fruchtlos, da bei der Dürre bes ‚Pferdes flüchtiger Huf Tau
keine Spur im Mooſe, Buß dem Boben bebeifte, zurüdgelafien.
Se miehr indeffen die Schwierigkeiten fih häuften, defto ſtärler wunde
ber Zug feines menfchenfreundlichen Herzend. Vorſichtig Tnicte er
wuf jenem Wege die Zweige, damit er nicht nur den Rüdweg -
finden, fondern auch fe Diener ihn nicht veufehlen möchte. Ehe
er noch eine Spur der Berimgküdten entbedit Hatte, wernahm er
ſchon an Selbſtgefpräch fees Dienerd, ber, fiel? laut zu denken
gewohnt, vernehnikith beö eingtfangenen Rofſes wundervolle Sapı-
Geht lobie.
Eine bedeutende Strede mochte wohl ber Jüngling fen
Abend fortgeſchritten fein, als er durch das Gebüſch etwas Weißes
fchimmern ſah. Die Zweige auseinander theilend, enddedte er ein
weiblicheg Weſen, das in einem weichen goldgeſtictien Jagdkleibe
ohnmächtig am Fuße einer Buche Ing. Mer weiße. Schleter war
or Bint befledt. Das Seſicht kaunte er nicht ſehen.
Ein Sprung über daB Strauchwerk — und er Kand an ber
Gelte ber OQhemächtigen. Seinen Mantel Ireitete: er Ichnell- anf
das weiche Moos und ergriff dann mit flarfen Armen bie fehlankg,
⸗
ſchoͤne Gehalt bes. Miäbuhens, und legte fie auf ben Mantél mieder.
Sie war nur leicht am Halfe von einem Dorn gerigt, "Schweil
sidelte er ben feinen Schleier um den fchönen Hals, nachdem er
vorher mit demſelben das Gefiht nom Blute gereinigt halte.
Züchtigen Sinnes verhüllte er die jungfränliche Bruſt und pfiff
nun bem Diener. Diefer war nahe. Der Befehl feines Herrn
trieb ihn an, Waſſer zu fuchen, um bie Obnmächtige damit in's
Leben zurüdzurufen.
Seht erſt warf er einen prüfenbden Blick auf bie Jungfrau
und erflaunte über ihre blendende Schönheit. Solche Reize hatte
- @ no mie in einem weiblichen Weſen vereint geſehen. Sie
wurden noch erhöht durch bie reizende Unordnung, in welcher ihrer
Loden reiche Fülle um den ſchönen Kopf und auf ben vollen, ſich
nur leiſe hebenden Bufen wallte. In füßes Anfchauen verfamf
der Jüngling.
Der Diener kam zurüd mit friſchem, Plaren Waſſer, womit
ber Jüngling nun bie Dame anwuſch, und dann bem Diener gebot,
fh zurückzuziehen.
Bald darauf fchlug bie Schöne die Augen auf. Sie ftarrke
den Jüngling an und rief, ſich aufrichtend:
„A ihr Heiligen! wo bin ich?“ —
„Berubigt Euch, Fräulein,‘ ſprach chrerbietig ber Jüngling,
„Ihr befindet Euch in dem Schutz eines Edelmannes, der die
Geſetze der Ehre heilig achtet, und weiß, was er den Frauen
ſchuldig il”
Er hatte die Hand auf's Herz gelegt, und ber Ton, mit dem
er ſprach, war jo treu, fo rührend herzlich und wahr — daß ber
Jungfrau BU jetzt heiter und ruhig. wurde.
„Ich vertraue Euch!“ ſagte fie matt.
„Sagt mir num, vor allen Bingen,“ fuhr der Jürngling
angelegentlich fort: „fühlet Ihr irgendwo Schmerzen? — Ihr feib
gekürzt, und Euer flũchtiges Roß verrieth mir, daß ein Unglüd
geſchehen.
—
—
„min,“ ſagte fe mit zoubeciſchem Liebreig ihm. zulaächelnd,
nl fühle keinen Schmerz, außer in meiner Hand, bie wahr⸗
ſcheinlich beim Falle litt, und hier am -Halfe b kt es.“
„Ihr habt Euch bloß gerigt, und ich hielt % für gut, Cuern
Schleier ala Verband anzulegen.” -
Eine glühenbe Röthe überflog jetzt ihr Geſicht, und eine
peinliche Verlegenheit bemeifterte ſich ihrer.
„Exlaubt mir, daß ich Eure Hand unterfuchel” bat er, und
erröthend reichte fie ihm die fchön geformte, blüthenweiße Hand bar. -
Zaſt zitternd nahm fie der Züngling in die feine und unter
fanhte fie.
‚ „Gott fei Dank!” fagte er barauf, „ich Anbe feine Ver⸗
lehung.“
Die Jungfrau ſah ſeine Verlegenheit. Ahr Sen fagte ihr,
daß ihre Reize den Jüngling bewegten, und ſie ſelhſt nahm es
wahr, welch ein wohlgebildeter ſchöner Mann ihr menſchenfreunb⸗
licher Retter ſei. Jedes weibliche Weſen freut ſich ſeiner Triumphe,
und auch die Jungfrau empfand eine leiſe Freude über bie gemachte
Venerkung. '
Nach einer Heinen Pauſe fagte der Züngling:
„Ueber Euer Roß könnet Ihr gebieten, und ich bin Eurer
Befehle gewärtig, wohin ich Euch bringen ſoll; benn Ihr bebürfet
jebt der Ruhe
„So bringet mich nach Monceaur en Briel” bat bie Jungfrau.
Auf des Junglings Befehl rüſtete der Diener die Pferde.
Er bot der Jungfrau ſeinen Arm. Sie Rübte ſich feſt auf
ihn und wollte mit ihm nach der Landſtraße geben, als das Jagd⸗
getoſe ſich mäherte.
„Laßt uns bleiben,“ ſprach das Fräulein, „denn mir ſcheint,
daß des Königs Jagdgefolge meine Spur entbedt hat und mich
aufucht.“
Bald darauf ſprengte wirklich in Jaͤger durch das Didicht.
DR wear sin; reich gelleideſer, junge, hagerer Mann. Seine
®*
m — 0
u ⸗
ling wur dis fat vergekeum, Ar Feichen icier ſehr
ſchwachen Brut. Ein ſchwarzes, großes, burbrihgenbs Auge
ſchoß Blige Sein Gt war gelblich "und vleich, en Heu
xabenſchwarz. Ber Einbdruck, ben er machte, war keineswegs
angenehm.
Er erblitte kaum die Gruppe ber Jungfrau unb des Jüng⸗
lings, ala er fi vom Pferde ſchwang, es einem ber Hihnell folgen-
ven Herren überlleß, und weit den, Worten vor ihnen ſtand⸗
„Haſt Du Sthaden ‚genommen, meine Schweſter?“ —
„Dankt es Gort und biefem len jungen Marne, bak Ihr
mich fo heiter fehet, mein königlicher Bruder,” ſprach Margeretha
von VBalois zu Carl IX. „Außer einer Tleinen Berrenfung sin id
glüdlicher gewefen, als es zu erwarten ſtand.“
„Da bift alſo wirklich geſtürzt?“ fragte weiter der Köuig.
„Soviel weiß ich no,” antwortete Mergareija — |
‚ Sa) das Uebrige von meinem Retter Tagen, ber mehr davon wel,
als ich jelbfl.“
Der König wandte jetzt feinen durchdringenden Blidck auf den
Jüngling, ließ ihn eine Weile auf ihm ruhen, wo er denn von
Secundẽ zu Secunde mehr von feiner flarren ‚Härte verlor und
freundlicher ivurde. — Dann fragte er:
„Wer ſeid Ihr, funger Mann?"
Eurer Majeftät getreuer Untertban, Gui de Saim⸗Flvur.“ —
‚ne Viole?“ fragte raſch Carl, und fein Mund verzog fih auf
eine höchſt abſchreckende Yet.
„Sure Majeſtät nennt den Namen meiner Familie,“ ver:
ſetzte Sat.
„Die, fcheint nicht fehr bebeutend mehr!” ſprach ml einem
hohnenden Lachen Earl,
Eine dunkle Adtye des Unwillens 'Nog blitzſchuell fiber Gars
Geſicht. Er richtete fein Haupt empor und fah muthig bem MWirsig
3 Auge, umd fagte dann mit Nacherudk:
„Sie wur es Auf, mes, König anb Baer, ib ihre Verhiente
- 171 —
micht lei um Keönig und Vaterland, und wo mun bie Namen
Monitoren, Monkesttulen, Curl und Rohtin nammte, da end
than ber. Vieles niel“ —
Der König fah ihn zornmüthig an. Seine Augenbrauen
305 er finfter ‚herab, amd. unheilverkündend biöste das Auge. —
Doch ein Blick Margarethen!s, die, Um nahe Teetend; Sie Humnd
wie bittend auf ſeinen Arm kegte, — veritheuchte daB tWrohenbe
Unwetter. |
„Wenn Ihr auch nichts jonft von. Eurem Vater geerbt habt,‘
fpra Carl fcharf, „fo ſcheint's doch der Mandel an Atbtuug dd
Ehrerbietung in ber Mühe Eures Königs zu fen!’ ° —4
Er drehte fh um und ing ben ullmälig fe einfindenlden
Gefolge enigegen.
Margarethe war vᷣleich. Man ſah, es fegmerzte fie tief, vuß
der König fo ſchommgslos gegen ben Juüngling war, der ihren
wirmfer Dank und — ihr Wohlgefallen fid) erworben. Sie fah
But mit vhhrender Freundlichbeit an, gleich als ‚wolle Nie tab dan
Benehmen ihres Bruders vergüten. j
Alter Augen waren auf den König gerichtet. Maryarethe nahm
dies wahr und trat Gui’nher:
„Vergebt es feinem haidrufchafilichen Gemunhe, : flüfeoie PR
zutraulich. „Nicht jedes Hergiift undantbar. Ihr ibenlehtet unb doch
nach Monceauxr?“ — |
Gui wußte nicht,. was er thun follte. Die Bitte war fo RN
lich — er konnte nicht wohl widerſtehen.
„Eurer Bitte widerficht Riememd!“ fagte er; ſich neigend.
Margarethe erräthete. Sie war. ber Sthmeicheleien geiechnt —
aber aus dieſem Munde ſchien fie ihr mehr zu ſen.
Allmälig war das ganze Gefolge angelangt. Jeder —*
zur Prinzeſfin ihr ſein Bedauern / zu bekunden. Ei gie Schwarm
‚umgab fie Gui fland allein.
Der alte Tonnetable Montovenck dee fich durch Sn Wunſch
hautt Bejtikummen Neffen, Dheil an ver hid zu mehnidn, treit mun auch
—8
— 172 —
herzu und mit ihm. ber König Montmoreuti börte eben von
Morgareiden bie Worte: „Diefem wadern Gdelmanne banfe ich
meine fchnelle Herftellung!” indem fie auf Sul beutete, und biidte
jebt auf ihn.
Schnell verließ der alte Held die Primzeſſin und- trat zu Gui,
bem er mit Achtung feine Hand bot:
„Brüß Euch Gott, junger Held!” ſprach er zu ihm. — „Ich
freue mich, daß wir uns noch einmal begegnen.“
Gui erglüͤthe und neigte ſich ehrerbietig vor dem Greiſe, ber
ihn mit Wohlgefallen anſah.
„Ihr kennt den jungen Mann, Montmorenci?“ fragte neu⸗
gierig und, wie es ſchien, feine frühere Härte bereuend, der König.
„Sehr gut, erwieberte Montmorenc. „Zweimal Icon bat
mir der junge Mann tapfer: gegenüber geftanden, bei Rouen und
Dreur. Bei Dreur gab ih mein ‚Schwert in feine Hand — und
ſie war nicht unwerth, das Schwert des Connetables zu empfangen,
benn Tapferkeit, Muth unb Edeljinn verdient auch am Feind Achtung
and Ehre!‘
„Wahrlich!“ rief plöglich, wie von einer Rührung ergriffen,
ber König, „mer fo fremdes Verdienſt ehrt — auch am Feinde, ber
verbient breifach bes Ruhmes Lorbeerkronel!“
Und zu Gui wendete er fi freundliche:
„Ich hoffe, Ihr vergeßt das Frühere und begleitet uns nach
Monceauxr.“
Gui verbeugte ſich: „Eurer Majeſtät Wunſch iſt mir Befehl‘
ſagte er, das bittere Gefühl unterdrückend.
Gui's Diener brachte Margarethens Pferd. Sie ſchwang ſich
leicht in den Sattel, lächelte Gui freundlich zu und ſprach zum
König:
„@eftattet es, mein: Pöniglicer Bruder! daß mein Retter an
meiner Seite reite?
„Das if ber Platz, den er werbient,” antwortete ber. König,
ab winkte Gui, ber alsbald ſich in ben Gatiel feines Rappen
ERSTES —
— 18 —
ſchwang, und die ehrenvolle Side an ber Seite der liebreizenden
Margaretha einnahm.
Unter Hömerflang begab ſich die Geſellſchaft zum Zelte, wo
das Mahl ihrer harte Gui durfte Margarethe wicht verlaffen.
Ununterbrochen wechfelte fie wohlwollende Worte mit ihm, und es
ſchien, als finde Margarethe den Jüngling aus mehr als einem
Grund ihrer Dankbarkeit und ihres Wohlwollens werth, denn ihr
Blick ruhte fo wohlgefällig auf ihm, und fie ſuchte, fo ungezwungen
a möglich, das Geſpräch mit ihm zu unterhalten.
- „br werdet doch einige Tage in Monceaur weilen ?" fragte
fie, als die Tafel ihrem Ende nahe war.’
„Ihr macht, daß ich mit fchwerem Herzen biefe Frage ver:
neimen muß, antwortete ber Jüngling. . J
„Hat Eure Reife ſolche Eile, daß Ihr dieſen Wunſch mir ab⸗
ſchlagen müßtet?“ fragte fie mit herzgewinnender Freundlichkeit.
Gui biidte in das ſchöne Blaue ‚Auge ber Pringeffin, und
es war ibm, als fei er in einen Zauberfreis von biefen Wefen
gebannt. J |
- Ein Seufzer bob feine Bruft. — Ein glühendes Roth übergoß
feine Wangen. Cr fühlte, es Fofte ibn Weberwindung — aber hei:
- Jigere Pflichten Tagen ihm ob. Und doch mußte er lügen, um ‚keinen
Zweck zu erreichen.
„Vergebt, Prinzeſſin,“ ſprach er, „daß ich, fo wehe ed mir‘
thut, End dennoch nicht zu Willen ſein kann; die heiligſte aller
Pflichten, die Kindespflicht, ruft mich nach Paris.“
„Bann muß mein Wunſch ſchweigen,“ ſagte Margarethe. /dabi
Ihr etwa einen kranken Vater dort?" |
„Wolte Gott!” gnbvortete der Jüngling mit Wehnuth.
„Sol ein glücklich Loos if mir nicht gefallen. Ich fiehe allein in
ber Welt — frenid — ohne Theilnahme!“ —
“Sagt das nicht fo allgemein !’* flüfterte halblaut Margarethe. —
Da durchzuckte ein ſeltſames Gefühl den Jüngling, und fein“
Ange traf mit Feuer bie Prinzeffin,, bie das ihre nieberfchlug —
N
— 1714 —
- Den. Altug hbek jetzt Die Tafel af... i
„Unſere Jagd war glüdlich, den einzigen Unfall unſerer cevern
Sechweſtex ausgenommen,“ ſagte ber König — „und ba fie ber
Ruhe bedarf, fo kehren wir nach Monecaux zurüdk.“
Gui hoͤrte das nicht. Ein ihm unbelanntes Gefühl. duxch⸗
bebae ihn bei dem Gedanken an Margarethens Worte, bie ihr fo
unbewacht entiahren waren, daß fie ſelbſt "Hack. verlegen ſeinen
Aublick nich.
Man brach auf, Gui nahm ungeheißese bie Sull⸗ auf Mau
gaxtthens linker Seite ein. Cr bot ihr dia Hand beim Auffieigen —
und ein freundlicher Bli des ſchönen Auges lohnte rei. Kaum
aber begriff er wenige Augenblide fpäter. feine KQühnheit. Der
Süngling war ein Gegenftand allgemeiner Reugierde und mitunter
dab Neides. So mancher junge Mann hatte fi um einen Blid
ber Huld von. der fonft fo ſtolzen Schöliheit beworben und vergeblich
ſich beftvebt, und biefer erhielt fo ſichtbare Beweiſe ihrer. : Huld,
ohne daß en fich ſonderlich darum zu beivacben ſchien, und war,
dazu ein Keber! und doch war. ihm eine Ehre vom alten Mont⸗
moreud, widerfabren, die felten einem fo jungen. Manne wunbe.
20.
Yo Die fie fon neigende, Serum: begrüßte «ben. das Schloß
Manceaurx üben- bie; Waldwipfel herüber, als ſich: die Yagbgefall-
ſchaft dem Schloffe näherte. Dex. Hömer froher Schall. rief Katha⸗
ma: auf den. Balcon, Fernhex grüßte [chen Mangzanethe umd ber
König. Katharina ging ihnen bi zum. Portal entgegen. Heiter
büpfte ihr Dinrgardige entgegen,
„Bald, ‚hättet Ihr mich, lebendig micht mehr geſchaut,“ ſprach
fie Tächelnd zur Mutter. „Deult nur, meist Araber warf mich ab.”
Die: Mutter forſchte Angfilich, ob fie Schaden gelitten. -
„Vaeruhigt Cuch,“ — ſagto fie. Katkarium, „edı fehlt wir
nichtz. Gin junger Edalmann wurde mein Nettent‘‘
‘
— ı —
Win dirk wur Tan ee +.
VWaſcheiden tratı Gui hauen. -- \
„Seht, thenmg- Muster, ‚bien meinen. Retim, Sm bank ion ga
wis für das, was er: an Gum Binde thatl!“
. Bin: feeubiger Schreden, burchbehte, Satharinen, als Margarethe
den Namen dea Jimgliags auaſprach. Das. war ja ber Vertrauta
Qeligni's, ber ſo unvermuthet in ihrer Gewalt war. Schnell: übers
job, ihn Scharfſinn bie Vortheile, bie ihr aus. biefem, Umſtand en.
wachſen konnten. Jetzt galt ed, den Jüngling zu geivinnen.
Alle ihre ˖ Freundlichleit bot fie auf, ihma zu banken. An ihrer
Hand mußte Si: bie Treppe hinaufiteigen und bort an ihrer, Seite
nieberfigen.
Margarethens Anklig. ſtrahlte die Freude über biefe Behandlung
Gui's zurück, die ihr Herz empfand. Sie ahnte nicht bie Axgliſt,
bie hinter dieſer Freundlichkeit lauerte.
Natharinen mußte Gui Alles auf's Genaueſte Berichten, Unvar⸗
merit- kam fie auf ben, Zweck feines Reife. Verlegen wiedexhahte
Gut noch einmal bie Unmahrheit, die er- Margarethen. geingt-
atharinen eniging biefe Verlegenheil nicht, und- ihr Argwohn. hatte
neue Nahrung. Sie wußte, daß bu Pleſſis-Mornai in der Picardie
warb. Sie witterte, bald ben Zufammenhang, und ob fie. gleich,
kame Gernibeit haste, ſo war bach eine lebhafte Vermuthaug in
üg rege; Gui müſſe Vrieſſcheften bei ſich tragen, bie für; fie if
Michtigkeit. ſeien.
Margarethe mußte beim dringenden Bitten nachgeben und ii.
in ihre Gemächer zurüdziehen, fo ungern fie es that, da ihr Herzz
fie an hie Nahe von Gui zu feſſeln legann. Sie bat, ihn vorher,
wenn er durchaus morgen Monceauxr verlaſſen müſſe, ja nicht zu
frühe ſich Zu entfernen. Guti verſprach's, und fo begab” fie ſich
hinweg in: dem Scheideblich allen Zauberreiz ihrer Freundlichkeit
vereiaigend. Lange indefien, floh, der Schlaf das jungfräuliche. Lager.
Quj's Bild umbqvebte Fir, und. es wand ſich in, alle ſüßen. Sm
des Traums — als hey-Schlaf enhlich fie Kefingte.
- 18 -
Ehe man zur mendige fh Begab, zog ſich die Mönuin auf
eine kurze Zeit zurüd, bie Gut im Geſpräche mit dem Sonmetabte,
der ihn noch immer ehrenvoll auszeichnete, hinbrachte.
Kaum war Katharina in ihren Gemach angelangt, ats fie ein
geheimes Gefach aus einen Schrante herauszog, ein weißes Pulver
zurecht Tegte, und dann .eine ihrer vertrauteſten Hofbamen, bie Frau
von Martignac, zu fich befchieb, von ber fie wüßte, daß fie ſelbſt
ein Verbrechen zu begehen bereit fein würde, wenn es eathariua
verlange.
„Ohne Zweifel wißt Ahr,‘ redete fie die Eintretende an, „was
fich mit Margarethe und dem jungen be Viole zutrug?“ —
Die Martignac bejahte.
„So wiflet, daB diefer junge Menſch der Bertrante Coligniꝰ
iſt, daß er geheime Papiere bei ſich trägt, die zu erhalten für mich
von dem größten Bortheile fein wird. Miſcht ihm das Pulver
gefchict in feinen Wein. Es ift ein betäubendbes, doch unfchäbliches
Mittel. Er wirb dann ungemein feft I&lafen, und es wird banm
leicht fein, ihm bie Papiere zu entwend
Die Martignac war willig zu biefem Bubenftüd. Sie nahm
ba3 Pulver und entfernte fich ſchnell, die günfttge Selegenheit wahr⸗
zunehmen.
Die Tafel begann. Gui fuhlte fich bei weiten behaglicher in
dieſem Kreis, als er es ſich gedacht hatte; denn nicht die entfernteſte
Andeutung über religiöſe Gegenſtände -wie über bie politiſchen ließ
man fallen; vielmehr flog heiterer Scherz umher, und ſebtaige,
leichte Unterhaltung vergnůgte Alle.
Seltſam aber war ed Gui, baß er gegen das Ende ber Tafel
“eine fo unbezwingliche Neigung zum Schlafe fühlte, daß er laum
das Ende erwarten Tonnte. -
Katharina fah triumpätrend die Wirfung ihres Mittelchens.
Gui begab Tich jogleich zur Ruhe, und kaum war er in feinem
Gemach, ald er auch fo heftig vom Schlaf überfallen wurde, daB
er fich, ohne fich auszukleiden, auf bas Bett warf.
—
I
— 17 —
.Er mochte eiwa Tine Scunde geſchlafen haben, da öffnete fl;
Ieife eine geheime Tapetenthür, und ein Mann ſchlich vorfichtigen
‘Tritteß herein. Er uabte fig dem Wett. Noch war die Berze im
Brande, bie Gut nicht einmal zu Iöfchen vermodt. Der Pant
‚umterfinchte nun Alles am ihm genau, fand aber nichts; enblich
enibeiite er .eine mit. emer Schnur am Halſe befeigte ſeidene
Taſche. Darin waren ‚ Schriften. Diefe nahm er beraus, ſteckte
unbeichriebenes Papier hinein, ſchloß fie und kubpfte das Kleid
-wieber zu. Darauf entfernte er ſich wieber eben fo leiſe, und
brachte Katharinen :die Schriften, ihr berichtend, wie und wo er fle
Die Königin lohnte reich dad Bubenſtuück. Der Meuſch entfernte
ſich, und fle febte ſich zu ber Kerze und las. Aber mit jebem
Athenzuge wurbe ihr Auge glühenber, ihr Geſicht bläfſer. Faſt
flodte ihr Athem. Als fie die Schriften gelefen, warf‘ fie fie
wüthend auf-dben Tiſch und fchritt Beftig auf und nieeder. Bald
aber legte fich ihre Wuth ımb Freube nahm ihre Stelle ein.
„So Hätte ich alfo bie alle ergriffen, worin Ihr uns fangen
‚weohktet!'' rief fie triumphirend. „Dad wird Euch nicht gelingen!‘
— „Aber welche Schänblichleitl” rief fie mach einer Weile
wieder. —
Sie klingelie mm.
„Ruft mir Acevedo!“ ſprach fie zur Hofdame, und ſagt einem
"Seren, er ſolle dem Koönige melden, ich wmäfle ihn noch fprechen
dieſe Nacht!" “
Nach einigen Augenblicken kam Acevebo.
„Ihr habt mir Wahrheit geſagt, Meiſter,“ ſprach die Königin,
eine ungeheuve Gefahr drohte dem König und mir — bie Hugenotten
en uns heimlich bier aufheben.‘ -
Seeneho {ah fie zweifelub an. „Woher wißt Ihe das fo
Pöat“. —
AIfſt Such denn das Grugniß von heute fo unbeklannt? —
Margarethe von Valois flürzte im Wald, Ein hunger Delmann
Horn’s Erzählungen. X.
— 18 —
zitt nabe vorliber, ſch has seitefefe Perd ab seitete fir. Und
wer meint Ihr wohl, baß biefer feit” +
— „Ich kenne zu ‚wenig bie bebewienben Beute ber Hugenotten!
ſagte Acevedo.,
„Der Vertraute Sofigni’s, 44 fuhr eiſrig unb freubig bie KAbrigin
fort — , Gui de Saiut⸗Flour — ber Sohn jenes verruchten Achers
be Viole.“ —
Ein heftiger Schrecken durchfuhr Acevebo. Er zitterte. Zum
Glück ſid der Schatten bed Schirmes vom Katharinens Kerze auf
ihn, und fie gewahrte es nicht und fuhr fort: „Bir adırte, bei
er im Auftrage Eoligni’3 nad ber Picarbie ziehe, wo bu Pieffis:
Mormai if, und daß er Sthriften von Wichtigkeit mit fidh führe.
Die Martignae miſchte einen Schlaftrunk in feiwen Becher, und fo
wurde es mir leicht, ibm bie Schriften wit leeren Papieven
werwechfeln zu laſſen. Denkt Euch nur, es find eigenbänbige Briefe
Coligni's und Eonde’3, worin fie bu Pieffis von bem Plan unter:
richten, ben Hof in ber Stille zu Monceaux aufzuheben, und ihn
‚dann zu Allen zu zwingen, was fle wünſchten!“
Aeepedo faltete feine Hünbe und fagte mit beberiber Stiume,
obgleich nur mit bem Gedanken an Gut: „Es if entieplicht- Weiß
es der König ſchon?“
„Nein,“ verſetzte Katharina, „ich wollte. mid erſt mit Euch
bevathen.
Meiner Meinung nad, entgegnete Acevedo, „iſt michta
Nlügeres zu thun, als morgen in ber Stille eine Abtheilung ober
alfe Schweizer des Oberſten Pfyffer nach Monceaur zu ziehen, und
unter ihrem Schutze nach Paris zurüdzlehren.‘ .
„Das wird aber,‘ verjeßte bie Königin, , noch mehrere Tage
erfordern.” —
„Ihr ſagt ja feibit, daß Saint⸗Flour in Euren Händen if —
er Tann alfo auch unmöglich die Kunbe zu bu Pleſſis bringen —
und eb fiaint mie, daß fie ame dieſen nichts unternehmen
wollen.
- — Ud —
„Gut,“ Mh Kathetiua gun Fenſten trelend, „deht
jodt wieder zu Curen Beobechtungen, denn der Himmel iſt
hell und Bar.’
Ihr habt mich darinnen eben geſtört“ — ſagte Acenebhe
„Geht nur’ weqſetzte fie, „Uhr fol heute nicht wieder
gehärt werden.“
Acevebo entfernte fish; aber er ging hinab im das Souterroin
aes Schloſſes, mo ex Gui'a Biene Bei einer Flaſche Weines
aingeſchlummert fand
Er weckte ihn und zog ihn bei Seite.
‚Deinem Ham droht große Gefahr,“ ſprach er hämlich,
„koͤnnteſt Du Eure Pferde, ohne Aufſehen, etwa einige hundert
Schritt vom Schloſſe hinbringen und fie. ſchnell zur Flucht
bereiten?“ — .
Der Diener ſah erfchroden den Ajtrologen ar. „Das. ließe ſich
un, wenn es Roth bat — denn hie Ställe Liegen entfernt und
die Knechte find trunken.“
„Aber wie würdet Du fie ohne Beräufch herausbriugen 3"
„Dafür laßt mich forgen, antwortete ‚ber Diener, „ih um⸗
wide die Hufe, ſo geht es.“
„So eile,” befahl Mcenebp, „an einer halben Stunde ven
Deinen Herrn.”
„Wohin denn?“ fragte ber Dienn
Acevebo beftimmte den Ort und ging wigber unbemeit Baal
in fein Gemach.
„Mabriele,“ £prad er ba, ‚Air Baben «in wichaiges Werk zu
verrichten. Ein hagenoitiſcher Süngling if im Schloſſe, dem Todes⸗
gefahr droht. — Er muß gereitet fein. Da hat wichtige Papiere
bei ihm gefunden!“
„Wie heißt end“ fr ſragte mit bangen Gefllhlen das Wädchen. —
„Bei Rabaud,“ exwiederte Acwedo, „er iſt. Leligns
VDertrauter!“
Gabriele wankte. Ein töðdilicher Schredien ergriff fie.
12*
nn.
— 150 —
„Was iſt Diet". fragte innigſt bewegt ber Greis. ”
- uch,“ ſtotterte fe, „2a in bee Sohn — bed Mannes, ber
einft meines Vaters Wohlthäter wurde; er felbft rettete uns einſt
von dem Tobdel”
| „Dann danfe Bett, daß er Dir Gelegenheit gibt, zu vers
gelten!” fagte Acevebo. „Doch laß und eilm. Ruſte bie Bleub⸗
Interne — Hülle Dich in einen Maritel und Tom!’
Er ſelbſt ergriff einen weiten Mantel für kch und rin
Gebund Schlüſſel, und fo. folgte das zitternde Mädchen Kam
Manne.
Sie kamen an Gui's Gemach. Es war Alles in dieſem
Himtertheile des Schloſſes tobt und fill, wie im Grab. Acevedo |
Wichte bie Achter aus, bie auf ben Gängen brannten. Gr öffnete |
des Jünglings Thüre. Noch lag er unausgefleidet in tiefont, ber |
wußtloſem Schlafe _ , ”
Gabriele leuchtete ihm in's Antlitz. „Ja, er iſt's!“ ſprach fie
leiſe, und betete dann: „Herr, laß es wohl gelingen!
Aewedo rüttelte ben Schlafenden leiſe, dann heftiger. Ver:
gebens. — Er erwachte nicht.
„Großer Bott!" rief er dann halblaut, „der Schlaftrank iR
Mark. Wie wird das werden!” — Doc beſam er ſich nicht lange
— er faßte ben Schlafenben; auf feine Schultern lud er ihn, und
jo ſchritt er vorſichtig mit feiner‘ theuetn Baft dem bebenben
Mabchen nad. — Sie. waren -bald über die Gange und gewannen
nun bie Treppe nach dem Garten. Eilenden Schrittes gingen ſie
durch die verfchlungenen Wege des Gartens. Jenſeit ber Garten⸗
pforte wartete der Diener mit den Pferden; aber ein neues Hinderniß
ſtellte ſich ihnen hier dar. Wie ſollten fie den noch immer Betaͤubten
fortbringen? — °
Acevedo verſuchte wiıf’3: Mess, ihn zu weiten, Erſt als er ibn
mit kaltem Waſſer beſprengte — erwachte er. Gabriele hüllte ſich
tief in ihren Mantel. Ihr Herz pochte hörbar, und bie Heub
vermochte kaum bie Laterne zu. halten.
— — — — —
⸗
1 —
„Ihr ſeid in graſer Gefahe,“ ſprach jeht eifrig Acevedo,
"sieht, Fo ſchnell Ihr könnt, nach Chatillon zurück, wmb fagt
Coligni, der Plan, den Hof aufzuheben, ſei verrathen! Wie ba
zuging, werdet Ihr finden. Man hatte uch einen Schlaftrunk
gegeben. In einigen Tagen bricht ber Hof nach Paris auf, Eilt
jest, fo ſchnell Ihe Tium. Trinkt Dies, feite er noch biz,
indem er ihm eine Heime Phinle reichte, „ed wird Guch munter
erhalten.“
Bui drüdie dankbar feine Hans, ſchwang fi auf fein Rab,
und bald waren fie im Walde. verſchwunden.
Acevedo haste noch nicht lange das Gemach der Königin
nerkaffen, als fie fich zu ihrem Sohne, bem Könige begab, ber
fe mit Sehnſucht erwartete. Sie legte ibm hie. erhauteten
Papiere vor. | '
Gen: Zuſtand greuzte an wahnſinnige Wiuh, ala: Äie
geleſen. Er fhwur Tod und Berderben allen Kehern. Katharina
ließ biefe Stimmung nicht verübeugehen, ohne fie gehörig auf ben
Punkt zu leiten, den fie mit Anjeu beſprochen. Dech haite ſie
den Muth noch nicht, mit dem ganzen bölifchen Plane hervorzu⸗
treten, fürchtend, es möge fih in Carls Bruſt, durch bie allzu
große Berworfenheit deſſelben, das Gegentheil erzeugen. von, bem,
was fie wünfchte.
Carl wollte Gui de Sant- Ficur ſogleich acortiſen unb
in Feſſeln ſchlagen laſſen. Er war um fo ergrimmter gegen
ihn, da ex ſich noch der Mühnbeit erinmerte, weiche Omi. gegen om
bewieſen.
„Dazu iR mergen noch: eben wohl Zeit," Ing bie Röxigin,
„er er no in halb bewußtleſem Schlafe, denn ich eß ihm
einen Schlaftrunk reichen/ und gelangte auf bich Suite. zu ben
Schriften. _
„Er ſoll ſchracklich beſtraft werben!” rief: Sl,
„Laßt und von: Anderm veben man Sohn, nahm *
das Wort: „Was denkſt Du von unſerer Abreiſe?“ —
— 19 —
„Je cher, je ſicherer und beſſer,“ meinte ber Köntg.
Nqharina eutwickelte ihm Acevebo's Plau, den fie nadiilich
cas die Frucht eignen Denkens darſtellte.
Carl gab ihm Beifall.
Noch vieles wurde nun über bie vergebliche und unzellige
Dar gegen bie Ketzer geſprochen. Katharina fehlen leiſe auf
FHopttal zu deuten, ala ben Urheber biefer milden Gefinnungen
und Maßregeln. Weber l'Hopital's eigene religiöfe Denkart ließ fie
einigen Zweifel bliden. Carl achtete ben trefflihden Mann body;
allein er wußte zu gut, daß l'Hopital allerbings immer für Milbe
ſtimmte, und ſchon manches drohende Ummetter von ben Häuptern
ber Hugenotten abgeleitet, ala daß wicht biefe Andentungen in feinem
fo Teicht erregbaren Gemüthe ben Argwohn gegen ben Kanzkber
hätten erregen follen; jedoch ließ er fich jet nicht weiter bavanf
en, und bie Aönigin- Mutter verließ ihn — aber fie ſaudte dieſe
Mat noch Eilboten an Puffer.
Zu der Frühe bes Tommenden - Morgens traten bewaffnete
Varbes⸗du⸗Corps vor Gui's Gemach. Die Königin hatte es, nach
rer RAdkehr von dem Könige, von Außen forgfältig verſchlichen
Yaflen. Es wurde jet geöffnet, nıtb — es war ler.
Katharina wurde ber umerwartete Vorfall ſogleich genrelbet.
Sie erſchrack heftig und eilte felbft, fi von der Wahrheit ber Sache
zu üÜbergengen. — Ber Adnig war außer fih, uns gab feiner
‚Matter allein bie Schuld des Mißglücens. Das ganze Schleßz
Wurde durchſucht. Nirgenbs entbedte man eine Spur. Die Ruit⸗
Inechte wurde vernommen — ihnen war es unbegreiflich, wie Out
Rufe Hatten ehflommen Tönnen. Bon ihrem Nanicde, ber Folge eines
Baechanal's, ſchwiegen fie weislich
Natharinens ſtiller Verdacht fiel auf Meweboy allent fie wagte
nicht, ihn laut werben zu laſſen. Sie brauchte ben Aſtrologen zu
notbwenbdig, darum mochte fie auch nicht einmal ben Schein eines
Bechachts auf Kon laben. Sie weite ihn pilifen, und ließ ihn zu
fig, befgjeiben: FE se
6—6—- nn
Acevedo erſchien. J
»Sie ſuchte fein und liſtig ihn zu fangen, uber ihr Bemuhen
Wich fruchtlos. Die volllvmmenfte Ruhe zeigte er, und fein Auge
bädte fo frei, fo fider auf fie, daß ſie ben gehegten Argwohn
wieber aufgab. — Sie fragte ihn nach feinen Beobachtungen is
“ Ieger Nach,
„Sie waren Kr begünftigt durch ben klaren Himmel, "eye
feste ber Meiſter.
„Was vwilfet Ihr mir davon zu jagen?‘ fragte fie.
„Ihr werbet glüdlich Paris erreichen‘ — verjehte er, „aber
wad ich Euch geflern gejagt, ſchredlicher noch bot es fi mir von
Neuem ber.‘
Davon wollte die Königin nichts weiter hören, und fe
verließ er fle.
Auf Niemanden wirkte Gui's Flucht ſchmerzlicher, als auf
Margareten von Baleis. Sie konnte e8 kaum erwarten, ihn
wiederzufehen, unb ihre Seele nahm fein Wild ein. Das gefland
fie ſich flo — nie Habe ein Jüngling ihre Herz in dem Grabe
bewegt, als Gui — imd nun wurde ihr bie feltfame, fie erſchut⸗
ternde Kunde. Gine Thräne zerbrüdte fie im Auge, als fie feime
Flucht vernahm. Ihre Wangen blieben mehrere Tage hindurch
bed, — Doch ihr Leichtfinn vergaß bald bad ſchöne Bild wieber,
- fih anderen flüchtigen Eindrücken öffnend.
21.
Es Tag eine finftere Nacht Über ber Umgegend ven Chatillon
Der Wind pfiff balt über bie Felder und in Maſſen ftürzte ber
Negen herab. In dem Schleife dei Admirals Enligni war ein
‚reged Leben. Die hoben Fenſter bes großen Saales, ber im ber
Mitte bed Gebäudes Ing, waren erhellt, un man ſah von Außen
Rh vide Gehalten bewegen. Biele ber Häupter der Hutgenotten
— 14 —
waren darin bei Eoligni, benn immer näher kam ‚ver Milan bes
Felbazugs zur. Reife.
Da trabten in biefem entfeplicgen Weiter zwei Neiter in beit
Sof bes Schlofies, und bald wurbe Goligmi gemeldet, Gui be
Saint; lour wünſche ihn zu fprechen.
„Da ift ein Unglüd vorgefallen!’ vief Coligni, und eifte im
entgegen und führte ben durchnäßten Süngling in fein Gemach.
Hier erft betrachtete Eoligni das bleiche Gefiht, das vor ihm
ftand, und bie fat gebeugte @eftalt, die fonft fo ſtolz aufgerichtet
bazuftehen pflegte.
„Was iſt Euch begegnet?” fragte mit aufrichtiger Theilnahme
ber Admiral. „Ihr ſeht ſehr bleich. — Ihr waret unmöglich bei
Pleſſis no?” —
„IH war in Monceaux!“ erwieberte mit kalter Verzweiftung
ber Jüngling.
„Zn Monceaur — Ihr?“ fragte mit neuem Erſchreden .ber
Admiral. „Und die Papiere?“ —
Hört mich ruhig an, gnädiger Herr,“ ſprach Gui — „dann
richtet, dann — entzieht mir Euer Vertrauen, wenn ich es nicht
mehr verdiene, und laßt mich als einen Verräther erſchießen.“ —
Coligni faßte ihn bei beiden Schultern und ſah ihm in's Auge.
— „Junger Menſch!“ rief er aus, „ſeid Ihr wahnfinnig gewor⸗
ben? — Redet deutlicher, ich ahne Entſetzliches.“
Gui erzählte feine Begebenheiten bei Monceaux — im Schloffe
ſelbſt; erzählte von dem Schlaftrunfe, von feiner Rettung durch
Acevebo, ber ficher genauer über die Sache unterrichtet fein müfle,
und nun fprach er die fchändliche Verlegung bes Gofreäts an ihm,
bie Entwendung ber Papiere aus.
Gui vechuete auf einen wilden Ausbruch bei goenes bei
Coligni, auf ein hartes Urtheil, wenigſtens auf Entziehung feines
Vertrauens, feiner Achtung. —
Coligni finnb eine Belle mit verſchräulten Armen vor ihm.
„Ich bin ſchuldig,“ ſprach er zu ihm — „richtet nid, auch
— —
— l“äö —
Sf will ich tragen — nur — verachtet ui
jr J
Coligni Tddgelte wehhsollenh. „Run, mein Sohn,“ ſprach er —
erdlich ruhig, „nicht Du trägt allen die Schuld, — Zwar Des
hätteft genauer Dich erkundigen fellen — allein wer ahnte foldge
Berworfenheit? Du thateft, was Da Dir als Mann zu thun, und
als Edelmann boppelt zu then ſchuldig wark, und mich freut bie
Ehre, die Dir. Montusorenci erwied — fie hebt Dich hoch emper.
Es ſollte fo fein,” fuhr er fort. „Es war ber Wille bed Himmels!
Rimm bier meine Hand zur Verſicherung, daß Du baburch nichts
in meiner Achtung, michts in meinem Vertrauen einbüßef.”
Da ergriff der SJüngling bed großen Mannes Hand und brüdte
fie an feine Lippen, und eine beige Thräne träufelte darauf herab.
Reben Tonnte Gui nicht, fein Herz war viel zu fehr ergriffen.
„Jetzt Fleivet Cu um, ſprach ber Abmiral, dann treiel
beitern Muthes vor .die Männer, bie ich bei mir zu ſehen bie
Freude habe, und Ahr werbet feine Dapbiligung in ihren Bliden
ſehen.“
ME einem: freumdlichen Niden des Hauptes verlieh ihn der
Admiral und trat in den Kreis der neugierigen Freunde.
Er theilte ihnen had Ereigniß zu Monceaur mit. Allgemeiner
Uwsille-über bite Schändlichfeit und Undankbarkeit biefes Beufahrens;
aber durchaus kein Tadel ded Jünglinga. Am Gegentheil. wünſcha
Sieber aus feinem Munbe den Hergang zu vernehmen. Gr test
nun enblich Teichtern Herzens unter fie, und als er bie allgemeine
Theilnahme ſah, da wurbe fein Gemäth wieder fret und heiter.
Nach kurzer Berathung eiften, trotz der ſchrecklichen Nacht, einige
ber jüngeren Herren von - bannen, um ie VBerhaltungsbefchle zu
überbringen, und einer begab :fich nach Vallery zu Condé, äh: vom
Hergang in Kenntniß zu feen.
Frankreich hatte. jeit dem letzten Wertung einen: Auchein vom
Ruhe gehabt, aber ruhig wandelten die Sergieien -über dem Kaees:
menden Bellen Rum wer. bie Nachricht von dem verrußhenen
-
Meane, ben Hof in Moenceaux aufzuheben, unter ben Peorteſtanten
bekannt, als auch mit einem Mal alle Heerſtraßen Frankreichs
von /Bewaffneten wirmrlten. Es waren Ebelleute mit ihrers Dienern
mb Bajſallen, bie nad Ballaey und Chatillon eilten, bie Macht
ter umglädlicden Brüder zu vermehren.
Der Hof vernahm biefe Runde nid erſchrack. Er verließ gm _
Monceanx und alte nah Meaux. So ſehr fih auch ber cble
Pgepital dem Plane widerſetzt Hatte, bie Schweizer nah Mer
kemmen zu Ioffen, um nicht zuerſt bie Fackel des Krieges zu
ſhwingen, fo geſchah es doch, unb fie erſchienen Abenbs nach
einem angeſtrengien Marſch am Enbe Septembers in Meann. lm
Mitternacht brach in Eile der Hof auf, denn es war Kunde
geloramen, daß Condé mit Bewaffneten fich habe in ber Mühe
blicken lafſen. Vald beſtätigte ſich dieſe Botſchaßt als Wahrheit.
Gew exſchien bald mit feiner Reiterei, und ſchien zum Angriff
des Poſes ‚bereit, der ſich im ber Mitte der Schweizer befand, bie
ein Blierock geſchlofſen hatten und ſich fo langſam fortbewegten.
Kaum erblickte man Condé's Reiterei, als man Halt machte
ud ſich zum Kampfe bereitete, ber unaudbleiblich ſchien. Condé's
Reiterei theilte fi im drei Haufen, deren einen er ſelbſt, den
anbern ber Herr wer Andelot, des Admircls Bruder, und ben
deitten ber heibenfähne Larocheſoucault befehligte. Sie ſchwuͤrmten
menufbärli um ben Zug herum, eine günflige Gelegenheit zum
Kagriff erwartenb; Tleme Scharmühel fielen vor, aber zu einem
Rempie Yan es nick.
.: König Earl war in unausfpredlihen Grimm. Ex wollte ſich
darchaus nicht abhalten Iaften, bie Ketzer anzugreifen, unb bie
Kinder: Mutter und Mombmoremd mußten Alles aufbieten, ihne
zu Vehäwitigen. - So kamı bie Nacht, und noch war Basis ziemäide
entfernt.
n Ducds bie immawähenbe Erwartung eines Angriffa war bie
Buseyung. deß Zuges. Sehe gchemmt worden. . :
7 Man ‚befikente den König mit Bitien, unter ben’ huge bes
— 77 ——— ——757
— 7 —
Recht den Schweigern vorams nach Paris zu eilen, weil cu: 6
füheyer dort eintreffen würde. .
Hier fand man im ads Ghrgeig ein Heftige Hinbemniß
„Es iſt Flucht“ Fprach ev, „feige Buck, und Frankreichs Könige -
bürfee wicht fliehen?‘
Wie aber beftärmten ihn mit ihren ‚Bitte, ſtellten bie Gefue
ihm viefengooß dar, und ba endlich, als man ihm bie NMothwendig⸗
Veit in'z Licht ſetzte, ſich für Frankreichs Wohl zu erheiten, als ber
tapfere Nemours ſelbſt bat, ſich ihm angunertreuen, gab Carl nach,
wub fe ging ber Hof unter einer kleinen Bebeckung, bie Remours
beichligte, won ben Schweizern ab, benen bie Hugenotten, je näher
fie Paris kamen, bdefto mehr zuſehten. Det Sof erveidite nee
Ben Schutze der Nacht gluͤcklich Paris.
Unerwortet ſchnell fanden die Hugenotien wer Paris. Suthig
—
uns Tühn, wie immer, benahmen fie ſich auch hier. Mit großer
Umſicht ſchloß Condé Paris ein. Ihre Abſichten gingen ball,
ahne Vlutvergießen ben Künig zu nöthigen, ihnen freie Meliglonie
Abung zu gewhren. Katharina, die Schlaue, nahm ihre Zuflucht
su Unterhandbmigen, bie jedoch ncht zu Giambe kamen, um fo
weniger, da bit Vorſchlüge ber Proteſtauten überfpanme, wab über
Veſchwerden in bebeidigenden Auddrücken abgeſaßt waren — wenig
ſteus nach ber Anfichten des Hofes. — Der König ſaudte einen
> Herold nad Saint-Denys, ber bie Häupter ber Hugenonen zuw
Rutenverfung auffordern, und, im Weigerungsfelle ihmen ni rc
Straſen Hroher ſollte. Sie antworteten muthig und feſt, mb
machten! ihre alte Kecberung auf's Neue. ine Ausgleichang wer
unmöglich, und der zaudernde Connetable Montmorenci vidiie-
Eondor Bei Sainte DenyB entgegen. Obgleich bad Hoeer ber Huge⸗
notten ſehr m Nachtheilo ſtande gegen das künigliche, be es am
Zahl viel geringen war als jenes, und bubei noch adled Geſchazes
endsangate, fo felkte es ſich doch mutig enigegens umnd im
ben. Dagen des Taten Novembers warde bei Gaimi:Denys «ins
0.20% we, bie; obwehl Fin den Gurgenokleri. ben Bley 07
— 18 —
doch aber einen Ruhm ungridgätterlicer Tapferkeit brachte. ‚ie
war bie Ichte, bie Montmorenci kämpfie — er fl, ber alte Gelb;
im. achtzigſten Jahre feines thatenreichen Lebens,
Katharina konnte num frei aufathmen. Sie waren nun Alle
gefallen, bie Männer, bie fie einſt fürchtete und fürchten mußle,
unb Heinrich von Anjou, ber erbittertſte Feind des Proteſſantismus,
ſah ſich am Ziele feiner Wünſche — Katharina erhob ih zum
Generalfiattheiter bes Reichs, und gab ihm ben- Oberbefehl. über
bas Speer, unser Cofſoͤs, Aumale's unb Tavarnes’ Mitwirkung.
Hoch Hopfte Heinrichs Herz. Die Bahn bed Ruhmes wer
ihm nun geöffnet, und er brannte vor Begierde, feinen Muth am
ben: Protefianten Fühlen zu Emo. n\
Das Heer biefer war burg Johann Caſimir'g von ber Pfalz
Hlktsvölter jet bebeutend angewachſen. Bon Lothringens Grenzen,
wohin fie fi) nach ber unglädlichen Schlacht bei Saint⸗Denys
zarſidgezogen hatten, rüdten fie in Frankreich ein und begannen
bie Belagerung von Chartres. Paris und ber Hof zittette, und
. mem fah fie ſchon im Geiſte vor ben Thoren ber Hauptſtadt. Zu
ihrem "alten Hülfswmittel, das fi fo oft bewährte, nahm Kathariua
auch jetzt wieber ihre Zuflucht. Sie eröffnete ihre Unterhandlungen,
tie bald zum Trieben führten; biefen Trieben, der zu Longjumenm
zu Staude kam, nannte man ben „kleinen örieben, “ wel er laum
ein halbes Jahr bauerte
Celigni war ſehr mißvergnũgi mit dieſem unreifen, umzeitigen
rieden. Er zog ſich nach Chatillon zurück und mit ihm Mai ie
GSaint⸗Flaur, ber ibn in allen ben biäßerigen Ampfen tm, wie
fein Schatten, begleitet hatte.
Was Coligni befürchtete, traf ein. Esa war, wie wit allen
Friedenoſchlüfſen, auch mit dieſem nicht Erefl. Kaum war bei
Sugsmettiiche Heer auseinander gegangen, als auch ſchon wieder bie
geaßlichſten Werfolgungen über die Proteſtanten ergingen. Im
Laufe eines Viertsljahees warden am verſchiedenen Oxten au zwei
tanfenb ber friedlichſten Proteſtanten aufs. Srnufanefte burg Benes
N E.,
— 8 —
au Schwert hingerichtet. Und. Der Gef: wurhte es, bulbete es
werte ſich und ſchwieg. Auf'ß Tieffle empörte bies Verfahren
. Selig, Er ſah feine Bermuihanger' gerechtfertigt, umb machte
Condo heftige Vorwürfe wegen feiner Leichtglaubigkeit. Wels aber
Sellte Coubo ſelbſt Beiagrungen‘ wachen, die ihn ſelbſt zur Rome
Alien.
22. |
Es war am 18. Mär; 1868, alß in aller Präte der "Wbwiral
Cohigni wit feiner Familie bie Reife nach Noyers antrat, bem
Brinzen Condé daſelbſt einen freundichaftlichen Beſuch abzuſtatien.
Gui be Viole, der die Stelle eines Adjutanten bei Coligni verſah,
war diesmal nicht in der Nähe des von ihm hochverehrten Helden
— da eine Unpäßlichfeit ihn in Chatillon zurüd hielt. Sich allein
überlaffen — gab ſich der Jüngling ernſten Betrachtungen über
die jüngſte Vergangenheit bin. Jene Vorgänge in Monceaur en
Brie ſchienen ihm fchnell vorübergehende Traumbilder ‚gewejen zu
fein — und wirklich hatten fie durch die Schnelle und das jeltfame
Zuſammentreffen der Ereigniffe, der Gefahr und Rettung dur
ben, ihm von dem erfien Zujammentreffen bei Coligni noch erinner:
lichen, ihn damals ſchon fo unbegreiflich anziehenden, in feinen .
Wefen fo feltfamen Aftrologen — etwas Traumartiges und Wunder:
bares. Nur Eins hatte er ſich babei borzumwerfen, jened augen⸗
Hädliche Wöohlgefallen, jenes: Wufbligen einer Deigung: zu ber
schönen: Margaretha von. Baleid. Ihm erfchien es als Yeirnte
gegen Gabrielen. Er fühlte fi; dadurch erniebrigt.: Sein Gemilih
war: in :fiah ſelbſt zerfallen, umd "eine stiefgefählte: · Scham behdie
ihn nicher. Gabrielens Bild trat in feiner himmlifſchen Breinkheit
wnb: Unſchuld wieder vor feine Seele, und er bat es um Vergebung
ab ber. augenblicklichen Verirrung. — Doch — ma war fie? Leble
ſie nech, und wie und wo? Ad, er hatte fa. nichts gethan fiir
fie, nichta, Fe: aufzufinben! Heftige Vorwürfe machte er fich. Er
®
— 400 —
wirug bien Sechenguſtacid wit. Sein Sutichluß uam ſchah
gefaßt, er wollte nach Paris — obwohl heaich — er wolle gu
made ſaine Zuflucht uchmen, mb vereint mit dem Sreiſe, bar
fo. wohlwollmb ihm ſchon einigemal nahe getreten — mit Hilfe
feier Kunſt bie Geliebte auffuchen, che denn wirber ‚auf's Nee
bes Krieges Fackel Ioberte, wie ber Abmiral glaubte Was biefen
Gedanken in ihm nod mehr beſtärkte, war bie gewiffe Kunde, daß
Adelma's Horbe in ber Nähe fe. Die Alte wollte er auffuchen,
und mit Hülfe berfelben unentdedt nach Paris kommen, ba er e8
Iitemdiie wicht durfte; denn ber Abaural wußte aus ficherer Duelle,
bah ihn Dort ob und Verderben drohte — - ıub bed hatte er
Ya geſagi
Gui ſetzte fie font und ſchrieb am den Abmiral mit der
Offenheit und bem Vertrauen des Sohnes an ben Vater. Cr
Tegte ihm- Mar fein Verhältniß zu Gabrielen an ben Tag, was er
mündlich wicht wiirde geformt baden. Er bat ihn dringend, ja
nicht ſeine Unpußlichkelt als einen Vorwand anzuſehen, da vielmehr
erſt das Alleinſein und das flllle Nachdenken über ſich ſelbſt ihm
an ſeine Pflicht gemahnt und bie Sehnſucht ſeines Herzens auf's
Bebfaftefte geweckt habe, ber er nichf länger wiberftchen könne.
Zuletzt fprach er die Hoffnung aus, durch Acevebo vielleicht manches
wichtige Ergebniß der Politit des Hofes erfahren zu Tonnen, und
verfprach in ber kürzeſten Zeitfrift zurüdtzufehren.
Ein Eilbote beachte dem Abamiral dieſe Zeilen, und Gui, A
VDoraus von ber Bewährung jeines Bitte übergeugt, befehl feinem
Diener, fein Roß zu fatteln. Noch war es nicht Wiking, als Oui
PHon, ben Weg von Chatillon nach Paris einfihlagend, nit Winbeie
sie dahin flog. Die Stimme ſeines Herzens ſprach jet fo Flach,
jo debhaft, daß bie Schnelle, wondt fein Roß dahin vikte, ihm zu
Aagſam bümlte Als er An bie Gegenb lam, wo ex bie Horbe
Mibelma’s veramtbele, fungte ex jeben Borübergehenbes nach ihr.
Mnbli wies man ihen einen weithin fi; ambchrenben Wald --
—— — ir mir — — — — —
- — — — — — — —_ em —
— Mm —
Als. aen · mentauen · Wehnort des mandanben —— und
dahin richtete er feinen Weg:
wer noch nicht net An den Wald bekein geritten, ba
vertrat ihm ſchen ein daumftarker Zigeuner den Weg, indem
kaltblütig feime Floͤne fpanıe.
„Wo iſt Adelma, Eure Aeltermutter?“ fragte er ihn heftig.
nennt Ihr bie?’ fragte mißtrauiſch darauf dieſer. „Was
wollt Ihr bei ihr?“ —
„Schweig!“ donnerte ihm der Jüngling zu — „Wo iſt ſied“
Der Zigeuner ſetzte erſchrocken bad Gewehr zum- Fuß und
ſagte kleinlaut: „Wendet Euch dorthin und reitet in ſtets gerater
‚Richtung fort, fo KAnnt Ihr wicht fehlen.”
DODhne ſich nach ihm umgmjehen, warf Gui fein Pferd Haren
zund jagte dahin, wohin ihn ber Zigeuner gewieien.
Wirklich ſah er nach Furzer Frift einen Haufen Zelle von
einem freien Raume ded Waldes, und fein ſcharfes Auge erkannte
fogleich bie alte Abelma, wie fie auf einem Polſter ſaß mitten im
Nreiſe jüngeren rauen nad Mäbchen.
Staunen blidten Ale ben ſchnucken Reiter an. ' Pro
erfannte ihn und ftredte ihre gelbe, bürre Hand nach ihm aus.
a Ou Dich verirrt, oder ſuchſt Der endlich einmal bie
Menſchen auf, bie es wohl mit Die meinen?‘ rief fie ihm
entgegen.
„Ich fuche Cuchl“ antwortete Gui.
„Daun fei mir dreimal geſegnet!“ rief fie, und die unge⸗
iribte Heiterfeit flog über die ſchroffen Züge -ihres engen
Befichtes. ..
„Was ſuchſt Du denn bei mir, mein Gehn?” —*
zutraulich.
Bui bucte im Kreiſe der fie nech geffenb afehenken Be
"hr Madchen umher. — Abelma merfineb -ikee.
„Seht Kinder,“ ſagte fie, „laßt mich mit in len
—
/ . ‚
m —
ehertam yojen fie A guri Gei Hund fehn pferd un wi
feßte ih dann zu ber freundlichen Alten.
„Bu haſt mir einen ſauern Gang eripart,' hob fie am, „und
ich danuke es Dir; denn zwiſchen heute und dem Vollmande, ber in
- zwei Tagen eintritt, mußte ich Dich in Chatillon ſprechen.“
„Wußtet Ihr denn, daß ich dort war?’ fragte er erſtaunt.
. „Mein Auge begleitet Dich allerwegen mit treuer Sorgfalt —
Du entgehft ihm nicht. Nur einmal kam ich zu fpät, Dich zu
warnen — Du warft jhon in Monceaur en Brie — ſchon im
Garn einer Schlange und — einer Buhl
„Einer Buhlerim?’ fragte Gui mit —⸗ „Wen nennt
Ihr ſo?“
„Margarethen von Balois, bie ſtolze Schonheit, bie fe Tat
- Sefegbur iR, wern das Geheimniß ihre Wege einhült.
Doc laß das, wie ging es Dir in Moncenur, und wie enifomft Du
der Gefahr?” . .
„Kanntet Ihr ſie7“
„Ich wußte, warum. Du nad ber Picardie gingſt — ich ver⸗
muthete ed wenigftend, unb ahmete, wie man mit Die bort handeln
würde Du wart glůcklich bei Margarethen — man fagte, Du
habeſt ihr gefallen.”
„Schweigtl“ fagte ernſt Gui, im beflen Innerm wieder ein
vBitieres Gefühl erregt wurde. Sie ſah ihn ſeltſam an, —
Run, fo ſage mir doch, wie Du dort entkamſt?“
„Wie aus Rouen — dieſelbe Haud rettete might"
„Dieſelbe?“ fragte Abelma und verſank in Nachdenken.
„Mieſer Mann“ — — fuhr fie dann langſam ‚fort — „trügt
mich mein Gefühl nicht — ſteht Dir ſehr nahe, Gui. Ich ſah ihn
woch wicht — doch vorübergehend, und geſchicht weiß er meinem
Blick auszuweichen.“
„Er iſt ein ebler Menſch, Abdelmal“ verfehte Bei, „lei er,
wer er wolle. Laßt nas abbrechen und jagt ir, wie ich unerlaumt
nach Paris. Best.“
— 18 —
„Bn3 willſt Du berg "fragte fie;
Gui wurde verwirrt. — „Mich zieht ein aebrimes Om -
bortgin," fagte.en
„Das · Herz? Guil Sei Affen, mein Sohn. Sollte Morges
wethe? — doch nein, Du hift zu bel, zu mi.” — N
„Nennt wir ben Namen nicht wieber, wenn Ihr nicht wollt,
daß ich ſogleich Euch verlaſſel“ rief er ‘heftig. ”
„Gottlob dann!’ fagte fie. „Aber was denn ſonſt? Die
Gefahr ii gro für Di. Earl wüthete, als Du entflohen. Adelmä
taın Dich nad Paris führen, aber — ob fie Dir herauhelſen
kann, das weiß ſie nicht.“
„Dafür laßt mich ſorgen, ich muß.“ —
„Aber wenn nun eine nähere, heiligere Pflicht Dich nach
Noyers oder Chatillon triebe?“ — |
„Gs gibt jest keine Heiligere, als, die mich nad) Paris zieht!” —
„Lies dieſen Brief erſt, Gut de Viole,“ ſprach Adelma, Ihm
ein erbrochenes Schreiben reichend ˖— „und dann ſage mir, was
bie Pflicht Dir gebeut ’ '
Haſtig ergriff es Gui.
Er las:
„Die Jagd iſt bereit; ber Hirſch im Netze. Goligni gebt .
biefet Tage nah Noyers zu Condé; bort nehme ich fie Beide
gefangen. - Tavannes.“
Gut erbleichte. Es waren Tavannes', des Statthalters von
®
‘* Burgund, Schriftzüge unverkennbar. Der Brief war am einen
feiner Freunde in Paris gerichtet.
„Wie kommt Ihr zu. bem Zeilen?’ fragte er. ——
„Gehſt Du noch nach Paris?" fragte Kicelnd Adelma.
„Nein, jetzt nicht — ich darf ja nicht!“ def Gui —
„antwortet mir — wie kamt Ihr zu dem Briefe?" —
„Einer von der Horde, ein wilder Burſch,“ erzählte Adelma,
„ſtrich amher. Da ſah er einen Reiter die Straße eilend nach
Paris., nach deſſen Geldbeutel es ihn gelüßete. Er hielt Yin an.
Horn’ 8 B Eralhlimgen, X, 18
— 41 —
Der Burſche feherzte nicht und ſchoß na ihm. Das rveizte ben
Grimm bes wilden Sohnes ber Wüfte, unb er legte ihn ˖ in's Gras.
Auf feinem Leibe trug er biefe Zeilen, bie er mir brachte, da bie
gange Horde den warmen Antheil kennt, ben ich an Deinen Glau⸗
benzbrüdern nehme. In Deine Hände mußte er kommen, das fah
ich, und ich war entjchlofien, ihn Dir felbft zu bringen — ba
kamſt Du!‘
„Dank Euch!“ -rief er aus. „Jetzt muß ich eilen, ehe es zu
ſpät iſt! O, mein Gott!“ rief er ſchmerzlich in halber Selbſtver⸗
geſſenheit aus, „warum kann ich denn nie meinen heißen Wunſch
befriedigen und ihre Spur aufſuchen!“
Adelma blicte ihn forjchend an. -
„Bart Du benn fo ficher, fie zu finden?” fragte fie.
„Wen? — forſchte der Jüngling, und eine dunkle Röthe
ergoß ſich über ſein Antlitz.
„Gabrielen b’Arbeque,” fagte Abelma.
„Weib, rief Gui — „kennſt Du ber Herzen Tiefe?” —
„Das Deine, mein Sohn, kenne ich, und freue mich, daß Du
treu bift der erften Liebe Deiner Jugend. Bleibe Du treu — vie:
leicht iſt's der Wille des Himmels, daß Du fie wieder fiehfl. Ih
will nach ihr forfhen, und glaube Du. mir, Du haft es einem
treuen Herzen vertraut, was das Deine bewegt.“ Findet fie Adelma
nicht, fo ſuchſt Du vergebens. Nun gehe mit Gott, Du mußt
eilen!“
| Gui ſchwang ſich auf ſein op. und jagte wieber den Weg,
ben er gefommen, boch jenfeit bes Walbes nahm er bie Richtung
von Noyers. Das angefirengte Reiten ermattete fein Roß, und
als die Nacht Fam, vermochte ed nicht weiter. Ein einzelner Hof
nahm ihn gaftlih auf. Er pflegte das müde Thier. Sich ſelbſt
gönnte er Feine Ruhe. Er hatte noch vier Stunden bis Noyers.
. Der Mond ging inbeffen auf, und als das Pferb einige Stunben ge
raſtet, 309 es Gut hervor und trat die Reife wieder an. Er mußte
—
— 188 —
jetzt aber ſeine Eile mäßigen, um bas eble Thier nit ganz an-
Srauchbar zu machen.
Es war ange fhon Mitternacht vorüber. Der Mond fehter
hell und Mar; Gui ritt eine Anhoͤhe hinan, und entdeckte zu ſeiner
groͤßten Freude nahe vor ſich die Thürme von Noyers. Bald
erreichte er es. Im Schlofſe Condé's lag Alles in bes Schlafes
Feſſeln — aber Condé war nicht ſorgloz wie Coligni zu Chatillon.
Die Wächter riefen ihn an, ſobald er fich dem Schloſſe näherte.
Qui gab fich zu erfennen.. Bald wurde er eingelaffen, und ben
Wächtern fein müdes Roß übergeben, eilte er in das Schloß und
Tieß fogleich Coligni und Condéè* wecken. Die Noth brang auf Eile.
Er ließ fig im Saal auf einen Seffel nieber und überdachte bie
‚wunderbaren Wege des Gefchides, das ihn zum Netter Coligni's
beftimmte aus biefer großen Gefahr. Er dankte dem Lenker ber
Schickſale, und Iegte- bie beißen Wünfche feines Herzens in feine '
Vaterhand bemüthtg und vertrauensvoll, und das füße Bewußtfein,
ber Pflicht des Herzens Wünſche geopfert zu haben, gab ibm
Trieben.
Nach einiger Zeit trat Eofigni herein. Er Raunte ben Süng: -
- . Ring an.
„Viole,“ ſprach er dann ernſt, „Ihr ſeid mir ein Räthſel ge:
worben, bad ich nicht Löfen Tann. Heute früh ſchreibt Ihr mir, Ihr
müßtet nach Paris, und jetzt ſeh' ih Euch in Noyers?“
zzVergebt mir, gnäbigfter Herr!” rief der Jüngling. „Ich
folgte nur ber unbezwinglichen Sehnſucht meines Herzens, und es
war —“
„Darüber table ih Euch nicht. Ich war jung, Biole wie
Ihr, und babe geliebt wie Ihr — darum nur möchte ich Euch
tabeln, daß Ihr ſo unbeftändig in’ Euren Entjchlüffen feib.‘
„Es war Euer und des Prinzen und ber Eurigen Glück, daß
ich jenem Zuge meines Herzens folgte, nur dadurch war es mög-
Gb, daß ih Euch vom Verderben retten konnte. Leſet dies und
urtheilt dann.“
1328
— 18 —
„ Koube fand ih rap, auch ein.
„Was habt Ihr denn Wichtiges, daß Ih Inſere Rihe Br,
Hauptwmann Viole,“ ſagte ex halb mürriſch. „Erich, Hätte ich wahr⸗
lich heute eher in ben Armen Cuxex Geliebten geſucht, als jn Noyaral“
ſetzie er jedoch, in Scherz übergehend, hinzu. . .,
Der Admiral hatte das Billet geleſen und Tavannes band⸗
ſchrift ſogleich erkarnt. Er yeichte es Condé mit ben Worten:
„Wenn wir nicht eilen, fo ſind wir verlyren!“
7
Bonde durchflog das Blatt, Der Shrecen bleichte ſeine
Wangen.
Wo habt Ahr dag Blatt her?“ rief er Gui zu.
Diefer erzählte num, wie er dazu gekommen fei, und jeder
Zweifel ſchwand. Aber bie Verlegenheit war groß, in welcher fie
ſich befanden, benn fie waren in hiefem Augenblicke nicht gerüflet
au einer Flucht.
Coliguni allein behauptete bie ihm eigene Rue und Feſtigleit.
„Laßt und die Unſerigen und uns retten und la Rochelle zu
gewinnen juchen, das ift das einzige ‘Mittel. u
Er gab Bui, dem er daufbar bie Hand brüdte, ben Auftrag,
fo ſchnell als möglich, Alles zur Flucht zu bereiten. Die Beute
des Prinzen wurben gewedt, aber es war eine Unorbnung unbe
greiflicher Art in dem Schloſſe, da Einer gegen ben Andern vannfe,
und Alle den Kopf verloxen batten, indem fie fich die Gefahr fa
nahe dachten, daß man ihr nicht mehr entgehen könnte. Gui war
überall: Er fühlte feine Müdigkeit. Er brachte Ordnung in bes
Ganze. Die Wagen bed Prinzen und bed Admirals wurden reife
fertig gemacht; alle Diener bewaffnet. Gegen Morgen war, Miles im
Stande, zur Abreife bereit, und mit dem kommenden Tage verließ
der Zug Noyerd. Gui war das Haupt ber Bebedung, Er war
überall, forgte, wirkte, ermunterte.
Nur langſam konnte fi ber Zug fortbewegen, und auch ist
ber Wahl der Wege mußte große Vorſicht angewendet werben, um
nicht Arlffehen zu erregen und dadurch in Tavannes’ Hände zu
=
N
- 9 — Du 2
gerathen. Conde hatte Äne Magie Mer das treilöfe Benehmen
des Hofes an den König eiligſt noch von Royers abgeſendet, worin
ex’ zu berfiehen gab, daß es ihm lieb ſei, des Mönigs Antwort in
Neyers zu erhalten. Died tänfıhte Katharina. Sie bielt ihren
Plan für gelungen und triumphirte fon, Condé Eolignt und bie
Königin von Navarra, bie Moniluc gefangen nehmen ſollte, in
ihrer Gewalt zu haben.
Condé und Koligni erreichten indeſſen gludlich Rochelle,
bald darauf auch Johanna von Navarra mit ihrem Sohne Seh
‚von Bearn anlangte,. bie durch ein Schreiben von. unbelannter
Hand aus Paris, von ber Gefahr unterrichtet, glüdlich ben Nach⸗
ftellungen. Montluc's entging.
Grenzenlo8 war die Wuth Katharina's, fo gänzlich ſich in
ihren Erwartungen getäuſcht zu ſehen. Ste ahnte Verrath in
rer Umgebung, und doch wußte fie nicht, auf wen fie ihren
Verdacht werfen folte Da fiel ihr Acevedo ein. Sie überbachfe
fein Benehmen, und jene - fie ſo fücchterfich erfgättert habenden
Worte in Monceaur fielen ihr ein, Gui be Viole's an's Wunder⸗
bare grenzende Flucht aus dem Palaſte beftärfte Ihren Verdacht
auf's Neue. Doc der Aftrolog hatte in Ihrem finftern Aberglauben
einen zu berebten Vertheidiger; er hatte fchon fo oft Ihr Beweiſe
von Treue und unpartefffcher Ergebenheit gegeben, daß ſie nicht
teichthin fich eines fo wichtiger Mannes berauben, ſondern erſt
prüfen und beobachten, dann aber nm fo entſchiedener handeln
wollte, wenn ihr Verbacht fich irgend rechtfertigen würde. Sie
beftellte daher vertraute Leute, die auf allen Schritten unb Tritten
ihn beobachten mußten. Außer ihm zog ber eble, biebere, vor:
urtheilloſe Kanzler l'Hopital ihren Verdacht auf fich, ber um fo
ſchwerer war, ba ber Haß gegen ihn ihm zur Seite fand,
Diefe Treuloſigkeit des Hofes. weckte auf's Neue bie Pro:
veftanten. Ueberall loderte wieder bie wilde Flamme deb VBürger-
Pobega, und unmenſchliche Grauſamkeiten wurden verübt von beiden
GSeiten; beſonders zeichneten fi aber Aibwig von Bourbon, Herzog
- 19 — —— |
bmkb bavamf das Geſprüch auf bie "Sage Frankreichs und“ ber
Hugenotten.
: Xeevebe, zu viel vertrauenb auf feine Macht über ber Königin
U @emüth, ſprach zu warm für die Unterbrücten. Katharina entließ
ibn Fall. Sie war jet überzeugt, er müffe wenigfteng Antheil an
ben Verrath ihrer Geheimniffe ‚haben, und auch fein Loos war
geworfen.
23.
Adelma war eingeben! des Verſprechens, das fie Gui gegeben.
Diefes und eine auch ihr beſonders wichtige Angelegenheit zog fie
nach Paris. Nur einmal und zwar fchnell vorübergehend ſah fie
einſt Acevedo.
Ihr ſchien der Mann bekannt — fie ſah ihn genauer am,
| und fie fand Züge, die dem Parlamentsrath de Viole glichen, ben
Pe einſt mit der ganzen Gluth ihres Herzens geliebt hatte; aber
zu ſchnell verfhwand der Afcolog, als daß fie hätte ihre Vers
muthung vergewiſſern können. Geitbem verfolgte fie ber Gedanke,
daß Biole noch lebe, daß Aeevedo es fei. Die Theilnahme an
Gui, feine zweimalige Rettung durch ihn — das Alles machte
ihr die Sache gewiſſer, glaublicher. Sie ging oft nach Paris, ſie
Ze wußte ſich ſelbſt Eingang in ben Louvre zu verfchaffen; aber
Acevedo hatte fie erkannt und entzog fich ihrem Anblide, ba er
| noch dad Geheimniß nicht eritbilllen burfte.
Auch jeht trieb fie dies nach Paris noch mehr, als bie Nach⸗
forſchungen nach Gabrielen, die ihr ohnedem in ihrer ganzen
7 Gegwierigkeit erſchienen. Die Zigeuner hatten ihre Verbindungen
in Paris, wo fie bie Beute zu verfaufen-pflegten. Es waren bie
Schlupfwinfel des Laſters und ber Verworfenheit — allein ficher
vor dem Auge ber Gerechtigfeit, bad ohnedem in jenen Tagen
| innerer Serriffenbeit und geſedloſer Willkür blind geworden.
mh: ſeid meii Befamgente ion Namen Der Maike,“ "Tora,
er berſch zu dem Aftselogen; „folget mir!“
Montesquiou's Blicke rubten lüſtern und darchbohrend auf
‚Mbehrieien fihöner Gehalt. Sie erblekhte:, mente und ſank ohn⸗
mächtig in einen Stuhl.
„Zeh folge Euch, Here Ritter,“ ſagte gefaßt Acevedo, „nur
geitattet mie, daß ich mich meines Sohnes annehme, deſſen Zuſtand
Sr ſeht.“
„Das iſt eine Ohnmacht, wie fie Knaben ſonſt nicht eigen
iſt,“ erwiederte Montesquiou. „Er iſt ſtark und wird ſchon zu
ſich kommen. Da er unſchuldig iſt, werde ich ihn ber Gnade ber
Königin empfehlen,“ ſetzte er mit einem Satyrlächeln hinzu. „Gebt
mir den Schlüſſel Eurer Thüre, damit ich fie verſchließe — eb
‚möchte dem Knaben fon vielleicht gar eine Gefahr brobent‘
Acxwvedo fah ein, daß hier nichts zu änbern war. Er gab ihm
ben Sälüffel und fagte: „Ich rechne anf Eure Ehre, Herr Ritter.‘
„Daß dürft Ihr,“ antwortete der Maltheſer, und jenes ſata⸗
niſche Lächeln ſchwebte wieder um feinen Mund.
Er ſchloß ſorgfaltig die e Thür ab und ſeare den Schlußel
zu ſich.
„Herr Ritter,” bob Acevedo an, „eine Bitte gewuhret mir,
führt mid zur Königin!“
„Das kann nicht fein,” Herrfchte ihm ber Maltheſer zu und
führte ihn num ſchnell ber die Gfinge aus dem Pakaſte. .
Adelma ſtand draußen und erblidte wun pidulich dem
Gefangenen. Sie erfhrad. „Ya, es iſt Viole!“ rief fie in ſich
Auch Accvedo ſah und erfannte fie. Gine dunkle Ahnung,
als könne fie Gabrielen vielleicht, nützen, bemächtigte ſich ſeines
Gemüths. Er zog ſchnell den Trauring feiner verſtorbenen Gattin
nom Finger, ließ ihn vor ihr unbemerkt fellen, nnd Inte zu ihr
. yammnıbak:
. iche Adelma, nimm Dich meine Sohnes Gabriel ante
— mM — _ I
: . AMonisbeeits: blickte aauf die Ate mb ſchlug eine Tamte Hohn:
lache auf. „Da habt Ihe Eu einen wadern Bomb befielit;
Meiſter!“ rief er Aus. . |
| Sie traten zum aus bem Hofe des Louvre und waren dem "
Blick Adelma's entzogen.
Dieſe ſtand bebend noch auf derſelben Stelle. Sie hatte
ben Ring aufgehoben, ihn an ihre Lippen gedrückt, denn fie
erfannte ihn.
„O,“ rief fie freudig aus, „er bat noch Bertrauen zu_mir!
— Ach,“ ſetzte fie Hinzu, „hätteſt Du früher einmal ‚liebe Abelma’
geſagt, der Himmel wäre in biefe Brufk eingezogen, und das arme
Herz hätte doch eine ſchöne Erinnerung gehabt. Der Auftritt Hatte
fe fo jehr ergriffen, daß fie nicht im Stande war, von ber Stelle
zu geben. Sie dachte ibm nad). Gabriel? fragte fie ih. Gui
war doch fein einziger Sohn. Sollte er noch einmal geheirathet
haben? — Diefe Worte Viole's waren ihr unerflärlih. So viel
aber fab fie ein, fie müßte noch bier weilen. Sie ſetzte fih auf
\ bie Stufen des Portals, vielleicht eine Gelegenheit zu entbeden,
wedurch fie genauere Kunde erhakten könnte.
Gabriele erwachte aus der Ohnmadt und fand fi ein-
geſchloffen. Ahr erfchien ihres Pflegevaters Gefangengehmung genau
mit Anjou's verworfenen Plänen zufammenzuhängen. Ein töbt-
licher Schreden bemeifterte fich ihrer. Was follte fie tun? —
Hier Fonnte, bier durfte fie nicht bleiben, mochte auch ihr Schieffel
fein, weiches es wollte — fchlimmer ala bag, welches bier ihrer
wartete, Tonute ja Teines fein. — Sie erinnerte fi, daß Ncenebie
allerlei Schlüffel beſaß. Sie fuchte fie hervor. Sie lagen unter
Papieren. Diefe Bapiere Lönnten ihm ſchaden, bachte fie im bieferk
Augenblide. Sie warf fie in bie Flammen bed Kamins — dann
verfuchte fie die Thüre zu Öffnen. Es gelang zu Ihrer unawße
ſprechlichen Freunde. Schnell fedte fie bas wenige Geld, was fie
in Acevedo's Habfeligleiten fand, zu fich, warf fich auf ihwe Alse
und beiste inbränftig für ihn und für fi, und eilie dann, in einen
-
— (9 — ———————— —
—
\
nn mE "WE m — — — — —— — -
.
— WM —
——— — "mai beam Leuvre, —* ungewiß wohin ſie ihre
Schritte leulen ſollte.
-Gie eilte über den Hof weg. Sie hate sicht, daß Ihe
Jemand nachrief. Erſt vor beu-.Hofe, we fie fille fand, einen
Augenblick zu überlegen, wohin fie ihre Richtung nehmen foikte,
gtlang es Adelma, ben filichtigen Knaben zu erreichen.
„Heißt Du Gabriel?” fragte fie zutraulich „DON
babe ich einen Auftrag von Ucevebo, ober befier von F Viole
an Dich.“
Gabriele erſchrack. Sie job die Alte.und wollte ihr antſliehen
— ba ſeit jenen Tagen auf Arbeque ber Name Zigeuner ſchen
ihr fürchterlich war. Die Alte ergriff fie jedoch.
„Kind, fliehe nicht, ich bitte Dich!“ fagte fie. „Siehe
. bier Acevedo's Ring, er ift das Zeichen, daß Du mir vertrauen
darfſt. u
Gabriele erkannte ben Ring, und fie dachte, daß doch
vielleicht die Alte nicht löge. -
Als fie ihre aber in bad abfchredende Geficht blidte und bie
krächzende Stimme mit ihren wiberlihen Ton an ihr Ohr fing,
da erbebte die vielfach Geängftigte wieder.
Adelma betrachtete den Kngben, bie feine, ſchöne Gehalt, und
fie begann an dem Geſchlechte beffelben zu zweifeln. „Vertraue
Di mir an, mein Kind, * fagte fie fo berglich, als fie nur konnte.
„Du bift verlaflen Hier, und was wollteft Du ohne Hülfe beginnen
in der gefahrenreichen Stadt, in dem wildbewegten Lande. Viole
Teunt mich, mir. rief er, als die Schweizer ihn voräber führten,
zu: Abelma, nimm Dich meines Sohnes Gabriel au! Kind, Ih bin
ihen hochverpflichtet — fage, wohin ich Dich bringen fol!" —
Bo iſt Viole?“ fragte" Gabriele jet, wie wenn ihr feine
Gefangennehmung erſt jebt zum Haren Bewußtſein käme.
„was kann ih Dir nicht ſagen,“ verſetzte Adelma, „ba ich
anf Dich: wariete, keunte ich ihm nicht folgen; doch das wolen
wir mach erfahren.“ |
wen. vn cine we wurjsyunven wienpyen wagen pi, fesmeng
7 A
aufgenommen. Gabriele konnte wicht? geniefen, und fan? bald auf
einem "harten dager, über welches fie ihren Mantel gebreitet, in
tfefen Schlaf.
Als fie am Morgen erwachte, ſaß Adelma an ihrem Bett.
Freundlich arüßte fie bie Erwachende. Gabriele fühlte neue
Mraft.
„Bir wiffen. jetzt ſchon ſo viel, als vorerſt möglich, über
Viole,“ hob fie an; „er iſt in eins bei minder harten Befingniffe
gebracht worben, und wir können für's erfte ruhig fein.’
Diefe Nachricht erleuchtete Gabrielens Gemuth. Sie konnte
jetzt ruhiger ihre Lage überdenken, die dennoch nichts — an threr
Troſtloſigkeit verlor.
„Könnte ich nur auf das Schloß Arbeque kommen, dann wäre
ich geborgen!” fagte fie zu Adelme.
„De kannſt Du hinkommen, Gabriele,“ antwortede ihe Adelma.
„Nur darfſt Du unſer wildes, unſtetes Leben nicht fuͤrchten. Bir
zteben mit unferer Horde dahin.”
Gabriele legte die Hand am die Stirn und. fahn nad.
„Den Namen und Dein Gefchlegt muß ein Geheimniß, unb
Du ſelbſt ſtets in meiner Näbe bleiben, dann bifl Du gerettet, .
ſetzte Adelma Hinzu.
„Es ſei,“ ſagte fie endlich mit gefigfeit „Bo ſehr ich W
wündfchte, bier zu bleiben, um bei Viole zi fein, ich ſehe es ein,
. daß e8 unmöglich, if.”
Sie verließen nun Bari und erreichten balb die lagernde
Horde. Bald barauf brach dieſe nad ber Dauphins auf, wo
damals b’Acter mit- Tavannes und anderen Hüuptlingen der Katho⸗
Iiten fi) berumfchlug, und mild mit ben Feinden verfuhr. Dorkt,
wo Unsrbnung und Geſetzloſigkeit waltete, war dieſes Volſes
Ernteſeld.
N.
| 24. .
. Die Zeitung la Rochelle beſaß und genoß bad für bie bama-
ligen Zeitumftände unſchätzbare Vorrecht, Feine königliche Beſatzung
ohne den Willen der Bürgerſchaft einnehmen zu müſſen. Condé
und Coligni waren dort glücklich angekommen nach mancher Drang-
fal und Gefahr. Auch Johanna von Navarra mit dem fünfzehn⸗
. jährigen Prinzen Heinrich von Navarra unb ber breizgehnjährigen
- Katharina, unter Bebedung von breitaufenb treuen Bearnern, war
’
bafelbft eingezogen, trotz Montluc's Nachftelungen. Danbelot, des
Admirals wadrer Bruder, führte breitaufend Bretagner nach la Rochelle.
Johanna's Geldzuſchüſſe, Englands und Deutſchlands bereitwillige
Hülfe hoben ben, Muth der Hugenotten, und bald ſtanden ſie ſchlag⸗
fertig im Felde.
Immer Höher ſtieg die Noth der Bedrängten in Frankreich.
Nach l'Hopital's Entfernung und Morvillier's Amtsantritt hatte
die fanatiſche Geſinnung des Cardinals von Lothringen und Katha-⸗
rina's von Medicis ein weites freie Feld der Thätigkeit vor ſich.
Yet wurde den Proteſtanten ein Eid abgefordert, ber fie zur
Treue gegen den König verpflichtete, und ihnen bie Bewaffnung und
Leiftung von Geldbeiträgen zu ben ‚Unternefmungen Condé's unb
Goligni’3 unterfagte, und ihnen, bie Verbindlichkeit auferlegte, Alles,
was von geführlichen Anfchlägen gegen bie Regierung befannt wilche,
anzuzeigen.
Bald baranf erfolgten raſch aufeinander bie Bekanntmachungen
von drei feinbfelig gegen bie Proteſtanten gerichteten Töniglichen
Edicten, beren eines immer heftiger als das andere war, bis zuleit
das Bekenntniß ses Evangeliums bei Tobeöftrafe verboten wurde,
und man feine andere Religionsausuübung buldete, als bie römiſche.
Dies Alles reizte die Erbitterung auf’3 heftigfte. Die Proteftan-
ten ſahen es ein, es gelte jeßt einen Kampf auf Leben und Tod.
La Rochelle wimmelte jept von Heeresmannen, und täglich wuchs
Ye Anzahl.
Get fah wit Begierbe dem Kampf enigegen. Gr, wie fo wiee,
ſchwur, nicht cher bad Schwert in bie Scheide zu fenken, DIS
Glaubens⸗ und Gewiffensfreiheit erfämpft Tel. Das Vertrauen,
welches Coligni in ihn ſetzte, und die wohlwollende Auszeichnung,
womit ber Admiral ihn behandelte, zog ihm bie Achtung der ange
ſehenſten Häupter ber Hugenotten zu, und felbft Johanna, bie edle
Königin von Navarra, fah es fehr gerne, werm Gui in ber Geſell⸗
Schaft bes Prinzen Heinrih von Bearn war, um fo licher ſah fe
es, ba ber Ruf einer unbefcholtenen Sittlichfeit von Iebermain -
ihm beigelegt wurde. Aus diefen für ihm angenehmen Verhältniſſen
riß ihn der öffnete Feldzug, So fehr es Heinrich von Bearn
wäünfchte, ihn bei fich zu behalten, fo rief dennoch bie Pfltuät und
die Ehre, und Gut folgte.
Bei Jarnac fiel bie erſte Schlacht vor — aber wieder ungluch
lich für bie Proteſtanten. Dieſe Schlacht, in ber Gui zum erſten
Mal als Oberſter an ber Spike eines Regiments leichter Reiterei
ümpfte, war fehr unbeilbringend, obwohl bie Protefianten Wunder
der Tapferkeit thaten; dadurch aber war fie bies beſonders, daß
Louis, Prinz von Eonde, fein Leben im neun und dreißigſten Jahre
feines Alters auf eine unerhörte Weiſe verlor. Schon bei bem
Anfange der Schlacht verwundete ibn das: Pferd des Grafen de
Larochefoucault durch einen Schlag am Schenkel. Gr flürzte ſich
aber dennoch in das tiefite Kampfgetümmel, als die Seinen zu
weichen begannen. Er ftürzte von bem Pferde mitten im: ärgften
Kampfgewühl, und Tonnte fi, ob jener Verwundung, nicht wieber
erheben. Knieend Tämpfte er noch eine Weile mit Löwenwuth ; aber
feine Kräfte fanken, Feine Hülfe kam — unb Herr b’Argence, ein
Edelmann bes royaliſtiſchen Heeres, fette Ihm heftig zu. Ihm
ergab er ſich, und dieſer ſicherte ihm Pardon zu, obwohl Anjou
beftimmt ben Befehl gegeben hatte des Prinzen euf keine Weiſe
zu ſchonen.
d'Argence wollte eben ben Prinzen. nach dem auptquartiere
Bringen, als der tüdifche Montesquiou vorüber jagte. Kaum ſah
— BE u. —
er’ den Priugen, fo vi er dad Piſtol hewor warb ſchoß Tonbb eine
ASsgel durch ben Mopf. b’lrgence war wie vom Donner gerichtt.
Monteßquiou aber ſchlug eine teufiiche Lache auf und eikte fehl
- ‚um bannen. So «ine Schandthat wurbe nie geahndet. Der Tob
bed Prinzen wurde ſchnell umter ben Hugenotten hekannt und trieb
Re zu Saft wahnfinniger Flucht. Vergebens ermahnte, beſchwor Gui
feine Meiter zum Stich halten. Bergebend drohte er, ben Erſten,
der es wage auszureißen, niederzuhauen. Gene Stimme, bie ben
Donner gleich baher braufte, verhailte, und — fie flohen.
In Saintes ſah er den Abmiral wieder. Grimm und Kummer
zeigte ſein Angefiht. Er vermodte faft nicht zu reden. -
Gollgni reichte ihm die Hand und fegte: „Seib ruhig, mein
wadrer Biofe — wir leben noch und unfer Muth, und ber über
und verläßt und nicht! — Ihr habt wader gefochten, und Eure
Erhebung, wäre fie Euch nicht als Lohn früherer Tapferkeit gewor
ven, fie würde und müßte Euch jetzt werben!
‘- Obgleich ibm dieſes Auerkennmniß wohl that, To konnte doch
Wichts feinen Unwillen vernichten.
Ein gehaltener Kriegsrath Iegte in Soligni’3 Hände ben Oben
befehl des Heeres. Er zog ſich auf einen Heerhaufen, ben d'Acier
befehligte und welcher keinen Antheil an der Schlacht von Jarnae
. genommen, zurüd, und traf weiſe Anflalten gegen bie nadtbeiligen
Folgen der verlomen Schlacht. In bie feſten Bläbe warf er ſchnell
Binlänglicye Beſatzungen, und ließ bann ie Häupter feiner Partek
in Xennai=Charente zufammen treten. Die Prinzen Heinrich vom
Beinen und Heinrich won Kondé, des Gemorbeten älteſter Sohn,
ie Gefelifchaft ber edlen Königin von Ravarra trafen auch ba=
ſelbſt ein.
- As Alle verfammekt waren, trat bie erhabene Fürſtin in ben
Männerkreis, an ihrer Seite bie Prinzen. Bon hoher Begeiſterung
erfüllt, hielt ie eine fo Fräftige, eindringende Anrebe, daß jedes
Herz ergriffen: warde und ein lauter Jubel erſcholl, und Alle
cchwuren zu impfen, bis das Ziel ihrer Wünſche, Freiheit bei
ER ei —
wa 9wr wm — we
Wenäberid and‘ bed: Gerefffent, errungen fü. Der Mutter Yides
Wort war verllungen, ber Yubekeuf verhafkt,' be trat Heinrich voil
Vearn derwor. Saͤn Wuge ſrrichtte, indeß innere heftige Bewegunh
feine blühenden Wenigen bleichte. We erhob feine Hand zen
Sqwur und ſprach mit einer Feſtigkeit, bie bei dem ſechzehnſchrigen
Süngling in Erſtaunen und Berwunderung verfetzte: „Ich ſchwbrt
vie Religion zu vertheibigen und bei ber gemeirfchaftlichen Sache
zu behenren, bis entweder Tsb, oder. Sieg unß Men bie. vewunthe⸗
Freiheit verſchaffen wird?" 8
Da donnerte ein Lebehoch! dem Edeln. Da erlitten fe EM
und Heinrich Condé einmüthig zu Häuptern ber Hitgenotten. N
mörtterligen Stolzes und wütterliger:Worme ſchloß Johanna den
Sohn an ihre Bruſt, und der alte, ehrwũurdige Cofigni leiſtete hin
zuerſt den Schwur der Treue, und nach ihm Ne imit gleichemn
Enthnſfiasmus. Es war ein erhebender Augenblick, ber nenen Much
im jedes Herz ergoß. Nicht weniger erhebend war der, als bie Prinzen
dem verfanmelten Heere zu Cognac vorgeſtellt wurden. Bier zitterte J
Nie Suft vb des Jubels der Hulbigung.
Guünfſtiger als je geſtalteten TI‘ jetzt bie Verhanmife der Best
teffemten, denn ber heldenkhne Wolfgang von. Stmelbritdten führte
ihnen fechstanſend Meter und fünftaufend Lanzknechte zu. Nicht
zum gänfigften war bie" Lage ber Tönigfichen Arme. Ber Schaf
war geleert, die Finanzen zerrütte: Schon ein ganzes Vierteélfaht
ieh der Sold ans, und ftäglich ſchmolz das Heer. Katharina Taım
ſelbſt zu ihrem Sohne Sernri von Anjou in das Lager von Me
moges. Sie verſprach Alles. Sie tröftete das Herr mit den Tinker:
ſtutzungen mE, Deutſchland, Itakien und ben Nieberlanden, und hob
anf dieſe Art den gefantenen Muth.
Beftig brach nun der Krieg im Poitou mus. Heftiger uber
wirthett man in anderen Gegenden gegen bie Proteftariten. Vorhet
Bette zu zioeten Mälen Eoliget, nm ja Altes verſucht gu haben
Biriſchriften dei Mörige vorgelegt, worin er um Freihett der Ne⸗
Hionsilbung und Zurucknahme ver verfolgenden Ehicte Bat, - nd
Horn's Erzahlungen. zZ, 14
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— Mu —
erg ſonleich die Waffen micherzulegen, wenn bie, Bitte, Abi
wirbg,. allein. wan ermiebexie mit: Hrauſamfeiten, vor denen hie
Maniiheit ſchaudert. biefe Borfallangen, Za hab Parlament gg
Bars fegte einen Preis von 50,000 Goldaulden auf, den Kopf
bei; Abmirala — fein Bildniß wurde vor dem Ragthhaule yen
Nau⸗ verbrannt und er ſeiner Adnuaalswũrde ‚onticht. . .-
3: Der Admiral, zu groß, um ſich dadurch gefränft, zu. fühlen,
* über die Luftſtreiche der Ohnmacht; nicht fo Jeine Fzeunde,
die dadurch auf's wüthendfie empört wurden. Ruhigvexfolgte
um Soligui, ber ben Oberbefehl fort. behielt, feinen Plan. Die
Meternehmungen bes Admirgla gegen Poitiers führten ‚nicht zum
gewünfcten Ziel, aber, dagegen ‚war. Montgompmeri in Bearu
giũcłlichex. Aniou zog ſich vorſichtijg zurüg, da auch ſein Heer Did
gelitten, und Coligui folgte ihm. x vermied gexn eint Haupt⸗
Macht da das konigliche Heer duxch die Deutſchen, Itziiner ab
aus den Niederlauden verſtärkt worden, allein immer allgemeiner
wub ſtürmiſcher ſprach fh der Wunſch ſeineß Heeres ad, gegen
"den Feind geführt zu werden. Bei, der Stadt Montcantoug. trafen
fie, am 8. October 1569 zuſammen. Bier Stunden lang wüthete
ein gräßliches Geſchützfeuer. Um zwei Uhr. Nachmittags rüdten
die Röniglichen umter Dontpenfier ver, und es gelang ihm, hie
Keiterei unter Moui, Ie Noue und Gui be Viole zu trennen. Der
Scharfblick bei Admirols erkannte die Gefahr und eilte ſchnell au
Hülfe. Er jelbft that Wunder ber Tapferkeit, und würde, ba ihn
eine Kugel in bie linke Wange traf, gefangen porben fein, wenn
nicht Manzfeld, der nach Wolfgang's Tod (ber wahrſcheinlich, ivie
des Admirals edler Bruder, Danbelot, Gift erhalten hatte) bie
Deutſchen befehligte, ſchnell ihm zu Häülfe geeilt amd die Maſſen
Montpenfier'3 in bie Flut geſchlagen hätte. — Aujon Bärgte fich
un auf Mansjeld. Muthigen Widerſtand leiftete er; aber auf
die Dauer würbe er es nicht vermocht haben, wenn nit ber Graf
von Naſſau Anjou's Truppen geworfen unb zeriprengt hätte, Zeigt
wurde das Treffen allgemein und grimmig. Ohne Parbon wurde
;
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a u zu mn 0 wu wL- — — — ——
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gemerkt... ‚Katar ud ee doe u) 9 AR
Gunſten der Katholiken. Die geringere DAR! Bir Dugeuoilen
weretlag nach dem muthigſten Eampfe derfeindlichen Rebermacht.
Bemtatfenb Tomte und Gefangene hatten · fie · verlsrer uis jnei:
henbert Fahnen zierten als Trophäen diefes Slegte de Nathedrale
vr Notre⸗Dame. Der lg: war volllvmmen.Markes fiebelte
und feierte Freudenfeſſe — denn DIE" Keherbrut watja dernichtet:
te meinte an: Esligmi Aber glichi beit Wenir 3. zog
Wr Mlort nach Montauban; DPI, bet Gb: von Saimetzeaen
ingeli, dieß zu ihm. Ber aflen: Seiten ſtrdimten · Streitet Feineß‘
Gtcubens ihm zit, die Verluſte zu erſetzeir, And noch ehe’ dag‘
Jahr 1869 hinabſank, rückte er men geſtärke nach: Burgund bot;
bechampiete ſich muthig gegen das überlegenefeinbliche Geer?”- am
ertang ſelbſt Vortheile über baſſelbe Der Hof war des Bil:
nälbe,; "ber Frankreich verwüflete- und die Staakskilfte verzehtle
Er rnerkannte des Feindes immer hene-Fürchtbarkeit an iind wünſchte
Feieden — um Kräfte zu ſeinmeln— — und & endlich bennech de‘
Netzer zu vernlchten.
25. : nt . -
... Rah vielfachen und verwidelten Einterhenbintigen kam enblich
ber Friebe in Saint-Germain en Laye zu Stande; alle vorher⸗
gehenden Friebens-Ebicte wurden beſtätigk imb jenes nachtheilige
von Rouffillon aufgehoben. Den Proteſtanten bewilligte man vier
Sieperheitspläge: La Rochelle, la Charite, Montanban und Eognac,
bie Hugenstten wurben aller Aemter und Biden faͤhig erflärt mb
ihnen fteie Religionsübung zugeſtanden. —
Der Frieden war zu günftig für Se Proteftanten, darum
mißtrauten Viele ber Aufrichtigkeit des Hofes, ber ſchon fo oft fie
betvogen, und durch anfdheinende Verſohnlichkeit fie gelockt hatte.
Die da mißtrauten, fahen tiefer als Goligni, der ſich ganz ber
14*
N
| Mm -
fgönen Hoffnung hingab, feinem theuern Vaterlaude ben richen
surüdgegeben za Ihm. Ä -
Nathacina ahex wmeimie es, win iamar, auch jet wicht tren
Jency Hölenplan, den Mlbn beguäsbel, ben Anjon gefärbent, dem
ſelbſt Carl IX, in der Aufwallung ber Leidenſchaft zugehen ſchien,
den endlich Tavannes und Retz als das einzige Mittel, zwm Zieche
zu gelangen, prieſen — ex lebte jetzt auf's Menue in ihr auf.
Aexwedo ſchmachtete indeſſen noch ums im Gefaͤngniſſe, seht
Geringeres als feinen Tod emartaid. Nichts ſchmerzte ihn, als
die Unbelnuntichaft ‚mit Gui's unb- Gabrielens Schidſi. Ruhlg
fah er dem Tod entgegen, denn ſein Herz war frei von den Dame
wärfen, bie, wie Harpyen, bed Sünders Juneres zecſlriſchen. Sein
Glaube wies ihn hin auf das ewige Verdienß ſeines Heilanben,
ala dei Retierg und Erloͤſers der Suünder. In feinem Erloſungstode
ruhte fee Haffnung und der Sieg über bie Schreden des Grabck.
Tief aber betrübte ihm der Jubel über bie Siege von Jarnat und
Monteantour, und doch lag die exheiternde Vorſtellung ihm wieder
nahe, droben, im Reiche des Lichts, bie wieder zu finden, die er
Hier verloren oder die er zurücklaſſen mußte.
Hätte er gewußt, daß Gabriele den Netzen Anjou's entgangen,
daß dieſer wüthend über ihren Verluſt mit Momesquiou gehadert,
daß Gui glücklich und mit dem Barbeerfranze des Sieges und ber
Tapferleit aus den beiden Schlachten hervorgegangen, eine höhere
Freude würde das Vaterherz hienieden erquickt, und bie Gene ber
Erhe dennaoch wieder zugewendet haben, bie nur mit. Himmliſchemn
beſchäftigt war.
Katharina hatte Acevedo's Papiere genau unterſuchen laſſen,
ja thellweiſe ſelbi durchforſcht. Jener glüdliche Gedamte Gabriehens,
die wichtigeren zu verbrennen, entzog ihn einem Verdachte, der ihn
würde das Lehen geloſtet haben. Katharina fand nichts Verdäch⸗
tiges. Nur Berechnungen und feltfome Figuren, die fie nicht
verſand, waren ba. Selbſt jenes Schluͤſſelbund war won Gabrielen
entfernt worden, das der Königin ſicher würde bie Auzen göffuet
— |
1 —
Yen. Eie Yale bisher ben Aſtetis zen ſchr veriaißt. "pie
Sehnſucht, mit Fühnem Auge in bie verborgenen Ya "ua Hne
WB Weiden zu Biken, ſand eine Befriedigung, zumal fie jcht
meht ula ja: eruommäfte, da ihe Wlan ver Weile nahte. Sie bereuerde
es, ben Aſtrologen eingekerkert zu haben. Rune Rucſteeht auf
Union, der ihn uns Urſachen, die fie nicht begtiff, glühenb. hafıte,
hielt fie bis jetzt ab, ihm ſeiner Haft au enttaften, He für fle ſchon
fo lange gewährt.
Enbliqh Tone Re nicht langer velbirkehen, und wurbe bei fich
einig, ben Aſtrologen vor Anjou zu verbergen. Sie ließ ihn in
Dee Nacht nach beim Louvre in ihre Semäcer Bringen, "wo Re mit
Yu ganz allein war.
Ucxvedo emwartete ſeint Sterbeſtunde, ala zu fo ungersheihlher
Zeit feines Kerkers Thüre fi doffnete. Aufſ's Höchhe: Abervafchte
In das Wut: „Ihr ſelb frei!“ So Fehr er duch fi mit dem
Gedanken an ber Tod bekannt und verttciut genrädjt Te — Die
Babe zum Leben, die ber Schopfer ir daB Menſchenhetz gepflanzt,
bie auch den Greis im Silberhaare vech nicht verläßt, Me regte
ſech benndch jetzt Tal — und eine aufrichtige Freube erfüllte ſein
Beuth, is Freiheit ſratt · Lob ihm verkündet wurbe.
Man drachte ihn zu Katharinen. Sie trat ihm entgegenſo
freundlich, fo wohlwollend, ala ob nicht Momate einer entek
Gefangenfchaſt, burch fie verhargt, zwiſchen ber Segenwart und
ber: Vevgengenheit Aagen. Aervebors Geſunbheit hatte gelinten,
er ſah antike u. Die wong ehe ii ie Dir ZUR
WB.
Acevedo w fe feſt an. ame en Tomte. we Met
ertragen | "
‚enum at or: Pre wie — ‚Becher Ange
“ri: Namt wir meine Sihulbit ſpouch eu miles.
mi 8: memiige ch,‘ Page: fie: mil, „Anh X fie
anfing ertiite wi: baum Berdache veri Antrera, den :ttnant: Tarif
Euch lud. Vergebt mir mein. Mae: Yuy: will » gut a nahe
md
Jon. anennt 0 Acerth⸗· gwuran⸗ Börögie gitet X
——— To u gen. enden
banal; Ihr: mir vpie zeit des Rum amd dai alenia
—— die ich durchleht oder * in irubeninge unmmanbchuht
me fungie,en hiterr. “
2a lann ich wicht, Aewedna,“ awiebeie fe sie ur
act, daß ‚fo leicht, ber, Menſch ˖ irren laun. an
- ‚An erprobter Treue follte er nie zweifeln.” . u
„Wahl, allen hen jelkhen ungen IN Vieles u
> „6» neunt mix. Sie, meine. Königin 1’ ”
.Das taun ich nicht, Aexvedo, ich ſagte es and. (com De
vem würde e3 ja auch das Gefchehene nicht, ungeſchehen machen
Dezeiht, und meine: ganze eng. mein ureetheites
Aruauen fol Such entſchãdigen ·
ei ſprach Acevero — „dach eine drege muüde —*
air beantworten; Wo iſt Gabxriel, mein Bob": 0. .,h
, Aetbarina. ſchlug den. Bid. nieker ‚Re —* es fs ‚in
Mignt“ fprach: fie kleialaut.
Map wenn fie das geweſen, und wiwr id mein: Kia m
_ Männerfleivung barg, um fie hor den teufliſchen Machfiellunget
Muxer Eheleute. in Eures Gohueßs — ſichern ie Tannen · was
ahat daa? —:wo iſt fie! — 7
4.1 de te Sie Sie verjennb, wie Mcjou mie ——
wa. nur ſo viel Tone ich erjahren, daß eine alte Zigennerin fie
ik ſich fortgeammen, aber: dann mit ihr ſpurbes verfdjwannben ſei.“
Da kam Frieden in bes Sreieß Her. Sie war were
Ink wußte me med Gewiſbheit. u
Katharina that Alles, was fie vermochte, ihn zu —*—
rt A Me Rich num werk ihnen Geſpräch Aben demmsichigen
Stand ber Verkäktwiflt- ein, mb. ſprach AsE Pndjet aus, had: ihre
Mrele. ſchon Länger: Zetrbefpäftigte, naͤmlich Mungareiien von
Baloia, mi: Heinrich on Wenger > nix vermefihlen, ssttd:- dadechi die
Gage Ya ia ihr Derteaeffe aungiehen.n m sim tar! di Bar:
- 25 —
BT oc Dein Wunſthe Bepeitt, dem -Tift. feine "Whtäbeng-
braberfol ſeht gürfiigen"Plehen aller miðhliche Dauer zu verlekhei
vbeffarkle fie hi diefet Weit. Sie dat ihn, er möge doch ju
ger Zerbachtungen anſtelen um gi erfahren, od dies ‚eigen
* & ‚be nun- för ultes· Gemach - wieher, adden "eb
verſprochen, ſich den Augen Anjou's zu entziehen. Sein erftel
Beſchaft· war, dent gütigen Lenker des Geſchids für Gabrieleis
Nettumg Zt danken, und dann Gelegenheit zu fuchen, ein Schreibea
am’ dit Vlefis-Mornet zit richten, über Gufs- Berhiftniffe untet
ut zu werben.“ Er wußte dieſes Schreiben dutch jenen wieber
defundenen alten Diener glüclich zu du Pleſſis-Mornai zu bringen,
vend - bafd erfrente ein Schreiben des Freundes, voll Loͤbes von
Gui und mit der Nachricht, wie hoch geehrt er ſei und wie ihn
Geinrich von Bearn achie, und er ſtets um die Verfon des Prinzen
- fein müßfe, wenn nicht fein Beruf ihn fordere — deß Vaters oil
Sares Herz. Nur von Gabrielen konnte er nichts erfahren: Doch
tenute ex fer und ſicher der Treue Adelına’s, und Ruhe Tepe
wieber in fein Herz. Er gab fick nun wieber: ganz ſeinen Lick⸗
bgsveſchaftigungen, ben aftrologiſchen Stubien bin, die Befunde
Bit, die im Merker- fo viel gelitten, flellie ſich wieber her, uich⸗
frohere Ausſichtenbffneten fich Im für den Abend des Lebens
Weine Ahnung hette er von dem Holenplane, ben katzuine Beate,
Bei REIS Mag zu verbergen wußte. . mu ©
"ot: Indeſſen wurden - bie "Umterjandfungen mit ber abaigin von
Ware etdſfneln wegen der Verbindung Geile und Bergii
Veen. Frauccach· ſchien ruhig. Jebe Bruſt. alhmete Wbiebel
Cha: ur ae IR ſeiiele Rh Anterhaubamgen
lt dem "Reife Meriinlllan: P. ein, blen mits ber Ben
lung zwiſchen Carl und des Kaiſers „Tochter WEaberh india!
Brobtt-!'Yibel: 'afülte Barth: "Urberall: gab man fich Beh ſchonſten
Yin, amd aut de- Erfkätendtek: Trailer: der hm
MEHBWETE Gpe' ſchon wathinde EL Br. 0
ee 7 —
GBR der Wornigak, ſchan ft Unger, Zeit Winnmer, bepfe
yo einmal die Füßen ‚Gefühle jugendlicher, weit über. ſeinem Eee
hinaualiegender Empfuiduugen. Jagobine von Enfremont, eine [ehr
miche Dame Savoyens, innigſt. zugethan ben, ranen Gvangelium,
war von hoher Achtung und Verehrung gegen den Admiral
ben größten Mann und edelſten Helden feines Zeitaltera, ben
mathigen Vertheidiger der heiligſten Rechte des. Menſchheit, erfüllt
a Sys, ſcwrmeriſch Alles ergreifend, was Intereſſe Für fie
Date, wurde von der innigſten Liebe zu ihm erfüllt, bes bad). am
fe vieles älter wer, ala fi. Sie vᷣot dem Admiral. ihr Herz umb
ihrt Hand. Das. Seltfame dieſer Handlung, bie erhabene Geſin⸗
nung, welde fie ausfpradh, gewannen be? Admirals Sur &
weranßaltete eine Zufammenkunft, unb bier knüpfte fi dns Baud
nnauſflõ alich.
‚ Der Hang von Savoyen ſuchte dieſe Verbindung zu hinter⸗
tuiben. Gr zog Jacobinens Gilter ein, — Dennoch blieb fie tren
und verlieh heimlich ihr Vaterland, verließ ihre Reichthümer und
wurde in Rochelle bed Helden Gattin. Alle unheilbzingenben Ereig⸗
uiſie ſchienen ſich in die glückllichſten aufzulöfen — ale Segnungen
ah Fratdens bluͤhten. Coligni ſegnete ben Liebeshund feiner Tochter
Miſe wis dem edlen Teligni, obwohl er nur ein armer Chelmann
war. Heinrich von Condé vermählte ſich mit Marien non Cleve.
— Nur, des ehrgeizigen Anjou's Plan, Englands Elijabeth die
Seine zu nemnen, mißlang zu ſeinem Grimm, und nuswin Staats⸗—
binoniß ar in dem Koͤrbchen, das er erhielt — magrex Erſat
für Vernichtung feiner ehrgeizigen Abſichten. Die Vermaͤhlung Heinrichs
von, Veam mit Margarethen von. Valois, mit welcher ihre Hern
vallkennnen übereinftimmmten, Fauı. albnälig ihres Erfüllung aehe
ur. axcude den Hugmmotten., bie fick, ieh ‚um: Beſihe des Guth,
wahr jo viel Wut gefiofien, ER jühlten. , um.
Dir frohe. Ausſicht ker. Beseinigung, der heiben, Parteien, in
Oacich und. Margarethen, und ‚bie ihm. heimlich verarante. Akicht
des Königs, an Spanien hm Keg, zu schlünunı um) habs: Dem
— m —
v
Woheliiuhemn able. 26 — und ihm m. —XRXRC a
Wertungen; dies une Fan eigene, ja herrlich aufbfbennei. Hug:
Un Glũd, nalen bei Admixals Heya.gang ein. Sa oſt er au
Im won: hem HOofe, der Beine, Taeut kamme, hinergaugen nenben
wm; jett traute er zuverſichtlich und Uqhelte oft, ia ziumte- jagen,
wor man Beden Behenfiigteiten äuperte on, Bweifel au ber Ware
Ye den Hofeo.
Er wurde jeri von Ast IX. vingefoden, 20.200 Sof.
Inmumen, was bie - Angelegenheiten wegen bei Krieges wit Spanien
aärig, zu beiseiben. Freudig eilte Coligni nad) Bari, Sein Gyr⸗
Hrsg von: Seiten bed Künigd -war fehr herzlich. Jedermamt Ber.
muhte ſich, ihm feine Achtung zu beiweifen. Per Hünig uficerke
ihm: dieſer Tag fei- der glücklichſte feines ‚Lebens. Goligni wurde
in alle jeine Aemter uud Würden wieder eingeſetzt; ja Carl gab
Ag eine Stelle im Staatarath und ein Geſchenke von hundext⸗
tauſend Livres, und überließ ihm ein ganzes Jahr lang die Gig:
Einite der Pfründen ſeines is. London verſtorbenen Bruders, Dei
Gardinals von Chatillon, der als Mpfer dei. Fanatiamus gefallen
‚Mar... UlleB wurde verſucht, den Admiral fo in bie Netze bei Hofes
gm verſtriden, daß er nicht mehs. entrinnen Tomte, da er ohnehemn
mit unbegreiflicher Verblendung fich hingab, und alle Wamungen
nayadatete.
. . Mikten unter ‚den, frendigen Borktoeitungen. zu ber..Bermäß:
bung bei ‚Prinzen Heiurich ſiarb Johauna von Naparta, das grafie,
ale Weib, und biefer, Berluß war, groß-für bie Proteſtantenz al
biefer Todesfall änderte Nichts in biefer Angelegenheit.
vo Geinxich von Nabarza, in deſſen Ride Mui be. einen.
wer, ste nad, Paris. -; Sein Einzug war glänzend, und init
inhelte Paria auch dem Ketzer eutgegen. Margacethe aan nais
exwfaud für ben fchönen Hainrich wirſlich Zuneigung; fie ſah ihm
mit Gehnſuchtentgagen. Ep. erhlickte, ſie in ſeiner Nahe Hen
Wann. wieden, für dan. ie. Biuit ehüblrBuiske. Sauer Flaus
und ein freudiges Gefiche duchbehin fin, Diele Reiguma: mar. dm
— 536 —
—* nnen Vetzen —XXC —E
derRNehgang zu Mein’ ſuigea Sanen. Sichttar RR
guneiggung HE Gut” beirWiste BEE: befſeren Baht Gurij
Dergen wirtehrehten, ind er Filhltei eine "tife Beachtung ag
Metgarethen, "Sie: wie Abficht zu haben: ſchien, sat ihui Wr ER
jener verworfenen Bethaltniſſſe zu! treten, wie ſie damalsann OR
Sitte waren. Er zog ſich von allen Feſtlichkeiten zeit ro Nebte
fuſt ein Einſieblerlehen ander ‚den: Freuben des Hofes:““. 77
ut Acevede beobachtete den geliebten Sohn. Margarechens umwint
be :an- ihm war ihm kein Geheimniß, deſto mekhrfreuteihn
Gurs Zurũckgezogenheit. Er achtete Feb Heinrichs von Newwarert
Briefe nicht: und Iebte Mit in der Verbindung mil Coligut
. Yorfehd auf den Ausbruch bed erleges mit Spanien; wo fh: My
das Fels des Ruhmes wieder zu Dffnen verſprach· Abebedo ſuh er
fine felten, fo ſehr ihn auch fein Berz zu ihm hinzog. "EB Wie
che fichtbate Verſtimmung im feinem Weſen. Düfer war Mehl
Sinn. Niemand errieth bad: Geheimniße, als Coligni und Acevebe
Wr forſchte nach Gabrielen, und all fein Forſchen war fruddieh. "
Dies: war es, verbunden mit“ jener unhelligen Empflindung der
rgen Kbnigin vor Navatvd; wos ihm ben’ Aufenthalt in Pal
Mur BR machte
Du Pleſſis⸗ Momai gab feiner Thatigeit eine neue
„Die: Zeitanifände find günftig“ fügte‘ er,,Heimticht von
Pd Wohlwollen :firc "Eich, des Mönifs Milde wirkung: Tune
verheißt Euch ‚chi ertötfliten Bia, wenn It Esere@ilier ih
ber Nuvergne-zueildffonbetk”s' 7 öl
ETiRNerfannte bie Hiatipfeit ‚Biker —8* Er hat a
Mühe Shritten⸗ und Henne RE Freubee daß er feiner Wihiſtche TH
wicht, nahen PA. —— ——— ku *
It es dem Aunig dens Merz Earl meigie Fi Tor har Tu
i, daB er bablich das Geftich 'gehehmigtentab" Guft iu Var OURB .
> Dihter jepte-:“ @uldichitte ſogleich sin Der RER Me
un Sol Bier hielteil neue; msi nn ons
2
1.12. eiat: vertiudecuc Jaſammeakuaft Bikini’ Sch Dan’ Konig
Milte ichur "Caligat:i wer, wie· all 1a: Fried Seh: ber ee
ser amtgsiwäddter Risberänbtt fi r.wiigenichinen:: u Febbit-: du
Feldzug zurkäiter, GE ;bentete davauf hic daßz Authutina dyır- bei
Rn: früheren: ulegn :bink Darum marudgehalten, febii.imerlich zu
&imppet um’: bar: Herzog von ‚Bhlem bi ber Nation Srkichii-gh
aachen :achb ihn / den⸗ Ming, defbo:c.deflen zw. veherrſchen. Gum
. mochte die Wahrheit diefer Andeutungen fühlen. Errſah, bu
Boligni :eb reblich meine, and‘ ed’ war: nahe ran; :bak Coligni
in‘ bedeuteides Nebergewicht über . ber Khulg vrhielt. Katharuch
Andies Gefprädh: belauſchen gIhr Haß gegen Weliget. kecad⸗
nun feine Grenze mehr. Immer feſter wurde bie Abſicht, Mm,
wur: Mein: Patis verſummelten Hugewotten, hinzumorden. ' Dies
aber omg: micht ohne des Königs Mitwirben, und das muhte
ſchaell gefüchent , che Velici ion no mehr Mar nn
— *
.Hatharing Tonınte ihren Sohn zu ‚pi; um nicht die Tanne
Sce zu kennen, bei welcher fie ihn fallen mußte Gie nahen
zu ·geitpunli wahr, um fie ihn salkehr: traf. Ste zog Ihm mit
Ach: in: aim einſames Kabinet und: brach in:bie heftigſten Worioibeßk
and. Di einer Mijchung vor muͤtterlicher Zaͤrtlichkeit umir bitterm
Newiillen ieh: fie ‚ihn : Alles: in's Gedãchtnig zurinf, wus Mei alß
teuer Mutler für. ihn vom der Kindheit: halfloſen Tagar bis za
tiefen. Augenblicke gethen, geduldet, geopfert. Und mim *
en: ſicht von ihr zu den Menſchen, vie⸗ihn glühend haften; niet
ſene Verderben wollten; ‚licht. von: ihnen. ſein 9 baren u
aaueuden: von · Mutter amd. VOruber . ·.
Ihre Thränen rannen. Sie affectirte eine wilde Bergen
Dal: folks en mir tun. Au. Anſou werben, werm / ſie Mich in
ihee/Dege Inden ranib ar Sie eg: - Stautageſch ate Brrtenn
. RE mid a re; url er, ur dert aciß Ders. Pam
we, sine Gsehn mepßeren:: Gaben Win Sorgen” DB
rief fie m erſchütterndſtem Zug : zoom einseitig 7 310
ode unseerwiicht in feinge Wuhenle. Er wußte Ah Tchuldig. Mr
fahte die erzarnte, jo Sefbewegie Bitter. m Bergebung as mb
gedohte Befluuug, gelebte, ihr imrallen Gtüdem zu folgen.
Feendig fah Meiberina ihre Berſuches ‚Gelingen; allein fie
Hatte gebermt, ſich zu beherrſchen mub zu verſtellen. Statt fich
wit Carl auäzmföhnen, rang fie mergveifelub bie Hände mb
eite Jason.
: Gadd war außer fih. Er feigte ber Winter, wie fie. &&
Berechnet hatte, im ihre Gemächer, wo ex ‚Uno, Gauby⸗ Reh,
Annanıes. und GBawve, bie Bernauten ihrer Morbylane, Wei ihr
wraf,
. Cal Harte fe an mb erbleike & Fürshtete feine Mıdter
nah ben, Herzog von Mae wehr, als bie. Hugenotten. Ihr
Bafommenfein mit biefen ſaualiſchen Märnern, beta Geſichter
alle den Ausdruck ber tiefſten Betrübniß und Sorge zur. Scham
taugen, ängfiete ihn. unbeſchreiblich, und er chute für ſich bie nach⸗
keiligftese Folgen.
.Faſt zitternd bat er fie num, ihm bo bie nenen V brechen
ine. Prefeſtanten belaunt zu machen, ba: er fit der gar möcht Tentıe.
1... Da mar Ge Wunſch erfüllt: ba begannen fie nit gläherben
Farben die. Verbrechen der Proteftanten zu ſchildern, von. kamen
dieſe nichts wußten; ba ſagte man dem König, daß fie mit her
fein Wehung Ihrer Raligion nicht pufrieden feien, fonbere bie Ven
tigung der kotholiſchen Kenkfictigten; baß fie fi; rüßmten, bem
Rönig gaj nach ihren Abfichten Icnlen. zır Tinmen; ba beſonders
der Abmiral fich geäußert habe, larige Bade: morgen Venen, Mahl
ellärung uchmen- au wollenn.
RB ing nicht is. Garls. hefuuger Gamäthemt, imad aubig, zu
Yrüfem, ua Weohrkeit:non miehrigen tarb. Hölldfchenz .MWltnbysstle ;bex
Dinge: ſcheiden zn Motu. Auch depk Inbenie feine Hide auf. Men
wußte fe ia sum rafemahten Yamargır- Pegen —* —
ies den Proteſtanten nicht zu ugs ::
=
!
- s
— u —
“ Appt ut: Want: br Ruhe De, wo A ihn Haben weht
Man kehrte nach Paris zurüd. Katlweina und Union miiftranden
ber Dauer bes königlichen Zornes, barmm nahmen fle einen andern
" Yabrdın — Colii'3 Ermordung. Wber auch bier erſcheint Mtha⸗
rinend teufliſche Lift. Ihr Beſtreben ging darduf hinauſs, bie
Mordihat auf bas Sifiiche Zaus zu laden. Teuftiſch klug wählte
fa zin Haus, bas dem Erzieher ber Guiſtfchen Printzen gehörte,
zum Morbeplatze. Dort mußte ſich ber Morder verbergen.
Es war am 21. Ruagnuſt 1892, als Abends ſpat noch Aecevedo
ſich zur Königin begeben wollte, um fie zu warnen, da Schred⸗
es ſich bald eneignen müßte, ſeinen BVeobachtungen zufolge Die
febffame Griegtheit Katharinens, das heimliche Weſen, die glichen
den Bike, die er beobachtet — das Wiley bemiete dem ſcharfen
VDeobachter auf nichts Bas und niches Sewbhnliches.
Er: kannte ſeinen Einfluch auf Die Kbnigin und hoffte durch
denſelben vielleicht Uebels won fernen Olaubensgetioſſen abzuwendet.
a3 er fi dem Pöntglihen Gemache näherte, trat Nicolas
Lerwiers de Mauxevel, ber Mörber des tapfern Moui — ein AB:
wurf bee Holle, einft m Dienſten des Herzogs Franz von Gmfe,
Ger, und bie ganze Holle ſprach aus feinen tZůgen.
Ein Falter Schamber ergriff Acdevedo bei dem Anblik bie
Meuiſchen; und eine dange Ahnung durchzuckte ihn. — Statt ſich
zur Korigin zu begeben, eilte er aus dem Louvre nach dem Hold
Saint⸗Pirrre, in dur Strafe Betiſh, unfern des Loımre, wo Golig
wehrte. : Er verlangte flürmtfch den Admital zu ſprechen. Doc
dies war jet nächt möglich, da er bei dem Koönig war. —
Gui aber traf ihn. :
„Dberft Violel“ rief der Vater bem Sohne zu, —8 Fon
Admiral, Baris zu verlaſſen es droht feinem Leben Gefahr. Auch
Ihr ſeid nicht ſicher. Verlaßt-um Sonetwilen Paris, und Ban
Eu ter nad, Saint our!‘ "
Guv erſchrack Er 308 den Aſtrologen auf die’ Seite. Er ſoeſchte
—— Mervebo theiln ihm das mit, was er wußte, und
-
— MM —
verlieh, il: dann:ſchacſi, wur viclleqhe: dem. Acahfichtigten: —*
—— Spur qu lauwetn. —
Eoligni kehrta⸗ ſpat hei. te —12
- Yu thrilte ihm ſogleich das mit; wer er Seh —28
im, Parid-zu werlsfen- 5 ME Te) BER.
: nIhr vorgeht, Oberſt/ ontgonsite, sioligei ai: „hal wei
die Buicht gegen König und VPaterlaud feſſalt. Ihr vergeßt, baf
wir alle ia Gottes Hanh ſtahen und: ſain Schutz, und; bewahrn
Von Geich hätte ich ſolche Anngftlichkeit- a awordet :— Und
rohio legte er ſich zu Belle u: ©. ee
Am. andern Tagı.ı Freitaga⸗ den AR Bund, ‚begak "er: Pre
frühe nad dem Hallkaufe,- wie. er &:.bem.Mänig zugeſagt.
begleitete ihn dohin, und Mauvans und "Telignis. Gegenieht 7
kehrten fie nah der Wohnung Coligni's zuchck. Der Admirch: ding.
einige Schritte norays una las autliche Papieve durch. Her in
bie. Mühe, des Hloſſers Seint-Germein ixecwis lam, ſiel vi
AR Schuß. Die Kugel. xiß des Abmirals; Zeigeſniger au ber
rochten · Hand weg und drang in: ben Hufen“ oberen Muhig
mies Cqligni nach dem Haufe, woher bar Schuß. gelsıhmen.
Wüthend riffen Mauvans und Gui bie Schwerter and: ben Scheiben
ub, rilten dahin. " Sie durchſuchten ‚ans ‚Damd — eher Ieer.
Maurer war durch die Vorftadt Saint Antoine. bevsitd erilohen
Sie, kehrien nad) fruchtloſem Suchen zu Eoligni :zurädh, deu fein
Gqwiegerſohn Teligni bereit? nad) feiner. Wohnung .gewadt ” ":
.. AB: Gui in das Gemach trat, mp der Heln lag, da zeichte.
er ihm bie verwinidete Hand. Ein ‚wehmätbiges Lächeln Tchwebte:
über die eben Züge, und er ſagte: „OD, Hätte ich ber Stimme
warnender Freundſchaft gefolgt! Run if es zu ſpat
Mit ber Faſſung des wahren Ghriften und bem Muthe de⸗
Helm ertrug er die ſchmerzhafteſe Operation.
Der König war außer ſich, ala er es erfuhr. Katharina eilte
zu bu, ihren Abſchen und Groll gegen bie Guiſen gu -Anbern, auf
welche fir, ba alle Umfände fidh dazu vereinigten, bie Schaln biefer
—
= D
=
Sqhandthat bürdete. Der. Rlpig mgehneie bit. Berhakung bei
mom Oerregẽ vas Qiiſe⸗/ hoch hisfen mar ıe „Mar Auherte
wich Aufrichgen. bischen ‚ungen ‚bad Siprbuecken..ı nub Ip: *
ade magliche Meiſe ditian, zu beurlanden
MRNamun:erhriten ſich doß Sherliht ‚es Mageinens. ‚gm
—2* De proteſtrariiſchen· Eyellezue a: Goltzninejilten—
Wlgsmpin: mar⸗/ der tar Gchmerz allgemeju, bie, grenzgfcfeRe. Mieth
ah rbitieruug. Heinrich Yan Navarra, Gonds mb Teligni waren
es, die ſich qus den beſten Abfichten, ben Frieden nicht mus Rem
zu brechen, da der, Mordyerſuch Prinatſache jet, dem. Antzage des
Vidome von Fharzres, aan ‚be, Ferzjexqa, „Vaud ſogleich am
vexlaſſen, wiberiebten: : Woligai, welcher obaphem.i: Ihe. ;- Teinsz
« Wunde ‚wegen eine Neije vermeiden. mußte, trat jhrer Diepmuyg
bei, und. -äußerie,,dad amerisgästenlichfie Bogtrauen ju. bie Resbtlic-
Ieit. jack, KRünigä« wg Ahenh, deſſelben, Zagad:- Juguhg noch, wine
Berathung an Coligni's Bett gehalten, bie gleichen rialabasie...
Gui, der aufs Heftigſte ampärt- ung, ‚erhielt - am, Mittage noch
[71 ein Echrejben von;Acepedo⸗a HOond ‚Da: Ih. beſchwar,
jeleich Paris zu verlaſſen. Er warfzes erbigtert bin, „NReind;‘
rief ex aus, „mb jſoellte auch. ich jallan, ih kann und darf bu
Mann zicht verlaſſen. im Unglüche den. a Pater, ‚mein urn
war im Glück!“ Und, er blieb. , ::
Am Nachmittag nad dem. Darmeind erichien, uf. beB
Abmirals Bitte, ber König, begleitet pon Kathariye.von Medhicis,
Heintih von Anjou und dem Maricafl von, Rep, am Giechbette
des Helben Alſe ſprachen bie. herzlichſte Teilnahme und ben
geõoßnen Unwillen über. bei Brbrräen. aus. Carl ſprach allein
mit Golimi _ ..
Natharinena Gqmiſſen zegte ih — die HJurch —* ber Sünde
So, marterte fie, Sie drang. auf dem Rüdıweg im ihren Sohn,
ben Inhalt diehes Zwiegefpraͤchs ihr zu eröffnen. Ihren dringenden
Vqhan gab endlich dar König nach und fagte, ‚er habe ihn zur Selbſi
ſtandigkeit ermahnt umb vor ber. Abhängigleit von Andern gewarnt.
Quartiere bereitet werden file fie, -die fie am anbern Tage bezogen.
RMemand ahnte, welche fürchterliche Liſt dies war. Niemand dachte
daran, dah bieB nur darum geſchah, um die zu Morbenden ja «ik
recht nahe beifammen zu haben, und gleichfam mit einem Streiche
fie alle zu Fällen! —
Am Morgen deb 28. Auguſt begab fich Heinrih von Anjen
Mm Kafharinens Bemäcker. Er traf bie Rönigin in’ gewaltfamer
innerer Bewegung. "
„Jett hat die Stunde geſchlagen, Heinrich!“ vief fie aus,
„ws unſer Plan ausgeführt werben muß. Ich habe bei ben Aerzken
des Admirals geforfät,. und fie behaupten, ferne WBunbe fei
gefahrlos, er mwerbe bald wieder hergeſtellt ſein. Was werben wir
von ihrer Rache gu erwarten haben, ‘die Sean de Ferrietes, der
Vidome von Chartres, laut ſchwur im Kreiſe der Seinigen Fl’ —
„Ss lerßt uns ſchnell ihr zuvorkommen. Gebieten uns felbft
durch ihre zähfteihe Verſammlung bei Goligni die Sand.” --
| „Wie 10%” fragte die Königin.
„Es iR ja ohne alle Schwierigkeit, ber König zu überzeugen und
bad Gericht in’ ganz Paris m verbreiten, daß fich die Proteftanten
verſchworen hätten, blutige Rache zu nehmen für ben Mordverfuch.“
„Der Gedanke IM vortrefflih — aber wie ihn mısfähren?”
„Doflrr Yapt mich Sorge Tragen. - Birague, Tabannes und
Retz werden es an nichts fehlen lafſen. Dadurch wird ber Rn
erglirnt werden, und es wird umns leicht fein, dieſen bis zur Neferti
1 ſteigern, wo er ſtcher ſeine Zuſtimmung micht veiſcigen wirbee
— Ri —
„Wann aber wollen wir dirſes Werk ausfichren?“ — .'
„Morgen um Mitternacht, wenn das ſchon verabrebete Zeichen
wit ber Glode von Gaint:Bermaln Auxerrois gegeben. wird,
Wird des Admirals lette Stunde fchlagen und. mit ihm bie aller
Brotefianten in Paris. ch werde fehnell die gräßlichiten Werlichte
ausſprengen Iaffen, bie geeignet fein werben, Syreumb gegen Frenud,
Nuchbar gegm Nachbar zu bewaffnen — und frei werdet Zw,
werben wir Alle athmen, wenn bie Sonne bed 25. Auguſt hie
den Gräbern und Leichen unferer Feinde aufgeht! Aumale und
Guiſe mit ihren Leuten find verborgen und harren ber Stumbe
und des Zeichens, um ihren Haß im Blute ber Ketzer zu tränden.
Thut Ihr dad Eure, theuere Mutter, und bereitet Garl. leife vor.
— dann wird Alles gelingen.”
„Hentih von Navarra und Condé ſchonen wir,“ ſprach
nun Katharina. „Ich will Margarethen Befehle geben, in ihres
Gemahles Zimmern zu blei
„Nur noch nicht!“ rief Anjou — „mur vor morgen send
nicht, fonft iſt's verrathen. Ihr kennt ben Leichtfinn Margaretbend.
Sie hat Leute umter ben Hugenotten, bie ihr werth find, bie fe
gerne retten möchte — wenn fie e8 wüßte, und fo fehet Ahr wohl,
wäre Alles verloren.”
Er verlieh die Königin, bei der fi) bald ber Marfchall von
Retz einfend, mit dem fie jet noch das Weitere beſprach.
Acevedo war nun fchon zu breien Malen in Katharinens
Borzimmer geweſen. Ihn trieb eine namenloſe Angft um. Er
fah an Allem, es war etwas Gmtfegliches im Werl, über kem ein
bunfles Geheimniß ſchwebte. Er kannte bie Verhältnifie, er wußte,
daß es ben Proteftanten gelten würbe. Er warnte fie. Vergebens
aber waren feine Warnungen. Man fchlug fie in den Wind. Er
wollte Katharinens Gemüth erfchüttern, aber fie lieh ihn nicht
vor. Mit jedem Augenblide flieg feine Angft, denn, er fah nur’
Anjou und bie übrigen fürchterlichen Fanatikler bei Katharinen.
Ihm war es Mar, es gelte nichts Geringeres ald Ermordung ber
Horn’s Erzählungen. VII. 2
j
— 7 —
Proteſtanten. dab er zu thain vermochte, that er; allein es war
wenfenf. Un jo Enthletzliches glaube man nicht.
Am 28. Auguſt endlich hatte er bie Freude, du Pleſſu⸗
Mornmai, der auf bie Nachricht von bes Abnmurals Vermundiuig van
ſeinen Bütern nach Paris geeilt mar — zu fehen. Er zog den |
Frennd bei Seite. Ihm vertraute er feine ſchrocläͤchen Ahwugen.
Aber auch Plefſis glaubte daran nicht, und bies ‚brachte ben Alten
Aa zur Verzweiflung. Ex kehrte zurück in ben Louvre und⸗ſuchte
ſich ſelbn zu überreden, er irre — und doch konnte er Die Ang
feines Innern wicht beſchwichtigen. Selbſt das Gebet gb ihen
kenen Frieden.
26.
Der Abend des 24. Auguſt, des Sanct-Bartholomäustages
2678, war gekommen und eine ſchwüle Nacht ſank herab mit
unbuvchoringlicher Finſterniß auf bie Rieſenfſadt, in ber eine
grauſenvolle Stile herrfchte, die nur bin und wieber durch Waffen⸗
geräufch unterbrochen wurde. Bon bdiefem Geräufche —
eilte Gui an des Admirals Lager — es dieſem mittheilend und
ihn auf bie verſchiedenen Warnungen Acevedo's auſmerlſam machend.
Coligni warrde ernſt.
„Geht nach dem Louvre, Oberſt Viole,“ beſahl er ihm, „und
Fragt ben Künig in meinem Namen, was es zu bedeuten babe?’ —
Gui ging ſogleich. Alles war ungewöhnlich ftil.
Nur Hin und swieder begegnete er bewaffneter Bürgermilig,
waas ihn noch mehr mit Sorge erfüllte.
n Gui blieb anf feinem Weg einigemal horchend ſtehen — denn
es ſchien ihm, als begleiteten ihn ſchon vom Hoͤtel Coligni's aus —
drei Männer, deren einer ſich durch ein langes Gewand anse
zeichnete. Blieb ev ſtehen, fo thaten fie daſſelbe. Ging ex wieder,
fo folgten ſie ihm von Ferne. Eundlich griff er an's Schwert und
m 337 —
. .
trat gurů, um ſich genauer zu überzeugen, aber er- fand Fi
und ſchaͤntte fich- einer Unwanblung von Furcht. |
Ohne fürber fih umzubliden, ſchritt er nun 2 zu und
erwicht den Louvre.
GEr ließ ſich ſogleich bei dem Könige melden und wurde in
einen. Salen geführt, mo nach wenigen Augenblufen ber König
fig einfend.
Gui erſchrack vor ſeinem Antlitz Es war wild, bleich, verſtört.
Das feurige Auge war ſchredlich anzuſchen. Im ſeinem ganzen
Weſen zeigte ſich eine Haſt, eine Unruhe, eine Ueberſpannung aller
Kräfte, die auf eine fürchterliche Erregung alter Leibenfchaften bei
ihm ſchließen ließ.
Gut begrüßte den Monarchen mit eblem Anſtand und Würde;
doch erwiederte ber König feinen Gruß nicht Finſter ſah er ihn
an und fragte;
Wa iſt Euer Begehren?” —
„Ich komme im Namen bed verwunbeten Abmirals, “ſprach
Gui feſt, jedoch ehrerbietig, „bei Eurer Majeſtät unterthänigſt um
Erflärung der kriegeriſchen Bewegungen in ber. Stadt zu bitten,
ba, fie ben Admiral bennruhigen.“
Da wurde plöblih des Königs Geficht grinfend freundlich.
„Geht bin,‘ fagte er mit aufcheinender Ruhe, „und fügt dem
Admiral, es gefchehe auf meinen Befehl, und weine Abficht fei
bloß, mögliche biutbürftige Unternehmungen ber Buifen zu vereiteln.
‚Bitter ihn in meinem Namen, ruhig zu fein.” |
Cr madte eine Bewegung mit ber Hanb unb ging wieder
nach ber Thür, aus welcher er getreten. Im Blide noch ſah Gui
Katharina und Anjou. Mehrere ftanden noch umher, die er jedoch
nicht mehr erblicken konnte, weil Carl die Thüre ſchloß.
Beruhigt, doch nicht ganz ohne Sorgen, verließ Gui den Louvre
und trat in den Hof deſſelben. Hier war Alles todtſtill. Er blieb
einen Augenblick ſtehen und horchte in bie Ferne; — dann trat
er durch das eiſerne Tor hinaus. Kaum aber hatte er ben Fuß
15°
\
— 228 —
Über die Schwelle deſſelben geſetzt, als ihn vier ſtarke Arme ſaßlen
und ihn rüdlings zu Boden riſſen. Vergebens war bie Gegenwehr
feiner jugendlichen Kraft. Er wurbe gefefielt, ber Mund ihm
verfiopft und fo feſt gebunden, bag er fih nicht regen fonnte,
teugen ihn in Tautlofer Stille bie beiden Männer eine Gtrede,
dann warfen fie ihn auf einen leichten Wagen ber bereit ſtand,
und nun ging's rafch von bannen. Lange Zeit fuhren fie ihm,
dann wurde er abgeladen, in ein niebriges Haus gebracht, wo man
ihn ſchonungslos in eine finftere Kammer warf, bie Thür abſchloß
und ibn gefeffelt liegen ließ.
Bergebend bemühte fih Oui, fih zu regen. Er war fo feft
gefnebelt, daß er regungslos Liegen mußte Auch fchreien lonnte
er nicht, denn ber Mund war ihm verbunden. Er börte an bem
dunkeln Orte, wo er lag, durchaus nichts; nur dann und warn
ſchien es ihm, als vernähme er ein leifes Flüftern im vorbern
Gemach. Er mochte vielleicht eine Stunde in dieſer Lage zugebracht
Gaben, die höchſt fchmerzhaft für ihn war, ba ließ ſich wieber
Geräufh Hören. Dean vernahm fchwere Tritte, und ein zweiter
Gefeſſelter wurde in gleihem Zuſtande hereingebracht.
Bor Gui's Seele traten nun Acevebo’3 Warnımgen. m
war es gewiß, baf fein Tod ihm nahe fel, und ruhig ergab er fidh
in das Unabwendbare, die Stunde erwartenb, wo bit Mörber-
rotte feiner Bahn ein Ziel fegen würde.
In des Königs Kabinet waren Katharina, Anjou, Tavannes,
Reb, ber Herzog von Nevers und Birague, ber an Morvilfier’z
Stelle getreten war. Hier geftand man es dem König, daß nicht
Guiſe, fondern Katharina und Anjou die Mörder Coligni's ſeien;
baß bie Urfache diefer That nur die Nüdficht auf das Wohl bes
Staates fei, indem die Proteftanten bie allerſchändlichſten Abſichten
gebegt, und man fie entweder gewaltfam unterbrüden, ober aufs
Neue bie Schreden eines wüthenden Bürgerkriegs über das
entnerote Vaterland bringen muͤſſe, was jeht noch ficherer zu
erwarten ſtehe — wenn nicht Alle vertilgt würden. Kalbarina
N
— MR —
mquhete,. alle ihre Berfiellungsfunft, alle ihre Kunfgriffe an, ihres
Sohne⸗s. leidenſchaftliche Wuth zu exregen, und alle Anweſenden,
au denen noch Graf Angouleme gelommen war, vereinten ihre
Kraft in Lüge und Verleumdung, fo daß endlich, aufs Aeußerſte
gebracht, Earl ausxief: „Par la mort de Dieul man töbte, weil
Idhr es füͤr gut findet, den Admiral; aber ihn nicht allein, ſondern
alle Hugenotten, damit nicht Einer übrig bleibe, ber uns beun⸗
zubige) Fertigt Schnell die Befehle aus!’
Tavannes erklärte nun, daß er bereits Alles gethan, die
Aꝛilizen habe wehrhaft gemacht. Es fehle nur noch, fie mit dem
Zweile bekannt zu machen.
Zn. dieſem Augenblicke wurde dem König bes Obriſt Viole
be Saint: Fleur gemelbet. "Ale erfchraden. ‚Der König trat
heraus, unb Katharina legte ihr Ohr an bie Spalte ber Thuͤre,
bie nur angelehnt war.
Freudig vernabm fie bed Königs Verſelung, und berichtete es
heimlich ihren Genoſſen.
Tavanmes entfernte ſich bald nach bed Königs Rüdfehr, und
ließ die Vorſteher ber Bürger vor den König lommen, wo er ihnen
befahl, bie Bürgercompagnien um Mitternacht vor dem Rathhauſe
zu verjammeln.
‚ Mit Entfeben fragten fie nad) dem Zweck.
Da mihüllte ihnen Tavannes die hölliſchen Pläne,
Bleich nor, Schreden ſahen fich bie waderen Bürger an, und
ber Muthigſe ‚unter ihnen nahm dad Wort, erklären, fie
Fännten.. mit- gutem Gewiſſen zu folden Schandthaten ihre Hand
nicht bieten.
Wüthend fprang Tavannes gegen ihn und jprach fürchterliche
Doohungen; aus. Es gelang ihm, fie einzuſchüchtern, und fie endlich
geneigt zu machen. Gr fagte ihnen nun, daß ein Schuß vom
Sowre ud und, bad Läuten ber Glocke vom Kloſter Saints
Bemein lAuyerrois das Zeichen zum Anfang des Mordens ‚gehen
ſolle. Hierauf mijßten ſogleich Mae ‚und Hader vor die, Genfer
\
—.0 —
geRelit, bie Straßen mil Letten gefpertt. und auf allen üffeattiiugen
Plöpen Pilete ausgeſtellt werden. Zum Nernzeidher: ſollten Die
Rutheftten. weiße Kreuze an ihren Hüten -und weiße "Züge um
Hreh Anken Arm tragen.‘ Der Herzog von Guiſe und ber Sraf
Augouleme, des Kbnigs namurkicher Bruder, übernahmen, nachdem
Erſterer aus ſeinem Schlupfwinkel bervorgelommen · war, des
„Admirals Ermordung mit wilder Luſt. —
Alles ordnete ſich im Stillen. Alle Berbertitungen wurden
auf's Zweckmaͤßigſte getroffen. Unbegreiflich und unerklärbar war
die Wnächtfamkeit der Proteſtanten. Coligni, durch Acevedo noch
einmal gewarnt, ſchnell fein Haus zu verlaſſen, beunrnhigt durch
Bul’3 Ausbleiben, ſandte noch einmal Tefigni zum Knig, und
bieſelbe beruhigende Antwort, welche Gui erhälten, empfing und
drachte er dem Admiral. Nur aus einer Urfaihe läßt fig ber
Proteftanten Ruhe bei fo häufigen Warnungen, bei ſo zweideu⸗
tigen Ereigniſſen, wie fie biefe Nacht bet, erfläten — Ihr edler
Sinn und ihre rechtlichen Herzen faßten ſolche ˖Verruchtheit nicht;
fie war ihnen ımdenfbar. Sie traten zu ſicher auf das Ehnigliche
Wort, zu fehl auf Treue, wie ſie zu üben gewohnt waren. '
Schrecklich ſollten fie erwachen aus dem rubigen Schlummer,
in ben fie ber Glaube an bie Menſchheit gewiegt.
Selbft bie, die man Uebte, dab man ala Opfer Binz und
Earl, der bie aufrichtigfte Zundigung zu dem heitern Larschefeucault
hegte, leß ihn dennoch feinem blutigen Loos entgegengehen.
Im Ergdgefchoſſe des Louvre befand ſich Katharina, Cart,
Amjeu und bie tiefen der erwähnten Genofſen ber : heaen
Pläne —
Carls ganzes eſen war in fieberhafter Anruhe — Alte in
Einer entſetzlicher Spannung — natilrlich —! — der Teufel ſckoſt
mitßte ſchaudern vor ſolcher That! — Katharina — und weſſen
it: en Weib nicht fähig, wenn alles Heilige aus ihrem Segen
gewichen II Kokbarina ſprach dem Könige, ſprach ben Mätiiiern
Mitt ein, tihmte bas Gottgefaͤllige der Keherverflgung.
.
x
- m — /
z20 Mit allen Gewalt, die fir: iber: ee: hatte, möthigte Feıdin +
aid: zmälfnat: ber. Hammer ſchlug zus Siunde, wo nach altem,
Boldewechhn ber Holle Pforten ihre Scheufalt. auBipeien: -— den
fchredlichen Befehl zu dem Zeichen zum Beginnen bes: Blutgerichtes
das ſqhrecklicher kaum jemals bie Welt {ab — zu geben. Schaudernd
gab er ihn — — — ein Piſtolenſchuß — wurnbe gehört, und baib-
ſchriſlte bie Glocke von Saint-Germain l'Auxerrois greulich tm die
Nacht hinein. — Da: faßee fie Alle bie Hölle! ba wat Euler Todes⸗
ſhweiß auf ihre Stirnen; ba MHapperten ihre Zaͤhne an einander in
wäre Verzweiflung; ba rieſelte Todesſchrecken durch ihre Gebeine
und ihr Haar firäubte fich — be bermuten fie, an hei‘ Welten
richters Vergeltung denkend, ben Brubdermord; ba ſanbien fie
en Grife, an Angonleme, nach bem Rachhaufe Beten, bie
Einhalt gebieten ſollten. Umſonſt! Umſonſt! — Die: forte
ber Holle find geöffnet, bie Teufel wüthen — nichtb hemmt ihee
Bahn — ihre Dolche rauchen ſchon von Chrmen- von Bräben
but! — — — 7
Ws die Tobtenglode von Samt: Germain bnxertei⸗ ven
ehernen Mund zum erſten Schrei öffnete — ba flog Guife une
Angowleme mit: dreihnndert bewaffneten Mordern na CGoligni's
Hauſe. Der wuͤthende Coſſeins fordert mit heftigem Bolten bie
Oeffnung ber Thür. Bei Coligni waren in religiöſem: Geſpräche
dir wadere Cornaten, br Wundarzt Thomas und bett: evangeliſche
Peebiger Merlin; Cornaton hört das Gefchrei, flieht. beim Fatkelſcheine
He Mörderrotte und ruft Coligui zu— „Die Stunde iſt da wo ue⸗
der Herr zu fich ru"
Coligni ahnte das Schreckliche. Zu
Heitern Antlltes ſpricht er: ‚Sein Wille a Und um
deungt er die Treuen zum Flucht,
Gen Haubmeiſter Öffnet umen bei’ Hauſes ze, web war
durchbohrs auf Bie- Schelle. Man ſchleuüdert ben Lachnam Yirrtuag;'
Guiſe wagte es nicht, ben Mord ſelbſt zu —— aber evcchatr
art eine gelibte Jauſt geegt. ein Brhme Tom "fe Stallmeiſter,
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Uche zu verhũten gu.ipät war. Bexzweiflung war ihrs Mutter, - Morbe
geſcheei, Wönfteupetöfe, Wüthen und Janunergeſchrei reifen ihn wällig
ar Wilbheit hin. Er fehbft ſchießt auf bie unglücklichen Proteſten⸗
ten, bie Rettung im Louvre juchen, wo bie Schweizer, Je Schlaͤchtern,
morden.
. Ben dem Haufe des Admirals, in deſſen Kühe bie meiſten
Proteſtanten wohnten, zieht fich, nachdem diefe abgeſchlachtet waren,
das Morden nad dem Louvre zu, in beifen Umgebung allein *
hundert proteſtantiſche Edelleuie gemeuchelt werden.
VBiele, zu denen das Wuthgebrülle ber Verzweiflung —*
ober die man blutdürſtig ‚verfolgte, flohen nad dem Louore, vers
treuend "dem gegebenen Worte des Königs und des Geſetzes heiliger
Schutzwehr. Schredlihe Täufhung) Dort unter ben Augen bed
Anigs, wie bier in den ſchrecklich burch Fackellicht erhellten Straßen
und in den frieblichen Häufern floß da3 Blut der unglücklichen
Beoteitenten ſtromweiſe, und es war Fein menſchliches Gefühl, feine
geheiligte Gewalt, Feine Macht des Gewiſſens mehr — bie ba
gehemmt hätte bie bluttriefenden und mach Blut ‚nur lechgenden +
Mörderhorben. Zu ben beftallten Henfern gejellten ſich allmälig
nun bie Freiwilligen, ber zügellofe, längſt ſchon fanatifirte Pöbel
der Haupiſtadt, und her Greuelthaten war Fein fände, fie mehrten
ih von Stunde zu Stunde in biefer entſetzlichen Nacht, Selhſt
Kinder fpielten und warfen fi) mit ben Gliedern ber Ermordeten,
mb man ſah Weiber bes Hofes und bei Volles Schanbthaten polls
beingen, vor denen auch ein männlicher Barbar zurückgeſchaudert wäre,
- Im Loupre wurden in ben Vorgemächern, auf ben Bingen
nnd Stiegen proteſſantiſche Edelleute niebergeftoßen, felbR vor ben
Augen Margarethens von Valois, ber Neuvermählten Heimich4
von Ravarra, ſo daß das Blut ber Oemordeten, bie fie nicht zu
ſchützen vermochte, ihre Gewänder heſpritzte. Katharina von. Mediciq,
noachdem bie erfie Regung des Gewiſſſens niedergelämpft way van
dem Leidenſchaften des vereuspten.. Herzens, ſah mit Begierde ‚daß
Morden, und mit einem Wohlgefallen, das mehr als teufliſch ‚mar
w⸗
— HM —
:ı Weinriih bon Navarra etiging”' mid ben jrugen Ente Tauın
ker Ermorbung. Gr mußte Jeuge fein, wie man feine Blaubiute
bruter ſchlachtete, imb bonnte fie: ancht tetten. Dies: Yawirhtjein
brachte ihn faſt außer ſich.
Carl IX. ließ ihn gegen Morgen zu fh beſcheiden mit Tanbs,
und ef Ihm, Als er erſchien, zu, dab es jetzt Coligni un alle
Haupter der Broteftanten babe ermorbden — ihm und Bonb6 wir |
datum babe Gnade angedeihen laſſen, daß fie Baͤbe ihrem Meier
thum entfagten — dazu — feßte er mit außerordentlichem Zorn
wid Grimme Hinzu, gebe ich Euch drei Tage Bebentzeit; dann aber
— — er brach fchnell ab und wendete ihnen ben Rücken und ent
Heß bie Erſchütterten, deren die Wonnetage ihreß chelichen St
fehredlich vergällt worben waren.
Niemand wüthete anhaltender , umermübeler ımb graufamer
gegen die armen umglüclichen Broteftanten, als Tavınnes und bie
Berzoge von Neverd und: Montpenſier. Mit bem bluttriefenden
Schwert in ber Hand ſchrie Tavannes in entſetzlichem Berzzerreißen
den Spotte: „Laffet ben Ketzern zur Aber! die Aerzte verfihern, es
fer im Augeft ſo gefund: ala im Mai.“ Solch Beiſpiel mtflammte
‚immer wieber von Neuem.
Wenigen Proteſtanten gelang es, durch die Flucht ſich zu
teten Die Meflen wurden ergriffen und niedergemacht, bie ein
Gleiches verſuchten; aber nicht bloß politiſcher und religzibſet Fana⸗
Haus. ſchwang das Mordeiſen — Haß jeder Art uns jeden
Arfprungs gebrauchte bie Begunſtigung einer Zeit bes geſedloſen
und rechtloſen Zuſtandes zu: feiner Befriedigung, und lang gebäunpfter
beſdenſchaften Huth loderte auf. "Alte Beleidigungen wurden
gerächt; Gläubiger von ben Schulbnern erſchlagen, und Neid ur
Eferfucht waren fo blutgierig wie der Fanatiznrus. -Dod mr
und einzig wur Proteflaitten waren bie: Sthlachtöpfer, nur fie
nrergien ſtetben, und nicht Alter, nicht Tugenb, nicht Wurde, wid
Sqonheit, nit Geſchlecht Tonnie daB - Dafein mar eine Mine
feinen. ran Te
VDer Lag brach enblich an. Wie Sonne umhuttee mit dichena
Gerd ihe Alten lachendes Ale erquickendes Antlitz vor dan
Grauen, die menſchlicher Wahn verübt. Man möchte bie Möt⸗
hqhtent bezweifeln daß auch Bei dem Keller TageAichte nicht Schaudri
und Entfehen de Tigetherzen ergriffen — und doch blieben fie ſich
gleich; fa. noch ſchrecucher wurde ihr Blutvurſt, da ber Jung ge
allhrie Jezt weniger Opfer fand. Aber es hatte jetzt ach newer
Reiz erhalten, DaB Morden, da man feine Opfer erſt ſuchen mußte
Ohne Maß, ohne Schranten waren die Breueltgaten ber mat und
des Vags.
Erſt gegen Abend gebt ein KBniglicher Hereld, daß Jeder ei
nad Hanfe gehen und das Morden einſtellen follte.
WVielleicht wollte man ben ermübeten Kannibalen Ruhe zönnen,
bamit fie nad) bem wohlvolibrachten Werfe ruhen und bann des
andern Tages, neue Thatkraft gefchöpft Hätten!? — Umfonf war
dies Gebot. An Geborfam war In diefem Aufruhr aller Leiden:
ſchaflen nicht ‚au gedenken. Im Gegentheile betrachtete man es als
einen neuen Aufruf, und es wurde um ‚Sporne zit neuen, Greuel-
thaten. Der König verſuchte auch nicht weiter, ſie zu hemmen.
Es wurde ihm immer einleuchtender gemacht, welch ein gottgefälliges
Werk er, verübt, und fein Eifer wuchs alſo, daß er am 28. und
50. Auguſt erneuerte Befehle an die Statthalter der Provin
erließ, bie Broteftanten ‚ohne Schonung au würgen, damit auf
nicht Einer übrig bliebe.
. Sieben. Toge ununtexbrochen dauerte das Morden in Pazig,
RPur in den legten Tagen geſchah es mit Mäßigung, aber auch mit
beito. raffinizterer Bosheit. Men war ermübet, üherſättigt, ‚ma
nothwendige Erſchlaffung folgte.. der Ugberfpannung. Dreißig Tags
BAHR dauerte aber 803 Morden nor) in den, Propinzen
Muitingend Proteſtenien farben in dieſen Tagen in weis;
. — innerhalb Kap: Mremzen des Reichs.
bet auch chone Beiſpiele des’ Edelfimes und chriſtlicher zur
howinfeı einzeine Katholilen im biefer entfehlihen Zeit. ı Ehre
ihmen, den bien, die ben Muth halten, Gott meht zu gehushem
als dem Gebot eines entmenfchten Königs) Die Statthalter Tendes
is der Provence und be Goldes in ber. Dauphinoͤ, und mehrere
andere Statthalter und Städtevorſteher verjagten bei Blutbefehlen
des Königs muthig ben Gehorfam und ſchützten das Leben und
das Eigenthum ber Verfolgten, lieber den Zorn bed Monarchen
auf ſich ladend, als bie ſchreckliche Schuld ihrem Gewiſſen.
Schnell verbreitete ſich die Nachtcicht dieſer Greuel bes
Bartholomäusnacht in allen Richtungen, und höchſt verſchieden
nahm man fie auf. Während man ihnen zu, Ehren in Mabrid
Treubenfefte feierte unb Stiergefechte hielt, während Cosmo, ber
Herzog von Toscana, Carl und Katharinen Glück wünfchen Tieß
zur vollbrachten Bfutarbeit, und auch ganz Paris mit feiner
Königafamilie Gott dankte — — erfüllte Zom und Unmille bie
beutfchen Fürftenherzen, und ber edle Marimilian II. erflärte Taut
die Bartholomäusnacht für daB gräßlichfte Brandmal in ber
Regierung feines Eidams Carl IX. Allen Sophiftereien der franzö⸗
fifhen Gefandten an den beutfchen Höfen ‚gelang ed nicht, ba
Abſcheuliche, nach franzöſiſcher Weife, in ein gefälliges Gewand
zu büllen.
Wie das Volk urtheilte, das durch Feine gefärbte Brille ber
Politik ſah, ift begreiflich, und Niemand erfuhr dies empfindlicher,
als Heinrich von Anjoy, ben bie Wahl auf den polmſchen Thron
rief. Als er durch Deutfchland reife, verfolgte ihn Abfcheu, Hohn
wid Verachtung überall; und al er gar vor ben edeln Kurfürſten
Friedrich den Dritten vonder Pfalz mit frecher Stirne ftat im
Schloffe zur Heidelberg — da hielt fich der eble deutſche Slirft Für
berufen, das Sünberherz des Yranzofer zu erſchüttert. Und er
that's. Und der Leichtſinn und bie Verſtöckung wich. Der innere
NRichter erwachte ſchrecllich, und bie Jurien ber Hölle⸗peitfchten ihn
bis nad Krakau, wo er enblich, unfähig, Länger fein Incceres
yenrriben. au laſſen, ſeina Schuld bekonui/ wWid durnch Aa. Yelngntnip
— 287 —
NE NRuhe zu geiolanen fuchte, die ihm fremd blieb bis zum letzten
Augenblicke, wo er unter des fanatiſchen Elements Dolch Pine
Sele averochettr
27.
Noch war ber Morgen des 25. Auguſt nicht angebrochen,
noch ſchien er nicht In bie enge Kammer, in welcher Gui und fein
Genoſſe noch inmer gefeffelt und gefnebelt Tagen in ber ſchred⸗
lichſten Bein einer immerwährenden Todederwartung, als gewaltfam
die TChüire derfelben aufgeriſſen wurde und Acevedo, von dem leuch⸗
tenden alten Diener, des Haufes Befitzer, begleitet, hereinftärzte,
ihre Feſſeln zu Idfen befahl, dann aber überwältigt von all’ dem
- Entfeßlichen, deſſen Zeuge er gewefen, obnmächtig niederftürzte.
Der Diener köfte Gui's Fefſeln, und biefer erfannte im feinem
Genoſſen erft jetzt den edeln du Pleſſis-Mornai. ⸗
Als auch er feiner Feſſeln ledig war — reichten ſich Beide
die Hand und eilten dann, den Zuſammenhang ahnend, zum
ohnmãchtigen Acevebo, ihm beizuſpringen.
Erſt nad vielfältigen Bemühungen gelang es ihnen, ihn ins
Leben zurückzurufen. Er ſtarrte ſie faſt bewußtlos an.
„Lebt Ihr wirklich noch, lebe auch ich noch, oder find wir
ihr ſchon enthoben, dieſer ſündigen, verruchten Welt!?“ — rief er
heftig und doch freudig bewegt aus.
„Faſſe Dich, Freund!“ ſprach ſanft du Beffig , „wir leben
und Du lebſt; aber fo vieles Räthſelhafte und bunfle Tiegt -auf
ben legten Stunden und ber feltfamen Behandlung, die wir
erfuhren, bad Du allein, wie ich abne, zu löſen vermagft, und was
wir von Dir erwarten können.“ j
Acevebo’3 Bewußtfein Tehrte zurüd. Er fland auf und fah
fie Beide an, und fein Herz floß über, und bie Thränen vannen
Über feine Wangen. Er breitete feine Arme aus und rief innigſt
ergriffen:
. — M —
„Kommt an meiner, I, bie: ich ja allein noch Hiewienem,
Jade — und Du vor Allen, mein Sobal”-
Gui wußte nicht, wie ihm- geſchah. Ein inneres, gewaltige
Gefühl zog ihn an bed Greiſes Bruft, und doch war ed nur ein
bunfles Gefühl — aber ein fo befeligenbes, wie er es noch nie
empfunden. .
Gr ſank an des Greiſes Pruſt.
„Ja, Ihr ſeid mein Vater!“ rief er mit Ruͤhrung, om Ihr
hast mir das Leben in gerettet!‘
Lange bielt ihn der Greis umfſchlungen in ſtummer Mührung,
während du Pleſſis lächelte, und doch auch Thränen über feine
Wangen ranıen, deren eine bie anbere jagte.
Endlich ließ Acevedo den Jüngling Tod und umarmie bes
Freund. |
„ir find quitt!” rief er ihm zu, „Du ba einft mic und
Yet ‘Habe ich Dir das Leben gerettet!“
Dann trat er vor Gut und beſah ihn mit liebenoller Zärtlichkeit.
„Hinweg, ‚Du Berhüllung!” rief ee dann aus, „mein Merk
it zu Ende. Jetzt kann ich nichts mehr Gutes Riften in Die
@ui — id, bin Dein Bater, Dein vielgeprüfter, vielverfelgter
Vater!“
Da ſanken des Junglings Arme wie gelähmt herab; aber nur
einen Augenblick — dann Ieuehtete. das Auge, dann glänzte es im
Thränenthau ber Freude, und mit den Worten: „So log doch wein
Herz nicht!“ Ing er im des feligen Vaters Armen.
du Pleſſis faltete feine Hände und blickte dankend gen Himmel.
Weinend fand ber alte treue Diener da und fragte Seife du Pleſſis,
ob dem alſo fi?
Als die erſten Wallungen des Herzens vorüber waren, ergrif
du Pleſſis die Hand bed alten Viole und ſagte:
„Gib nun Rechenſchaft von den Ichten Stunden!’
Da rief Viole: „Graufamer! warum miſcheſt Du das Gift in
ben Freudenbecher?“ —
=
DE 280 -
— ar
bu Pleſſta ſah ihn ſtaunend au. ‚Er, begriff ihn micht.
Da jepten ſich Alle, aud. Biple erzählte die ſchaudenhaften
Vorgange ber. Nacht, die noch ungemindert fortdauerten, ab eq
gleich in. dem -feımen Winkel, wo fir ſich jetzt befanden und wa
men keine Proteſtanten wußte, flill wad friedlich ausſah. Er
ſchilderte mit gräßlicher Wahrheit die Mordſcenen.
Bebend fragie Gui nad Coligni.
„Seinen Mumpf ſchlenpte das Voll in den Straßen ‚umher
wid ‚hing ihn endlich bei den Beinen au ben Galgen auf Mani:
foncon. auf.’
Da bedockte der Jüngling nat beiden Händen feine Augen
wu rief in herzzerreißendem Schmerze:
„Bonn ließet Ihe mid nicht an feinem Lager, bie
hätte ich das eble Leben gerettet!‘
„O, gib mir den Borwurf nit, mein Sohn,” ſprach Biole — —
„Dr konnteſt ihn nicht wetten. Es war umſonſt, es wer zu ſpät.
Ihr waret Alle Verblendete. Ihr hörtet nicht auf meine War—
nungen — darum mußte ich Euch hierher ſchleppen laſſen, daß ich
Buch reiten fkonnte; dem dort wart Ihr ſicher verloren. “
Dar ſanlen fie fi auf’3 Reue am die Bruft.
Und du Pleifis fprad: „Wir find durch Bates wunderbare
Fuͤgung gerettet, laßt uns fein nicht vergeſſen. Ihm ſei die Ehre!“.
Da ſanken fie auf ihre Kniee und dankten ihm bhewegten
Hexzaens.
Gui ergriff num des Vaters Hand und bat ihn um. ‚bie
Erzaͤhlumg feiner Begebenheiten:
„Ren, Gui,“ verjeßte ber Alte, „iebt nicht, Wir Gaben
jebt Ernfieres zu erwägen. Weun wir einft glüdlich bei Rabaud
und; Salers auf SaintFlour find — dann, ja dann will ich
erzählen. Doch, wie kommen wir dahin? Ueberall wüthet der
Aanbenſhaß und mordet.“
„So find: wir jedenfalls hier ficherer in der Wohnung dieſea
braven Mannes, alß dort, mo wir zur Zeit noch Fremdlinge Ah,’
— u —
meinte du Pleſſis; auch Gui bat, in Patis zu bleiben, ſo dringend,
daß man ſah, er hatte noch etwas auf dem Herzen, was er aus⸗
führen wollte; allein weder ſeinem Water, noch du Pleſſis fagte er
etwas baven, bis er eines Abends ſpät vermißt wurde Vergebenß
fuchten fie ihn und Tießen ihn ſuchen; wo er war, bas ahnten
fie nicht.
Ohne die Gefahr zu beredinen, bie ihm broßte, ſhnn Gui
indeffen auf Montfaucon zu. Die Nacht war finſter — ber Weg
unbelannt. Dft mußte er ftehen bleiben. und ſich umfehen, ob er
no die Nichtung babe, bie ber alte Diener, bei bem er wit
feinem Bater und bu Pleſſis ſich aufbielt, ihm bezeichnet hatte.
Enblih erreichte er nach miühevoller Wanderung bie Höhe;
ba fand der Galgen mit Eoligni’3 Körper, an dem ſchon Raben
nagten.
Gui war in einer entfeglihen Spannung. In feinen Tiefen
war fein Gemlth, fein ganzes Bejen erfchättert. Er ſank kraftlos⸗
an dem Galgen nieder.
Nachdem er eine ziemliche Weile gelegen, vermochte er erft
fi zu erheben. Er verfuchte es, an bem Galgen hinaufznklettern.
Nur nah vieler Anftrengung gelang e8 ihm, ben Leichnam
abzufchneiben.
Es war Mitternacht geworden über biefer Arbeit. ine
Todtenſtille herrſchte auf ber einfanıen Höhe von Montfaucon, bie
nur das Gekrächze ber Raben und ihr fchauerlicher Flügelfchlag
unterbrach. Eiskalt überlief es den Jüngling an biefem Orte bes
Schredens, wo jeber Tritt, den er that, in ben Todtengebeinen ber
bier gerichteten Verbrecher raſſelte. Es war allmälig ſternenhell
geworden, bie Wollen, bie ben Simmel bebedit Batten, verloren ſich,
und biefe magifche Helle vermehrte das Schauerliche bes Ortes.
Set eben wollte Gui den Leichnam be unglüdlichen Admirals
auf feine Schultern laden, um mit ibm nad dem Schlupfwinkel
zurückzukehren, wo er Sicherheit in ber Morbnadt gefunden —
als eine ſchwarze Geſtalt langſam heranſchlich. Gui wollte fich
-
N
— u —
eikiäftwtvfetnen, all es: wan a0 fpißt,: er vermrchto nicht viehe
dent Bin us Kocmenten; Av entgehen. Raſch aut: art fake
Gehwert! und Halter ſich eben. Cotigni'd Balkan; Ken: Ir Tome
zu: vetthewingen, bew ex: im. Leben nicht Hatit retten Filtern .
„Wer Du auch feift,” ſprach jetzt elne Kane widerlirhe Sum,
„hebe Did hinweg von dem Orte des Schredens⸗
„Avela!!“ rief Bi, und eine freubige Mekkeumeg. wechbebte
feine Bruſt. Auch ſie vrkamte ihn:
„Biſt Du es wirklich, Gui?“ fragte fie. — „O, Gotilob,“
ſetzte fit hinzut, „ch: glaubter auch Dich vrrlorent uas tricuerte um
| Dich; aber fage mir, was willft Du hier beginnen?”
I vrichte die: Frage an Dich, Adehna, waz? fun du Bart“
er ‚nen: Behyıwan des Abrnirala!“ ſagte Re.
j „wei in meiner Gewalt,“ ſpthch Ger, „und meine Pr
, if ed, ihm ein Grab bei feinem: Bätemi zu Chwällon: zu. bereiten“
„Gott legne Dich für deu Entſchluft, mein Sohet“ rief fie
frei ans.
Haft Vu ea wor au ſchon bedache⸗ ſahr fie. ſort, „wie Bar:
ihn dorthin briugeni willſt ?r‘..
Dis. nicht,“ verſetzie: Qui. . „Dit läßt: mith Sof! mein
Berk! [ex unit bringen To’: Täßtı as: mich: ed auch! vollendent — mh‘
Da, MWelma; MBimtes. mir. behulfuich jetaet’”
| „8 rl!’ ſprach fer; und Pfiff: fchnekdend' in: Die Merk’ hinrint
Dir Bit: Ichntt? fürvchterlich durch · Guiis Gehhr. Anwill⸗
kürlich hielt er ine Shrası zus
Adelnaan Icheien: She Fand. ba wir’ eine Norne — fuvchtbar
J anyulauen- — allein über ihre häßlichen Zei glitt ein. Lage;
das aus dem Bewußtfein, etwas Gutes zu rm; erzeugt: wan
| Hug der Wacht erden: traten zwei abhletiſche Geſtalten
,„MBlastod rief Adetnach „Ioanti.bierhet.. : Nehhmt ben Leiche
nam. und folgt und in der Entfernung von zwankig Schrlttent
Seht wohl auf das A, woß ihr: Hören! werberl”
Vannm fahte: fe! SIR Hank „Kinn, mein Fa “ ſprach
| Horn's Erzählungen. X.
— Mi —
fie: fanft, „aa nun in Gottes Namen. SE. abıe, . wohin Du
mich führft; die Tebten fimb auferflanben. Gui — hoſt Du Ichen
am Boterherzen Kindesglück gefühlt? — Er war Dein. Retter, ich
abne 3 und Xbelma will Euch Alle reiten aus dieſer Mordergrubel“
Ehe ſchritt raſch vorwärts.
Gui wollte reden.
„Schweig jet,” gebot fie, „denn unſerer droht Gefahrt” —
Still ſchritten ſie nun durch entlegene Gaſſen.
Ploötzlich ſtand Adelma.
„Führe Du mich nun,“ ſagte ſie, „denn ich weiß nicht, wo
er iſt.“
Qui leitete fie nun, und bald hatten fie den Verſted erreicht.
Bui hatte den Leichnam bes Admiral in feinen Mantel
geſchlagen. Die Zigeuner ließen ihn auf dem Borplade des
Haͤuachens, und blieben dabei ſtehen.
Gui trat in das ſchwach erhellte Gemach.
Alle die Sorgen des Vaterherzens löſten ſich "ei feinem
Anblid in Wonne auf, do den Borwurf konnte es nicht bergen:
„Wo wart Du? Und warım tbatfl Du uns das?‘
„O, tadelt mich nicht, mein Vater?“ fprach erſchüttert der
Züngling „Ich Tonnte nicht ruhen, fo lange ich ben Leib des
ebelften Mannes am Schandpfahle wußte, unb will nicht eher an
meine Rettung benten, bis er in der Gruft feiner Väter ruht!”
„Du wart auf Montfaucon?” rief Viole,. und brüdte ihn
mit Hochgefühl an fein Herz... „Gott lohne Dir die That!“
bu Pleſſis umarmte ihn. „O, Du baf Längft Sohnesrechte in
meinem Herzen gehabt, Guil!“ rief er begeiftert aus — „iegt bift
Du au mein Sohn!“
„Nehmt mir ihn nicht ganz, ſprach jebt eime in Rübrung
gebrochene Stimme, bie von ber Thüre Gerlam, wohin ber Schatten
der Ampel fie.
Seltfam ergriff der. Ton den alten Viole.
„Adelma!“ rief er, „Führt Dich ber Himmel wieber zu una?” —
’
=
—— Ra —X
*
— u —
Er trat zu ihr und faßte chre bebende Hand. ‚Ste war feines DAS
mächtig.‘
Stumm reichte fie ihm ben King dar. —
"Er ergriff ihn freudig und ſah fie forfchend an. —
s „Es Li gelungen,” ſprach fie leiſe, „Ihr werdet ſie wieber
f en. w
blickte er nach oben, dankbar drüdte er Adelma's weite Knochenhand.
„Noch Eins,“ ſagte bie Alte. „Nehmt dies Goldſtüͤck zurück,
das wie Feuer auf meinem Herzen brannte. Ihr gabt es mir auf
ber Flucht nach Rochelle. Ihr gabt es mir, und ih mußte mich
ſelbſt verachten ſeitdem, weil Ihr mich verachtetet. Meine Treue
wolltet Ihr erkaufen! O, Viole, Viole, wie habt Ihr mir wehe
gethan. Vor Eure Füße wollte ich es ſchleudern — doch ich konnte
nicht — nehmt es zurück, daß ich mich wiederfinde!“
Viole nahm es und ſchleuderte es weit weg.
„Vergib mir, Du treue Seele, vergib dem unglüclichen Bater,
der in Verzweiflung von dem letzen Süte floh, was ihm geblieben
war.“
Abelma's Hand fuhr nach dem Herzen. „O, daß ich jetzt
flürbel” -Tprach ſie leiſe. „Doch nein,” ſetzte fie Hinzu, „mein
Werk ift noch nicht zu Ende, Ihr müflet weg von hier. Bereitet
Altes ſchnell — noch diefe Nat muß Paris Hinter uns liegen.”
Freudig ergriffen fie alle biefen Vorſchlag, und ehe noch eine
halbe Stunde verging, folgten fie ſchon ber Alten, bie, wohlbefannt
mit allen Winkeln der Hauptftadt, fie glücklich hinaus Teitete, bis
zum Gehölze von Boulogne, wo fie Wlasko und feinen Gefährten
mit dem Leichnam des Admirals trafen.
In der folgenden Nacht erreichten fie Ehatiffon. * Stil! umb
traurig fetten fie des, Admirals flerbliche Nefte in ber Gruft feiner
er bei, und aus den Helbenbliden träufelter Thränen das
Zoblenopfer dem großen, edlen Gemorbeteit:
„Nun iſt mein Herz frei,” ſagte But, „und meine leste
16°
Da durchbebte neue Freude des Greiſes Bruſt, und dankbar
— Ak —
Aniqt gen dan Ehen erfüllt, Sohlat wohh” ſagte er n
weich — „ſchlaf wohl, Du Edler! In einer Welt, wo nicht mushe
der religiöfe Parteinamen bie Hd gegen bes; Araakız malimb wo
Ticht mehr Prieſterhaß · dig Herzen; entzmeit, mo- nicht meht, maıfd-
liche Autorität das ewige Licht ber Wahrheit. unter ben Scheffel
feßt — wo nur Herzendglaube gilt und Liebe — ba iche ih Dich
wieheri"
Gi beiden, ſich alle noch einmel, N Zde Igfe:
ſeine Rechte, auf ben. Sarg; de? Admirals, als nähmen fie Wbfchieb
von ihm, und verließen dann wi « Annangruft, um ihre Wauberumg-
ſono ſeten.
| 28. |
„Das ift nicht ber Weg, nach. Saint-Flour!“ ſprach Viole
zu Adelma,. als fie. unweit Grenoble immer links ihre Richtung.nahm.
‚Rast mich,“ ſprach ſie ſanft. „Es, ſchlagen. noch Herzen,
denen nach langer Entbehrung eine Freude gebührt.“
Viole ſchwieg. Er ahnte, was fie, wollte Sie ſolqjen ihr
ohne Widerrede. Hinter ben Bergen von Aupergue ſank iu wunder⸗
vollex Schönheit die Sonne hinab und. vergoldete ihre Spitzen, wie
jene, ber. Berge der Dauphine, Gais Herz war tief bewegt, als
er die alte Heimath wieder exkannte.
„Apelma, Du. führft..ung, zu Rabayd und. Saler3 2. fragte er.
Sie nickte.
„Laßt mid. voraus,“ bat er, „bie Freude, tödtet fie fon!”
Er riß fih los und flog, wie dig, flünfe Gemſe, einen. ihm
wahlbekannien Bergpfad hinan, ber ihn, näher, und. fchmelley zum
Törfhen leitete, als ber Weg, ban Biofe, bu Pleſſis und Adelma.
gingen. Hoch ſchlug fein Hera, als er ber Hütte nahte, und bie
Greiſe fo friedlih, fo ruhig. im Widerfcheine des Abenbroth3 auf
dem Bänklein,vor ber, Hütte ſitzen ſah, das er gemadt hatte in
.
— a —
ea, we GE Vage RE GER, Date en sum.
lebens gelebt.
or.
Er Eeblicktan Me Ver: zum fernen Mnıhe Arten KERN -
wieder, wie er mit außgebreiteten Armen auf fie zuflog, Kb vder
ceritvige Sthrecken feſſelte ſie, Tbeir- Tle- int Kffzlifiehen veltnochten.
Er aber unittetiete fie frohlocend, 1b vekeilete fie auf den
"IHRE ihach allen, laug beieinken, todtgeglanckten Beren ber.
Als er ihnen endlich fagte, er lebe, fie würden ihn ieber
Toyeı,- da ficlen Fe auf itzte rhiee iricder And BANKEN Arkter' Freuden⸗
tbränen ihrem om, und Rubaud rief: Herr, nun MB uns in '
Vileden Birlkh toben, Ya Bu ven Basen Wunfch ans dhewwhhret
haſt Mm
Da tt Sie 'Anter dem Supnren ver Bänttie herbor. Sie
karitten ihn eht. Ach, es Lag ja To mliches Itehr / und je iincher
Schmerz dazwiſchen, und jede: Hartke ſeinen DTribrit — und
jeder Schmerz feine Furchen zurüdgelafient-
Aber uls Ver lichen Stine Matz ar Ar Ohr Käse, als
PR ihre Namen wbdef, -da- Iucte vb Wiederſchens Freude burch
die Herzen ber Greife, und fie wantten ibm entgerjen trnd betedien
feine Hände mit ihren Theßken.
Zu NT eief Bole Ah, ‚en, Ner iſt zur A, ar Väter
Mein Ei" und er zoz PR, einen Mach denk Kubi A fein
u ‚or bt Om zur Wanne gerät, hd gwar ˖jiem wackern
Manne, da kann ih Euch nur. mit Liebe lohnen. Foeriin ſollt
Itt leben mit mir wie MEERE Lu
Es war ein heiliger Moment, wie ihn ſelten ab eEben bittet.
| Dr Greiſfe waren verhängt, und ber Wintinel mit- feine Frieden
309 in das Hüttchen ein. "Aber ein Herz empfand: me Wehmuth
j in bie Freude dilter; henin Sie: Nihe Arte ai der Bait, und
' fit und ttameig ja TOM ala > -;
| "Wie vr: ſie alrs Tages Heilig. & —* ing —*
| ..
we. 4 m mer 73 Cm 34 „u 734 mb
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rn «in
mit Abelma, bie Ay anlage werke. = Ti.
— UM —
” In ſuille, wehigihhige Traͤume verjunlen, in Ude Tamus.ge:
kleidet, fanden fie Gabrielen.
Einen lauten Freudenfchrei fließ fie au3 beim Anblide Biole's,
und flog :an feine Bruſt. Ach, fie hatte ihn ja gu als todt
beweint!
„Hinweg mit dem Trauergewande, meine Gabriele, ſprach
Viole. — „Auf Arbeque fol die Freude einkehren.
Sie lächelte wehmüthig, „Das Grab gibt Feine Opfer wiebeg I"
ſeufzte fie.
„Die Todten ſtehen auf, meine Tochter!” rief Viole, „Du ſiehſt
es ja an mir. Kind, gib bie Hoffnung nit auf!‘
. Aber fie lächelte wieber durch Thränen fo wehmüthig, und
fagte dann erröthend: — „bie meine Tiegt unter bem Raſen.“
Viole ſchwieg. . Er beredete fie, ihn, am anderen Tage zum
Dörfcpen zu begleiten, um feine Freunde nad; Arbeque zu holen,
Sie erfüllte gern feinen Wunſch.
Sie famen bort am.
Qui ſaß im Gärtchen, im ſchwermuthige Ruͤckerinnerungen ver-
ſunken, unter dem alten Kaſtanienbaume, deſſen Aeſte einß ſeine
Knabenſpiele beſchirmt.
Sie nahten ſich unbemerkt und leiſe.
„Was würdeſt Du ſagen, Gabriele,“ flüſterte Viole ihr zu,
„wenn jetzt Gui Rabaud vor Dich träte und ſpräche: Gabriele, ich
bin nicht Yui Rabaud, ſondern de, Mena Sohn, ber einſt ſchwur,
Dein Bater zu fein?’ —
Sie bebte und ſah ihn verwundert an, and eine GSluth über-
goß ihr Antlitz
„Gui!“ rief Viole, und Gui fuhr, aus ſeinen Traumen auf-
geſchreckt, herum.
&r. ſah Sabrielen und ſank, kaum feiner märhtig, zurüd.
Biole ergriff feine Hand und führke ihn zu Gabrielen.
„Es iR mein Sohn, Gabriele,“ fagte ex, „ni\ be, Wiole!‘‘
— Da flanden fie vor einander ſtumm englübenb.
>
-
\ — 2197 —
| Mb Viale legte ihre Sünde Fig einander. ;, Selb meine St:
ber,“ ſprach er; und feine Stimme gitterte. „Gelb glüclicht —
1 Eure lebe Hat une ſchwere Probte beſtanden — fie iſt des Ginces
wert‘ -
Da fanten fie einander in bit Arme, an von ihren
Gefühlen, und Biole fegnete fu - ° 5
Adelma ſtend von ferne und trocknete ihre Thrinen. Biok
erblidte fie „Komme bern, Du True — es iſt ja Den Bert“
rief er ihr zu.
' Da wankte die Alte Beram ‚ ihrer kaum mächtig, und kete
ſegnend ihre Hand auf ihre Häupter, und feierlich fagte fie: ‘
’ „Gui, ich fagte Dir einft, Hoffnung täufcht nicht. Sieh, ich
log nicht!“
Bald umſchloſſen Alle, du Pleſfis, Rabaud und Salers, ben
‚Kreis, unb bie reinfte Freude erfüllte ihre Herzen.
Sie zogen nun nad Arbeque, wo die Vermählung bes glüd-
lichen Paares gefeiert wurde.
Nicht lange aber blieben fie da. Nachdem Viole in Eile feine -
eigenen und Gabrielend Angelegenheiten georbnet hatte, verließen
bie glücklich Geretteten Frankreichs blutgebüngten Boden unb zogen
nad Genf. \
Bis auf die Grenze Frankreichs geleitete fie Abelma. Gie
Ale glaubten feft, die Alte würde ihre Tage nun in ihrem reife
befchließen, doch fü wollte fie es nicht. Das irre Wanberleben
ihres Volles war ihr zur andern Natur geworden. Sie konnte bie
Ruhe nicht ertragen.
Auf der Grenze ſtand fie ſtille.
Tiefe Rührung bewegte ihre Bruſt. Sie konnte faſt nicht
reden.
„Zieht in Gottes Schutze,“ ſprach ſie mit wankender Stimme
— „ich muß Euch verlaſſen. Die alte Adelma kann nur in
Wäldern leben, und an eines Baumes Stamme ſei einſt ihr Grab.
— Mein irrer Lquf iſt feinem Ziele nahe,“ ſprach fie feierlicher.
— ws —
„Ah hab’ um Abend maeiner, Tote pc mel ſcage Stuaben in
Eute Me vecebt, im rem Naclauge wied dies erg brechen,
sb Krasbig baechen. O, Abt Ae wehkr‘ ef Ne, uund ihre
Stimme hob fi, fie richtete ſich auf, ein ſeltſamer Glanz ſuhlte
ans ih Willen, und puophetiit roch Me: Betzriet veunfreich
nit wieder. Es wirb noch lange im bitige Zrkeäliiphe:
les gegen ſeine eigen Ainder in hürdgtenkicher Wh — kam
aber — if fein Stäubchen mehr von uns vorbausens — Yet
wahl! Mein Auge Seht in eine zücliche Zulmit Für Euch!
Vergeßt im Milde ——— nicht. Ihr Ichkar Bart in ein Eechet
Mir En!”
_ Bei diefen Worten vaſchwand ſie im Dickicht des Mielke,
aud Ahr Andenlen ſeguend, zogen bie Gldlichen gen Ment.
a
» u . , ‚ .
sy a FE un ! v.ıt ch, — |
‚Die et mohliget
143
— — — *
2 7 tt >.
Im. laben Saumur ſchritten drei eannec iu freundlicher
sub gemãthlicher Unterhaltung auf ben ſchoͤnen Wege durch das
Mexrothal bei Wisäbaben. Alle Drei waren Schulmeiſter, aber
aus ber Region ber Gymmnafien, und ihre Unterhaltung über den
Werth der Anſchauungen im Jugendunterrichte, nahm, wie das im
Gange Iebhafter Unterredung ‚zu gehen pflegt, von dieſem Wegen:
Bande ‚bie Wendung auf bie Macht jugendlich empfangener Einhrüdk,
und wie fi biefe dem Gedächtniß ala. eine wunderbare Handhabe
darbieten.
Da nahm der Oberlehrer Driberg das Wort und ſagte:
„Davon kann ich Euch, lieben Freunde, ein Beifpiel erzählen, daB
teit binabreicht in meine Knabenjahre und doch wieder in ben
füngiten Tagen anf eine Fir mich eberife Aberttifchende, ab erhebende
Meile AS werfimgt hat. Weit Ihr mir das Ohr Nahen?“
Gerne ſagten wir daB zu, und er 'bematen.
„Zu den erfreulicgften Erirmerungen meint Eebens echne ich
23, daß weine felige Vinstier mich zum. Träger ihrer großen und
woch fo verſchawiegenen Wohlihikigfert manchte. . Dub hat meeiner
Saple einen Grundion gegeben, ber in tawfenbiedien Sfhmingmegen
kascch mein ganzen Leben forkilang, und ob ech gleich wicht za deuen
her, bie fo mol ımb veich mit, der Fechten geben -Tünmen, bite
daß 83 Die Linke weiß, jo hab’ ich och dlersgegen mit Freuden
mein Bred ‚mit dem Armen getheilt, anb es iR, meine Zoifhene,
Sleimer ohne ine Gabe geblicben, der mir in Leben sıcie trat
O, wenn doch alle: Mütter es wilßten. wälch” nem: Sogen Fe ben
— Ao — J
Herzen ihrer Kinder gäben, wenn fie ſich ihrer Meinen Hand bebienen,
bem Armen Wohlthaten zufließen zu lafien.
„Wenn die Dämmerung kam, fo begann mein Beruf ald Rabe
des Elias. Da trug ich im Korbcheün dorthin und hierhin bem
Hungernben Lebensmittel aller Art, je nad Bedürfniß berfelben.
Sie kannte diefe Bebürfniffe fehr genau. Da hab’ ich viel Segens⸗
wünfche und Dankesworte mit Binmweggenommen, und ich fchltef
allemal unendli glüdlich ein, wenn ich recht viel Arbeit gehabt
und recht müde geworben war, und es gemahnte mich affemal, als
ſchwebten diefe Segensmünfche und Danfeßtworte, als Fichte Engel -
ſchũdend an mein kleines Belt.
„Deine Eltern waren nicht reich. Gine Bejolbung von ſieben⸗
hundert Gulden war wahrlich Feine unerfchöpfliche Quelle, und unfere
Familie beftand aus fünf Gliedern. Da war fein Ueberfluß, und
doch that meine Mutter BVielen, fehr Vielen wohl. Wie fie das
fertig brachte, ift ſchwer zu fagen, aber das reiche Erbarmen eines
Frauenherzens ift erfinderifch und der Segen Gottes ficht ihm alle:
mal ald ein getreuer Helfer zur Seite.
„Danı und wann bekam ich einen Obftfreuzer, ber denn auch,
ba wir fein Obſt wachen hatten, regelmäßig vernafcht wurde, wenn
er nicht bie zum Spielen nöthigen Klider beichaffen mußte. Mehr
aber empfing ich nie |
„Eines Sonntage Mittags ſaß ih in einer Edle ımferer
Wohnſtube und lernte meine Ratechismusaufgabe für ben amberen
Morgen. Bei meiner Mutter foßen zwei treue‘ Freundinnen, ga;
ihrer Geſumung, und fie rebeien von den armen Familien des
Städtchens, das in ben fchönen Rheingegenden liegt. Da wurbe
die Neth dieſer oder fener beſprochen, und wie fie fich in bie Unter
fung theilen wollten. Es war zu ber Seit, als Napolton das
Feſtland gegen England zuſchloß. Am Rheine bin ftanben bamals
zwei Mauthreiben oder Douanenlinien, eng genug, sum michts durch⸗
%
Mm —
ausen. Diele Beni women sieh Tümmerlich. bezahlt, und bates Be
so Familien, fo ging’s-.ihnen Irabig genug '
„So. lebie in dem Städten 8... quch ein Dauane Nomiens
Angel, ‚her. eine Frau und meun kleine Engelchen zu ernähren halte.
Daqu reichte ſein armer Solb bei Weitem nicht aus, und bie Noth
der Fawilie war ſehr groß, ba die "Wider wicht betteln Duxften.
Verdienen konnte noch Keines davon etwas, denn das äließe
Mäbchen wear. neun Jahre alt und der jüngſte Knahe etwa ein
halpes. Auch ber ſehr braven Mutter war iebe Erwerbsquelle
perſchlaſſen, ba fie zu handtieren genug Halte, um das zappelude
Ameifenbäuflein in Reinlicgfeit, Ordnung und ganzen Kleidungs⸗
ſtüden zu erhalten,” und bie Menge der aufgefegten Flicken und
Pladen gab Zeugniß, daß ihre fleißige Hand von müßigem Raften'
‚nicht wußte, Der Bater war ein gefchidter Drechsler und wenn
ex bei Nacht auf feinem Aufpafferpoften geftanden, fand man ihn
zeitig. wieder an feiner Drehbank. Tas Schlimmfte war, daB biefe
Zöliner vom Volk ebenso gehaßt wurden, wie die Zöllner von ben
Juden, wie und das. Evangelium erzählt. Da konnte auf eine
mildthätige Unterftügung nicht gerechnet werben, werigfleng. nicht
aus ben Kreifen, welche diefen Haß blindlings theilten — un bie
reichten weit herauf im Bürgerftande.
„Die Engel’? darbten und bie beiben grennbinnen meiner
Mutter erzählten erſchütternde Einzelnheiten. Ich war in meiner
Ede ganz Ohr und bie Worte drangen zum innerften Grund einer
’ weichen Anabenſeele; ſie waren aber auch die Urſache, daß mein alter
Lehrer mir am anderen Morgen bei’m Herfagen bed Katechismus
eine geſalzte Ohrfeige zu fühlen gab, deren eigenthümliche Dishar:
monie noch in meinen Obren fortklang, als wir um eilf Uhr ber
brangfalvollen Schulſtube, wie ein braufender Waldftrom entrauſchten.
An diefem Morgen hatte ich mich ohnedies verfchlafen, unb da Befuch
im Haufe war, der ben ſtillen Gang geregelter Ordnung ohnehin
anterbrach jo achtete Niemand auf mich. Die Mutter meinte, meine
5
2 2
x
rer: Minthen Härte une:umkin Frinnnet Veribrelugh, vos Alle
glaubte, die alte Con, sure "Dreigd, Hibe BB igelfan, mb voch Fuß
3 iin Stübigen :umb Iprarbeittte mich m Wein. Radius, ber
ie nicht in den Kopf wolltie. Da achtugs ade, and wer al
hzefruhſtückt ı Haben in bie Schulr miſſte, war- ich. Mn Somttag
Wend hatte rich nieinen Kreuzer gektiegt Mer Nöfete bet vellenven
Vubenmagen. Ich dachte, wein Ihr mn Hald zehn biefrete Blertei
iſtunde habt, fo ſpringſt bu Auf den Nike Mkt And baufſt Ur
Apricoſen, um deren Reifſelt ich eben wat, SEHd bie ich Ah
ar ganz wbioriderliche Guuſt genommen. Abrer 89 vetſechwer "
an dieſem Wnglünlsteg As gegen Kl.
„Die garrze Beink, bite mich zu ihrem gufüffen hatr, kvrttcte
reits. Der Alte war wlithend fiber die Feuttenzer und Tuige⸗
diebe, wie er und titnlirte, und er ſing oben ah und zog Jebem
eine Grfalzte, wobei ich, wie bereits gemekdet, nitht zu kurz dam.
Sen gerechter Zotn hatte uber a itoch die te mich ſchauerkthe
Folge, da et die Freiviertelftwiide Fit heute frrich und dieſe Wiek,
wodhrend bie Anderen anf dem Sthuthofr jebifttten, zur Strafe ſthen
bleiben mußte.
„Ale Zehn waren wir gleicher Sünde und Schuld theifhaftig,
aber zwifchen mir und meinen neun Mitſchüldigen und jept Miſlei⸗
denden beſtand der ungeheure Unterſchied, daß fie alle gefrünftückt
hatten und ih nicht. Nie hat mid eine Strafe empfindlicher
getroffen, als diefe; nie habe ich mehr dag Ende der Schhule
herbeigeſchnt, als damals. Und doch trug ich mein eb ſülle,
weil ich die’ Nedereien und ſchadenfrohen Süden meiner
Leibendgenojjen fürchtete.
„Und es war gerade, als ob der Arte an wir ein Srempel
Ratuiren wollte an dieſem Zagel — Es hatte bereit eilf geläutet
und er machte noch keine Anſialt, und au eutlajjen. .
„Breit Gin tiefer. Seufger entrang fich daciuet Du,
» . “
— BE —
ervnpch a Stunfipreifgt ar. und; Sehne soon, bie mi ek:
lichen. Dohungen alien .
AIch: mar hauue ein drniach ¶. rauer Pers ſrieb win —*
— ip wunbere mich heute nad, bob Ti mein Grin,
nicht auf den armen Douanen Engel warf. der: bach, eigentlich bie.
wenn auch unfchuldige, Urſache meinge: Schulleiden wer, Alle
Aypen.. Hefe: ſchnurſtyada, heimn; damı es; wan Sitte in bem
Stadichen, Lak: um Gilf gagelfen: murde; nıy- in meinen: elterlichen,
Houfe was, weil. mein Spter erſt um Zmäll: von: ber Schreihfiuße:
Tuwe, Zwölß bie, Stunde, ‚bier min- Bndecung: meiner Hungerquol
voii Bis dahiu wagenig, noch: gut Drmivierielfinhen! Bu:
Samia: wurde -ayf; ſtrenge Donung 'orfeften. Ich echieli vor: Tijch
maichta da mein, Vater; fehr daranf hult, dank ick be Til
owllid; ab. Ich kannte dafiir bingen, daß; ich haste üher dac
Zuwenig feinen Rüffel erhielt; aber bis dahin noch, Dusiiieriek;
ihn! Dac warı meh, als ber Magen, dean zehajührigen, Trüklägen
Baba, ertengen konnta. Als ich in Ei und Wehmuth üben die
Herbigfeit:- meBen Lage ex den, Markt ſchleuderte: (denn, die Gile
Toys mir. da: zu Richtz helfen), gebashie: ich plötzlich meines
Kreuzerd, und ein Lichtflaahk. fiel, im, meine. verbiunfelte: Serke, ben:
ſchmerzlichee Ayabauıdr. rar: eines, wachte urloblich lathender
Feude Platz⸗
„Abqri: m dark ſaß⸗ die alte Marqreth bie-Dbfinreläurrin,
und ein Berg der herilihften, golden mit rothen Bädäen. mich
andachenaen Apricoſen zog: weine. Wie und Sehnſucht auf ˖ fig, und
Dias; war. in; Wilderinben, von: deu, bie friſchen Milchbrebe: ben;
reizenden Daft zuun mis; enüberfonhten, "Sie: ſtand Herkules ans
Secheidewege Die meinen Ara, ben mein: ganzer Raichthumd
war, befayen ich. bei. Mprigofen,. unb — einen der großen, prachtigwn
duftenden Med
„Was ſollte ich thun? Drei Apricofen; das war iu Ber
tropfen auf: eine ‚heiße: Platte; aber fa ein. Milchbroat das
— u —
gewohnlich mit: einer Taſſe Milch mich WB zum Mittag' voll:
kommen befriedigte, war doch etwas Anderes bei meiner grim⸗
migen Hungerſsnoth. Zum erſten Male ſberkegte ich in dieſem
Sonfiicte und Die Augheit trug ben Sieg bavon über die Buft
an’ den herrlichen Apricofen.
„Doch es follte anders kommen.
„Als ich mich umwandte nach dem Bderfaben, hand des
Donanen Engel älteſtes Mäbchen vor mir. Es war diwa fo alt,
wie ich, zehn Jahre, und lehnte an der Firchmauer. Seine Blicke
weren flarr auf den Bückerladen gerichtet. Es Tag der Ausdruck
eines heftigen Berlangens darin. Das Ausſehen bes Mädchens
das ein ſehr freundliches Gefichtchen hatte, war leidend, die ohnchin
bräunliche Hautfarbe ſchien gelb. Das rabenſchwarze, reiche Haar
gab den Zügen einen vollends düſtern Ausdruck. Ihr außer
ordentlich großes, ſchoͤnes, fchwarzes Auge, fonft fo lebhaft und
glänzend, ſah aus ber tiefen Höhle fo eigenthümlich, faſt geipenflig,
daß mich ein Orauſen überlief. Das Kind ſah nichts, als den Bäcker⸗
laden. Ich trat zu ihr und fragte: „Fehlt Dir etwas, Lottchen?“
„Das ſchwarze Auge traf mich. Daß Rind zudte zuſammen
und halb Flüflernd fagte fie: „Mich Hungert fol” -
„Hunger alfo aus Neth, ans Mangel! Gerechter Gott! Mic
überlief’3 eisfalt und meinen eigenen Hunger vergeſſend, fuht ich
mit ber Hand in das Täfchchen meiner Wefte, nahm meinen Kreuzer
unb gab ihn dem Mädchen.
„Nie bab’ ich mehr in dem Grade den plötzlichen Nebergang von
tiefem Aummer zu bober Freude gefehen, als in dieſem Augenblicke.
Das Kind fuhr aus feiner gebückten Stelhung empor, wie wenn es
burch eine innere Macht emporgefchnellt würde. Aus dem dunkeln
Ange Tchlug ein lodernder Blitz anf. Die fchlaffen Gefichtszüge
waren plößli gejpannt, Iebenvoll. Eine blügenbe Nötbe ergoß
ſich Aber das ganze Geſicht.
„Sie nahm ber Krenzer, ſah mir einen Moment tief im bie
[2
— 1 —
Augen und fapte: „Wh Gott, wie daul id: Die! “ Dann flog: kt
im: ben Bäckerladen.
„Bub ih?, — Nun — mir wer. ſo wehl und boch je: wche
um's Herz, daß ich raſch bie Gaſſe hinablief una etwas im meinen
Augen verdrückte, was einer Thräne gleich war.
„Und mein Hunger? werdet Ihr fragen. Ich antworte einfach
umb. kurz — er war. berubigt. Das ſelige Bewußtſein meine Noth
über ber. des armen Kindes vergefjen zu Gaben, war jo lohnend
daß ich mit Heldenfraft mein Bebürfniß zurück beängte, aber zu
Mittag allerdings einen Vertilgungskampf mit ben Auflagen meines
Teller3 begaun, ber nur barıım unbemerkt und unbelacht blieb, weil
unfer Befuh bie Aufmerkfamfeit ber Tifchgenoſſen ungetbeilt in
Anſpruch nahın.
„Wenige Tage Tpäter wurbe ber Douane Engel derfett. Ich.
ſah das Kind nicht wieder; aber bie Hingabe meines Kreuzers iſt
mir, eine wohlthuenbe Erinnerung für lange Zeit geblieben. Ihr
fünnt: wahl denken, daß ſie dennoch in großen Grabe ber Zeit
unterging..
„Ich wuchs heran, und wenn auch meine Studien meinen
jeyigen Beruf vorbereiteten, jo blieb mir ‚dennoch Zeit, mi mit
Liebhabereien zu beſchäftigen und zu biefen gehörte das Studium
ber; miüttelalterlichen Kirchenbauten. Schon als Knabe zog bie”
romanifche Hauptfirche ber Baterflabt, namentlih ihr prachtuolles
Chor, mein Nacbenfen zu fi Binz nicht minder bie herrlichen
Mauerreſte einer Kapelle von Kleeblattform im reinſten deutſchen
Style, welche einige bunbert Stufen höher als bie Hauptkirche am
Berge liegt. Die beiden auöggeichneten Bauwerke regien mit
Gewißheit auch jene Vorliebe für die Werke ber Baukunſt in. mir.
am. Sch lernte ſpäter alle merkwürdigen Bauwerle, an bemen ber
Rein fo reich if, genauer Tenwen: Nur blieb meine. Sehufucht
nad ‚ben Domen von Syreiburg und Straßburg acht. und.. dreißig
volle Jahre ungeſtillt. Meine Slonomilchen Ihnftänbe erlaubten bie
— wi ⏑ —
— — — — —
Keie nis: Erft im dieſnen Sommer weiber B. nrögiinh. - Ic ie
von Mannheim mit ber Eiſenbahn in einem Zuge bil: Sreilang
nur: bileb Host: nulmere Tage ur einzig und- allekı mil, bem
Dem beihäftigt: muss im: fein gie: Ungange. So Ichie ich
mich ganz hinein.
„ser. be. flog, ich wrüc üter Buten-Babeır mh. Straßburg,
wo. ich beus Brünfter: auch einiger Tage: zu. weihen unb ben: weicher:
heimuelkıtsı zu ziehen. gebachte.
‚Begiimfbigte: wich: in Feriburg das Harfe Weties, fo ttaf ich
wit Regen in Straßburg ein.
„Genie. ſtberwindet Alles. Zuot des. Regens eilte ich zum
MRünfe: Bein. Entzialen Iumte lein Mad. Ritter ine Regen:
fand ich auf ber Plate-forme und bewunderte bie unansſprechtich
errliche Bhuumurpyransibe, bei Thurms, bis der. Ihirmer: fagie:
Herr, Ge werben. krauk. Ihr Packet trieft jal:
„Nan er: merkte ichſs, daß winllidz der Regen: mebriuglidhen:
war, als id: mir geducht. Stellenweiſe, nanentlidy:aspden Schulte.
war er unaufhaltſam bis zur Haut vorgerückt uud feine feſte Peſitien
lie au ein Zurũckneichen gar nicht. benten. Wenn ber feinb,einmal
fo’ weit. in. ben Außenwerken fidy. fefigefeit: Int. fo if; ei: eime
fehlimme Sache um: das Halten dev: Feſumg und bie Cubase: bee
Mebergaike darchzucdon bie Befatzuungu. Dad: fühlte. id. und bem:erfke
Feind Hatte hier ober einen gar: böfen Bunbeiigenofien. un. fdgenp:
blafenden: Weſt, der mit dvemi „lamen WWeitel‘ der Pocten Tamm
ftunmwerwanbt war:
‚Aa mich. zu ertehrmen; rannte idy, fofern ei. bie nicht allzu
vortheilhafte Treppe zulieh; Gamer: mid war bakb zu ebener re;
amfı den Minfitrpiag.
„3 gehöre: zu bem. umglädkieen, Denken, wechbe: gab; Feine
Orten; burbeeı Teihe ı Verwondtichaft mit: ben: Tauben haben. BE
Iawjermid: in. ben Fleeflen,;. wie: fremden Onte: kapitalixre; .
icio denn arsch van: meinen Jugendbelacuriru mitdew
— — — —
— BE —
‚Aditer qhnor vichſach ‘in audgeyeichrect worben mb ſuh keine
Zunft ber mir in wenige Orten befſer ſteht, abi: die Bekuebelllunkes
uns buB inngernde· Ouſtubel — — Baiböfe
ah vie: Zuvrechtweiſeng ber Jeemden fpecnkist.
„Der reichlich fließende Regen machte Straßburgs nicht eben
ſehr reinlihe Straßen faft ler. Nur bier und da erblidte man
ein Paar krapprothe Hoſen oder einen oorübereilenben, beſchirmten
Geſchäftsmann. Und in meiner Münſterſehnſucht und wohlloblichen
Zerſtreutheit ſtand mein Regenfchirm ganz gemüthlich bei meinem
Reifefad im Bafthofe, wo die Kehler Omnibuffe anfahren und wo
ich mir ein Zimmer genommen.
Aber wo lag ber? Ich konnte ihn wohl ſuchen. aber ſchwerlich
finden, und wenn ich noch länger hexumlief, wurde ich noch nälfer.
Ohnehin war ich, ſtatt nach der Brücke links umgubiegen, rechts um.
die Ecke gegangen.
„Ich ſah mich um nach einem Waſihofe, wo ich mich hatta unge:
Anker lagen Tünmen;. allein ich entdeckte keinen. De, fiel mein Ang
ah An. Biachauq.
‚Ei, dachte Wh, lbie Siraßbucher Ab: doch noch Biieritaniige
ums die Gemithlichlen wird noch nicht ganz Flöten gegangen ſrin.
Ba:nich ja bach die rau. Wirthin einem Inumgetnben Sumbämant;
. erwies verabreichen, werm’3-much nicht in bes: Hauſes Bekammmung
liegen füllte. Es wer bhurz vor: Mittags es regnete immer felrker:'
Meinen Gaſthoft wagte ich nicht zu Inden, Kurzum, ich trat ein:
@9: war ein: großmmächtigen Man, in ‚ben ich Wat. Ueberall ſaben
Tiſche ud Stuͤhle, lange, Turge, leine, große, wie man fir etwa
ſuchte. Mlichtige Säulen ſtützten bie Dede des zweiten. Steckwerks
unb große Mundbegen, vielmehr halbzirkelige Jeufier gaben: feitf:
ae dem trüben Regentage Seht in Fülle: für den ganzen Raum;
aber er war leer und nur bier unb ba faßen ein paar Selbeten.
unb ſpielten Wiariage um Bier. ’
Horn’s Erzählungen. X. 17
— Bi —
‚ "Ai iqh oimivat, am zei ein. Mahchar, eis "Pegperamamieß
Gieninbigen, ſreuudlich entgegen und jeiptemeir einem. Stuhl.
„Mic find ſehe af geworden, ſagte fie. ine-Etsapburger Ieeiten,
‚ nichts weniger als ſchönen Deutſch, das wir gegen kind melodiſche
Allemannifche, welches ich, jenſeit des Rheines gehort, ſehr ummmuft-
kaliſch ‚Hang.
„Ich erzählte ber Lächelnden kurz mein Sqchicſel und wie ich
fo unglüdlich genaturt ſei, und fragte dann, ob ich wohl hier ein
wenn auch noch ſo einfaches Mittagsbrod bekommen könne?
„Es iſt nicht Brauch bei uns, entgegnete ſie, bie nicht übel
Luft hatte, den deutſchen Schulmeifter auszulachen, für ben fie mid
ganz ficher fogleich erfannt hatte; aber ich will's der Mabame
fagen! Und mit biefen’ Worten bilpfte fie weg. Ich ging derweile
im geräumtigen Saale raf auf und nieder, aus Grumden, die ih
nicht zu erwähnen brauche.
„Gleich darauf öffnete fich eine Thüre aus bent Innern dei
Gemcichs und in einem fehr gutem; aber Krtfüchen Kleibe teat eine
Pattliche Frau herein. Sie war Fünfjigeriit, aber noch immer eine
bildſchöne Frau, bie eine Sugendfriiche bewahrt hatte, wie «3 felten
vorkommt. Ihre großen, leuchtenden, ſagcarzen Augen ſahen mic
ſcharf und ſinnend an,.ala fie mir mäher. teil. ' Plotzlich nahm ihr
Geſicht einen mertwärbigen. Ausbrud an. Wars Freude? Mars
Mübrumg? War's Beides zuſammen, ich weiß e3 nik: Sie faßte
fich indeſſen, grüßte mich mit guoßer Freundlichkeit und fagte: Die
Kellnerin bat mic Ihr Ungläd: ergählt:. EB bat sicht den minheiten
Anſtanb, — mern Ste wit mir unb meinem Monnmg vorlich nehmen
wallen? Zum: befondern Bereiten: eine Mahls ift es zu fpät.
„Als ich ihr fagte, daß mir das nur erwünſcht fein Füune,
lauſchte fie fihtbarli mehr dem Ton meiner Stimme, als ben
Worten, uub ihre lebhaften Augen muſterden jeden Zug meines
Geſichts.
,Endlich ſagte fie: Zum Eſſen iſt noch einige Zeit, da mein
x
2 .
*
. .
Mann noch nicht hier en
und nehmen Sie Platz. m . er il warn , Poletot ab
„Die Diner naher: hir. ben Baletpi-eh; an ihu köden
und ich ſetzte je en,
—* eb vi int auf em am "Oben Senf Ahenbes
Du — ı -, Luc a 2.
„Ich bejahte.
„Vielleicht uaczg B...7 fragte fie mit eds beklonunener Bruſt.
— das bejahte ich.
Ri Year Sie Driberg uud Ihr Bomame iſt Abbrecht?
Prag fie plöglich- mit: geoßer, Inneren. ‚Bewegung.
„Ich ſah fie erſtaumt an.
„Woher, um bed Himmelswillen; fenmen Sie mich? fragte ich.
„Bft Ste das Spruͤchwort nicht, ſagte fie und ihre ſchönen
Sagen werben feilcht, Berge Sommer nicht zuſammen, weil Thäler
dazwifchen find, wohl- aber die Menſchen, unb wenn verte und
Alex. zwiſchen ihnen find?
„Ihm Augenblide ging die-Thitr auf und Bar trat
Darin, der freundlich auf und zul. '
„Dein: Mann! ſagte die Wirthin, ner ihn wotſtelend.
und sa Ser? fragte der Wirth, ala fie mich ihm nicht
eat bie: Iiment und. veceihen au Sie ſie gutigſt! Ich
fengen und: miele, Sere Dich ma une!
bat fir Ahnen iin. “
AAs er fi gefeht, fagte fe: Grinnerft Du 25 noch bes
PR ae VE ich —X —R
Rame⸗ Driberg, lieber Dam?
AGewiß, aus Bd... ., fagte er. Pe ja —
„Jetzt muß ich &, mein tgeucer Herr, in's Gebet nehmen.
IR: Jhene ber Ramse dmgel cawa ermmerlid? frage fe mi und
ihre Btimme gitterte babei mertlich.
17°
„Bub: fans r- Woher weinen frühen "Jugend " mir Riewunk
ich, de etragen, fagte ich. .
— wmeiſt meine: Frage, ern: it vn
, „Oa he im «in Dounne, bie ie hich. ‘
— aueh RE" u und -‚fohser Bere —*—
„Nein.
„Se haken wohl die Familie wicht näher —
„Auch das nicht.
„Da erinnern Sie ſich vielleicht noch Sines der Rinker ?
„Ja, ja, ſagte ich, Louchent, bed Altejten ber: Biber --
„In dem Augenblide fah ich die großen, ſchwarzen Augen ber
ſchoͤnen Frau, und beitoffen fagte ich: Mein Gott! +-
FSie racaeie ihre Thränen und fagte: Dieſem Lotichen gaben
Si cinſt einen Aranger, wamit ed feinen ounotr Rilke, kann *
Tage ſchies base. das Kind gechuugern P—
„Mein Gott, ſagte ich und wurde ungen, ‚win: tlamen PR
diefe Gingelnheiten: willen, wenn. Sie — -
„Nicht Lottchen find? rief fa Sa; ide: —E D mein Gott,
fuhr fie fort, meine Hände drickend, wein Blann: Bier iſt Zeuge,
mie viel. taufemdana] ich den Wunſch ausfpradh, bak wer doch Bott
bie Fteude befcheeren möge, ben Albrecht Driberg wieder zun ſehen
Ich erkannte Sie auf ben Gielle, als ich: Sin erblidte. Es gibt
Lagen uud, Umſtänhe im Sehr, bie ums: das SB. eines: Menſchen
fo tief in die Seele drüden, daß man es wieber arfrund ub men
auch, wie bier, faſt vierzig Jahre dazunſchen Kiegen. Bott jet Danl,
der fo wunderbar Sie in mein Haus: fühete. Sich’, Ueber Wıri:,
fagte fie zu ihrem. Manne, das. tft Albrecht Drikerg, ber wei ſeinen
Obſikreuzer gab, und meiner Hunger fa. lichenolk file. :°.
‚Da iütielte der Memm: meine Haud mb. hieß weich. viel
taufenbmal willkommen, und mir ware fo feltfem; fo wunberlfuh ge
4
\
mn 1 — -
Meutlesrhuß hane meit der hran uelact moxen. Su vih mic
von meiner Seite und hielt unaufhörlich meine Hase; ie Lamb,
Seit Bie.gröhteMMehltäet erivtefet;:tähe Me fan °— © 3
Ach mußte vin: Chegatten arm erzählen .. wie ich ia s Haus
Iemimah umd: wie mie's ergangen. Als ich fegte wo ich eingzekehrt
fon Geberit .:. auf wuirming Gimme. Gteich baramf Tarı er _
wit: ‚einem Burgen wiebder. Geben: Sie mic 80 She Roche, hau
ei gehe; Bhre Sfferten zu holen. - :
Als aͤch EGinwendungen mahte, rief ex: wu; Bir wolben
nit bei mir wohnen? Sted. . A
„Seine Frau; lebte wehehaft und ig —— *. Meben.
— Ki Aykhlte: fie mix die Geſchichte hrev amilte· Efe
| waren im Inhre 1822 verfeht werben meh pant nach Mainz;
iheisBater eine :biffere Miele bekam. Moch anr?: Schanfſe bisfes
nechunguiſoellen Jahres Mm er als Dertanenlieutenant: ill
Siraßburg,: wo er. xtwas für bie Excziehung Kener Liuber tim
konnte. Das Glück wollte ihnen wohl. Gut erzogen bon einer
frommen Mutter und einem redlichen Vater, fanden bie Mädchen
Stellen in guten Yamilien, die Knaben wurden theils Kaufleute,
theils Soldaten. Bei bem zweitälteftien Bruder, einem achtungs⸗
wertsen Raufmann in Straßburg, war Lottchen Labenmäbchen
Dort lernte fie ihr Mann kennen und, obwohl reich, reichte er
ihr doch feine Hand, weil er fie wahrhaft liebte und ganz freier
Herr feines Willend war. Ihre Geſchwiſter feien, ſchloß fie,
‚ale wohl verforgt und ihre Eltern hochbetagt in ihren Armen
geſtorben.
„Das erzählte fie mir, noch ebe ihr Mann zurück kam. Er
brachte meine Sachen und — acht Tage mußte ich bei ihnen
bleiben und empfing ein Maß von Liebe, daß ich Euch kaum
ſchildern kann. Bis Kehl begleiteten mich beide Gatten noch
und dann ſchieben wir herzlich, wie Geſchwiſter, und begleitet
von ihren reichſten Segenswünſchen, trug mich bie Eiſenbahn
Mena sul nom der Dampf
meint Srimakh, a
„Sehet,“ [lo ber Dberiehre, „rab:iß nein Hiunfe Serie
ung über bie Macht ber Gindrücke und ihre Daum. Nahezu über
vierzig Sabre bewahrte die wadere Freui, bie: ſich nicht ſchine
son ihrer einſtige; Armnuh. zu reben, das Anbenben am eis
Bewein von Wehlwollen, und weine Züge, ‚bie niihts. Geruee-
ſtechendes haben, am wenigſten etwas . Ausgezeichnetes, beilditen
ſich ihrer Seele mit fo wunderbarer Kraft ein, de fie uch nach
einem ſolchen Zeitraume wieder erkannte.“ .
Wir .rebrten viel: auf mafeetm. Gpegieugunge übte biefe
@zählung; unſer Freund aber war ungemein 'glüdfelig au biefai
Abend, wo jene Begebembeit.:zwieber. ſo frifch- bei ihm geworben
zo: Seiune erſte Wohlthat beuchte feinem Gemrithe suoch it feinen
Yünfzigen neuen. Gegen, : ser ‚Heiterkeit über fein gartzes Leben
* * verberitete. Eelig find die Barmherzigen, pricht
vor “ ! .
sm Walde.
Grinnerungen aus bem Leben eines ice een
Wiinterapense, ſo tung gebehnt und fllie, find bie Beit ber
MWenriitgöinäleit, wenn mun nämlich behaglich am warmen Oſen fit,
etwa in einem bequenien Sefſel, und eine gute Pfeife raucht. Se
uhr es draußen Riten mb ſchueit, ober je heller bie Sterne am
efountchn Simmel: fimmmın und bie Eislinmm fi um be
Tenfteufepeiben anſeen, deſto mehr. Behagen fuͤhtt man. :
: Mes hab' ich ft. erfahren, wen id Abenbs bei meinem
eeunde, em Oberiöeter, faß umd wir und die Ctlebriſſe unerer
— 7
Einen kAlichern Erzuhler ala ben. alten Oberförfber Sudew
ych’3 nicht. Maun wurbe gar wicht mühe, ihm zuzahöven, deſonders
wenn man babei wahrneßee, wie feine großen ungen lendyteten und
bie bichen Singenbrauen. fich Heben und ſentien und wie fich jebivebe
Empfindung auf feinem wetierharten, tiefdrrchfurchten Beficht wb-
piegelie. Das Iren fo recht imwenbig heraus.
Eiccs iibenbs kbam musf feine Jugendzeit bie Rebe. Ich bat ihn
mir auch was biefer. Periode feines Lebend Epiſoden mitzutheilen
Nach einigem Nachfſicien ſagte er: „Ja, lieber Freuub, buB
bob Grfe, einſan, mes dieſen Aben⸗
„Du, weißt / hob er an, Thatiagen, das e Sa w
Verge und Mulber, in meine Heim,
— au — N
„Mein Vater war. Juſtizbeamter in einem herrſchaftlichen
Städten, Patrimonialrichter umb dergleichen. Gin ſchlichter, derber,
aber wahrhaft frommer Mann war er, was man fonft in biefer
Zunft nicht findet, die Kutheg Ai beim charalterifirt hat in dem
befannten Sprüdlein: „Juriſten — ſchlechte Chriſten,“ das ich auch
alle Wege wahr geſunden babe. - ’
„In ber lateiniſchen Schule des Staãdtchens fand ih meine
Borbildung bei einem bezopften Rector, der mic, weiblich abbläute
und mit der Grammatik quälte; dann brachte mich mein Vater
nach Erfurt, wo's noch bunter ging, und mich dieſe Iateinifchen
Achalmeifler wit ihrer zunitmäßigee Pebnnierie ame Neil ſchier
33 Tode quält. Endlich ſchlug am tisigepräften: (Beitnnnen die
Stunde der rldfung ums meine Seele juhelte. J
.7. „Die blauen Berge mit ihres Dufte lachten mir agegen, menb
ie Freiheit und- has friſche Waldleben un Herumiichweifen, ca Sage
Dir, alle Those der Zul und Freude thaten ſich ner mein AR: .
„ein Mater. hate einen Sjugasbfseumb, der em Tihringer
Mald Ibrefrfter war. Zu dem ſollte ich Neuerer, bmenit ich daR
Dienft von ber Pike an lernte. Dann follte ih mad Dreiiigidier
gehen, vom mich wiſſenſchaftlich durchubilden. Mein Vater brachte
much ſelbſt gu dem Oberfarſter, einen äucherſa lichen Dame, ber
mich aAufnahm, mir ca Bater ſeinen Sohnn.
‚Ta ſollſt Du aber ein Puachterenplar von a Schr
Urn lernen, Tagte er meinem . Water.
.„Bei ihm wird Dein Sohn tn eine proktiſche Schule geben, eines
Jeine zweite in her Welt gibt, und ieh ſage Die, ber Meuſchſt rein
win sine Jungfven, treu wie Bold, unb eis Serfiutssen, ‚ner mir [em
menchen Eleves Herangebilbet bat, af mir haut Herz im Auihe lachte.
„Frib! rief er Bam Zägerlufchen, kitte Seen erheub, *
er den Abend mit mir eſſel —
Das Gerfhens, bed much ich Din nerkes. fogemyig schien im
"Gebirge, tief im dunfeln Walk: 198 wehnte sn kan. Ph
. &
.
ı — WB —
An: Sienflänhereien. bekköherfänfens da nick: ie Writer: Qechard.
Min. Deflasee.- ber: unge Ort/ Gachiurii. gemannt; am deei Hänfemm,
spe, Racuiſen wrnh Tipılichen Maumen, uch bie Met nit ihrem
f Menke ah edlen: Creiban Ing rupellmmweit: meudipb ch liuts call
. „Unia machdem ihn Fritz eloden, trat. Merharh ein. Ea war
in. Natlicher Meun von atwa ſebzig Jahren, uk wie iie. Mimbe
einer alten Birke, ſammig u breitjchleig wie ci: Allein,
bebartet wie ein Wilder, und bejesbenk bauch einen Gieigurrbart
ulgtyicinet, beiten Länge pe beiden Griten ber Wiunbweintel biz
auf bie Bruft reichte. Haupthaar und Bart waree. [erenmeiß.
‚Msab. bog. Mte, Tage sch Wir, war ei fchäuer Grtio, wie ich kaum
einen ſchoͤnera geichen Babe. Wie wilb auch der Mann rein 1 "
fa flüßte er beusueig auf ben eriten Blick Autemsen: ein. ..
» „Sie babtn befeblen, Herr Dherförſtex, und ih geherche, (ne
as: in. xinent defen Veſſe und verbeugte ſach.
„Der Oberförfier reichte ihm bie Hand Ä
„Nichts von Beſehlen, lieber Herr Reber, fagte er, Pr wollte
mr Ihre Geſellichaft heute Abend, da ein werther alter Grund,
Kr Zuſtixaath DRS, mich vefucht ‚hat.
‚ÄEr werbengke ſich vor meinem Boter mit: Dem: —* sie
Miele.
„lhenbind: weilte ia ge hr Unthei ie biefem Jungen
—— der Fornmann werben wi unb- dan Sie in die
Wechiur, nehmen follen, ſagte Moogfelb.
„Er fall. mich Khan, a fü Bi war Am ah,
faich, eine: Bechenbe Schärfe Yatte er.
Nachben er meh genniftert, ſagte Gerheah Das Grhrl if
m, Sen Mieriarſter Tachtige Gkinder; gutes Gehänfe file bie
Suftpumpe; die Bichter ſeheinen Scharf; und wie es um hie Löffel
Baht, a ihr; 6ndd sorghahen; wit gefngt, Das Gchänfe feheat-nen
ayakene: Walbensoert; vies aber ſonſt deinnen außficht, wuh ſich igen.
Ach sale, Di becſube ſoll gut menblirt fein, aber: ab a it:
— 1 —
seuplarlbeiteß Herochen HR?" Ich Sage imma Bin oem: dh
Jen. ar der Wintienbenh fertig fein... Er um fie- feinen Sofia,
"wa zur Hund Dekkt, sub "neh ham Teruichen wu ben See
green; wenn iin nf faͤllt. Bann’ wu erteit Milchaptengeſicht
werben um Reh und Bloß wertengen Türe. bunt nicht Lüßern
fein nach ben Fiſchtopfen Aezgptens, und troden Dr Cum
er ru yon jepmaedten mie vaB RuRHaR: “
1. Min Wuter lachte aut auf. *
Be Du, Wahelm, ſagte am ou‘ für Oman
Sm mußt - -
Rein, bem Sören, ſagte er zu Era; ig: Mm men
Ye Berfüherung geben, baß in meinem Hauſe er nicht verpimupeit
worben ift. Ich bee, Ste follen mit ihm zufeteben fein. '@elewmt
hat er etwas, und ein guter Wille, noch mehr‘ zu lernen, if bei
ihm vorhanden. Luft umb Liebe zu feinem’ Berufe ſtedt aicht-binß
zwifchen Haut und Fleif vei Ihm.
‚Werharb fah meinen Brter freundlich an.
DDas iſt mehr Dich, Here Jatizrath, ſagte er. Da haben wir
vor drei Jahren fo einen verwanſchenen Prinzen, ſo ein Buröuiien
habt, da Hinten aus ber Waſſerpolackei, wo es von -biefer Zunft fo
vol if, wie ein Sumpf voll Fröſche. Das war eine Mrentur, ber
3% wandened hatte ben Hals brechen mögen. - Den Kopf vol Dänkel
. mb Spreu; dabei fo armſelig, da er ſchier in Ohmmacht fiel, wann
ich nieſte, und nad) einem Lanf von einer Viertelſtunde fen fo-meaıube
= J
‘ -
a —
Vtin axxell qne wie unlıd Kira. Ober ch doeruav qus vv
ben alten Gerhard ſchwerlich gebetet — doch wirb er mir’s, hefyrich
bauten, een e0: 30 Mech" Bonn; va aa .
Ale Achten ie blu: ©: © mw!
- „Bu wat, lieber MREN, darum nich glanten, dogte berADine
‚förfter, daß mein lieber Nachbar dem Püppchen wehe gethaw Mehl
„Scherz bei Selite! Fagte Gerhard, Kin Temuunieh bin I. nicht,
und. Ir Sohn da wirb’s erfahren, ku Sail vunbar: “
ſtcht mix gar wicht fo boeiweich aus or
„Mir AR nidkt bange, fi fi I, cn cr: Ga
amd. Sie follen ſchon wit mir zuiftiehen Aue. ° Bu
| „BR, ſagte Gerhard, ————— zer
„Schen auf ber Jagd genejenh fonts: ex. Zu
| "DM, joe min Ba; A Bin fe a Malle in
| Artikel, und da it er oft Dabei geweſen.
Be „Aauben Sie das nicht, fagte:ber: Oberfbener. Der kyricht
ziel: zu beſcheiben. 34 temıe fein Bifie. Hut ware aiB.cinen ei
| atht
| „Das gerade ‚wollte ich mit. Yhmen —— ————
1... ‚werke ber Dbenfürfen, Sch wei, , mu:bie Mpieher
| fiehen und uie: Zwolfender und beter. Ginaus.- .
‚un, man bkernt bas ſchon cin Biken, Aa ehe. \
| ‚ie weinen Sie, Herr Oberſbecker/
| /Wie ſtehe s an ber rethen Due " re
| „Richt fonberlich? ſagte Serhard..·
| 0 cn 6 Sn, da fände ab =
| wien? Ä
| „dh milk wie befjet nie: bern: —* Le 2
„So mh es am alten. Jagrehaus vertaufflig: aubidiend ::.:
nrharn: Bufät g d
gr PR —— —— —— —
„So ſeien Sie fo gut und brisllas: Six Die: Quzlccer zum
Tnklben . canf moegen. ri, ‚Siehe ir, mes · ver ——— dieſe
Ua
„Bir Yimgen — zus, unb af dem en. fee Bir und
* einein Glatr Panchch zuſammen, una mm ging's an hit. Jeg
geſchichten, ein Kapitel, das ohne Ende iſt. Wan auir aber -auffiek,
une had, Dede bein Letein geredet wurbe, mad, wie :befnnmi, ebenſo
viel heißt, als „ur dbit Ecke ſchießen“ oder Meaupfeſffen““. Mit
alten Männer benchteten ven wauherſamen, ernſten und ſpaßhaften
‚Abenteuern, aber es ſwcie deins an jene ſeine Mrenze, wo ber
Mlnube ask art Roſt des heiligen Lanrentins: gelegt wird.
Gerhard wurde ungemein: debennig die heiter, au ſeine Mut,
ge: zählen ns darzaſtellen war ebenſo lebhaßß ih aiehend.
en Bart ned qundes, jede Sleliaug market ex plaſtiſch ocſchaulich,
fo daß man bie gange Jagd aitmachte. Ich hatte meeine mihre
HZueude. u dem Mann ub feinen Kerhpeiiihen., dien immer, tie
feine Kugeln, aufs Blatt trafen Wäsmech derletzta ex. nie beit
Seud une Gelt ſich feinen Vargeſehten gegenäben in ſo feinen
Bess .. baie-ich ihn bewunderte und 23 wohl wegbifum, ak er
einft eine gute Erziehung gemeflen haben mußte. Familie hatte er
nicht, mer Bid aie vechelrathet; obgleich feine Sielle eine. Fehr gute
war und er eine Familit herdlich ‚Hätte nike Emmen. Cr bielt
‚ mit einem alten Burfchen Haus, dan er einſt als eine Waiſe zu fich
genommen und der fih fo in: ihn Aneingelebt hatte, Da: fie Beide
mit mehr von cimmmbte. Kinßen:iunb eine geiwiiie Gfterguminichaft
hatten, obgleich der alte Jakob immer nur „Herr Förfter Zu Mincheiib
fügte. — Det Abend wir um pheilſchnell Terulegegessgen:. „Un zehn
Uhr Venaibfipiehete Nch der alte: Berfarh,, unieanle fuchten Bach ber
übe, da wie var Der Meiſe sms. Dach: An ig ermäbel: waren.
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gangenen Horntone, ben dw wehdige a. u
„Frun wece weite wie‘ ge". A ren u
2.
bdeſchtagenen, doppelſohligen ae an, weine Fzzamnchchen und
ſtaub baitb, die Waidtache um, Die Duppräfiisie in ten Hand ad. im
bee anderen meinen grünen Duchhun wit, bon. Beniäbont, m ep
Oberforſters Stude on
„Er betrachtete mich mit Beifäfigen eigen unk: Magie: *
re, Wilhelm; Sie werten Gerharbis Wohlwollen jeht Dald:ees
| worben haben: 3 if ein treflücher Mamk, dev Ihre Vochachtuug
verdient und Ge einfigiehen wird, du Sie pre Davon huben
| werden. Bertsanen. Sie ihm unbebiugt. Er iſt an Reruktnöflee
ſreines Berufes tüchtiger wie maucher Oberförer umb: wärbe chne
Anrifel ing dieſe Gtelle belleidet ham, Hätte: en — unbegreifi
ucher Weiſe — fie niqht ſchon pweimal unsgefcflopen Go iR eine
Geifie bes alten Mannot und die Behörde hacie es ihm nahgeſehen·
un tr. feiner Stelle ihn fo. verbeſſert, aß er “, ohne Zweifel, f#
Pr Ad wie ein Oderfborſter. J
„Mein Bater am jehzt uud Wir ſiuüten nn zum Fruhrae
und waren mim 603: Signals gewartig, welches Fein mit bem. Sons
geben sfoßte, ' .
„Bir brauchten nit lange zu warten.
„Mit dem erſren Tone trat Oerhard ein, grüßte: vn: —2
ſegte, es ſei Alles zu Vefehll.
„Wir gingen. CB war ein gerslißer. Sebfimorgen, - j ,
etwas frifh. Die Nebel wirbelten in ben Thälern, ballten Mr
zufanımen, dehnten ſich wieder aus, Wegen. und krochen wieber am
Boden hin, bis endlich die Sonne ben vollſtändigſten Sieg weraung.
Baum, Strauch und Oras war ‚mit. ben eigenthaͤmlichen Herdſt⸗
guwebe iberfponnem: ' Lange Faden flogen int Morgenwinbe Bin
mE TE OT Ta ur u Ten WTur 3 Tu um 3 U 3 3 ⏑⏑ —— 3
» | BE
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. unkoher:- Men: Mebek hau Kid in Ren
in *3 — —— wu, |
„Bir ſqhritten rüfig auf dem naffen Moe Ye. ‚ab ‚folgten
von. —— — mit feinen. langen Gtän-
: ‚Made ‚nr a tüchtige, Bon Frechs getıcmm- „—
Shake Bangen-geiiegen. waren, bei fig ans ein eigenthümlicher
Aublid dom, ; reiner. Höhe zeigte :fich eine Ruine, welche beines⸗
weggs ein hohes Alter verrieth, aber einen ſchauerlichen, ich möcht
» fogen, enikebemsirgenhen Anblick derbot. Ei ſchien einſt ein ge
ohungigeß Vohnhaua mit unfangteichen Ntebengebäuben geweſen
zu ſein. Min Mach. deche mehr die Innenſeite; keine Spur von
Gwypacrten un Helzwerk war mehr ſichtbar, überhaupt: kein ſogt⸗
nie GCingelrãubt. Alles mußte einſt bie Flamme verzehrt haben,
deum bie Maueun waren xrabenſchwarz. Nur bie unb ba zeigten
fig, Büchel von, Mauerrauia in der Mauern. Man fah durch
bia: tief- an · Boden ſich befuidenden Feufteräffeumgen in das Innere,
.wo · ein üppigar; Baummuchs vor Eapen, Sahlweiden und anderem
Veiqhhalz aufgeſcheſſen wer Die Fenſter⸗ und Thlürgewänber;
aus gelblichweißem Sanbfteine, ſtachen ſchauerlich vom den ſchwarzen
Mauern ab. Das gange war einem Todtenkopfe zu vergleichen,
deu Einen aus ſeinen ‚Iceven Augenhöhlen greulich angrinſt. Auj
mancher Burgruine des Landes war ich herumgeklettert, aber nmie,
das kann ich mit volleg Wahrheit betheuern, battle ein Gebäude |
einnen jo durch und durch ſchauerlichen Eindruck auf neh ge
macht. Es überlief mich unwillkürlich eißkalt; aber ich hütete
wich wahr. endas von dem zu verlauibaren, was mich innerlich
.. uffallenb war, mir Gerhard's Schweigſamkeit an biefem |
Mergen und ber unverlennbare Ausdruck vom Mißvergnügen ober
Widerwillen, welcher ſich in feinen Zügen ohne Brühe leſen licß.
„vielleicht iſt ihm Der Oberförſter mit feinen Vorſchlage, Hex
1
, .
. -
m. I. —
zu daom, in Kin Siclingtepice-ircingsfellen Audit, ‚alle
bes eigenthümlichen Ausbrudes feiner Züge erinnernd, ;allı: em
eigen Abeud her: sobwiärker dieſen ABelabiftriät. nauuen ahrlleicht
7 Kate der alte Wan dieſe Rachte ſchecht, gefchlaiem, ae
In nd Brad übe Pia Tan. .: en
ı nie waren enbli, ziemlich bis an die Brie- techn nap, /
am "ber he angekommen, wo und ber Oberibeſter unfere Etellung:
anwies. Der Trieb begarın alsbeld amd: im einet nicht Inngen Friſt
| kuachte ea rechts, ‚ven bes Siberförfler. und Gerherd ſiunden, dann
krachten zwei Schüffe links neben mir, wo mein Daten ſtand.
„Die Treiber kamen näher mit ihrem Hölleulärin, und plottlich
rachelte es im. Gebuſch und ein Rehbocd ſtreckte nafemeiz ſein kluges
Geficht mir auf fünfzig Gänge entgegen und maß mich mit ſunc
| klugen Richtern und fehmurete chen, un auf unb bayon zu. gehesa-
| „Da kraͤchie Ich und das Thier that einen Sa. in bie Hähe
| und flürzte auf der Stelle zufammen. Mir kam leider nichts nuhr
| fdaußgevecht, obgleich es rechts und links ſorthin noch brachte. Als
| das Halali geblafen wurde, erſchien Gerhazb- hei... mir... ‚Benni
| geirgofien, hunger Heer? fragte er.
| AIhh wies auf den. Rehbock unh ſagte: Eu wi am m
Er ging zu dem Thier.
gm Feuer gefallen? fragte eu mit beiſaliger Wien x
Ja wohl!
„Blitz! rief er, das iſt ein gernſchuß, ein Weiherſchuh, be
hatte der Oberforſter — und das iſt ein Schittze, vor dem ich
Reſpect babe — nicht beſſer treffen können! Grabe auf's Blatt!
Meiner Tyeu', junger Mann, Sie machen mir Plaiſir! Aus Ihnen
wird Etwas. Gold einen Schuß Hätte ber: kaſebleiche Aumler-
Waſſerpolacke richt festig. gebracht, and wenn ich ihn dreißig Sabre
mit dem Stachelband bdreffirt hätte. Daß: war ein, Hodig Beefit:
Solch ein Stück Menfchenfleifch nehm’ ich nicht mehr in Zucht und
wenn der Ober-Landforftmeifter vor mir auf die Kniee file! Mit
-
”*
- ma —
Npeescaber Degen icy morgen Ton: mot 6ie Yaben —8
enpfohlen
AMEdhrend dieſer Rebe fm mein Vater is Vrerſab⸗ DuN
if ein NAapitaiberlchen, fügte ber: AR zu dem Obrförfler._ Des
gucken Sie einmal! Sie hätten Yan Bedingt meifterhufter getrofſtut
„Moeoſfeld Thmunzeite. Wilhelm, ich guatwätret era er.
Ran: file Ehe im Sattel und fallen fqwern mu heraus.
‚mein Birter Uchelt veuamägt: i .
„ger: Juſtizrecih, ſagir —2 za Ihm halblaut, von Dem
—8* haden: She Ehre, und man fich®B am Jungen, daß der
Meiſter ſein Handwerk verſteht.
„Die Wachrhelt zu geſtehen, fo war ber Schuß durchaus ehne
alte Berechnumg, Mindlings geſchehen; dah die Kugel den kunſtge
rechten Fleck fand, war durchaus mein Berdienſt nicht. Das aber
hter, wo es galt, die Gun bes. Alten mir zu ſichern, einzugeitchen,
fand. ich Beinen Beruf:
„Willen Sie, Here Oberförfſer, warum. bie vöerfeefige
Mechſuppe niemals traf fahr Gerhard fort; er machte allemal aus
ritterlicher Feigheit die Augen zu, wenn: er ſchoß, ober zwinlerte
und blunzelte. Als ich ihn dariiber hernahm, fügte er, er fönne
nicht anders; er erſchrecke allemal vor den Anal. Ba müſſen
Sie Soldet: werben, fagt’ ich ihm b’ranf. Ste haben dann Musficht
zum Feldmarſchalle. Warum nicht? fagte ber Pechvogel; unter
meiner Ahnen ſind ein Dittzend Generale.
„O wären Sie bei Ihren Almen! vier ich um Zorne, bene
wäre Ihnen ur ber Weit geholfen !
„Ich wollts auch! fagte er barauf wehmuthig, denrn unfer
Ahnenſaal ift daheim im Schloſſe.
„Wir brachen Mle in ein lautes Gelächter * in bad ber
Alte auf’ Herzliche einftimmte.
Fe »
„Mein Vater blieb noch eillche Kom, wo RR auf Jagd
. folgte. Enblbch mußte er heimlchern und I Mich dann auf dem
Nedier und beganm bei Gerhard meine penkliiche Banfbuhn.
„Ich meine aber, ber Furanzte'mih! Von Morgens fünf big
Abends fünf konnte ich auf Feine Ruhe zählen! Es ging von
Schlag zu Schlag, von Schonung zu Schonung, von Beſtand zu
Beftand. Saatkämpe und berlei Dinge, wie fie die Tateinifchen
Herren jet aushecken, kannte man damals noch nicht, und ich hätte .
einmal hören mögen, was Gerhard gejagt hätte, wenn ihm fo
“ Einer unter bie Beine gefommen wäre! Ich hätt's nicht fein
mögen! Der Mann war ein Kernpraftiler. Alle grauen Theorien
machten ihn kopfſcheu; aber er Tannte fein Zah. Er traf ben
Nagel auf ben Kopf. Wollte ber Oberförfter, der ihn mit großer
Milde und Achtung behandelte, etiwad Gutes, aber Neue durch⸗
ſeben, ſo ſagte er zu ihm: Mein Großvater, der Forſtinſpector war,
ſagt in feinem Tagebuche das und dad. Was halten Sie davon,
Hear Nachbar ?
= Hm brummie dann der alte Berharb, Sie haben mir ſchon
Manches von dem alten Herrn geſagt, was ſich hewährt hat. Der
iſt mir ſchon ein Gewährsmann. Die Alten waren nicht auf die
Naſe gefallen, ſonſt hätten wir längſt keine Wälder mehr. Die
ſchief gewidelten Lathedezmänner, die's beſſer verſtehen wollen, als
der liebe Herrgott, find alle feinen Schuß. Pulver werth. Ich wette,
fie fönnen, troß aller maulfertigen. Schwatzkunſt, feinen Mehbod
ſchiegen, wie ber junge Möll bier feinen erſten geſchoſſen hat!
Nun konnte aber der Oberförfter darauf rechnen, daß Gerhard
mit der Sache in's Waſſer ging und fanb er’s'probet; fo Fun er,
mn dem alten Herrn eine Lebrede zu hakter. Mer Oberförſter
kunnte feine Leute und ſagte mir das Nothige, and. es fick einen
Horn’s Ergäplungen. X. 18
/ - MM —
Seele ein, dem eiſenfeſten Ehrenmanne gegenüber auch nur einen
Mundwintel in die Breite zu ziehen.
‚Dich nahm er nım in's Gebet. Zuerſt galt’s, bie gehörige
Jagerſprache Iotgubelommen, Ein Fehler, ein Verſtoß -gegen fie
hatte auf ihn diefelbe Wirkung, wie ein faliger Ton auf Mayart's
Geſicht. Diefer zudte bekanntlich, als ob ihn eine Natter geſtochen;
gerade fo war's bei Gerhard. War ber Verſtoß arg, jo begleitete
ihn ein Fluch, der durch Die Zähne zifchte und feinem Grimm als
Ableiter diente.
„Line Obrfeige wollt’ ich Tieber Binnehmen , , als wenn fo ein
goldenes Kalb Moſis einen Ausdruck verpfuſchtrief er aus. Es
geht mir allemal durch Mark und Bein. Da hab' ich, ſagte er
weiter, mit bein zwerggeborenen Waſſerpolacen meine Arbeit gehabt!
der Kerl begriff nichts. Sie Baron von Ochsky! rief ih ihm zu,
ich jage Ihnen noch eine Kugel durch Ihren leeren Hirnkaften,
wenn Sie feine Dreffur annehmen! Donnerwetter! ich Hab’ meinen
Tiras dreffirt, und das ift nur ein leidiges Vieh; ich werde doch
noch fo ein polnifches Kameel in Zucht und Ordnung bringen! Sch
fage Ihnen, bann fand der lange Eindarm da unb machte ein
Geficht, daß er als Rabenſcheuche Hätte dienen Finnen! Nal er ift
fort. Dafür fei Gott gebanlt! Run paflen Sie auf! Ich will
’mal ein Eramen mit Ihnen halten, um zu fehen, ob Sie außer
Ihrem Latein und al? ben Tenfeleien, bie bie Schulmeiſter Ihnen
eingepauft haben, auch etwas von dem Ebelften, was es gibt, ber
noblen Waidkunſi, wiffen. Wird fretlich ſchlecht geung beſtellt fein!
feßte er nchfelzudenb Hinzu. '
‚Nat was beißt Anftand?
„Der Ort, wo ber Jäger ſteht, wenn er’ weih, wo das Wild
wechfelt.
„Aha! was keit denn: Wechſeln? Te
.. „Da das Wild feine Gänge. und Pfahe gern einhält, wenn es
aus einer Waldparzelle in bie ambere, geht, fo heißt dies Hin⸗ unb
[2
— — — — ——— —— a — — — — — —
4
= MM — ,
Sn
Hergehen: Wechſeln, und bie-Mfabe; Made, . ..
„But. Aber was beißt: Anſitz? 1r
Abe her Jager weiß, ee Bü —* ſe Mohr =
weht ‚sen Bayım,:bamit ba Wilb nicht die Winlerungkriegt.
„Da hapert's, junger Herr! rief er ab, Anſit heißt Der
foße Sig zur Erde bei, Sauwechſelg. Hachſitz aeunt man ben
Standort auf einem- Baum, aber nur bei Rathwilb Berhanien?
„Ganz wohl, fagte ih. Werde mirs merlen.
„Was heißt: Spüren gehen?
„Wenn eine Neue gefallen iſt, —
„Brab! unterbrach er mich. Das iſt ein, adbitalauadri für
friſchen Schnee!
„Die Spurfährte ſuchen, vollendete ich.
„Richtig. Wiſſen Sie, was eine Keſſeljagd iR.
„Freilich, entgeguete ih, wenn bie wre von allen Seiten
nach einem. Mittepunkte hreiben | , oo
„Bufhiren? Her — a
„Suden nad Schnepien mit bem Hunde!
„Wann ift der Schnepfenfiand?
„Frühjahz und Herbſt, gegen Abend. ober, bei Tuganirud!
‚Rennen Cie dad Eränepfenfprüclen upmaheihiahe?
„Oculi — ba fommen fiel
„Laetare — ba fommen bie wahre! -
„Judica — ba find fie auch noch, hal he,
„Palmarum — Trallarum! 1.
„Sie find ein Prachtjunge! rief er aus. De bleibt uns ja
kaum noch etwas zu thun übrig, -
„Doch halt! Die Sache ift noch nicht aus! y Ei
„Was nennen wir Pürſchgang?
„Anfchleihen an's Wild auf feinen Keheplähen, ober wo es
beraustritt, um fich zu äßen! an
„Auf bie Suche geben? Tin 2
18*
HU —
„Mit dem Hunde Haſen ment. 1. ae Be
„Saue eintrieden? 3FX
„Etnen Walb wngehen, ver etna eine Reue gefallen um
ſich zu vergewifſern, datß des Wild haen⸗ aber nicht hineus glg;
alſo noch dtinnen pt!
‚eV mich der Aulut! Sie haben's 108 wie ein alter Jager,
und Irem Water macht's Ehre, er Tüte feinen grünen Hut ab
fagte: Refpect vor bet: Mine!
„Willen Sie, was e3 heißt: Einen” Hirfh auſsmachen?
eine Sau feſtmachen?
„Die Stellen ficher wiſſen, wo fe ſichen. Die Hunde tbun
fie auf.
Sie werben einmaf eik hirſchoerechter Jager! rief ex aus.
„Was iR daB, Herr Berburd?-
„So nennt man Ginen, dee aus ber Faͤhrte, ber Loſung unb
anberen Kennzeichen das Gefchlecht und die Stärke bes- Rechwildes
beſtimmen kann.
„Ih will's bei Ihnen fon lernen!
„Er ſchmunzelte.
„Min laffen Sie vens 'mal nachſehen, ob Sie bie Thiere ge⸗
hörig kennen. Was tr bei Samen ein Friſ ging? —
„Ein zweijähriges Thier!
„Ein Keuler ober eine Bache?
„Männliches und Mutterſchwein!
„Wie heißt ihr Lager?
„Weitel- ober Bettel - —
„Wie nennen wir die Hauer ober - Fengſihne?
„Gewehrel
„Das Maul?
„Geſpräch!
„Fuß ?
„Lauf
x
— mn
te Heißt ber junge Hieſch vom Mei Din Rovenber
tr!
859 hab' ih meinem Waſſerpolaclen auch gesamt, fagte _
lachend Gerhard; aber ich fage Ihnen, ba ift bie Periobe zwildgen
Wirge und Grab. bei dieſem Menigen!
„Nun fragte er nach der Bedeutung ber Namen: GSchmalthier,
Altthier, Geltthier, Spifſert, Gabler, Sechſer und fo weiter hbis zu
Höchften Sproſſenzahl; dann nach der eigenthümlichen Benenmug
jedas Leibestheiles beim Hirſch, Reh, Hafen, Fuchs, Wolf, Selügel
— kurz bie unendliche Reihe ber Kunſtausdrüde durch. Mein
Vater hatte ſich den Spaß gemacht, mich das Alles yanz genau zu
lehren. Ich beſtaud mein halbtägiges Eramen auf's Allerglänzendſte,
und der Alte fiel mie am Ende um den Hals und ſchmatzte mich ab,
„Nein! rief er, folch’ ein Prachteremplar von Eleven I ned
nicht auf ben Stänbern geflanden, feit Nimrod ein gewaltiger Ober:
förfter vor dem Herrn war!
„Abends machte er bie ſchmeichelhafteſten Erllärungen über
mich den Oberförſter, der darüber vergnüglich Tächelte, weil er durqh
den Freiherrn Eleven des Herzeleides viel erduldet hatie; denn da⸗
mals wurde Gerhard nicht fertig mit Klagen über den Stockfiſch
von Baron, wie er ben Menſchen nannte. "
„Alle Tage- mußte ih mit ihm hinaus, dev Schnee morhie r '
hoch liegen, als er wollle; ber Regen mochte firmen; ber Win
brauſen, daß man ſich wicht auf dem Weg erhalten Tonnte N
dankte dem Manne viel, auch in Betreff einer äußeren Abhärtung und
Bähigkit, Helaunen und Unbequewmlichleiten ber Witterung zu ertragen.
„Abenb3 Jah ich bei ihm bis gehn Uhr, Das war einmal hie
Stunde, in welcher er zu Belt ging. Weberhaupt war eine am. .
_ Vohanterie grenzeude Ordnung in ber Gintheilung feiner Zeit, wie
auch in feiner Sebenaweile, ſelbſt im Eſſen und Trinken hinſichtich
dea Maßes. Usb bies if 48 geweſen, was von Dam ſe Inge
MR, ſo jugendlich friſch und rüſtig hielt.
un
*
-
* Ds 28 Lo 2
.
„Anfangs Hatte 14 ihm gar wenig Gemäthlälitekt zugetraut,
aber ala ich einmal niet= und nagelfeft in feiner Gunſt faß, ba
kehrte er auch das Innerſte heraus. Rur über fein eigenes Leben
ſchwieg er wie das Grub. inige Fragen, die ich ganz arglos ge
than, wies er kurz ab, und das Runzeln feiner. Stirn, an bem id
recht ‚deutlich wahrnehmen konnte, wie es nnter der Weſte ausſah,
ſagte mir, das fei das Noli me tangere, das „Rüuhr' mich niet
an’ feines Weſens. Ich nahm mi nun forgfältig in Acht und
berührte Wehnliches nie mehr. Dadurch gewann ich noch mehr
Boden und Raum in feiner Gumft, und zuletzt war unfer gegen-
feitiges Verhältnig bas eines Sohnes zum Water und umgekehrt,
denn ich Tiebte den Mann von ganzer Seele, und daß er-- mid
Web hatte, das ließ fich einmal nicht leugnen, und et wollte es
auch nicht.
„Ich lernte viel bei dem Manne, mehr wie bei den Oberfdefter
Moosfeld, ber die Babe der Mittheilung eigentlich nur in einem ge
ringen Grabe deſaß. Bei ihm verrichtete ich nur Schreibereien, und
das Einzige, was ich wohl bei ihm ‚gewann, war das Rartenzeichnen
und die geometrifgen Aufnahmen, ba er ein tüchtiger Meßkünſtler
war. Dies Tonnte jeboch nur in einer Jahreszeit betrieben werben,
bie durch ihre Milde ben Aufenthalt Im Freien geftattete. Bel Ber:
hard kam's auf bie Witterung gar nicht an. Auch die ſchlimmſte
war nicht im Stande, ihm zu Haufe zu halten. Endlich kam das
langerſehnte Frühjahr mit al’ feiner Pracht umb Herrlichkeit. Jeht
erſt lernte ich bie rechte Poeſie bes Waldlebens kennen und banfte
Gon, daß der alte Gerhard angewieſen war, mich mit all dem
bekommt zu machen, was ich wiſſen mußte, um eine Vorfchule meines
Berufes gehbrig durchgemacht zu haben.
„Oft Hatte mich in biefem Winter bie Ruine des alten Forſt⸗
! hauſes elgenthümlich angeregt; oft hatte ich bemerkt, daß ber alte
Gethaͤrbeeine gewiſſe Furcht und Schen vor ber Ruine Yafte, ohne
daß ich mir das enträthſeln :Tonnte Ich hatte mir vorgenonnen,
v m —
1
Ahr emmatı ned ben Gränbe zu fee, worm bach dies Sims
dem Untergange ſel gewidmet worden. Eine alte Nnlite war eb
wicht, und beffer wäre es in manchem Betrachte geweſen, wenn ber
Förſter hier gewohnt hätte, als baß feine Wohnung jet bei bem
Oberforſter lag.
„Ich Tone nun mehr in dieſen Theil des Forſtes, als im ben
Wintertagen, wo er kaum zugaͤnglich war zu gewiſſen Zeiten. |
„Cines Tages, es war fo um die Heilige Pflugftengeit, wo der
Wald jubelt und. ſchallt, wo alle Pulfe bed Lebens gewaltiger
ſchlagen und der Blüthenduft in Wellen baherwallt, kam ich ſpät
am. Mittage mit Gerhard an eine herrliche Quelle, die plätfchernd
über das Geſtein in wunderbarer Klarheit herunterrieſelte. Neberall
blũhten duftige Maiblumen, und rings um bie Quelle ftanden —
in dieſem . Nabelholzresier unferes Forſtes eine Seltenheit — vier
wunberfchöne, ſchattenreiche Buchen, daher bie Stelle auch der
„Vierbuchenborn“ hieß.
„Hier ließen wir uns nieder, um aus ber Fauſt unſer Mit
tagsbrod zu verſpeiſen. Ich hatte mich wahrlich nicht wenig damit
abgequält, einen Kerng koſtliches Merſeburger Bier mit herum zu
tragen, ber ung num aber auch erquicken ſollte.
„Ich wollte Gerhard damit überrafchen, denn er wußte nichts
davon.
„Unſeren Durſt ſtillte die hüpfende Duelle, die ich in ber Leber: ⸗
kapſel auffing. Dann Iagerten wir und unter ber größten Buche
unb aßen, Seber, was er in ber Jagdtaſche mit ſich trug,
und als ber Magen fein Recht . hatte, ſagte Gerhard: imma
eine Pfeife! .
„mb einen Trunk Merſeburger Vier! ſetzte ich Hinzu ung
goß- ein.
„Meber bes Alten Züge flog eine Heiterkeit, wie ich fie tang
wicht geſehen, und dieſe Stimmung benühend, deutete ich auf bie
Ruine des alten Fotſthauſes Hin, bie man gerade vor fich hatte,
" |
— WM —
m fagle: Su Sehe Sie ſhon ger oft- fragen mailen, ‚und es
doch zigenttlch mit. biefer Ruine, Die immer einen geſpeuſtigen (is |
Imıd auf mich macht, für eine Bewandaniß babe? — Bitte, theilen
Gie mir doch wit!
„St ſah mich mit einem Blid an, ben ih nad nie an ihm
bemerkt beste. Ich hielt ihn mit ber Ruhe aus, die der in ſich
fühlt, der ſich eimer umnlanteren Abſicht nicht bewußt ifi.
„Ihnen, bob er ach einer Weile an, ja Ihnen will ich bie
Geſchichte erzählen — einem Anderen — + buch Hören Sie dam:
„Das Haus, das Sie Bier vor fich fehen, war vor fünf amb
Fechug Jahren bie Hattlide Wohnung des Förſters, deilen Stelle ich
hetzi einnehme. Die Herrſchaft Hatte es neu erbauen laſſen, unb
abſichtlich mitten in den Walb, weil bie Milbbieberei der Neanern
aus den entkegenen Dörfern ben Wilbſtaud has Landesheren, ber
ein leidenſchaftlicher Jäger war, fehr beeinträchtigt. Bon bier aus
. Tonnte ber Förfter Teichter in allen Richtungen das weite Revier be⸗
i gehen und bewachen, ala wen er, wie ich jet, drunten Bei bem
Dberförfler wohnte.
„Außerdem mechte auch noch das beſondere Wohlwollen bei
Landesherrn für die Perſon des damaligen Förſters ſich geltend
gemacht haben, bei man das Haus fa geräumig und flattlich
| aufgeführt Hatte; denn er war Leibjäger des Heren geweſen viele
|
Jahre lang, hatie in unbeſcholtener Treue ihm gedient umb einſt,
old Fe hir im Forſt eine Saujagd hielten, ihm das Lehen gerettet,
Ein greulicher Keuler eniging rümlich durch eine Wendung dem
Abſfangen mit ber Nadel, und er wäre unxettbar unter den Gewech⸗
ren des Unthiers verendbet, "wenn nicht ber Leibjäger duech eines
Meiſterſchuß das Thier niebergefixedft Hätte. Das vergaß ihm ber
edle Herr nicht. Als die Stelle bier erledigt war, erhielt er ſie mab
anſehnliche Dienſtländereien, dieſe ſammt bem präsgtigen ‚Meubau,
welcher bie Wohnung bed Oberförſters bei Wetem übertraf, abge⸗
rechnet noch, daß men ba eben bie wundervollſte Feriſicht hatte vnh
bie Sberförfegei hranten. im Rode liegt. Der Zorſter war acht⸗
oben neun nud vierzig Jahre alt, als ex hierher zog. Der Sande
berr richtete ihm feine Haushaltung höchſt fueigebig ein, und fo voll⸗
Händig, als Hätte er ſchon vierzig Jahre gehauſt.
„Da brauchte fich Fein Möbel zu bedenken, im dies warme
Dafiigen, zu hüpfen. Sie brauchte zein Nichts mitzubriugen, da
Alles da war, was immer zu einer ordenslichen, volftäubigen Haua⸗
web Landwirthſchaft gehörte, ſebbſt tüchtige, milchende Kühe un)
wadere Ochſen zum Feldbau. Ueberdies hatte ſich ber Förſter eim
ſchoͤnes Kapital erjpart in feinan Hofdienſt und war babei Fein un= '
har Mann, wenn auch ſchon graue Haare fin Haupt mit ber
fogmasmten Simmel: unb Salzfarbe bedeckten.
„Heirathen mußte ber Förſter. Er ging feinem Berufe tag:
Käglih nad. Was follle da aus ber Wirthichaft werden, wenn fie
eine bezahlte Schaffnerin hätte fahren follen?
„So ging benn ber brave Dann aus, bie Töchter des Landes
gu bejehen, daß er ſich eine erkieſe.
„Der Förfter war ein ftilfer, gefeßter Man, machte nicht viel
Meſens, und fchöne Redensarten, Schmeicheltien und Kofereien, wie
fe bie Mädels lieben, waren eben feine Paſſion nicht, Kurz uub
bindig, ehrlich und treu, das war fo feine Art; aber ein Herz hatte
gr, wie es wenige gibt. Bös wurbe er nicht leicht, aber ex Tonnte
e3 doch werben, und dann war er’ orbentlich; allein es kam felten
au-im, wie gejagt. Ueberall war er ‚geachtet und gefchägt, und
Kin Vater und Teine Mutter,. deren Chefrüchtlein er gefreit, Hikte
lange Federleſens mit ihrem Ja gemadt. Er war, was fo bie be
vechnenden Beute fagen, eine herrliche Partie.
„Daß er Dberförfter würde nach kurzer Zeit, wenn er's
Aberhaupt wollte, baran mar eben gar Fein Zweifel, unb er wär's
dielleicht gleich geworben, Hätte ber Landeſhexx Rath gewußt, was
ex uhr dem Oberforſter anfangen follte, ber bie Stelle inne hatte
und weber zum Gieben no zum. Braten war. Es war weieber
— 288 —
fo ein Jagdninker, der ein Kartoffelfelb für eine Eichencultur an
ſah; ein windiger Herr Von, der vom Hofe weg mußte, wei et
nichts taugte und nicht zu gebrauchen war.
„Der wohnte in unſerem Fotſthaus allein und hau⸗ eine
eigene Wirthſchaft, langweilte ſich und trieb Allotria, als Vögel⸗
ausſtopfen und dergleichen, weil et nichts Beſſeres zu thun wußte;
las Romane, ſtatt feinen Forſten ein Pfleger zu fein, und hatte
den Muth nieht, im den Wald allein zu gehen, weil er bie DE
diebe wie das Feuer fürchtete.
„Nicht einmal ein Schütze war er, benn er traf nichts, weil
er's machte wie mein Waſſerpolacke, nämlich die Augen zumachte,
wenn er losdrückte; ba war ein tüchtiger Förſter Roth, der x that,
was der Oberförfter thun ſollte und nidyt that.
„Sobald er hörte; daß ber Forſter aufzöge, fagte er, wım
ziehe er zu ihm unb mietbe ihm den Oberflod feines Hauſes ab,
ben er ja doch nicht gebrauche und, ba er fich verheirathe, ſchaffe
er feine contracte Wirthfchaft ab und ziehe ganz zu ibm in Koſt
unb Wohnung.
„Daß war freilih bem Forfter nicht lieb, aber der Firrſt
fagte: Thu' es, Leopold; Du bringft vielleicht noch etwas an ben
Burſchen! Das war natärlig für den Förfter ein Befehl.
Dberförfter war reich und konnte gut zahlen, wollte e8 auch, und
fo ein Zuſchuß war nicht- zu verachten:
„Freilich hielt er fich aus, daß er noch ein Jahr im Forſthauſe
bliebe, bis ſeine neue Haushaltung in Ordnung fei. Das lieh ſich
denn auch der jurtge Herr. gefallen und bie Sache war gut.
„Leopold, fo will ich den Forſter bei feinem Taufnamen nennen,
fuhr Gerhard fort, ging num ernſtlich an's Heirathen.
„Run war er mit bem Herrn öfters auf bie Balge gegangen
in ein’ Revier, wo es Anerhähne wie Spahen gibt. Sie wohnten
denn bei einem Förſter ein paar Tage mitten im Walde Wenn
die Balze nicht war, fo Batte Leopold Zeit, mit bes Förkers Tochter⸗
x
— — — —
-
Yin zu Arren. Das war ein wundernetkes, Tebehbiges Wing von
neunzehn Jahren, aller Pofien voll, das mit bem Leopold feine
Scherze trieb, und ed mit ihr. -
Ob das Mädel ein Auge auf den Lebpolb hatee, weiß ich
nicht; aber gram war fie Ihm nicht. Er aber kriegte Eins auf
fie, und oft: mochte er denken: Wenn Du einmal fo allein im
Walde haufen müßtefl, und fo ein herzig munter Weibchen Dich
empfinge, wenn Du naß und müde heimfämft, es wär' boch eine
prächtige Sade. Sie war fchön, hab’ ich ſchon gefagt, und auch
ein Bischen gefallfüchtig. Nun, fo etwas flieht ein verliehter Mann
fetten, weil er meint, fie fel’3 eben nur allein gegen ihn, und das
ſei nichts Anderes als pure Liebe.
„Das Mädchen war Hoch gewachſen, edel geſtaltet, appig und
voll. Sie hatte Augen wie Kohlen ſo ſchwarz, und leuchtend wie
Feuer und Licht; ebenſo ſchwarze, glänzende Haare und eine etwas
bräunlihe Haut; aber Bädchen wie Rofen, friſche Erbbeerlippen,
und Zähne’ fo weiß wie eine friſchgefallene Neue. Dabei war fie
vol Wis und Laume; fang fehr hübſch und Fonnte einem ehelichen
Jägersmanne heiß im Kopf und im Herzen machen, wie fie e3 dem
Förfter Leopold machte.
„Als er denn num eingerichtet war und fich bei feinem gnäbigen
Herrn bedankte, fagte dieſer freundlich ſcherzend: Leopold, affein
hältſt Du es da droben nicht aus, und Deine Wirthſchaft gebt flöten
ohne eine wackere Frau. Wie fleht’3 denn da? Haft Du no
nichts auf bem Kom, nichts im Bifir?
„Durchlaucht haben: wohl Recht, fagte er, und ich — _— benfe 4
auch zu Yhunz aber zum Heirathen gehören Zwei, bie Ya ſagen.
„Richtig; aber Haft Du denn Eine, von ber Du wunſchen, daß
fe Ja ſagte?
„Warum nitht, Durchlaucht?
„So ſchieß los, narriſcher Hank!
vIch weiß jä aber doch nicht, ob fie mich wit?
— MM —
A denn eur ein Schaltjahr, lachte da gnãdige Gert, daß |
die Mädchen freien?
„Das nicht, das Jahr hat drei hundert fünf und ſechzig Tage!
Ei, fe mußt Du freien! Wohin fickt kam Dein Sinn?
Beichie mir einmal, Iſt's ein Gübfder Forkkerdfind? |
na, Ihro Durchlaucht, fagt er, bad Förfters Kuhn Agneöchen
„Si, ſieh 'mal dal rief der Fürft. Du haſt eine feine Naſe
If ein hübſches Mädchen, und ich glaube, auch brav erzogen.
Shre Ellern find wadere Beutel — So mach's kurz, Leopold!
Grüße ben alten, braven Kuhn, und fage ihm, ich ſaäh's gerne,
wenn feine Tochter Dih zum Manne machte. Du babeft ein war-
mes Neftlein und für Deine Zufunft wollte ich ſchon forgen.
„Leopold verbeugte fi bankend und ging ſchnurſtracs dorthin,
wo das Töne Wild fand.
„Ge brachte feinen Gruß an ben Mans und erhielt mit |
Freuden bad Ja ber Eltern, und Agneßchen, das ihm jo Etwas
abgemerft haben mochte, machte ihm auch kein bös Geſicht, und '
als er feine Freiwerberei anbrachte, traf er aufs Blatt und fie
wurde feine Frau.
\ „Es gab im ganzen Thüringer Walbe keinen glücklicheren
Menſchen ala Leopold! Er holte fein Weib beim unb fie lebten
ein Jahr in einer Ehe, bie glinklicher nicht fein fonute. Da rüdte
ber Oberförfter wieber mit feinem Plane heraus.
„Leopold aber hatte num erfi edit Feine Luſt, und das kam fo.
Der hochabelige Herr. Oberförker merkte balb, bag ber Förſter
Leopold ein Frauchen habe, das nicht fshöner zu malen fi. Wenn
er einmal in’s Haus kam, fo veridlaug ex fie faſt mit feinen bes
gehrlichen Bliden und wußte fo zuderfüß zu veben, baß Leopold
badıte: Man muß ben Taubenfchlag zumachen vor Marder und
Iltis. Wer aber ſolche Veefter im Haufe duldet, mag ſich felbft
anflagen, wenn fie ihm fein Täubchen manfen.
„Er fagte daher kurz und gut, das ginge picht; feine Haus:
— — — — — — —
— —
hetimig fei er’ ekcſach; er Mühe keinen UNE, wid Tonne An nicht
ftthren, wie ihn der Oberſorſter gewohnt fei, und ſchlug's ihm
rund vor ber Nafe ab. Damit war auch Atneßchen wohl zufrieben,
die auch meinte, To ein feiner Hoſherr, ber mache ganz andere Anz
ſprüche, als fie es gewohnt fei und — und — da doch vieleit
bald ber Storch Auf den Bade Mappere, To Mmte fie eB gar nicht
manuteniren, und eine Magd wolle fie einmal: mist noch ‚zu der
nehmen, die fie um bed Viebftandes willen fchon halten mäffez
überbied komme babei Nicht8 heraus, mern and) der vreiche Herr
Oberforſter noch ſo flott bezahle; fie ſelder gewöhnten ſich dann an
ein üppigeres Leben, und das ließen doch ihre Einnahmen nicht
zu; ber junge Herr WBune es machen wie ſein Bater, nämlich er
Könnte beitafhen, und dann wäre Alles geordnet.
„Das waren verſtandige eben von ber jungen Frau. Leopold
wor ſeekenfroh, fie A hören, und vie Geſchichte hatte ihr Ende
erreicht.
„Der Herr Oberförfer ließ alterbings etwas bie Ffligel Hängen
und wer ein wenig brummig. Eine Zeit Fang machte es ber Förſter
Leopold gar nicht recht; allein bie Sache ordnete ſich doch wieder
und ber Oberförſter Fam manchmal gu Leopold auf ein Stündchen,
wenn er gerade in ber Nähe bes Hanſes war und hielt ſich bes
ſcheiben und anſtändig, ob er gleich bie ſchöne, junge Frau immer
befonders etiszeichnete. Es blieb Alles im Geleiſe der ——
„Freilich ahnete es Leopold nicht, daß ber Oberförſter, ber,
wie alle diefe feingebdadenen, murben Herren, lange ſchlief, Immer
Morgens om ſeinem Haufe vorüßerging, der ſchönen Frau ein Piar-
liebreiche Worte Tagte, einen Kuß zumarf ober derlei Etwas, was
ben Weibern nicht zu mißfallen pflegt.
„Anfänglich Ürgerte ſich Agneschen; fpäter gewöhnte fie fich
daran, und noch Tpäter ſaß le immer Morgens um bie Stunde
am Fenſter, denn es ſchnieichelte ihrer Eitelkeit, daß em fo vor⸗
nechmer Gere fie-ichön fand. -
Ed
— BB —
AIr Wochankett Ankerte olierbings bie Pen uud :der Reine,
ſabn Suabe machte bie Gitera unamäfprechlich stndig: Es .war
aber auch ein bilbfehänes Kind .
„Etwa vier, fünf Tage darauf Sg be Dörfer Bpale
en alde.
„Glückauf, Herr Förſter, nef, er ihm zu. Man hat mir ge⸗
fagt, Ihr Familienglück Habe nun bie Krone anfangen durch einen
verankern Knaben.
„Leopold dankte und beftätigte das.
„Haben Sie denn ſchon einen Patben?. fragte ber Oberförfer
„HFeopold fagte, ed fei eine ehrwürbige Sitte, daß ber Großvater
als Pathe gebeten werde, und ba feine Agnes das Glück babe,
ihren Vater noch zu beſitzen, ſo liege bie Verpflichtung ehr nahe.
„Aber könnten Sie nicht noch einen hinzunchmen, fragte ber
Dberförfter weiter, und ſetzte Hinzu, in biefen Falle würbe es ihm
eine unausfprechliche Freude gewähren, dieſe Chreuſtelle einzunehmen,
wenn er anders nicht ala zubringlich mit biefem Beweis eines herz⸗
lichen Wohlmellens- fei.
Meopold war in einer mehr. als unangenehenen —* Gerne
biste er den Zudringlichen zurückgewieſen, wenn es nicht eine Be⸗
leidigung geweſen wäre, bie kaum größer möglich war. (Sr durfte
überdies bein Vorgeſetzten nicht nor den Kopf ſtoßen, und es blieb
in nichts übrig, als auf den Gedanken einzugeben.
Leopold beſaß Weltgemanbtheit genug, dies auf eine Weiſe zu
am, durch welche er ſich felber nichts vergab und doch auch ben
Oberförſter nicht beleidigte.
„So war denn der Antrag angenommen und bie Saqhe, nenn
auch nicht in der allerliebſten, doch aber In Orbnung, -
„Sie werben es begreiflich finben, daß ber Gevattermaun
fänen Pathen fehen wollte, und ber errdthenden, lieblichen Mutter
erflärte, er babe nie ein fchöneres Kind -gefehen, und dann fpäter
— m —
behanpfeie, es gheiche der Mutter wie ‚ein Tropſen Daſtee dem
bern,
„Dieſe beiden Urtheile hörte bie cite junge Grau, und Re
wiodte ben Schluß nicht wohl abweiien köonnen, daß ber Har
Dberfärfer damit boch auageſprochen habe, er kenne Feine Köönene
gran als eben fie.
. „Sie: werben es ferner begreiflid finden, daß ber Pathe und
die Hau Sevatterin von dem ungemein veichen Herrn Gevagter
fürſtlich beſchenkt wurden; daß koſtbare Stoffe zu Kleidern und
prumkender, blinkender Schmuck nicht fehlte. Und wenn fie erröthend
ſagie, das paſſe nicht für fie, er darauf ihr zuflüſterte: Einem vei⸗
zenden Weſen paſſe Alles!
- "Ren; — und das Herz blutet mir, daß ich es auaſpreche,
bie Schlange hatte den Weg gefunden in das Paradies eines harm⸗
Lofen. häusligen Glücks, und die Eva darin fehlte nicht, der ber
Apfel geboten wurbe! —
„Gerhard ſchwieg hier ‚und Rand auf, um feine Pfeife, bie
ex in ungewöhnlich Beftigen und raſchen Zügen auägebampft, auf's
Neue zu flopfen. Ich will es nicht leugnen und in Abrebe fielen,
ber Ton, in dem er ſprach, Hatte mitunter etwas fo furchtbar
Bittered und Ironiſches; es legte ſich in. bie Ausdrucaweiſe ber
entſetzliche Grimm einer Menſchenſeele, bie in einer nahen Beziehung
au dem Erzählten fieht, daß es mich eiskalt überlief unbich es
herxeute, bie Bitte auageſprochen zu haben, daß ex mir bie Geſchichte
des zerfallenen Hauſes erzähle. Er fuhr fort: Von ba an umſchlich
ber: Wolf die Heerde, fo. oft er mußte, daß ber Hirte fehle, und das
ſchien er immer zu wilfen; er ſchlich auch wohl einmal] näher herzu. —
„Die Gevatterin konnte ja huch nichts dagegen haben, wenn
er nach feinem herzigen Bathen ſah und ihn Füßte
„Ach, armeß, ſchwaches Menſchenherz, wo Du wachen und
beten ſollteſt, leiheſt Du dem Verführer fo gerne Dein Obrl rief
Gerhard aus und richtete lange ben Blick zum Himmel auf.
. -
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' „VDieſer Deufkl berilckte das ſchoöne Inge Wieib, wm bent er
} gleichalterig war; berüdte ed mit allen Künſten böllifcyer Liſt und
berechneten Schlauheit; ſpielte meiſterhaft den ungklicklich Aebenden,
ben Hinſchmachtenden, Trofilofen, Mekancholiſchen, Bei den dumm
anf einmal Sie wilde Leidenfchalt aufblige and denn wicber Ah
ſcheu verbirgt, bis das Herz bed Weibes, feiner Pflicht abtrünnig,
In fündhafter Liebe gegen ihn entbrannte und zuletzt - bie- Heilige
Schranke nöttlicher Orbnung zerſtört war, bes heilige Grbet ber
Pflicht verftummmte in der elgnen Bruft! —
„Und ber treue, feiner Pflicht nachgehende Leopold war Firre
gemacht durch feines Weibes anfingliche Rede; hatte Teme Abınımg
davon, wie er betrogen wurde —
„Was Weiberliſt und raffinirte Berborbenheit im Bımbde zu
erfinnen vermögen, um ben Schleier bed Geheimniffes um ihr Ehen
zu ziehen, das geſchah. Die Lage des Hanfes mitten tm Forſte
war dazu eben recht geeignet, einen heimlichen Berfehr zu foͤrdbern.
Hierzu Fam, daß ber Oberförfter immer mehr und mehr 2eopolb
mit Arbeiten und Aufträgen betrante, bie innerhalb feines Berufs
kreiſes Ingen, aber auch hoͤchſt ımeigennfbig ihm br mertes,
was davon als Befolbungstheil abflel.
„Leopold war ungemein glücklich, dieſe Verbefſerumgen zu ver⸗
dienen, und widmete ſich mit bem aufopferndſten Eifer dieſen
Zhaktigkeilen. Weil er es verdiente, Tonnte er es mit Ehren unb
gutem Gewiſſen nehmen, anders wiürbe ber fireng ebrikdhe Manır
auf einen Fall ed angenommen haben.
„Der Oberförfier heuchelte ein Unwohlſein, und übertrug ihm
namentlich alle biefenigen Arbeiten, welche ihn an bie fehr entfernten
Grenzen ber Oberförfteret zu geben nöthigten, von wo er unmöglich
an einem Tage heimfehren Fonnte. Leopold Hatte bort feine Walde
hiltte unb ſchlief auf bem Mooslager den guten Schlaf, pflichtmäßiger
Tätigkeit treuen Begleiter.
„So ging es mehr als ein Jahr, und biefe Agnes war fe
\
2
-
Ü
ei dinlah, ba fierione Auginfene Veit den eine MRS nichienbe:- Diele
baxien sub: Ühoy. ſae:caſt zei, je dui: Qage bedıcamde Cutfebnumg
Wwerlast ſich gebeniete; wiſhrend ſue ſich voch irn nid Herxgaa Gauri
dieſer: Mtſernuugen frecat Asa deſte -ungeftäwten seht ihre Quhbea
ſinzu Bann, ‚hen. llama) Sc tinſcud, wem bad Oriunhe. anf
bews "Salbei yore und baatı ıheumktch im de gerliumigen: Hauſe ver⸗
Tod hlleis:: ar ifk inteß eim: Bexhängnip, eich nilenuages bei
NAeer und die Ruddiniiglit- begleitet, Daß-na Immer run chiäffiger sieh
ie: Wenihten der Umhfllung, ‘bie ed ben : Age ber Melt verbengen
jolb. Dit eier medpienpen Frochheit nimmt feine Benfichtub, mb
4a.degt es · ſelber dan rind: feiner: enbinhen, eft eben, oft Pike
Anidedung und Beſtrafung.
„Wenn auch das zutrauensvolle Gemüth Sonpelbs- —* *
Medjernteften Artzea chnte, ſo oem: dech andere Mugenweniger
vom Verben gehalten, als bie jeinigen. Zu dieſen gehBrien hit
BER Pachters ber Dienſtläͤndercien das Oberfönniers.
35Der Pächter mar tin wacherer juuger Laudwirih, an: acfſen
Seite eine: Wenſo tüchtige, aka futtige, junge, fahr. Ichäne Frau Hemd)
u „MDieſe: Hatte aen · fittenlofen · Metſchen, ber: Quenfonfter Tennen
" geleint, aber mit bes ganzen fittlichen Würdernund jveinmten Zucht
eines rein weiblichen Gemüths ihm eine Schrenkt geſeht welchen er
nicht mehr nahe ju lanumen wagte. "ie hatteigrem: Maum alle bie
Verſuche beiı-llenben: anitgeirilt, amd iiefes Hatte: ihrn nuter, wied
Augen Dinge gefagt, bie: bie’ Mangen des: der Meligion enkfrswılnine
Menſchen doch erbleichen machten‘ wwb ih; innerlich unit ann Memalt
jeher; Ale -ihgn,: aber Teiber nur vpprübergeheud,arſchiuſteri.
vr „Babe hatte der Bächteg uch cine äucſrenliche Kisufeıug hits
zugefügt, alkmelich bad! Stetndiierzauf nation perl fiinrte; dauen Bcheuhung
ben ebenden Veigling: mit: Satfeuen ‚eflltey Ders —X von
mancher Trcitsgd·dos "Midi chtenũ anabevbani vchava Runge;
Duſce „Batara ;; bed: ri Sieber, Arapolb,bechiihäipte, ; Me
—8* ut, daß der Oerfürkken: ge: nf nach den BT
Horn’8 Erzählungen. X.
’ '
— —
ie ahmeten feine Pue,/ aber ſie Lamen erſt Hinter die Schliche, als ſchon
Saleier dea Gcheimuiſſes von dem Paar im Jorſthauſe wenige
ſtrenge mehr gehalten wurde, und fie wühnten leider, 8 ſei noch
Bit zu einer Warnung und es ſei woch mhglich, den Verſuhrer gu
jieuchen, ehe fein giftiger Hauch ba Sen verpefe, das ex umfreife.
„Eines Tages war Leopold von dem Dberfdeter erfucht werben,
in einem Walbbiftrifte, ber von feinem Haufe brei biß vier Stunben
entfernt lag, das geſchlagene Holz, das berelta von dem boztigen
Forſter aufgeſetzt, fortirt und numerirt war, zu rebibiven, zu feplien
mb ihm dann auch bie ſchriftliche Arbeit abzunehmen. Es war
hort eine bequeme Walbhätte, wo man übernachten Tomte, umb
Leopold übernahm das Geichäft gerne, ba «8 ihm eine bebeutenbe
Sinnahme «bwarf.
„Er nahm früh einen herzlichen Abfchich von ‚feiner gelichten
Kyms, Tüßte fein Kind und ging feinem Berufswerle mach,
„Sehr müde kam er gegen Abenb in feiner Hütte den . Wie
erfiannte. er, anf ſeinem Mooslager einen verfiegeiten Brief von um:
bekaunter Hand zu finden, deſſen Auffchrift am ihn Iautetel
„Haſtig trat.er..vor bie Thüre ber Hütte, brach ihn auf und
Is — las noch einmal. — und inmmer bleicher wurde fein Geſicht,
immer entſteltter feine Bügel
„Eine Weite kant er ſtumm und in feine Gebanden tief ver⸗
funken ba; banı rief er mit eimem entfehlichen Ton aus: Sollte er
wid) beftwegen fo oft von Haufe toegzichen., ber Bermarfene, wm
mir mein Lebensgtäd zu zerſtören?
„Dateuf.fprung er im. bie Hüte, warf feine Doppetünte wen,
bie mit Kugeln gelaben war, feite feine Muͤte auf un war nad
wenigen Angenblicken Im Dickicht bes Waldes berſchwuuben.
- „GBein Blut. kochte. Seme Pulſe ſchlugen heftig. Er donnte
faſt «feine aft bekommen, jo belleenmen war feine. Bruft.:
* „Der Brief rebete nur von bes Oberförfterö Verſuch, fein Weib
zu verführen. Auch Ten Schimmer eine Verdachtes war gegen
en ee ER
8:
*
*
7*
alten Nero!
„Sie wagte eb wicht, mir es zu ſagen, ſprach er zu ſich, wei
fie mich Tennt und vielleicht Auftritte fülrchtee, bie uns nachcheilig
er Feine Ermübung mehr und fepritt im maßlefer Haft drauf zu.
„Es war in ben Tagen bed Februar, in beuen bie Dämme⸗
rung noch immer mit winterficher Schnelle ber Nacht voraneilt.
- Zubem pftff ein fchneidender Oftwind daher, ber faſt jeder Belkei-
bung fpottele. Nach einigen: ſchönen Tagen wer noch einmal eine
Rikte eingetreten, beren SHeftigfeit um fo empfinblicher war, als ber
December und Januar in felbigem Sabre ımverbälinigemäßig milde
fich eingehellt hatten. Da Eomite ſchon ein rüſtiger Jägerämann
eime fchöne. Strede zurüdiegen. Dennoch war es bereits eilf Uhr,
als fich Leopold feiner Wohnung näherte. |
„Er fand einen Augenbiid ſtill und beſann fi, ob ex feine
Kanes weden folle,; bie jedenfalls erſchreden wirbe, da fie ihn nicht
erwartete. Gr hätte wohl können durch ben ‚Knecht eingelaffen
werben unb im zweiten Geſchofſe fich ein Lager ausfſuchen; allen
das zerfiel balb wieber. Agnes wilrbe au Erbe doch erwachen,
dachte er, und was ſollie er jo viel Rumor machen? Veſſer if’,
ich klopfe ihr am Laden! — .
„Er wußte, daß Agnes, wenn er früher abweiend geweſen, den
nerht · inũner im Haufe jchlafen lieh, ba fonft das Befinbe in dem
Mebengebäube fchlief, wo der Backofen und bie Waſchkuche war.
nl babe Ihnen früher gefagt, und Sie Haben es jelber gefehen,
19° .
— mM —
bar hie: Jaaſter ulef: an bar: Erder atiierk, fapibGehipunte, "age
bem rc fich Einige: Augadhlidei ur der Erzaãhlang echolt alte, "the
ihn ·auffallenber Weiſt jehe augeiff. Sonſt Fumkte..en Halle. Tage
Sy Plauein zug" ten weeräbe: sticht das Geringſe, dach ‚un ihm
eblfigte,. une jepl'anbkiiete jene Bruce het mb. ar — ka
unb fchwer.
1... „Ledpeld, fe er ie, fam eklig 8 Dauer müßen, beffen
Mlisffutte ihm zuegavenbei: wir. . BIER. er um bie Ode Img; Tal :eu zu;
feinem Erſtaunen Licht in der Wohnſtube und bie. 2äber ‚were
nicht xcinmul. giſchloſſen, eine Morfict, die Armed ſelbſt daum nicht
mnetlirt/ Werner file pi. Haufe war, und. immer -fie Veoh;
wenn fie.licht. &u bmd.. Dimmer mmuhie : .
Reife: ſchlich er gegen: die Fenſter und ‚blicke in bie Sue.
Mas. er Tab, machte Fre Bet: gramm, Tau: ‚Gear. Aräube,
jeiatnt Heqſchiag finden: <. |
Me tinem: Tuch⸗ unfern dea Ofens, ſaß Sat Oberfürker und
Agnes in aulichtat Nefen. bee Wangen wiühten: und ihr Mh
lachelte zu den zoſtliſterten Worten bei Verworſenen. Mon Beit gi
Zeiu egte er. ſeinen Arm um ihren. Noten, zog: ſie an: fd, und /ain
langem, breunenben: Kufſe weilte Lippe ‚ash Lippe, ann lachten Sie
wieder laut auf, und neue Küfle folgten ſich raſch 8
.n „Eopold ſtund vda bauen wit Mine Wllbfänede. ghm wurde
Be vor den Augen; us. Schauer fehiittelte. ſeinen QArpen⸗
ſein Ange. lite: auf der Oruppe er“ ihunz aber das Blut gig he⸗
nas dem Ropfeı:: Seine Gebanken yerwilbten ſecht
Be a Agues wit. ſchalligem Lachen ſach Dit: Düese
fürers. Arvien entwand, Ting baß Gewehr sewwi Mitden;. ver: Aelika
lag am Baden. Ein Blis, ein Knall und. —— Wgge or. Ya:
fgenettertene Haupte auf dun Bublen. ..: .-
‚Bon mählefem. Entiegen ergrifſen, fbrapg hen; —E
auf und. weilte. intffichen ; aber ei gweiter Blib:. and. Punk, ar
gleitet, wie der erfie, vom Geklingel der zerfplitierten Scheiben des
m —
Yenfera +- und auch Ir Ing; von Tnbeahlei dedoſſen/ ag
am Boben. “
: „berechler Sekt !'oief ich —2 vpn —R Entfegen
ergriffen. "
„ABteherb ſiand auf arnd ing u Sterce Au den ah hinein,
ohne auch nur ein Wort zu reden. Mir.:blich laänger als wine
Viertelſarade aus. Ich blieb. an ber: Eiche, ws wis geſeſſen,
bean Gerharbs Doppelgewehr behnte am Baume, fein Inßgefaps
pelter Hirfchfänger Tag em Boden, one fein Hut er wier
wirber fomımen.
„Ich war son ber Enchlung um ſe mehr und um ehe
erfchuttert, als Gerhard's eigenthümliches Beuehmen mir "ben: Be⸗
danken eingeflößt, daß er jedenfalls in irgend einer Beziehung zu
Leopold ſtehen müfſe. Freilich kanute ich bie Fäden acht, welche
Mer Mi Sunze einiglen und verbauben, allen baß ſie vothanden
ſeien, davon waltete mir Fein Zweifel ob. Daher war ih um fo
gefpannter auf ben’ Sthlaß bet Erzatlunt, der bei Behand Rück⸗
kehr zu erwarten ſtand.
„Endlich ſah ich ihn geſenkten Hanupiet wiederkommen.
„Er ſetzte ſich wieder auf bad trockene Moob und hob nad
einigen Yugenbfigen an weites zu erzählen, obgleich feine Stimmüng
keine andere, feine, gewaltige Aufregung. um Nichts gemilderi
warden war.
„Die Schüffe inmitten ber Nast kennten natürlich nicht un⸗
achhrt an den Deenſiboten poxühergehen, hie Das ehebrecheriſche Paar
mwohlweislich in das Nebengebäude geſchaift hatte.
„Als Knocht und Mägde herbeiftürzten, fiel bes Licht hund
die zerſchmetterten Fenſterſcheiben: uf tin Autliz men dem fie a8
mbehten. Es war ihr · guter. von MAlen ageliebler Vrorherr; aber
dieſes entſetzliche Geſicht, dieſe enpengefirännhten Haze, dieſes todt·
doſheade Nige, dieſe irnbenkläile + meins, sd wer: mu vieh,. 2M
ſchreclich, um nicht auf diefe, wenn auch rohen Naturen, be tiefften
Eindrud zu machen.
' „In diefem Augenblide hörte man buch ben greifen Auffchrei
bes Entſetzens das Wimmern bed Kindes in ber Nebenflube.
„Wie ein elektriſcher Schlag durchfuhr es ben unglädlichen
Vater, als er dieſe Jammertöne ber Waiſe hoͤrte.
„Nehmt Euch meines Kindes getreulich an, ſagte er mit einem
Zone, der wie aus emer Gruft heraus tönte, bis ich wieber ge⸗
ſorgt haben werde. Meine Frau und ben Oberfürfter hab’ ich
tobtgefchoffen. Sie liegen drinmen am Boden; laßt fie liegen, bis
das Gericht kommt. Schnell holt das Kind und traget’8 zu bem
Väter Nömer brunten bei bem Oberforſthauſe, ich gebe veraus
dorthin! —
„Er wambte fi und ging mit raſchen Schritten ben Baih-
weg bin. Etwa eine Biertelftunde fpäter klopfte es an bes Päcter&
Genfer.
„Der Pächter ftanb auf und fragte: Wer tft ba? —
„SG, Römer, fagte Leopold in bumpfem Tone Heute, fuhr
er fort, ift eine fplimme Nacht! Ich bin gewarnt worden burdh
einen Brief, meine Taube vor Geierkrallen zu ſchützen. Der Geier
batte fie ſchon in feinen Krallen. Die Sache war weiter gebiehen,
als der wohlmeinenbe Brieffchreiber dachte. Ich fand die Ehebrecherin
in ben Armen bes Nichtswürbigen und babe Gericht gehalten auf
meine Fauſt und nach dem Geſetzbuche meines Gefühls, Römer!
Ich dab’ fie eben Beide erfchofien!
„Ein gellender Schrei aus den Innen ber Stube, ein Angſt⸗
ruf Römer’3' unterbrach ihn.
„Laß wich veben, Römer, fuhr er fort. Du biſt eine treue
Seele. Dir vermade ich mein Kind, hör du, mein Kinbl Er⸗
8 gutießfürdtig; ba haſt ia keine Kinder und wirft bil fein
etbarmen, auch wenn es Nichts, gar Nichte bat. Siehſt bee,
Römer, auf bem Crbe ber Chebrecherin ruht ber Fiuch. "Meilen,
— 1 —
—E— ——— unechte unb Diägbe bringen es eben; i-
bir’ es weinen!
„Die Lobenlälte fehne Weſens Brit; aber Sei. biefem Tome
Ser Stimme Ins Rinde zuſammen. Gr raufte fein Hear, vang
feine Hande und weinte' Imst.
„Bann ging ex ben entſetzten Knechten und Magden enigegen,
ſah das Kind beim Schein ihrer Laterne un, küßte es, und als das
Kind vor feinen Anblick entſetzt fich abwanbte, ſagte er: Ja, bu
haft Recht, mein Kind, wenn bu dich abwenbefi won dem Baier,
ber bir Alles, Alles raubt! —
„Darauf befahl er: Gebt's dem Pächter fchnell zum Fenſter
‚hinein und Tommt. mit! —
„Sie thaten, was ex befohlen, und als ber Pächter feine
Namen rief, war er ſcha weit im Weld auf dem Rucwege zum |
derſthauſe.
„Die Diener konnten ihm faum folgen.
„Dort angelangt, fagte er: Run laßt baß Bieh aus ben
Stallen und treibet’8 in den Wald; holt Eure Kiften heraus. Ich
brenne bad Hans nieber!
„Gerechter Gott! ſchrieen Knecht und Mägde: Herr, thut das
nicht! —
„Schweigt! bonnerte er ihnen zu. Der Tag darf die Stätte
bes Gluͤckes nicht mehr ſehen, wo der Teufel es zerflörte! Nie ſoll
ein Menſch mehr hier wohnen, denn ber Fluch Gottes ruht auf
ber Stätte, wo Chebruch und Mord verübt wurbe; ——
rucht auf dem ˖ Erbe, daram ſoll mein Kind nichts erben, daß 'eB
vom Fluche frei bleibe.
„Rum aber thut ſchnell, wah ich Euch füge!
„Mit biefen orten trat er zur Scheune, flug Feuer umb
fwdgte einen Bündel Gixrob zu Fichten Flamme m umb. chteuderte
im in bie Strohrerrüthe.
‚al Tbet Die dieume Jo empor und Ti mit gieriger
Bange- tan ·Dache/ Fach⸗ stil. Bablensiesk, 610: Men In: einer Fla⸗
menfäule aufloberte, die ber fcharfe Oſtwind über bau) WB
Mohnheniſes Iegte, amd alfebalb: habon zugehffen.Wianc I :ı -
nt Die Flamme raſſelti; be Valtenuect Trade, U E, |
brüßte; die Hunde heulten. Es war * Mnmt ; ver Futomm
ni gedacht werden konnte.
.Meopold ſtaud wie ein Saanbib da und ie - Pe am: Umi
* einer Eiche, bie weit genug vome Haufe‘ u um *
eu Walbbraud zu vermittela.
„Da ſtürzte der Knecht herzu.
Herr, rief ec, die Leichen liegen noch brinnen
„Laßt fie verbrennen! antwortete in ſeinem fürchterlichen Zome
ber Förſſer. Der Wind ſoll ihre Aſche zerſteeuen, musik es will!
: „Beh war bei letzte Wort, Dub mauevon them hörte,
„Der weit in's Land leuchtende Brand wurde auch is: ku
umliegenden Dörfern gefehte Die Gturmgiodieh heullen jeut im
weiten timkvelfe und es konee nicht wehr lange dauern, bann
Bm Hulfe. i
„Leopold 309 Feine Brieftafge beraus,. nahm son Bleifift zb
ſcheieb.
„Hierauf rief er mit ſeiner mächtigen Stinme Sem RAneape.
„Ste, fagte et, ya Du ein Zeugniß, daß ıvehen DE, noch
ber Magden etwas geſchehen Bune. Ye marte nur merk, bis
Wed. miedergebrant iſt, ſprech ex - wit der Kobenlälte. kam
Berpirileeng, “dan gehe ich, ur. dem Merkitt zu Abelihfene
Sr Habt ein ſchinderhaft Beifwiel, prägt as a. m bie. Sole!
Nun geh’! — Zur. —
„Ach, Herr — beganm ber Kuecht iin, —* er
„Chor! wich Leopold, Met Dr, sich bitte bu MlleBtin ber
Urbereilang igetbem und sollte Mıtı bad. Aifrriblislafikte; arrecaacte
Leben retten? — Yort! Komme mir nicht unit felchen mußten, lahmen
MNacthichlagen! Beh’ + 3 2... u en, alt.
1.2: wor ern nee zitteumbe Quecht ſchlich ! TEE
hinweg und fagte zu ben Mägden, bie janımernb beiſammen Mimnubestz
Er iſt rrMmuig, hei’ 3 vorttageſagt, dat ea Dumen würde,
yanher. vo ‚ ſein Nele ah fire Schmach xrſichre. -
„Das Dach: kind Fecheenk war Inkafitn. An ie Umſefſungs⸗
etkisken zuefgninmeingeiemten. Echenae, Giallungen. unb:itlichentebäube,
uin.008 ol wonren, hatien dem Feuer: is zur: Erbe Nahrung ge⸗
ine: ‚Bei. ihnen wer nut noch ein Werislenmuher. Kalmangn u
haufe ſibrig, alt Lie. Vauern anlaunen.
ze war nithts: mehr gm: retten. Mer gie nenninben gehe
melet. verbreiteten seisten ahtfeiglichen Geruch, hoffen Brand: pie Dieaite
boten ber jchaubernden Menge mitteilten. - -. 2
„Mo kit. hiraghen Die Beute. -
er ai an Ha ihen face, mans 2 —*
—— mi: ..
—— 3.
„Es mochte ungefähr acht ühr bei Morgens ſein, ber det
RNacha folgte , weile Bhugia dieſer Auftritie geweſen war, Als ein
Gase: in ‚das Gentach des Riten ‚tert, beiten. Beige url ba
Tote ...
Aecein Ausbiehen ‚wär iſehuch variubau. verfiäet: Sein
Scfiät war todibleich; ine Amgen faben krlbe ab tler au
kisjen „öhlers : feine Atleider Sisagese in gepenn en Ihn, win Zeichen,
baß er ben Weg nicht eingehalten hatte, (msabaın wu Wald ib
Meftüppe gerabemun .gegmgen war.
„Als der Richter von feiner Arte. miich, zaheree erden
Anblic Juri ımsb nie: Hert Yöufen, was: iſt pam Degehuet ?
vi: „Feagen Sie ee, Her Richter, ſagte der Mannze feingen
Sie, was ich gethan habe, jo werderich Autworten. Soitn Sieqo
ilig;, zur Ader ·zu gerifta ad babe AIhnen iae:ſcuve Sqquld zu
Proteboll zu geben, einen Deppeimorb umb 'elur: wopöäberlegte
Drombflifiung.
„am Gotteswillen, xief ber Richter, And Ele Ki Sim
„So gewiß, als Gie e3 in biefem Wugewblidde find. - belanben
Se, bei ich mich feel So! Nun ſchrekben Sie!
- „Mit einer Ruhe, wele ben Michter weit Endfepen erfüllte,
berichtete nun ber beiammernswertie Maut Alles, was ich Ihnen
erzählt habe, ſagte Gerhard. Der Richter war jo ergriffen, dah ex
faum das Ausſage⸗ und Selbflanflage-Protokoli rrieberfchreiben Tosınte,
„Endlich war es vollendet... Leopold wmterjchrich es mit fehler
Sand, legte dann ZJagbmeffer und Gewchr ab und ſagte: Laſſen
Sie mi nun in ben Kerker abführen! - '
„Unglüdfeliger Mann! rief ber menſchlich fühlende Richter aus,
wa haben Sie gethan! Ich muß Sie zur Haft bringen lafſen.
„Ich will e8, fagte Leopold. D ber Tob iſt mir willkonnuenl
„Er wurde in's Gefängniß gebracht.
„Sie mögen ſich's denken, Herr Möll, was das ein Auffehen
in der Gegend machte! Wie die Leute alle wie unter einem Banne
bes nefſten Eutfetzens gehalten waren.
‚mer Xhatbeitanb wurde erhoben; bie Dienſtboten vernommen,
der Brief gefunden in ber Brieftafche, welche Leopold dem Kucchte
gegeben, ohne daß man aber ben Schreiber ermitteln konnte.
. 7 „Dee verbredherifche Umgang bed Oberförfiers mit Leopolda
Frau unterlag auch nicht mehr dem leiſeſten Zweifel,
„So konnte ber Prozeß beginnen, ber aber ben ſclopenten
Gang unſeres Gerichtaverfahrenß ging.
„Der Urtheilsſpruch konnte indeſſen Niemamden abertaqen,
er lausete auf Tod burch daßs Beil!
„Den Lanbeiheren, der Leopold fo lieb gehabt, ergriff das Er⸗
eigmiß außerorbentlich. Als ihm ber Urtheilsſpruch vorgelegt wurde,
hatte ex Thränen in ben Augen.
„Das Gericht ſelbu halle in ben Motiven. de Spruchs umb
im einer befonderen Deulſchrift den ——— ber Gnabe bes
Furſten empfohlen.
„Cr freb wit zitteender and Banker „Ba genug Jahren
Heft: begnabigt.”
„Ach, Ihr Menſchen, wie feib Ye ungnädig mit Emerer
Gnade! rief Leopold aus, als ihm die Begunbigungs - Eenteng
mitgetheilt wurbe,
„Man brachte in in ba hochgelegene Burghaus, welches als
Gefaͤngniß diente. Der Fürſt ſchrieb eigenhäͤndig am ben Director,
daß er ihn mit aller Milde und Schonung behanbein ſolle.
“Bas gefchah in ausgedehnten Mae.
„Stile ſaß er da; file ging er umher. Wit Niemanden
ſprach er, als mit dem würbigen @eiftlichen der Anftalt; aber an
feinem innerkten Marke wagte ber Tob.
„Schon wach eimen Sabre brach das arme, ſchwerbelaftete
Pen umter feiner Bürbe.
„Gerhard ſchwieg. Es war fein Auge feucht geworden, wie
„Range Zeit” faßen wir fille da und blidten in bab Gpiel ber
Wellen, bie von ber Quelle über dad Geſtein hinebhapften in eine
Bebeutenbe Tiefe.
„Endlich fagte ich: Wie mag bie Nachricht auf bie akten
Gltern ber Agnes gewirkt haben?
„Der Water Ichte nur noch; bie Mutter war ſchon früher
geſterben; aber bas Schichſſal, bas ex erleben murhte, bie Schmach —
kurz Alles, was auf ein ehrlich Vaterherz ba mit Einem einſchlug,
beach des Greiſes :Lebenäfraft uud. Er ſtarb etwa vier Wochen
- nad dem ſchredlichen Ereigniß am Herzſchlage.
„Und der Paͤchter? fragte ich.
„se, ja, ſagte Serhard, ba meint ber Wenſch eiwas Gute ..
zu thun, und es wird zum Urthell, zum Verderben! Der cheliche
"Mann wußte nicht, wie weit das verbrecheriſche Werhiitnih der |
Bug Beni weit: Und aihtinkichigen TOR füchesnichen derichen
war. Er und feine brave rau konnten es ſich mid ib mir
berslee , bacis had :amıjcheisemats „40: ‚Amüne; Müei den Minh ber Pflicht
und ber Ehre, der Gottesfurcht und Tugend verlaffet: Meute. "Sie
mein warnen ans: treuem Gerzen, und iheei'gute Abſicht ſchlug
um: uind wurhe ber Grub fe: entfetzlicher aten. Bin Earcn
Sie es ſich wohl denken, daß die guten Nenſchen rs kai u
Saren steheneıl. FU
„Ser::erme Römer fung feitbesh. "0 clan um Ab, da er
ohnehin ein Tdgeetscher Dia wi, fe: wutzyäte ſich ein Nebel ſeſt,
das nad) umb nad, in eime: Belag tusdaztete, welcher er nach einer
Iria von. kaum einemt halben oder bueiviertel Jahren ering. -
„Selse Yyrau, die din zartes Gemilth Hatte eb fich ſete
Vorwürfe machte, an dem Wiglüche fMidbin; zer ſein, wurde is
Witenen Zahren;.mahrkpeinkih in Folge dieſer Gewiliensbi@würte,
tieffinnig und flarb in einem Landes⸗ Srrenhunfe und eiwer Reihe
vom
„Aber das Kind? das Kind? fragte ich haſig, Ro mr
einfiel, ich Suche mach iben micht geſtagt.
Merhard Seh mich Lange forſchenb Gt, nis. wollte er im
meiner Seele leſen, was mich zu biefer Frage. bewege. ash
Haperem Schweigen jagte au: Run, bie Nichtersleute mahmen es
aufz aber Sie fehen es gewiß ein, .naß das arme @nlblehn uster
den obtweßienbes. Umſtünden ‚nicht vei ihnen Weiber: Tonnte.
rc For re Tan, daß Ara hr ſich ine rc
Leopoiba. Nind erfunbigie web nun wiss heim "Oibenfünfter, welchet
be laandlichor Benfchen m — We, ie 2 vu a
Kind ftanb.
„Noch hatte ber eble Sürf, ben. om allg Bein, ber
m. Do Sven - gäkieut. unb. ein fm. ſchrecluchas Scqhicqial wehrt hatte.
Wiidar ein [dieser Zug feines Horrnandaſt te ſich des verwaiſten
Sind. anınkur. Srer Olerforſux· war Hertu Dimnifeldin.äächwieget:
ular, welkhentgier bamasiäcucr aumberemsüäube :Butı Landear chen erfi
in's Leben hineingeblidt hatte. Desülberkääiiuer uhr: win. Iyarig
‚juugtie Raum wub Fame ragneisikl Coge ſecher sähe nahren ben
Binabeei ;y, ſich un; ergagenichat ötte :Wec Br) zahach
die Aoſten foseı Bde, hasde:igoriimarme merden tuslle. ': :72
:. OB tee Schoietvciat Mark; rag. ber. Sindkersölent
zwanzig Jahre alt und ber Fürſt nahnmihrn mil Beibjäger zu ſich;
Hehte nn. lieh nad. xwirge ih el BE. Der alte Beer. aber
IMig ıniidgt:iänehe:' Iciege, ma ala or flat uk der: Vecbocin; vie
Bugierung em, ‚solites cu Ouer iinfher werben, allein dieſer Tel
ns. Beauf ‚undiiy Gerumerungas . ber Tehmeerzliniien Mt in Mar
Er Hehllin ihn⸗ ad; ur woiſte nd mahr je) als⸗ jet
Vater geweſen war. BE u | BL eV Be
„Dermühlt hat —R Zr
„Melk umllte die Mücke auch in A Henen keinen, aber
e..bakte den Beim mit fischer Haud herausgerifſen, weil’ tn ſeines
Vatera Schictfal keinen Glaube an Seibertreue gewinnen⸗lich. I
„So weit hatte Gerhard mit tiefer Bewegung erzähls, als er
auf zum Himmel blidte und ausrief: Wir verplaubern die fchönften
Tagesflunden! Kommen Sie, unfer Beruf beifcht unfer Aufbrechen!
„Wir brachen auf und wanderten an bem _zerfallenen Forſt⸗
baufe vorüber. Aus Gerbarb’3 Seele rang fih ein Seufzer, und
mich durchrieſelte es eiskalt. Ich kam fpät nach Haufe. Der
Oberförfter Moosfeld erwartete mich im Familienzimmer.
„Er fragte nach ben forſtlichen Beziehungen, bie ung heute
befchäftigt hatten, und ich veferirte genau; allein er- fah mir's an,
baß ich nicht fo heiter war als ſonſt.
„Iſt Ihnen was begegnet, lieber Wilhelm? fragte er — ober
find Sie unwohl?
„Keind vpn beiden, fagte ih. Es bat mich etwas Anderes
trübe geflimmt und id kann ben Kreiß von Bhrftellungen nicht
‚ verlafjen; ich bin wie bineingebannt |
— m —
nDaef hi; midht tmifen, mab.bab. ward fungie mil guober
erzählt, anbe Micie cken has
tiefeingebensbe Weiſe ergriffen das, daß ‚bp bie Begebenheiten fo bald
„Das glaube ig Zoran gerne, fügte Moosfeld; es iſt eine
ettfegenertegenbe. Geſchichte; aber daß Gerhard fie Ihnen erzahlt
bet, dad mag Ihnen. ben Bercis liefern, dah er Ihnen eine wahr⸗
haft vaterliche Liebe zugewendet hat, beum jebe Erimerung daran
iſt ein Stich in ſein Herz, Sie wiſſen doch, daß es bie Geſchichte
ſeines Vaters und feiner Mutter iſt?
„Gerechter Gott! rief ich aus, Daß ahnte uiir manchmel.
„da, ja, fegte ber Oberfürfes, er iR ber unglückliche vater-
unb mutterlofe Knabe und er war : ber Wflegebruber meiner
feligen Srau. Run Lönnar Sie ed fi denlen, warum er wir fo
werth. iſt.“
\
Was mir einmal der Todtengräber erzählte.
Der, weldjer biefe Zeilen ſchreilt, bie nur als Ginkeitung zu
bem, was bee Tobtengnäber erzählte, dienen, hatte von mütterlicher
‘Geile einen Großeheim, ber. ein fehr hohes Alter erreichte und
nahe bis an das Enbe bes vorigen Jahrhunderts lebte. Er felber
bet dieſen Großoheim nicht mehr mit leiblichen Augen geſchen,
dem er war, als ich geboren wurde, was nebenbei: bemerkt 1798
geſchah, ſchon lange zu feinem Frieden eingegangen; aber vor bie
Augen bed Geiſies trat er oft. Gelten verging ein Tag im elter⸗
lichen Haufe, dah nicht. in Scherz ober Ernſt bed Oheims Worte
herbeigezogen 'wurben. „So bat ber Oheim Martin gefagt!” hieß
5 dann regelmäßig, und alle dieſe Aufaſprüche hatten eine fo Pernige
Kürge, eine fo frifche Lebenswahrheit und eine fo hausbackene, üchte
gefunbe Lebenstweisheit, daß Oheim Martin in meinen: Denken
eine Geſtalt gewann, wozu freilich auch ein Bild beitrug, bas fehr
ähnlich fol gewefen fein. Später hab’ ich das Bild mit fchärfer
prüfenbem Blide betrachtet; hab' mir von Vater und Mutter vom
Dem Martin Died und Das erzählen laffen unb glaube ihn nun
zu. Innen.
Nach biefen Grjäßlungen ſtellte eb fi Hin, daß Oheim Markise
eine geunbgutmiltbige Natur geweſen if, aber babei ein eig’ner
Kaut oder was man im gemeinen Leben ‘einen „Tuxtofen- Heiligen‘
nennt. . Bermäblt ift er nicht geweien; ein Amt bat er nie ange
namaenen, obgleich unmusgelehte Stubien und eine außergewöhnliche
— m —
Bildung ihn bazu wohl mochten befähigt haben. Gin anſehnliches
Vermögen machte ihn unabhängig. „Was foll ich mir filberne ober
goldene Ketten ſchmieden,“ fagte er, „die mich dennoch fefſeln, auch
wenn fie nicht aus gemeinem Metalle gemacht find?
Ehen dieſe Stellung ſetzte Mon i in ‚Stanb,. et Sit
Hadiein "Fl —— ige — Door 5 —*
ſehnliche Pflanzenſammlung; großmächtige aiſten und — voll
Mineralien und Verſteinerungen, und eine reiche Bibliothek, die
zwar vorzugsweiſe die Naturwiſſenſchaften, aber dann doch auch
jaſt alle Iweige geifligen: Regens und Strebens umfaßte.
erſten Mai jedes Jahres, mochte Bas. Wetter: ſein, wir es woſee
nahm ex feinen Beberramgen und ſeinen Hammeteſtock und wandech
aus.’ Wohin P. das wußte er oft noch ſelbſt nicht. Er weit ven
October behrte er helia. Mittlerweile Jane feirmeie Kiſten Sei
melnen Eltern an. Das waren bie. Zehen ſeines LAcbens und
Mumns. Gie blieben unberührt, bis eu. jelbſt ihre Siegel löſte.
Daß ich aber ben Oheim Martin nech. micht nach allen fake
Ceiten kanute, bad wurde nur erſt Mar, als ich einft in be Jerlen
wieder ’mal meinen Vater auf kerw Spägiergange und, ihm fragte.
Er erzählte manche Ghefchichte von ihen, die ‚ich. theils ſchen
Sanmte, theils zum eriien ‘Male hörte. Er war ’uak ber Begeufauk
mämer befsabeuen. Theiltuahme und, ich .‚harf Jagen, emeiriex Yuulichz,
„ber was bat er dewme.iin ber Zeu, wo. Bd Zu
getrieben?” fragte ich dem Bater.. .
. „Bas weiß: ih" ſagte we: „Mu: weiu, mein Amt jenhert
meine ungetheilte Thätigkeit. Ich habe, da ohnchĩn feine, Liebhabe⸗
reien bie meinigen nicht waren, mich nicht viel um fein -Muetbeg
bedümmmern Fünmen, ob mir gleich und herzich liebgen and: ale ein
uweevgohreneß Wort wechfelten. Alle feine Dr mmicuints fan: Iron
auf bw Speichen, in. einem. zugenngelten Ballen. : Ich: dachte, ba
hörte Dar :ingk uusfpienirt und durchſtöbert, da Deu. nınalicheg
helm Martin Dein bejendeven Mchlingafiueiem zu fein Tehelıks
I
4
⁊
— — — — — —
=
*
— BB —
dh ße ersfert, Zub rich ‚in · den Moflor gaudt; ls ch
aber wahrnahm, daß faſt alle Päcke mit dem micht archinetihchen
Titel: „Varia“ begaht find, ba graute mir's vor, bem Chaot, u und
ich lich es ımben”
2 kenne wohl micht weft :zu-fagen, daß ich, Lauun vom
paergange zerädgeleget, mit Hammer und Zange⸗ bewaſnet, zen
„5 peicher jean ıfeg. Ber ‘Dodel wich meiner -dagetfiihen digaft
zIchnell sub; bald Leg ‚ein enilich großer Aaſten · voli Manuſetipten
wer ir. Wa "finmb auf etlichen: Mineralogiſches, auf anderen:
Botanifches. Etliche trugen allerbdings ie Ueberfchrift, die metinen
Mater abgeſchreckt hatte,
men Folken Park nahm -ich «heran, ſchloß den Kaften wieder
aothbürflig ıumb seikte ‚auf meine Stube. WEB Lu ıbie ‚umflkeienbe
:Werhel stähte, ıfitlen seine Menge Wiätter heraus, ' bie Mebitte: ent⸗
.ıhidten. ‚Alte auch eine poetijche Mater * ıcief ich. „SO, warum
mab ich Dich micht gelannt, guter Oheim MartinEe waren
acerdings dem Geſthmode feiner-Zeit, aber voll Niefe amd Inmiglen.
:98 waren Sawren, Epißeln, Spigranune, Mtiolekte; ach Ase-
fegungen Horazifcher Oden und aus ber griedifegen -Arkhologie.
7 Meine Mchtung und. Liebe für ben ſeltenewn Mann wuchs mit jebem
Meier, 1ba3 ich Tod. Auch Fahne "Reifeingelsicher lLagen ba, woll
‚Imtereffauster Dinge. "Da (fand “ich herrliche Brgikfie Seiner Sccie;
Mn fhlungen wvon :@riehniffen, bie mich ganz eſſelten. Manches
‚Jegte ix ꝛmir bei Seite davon.
Run find mehr als dvri Oecennien dahingegangen im /· vaſchen
Mircſluthen ber :Seit und ed Beben. An / den Oroßoheim Martin
abe ul fehlen ‚mehr -pebuaht -uumer dem tgluͤcelſchiage und Lem
uniiben 'Gihikomeen der Zeit. Erſt vor wenigen Tagen fisl miro die
Mappe in bie Hand, worin -feiwe Blätter legen und ba. ftumi
Senn in feinen Tagebuche bie nachfolgende Wefdhichte swieber vor
‚bie Augen :gtinnwmen. Fch laß fie amd glaube, ſie iſt werih, ıbaß
ich fie mittheile. Ich gebe !fie «mit. genigenhonen Dreue, ‚wie fie
Hon's Erzählungen. X.
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bon feiner fihönen, fee Hand nicergefärien worden "iM Die
CEtathiung Tantet-fo:
„Was mir einmal der Tobtengräber erzählte”
‚in einem Dorfe bed Thüringer Waldes, mag in meinem Xegebuch
eine Stelle finden. Will's nicht Hehl haben, daß mich bie @e-
‚fehlte tief bewegt hat. Warm doch? — warum Flingen Ieife die
‚Saiten eines Inſtruments, wern im feiner Nähe ein ähnliches ges
ſpielt wird? — Warum treten Thränen in unfer Auge, wem wir
fie in einem amberen glängen jehen? —
Tief in ber Menfchenbruft werben Erinnerungen, bie lange,
‚lange fchliefen, lebeubig, wenn die Züge eines Angeſichts, wenn bie
Wehulichleit einer Gegend, wenn die Greigniffe eine anderen Lebens
. fie wecken ober wenn eine Erzählung unbemußt ähnliche Begeben⸗
‚beiten berührt. Warum foll ich Hier Rechenſchaft geben. von bem
tiefen Grunde jener Erregung? — Der Tobtöngräber hat's wit
geahnet, wozu ſollen's Die wiſſen, bie vielleicht - einmal dieſe
Blätter fehen und Iefen, wenn mein Staub Yängft vom Winde ver:
weht iſt? — —
Thüringen iſt ein herliches Berg⸗ und Waldland; aber. feine
- Üppigen Thäler, feine reichen, fruchtbaren Ebenen find richt weisber
. veigend. Alles iſt ba noch frifch, jung, naturwüchfig. Dan meint,
bie graße Heerſtraße der Welt führte ba weitab vorüber unb das
Wenſchenvolk aus ben Städten mit feinen gepuberten Perrüden,
Affenſchwänzen (Obeim Martin ment ohne Zweifel damit bie
Zöpfe — bie noch feine Zeitgenoffet waren), Narrheiten, fleifem
- Gefchraubtfein und feiner Schlechtigkit — hätte bieß Land und
Bolt noch nicht beſucht. Tröſte Dich baräber, Thüringen, Laub
und Boll, Du verlierfi nichts und gewinnſt viel dabei. Die Cultur,
wie fie ihre Unnatur nennen, leckt allen Schul; weg, und waß
übrig bleibt, fieht aus, wie ein Geſicht außficht am anderen Morgen,
das am Abend vorher tofig geſchmintt war.
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DO au - 7 .
. Bin gehen br :bieB Dozi gefonumgen, Weine Loge iſt zu Ihäg,
als daß ich wicht da hätte Luft kriegen ſollen, u verweilen, und -
wanbesmübe bin ich auch.
G iR eines jener :jeftig grümen Schäfer, durch welches ein
Bevwgbach Altes Hüpf. Wieſen von einem Grün, daB fhöner _
"=. bt gedacht werben Zaun, ſäumen ben Bach unb wohlbeſtellte
Saatfelder reihen fi voran bis zum Dorfe Bin, befien Häufer
ası ber Anhöhe lehnen, auf ber bie Kirche ficht. Ringsum ſchließen
babe, dunkel⸗ bewaldete Berge das Thal ein, umb gerade gegen dem
Dorf Über ruht auf einer wilpen Zeläkuppe eine Burgruine,
Es ruht ein unausſprechlicher Friede über dem Thal. Eine:
Menge Nochtigallen, Finken und Droſſeln jubiliren in Vuſch und
Wald, und löſen einander in der Tageszeit ab.
- . Baum ſah ich geilen dies Dorf, deſſen Häuſer auch fo etwas
Metus, Anſprechendes haben, fg ſtand auch mein Entichluß feſt,
hier eanmal einige Wochen auszuruhen. Bin ja uch ſeit vier
Wochen viel berumgeflettert und gekrochen in ben Bergen. Will
‚mir. mwine Sachen hierher bringen laſſen und fie ordnen. Dann
hab' ich Wrbeit und ruhe doch leiblich aus. Gott weiß es, wie es
Sommt. Seit ich bie vierte Zehn zurücgelegt habe, Tan ich nicht
‚mehr jo viel ertragen, wie früher. Do käme doch das Alter
frühel — Vierzig iſt Stilleſtand, ſagen die Leute. Ob das richtig?
In dem Dorfwirthshauſe fand ich Das, was ich vorab ſuche:
Meinlichkeit. Man meint, die Leute ſtammten aus Holland. Alles
wie geblafen! Ein Leckermaul bin ich nicht, werbe alfo mich zurecht:
finden! Die Leute find zuvorkommend und hofich und das iſt auch
etwas werth. —
Hoie bin ich auf bie Höhe gegangen, wo bie Kirche ſteht.
Die Ansficht iſt köſtlich, wenn auch befchränft. Wär’ ich ein Maler,
das gühe ein Landſchaftsbild; bie Kicche iſt eine- ber älteſten des
Landes. Maſſive Mauern; kleine Fenſter im Rundbogenſtyl; ein
Thurm, deſſen Spitze gemauert iſt; oben ruf das friedliche
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SOpihnef. ben der Ange, lands - I Shan Botiehuußer Zinein⸗
wüdt, Mt 'chte Abe, Wie ifichetui fo alt iſt mie bie Mirthe
Krone und Gipfel find vom Sturme ‚yelnidtz nißer Aee Meſte
Mpeiten fi weit aaus ncd bieten Sqhauui Maneineint, Fe redie
fegriend Ahre Wenie Jüber Ste Dräber aun. Me. grüett woch Amameer,
Re N le ganz Hohl riet und weit genug, daß ananı daria
ihre Wohmung axfſchlagen Bunte.
"War iſehr hat EB mich -umgemutget, daß >ble Geaber :fo »fchäm
gepflegt find. Es ſt kein's, af dem nitgtWlinnen linken nee
"dem ſchlichten Rreuze. Nur 'Avei wegen ohne Vlumen. Ein drities
Mareben über eig ln! Baumlein von Weißen Ade ſennund vrum herum
Alten Prinz Tuch ⸗relchbluhenbden· Monattvſen. Der, wicher: da ruht
oder Die — muß viel LAbe weidient haben!
Iſh Mad eben fo Tan ben? hohlen Biumm ider uralten. £inde -
geiehm und daichte: Über Das’ tg, was ich wer auir!fih, als jtc
aus Helen feifeen "Grabe der rſchetwehe Kopf ves alten Mobten-
giabers ietheb amd mich grüßie.
ein Es danum zu "lan iſt, haste ıgührenke, wire. mal
ſchauerliche Seſchichne zu Yören, hbem Tann mom nur den Aobten⸗
Igeäber 'ertpfehlen, wenn !er alt iſt. Solchhe Leute "Find Ehe Ichewiige
Cheonikfür Die, welchen fie die Tote Naheſtüutte bereitet, mb
venen !fie sen Hügel: Aberꝰ dem Hergm'wlkten, bas gelämpft ib
geringen, Telten geſtegt Hat, 'fo Banye:'28 Tebte,
Ich war Amber ein Freumd iſolcher Defchichten, und iſezt, Sao
es mir eben ſo far Rue war, daß "Ah gerne der Mit etwa
gehört, bot ſich mir ie reice honegrabe dar. Sqhowat, kanen
Gruß erwiedernd, zu ihm.
Das Lob, welches ich der Ordmung ur "cur bes
Vottesackers wohlverdient ſpendete, gewann nic des ESteifes Wohl⸗
wollen. Kam ja edoch natarlicher Welſe "viel davon wuf feine
Rechnung. “
‚Sein Wrab war ifertig. "Die State hatte ton üer cas
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FEB" —
. Nefen: egende Darf ˖ Ihren Iassnen Moden) el Jah
den Teierabend geboten. Die Sonne ging hinter. den Bergen gen
Rüße Die Bluͤthen ber, umalten. Linde hauchten fühen Duft. Der
} Wendwind z0g, flüſternd burch, ihre. ausgebreiteten Aeſte. Nachtigallen
und, Draffeln ließen ihre, Melobien. erklingen. |
Der Alte flieg: aus dem Grabe. herauf: Win giagen: bich zur
Lueche mit: einander, wo eine Steinbauk zur. Ruthe einlud.
I „Ihr jeib müde, Vater,“ fagte ih. „Wolt- Ihr nicht noch
‚dan Stimdchen bier ausruhen? Win plauderm dann eis Mischen
mit. cinqnan:
| „Ben {ben Seren. niit gawh, fügte er Gelben; „fr
| nehm’ ich das gerne an. Die alten Knochen, die nun: fehen flinf =
Ä mir fübengig Jahre aufgehalten haben, wollen: doch, nicht mehr
wu -
„av habr wohl die⸗ Meiflen, die hier ſchlafen, petſonlich
getarnt?" feagter ich der Vodbengräer:, um: ein Gefpruch einzu⸗
„Allerdiugs,“ verſetzte er; „ich bereite ben’ Leuten ſeit mehr
algs fünfzig Jahren bie Ruheſtätten. Manches mübe Haupt habe
ich da zur Ruhe gelegt; manches ſtürmiſch ſchlagende Herz zugedeckt;
manchen; Summer zur Ruhe gebwirhb, aber ach nanche gefnidte
Blume. Nichen Gott,“ fahr en; fort, „eh wird: Ginem -ims. Amt
ft ſchwer⸗, und es follie ein Kostengräben eigentlich kein Herz
Imiben,. er wäre beſſer bram:. — Yufı nannicheh: Grab,’ fuhr er ud
einem Bungeron: Shen: voleber fort, „hebe ti Vlumen gepflanzt/
men. ea ſie verbiente und: wenn Feine, Hekewelle: Hard: ed, ine oder,
zu thum da wer, Van liegt Cine,’ fngie er mitt wehmüthigen
Anadanch, der haben ich Kb waiße Roſenbhimchen gepflanzz ine '
unbelanute — vielleicht unbelannte: Hemd fette: an den Krant
wem, Mnattoſen drum: herum, und: ide Pitge das Gh wit:
Gergfali«” R
#6
— Di iR — — ⸗
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- 50 — _
„Aber warum haben bie beiden mädhfien Gräber feinen Giga?”
fragte iq.
„Beil fie ihn nicht verbienten, Herr!” ermwieberte er raſch.
„Weil fie an dem Tode ber ımter Blumen ruhenden Blume bie
Urfadge waren! Doch ich fehe ſchon,“ fuhr er fort, „ich werde
Jumen bie Geſchichte erzählen mäfjen; obgleich es eine einfache Ge⸗
ſchichte iR, wie fie ſich leider gar oft wieberhoft in der Welt; aber
zum Seren vebet fie doch.“ —
DE Sonne war tiefer hinabgeſunlen. Der Himmel glühle im
Purpur umb Gold. Im Dorfe war's tobiflille geworben. Ueber
ben Thale lag eine eigene Stimmung, bie nicht verfehlie , meine
Seele zu ergreifen.
„28 fins jet zwölf Jahre ber; be daß ich bie beei Gräber
grub” begann ber greife Tobtengräber; „allein fo oft bie Gemelsbe
fich bier um ein Grab verfammelt, ruben- bie Blicke vieler Lente
mit großer Theilnahme auf den drei Gräbern, und doch treien fie
nur an das eine, an das nämlich, das mit Rofen bepflanzt ift, umb
beten leife. Die Stelle neben vemieiben iR beftellt — aber bie Zeit
iſt um.’ —
„Wie ſo?“ fragte ich.
- „hören Sie erſt bie Geſchichte!“ Tagte ber te, mein Ber
langen zur Gebuld verweifend. „Es kann Ihnen wohl Emnm,
wenn Sie in das Dorf Hereingingen, das große, ſchoͤne Bauernhaus
entgangen fein, welches links vom Eingange liegt. Es ift das
größte und ſchonſte Haus im Dorfe. Hof und Scheune, Stalımgen
mb Scheppen, Altes iR prächtig und neu. Die Mauern fehliehen
„es fammt Garten und Hofraum ein. In bem Haufe wohnte ber
reichſte Bauer unfereß Dorfeß, ber alte Riedel mit feiner Fran und
feinem Sohn, und bie Waiſe einer armen, entfernten Bettomtbien
war jet etwa wier Jahren in’s Haus gefonmen, um bus Guaden⸗
d zu efien und bie alte NRiebelin in ihrem fchweren Hausweſen
RS
ing Begiisen bei: Befintes. zu. nmiechgen: DaB Wendentrod
iR cin van und Biker Gobide
„Der Riebel und feine Frau waren ftolze Beute, Sir beiten‘
Ä Alles. im Ueberfinf. Ihre. Ernten waren reich; ihr Blehſtand zahl⸗
reich, - Kein Unglück ſuchte fie heim. Gelb genug gibt Truth ger
| —* oft mehr, als gut iſt, nämlich NUebermuth. Das Mäbeien-
Zu mußte tlichtig arbeiten und wutbe wenig bekchtet. '
„Werl, ſagte der te zu feinem Sohn, id wii Alles man
. bauen-unb zugleich mir eine Aufenthalts⸗Wohnung bauen ins Haufe:
f Dann Übergebe ich ‚bir Alles. Du farmfl bamm hetcathen un ich
>... ie drieden leben. ' |
! „Daßs Erſte geſchah. Wie fh mb endinäßig cr Ab
nen, baute, Tönnen. Sie ſelbſt ſehen. Als nun Alles fertig-wear,
tr’ an bie Deirmiß; Banks, :unb da gab‘S dem Händel, bie ben.
Fricden ber Kamille helles ſtörten. Die Altern hingen an ihrem:
Reichthaume wit ganzer Seele Daß ihr Sohn nut ——
heirathen würde, hielten fie für längſt ausgemacht; denn zu den
0 Gedanken Tamen fie gar nicht, daß Paul aus ber Art: fchlagen und -
.” eine Arme freien Tünmte: Paul war intbefien ein ſeltſamer Busfich,,
| MDas kann ich Ihnen fagen, lieber Herr, ein fchönerer als er lebte
nicht im Thüringer Walde. Wenn ich hinzuſetze, kein braverer, ges
fitteterer, fo Hab’ ich nur gefagt, was wahr und aller Welt Bekannt
wer. Wenn er hätte freien wollen, fo war ihm keine Xhüre ver⸗
f@lofien weit und breit, denn Riedel’ Wohlftand war im Laub,
“Dberall bekannt und ber Nuf feines braven — die Mäbchen ſetzten
Dinge: feine bißbichbnen Sohnes wicht minder; aber es war eine.
abfonderliche Sache, daß er beinem Madchen vorzugeweife freundlicho
und Heid geweſen war bisher, weber einer aus dem Det, md
ven beaufen ber. —
„MB bie Nachenten fertig waren, fagte ber Be ie
„Rum hab ich's doch ben Penil beſat, ex ſolle ſich nach tiner. .
—
m —
zw ifenchaienknc: Tram sünfehen’;ı alter deut Vak ball. enx iz
macht feine Anfalten. Ich werde ihm Per: aha. . ei
Insiofet Bar.
BoaB: Wk ui ben. old: Me Bien Rn uiid: zueihe
Gründe Efienb: war best Panb linet were: Tichem,. dier ſich be — -
Jre⸗ firters-Iöflen.. Mega war en: zu flbfiftäntig merbramifeft:- Vigsbe
wenn ihm das gefrektei Wehbeem: witklich gefallen: Hidte,. tulicber er
ſie; nicht genonmen habeni: Ich meinej, danutt hattu ar Rocht gehabt.
Galle: goamqte Geisdhert! tamyett: im; ber: Regek wicjtb. geate fie
do nicht ba Geige zum: Herzen gefunden von ſelbſd, ober Bafı ich
es richtiger fage: bat fie Gott nicht zuſammengefhet: im vechter
aber. {0 gibte danen Ciaklaug, und seiner veiche Grfehrumg ſagt's,
daqh · alli das cheliche Ungluch und / Suipeigebifte,: das beirtlestten: baute:
Sehen; zur Hoelle mache, aus / ſolchen Freitteien Tiaımt). bie Gigerttunip!
ober: Ehrgeiz geriicht hak So iftial --- Din: zubkter Bumabı allen:
war ba Basıli Eine fi im Serge trutz und mon She vw: Heczen
gewwagen: wurde. Daſ ahnete aber Niemand.
. ug habis vorhin etwühnt, daßt ſeit etwa wien: bis! Fünf
Jahreni die, nachgelaffener Tochter einer entferaen Destenkıbter,. bie:
als) Wittwel geſtorbetij im: Richel 3 Haus gelommun War. unbe. darisn
ide Sticken! Guadenbrod aß / ob fie‘ es gleich mehr. ald vorbiente
„Sie! Bikes Irmgard ober Irmel, wie ſie: den Nmen bien: zw
Bombe vabebrechen. Als ihre Mutter ſtarb, tour: Srmich: fößenzeine:
Jahre alt, unb eine friſchtrblithee: Mode: iſt niit; Tchilener;, als Zenick
wat: Herb, utifeni Dorf warn. folg.auf dies Welbegen),ain fir geil -
” aa mau. wie Sieb. Mikes war: groß; ſchlunb,, wid dat Kasisie,; und
bar von jegenblichen. Yıllle: unde Fetſche. Jedet Bewchung Biet
[hören Exfiklt war aumuthig, leicht, Und dech ‚voller Melaub:
Ahr Sarg war ein Schweben, fo leicht war er. En Meſchchen.
wie: Mich ih Blut; große, wunderbar, olistgenbe, bike NXugen;
ein blonbes Haar, daB der Kamm faft nicht halten Fonnte, unbrehr
ae er ſprach, bad Jeben/:eatʒdte das lieh: machte
—— Anke u
—XRX
„Piste. ſagen⸗ Sie eiumial, Town Maul, bliud. ſein arapar foeviel.
Geönpeit % — Lad a: fah, feckmme.in Are. fin, Heike _
llebreiguben: Zifem: .
v PN. dem Vorpugen⸗ ber aibes geilen A, bie, den Seele,
Sie mar fü-bemeitthäg, fe: zuruͤchhaltend, fo beſchriden, wie ich, Fehr:
Mabdqhen janala beobachtet: habe, . Eime. reift’ aufrichtige Frömmig⸗
WR erfnalle ihr a Sie hatten fie. in, der Kirche: fehem: müſſee
um_bavon überzeugt zu werben. Und im Hanſe war fie bie Thatigee
Tut feofk,. Mollie bie: alte: Riedelin eine: Arbeit: thuu fo hatte fie
enuveder Irmel ſchan gelham,, oder fie nahm⸗ fis.iht. raſch, ans. der
Yand- und that ſoe ſelbſt. Bas Geſinde geharchte ihr bliublingh,
uide doch hatte⸗ fie. niemals: ei boa/Wort. mit: Ian gereodet,, miemalß:
hen etwas· umtoiefen, niemals · etwas ihm: hefahlem. Anbei. ſagie
fer wcht; alſse Geb joe for gut, und: thue Das oder Iques l. Dann
Viefones. bie: Knechte und. bie. Mughe ſpranzen, ihren? Wunſch⸗ zu eur-
füllen. Die alte: Riedelin fagte: ſelber von ter: En iſt eine: machen:
Hoe, das Mübel! GBie. leitet und. vegient Alies und doch beflehlt. fie
ale, unde dad Gefinde gehorcht ihn mehr, als mir, und: iſt ihnen
nichts zu ſchwer wenn die Same fie: lächelnb darum, bifeh,. ale
tue begreiſe Kir be wi Aben ad. sie und iſt
„I ſrage Sie, PO ob ein Janguaa mit. folch’ ein.
dc wien einem Dache: wohnen, mit ihr, in- taufenbfade Der
nihaund täglich; lommen, ihre, Art. und Weiſe beobachten: konne,
oahne biefei Gigenſchaſten⸗ zu: bemundern?: Und wenn Sie ob: Keiahben
muiſſen ſo fengsı ich; weilegr: Kann⸗Ha dia Liche midbleiben, mem
nitht einda ſchon eine Andere das Hp des. Jüngliugs ganz eingen
nommen hätte? — Ich ſage einfache Nein; und Sie Kara wel.
—* andera. Unde im Pauls Sorgen far lein Andere, feſt *
Ace nei" ſagte ich aut Hexzenagrunde.
+
- 94 —
nett ja ben,“ ſuhr er fort, „wie Find eisig; aber: Pace
Eltern waren blind. Sie Fonnten es fich einmal nicht besten, bei
ein Maͤbchen ohne Geld und Sat Ind einen Werth haben une.
So kam kein Gedanke in ihre Seelen, daß bie Zwei ſich Te
haben konnten. Freilich ſah's auch Niemand, wie es in ber Herzen
ber beiden jungen Leute ausſah, erſtlich, weil eben kein Auge des
Menſchen dahinein blicken kann, wohin nur das Auge des Herrn
bringt, und zum Zweiten, weil Beide ſowohl vor einander, als vor
Anderen forgfältig verbargen, was in Ihrem Inneren dorging, &s
waren zwei abfonderliche Menſchen.
„Das Irmelchen erfanınte längſt, daß es Nlemanden auf Gottes
Erbe lieber habe, höher alte und verehre,-alß Panl; aber eB ver⸗
ſchloß feine erfte, Heilige Liebe in das flille buldenbe Herz, weil es
bie Geſinnungen feiner Verwandten Tannte und bie:alte Riebelin in
ihrer Geſchwaͤtzigkeit dem Maͤdchen oft genug aefagt hatte, ber Paul
Würfe im Lande mrr wählen unter ‚ben reichſten Erbinnen. Da hatte
denn das gute Kind feine Liebe in's Grab gelegt und ben Kram .
der Söoffnung weiten ſehen. Es fühlte wohl, es bürfe nur ferne
ſtehen; es dürfe nur Gott um feine Liebe willen. Und dies De⸗
wußtſein läuterte und heiligte fie ſo, daß das Mädchen ſich glüc⸗
lich fühlte, um ihm ſein zu dürfen und feine: Wünſche ihm abzıes
lauſchen, bafı es ihnen, wo möglich, zuvorkommen Finme. Gb mag
wohl Stunden eines harten Kampfes ˖ und ſchweren Leibe web
ne Thränen gegeben haben, bis ba8 arme Kind ſolchen Gieg
über fein Herz errungen batte Wenigftens bildete es ſich ein, ihhn
errungen zu haben. Nm; es gebt ja oft fe in ber Welt; daß mn
fig mähfam einrebet, man babe etwas überwunden; glaubt’s auch;
ober wie anders iſt es, wenn man. bee. Augenblid Tommt, wo der
Sieg als voll, echt und recht ſich erweiien fell? Se, basın hapert g
leider, wie wir bier zu: Lande fagen!
„VDer Paul Hatte niemals an einem Mabchen Wohlgefeilen,
Die er um fich ſah, waren nicht, ‚wie er eine fuchte. @r batie an-
lich bald.
„Sie Fonnen 3 ſich denken, daß auch andere Beute ben Werth |
+ —
Dieſer Diefes, an Jener Jenet asp Da kam Di Höfer
Irmel in’d Haus, und augenblidlich filäfte er es tief im Serien,
die ward, bie er geſucht und bidher wicht gefunden. Kerr er war
im ſeltenen Maße Hert AWwer ſich TÜR. Das Mäpddgen ſollte e
nicht merten, wel? ein Gefuihl In- ſeinem Herzen erwacht fe:
Freundlich, herjfich, zunsrtommend war er degen ſie, aber fo, wie
e3 ein braver Bruder gegen die hebe Sqhweſtet ik. Jemel falls
wohl einmal, wie er fie heimlich beobachtete; wie fein Blick ihr
folgte, wenn fie ging, fie ſuchte, wen fie nicht gleich da war, wer
er in's Hans trat; fie begegnete manchmal einem Blide, Ber
fagte und ihr bie helle Gluth in's Antlig jagte; ſie ſah eb, wie er
fie forfchend unb mit imgewöhnlicher Thellnahme anblidte, wenn
H
fie eine halbe Nacht durchweint und bie Spuren: folder Thränen.
nicht ganz vertilgt waren; fie hörte, wie et die Mutter fragte, ‘ob
Jemand Irmel wehe geihan? — Aber das war Alles. Nie ſagte
er ihr Etwas, was nit in dieſem Verhältniß gelegen; nie fudßte
er mit ihr irgend alleine zu fein. Et wollte peifen, forſchen, ft‘
feiner Sache gewiß werben. »
„So fanden fie fich fern- und hatten fi doch fo lieb! Aber.
e8 war ein Feuer, das immer mehr gegen bie Dede wuchs, bie &8
verhüllte und einmal hervorbrechen Tonnte, niit einem Male,
machtig und gewaltig. Verborgenes Feuer brennt doch.
„Solch' ein Augenblid if denn "amd gelvunnen mb dem
ber ſchönen Irmel erfannten. Go iſt es ben einmal gefchchen,
baß- ein braver Burſch aus unſerem Dörfe, der Irmel lange ſchon
lieb hatte, von feinen Eltern bie Erlaubniß erhielt, um fe zu
werben. Er hatte manchmal in Niebel'y arbeiten helfen, wenn es
fh in ber Ernte drängte ober im Heumachen. Darm Bätte er
mit Irmel geſcherzt, und fie war ihm immer freundlich geweſen,
foger freundlicher als Anderen, weil er ſutiger und anſtündiger
— N \
‘
"a ala fies eh beſchebowen m/ heite Damm Der an Win
aeglaubt, fie Tri: ihm gest, uch exi bilwfe, eben ur bein altenr Riedel
freien. Dede that en dann,/ am einen Grorıminge, bei Morgens im
ler Dehnung. Wer: Wedel Hair ihm grhagt,/ eu hale gar. nichts
bagegen,. nur fol: Srmeln gende: beuteiauf'3 nächte Dorf, die Tochter
bad Sqhulhrers beſuchen, bie: fe wobli Tome. Ex jolle morgen
ſich das · Jawort bei Ihe. ſelber Helen.
„Ban: hatte: daß mit angehört: und es war; eine: · Augß über
ihn gekeanen, eine Qual, eine Unnmhe, fin die er keinen Namen
waßte. Set erſt fühlte: or bin Macht, ſeiner Liebe; wo⸗ bad: Ver⸗
ligren nahe tmt.,
„Die: Eltern Trieben. das eimem: anderen Umfande‘ a5. denn
nach, ber Monganfirche: befcchl ber alte: Riedel dem Knechte, dem:
Wagen. mit Gips zwi verſorgen, ſie / wollten frähe zu Mittag. eſſen
und dann nach X. fahren, undı bort- bit: Ahend bleiben. Dieß Vorf
lien; drei Stunden. von: bien. Der Miller zu A. aber ill. ein ſtein⸗
reicher Manr; gewiß nord. weicher als der Riedel. Sein Sahnm ſollte
bie Mühle bekommen, und feine Tochter, ein pruͤchtiges Mädchen,
hatte: es: Mitgift, zyı erwarten, bie zu. der Paula pafte Die Alten
. verlangten: eu; ſolle mitfahren; allein Paul enflärte,, das konne er
nicht, weil en einen: guten: Foeund beſuchen wolle,
‚Der Vaber beang in: ihm Paul aber,, ber: merkte, we ci
hiraus wolle, fdekugiän rumde ab, . Dar: gabs: banım hame Work, aber
Paul blieb auf feinen neun Wugen fichen.
„De fnpke: ihm denn bee, alte: Michel, er: wolle, daß er
Mullera Caxlina heirathe Cie, fei behmienhb Teich, in. unbe
ſcholtenes Moͤdchen unb- ſei fake habſch. Da: Ionnie er michts
eiuwenden.
„But ſah, ihn po, amı
‚Meint Ihr, Valrr, ſagte en, ich liche mir ein⸗ PM anfreien,
andapeln, vie: ich; nicht felber gemählt?; De: irret Yin Eu. Rh
maß mit: ihr leben. vicht, Yen. Seid ohne Sorgen, ich beinge
⸗
N
= WE + |
i
|
4
I
— — —
®. 4 J An nd
Qui ler Ciüfeiegettochter, suobeı fierankiriagält. yecienelaſe mqh
mir feine. Das glaubt!
„wie Mutterꝰ ſand ft. gefilteten ihren onbel,
7. Pl, on: Aieber Gottt ıriififiesmus; Durawieſt ums !bodh ehe
'Umdhee reihen, 'wd time Wehinäbiue Ai ent ſeen udn? Tine
Gleich und Gleich geſelt fi gut! — Und wir haben auch iR
„witgtereben, Pauli |
‚Sa, Mutter, entgegnete Pani mit Miterm Manin, vbas
Spruthwort iſt micht: gang. (08: gehhren Ihe Worte hingu: Sorjagte
der Teufel ga Nehlenbrermer, Wal fiesalle Mebe ſchurz: are)
Schanbe andihte 45 Eh: war, weun Ih: time iNderliche, verrufene
Dilrne müßte. iiruuuthiſt · rune Schande, -Medptirm:deine Ehre.
VBuß ich ERuch Teine Schwiegertochter Bringe, ablemirfeber größere
Schande bereltete ala Fuch,i dafirbraucher Ihr Leine Sorge zu tragen;
Aber wenn mir rine Arme eciwageflele, for” mir 08 Yen Grund,
Re nicht zu hiirathen; denn ich hzabe gemig san Dem, was Ihr uar
erwerben, und nach mohr geitze ich nicht. "MH Tuche »eine Frau, die
AG liebohabe, mit Tber äh glacuich gunlaten Moffe. Ob ⸗ſie: reich aber
= ‚gan-tft, 0 Micht Intl nicht wi
\
„Mes war. OelinsFeuer
„Der · alte Miedel —— gie heaaen orten Er oe \
‚Für Leineꝰ Benteldirne It geplagt Haben; VBaulındif Ferbie Müllers
VDarbene Hebritben; Ihlei habe er A erwählt under) Habe..di3 Water
ar entſcheiden und dergleichen wahr.
„Pet ging ſtille hinaus, avchreud ber Ulte quvtlallerte. Und
dem “alten NRiedel gig sim foretwng nicht iep unter: dier Haut. Vei
Rich war es Mille. 1PPruil app wenig. "Die Mutter aum 1chman;
ber. Miedel ihritte Meinen ungeſchanalerten Appetit und ber mut
Hchis Nienwar o ein Muftritt mo Haufe vorgelommen.
ch El - fuhren Aie Witen lleine fort, weil Niebel vor
dem Knechte ſich keine Blöße geben wollte; aber er wargornig
ndwild / ervegt, das Yayıman pm a, Auch idie Mutter ‚machte
_
x
ein Böfes Geſicht: Mit Paul rehelen ſie nicht weh Mir blich
ftil unb wortlarg. -
„So ware bie Alten nie von ihn gefchieben, ja, fo hatten
fie nie. mit ihen gerebet, er wie mit ihnen. . Da lag ed beun auch
auf Pauls Herzen ceninerjääwer, und ex ſah einer trüben Zukunft
entgegen. ’
„Eenechte unb Mägde gingen, als das Vieh beforgt war, zu
ihren Angehörigen ober ihrer Geſellſchaͤt. Paul war allein zu
Hauſe. Alles, was vorgefallen war, bewegte ih. Er ſah ein
ſtürmiſch Wetter heranziehen. Das fand in feiner Geele felſenfeſt,
be er bie Mullers Garline, ja ba er überhaupt keine anbere bei-
rathen Tonne — ald — Irmel. Er ſprach das aus und fuhr ordentlich
vor Gchreden zufammen, als er das Wort, ben Namen genanat.
Aber es war auch, ala ob mit dem Nennen bed Namens „Zune
er ein Belkenniniß feiner Liebe zu ihr vor aller Belt Sr
hatte. Heute mußte er eb ihr felher noch fagen; fie fragen,. o6
fie ihm gut fei und Wied Klar machen, damit fein Vater erkenne,
wie es ſiehe. An ein Eutgegentreten bachte er wohl; aber bad
glaubte er doch nicht, daß er fidh ber Heirath ganz wiberfeien
würbe, denn er batte bad Maädchen Lieb wie fein eigen Kind.
Das fah man. Eine fiete Unruhe trieb Paul um. Enblich ſchloß
er das Haus ab und febte fih in ben Garten, wo eine bichte,
dunkle Hainbuchenlaube Rand. Gie war Irmels Lieblingöplägder.
Hier gab er feinen Gedanken freien Spielraums bier faßte er feine
Entichläffe, und als er muif bem Allem im einen war, dachte
er an Irmel; er bachte fie ſich als fein liebes Weib. und fank
in jene Truͤumerei, bie fo eigen ben Zuſtänden if, in denen ſich
. Paul eben befand, Da rauſchie es — und Irmel flanb ver
ihm. Sie war eben zurücgelsnmen, hatte das Haus verſchloſſen,
die Sartenthüre offen gefunden und dachte, bie Rica ige Garten
au finden,
„Als fie Paul da fügen ſah, erſcheack fie. Cine @uthrätfe
\
— 1 —
geb ihr Magic unb ie grob Barnim St ei
um ben Hausichläffel,
Nam, fahte er, aufſtehend und ihu aahetreienb, Kiebe Irmel m
bleib’ einen Wugenblid: bier. Ich Habe mit bie gu rem. .
Ä „Das Mädchen erglühte noch mehr. Ste ſtand einen Augen⸗
BER völlig unſchlüffig, was fie thun ſollte. Liebe Irmel ‘Hatte
‘er mit ſolch eigenthümlichem Tone nie zu ihr geſagt.
. „Aber er Hatte ihre Hand gefaßt und zog fie neben fich auf
bie Bank. dm weiche, feelenvolle Ton: liebe Irmel ang noch in
ihrem Ohr. Er hielt ihre Hand feſt in der feinen und ſah ihr fo
ſeltſam in ben Augen, daß fie bie ihrigen nieberfhfug und ihre
Hand, ja ihr ganzer Körper Heftig zitterte.
„Liebe Irmel, bob Paul an, bie Stunde ift ba, wo es
zwiſchen uns klar werden muß. Laß mich Dir bier vor Gottes
Angeficht bekennen, bag ich eine heiße unb innige Liebe zu Dir
im Herzen trage, feit Du in unfer Haus getreten bil. Ich babe
fie FH getragen und bewahrt. Ich habe mich veblih vor Gott.
geprüft, umb nun weiß ich's, Irmel, liebe, tbeure Irmel, daß
ih nie eine Andere-lieben, nie eine Anbere heirathen werde,
als Did.
„Er ſchwieg; denn Irmel zitterte fo, daß fie nieberzufinfen
drohte. Er fchlang feinen Arm um fie und rief angfivoll:
„Was iſt Dir, liebe Irmel?
„Sie legte ihren Kopf auf ſeine Schulter und brach in ein
krampfhaftes Weinen aus.
„Irmel, rief er, biſt Du mir nicht gut? Haft Du einen Anderen
lieb und ich weiß es nicht? — Mebe, um Gotteswillen, vebe!
„Sie richtete ihren Kopf in bie Höhe und ſah ihn mit
wmsipreglicen Ausbrud an, jaüneit langfam ben Kopf und
ſagte leiſe:
„Ach, laß mich zu mir kommen!
— —
„Er zog Rem ſtine un fertig. ‚gehen. ——
er /ſchwieg, denn fein Bruſt war zum Jerſprutzen moll.
AÆndlich unbe me⸗hige. fie wand ſch aas feinem Armen
108, ſah ihar »jchmerzlich in's Auge und fee: . |
‚Wh, Raul, dos hätte Du mir uigpt,fggen fol! Wir paffen
icht zu ‚einander amd ‚mismald werben .ed Beine ‚Altern zugehen.
Sol id lügeny Pal? Neiy, wir And hier night alleine, Gakt ft
„bei uns, flieht in. unfere Herzen. Darım ſoll Wahrheit zwiſchen
und ‚fein: Ich Liebe Dich, Paul; ich liebe Dich mit einer heiligen,
- .umigen Siebe, ſeit ich Di Tenne; aber mun, wo das Geheimnjß
offenkundig iff, das ich mit.mir in's Wrab zu nehmen gebachte, iſt
‚mein Bleiben nichkggiehr in Euerem Haufe Ich muß fort, fort,
‚heute noch. Es ſteht eine Scheibewand zwiſchen ung, bie Feine
"Macht der Erde entfernen Tann. Es iſt meine Armuth. Ich weiß,
was Deine Eltern vorhaben. Du follſt und wirft Mfllers Earlime
"heirathen. Darum bin ‘ich heute "drüben bei Schitllehrers Liesſchen
gewefen. Sie hat mir einen Dienſt im Dorfe drüben ausgemarht,
wo ich gleich eintreten kann; denn auch ſo muß ich fort. 9* "bleibt
"Telne Wahl mehr.
„Paul "hatte ihr mit Erſtaunen und‘ tiefer "Bewegung ugehänt.
bt zog er fe inniger an fein Herz und drüdte einen Ruß anf
e Lippe.
„Das tft vor Bott mein Brantfuß, meine Irmell fagte er
mit Feſtigkeit. Du liebſt mich, mein Rädchen? O, nun bin ich
“der Blücklichſte! Was Du von’ der Schtibewand ſagft, iſt eine leere
Rede, eine Thorheit. Wenn ich erbärmlith genug wäre, ſie daftlr
anzufchen, dann wär's eine; aber dann hätt' ich Dir nie: meine
Liebe bekannt und wenn wir "bad Herz zerſprungen "wäre. Ich
weiß, wie meine Eltern‘ berifen ‚ ‚aber Ah Bin kein ’Mräbe, den man
zu- einer Ganbhemg 'gwingen 'Iemn. Es ˖wird »einen Mampf Aoſſen,
ich weiß e3; aber ich fürchte ihm nicht. Und ‚Du, Irmel, verfpotch
es mir vor Gott, Du thuſt Rkeinen unbeſonnenen Schrei Die
.
ward, wie Ihr Ye nu O fie —* ihm ewig To as
g Ya jo aublicken Tünwen. Als er ſchwieg, peak
Thränen über ihre Wangen. |
„Ach, Barıl, Du haſt nit gehört, was ich gehört. habe, geſtern
erſt. Ach war in der Kanmcer, in bie man nur burd bie Wohn⸗
mibe kommen fans, und arbeite darin. Da Fam Dein Baser und
Deine Mutter herein in bie Wehuflube, ſetzten fi und fuhren im
einem Gefpräche fort, das ich anhören mußte, weil ich micht herau
keunte, ohne bafı fie es gehört hätten und geſehen. Ich habe nie
gelauſcht. Es if ſchandlich; „aber. Hier mute ih, weil ich nicht
andens kounte amb ich beivachtete ea als eine Fügung Gottes.
* Dein Vater fagte: Du Faunf Recht haben, Mutter) Er if, doch
nun im Alter, wo ein Jungburſche nach den Mädchen ſieht und
einen. Schap zu haben pflegt. Weißt Du noch, bei uns war's eben,
noch früher — und er fieht Fein Mädchen an, will von feiner
wiſſen. Nun feplug er heftig auf ben Tifch, fluchte greulich und
fügte: Muf bern ein böfer Geiſt das Bettelkind in unfer Haus
führen, dad es Wem Buben ven Map verbeiht? — Mer, bis fag’
ich Ir die Irmel muß fort, muß morgen fort, es gehe, wir dh
gehe. Me, Ins ſchwdre ich Die, dic er das Beteluubchen freien.
Lieber wollt' ich ihn auf ben Kirchhof taugen ſehen. — Deine
Mutter ht dem bei. Hertte FE zu ſpäͤt, es va Madchen zu
fügen, Daß «6 wandem: muß, uns feine: Sonntagsfeier will Ag}
morgen auch Wit :Röree, hagte ie mit zotmiger Stieme; ber Sal
Mimag Toll: eB wchr Erſes fein. Ru. Haben wire giftige Schlange
an venfereunt Westen gEnähun, Nau ſucht fir uns, vn er
Hern’s Erzählungen. X.
F
Walter Atachen geban — Wth/ Pond, ir Icipuiehalie, Dia ug
bipter Ausg einziges, füilfnexbongenes, Guhchumeit ; gebumngen,. ZB
wer kein - Bleiben mehr, wenn: ich auch ‚093: Anbere nicht ab
bitte. Nuoi⸗ war · ich bei Schullehrers Bed. Alle if. in- Sauke
nung. Morgen frühe gebe id. Ich una, ayı micusi- ma ums
beinetwillen, und sm Eueyes Friedens willen. Gottes, Guade be
bäte-mid, bag ich in eine Familit, has ich fo.niel verhanfe,. cu
Baenbfadel werfen Tolle. Aher fort: muß ich, vannit. Mit.
ausgeboten wird. Noch heute fag’ ich’S- ihnen, . 7
DIE gehen? rief Mani und: falang Wale Mume an. m SE
wi bie Rai ſehen, die Dich und nich ſcheidel
„Frevle: nicht, Paul! ſprach fie fanft verweiſend. Wer ee?
Si, baß nicht bie Macht, bie die Wet erſchuf, erhänt und regiert,
beſchloſſen hat, uns zu treitmen® Bu ſiehſt nicht in Gottes Kath⸗
ſchluß, unb ich nicht; aber willſt Du freveln? „Sb dem Köonige
was · des Königs, und Gott, was Gottes iſt.“ Lerne Dich ˖veugenl
Ich habe ketzte Nacht einen Kampf gefämpft; ben nur Golt renin
unb ieh. Ich habe im Gebet einen Sieg errungen, ben Ce heute
Mir raubſt. O Paul, Paul, hätteſt Dir doch’ geſhwiegen! G tee
mir leichter geworden — oo _ ig glei — — *
* „Sie ſchwieg.
9 Bit denn, was bein, Q rebe Irmell rief er aus,
Min, in Getiah —— * ish, vi Bi 8
Vebe Fanuie
. „Sie.verhlllte Fi Anc⸗e c — Hi, Ar ‚hieß *
Demut * FR | EA I
:Du bauaeſt. meine Linbe, vud, gegft DIR veh Ie.Zabk:in Rich
KO: ci: Web; 9, du Barleb Gel Gr zog fie a
Palme seits Glicthe eiven beihen Auß us re RÜAREELr sn +
m BE Re hatten wäh, yet. hab: dax Wagen mit den ‚Klee
OBEREN - Dur Sin, farben, bie; Sewäthlfte mes nerichlefien,
il: x . . N n*.,
- 188 — .
u) dei bie lähwtenilflllee Aus angelehnt war, Sesinsößpten ıfie,; some
ſei zurückgekommen und fiße in ber Laube: ::" —u
tx. her ſegte? Niedel gu⸗ ſeiner Promi. ut bes: Mullers Warline
ar wir a heute richtig genindih. Nucchte up Whägbeirfinb: noch
wicht⸗ Va. Ich mei, wir Mſollten jehnn in den Alnlten zur Fraul
gehe ut es alt dem Madel Aar machen, danuit ae weri,' worct
fie iſt. Mit een Handen ol: fie cht aus, meinen hauefe
schen,’ das laß ah nur nicht nachſatzen. Sie: hau R aerch gerabe nicht
‚ag.uumönerdient, MS auf das Eine, waß geyt herunter muß nike
warum fie fort muß. Sie bat auch nicht gleich einen Dienſt. Da
Din fd. nicht vVarben. Sie gehört: buch zu umſeter Yanille und
fol ung weder Schande machen, noch Noth leiden. Ich bente, fe
wirt bei: Schritwmeiftenb Siesthen:brliben im Derfe bleiben Annen,
DB: fiec weil; we chterfontinen. Tann. Sie iſn tin: tuͤchtig
Mei bilx uhb Be ihr nicht fehlen: Bellen wird, wenn ſie
Kms Peter, bei. um fie freit, ihr Jawott gie, daun wär Alles
ab ⸗·utid unsfiattarımalt’ "ich ſie gerne. Ich bene, wir ‚gehen der
bie Lanbe zu. ihr umdefagen ihr MB in bes Ordnung Sie ifl
verhändig;:zeirh3. einſchen: und brım ‚1fb eine. Sorge: von umbsm
benn ber Paul ift wiberhaarig geworben, aber ich. ill. Im. her
—— wachrich der Riedel bin! De —
„VDus Reiste ſagte er kt’ rem —R ‚in. ben. Bc.er
—8* noch ausſprach, ber noch von «Jede ergen tie ihm iag,
unb ven: ar Take mit Mühe zurũückzerrcingt· hette. 2. =
.n: INie gingen wilßwentr. der Anccht bie. Wiecbe abfaigrig, in. dor
Garten und traten‘ in Ne Laubey aber Weihe Kanden ſtarv.mer
Schtedie dh fie fahen, wir Jerel ‚in: Bank, Anımen Tage 2.
Paul moerle zuerſt au heim Dunkel, daß Jemand im Gingange
ſtah.Exr Slictte auf und. fah. ſeine Gliern: Mir fe hre Aleichen
Eeſtchter⸗ aber. atich ᷣn Wut in ben: Mden feines Vetetso⸗ *
vet: iatalt bruudptlefeitn es ſeine Pebeine. srlkr „Eck Inmel⸗ ſauft
aui ſneovructfcho gecdden Arues eig auch fie xblicte Mabel aanbi
feine rat. . Wie Fein dere Echrei us ah vu iu alle
Hände ihr bleiches Angeficht.
„Sot ai fie der alte. Riebel hercus, unb im bes“ „So!
Br lag Bein, Gebr, Bebachtang nor las neib Bier Mucke,
nn In Heiner Geile uhr, und web. ihn biscchiuang, Ehe aber his
Auth Tchieh Fornes völlig eabrag, eiwmamie fh Pauk, funk
anf ud Tagte mit einer Stinmme, bie freilich wanle: *
Maſer aueh Mntler, Iht wont, bap dh heicathe. Gier iR
meine Draui. Jemts wird meine Frau, wie ich wit che mich Jept
vor Sit verlobt pe
‚Ada brach die Feſſet, ueihe den gewaltigen Dome gebunden
„Wan? Ichrie bet Riedel, Deine Braut ver Gott? Bet beim
Tadel fu! Tu, michtswürdiger Bubl Die Betteldirne, das hey
gelanfene Weibabild, wagſt Dis vor und, Deinen tern, ‘Beim
Brust as nennen? Verflucht ſeij Du umdb fie, bie Ihr hinter ua
ein ſchiindbaves Weſen eibt! Das alſo iſt das ſtille ind) OD Dee
VBerworfeneh Dog + Here, oelaßt es mir, bie Worte gie
wieberholen, Din Sea iin ben Stack tunien, fie zertraten,“ fagte
ber Tobtengräer...
„Hören und Sehen verging. ihe. Leblbes war fie Verüdhefuuien
wider bie Stämme ur Ace ber Hainca chen, bie dicht veefehlungen
„Solche Worte, feld — wir r der aia⸗i —E—
iascı vetfepäd uns meaten po Zora mir: Sehghe: Meigeen.
Wüthend trat vr ſeinun Vater entgegen und ef
„Scyweigt, boß ich. nicht verhetja bafı ich Guer Sehn itel- .
„Da ne der alle Riedel Ars: allen Fugen gehehen. Er er
bob. feine Rieſercfauſt in ſchaumendem Zar. und le Schag Auaf:
Paul, daß er gegen bie Wund taumelte. Gchweil aber ermeistiuil,
f bei Jungluig und ſpriig gegen. ſeintn Mater: Wie Mutter
ſcheie ab wurf ſuh Jehnelb viſchen it. Der: Maetht war vabei
t ® . . .
— 1 —
mils much. Tee Mit beien Brenn’ ben: Mobs ſeinid Hacn um
Dun Mei; ven Me akt u Delle, ken mı.gu
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Nur den Shuf will ich Ahnen Fugen - -
u die 0, Mani zum meine :Miapen, Du a0 Di
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—XRXQR munbenar! aula wu top 18 —R
ie, ee 5 AO mi mitm Pen. Sr
Yahı:tahn Mind mehr von Heute an, aber wagt es micht suche,
Yes’ ſchutibloſe Mabchen, bie wie toit hier Liegt, anuiuhm. Sch
—— Ich berrete es nicht wiebet
„Er Bing za Im .
— fagie er zu bem Analt.Eer. Mein Beh gemeſei,
. Gent), Dt na fie. wegtragent Nben..Zowal ermodhte.. Su
wäb. im fish... Ihet Gebdankeu waven won.
„dort! fort vie Re ui ven Yin, ne mi der ind
rajl —
. ABemgehtmfiefte Penl mit ſanſin Meter, op Me fi be
* Sie riß iii lon mad eilte weg. Pan. fölgte ihr. She lief
in ein Maqhbachaus. Bert Tank fit ahrmeidkig. muſauamen, aber
ihee Bien zucten ‚entieplich.
n „Die Blkeitim. unbe üfen Dedhtep ſich fer am, wachen
fie mit Eſſig, enilieibein- ſie daun unb beachten fie in ber Tochter
Butt;:iie :tike Buiunbin gebefen war. AUS fie au der Wewußt⸗
Infigfelt arwallgte, giithte fie: an gasigen Pie, AB ob Myewer'im
uns Wbten valce..: Bie Tebete Iere ish mailde: fort. Paul fair in
Nun: Rächbans Suube,. dich wie zine: Rilke, mu ſtarrte in eiid
Ede. Nur nad Irmel mh vor Ge Fe m.
Mapet, inne ebimm in Bünde. BET Vous un rer "
m Ar) Mieheidie Micht im vent Gumıie mb wicchte⸗witracy
DMutler: tes Haleas ar Nemela Wet. ce:uſea fin: niet
halten, weil fie immer fort wollte unb nur von Michel’ il
fan‘: ſich fein: cacllagte/ Me babe ni vb Ger et und
babe Elend in die Familie gebracht“ Dan: SE ae ug 0 E11
sv 5, Noch in ber Mast :farbse Baal meinem Genrad. ach bem
Doctor. Als ber Arzt kam, fagte er, ihre Krankheit fd..neße
ech. Ba ba ar wich Panal: acht Tage mundi acht Nächte
nicht mehr von ihrem Bett. Sie wurde zwar ruhiger: ah meiR
nicht mehr fort, aber fie ſprach manfhörlich, Zap uud Mearpt, in
Ethhem fott, web. immer waren: as Slagen gegen ſich Jaldſt/ daß fie
Pauls Nice tewirbert; daß ſierihn,der ho gut ſei, elead aneca
Wi allım: Becken "pin: ihre ie yi Deal’ Dei INcirze thai)
was er Tonnte, aber alle Ritt Mieben fnmihtlod.:, AmmMitag
bes achten Tages wurde fie ruhiger. Paulß Herz hobr ſich im
fuoker ‚Hoffisäitg. : Gegen Abt ſhlananerte fio:cat: Mes /ſie ſah,
sun nur: Sinen Mebasten habe, : bee snäshlichui- dee? ſie wie
wieder erwache; aber gegen mean: Uhr del Mends .ieftundkte: flay
te Fi auf ar ſah Paul an ihrem VDettſitzcu: 'tıcr
„Mild, wie ein Engel, lächelte ſie ihn an. - Te
I :, Bi Das bei nrid® ſagte fie unh es raten Thale At, ihre
Augen. DO, Di Duierlſagte fie und veichte nach Feines Hank, duis
fe: Fügtes.: Barıl brap.ien:ein Smtta: Weinda auakıruhab auſa feier: fin,
Ihr Kopf lag an feinem Herzen. Rad) einiger Aukt:ıblielteifie dpi
un mnd Ingles Paul, nicht wahr, Der’ bebteitinichukieh9 -- ..
"1: ‚Mtege ala mein 'Bebendnief eu wehnend allır un: Hi
tn yARh ‚weine nicht,s ſprach⸗ fie.mukt. Aebrfele en Fricken
ur ee Iglücich. D; verkähme Dich mit: Deinen älteren, bat· ſte
Mur, was ſfie wänishens: Bet, Bank, Du Su iat lab kai
ſchen ins cine an Motten: Theon wieber. Di trend ir
Reiigum ai Hera nigenucheir. : io: ;, cc fe ud
„Das war ihr letztes Wort. Sie Aczie ſich uniebts erüdiugi
*
J -
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zur ur zus
Ne nkietei u. re are der Pils. Sit A
"nicht mehr. Gegen Mitternacht ſtieß Paul einen entfeglichen n
BT TEEN EEE ie at verſchteden.
„Auf ihrem Angefihte dag ein uwunderbares ERGAN, —E
in minem gangen Aben an inner Beide nicht xhen Bei
Der Tobtengräberi gig - > 4
221 ware: wie ich es: jur —** elf Sin,
Name: ber Ton⸗ in ꝰdem deri rei Spring, zeigte," wie jeher @öhh PO
bie Erzählung angriff.” Re TR
Sk. * Deflle ſagte ihcccc 9—
RB haben denk‘ Rebel getan! in
1.4 RUE, Herr, nichts er Auge mit erben Grimme der
Tobierigifßtr. n Aiht gefragt Haben : fie. nad dem armen, FAME
Boten Mudchen/ nicht nach ihrem Golme. - Dei Alte iſt aufs
Feld gegangen, als wäre gar nichts gefchehen, und ſie hat im She
weft! gewiechjchaftel; abee mein Conrad fagte; ber-Mltuisfei. doch
fehr- verſtört geweſen und habe manchmal. ſelbſt nicht gewutt,: was
erimrebe. »Wiberſprechet Habe man · ihm aber Nicht" geburfterEr ſei
dufgefäßten und Habe dumm im wilbeſten Jorne grtucht wierein
Türke. Er und feine Fran hutten oft laut gehadertz Senn iſte Yale
zu ber atiſren Irinkcl gehenr welen ah er Wer ee. nit
Wberleivettwellen. 8°. i⸗
„Irmels Begruͤbnißß war PR Beige, pri ue Bader
ihr hielten. Kein Menſch BEE nielii-' Gin lanteß asien ‚hörte
Atıkie Aberall. Baal ging Hinter Dein Gare wie cn Stechibad. Cr
ſach aud wie eine che. Weiten halte er keine. un nur.
23, Im der: Macht, a fieiheerhigi worben war/ ging et ſort. 17"
Bi BO ie ichwothndwori. Die Jenſter ' meinen "uSchtafllkiumets
WRHB "geheri auf Ich obkißkkter.: Der Mond [hierin uhb der
Atchhof lag dok’ Mir! Gell- Tote ar Tag. Mind! TIERE
7 weich im WE IE ee tratt am oe Fecſlet⸗
AR Da I Mn art ine Bis en AR
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wgsnieinb: bie grieieten „Oänbe mung „. una mein (erg. mailie ae
„Darauf if —ED and —— an im Zoch
eben aha wi unb Lem an wich zu.
Aam, faate er, lat mir ein Bläpsper schen Ir er! N} )
bitte Euch um bad Eine. Verſprecht air)
‚0 weidste ihm meine Hand zum: Zemuferigen hinans und
—— 4 fehl Die gelwart
„Sul fagte er. Wenn ich in zehm Jahren nicht wicberge⸗
kommen bin, bann. bürft Ihr einen Anderen dahin legen; dann
heb' ih ai Grob ſonſiwo gefunden. Lebt wohl, Am) "Gott
ſegue Euren Concad; er hat mich wor ſchwerer Mlünde bemahrt:
Be willſt Du the, Paulf fangte ich. Bleib Tier. GA
dleaicht ſich Alla aus.
0 „Aein, ſagte er, ich Aasın nicht. Wein Vain ha mit om
Kucht, ich auf fort.
Bine, Kind, vief ih aus, Dein Vater hata, im dumme athan;
Meti wolle in vergeben. Gm wich ben Iluch sun un
wu Bogen wahl. Pleib', Paul, bleib’)
„Gr inlcte meine Hanud ſtillſchwagend un fogte dann:
„Pflanzet ihr eine weiße Roſe aufs Grab, Aham! Bla
ip einſ wicherkchven folkte, vergelt' ih 48 Gach!
„Danauf Wi ar raſch fingen . .
/ „Rmmals, Heiz, wüthete der Rebemjühzige Bring: In Arau⸗
wor eine preußifüitt Merbeſtation. Dort ſoll er Gingegangm fein.
Nie Hak mau wer in Work van- ihm gehört, Ran - fiab viele,
— * - Br ee \
un mag manan Binde ent Tagen, win, ds mer amd icht
kon DAR, wird's, noch. afien Laien, ha Eeftrlie, Matzlein. Ob
ir Naul noch miebentehsen nich, beynufle ii
ie ſagte ih, : sur Vegt Dam im den beiden Diva
un Gribem?‘ .
Ra, Herr.“ ſproch ber Tabkengnäker, ia olaube sit, Aa
I wi; fragt, ham daß Ihr'ß ahnit. Mia liegt Niedel und ſein⸗
ass. —
AdDie haben in ihrem verftochen Sinne forigefsht, fünf, 8.
Inher lang — aber da iſt's ihnen lommem, . .
„ „Sie, bie Miebelin, wurde gichthrüchig. Gie Ing wei Sale
lang fo armſelig und hülflos be, daß eb Einen abarmen mußte
Aler Reichthun Tonnte ihr nichts helfe. Sie hatte keine liebe
Hand, bie fie pflegte. Alles thaten fremda, bezoblte Zeute Au
ihrem flarrlöpfigen Manne hatte fie Leinen Troſt; denn feit Paul .
fort war, lebten fie, die fonft fo einig gemwefen waren, wie Katzen
und Hunde. Sie warf ihm vor, er fei zu Bart gervefen' gegen
Raul; die Irmel ſei fo ſeelengut geweſen; die hätte eine rechte
Tochter fig fie gegeben; an ihr hätte fie im den alten, kranken
Tagen eine liebreiche Pflegerin gehabt, un bergleichen. Er babe
fie Finberlos gemacht umd ihren armen, guten Paul in ben Krieg
und Tod getrieben. Der Riedel warf ihr vor, fie Habe ihn ge:
reizt; fie habe das Fener geihürt; bie Steine gerafft, die er ges
worfen. Dann bräufte er anf in maßlofem Zorn und es fol
ſelbſt zum Schlimmften, zu Mißhandlungen, gekommen fein. Wer
er fo im Zorne, fo ging er in’ Mirthaha; und betrank ſich
am Norbhäufer Kümmel. Kam er hann valiig Teirarlm 'nadf
Bande, to gias dex Tamuli von Neuem ar und ehr ad. einmal
wandte. bie alte Ian. opn ſeinenn Zerne Büctig werke; Imwen
mais ergab cu. Ah dem Taunk und zulaut wurde er ..felken. wche
warte Has ar wohl: die Qual im Mewiflen wur: —*
wollen? Gott allein weiß es! rin
:, ZOG: Polen Site "cat vlcihret Bei Tr! A vae
— in letzt zu begreifen: ": ER war Aber auch gettide, au
ob aller Segen Gotteß von Ihnen‘: gewichen? wart. Mein ori
NARBE. ch arigen Hader Mchtmieht erkraten. Erin aus des
Riedel's Dienſt gegangen. Nun bekamen fie untreues Weine,
Ban vrdenttlchel Paechte und Mänbe blieben nicht ti fe, wo
nur: Jluchen nnd: Janken herrſchte. Da guig3, voll’ Munnik
Ihr Viehſtand Titt gar fehr durch Krankheit und Seuche- ph
Ernten ſielen: Lünn aus — kurz, es kam Sablıı,. baf RMedel in
ee kam und zwar'im ſchlimme, derin!er -Tich bei Wuchererũ
wi Juden, Ba fi: Taäimte, bel einem- er demtichen Manne
Gealbiaufzunehmen:·· . BE EEE Er BE
’ „Seite Frau ffurb zuerſt. Sie ot einen furchtbar ſchnẽten
Lüdestampf gehabt haben.
Run fand ber Riebel alteln ‚und Ham nicht meh ang ber
Säente und fo ift er benn auch elendiglich geſtorben. Trumken
ging er fpät in der Rache heim. Vielleicht Habt Ihr, Her, ‚ben
Brandweiher gefehen, der brunten im Dorfe tiegt? Es umgibt
ihn eine hohe Mauer. Wahrſcheinlich if er im Tuff an, biefe
Mauer gerathen, hat ſi ich barliber hingehengt und, iſt hinabgeftürel.
Niemand. bemerkfe es.
l Fam „die Drag ins Wirthebau, um. ihn kepp
zuholen,/dg er nicht nach Hauſe gelogen Ri oder Doch, pu
” At vwq ꝓ geblieben ſei. one
rer Wörth Tagte: ihr. wit Korfiounen, er gM —2 in
we: Macht kunden facigegaugen. on. 5
“RE uva Larm im Der, der alte Rledel· fchte Sie *
Hofe aufatmen. Ueberall wurde nach ihm gefucht, Aber nirgence
fand: min ihn, MB EB Tilem einfiel, int Btandweiher zu fuchen!
rag; - da’ tag er drinnen. Man mußte | bie: Sqleugat öffnet, um
ihn berauszuholen. 4
801 uk: ta Vich ee tee
Meta Velen Aero ‚terre, IT vtgea··wl vi ſ
FE Rot age ad or 1 ara nis han mm iri.
„Dorthin hab’ ich fie neben Ysnartuuiaunisachpiee Aka Bud
muths gelegt; aler⸗ Menciaben Amin i ee; auf
we Ben es sin fi 83.
„Kaum war er tobt, Tor! eBıktet! Di Glausiger :ifatehreht
und mit Erflaunen hörten bie Leute von ber Menge ber Schulden,
bie auf Hof unb Gut laſteten. Da mußte benn Alles unter ben
Steden Tommen und iſt verfteigert worben. Der reiche Müller
ans A. erfiand das Ganze um eine hohe Summe. Was von
ben Schulden übrig blieb, wurde, ba man von Paul nicht8 erfuhr,
bei'm Gerichte niedergelegt une da wird's noch verwaltet. Und
im Hofe fitt nun bie Müllerd Garline und ihr Mann, brave
Leute, bie ba8 Gut mit Segen bauen.”
Hier endete ber Greis. Es war dunkel geworben über feiner
Erzählung. Ich gab ihm ein Gefchent und dankend ging er nad
feinem Häuschen hinüber. Ich warf noch einen Blick nach Irmels
Grab und ging zu meiner Herberge, im Innerſten meiner Seele
bewegt.
Und warum bewegte mich die Geſchichte fo tief? — Warum
erklingen die Saiten eines Snftrumentes, wenn ein ähnliches in’
feiner Nähe erflingt? — Warum treten Thränen in unfer Auge,
wenn wir fie in einem anderen glänzen fehen? — Xief in ber
Menfchenbruft werben Erinnerungen wach, bie lange, lange fchliefen,
wenn bie Züge eines Angefichts, wenn bie Aehnlichkeit einer Gegend,
wenn bie Ereignifie eines anderen Menſchenlebens fie weden, ober
wenn eine Erzählung ähnliche Begebenheiten unbewußt berührt?
Barım? — Warum? — — —
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len der Wind Aber die Stppela weht, HA der Herbſt alle
wei, und ich din froh, wen bie Herbſtwäſchen alle weräber ſtad,
daß man einmal Dei Epuenrade, ans wutrmen Ofen fiken Ian,’
am Dir alte Ruflin zur Werlin, die mun ihr mufte Bike af
Ue Wieſe legte. Miele ſchung barası Sie machte wohl wirier,
DAB, weren Die Kofelln in Phaubeen Tore, jebe wwbere Zunge uchen
ut — Sie warea Beibe Waſchfrauen, uber der Unterſchied war
Du una, groß zwchen Beiden; ii Merkin war nämlich ine
Biehzigeein von Präffiger Geſtult und fehr hũbſchem Gefichte; ie
are das Urbind eier nn Niebenzigläheigen Gere; die Hiact
Dann IMer WE Miochen Hepanmt, Kram, podenmutblzz die Wagen
Beil ab toeh; Debian pethrabenchwarz, adch Im ben Sichenzigen
rauuu fir File File gu Bekäikäkır, Aber fo -Ahmtid bem Mieten
Da "eb Mark in Fiachten Tatens. Dennoch war bie Alte ſechnig,
zahe und noch Arbeitsfäiiger MB mantte Yange, Gintz der Mube
auf, in ham von dur Meike hree Zuhne nme ndih vorn Einer vabe‘
ei lauger, durter GAurr bei wert, bare erſchratte man Bor
vor ihr. runden Arr Fnate fie, raſonicteen, bie Bene zureho
uxchen/ u» weite, Bean Waſthran im Feiche adees ihr aeg!
Ihe Wid umährung un Augendeie bet’ garizin Naum dei Mine‘
br. bei: Daſqhaiſen Ne wate / wheaiel tie Welle jew’
U
’
verwafchen waren, und ob etwas abfiefe, und was es zu Mittag
gäbe. Für ſich wuſch fie das ganze Jahr nicht; denn in jebe Bütte
brachte fie ein paar Hemden ober bie und bad — denn, fagte fie,
es ift für eine arme, alte Frau, umb bei einer großen Wäfche kommt8
darauf app ghnt:: Räffee Aerd: Re dMiterl tie: Vnga eſte Thrane
- davon in ber Kanne ober im Topfe wear, aber nicht ohne Zuder.
Und wenn fie fo hungrig Vvder burſtig geweſen wäre, daß fie es
kaum länger hätte aushalten Finnen, fie wäre boch nicht eher zu
Tiſche gegangen, als bis fie fünfmal gerufen worben war; denn —
fügte fie — das ziemt fih fo; yıan barf nicht gering erfcheinen!
Den Schlaf Tonnte fie wunderbat beherrſchen, nur in ber Kirche
whhh; denn da ſchlief · ſia ÄRbR wenn «Die, Maneiade fünf Sie
achehtete Brükig, aber, am Beiiigftien, ‚mm die Gmabfen aber cins
ber Ihnen hei: der. Bülte ſanhe us; Date Fichte Seren und Keine,
Denen. Beessßgefckichte,, manaliſches: Merettth und. Barwögen Fe weht
ba: ins Meine galanu Thäãtte. Freilach war fig bei ben. zxeiin
Paoite, nichs immer. gerechan bee -Barliche und Mineigung Tante
ſich da mit in: Pie ‚Schale uk man: Tomte ad: dicht mit ihn /er⸗
ehe Dann / und wamnn sohn; ANchupachen / oder ein Alo⸗ Wein
wor ihr Bedürfniißß Es wioägwt- und beichk die alten: Nuachen,
ſagie fie, wezu fie nä.ıhatte ıhimakiglehien Iniien, ws: Iehwalste Anm
die, ute anerieguad; wit. den. Zunge: Die Mies wer-ie Alleme
ibr· Gaguicheil. Min. war, Mitime ana die Balken, - haste oher aan
Rad, si: Toqhien, wahrenddieſe: auerlad nrw: ren, Ihre.
Reigen; fleifdg u. Wax ſier Bberalt, mohlgelläägr, ab. Ile asıch ;bie
iin, melhe: ſich das veßmhntealsbiib Biner Meichſrou risk,
. Far bemichen mochte, ihre At: ibe-ingiepfen fie blieb einmal,
wis: fir: war, and lach dia Akte. ſchwaten ah Bmıryen;- denuoch⸗ aber.
Halte die Meielig- vich- Bias, ; wo Dia Rein una pere, Ariane:
Tomte. ..Smpte.hatien rin; bein eutmukmpeifient gmenfchen, unbubie:
warun bes Heldin ahrr.. vie dierisaniiiee aeaumt-Auebe ‚> Meier
Inf’, ‚elgnıbena bifeisnune Birisar Seht aavaaben, bayung, Jegum
Brno. ren: die Dclelha⸗ uahke. — *
re. Ar, a Bietet ie benabfenkia,
1, „Belt, Merkin, es wird una.äpät?-" Fang in Roh *
‚ah ich nicht geſagt? De nehela o Vchan, anf es maine alten Anockeg
delt aurchdtingt. Es Küste dem bochmiuhtgen biimfigen Schub⸗
woqchen auth ichta geſthadet, wenn ca Knie ausdehen helfen⸗ Jet
hielt fie etwas ein, um :zu haxxn, was bie, Merlin ſoge. „Diet
ſchwieg einige Augenhlicke; dann ſagte ſie, im den: Karb⸗ ſehend
„Bir tummeln unſ⸗ ein Bischen, dann End mir raſch jertig.
30: tummelz! Du haſt gut reden, biſt gegen mich cin jungen
Ding,: da, geht's mach; aber ſeit Montag Hab’ ich: noch Esine Nacht
michlafen; jmmer gebaucht, gerieben, gewaſchen, gebleicht, Gall,
dargn deult. ihr junges Bolt wicht, dab da eine alla Frau zu runde
Wr. Ya, ich muß ſagen,, das Schulwäqchen weiß -ales- bach mach
Biden! Sie hat wir eine Dite voll gemahlenen Kaffee: ggeber
web gzinen ganz kleinen Klumpen Cichorie, die wir nich. einmal
bemcey; ber: Raffe wird doch delicqt, und Zutker genugz. ud: di
Halbſchopplein Niasmwiehen-Rümmel, der ſich gerpaſchen bei. Meg
einen halben Pollmehlskuchen, ‚ber, zuch nicht Ritkes iſt, ganz Frlich. sr. -
Man Friegt’3 nicht Überall fo. Du Lieber. Sand Antamiyıa. ana
BPehuq, mag kannt:ich, De Geſchichtez erzählen). Mhz Du baft
gehört, wie der-Hgw; Schulmeiſter heicte ſagten In7Schnegingee
Saiten aftünde- a ber türfiigen Kirche geſcheieben· Rehm. nie:
abar Schweigen iſt Geb. . .,. Nun...
Rein Schlitzoͤhriger und hat mir dad zu ———
m 3 wahl, weil ich gari.unierheltiumn biz, aher mnrunz Hank,
man’3? Um felbft nicht zu fchlafen und Andere wach qu halten
Geht: daß Maul. je: weicht du: SchlaflItem, ich meiß,,..aaß ber
GSechalpetzer xin Rede. il, Gr meinns aber, sicht 4da ua hun
ie Stude uf wihr SEo⸗d“ fagke fie endlich, alat bad. Tchie
Smaibe wudgegi. men; mw mein wir uns in s Vleichhauochen
wohne ein Feuer amfaſen md Raffes laden. Des wirt
DS wir gleich mattierſeclecalletn ne, jo iM’ Te Gefahr, und
wir Einnet, wein: und ein der Schlaf überlominti, wegen Des
Bäche vrahig ſein Wach geht dald der Mond anf; denn wir haben
Dal iht Damit brachen bie Beiden Frauen auf vun dem Sünsdien.
Der Mond ſtieg im Often Über die Berge. Der Wind Ari bang
dam. Rhetufpal, und der Nond brandete heflig am dem felfigen Ufer,
anf dem dit Weihe Ing. Das Dorf, init Obfibäumen umgüttet,
lag etwa zweihunbert Schritte entferne. Es Ichnte ſich an bie Wein⸗
berge an, bie fich ſtolz erhoben. Bon dem Kanrme ber Berge aber
nidte ber Hochwald herab, und an ſeinem bunten Hintergrunde,
vom Monde beleuchtet, blickten geſpenſtig die großartigen Ruimen
einer Ritterbung in z ſchone Thal. Es war empfimblth kühl, ci
die Frauen in das Bleihhänzdien traten. Die Merlin begann daB
Selz auf dem Pieinen Herb zurecht zu legen. Während fie jorlt
das Feuer vorbereitete, fchlug bie Koſclin ihren Wiberrud auf und
Watte A ganz hinein. „Hub! Es iſt kalt!“ fagte fie. „Man if
alt und bas Feuer iſt fort. Mär ich fo leicht gefleibet wie Du,
Merlin, ich ginge zu Grund; aber fo einer jungen Schnawahde tms
alles nichts? War auch 'mal jung, und Bir wird's auch Tommen,
darauf kannft Die vechnen!“
De Merlin jenfzte, und die Eoſelin Härte ben Seufzet und
fuht fort: „Die ſeufzeſt, Merlin; fage mir, wem?“
‚At nm,” entgegnete bie Merkin, „ich Tünmte uch einen
warmen Biberrod und ein Müpchen brauchen, wenn ich es mie
Tomfen Tönnte. Ihr habt nur für End zu ſorgen, Koſelabaſ', wir
dber ſinb unſrer Aue, und Wis iſt tzeuer, was man in bew
Munbd ſteckt.“
„Weiß wohl,” ſagte bie Aihte, und ihre natirue Eumicig⸗
Re brach durch. „Sa, ja, ſo geht'ſs! ner reubt ba Auderu
den fetter Bifſen yon dent Manbe weg? Meinſt Di, Ich veiftenäßt,
wie. dab Web kam, was Di behdi? "Belt, bee Pin Merl, Deicz
Ganoger, Fit im Schinalztopf DIS Aber die Ohren, unb De tr
— 22
Deln liches Kind, Ihr nagt am Hüngertuche, dazu er den Zeuc
und Ciuſchtag hergegiben Hat, und hat’B. ſelbſt geweben, ob er gleich
dein Lenweber Ki Hab) meinſt vielleicht, ich waßt'a nicht? Dip
Masse’, ich weiß, was. Du nicht aveißt Zah will Dir einma, Sa
wir fo allein find, die Geſchichte vom Vetter Martin erzählen. Ich
babe damals bei Peter Merk's gebient und weiß: mehr. als ander
Bee — Doch — ich will eimmal nach der Wälde Sehen! Der
Peter Merk iſt nicht ſauber, wenn's au's Nehmen geha!“ Sie flaud
auf und öffnete das Feuftetlein des Bleichhaͤuschens, welches gegen
Oſten ging, vom wo aus ſie die Waäſche der Schulmeiſterin übers
Biden Tommte, bie ber Moud jedt hell beſchien. Das Bleihhäusehen
war nämlich. eine ehemalige ſvanzöſiſche Douane oder Zollwächter⸗
‚Hütte. Es war aus Steinen erbaut, oben gewölbt, und halte drei
Fenſter nach Of, Süd und Wei; bie Thäre ging. von Norden
hintin. Man kounte ganz bequem ben. meiten Uferſtrich bed ſoge⸗
mannten „Grüns'. überbliden, wie man am Rheine bie Wieſenftriche
am Ufer, in der Nähe der Orte, nennt,‘ auf denen in der Retzel
gewaltige Obſtbaͤume, name ‚aber Belluupbkume. in Reihen
gepflanzt find. i
Die Kofelin wandte fich nach einigen Yugenbliden tieber: a
ihrem’ Eitze, nachdem fie. bas Fenſterlein geſchlofſen Hatte: .
Die Merkin hatte unterdeſſen das Feuer zu Heller Lohe ange:
facht, das Waſſer fang ſchon im Keſſel. Der Topf zum Aufguß
fanb: bereit, und. bie Merkin ſfagte: „Gib mir den Haffeel“ Die
Arte reichte ihn hin. „Meinft. Du nit, Merkin,“ ſagte fle. zutrau⸗
Na, „man komnte die Cichorie zurüdlaſſen? Es find, wenn ich. mich
im Schägen wicht verthue, vier Loth. Das Schulwäschen läßt fi
nicht lumpen! 88 gibt: Termin Klareſtt aber Dünmefit,, wenn Du
auch den ganzen: Milchtenf voll braueſt. Wir ſtellen ihn in Die
Kohlen. Da bleibt er laulich, un mr -Tänmen uns bie ganze Nadht
‚ben, nicht wie dir Scherzerin, bie ſfich immer rvükent, fie babe
‚ren vodtlranken Mann mit Warſibrühe gelubt, er geſtorhen
Horn's Erzählungen. X.
— mw —
Si Des arme Scheuer! De, ei in cm’ Dede, biel At
Be ihm noch Rafier. gegeben ber vage wie bie Suamgipinne;zu
eg — Wurſibrahe Für einen Sraılenl Man mein micht, Seh
ſo dasaa möglich. wärel” — Ach, Ins fie doch in Ruhe!“ bat bie
Merlin.
„ Deinetwegeni!" jagie ängerli die Alte. „Du börfk ſolche
-Dinge nicht gene, Danach Imt man aber feine Leute Teen.
Bei Der waſche ich nicht, mub wer ſie mir's boppelt bezahlte!
inmel hat fie mid exwiſcht. Da Tomate ich fie ned) nicht fo.
Die. kochte no alles Sauafraut im September und eimen Kinp⸗
basis dazu, ber etma ſieben Jahrre im Rauch gehängt und had
Milben um Feiſch Hattel Und Maffeel — Mein, eine ichorien-
brũhel. —. Das vergefl’ ich meine Tage. nicht. Heiliger Sanct
Antszius. ven Padual Ich befam Grimmen drauf, daß ich meinte,
ich müſſe and Zeitliche ſognen. Doch ich mil Schweigen. und meinen
Mund. wit. iſthun! Dai ſagſt gleich. ich väſonnire, woran doch
mein Herz nicht denktl
„Das kuaucht Ihr nicht, Koſelsha',“ ſagte die Werlin. „Nur
nicht fo räſonniren über bie Leutel Neben könnet Ihr, fo viel Ihr
wollet.“ —
„Räſennir' ich zum?" fragte die Koklin krgelich, „wenn ich
non ben Leuten fage, was wahr ifi2“
Um ſie wicht vollends: in Hamildy gun beingen, gab Die Merlin
sh eine Kaffe. Kaffee ein, ben Raihm ho amd. marf em tüchtig
Stüd Zuder hinein. Das zeichte fie ihr behende, nad bie bedent⸗
lichen Rumzeln ‚ber Stirne verſchwanden. Die Alie nahm einen
Schluck, ſchnalzle weit ber Zumge nor Behagen wad ſagte Hamm:
‚Dein Getrem!. Das-i is. Heffeechean, wie es Vafchfrauen zent!
. Dad do fi gewaſchen! Ja, dar Skaeimääden iſt brav!‘ —
‚it tmanlen nun, aßen ben Pollvichlahahen bezu,.uub das xilhvige
Mundwerk her Alte. zuhle, weil es ee. andere Beſchãäfugung Hatte.
Nachdem dab. gehörigt Quantum verſchluat zınd. ein NRauwieker
=» -
Anniel genocnaten war, den vdie Merkin -SırFRERHleR, Tagte die Alle
Di; za tun ſetzie Mh Weile. „Ruh Worte BEE ſagte
Pe. „Ich Tee Hate, DER der Wuchter Jehm MAR, daum habt Tg
Werd. Eich auch anmal hinaus Wirdh- ber‘ Wiſchel⸗ u DEE
Yen fi den Bibetrock um' ben Kopf, kette ſich art Die Band, Ai
wenige Augenblide ſpatet gab fe in fernen Tonftta MAD, fe
ſeaſe feſt and tief.
“Reife: ſtellte bie Merkin bi Stier Wir und Leone‘ ſich ati
bag Fenfterlein, ws fe bie im Monbſchein vor ſich liegenbe Wiſche
Abetblicken Tonitte Buls file 9, als Almen ihre Gebanken eine
aalbert Rlchtung; benn Ber’ Ausdruch ihres Flöhe Seftchtes wurde
eenft, bank wehruͤthig init ſchmierzlich, rd A rocknete FE Fi
bh und re Anne Thrane, bie X deutlich ankkindigle, BABÄHTE
Gebanken die Grenzen eines Geblkets Überſchertlen Imiteh, wo BE
Jedube nicht heiiniſch war wehl aber Kummier ni Borken: Unb
vo Leben Seil arten Winwe war ei an babert, keichet, als ſie
ni a
E32
on 2.
ob im worſe, ner. der Ride, PIE ſich rn le ger
ve — * eines armen Haufes, ab ee re A
jünger Men von etwa zwancztg Jahren. Er war hoch geweichfen
und Kräfte: Sein Geſicht war FREN, allein teug ben Ausbrack
eher! faft mabcheichaften chen: Er ſthlug den Wet hintee der Kirche
hernn: Mn, blicte nach/ inc Fenftern eknes eiten einfitatgen Häus⸗
ERS, on: das fich Reben tuutken and AI ern lichnos ſah ſchehg
er ad: TR, von. ORT STRLEIGAND Anker, BER er "Beträit:: Defet Zr:
fang ſentts ſich aber Rt Mi Mich dieſer Richtinig hatie
das Dorf I NEN Mittelalterlichee Befeftiglkag AUFHEBEN." Ber
Sit: inch eitmql geroitien· harrce! vnb IR niblh⸗ bin zum
0 3.
4
= MM —
Rheinufer kinabfüheeuke Mamer, über. melde, und ait auf ihr vubenk,
die Dacher ber Häufm- mit ihrem, jchäner ſchaverzblanen Exchiefer
Wuaugfahen, - An dieſer Mauer hinab ſief ber Pieh Bis sum Bogen
Ware, durch weldge bie. berühgete, man ber Franzoſen erbaute Rhein⸗
ſtraße hindurchführte. Von hier and trat ber Zimgling: urıier dem
Schatten ber Rugbäumg dem Häuschen zu, aus bem die Lohe bei
Kaffeefeuers fich erkennen ließ; allmälig, leife und ſchleichend ‚näherte
er fich dem Bleichhäusggen, ohne dah die yramen 23 merkten. Satte
er diebiſche Abſichten auf die Wälde das Schveräd — . “
« Behüte Bott! Er war unſtreitig ber veichfie Erbe des Dorfes
yab zugleich eis Burſche, der ejnes wmuptabeligen Rufes fich erfrenſe
Woellte u, die zwei Waſchfrauen, bie dieſe Nacht ba wandten, aus⸗
horchen? Auch das nicht) - Ex mußte ſich frei von ber. Neugierbe
welche ſich auf's abſcheuliche, fittlich verwerfliche Aushorchen legt, und
die Alte da unten kannte er wohl; auch wollte er durch Erſchrecken
keinen ‚Scherz, treiben; dafür war er zu enfl, Aber was trieb ihn
denn, ba doch ber Wächter eben zehn Uhr blie und augrief, dm
hinab? Das genau zu wifien, thut und Noth, aber es führt ung
auch in eine etwas frühere Zeit zurüd.
In ben Haufe, aus welchem der Jüngling getreten war,
wohnte ber alte Peter Merk, ein Denfh, der nur vor Baal feine
Kuiee beugte; ber Reiche im Dorfe, ber Geizigſte und Habgiezigſte,
ben ed umſchloß. Unfreundlich, herrſchſuchtig uns mürriſch in ſeinem
Weſen und. Gehaben, hatte des. Menſch wenig Freunde; nur. fein,
Geb gab ihm Anſehen. Die Lee hrauchten ihn in ihrer Moth,:
und. la. echter Blutegel fog, er ihren Ietgien. Mai von Wohlſund
aus, ‚wenn. fie in ‚ben Pexrtich feiner. Hiehlofen Thätigkoöt gexietihen.
Seiner trefflichen Frau hatte ex das Sehen zus Hülle gemacht. Sie,
ſtarb frühe, und. das wer eine Wahliimi Gotteh Für das mifbe,,
engelögute: Herz. ‚Sie ließ ihm ein Mind zweit, und. dies mer. ber
Yungling geworden, ber. ben den Pfah:aur: Bleche hinabſchtrin.
‚Yanz. bie ber Juͤngling, ber. ganz: bie Milde: und. Sanfumug
-
de Barmherzigkeit und Wohtthatigkar ſeiner Märkten ’geerbt” Hatte.
Sein Bater erzog ihn wie einen Gklaven. Er imerfte fich blind in
les: fügen, was bie Launen des alten: Geigzhalzes aushedten. So
kam es, daß er tief gedrückt war; dah, was er Sules that, nur
im Verborgenen geſchah; daß er mit. bkutendem Herzen das herz⸗
loſe Zufammenſcharren feines Vaters wahrnaͤhm und, foviel er ver⸗
mochte, das wiebder gut machte, was der Alte Ubel that. Wie
Jener daher gehaßt wurde, fo war Franz geliebt und’ geſegnet *
allen Leuten, die mitt ihm in Berlihrung kamen. Diebe hegte
Peter Merk für Niemand und eigentli auch Niemand für ihn.
Sen Geld war feine Liebe; aber haͤfſen konnte er bis in’ ben Tod,
und fo haßte er feine arme Schwagerin, bie Wittwe Merk, bie im
Bleibhäuschen am Fenſterlein lehnte und jeht darin ſtille rieſelnde
Thränen trodnete. Warum er fie haßte, wußte fein Menſch. So
lange fein Bruder lebte, verfolgte er ihn, und man konnte es öbne
Hehl Tagen, er Hatte ihn arm gemacht. In viele Prozeſſe hatte ihn
der berzlofe Menſch verwidelt, bie fein Vermögen, das ohnehin Peter,
der -Aeltere ber andern Brüder, nicht wenig zum eigener Vortheil
gemindert hatte, aufzehrten. Reich waren fie kicht geweſen, als fie
zu haufen anfingenz- aber Peter wurde es, und die Erbſchaft bes
Vetter Martin begründete vollends Peters Mehtkien:‘ Er fand
mit Einem Fuße im Grabe, aber an: bie Ewigkeit dachte er nicht.
Wie die Wittwe Merk, feine Schwägerin, fo haßte und verfölgte er
auch ihr Kind. Sie hatte Mur dies Cine, 'aber darin beſaß fit, bafür
0b das ganze Dorf Zeugniß, einer Schub. Das Mädchen war
eben neunzehn Jahre alt, und wer das Mätheden fah, mußte be:
Beinen, etwas lieblicheres, Teföneres;’ fitkigeres ‚war kaum zu feiiden.
Trotz ihrer Armuch wer fie fietd ſauber und nett getleidet ndie
alten Litıpchen;: trotz ihrer Roth war ſie lets heiter An Fleiß
us Gefälligkeit war fie unühertrofſen; "a Demirch und Beſcheiben⸗
Het ebenſo und ihr Leben wet: fo unkaͤbtlig, daß auch nicht der
Echatien eines Vorwurfes daran haftete. Ihr frommer Sinn zeichnete
- U -
fn-inbei mar Miley aus, und ihre Dosmherzige Mächianlirhe, EGs
war ewig. Nemqud Frank im Dove, Merſ's Räthgen plate ii
freiwillig und wachte gn feiwem. Lager, auh die Lezue meinten, ige
Mühe wirfe mehr, ala des Doctors Ang, beſonders ihr Zuſpruch,
ihr Gepet mit den Krauben, ihr Vorleſen aus ber heiligen Schräft,
bie fie durch und burg kaunte. Gig hatte ſich denn auch in ber
freiwilligen Lrankenpflege eine Uebung, ja man fannte jagen, eine
Kunſt erworben, bie ſelbſt her alte Decter Thomas mit Loh und
Preis querkannte, und ber war ein Sfegrimm und Brummhbär. für
war auch Mimenarzt in ber Stabt, aber wer nicht bezahlte, mar
ihm ein Greuel. Da ging’ ber Armen übel. Ea läßt ſich denken,
daß has Mädchen ber Liebling aller Leute war; nur ber alte Peter
Moerk, ihres Vaters Pauder, haßte fie gründlich. Nun, has ſchadete
dem liebreichen Mädchen bei Niemand, ſelbß nicht hei ſeinem Sohm.
Sur Gegeniheil, er Hatte fie von Herzen lieb, und die Leute ahneten's
nicht, wie tief biefe Liebe im Herzen ſaß. Hütte ss bad feinen
Vater merken Iaffen, ber würbe auß allem Fugen gefahren fein, ir
merlte es nicht und wußte es nicht, und wenn es Andere weg hatten,
fo war ber gute Franz wieder viel zu beliebt, als daß su: dem
Alten quch nur eine Andeutzing darüber hätte gelangen lönnen.
Auch am dieſem Abend war ber Wunſch, Aathchen heimlich zu ſehen
und zu beobochten, der Grund, daß Franz zum Bleighäusgen ſchlich
Kr glaubte vamlich, Kaäthchen wacht bars. ſtatt ihrrx Mutter, mad
ha er das Kehlicht Weſen fo fehlen ſah, wollte ex ſich ihres Anblids
heimlich exfreusn. Mit ihr haste er üher ſeine Liebe nie geredez aka
— wache Einer Über fein Page) Das Mädchen wußte, wiepial Uhr
sa im Herzan bei Jüngliugs mar, und — «A freue ſich deſten
zamiglichz amn — es hatte ihn ebenjallg von Herzen lieb; aber das
wußte Franz nicht, weil die Maͤdchen beſſer Berfteiend au ſpielen
willen rer MIR Der Wachter im Dagfe zehn Ahr bliaß, erwahte
Die Anialin, gähnie, dehnte ich umb jagt: „Hal Nun iſt meir
Bali ru, Marfin, wenn Da ſchlaſen wiſlſt, fo Ihm eb.
WM —-
"Wr kommt um Teiner made ine Auge, 8 bie‘ Liebe‘ Sorme auf‘
wer, das ib’ ich, Tri Waſchfrau Ein, gelerut, und das ft
nun Te. — „‚Deeints nicht um's Schlafent” fagtt dieſe und trat zw
den Herbe. Die Kpkelin demerlie die Spuren ihrer Thraͤnen., Wieber
geweint!“ rief fie mus. ,‚Remeß Ding! Aber was KIEFER -- Be
DIE zu mir. Das Herz liegt mir auf der Junge. Wer weiß, wann
wie wiever anmal ſo bei einander ſitzen ohne Zuhðrer, Liuſcher
und Weiterträiger? Komm, Merſin, ich habe Dir über Mamnches
Acht zu gebent‘ — __
Willenios feute fi die Wittwe und ſtutzte ben Kopf im beibe
‘x will bei Dir anfangen,” ſprach bie Alte. „Du weißt, ich
bin mit dem, waß in Peter Merl’3 Haufe vorging, fo befannt wie
mit meiner Schürze. Hör mal zul Die Leute frag oft: Woher
mag es nur kommen, baf der Peter Merk feinen Bruber fo haftet
Warum vererbt er feinen Haß auf feine arme Schwägerin? Ja, nody
mehr: Warum haft der alte Sünder das Liebe Kütbchen? — Ih
kann Rede Reben; bemm ich diente in des Merk's Kaufe, als Peter
ein Jungburſche wear und nach den Töchtern bes Landes ausſchautt.
Sieh' mal, fein füngerer Bruder, Dein Mann, Gott Hab’ ihn ſelig!
wor ein ſchhner Junge; ber Peter war din baärbeißiger Zornnickel,
ber me lachte, wenn eim Auberer den Hals Brady, Du warſt bamals
has ſchönſte Mabchen im Worfe. Reich waren bie Merks midht, bus
weißt Du. Und Du werft’B au nicht. Da war benn eben kein
Baurrupfiff im Spiele Dan Peter Merk trauten die Beute nur Ar,
er werde mach einer Reichen angeln; aber diesmal irrten fie. De
ſtachſt ihm in die Augen und — ob ich gleich nicht glaube, dech
er ein Merſchenherz hat — auch in das, was bei ihm bus Hety
war — ich weiß es a. Run iſts kurios in der Welt. Mag
@iwer reden, ont er will, vohne Lieb' gehts doch immer ‚ug In der
Ehe, und bie Lieb' Tan man nicht verſchachern, wie der Fud' ba
alte Giſen. Wie iR ſo, wie ein Vögelein, ba fich fein Zweiglein
- aM —- u.
ſucht, Desısıf. 28 ſein Bieblein fingen: will, wie's: ihm gefällt Bu
worx's auch mit Dir. Du hatteſt Dei wachherigen Dinser lieb und
& Dich, und als der Peter um Dich freiete, da ameßte.er abflatiern —
mit einer langen Naſe, wie wan ſagt, und :-gleidh darquf beine:
theteſt Du Deinen braven Mann. Verſchmähte Lieb’: breunt fchäufer
denn fiebenb Del, und ber Brand iſt auch gar nit mehr zu loöſchen
IH ſah Peters Wuth, — Ich hörte feine Fluche; ich war Zeuge
fort und fort feines Haſſes gegen End Zwei, ber bis heute nicht
enbete und das Grab Deines, ihn fo ungleichen Mannes war. Ich
- weiß es am beſten, wie er ihn um Gelb und Gut brachte; wie
glücklich er fich gefhägt, wenn Ihr hättet an feiner Thüre "beiteln
möüflen, bamit er Euch mit einem brüsberlichen Fußtritt hätte weg⸗
ſtoßen können. Davor bat Euch ber gnadenreiche Gott behütet, aber
der Peter hat's doch nahe genug dazu gebracht. Er heirathete eine
weiche Frau, die ihm der Vater verhandelte. Ihr Herz war gebrochen,
che fie ihn nahm. Sie gebar ihm ben Franz, ber. fo gut umd treu
ift, wie fie, dann fiechte fie bin, und er legte ſie ohne Leid in's
Grab. Den, welchen fie lieb Hatte, und deſſen Frau ſie geworden waäre,
wenn Meter. nicht dazwiſchen gekommen, bat er nach Amerika getrie⸗
den. Wie’ ihm geht, weiß Gott .allein, Von ba ab fuhr ber Geiz
teufel in ihn. Euch prozeßte er arm, Andern zapfte er das Blut
ab. Eure Aeder find fein geworden, wert uch. durch bie dritte und
rierte Hand; Eure Schuld handelte er dr..une Eich zum Berkaufe
3u zwingen. Und auch das Häuschen hätte er Euch gemimnmen, wenn
dee alte Adermann, bem Ihr Die hundert und fünfzig Gulden
darauf ſchuldet, nick ein braver Mawsı wäre, ber Euch: wicht. in die
Sünde dieſes Unmenſchen wollte kommen lafjen, Gott nergelt’ es
Yur reihlig! Wenn's nicht noch gute Menſchen gäbe, möchte man
lieber gleich, ſterhen.“ Die Merlin ‚weinte fa: laut. Es mar wahr,
wes8 die Bofelin fagte. Sie ſaß mit. dem Rüden gegen das Fondue:
lein, fonft Hätte ſie ein Geſicht geſehen, ſo bleich wis einn Reiche,
saß, um. ja nichts zu überhören, oft ben. Seifen bb Fenfterleins
u
— 85 —
vet nehe Kam. Alle ſeennzeichen eines im. Innerſten erſchütterten
Herzens zeigte dies Antlik vor: dem Fenſter. Waa mochte in dem
Herzen vorgehen, zu dem es gehörte? Nach einer Weile, indem fit
ana Holz auf dem Herde: zuſammenſtieß, fuhr fie forts „So war er
reicher geworden, ber wuchernde Mammousknecht, und Ihr und viele
Sunilien un Dorfe und in der Nähe ärmer. Da kam eine Begeben⸗
heit, die fein Thun erſt recht in's Licht ſetzte. Sein: und Deines
Mannes Bater hatte einen Bruder, der war Bartſcheerer im Dorfe
Hoden und hatte Schröpfen und Abderlaflen gelernt, kannte einige
Vflaßer und dergleichen und ließ fich -Doctor.fchekten. Der Martin
Mer wurbe von ben Franzofen, als fie zum erſten Male Soldaten
aushoben, auch genommen. Damals lebte fein Bater noch, ber theilte
und geb ihm vollends zum Erbe, fo weit er es nicht ſchon in ber
Lehre als Bartſcheerer und Aderlaffer verbraucht hatte. Er ging-mit
und war feitbem verſchollen. Bor etwa zwanzig Jahren, ald wir fo
achtzehnhundert und in hie dreißig fchrieben, kam ber Doctor Martin
zurüd. Heiliger Sanct Antonius von Pabua, wie war's mit bem
anders geworben! Er Hatte einen. Sad voll Gold und wußte nicht,
wie er’3.follte unterbringen. Da war ber Peter bei ber Hecke. Sein
großes Haus gefiel dem Maxrtinsvetter, ber überhmipt, fein Pfiffilus
wear. Der Peter ſcharwenzelte um ihn herum Tag und’ Nackt; that
ihm Alles Liebs nınd Guts und- fchmierte ihn mit feinen eigenem
Schmalze. Nach Euch fragte der alte. Martin nicht, umd ber Peter
“warte auch ihn ferne Yan. Euch zu. halte. Dein Mann war zu
gerade und ehrlich, um beim. reiche Better zu ſchmeicheln. tem, er
wer Trank. Peter pflegte ihn, und als er zum Sterben kam, lieh
err- einen Rotat: kommen. Man’ fagt, fein Bewifen habe ber Pfarrei
gewellt, anb_er babe Each doch die Hälfte feines Reichthums ver⸗
mechen woſten, nber ber Betr hatte ben Moter,..ber eine recht
Vuftiche Hıaibefeele war, beſtochen, und Ber fagte: Ob er ſeinen
- fauer erworbenen Schatz ſolch' liederlichem Geſindel geben wolle, und
dargeiches⸗ wehr — kurz, ſie Brachten ihn richtig hm Be Ede. Cr
_— 5 —
vernachte dem Beier Mies, und dis se a am
age begraben hatte, fiasb des guten Yramy brave Mutter, man
jngte damals — weil fie ſich birfen Judas ⸗Bruderſttrich ſo feher zu
Herzen gegogen Hätte. — Bo iR er ber grunbreiche Mann geworden,
und Ihr ſeid um das rechtlich End, zufichenbe Erbe ſchändlich ber
trogen worden. Ich diente noch im Hauſe damals und wußte, wie es
zuging. Nun, ich konnte ja nichts ſagen unb davon thun, aber das
hab' ich mit meinen Ohren gehört, daß feine Fran ihm ben Jabaß⸗
reich vorwarf; bei es ba zu einem wilden Streite kam und der
MPeter ſich geberbeie wie ein wildes, rafenbes Thier, nicht wie ein
Menſch. ine Stunde darauf bekam die engelsgute Frau einen
Bluifturg. Der wieberholte zwei, breimal, und fle war eine Leiche,
ber arme Frauz eine mutterlofe Wale. — Was kümmerte fich Peter
brum? — Er hatte beB Betters Gelb allein, unb Ahr waret arm!
— So geht's in ber Welt, daß fi Bolt erbarmel Und warum
hat ex Dein Kind? frag’ ich. Darüber Hab’ ich auch fo meine Bes
benfen. Erſtens gleicht «8 Dir, als Du fung werfl, wie ein Tropfen
Waffer dem ambernz; da werber bie alten Erinnerungen alle Ing
und mil ihnen ber alte Haß. Zweitens — weiß er es recht get,
daß ber treue, von ihm unterbrüdte Kranz Dein Käthchen lieb hat;
ee weiß eß jo gut, als ich es weiß, aber er if zu Plug, es merken
gs lafſen, weil er weiß, bat ber Strom erſt recht branft, wenn ihm
ein Mehr emigegengeftelit wirb. — Werſtehſt Du mi? — Er benkt,
ber Franz gehorcht Dir blind. Gr hat wicht den Muth, ein Wort gu
fagem, wenn ich ihm bie Tochter des reichen Müllers Haffter frete,
bie biigeotbe Haare bat und, als Bandeifen beruchtigt, feinen Feeler
kriogt, jo reich fie if, umd fo gerne ſie unter die Haube mochte nte
ihren dreißig Jahren und fo vielen Thaler, als fie Sommerſtecken
im Geiste dat. Könnte er Dein Niud dahin wiünkgen, wo bee
Pfeffer wächſt, wahrlich, er ſaͤumte nicht. € ſiehts, gib’ es
ur.” —
1— „Aq Bott!*' ſchrie vibblich die Mertin, ſat Ihr bes bleiche
—
— 384 —
AZNenacuai dort am Bmiei Fo —— daß wi —
uid gewejen!“
Die Anfelis fuße herum, eler —8* Befiht: mer 100g, dad bie
Martin geſehen. Sie wollte es ihr zusehen, aber ſie blich dabei,
In Habe ‚ed. geſchen, und as ieh ganz entſetzlich geweſen! I
Die Mſehin war sine kuraſchirte Sram: Gie fpgamg. auf und
eilte hinaus; aber dichtes "Wemölle. war, während bie Frauen ‚a
Herde tauerſen, am Himmel herauigezogen. Der Monb war
hedeckt und bie Morelheit sum ſo prößer, als die Alte non ber
Faname dea Farrs drinnen. im Bleichhäuschen geblendet worden
war, Sir ſah nichts. Hören keunte ſie bie Tritte des raſch uk
eilenhen nit; deun der Wind war ſtärker geworden, und .bie
Wogen bed Rheines ſchlugen mit Wacht gegen had felfige Ufer.
Fie Band eine Welle ſtill da. Al es aber auf ber Dorfuhr
ehem Gins ſchlug, ba überlief es fie hoch eiskalt, denn gerade im
ber Geſpenſternunde hatte die Merlin daB. Kobtengeficht, wie fie
fagie, geliehen! rır Der mit ber Mutterwilch eingeſogene Aberglaube
machte inet auch bet ihr. feine Macht geltend, und fie eille, fo ſchuell
fie konnte, in's Bleichhäuſschen, nicht ohn sig Dugenb Mal ſich
IR ktveien und ein Ave gu beten.
vs... . . T
Wir wiſſen eh, hab’Franz amd. einer ganz wmberen Urſache
zum Mleichhãuschen ſchlich, alt Die war, bie ibm dort feſſelte.
(ir hatte oft bie Alte gelvegt mach dan. früheren Berhäleniſſen jener
Familie; nach dem GQMeunde den Armuth feiner ante ımb bem bei
witerhichen Oaſſen gegen He; aber je ſchwechhaft auch bad Weib
war, es wer dennoch ein gutes Zeichen ähnelt Hexzens, daß fir
nicht Unkrect de wollte zwiſchen Mater und Sohm, auch went
Me Some diq lauterſte Bahrheit geweſen wre, wie bein. ohne
— —
Zweifel bad, was ſie der aan Merlin erzaͤhlte/ bie volle, reine
Wahrheit war. Jeht war. ber Zeitpunkt gekommen, wo er das
Her ohne Schminke horen ſollie. Er war wie: an die Stelle
‚gebannt. Es ergeifi Seine. Gabe eine Macht, bie ihn feſthielt,
und Zug vor Zug enihüllte fi ver ſeinem ſchwindelnden Geiſte
das Schauergemälbe, is. dem ſrin Büter eine fo furdtbare Rolle.
ſpielte, er ſah das Glück einet Familie zertreten, zwei Herzen
brechen; einen. Erbſchleicherbetrug ſplelen, — ja er ſah, wie auch
ihn fein Vater um das Glüuͤck ſeines Lebens bringen wollte; denn
er wußte nur zu gut, wie wahr das ſich verhielt, was Die alte
Rofelin von ihm und bes Müllers Tochter ſagte. Als ihn bie
arıne, gute Merkin erblickte, ſtürzte er fort, ohne zu wiſſen, wohin. —
Seine Stirne brannte; das Herz pochte, als wolle es aus. ber
Bruſt heraus. Alles wirbelte in feinem. Kopfe;-aber es war mit
dieſem Abend ein Wendepunkt für ihn eingetreten, ein Wendepumkt,
ber ibn auß einem ſtill duldenden Knaben zu einem handelnden
Manne ınnwanbelte — Er rannte noch lange umber, bis er unter
einem Nußbaum am mooſigen Rain nieberfan? und allmälig das
in ihm gährende Weſen zur Klarheit. Sam.
Es fchlug eben zwei Uhr, als er an ber Hinterthäre feines
väterlichen Haufes ankam, ohne daß er ahnen konnte, was fich hier
zugetragen. Zu feinem nicht geringen Schreden fand er bie Thüre
verſchloſſen. Sollte fie der Wind in’ Sthloß geworfen haben? —
Das war jedoch unmöglih; denn er kam in ber Nichtung gegen
bie Thüre, mobur er fie nur Tonnte aufgeiage haben. Da war
etwas geichehen. Et probirte. Sie wear von immen. gefdgloften;
das lieh fi nicht bezweifeln; auch das nicht, ba fein Water feinen
nächtlichen Ausgang, ben: erſten in feinem. Beben, ertbeift hatte, -
Chr: Weile ſtemd er überlegend da. Dann vrichtete er fidh
auf. nnd fah geu Hinunel. .Beufe 28 zum Gutett, Here! betete er
leife; denn nach.bem,. was er gehört, michte es nun 'zu einem
ernten. Auftritte Lower; vielleicht zum Bruche in irgend einet Art.
>
m 8498
—
Noch ‚einige Augenblidde Sayumelte ex jetıe Gedanften dann ging .er
feſſen Trittes hinab zur Buubkhiten, viertel tiefen, els bie Krinteniiftnte
Ing, imbem: das aut, wirmie Sbehmgsbänbe- bed: Dorfes, alt
auffeigmiben Berge erbaut wie: — DEE Grund, daß wie Thilve
verfchlofien mar, lag. im einen Bepebenbeit, ne ‚fie: im ländlichen
Berhältniften wohl einnal Vorl Der eite Merk Batte Im
Stdealle zuork wohlgenäßrte,, wilde, huge Pferde... Eins bavon riß
fig in der Nacht Ins umb trable im Stelie herum.“ Ungladiicher
Weiſe kam es dem angeheendenen; TRere nahe, das feurig. mb
liglich war. Dies ſchlug cheftig aus mid (dig dem ſchoönen Thlere,
das fich loßgewunden hatte, zin. Vorderdein mit ſolcher Gene
entzwei, dag es nur eben noch loſe hing. wo.
:... Mie Kenechte ſchliefen wie die Daabfe. Mur der · Alte wagn
Er hörte den Tumult im Stalle, ſtand auf, machte Richt, zimbete
fich die Laterne an und ſah nach. Da fand er denn das geſchehene
Ungluck, welches ven Verluſt des Tönen und theueren Thiereß
ſofort im Gefolge hatte, be ‚am ein Heilen‘ nicht gebacht werden
fonnte. "
"cm hochſten Grade erregt, zornig daß die Kriechte bie Thiere
nicht beffer und fefter angebunden, imwillig fiber den bebeutenden
Berlufl;; ber Im Zetipunkte ber’ Herbfiaußfant doppelt unangenehm |
war, flug er Lärm. Die Kutchte und Mägbe ellten herbei,
und empfingen ihr gehöriges Kapitel mit "Sahnpfen und Toͤben;
aber Franz erfchlen nicht. Dei "Alte hatie ſich in’ ein ncbeimeß
von Zorn hindingearbeifet, "aid er dns Niqhſtbaſein feines Sohnes
erſt wahrnahm. Schnell eilte er die Stiege binauf in feine Kammer: ,
Franz wor nicht da; el Bette War unberidrt. — Ohne Faſffung
ſtand der MER da. — DES HER Franz, den er in ber ftrengffen
Zucht hickt? Soblte der’ auf liederliche Wege gerathen fein? —
Ber konnte das Rechte wiſſen? Ober — follte er mit dem Käthchen
ger Ziſamenlünfte haben? —-.. Dab:tväre Für ie das Wergfie
grmgjenk Sage ende Ale old Part, Tapfind der Er:vergaß
m. 886 Ei
‚
ben:. Berhuft ‚feineb-. Beflen. Gierbes; Üben: dirſeur eetſchenfulle.
Endlich trat er ud bet Kammer, rw nee und Magbe DE
Eramen gt nehmen3 denn bie Tomiien mägfücheemeife mn diefe
nächtlichen Ginge bei: Sohnes wiffen. Da unpfand ev uinen
heftiger Bug: vom Epeicher herab. Gr ſchritt hinanf -umd‘ Tab bie
Sintertglire uffen,. die, wie Bat aller Hönfern bed Dorfen, bie 1Rtt
bem Dache au ben Berg reichen, eigentlich Then: af dem Spracher
wer: Er leuchtete hinaus; ja er fh hinaus, ſelbſt ARE gegen
das Huuochen/ darin bie Merkies wohnte; als er aber da Fe
Licht bemerkte, tie Wie feſt verſchlofſen war, fephttete er bei
Kopf mb ging zarüick, Klo die Thies und am wieder in bat
Stall. Die Knete hatten Nachbain gewoct. Der Hitte, ber As
glei Abbecker war, em auch. Das mngienqe ur warbe mit
vercinter Hülfe weghebracht
Der alte Der jaf in feinem Seſſel und ſchãumte Bor Zorn.
Es flug eben zwölf Uhr, — Nach eines Stunde kamen bie
Knechte zurück. Der Alte ſchickte fie und die Mägde fchlafen. Es
blieb auf, Endlich, nachdem zwei Uhr bereits Tingk vorhei war,
Hlopfte es an ber Thüre, Alles kochte und wallte im. Kerzen des
ſchwächlichen, alten, Mannes. Ahal dachte Mr, wu kommt bes
Finfel, Zitternd vor..Zom, ging er, hinaus und öffnete, und faum
lag, die Thüre im Schlofke, ſe brag ber Strom Aber. bie Dämme,
Franz ſchritt flille por, dem Mater, her, aber nicht bie Treppe
binguf in feine Kammer, ſondern in. bie Wohnfube, an bie bed
Vaters Schlaffamnaer fiieß, Dort fept er fi in aller. Suffung,
jeboch todthleich, dem Vater gegenüber, hörte von dem ‚Unglüd ung
lleß danu den Strom der Schimpfnamen über ſich exgehen. Als
er ſich entladen, fragte der Alte: „ warf Du 35 will Alles
wirken Rebel \
. Yanıy war: fi votig ta geworben Pr und: m Note
er feinem; Vater tretein, Me: uicht ereiſetre nvch wentger
— 9 —
aher die Guruge Überfchreiten, die das Qebel: „Dre Feilf: Deistek
Baier und Deine Mutler chren“ — geſetzt Bat. Balken Minke:.
Ea iſt haste eine: mrgFüdklice Nackt," hob rang an: „uk
brachte fir bat: Uinglikl mit dem Perhe,. mir aßer ein weit grherrt
— benn fie zog emblich hie Hill hiuweg von mcchem Gehchnuc,
da wie ein Alp mich briädte. Vater, Ich werbe offen üchen, wie
eh: dern Sehne: zienct, aber ed: fickt in der Schrift: ‚Ye, lies
zeigt ur Kiaber. nich⸗ zum Sornel” Dacun bitte ich, mäßig
ich und ſchimphet micht wieder, wie. Ihr eh: thatet. Ich verbiene
fake. Nemen nicht, das ſollet Ihr erfahren. ME wilb ohne
Mchale Yes Tre machen Das will ich Euch vbrerſt. ſagen,
hab, ich das Kthchen lieb babe, wie mein Bebew, ja noch die.
u will geme das Meine Iingeben, un: ba Bcne;;. wenn im
Gefahr wäre, zu retten, Ihr feib dagegen, Id: weiß 8," den
Alte wolle aufbeaufen. Franz bat. iger richig amnuhören,. weil es
fe ſchmeigen, aben dann Teine Etunde in diefenn fhuchbeladenen
Haufe bleiben, ſoadern, bas- fett fein fehtu Wille, nach America
auswenhern wurde
Dexr Ak fand (radios: in fiinen Geſſel ziel Was un
mi bw ſtuaben veligegntigen? Als Knaben hatte er ihir betrachtet,
ala An⸗ben ihn behandelt bidher, ob er glei bie: Knabenſchnhe
langſt ausgetreien, und wim ſtand' er wuplöglich ala Mann times
gegenüber mit einer fo, überwaltigenden Ruhe undı Feſtigkän, ba
es, dem Alten fehler fchmwinbeln: wolſte: Endlich rief er: „So redel“
und Franz fuhr fort: „Ihe. ſeüd dagegen, ob's dei: Eutes Bru—
ders Sind if, den: Ihr arm gemacht, vielleicht ins Erad gebracht
habet. —W—
„Lugner, Du!“ hacker ber: Az abet. ed wan:iken, ald tauuge
bie Poſaune des Weltgerichts is feisees Seele huntiti. Er zltterte,
mie: das Blau der Elherpappei am Buche, werte. bee Wnbi dattz
die Met geht.
Heihet mich Bag, wenn Euch denitgea Gewriſſen:die
Wahtheit zuruft,“ fachr Framz ruhig fott.”- Ihe wouhet. ih mit
Hafkter's rother Brethe verkuppeln, ich weiß es. Daraus wird
nichts das jag' ich Eich wor Bott Bier. Die Undliche Pflicht hat ba
ihre Orenzen, wo ed fichnum bag Lebenüglück des Kindes handelt
Da: ich mia bidher mich wie rin Minds. Teitert Tieh, ſo wägte ich es
nicht, das Kitchen zu ſehen. Heute‘ Nacht Best Schulmeiſters
Waſche auf ber: Bleide: "Die Tante wuſch fle. mit ber Kofelin.
Ich beachte, daß Käthchen wilrbe dabei wachen, und ich konnte mich
einmal buch das Fenſterlein ungeſtört erfreuen, das Hehe Geſichtchen
zu ſehen. Gtött deffen hör' ich, wie die alte, zwar ſchwatzhafte,
ober: grundehtliche Kofelin ber weinenden Merkllu die Geſchichte
unſerer Fame erzaͤhlt, ich höre ben Grund Eures :Haffes gegen
bie Tante und das Mühen; ich höre, wie Ihr fie durch Prozeſſe,
arm machtet und ihre Güter an Cuch brachtet; „höre, wie Ihr
8 wit ben Martinsvetter gemadgt habet, — Water, ich weiß Alles
mab verfiche nun weft, was andere Leute mir oft als Rathſel
kunvarfen, die i6 nicht Töfen konnte. Nun babe ih Euch Einß
zu fragen: Wollt Ihr der Merkstante ihre ®üter frei zurüdigeben;.
wollt Ihr derſelben die Hälfte des Erbes voni Martinävetter-
fommt: den Zinfen: zurückgeben und fo ben Fuch abwenden, der
auf uns ruhet? oder — es bleibt keint Wahl — ich verzichte auf
‚ mein Erbe und Hehe arm nach Amerika. Das ſteht feft. Rum,
bedentrs Euch wohl bis Morgen. Gute Naht!” —
Er ſtand auf und ‚ging feflen. Trittes zur Thüre: Hinauß: Er
ka nicht; daß. ber Alte ſteif ohnmächtig in dem Geffel Ing. —
8, der Sohn ben Willen ausſprach, nad) Amerika zu geben, ba
vergingen bem Alten die Sinne; das Sünbenregifter fiel wie dne-
Centuerlaft auf. ſeine Seele und erſchütterte ihn.
ME die Magd am Bkorgen in bie Wohnſtube trat, lag ber
Mte im Seſſel und ſchlief zieemmlich tuhig, aber er ſah bleich umb
entſtellt aus. Was mag da geſchehen ſein? dachte ſſe; denn ſie
hatte noch Nicht geſchlafen, "Als: Franz heim kams Hatte beit heftigen
_
— aAab —
Alten furchtbar polzun gehut, weh dach war Fran mh langer
Zeit erſt ruhig, aber merkwurdig feſtund gem; anders auftretenb,
wie ſonſt, die Treppe hinaufgeſtiegen. — Kaum hatte ſie Wahlen,
gehalt und Zauz angemecht, fo lam Franz mit hen Aecchten herab.
Sir, gingen in ben Siall, kamm Dans zus Suppe und, gegen ‘feine
Bemohuheit, orameie Jyamnz bie othwendigen Ynbriten.en, nochdem m
wit ben Knechten Midipuache genommen, und fuhr daun wit be
rechte. hinaus, der einen Acker zu Pier eb nnterzueggen Bates Mär
ſetbſa Tüte, und ala biefer Welen geeggh war, ſäete er eiaen yuailen,
ließ. auch biefen, der zuinber groß, als der enfle war, eggen mad
Bing nach Harfe. DaB ſiel Allen ai, da Franz bisher fich Tas
um etwas bekümmert hatte, was ihm nicht fein Vater bejohlen.
a war plotzlich ein Anderer geworben, das war gewiß. — Der
Alte war ſpät erwacht. Gr befand ich unwohll, matt und ange
griffen. Die Hausmagd rieth ihm, ſich in's Ben zu legen; aber
daa ging nicht; denn bie Juden im Darfe hartem ben nachtlichen
Anfall gehört und kamen nun ſchon ab. ſchmußten dem Alten
Über dan Anlauf eines neuen Pferdes, das fie hätten. Sie brach⸗
ten das Thier in den Hof. Des Wie vergaß Über alle Umſchrreiſe
uns Judengeſchwätze eines foichen Handels, was ihm bie Bruft
ꝓiſammenſchnürte, fchier ganz; nur dann uns wann verrieth ein
tiefer Seufzer, daß e& nicht überwunden, nicht wergefien wear,
Peter Merk war Rokianm genug, man zu erdersun, bafı er
mit dem Pferde, fo theuer es auch Die Juden hiellen, einen guten
Kauf machen würde. Sm if: denn endlich der Handel richtig
gaworden, und fie ſtellten hab Thier in den: Stell, ld chen Franz
zurückkam. Gr goeääte feinen Vater fo ehrerbielig, wie immer,
beſah und unterfuchte auf eine. jo: kundige Welle ab Pferd, daß
Win Vater im Stillen erſtaunte, und hielk dann den Gen
Für gut.
Er ging übrigens auf heine Qamuuy, Ueidete am un kon
dann herunter.
Horn’s Erzählungen. X. 28
— 354 —
„Bas gibra?“ fragte etwas kleinlaut der Alte,
„Ich gehe in die Stadt, zum Agenten,” ſagte er und Ki
zur Thüre hinaus.
Den Alten üÜberflel ein Zittern und Beben, daß er in feinen
SGeſſel ſank. „Was iſt aus dem Buben in einer Nacht geworben”
vief er faſt verzmeifelnd aus. „Wo hinaus foll das? Mater Ernfl,
und ich traue es ihm zu, was foll aus mie werben in meinen
alten Tagen? Hab’ ich dazu gerimgen und geſpart?“ — Das Wort
„geſpart“ blieb ihm aber faſt in ber Kehle ſteden; denn bie Thüre
ging auf, und bie Koſelin trat herein, vor der der Alte eine wahre
Scheu Hatte, weil fie ihm immer: wie ein Schredbilb vorkam, bag
ihn am Zeiten erinnerte, ‚beven Erinnerung er gerne mied.
„Bas willſt Du, Margreth?“ rebete er aus alter Gewohnheit
bie Dienerin an, die ibn genauer kannte, ala Jemand; benn fie
war ja lange genug im Haufe gemwejen. ”
„Was id; will, Peter Merk, ich will e3 Euch rund fagen,”
bob fie an. „Dieſe Nat” — und fie erzählte ihm Alles, wie fie es
der Merfin gefagt, faſt mit wörtlicher Treue, — „ohne daß ich es
wußte, war Euer Sohn Obrenzeuge, mie ich vermuthe. Da bat
er nichts Erbanliches von feinem Vater gehört — benn Ihr wiffet,
die Margteth weiß mehr, als andere Leute, aber an bie große
Glocke Hat fie es nie gehängt, fondern als ein Geheimniß betrachtet,
daß fie als alte Magd bes Haufes bewahren müfle; aber Eurer
Schwägerin war ich Maren Wein ſchuldig. Sie Bat ihn gekriegt.
Daß Euer Sohn Zeuge war, ahnte ich nit: Run Hör’ ich, Ihr
habt Spektakel mit. ihm gehabt. Sagen mollt ich Euch nur, -
daß es der bravſte Sohn ift, ben je ein Bater Hier hatte. Ber⸗
fahret vernünftig mit ihm. Bringet: ihn mit zum Aeußerſten!
Eben gehet er an mir vorliber. Ich grüß' ihn. Cr dankt, aber
er ift ein Anberer, wie ſonſt. Er reicht mir die Hand und dankt
für bes, was er biefe Nacht aus meinem Diunde gehört. Das
babe ihm bie Augen geöffnet. Er fähe, fagte er, daß ein Fluch
«
— u —
auf fehlen Habe iube. Sie? ulffe wieder an -berı 'vediten Heren.
‚Därum gehe er: in die Stadt, zum Agenten. Er wandere ans nach
tieren. Bon Eurem Gute wolle er feinen Kreuzer. Mit dent, was
@ von feinen Pathen befonnmen, une er nad New⸗-HYork kommen
mb eine Zeit Iang leben. Des fei fein. Er lafſe eB verſteigern
und sehe beßhalb zum Notar. "Sein mötterikh Erbe vermache er
dem Käthchen; auf das väterlicht und die Errungenſchaft verzichte
er. Euch, fuhr er fort, babe er eine Bedingung geſtellt, bie Alles
Anbern konne; aber wie er Euch kenne, gaͤbet Ihe lieber Euer Minh
Bin, als das zu thun. Was das iſt, weiß I nicht, will'g pl
nicht wifien, abet bas mußt ich Euch jagen. So ſteht's.
führt?3 aus, daran if Fein’ Zweifel, Was er gehört, das bat 3
plotzlich zum Manne geimacht. hr wiſſet, es iſt kein Jota unwahr
dran, was ich geſagt. Nur fluchet mir wicht, daß ich die unſchul⸗
dige Urſache bin, daß ein großes Unglück Euer graues Haupt
vedroht — aber ein verdientes — Meter Merk, ein wohlderbdientes.
Doch — in der Schrift fieht: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet
werdet!“ Ach ſchweige. Thuet, was Ihr wollt. Ich babe mein -
Gewifſen gewahrt, aber — bebenfet das Endel“ aBt
Die Alte drehte ſich auf dem Abſatz um und ging weg; ohne
den alten Wert angufehen, ber wie ein Bild des Jammers ba
faß, und bie Hände rang, wie Einer, den bie Huth des Elend
verfihlingen will. —
J
4.
Weide alte Koſelin es hernahm, daß Franz fie im Häͤus⸗
chen belauſcht? die drage beantwortet ſich leichter, als Jemand
glaubt.
8 ber Wächter bie Mitternacht rief, Topfte ex leiſe an:'bem
Fenſter Kathchens. Das gute Kind hatte ihn darum gebeten;
23*
*
dern fie mmollte die Mut⸗ -ablüfen,, daf fie Si4 King, ok mb
fihinfen Time, Ste mußte ſchon, daß bas bei ber Koſelin ven
‚ suunbgliih war. Bm hem Ende haut ſich Kathchen mit dean Klti⸗
tem auf's Bette gelegi sub ſpreng nun⸗ vaſch af. Aha. zur Ahle
kinansb:, ſchloß ab und beinst beflügelten Schrittes den Pieh, han
auch Feanz sürige Sumden fuhler Dinahgeinitten ud in eing
Hoffwmg, dir ihn je bitter täuſchte |
Indhlichen Herzena fhritt ba ,eblihe Madchen Kaunte;;
Aero oh’& wohl die. Deitter nichh mellte,. fo tes, fig doch ihram
hndlichen Hagen ein Genüge, mb. bies Bemußiiein- ih, ja fo
erquickaib ME fie zu der Stelle ſam, wo bie mädtigen Muh:
bame an der Ningmauner des Dorfes hinabſtehen, mar eb ihr,
ai häre fie einen feſten, männlichen Triit. Der Schall kam au
dem Thale herauf, Sie harchte. Daa war nicht der Muitar
Tritt. Sollte eima ein Dich? — Sie erſchrack. Doch fie Tanıke
die Sorgfalt der Mutter und ber Koſelabaſe. Aber wer. ſollte es
fein, um dieſe Jeit, am dieſem Ort? Die Tritte lamen näher.
= Ge wyat augſtvoll hinter ben Stamm, eines Nußbaumes, ber ganz
nahe an der Mauer fand. Der Mond war. hinter die Wollen
getreten unb ber Himmel ringsum bedecktz dermoch war «8 hell
genug, wahrzunehmen, wie. eine Geſtalt laugſam baberfchritt, Sie
trug nichts. Sin Dieb war's alfe nicht. — Die Gefalt famı
näber. Des Mäbchend Herz bebte, — fie glaubte Frag zu ex⸗
kennen. Wie follte der bierher kommen und zu biefer Zeit? hr
Auge firengte fi an, bie Kichtftrahlen zum Crlennen zu benutzen,
bie das durch die Wolfen brechende Mondlicht lieh. Das Auge ber
Liebe fieht ſcharf. Wahrlich, er iſt's! fagte fie in fich Hineln.
Aner was if ihm? So Hab’ ich ihn nie gefehenl Seine Hände
ſind vor ber Bruft gefaltet, ala weile er das Pochen bag Herzens
hemmen. Sein Kopf tft auf bie Bruſt geſunken. So ht r
ſnumm dahin. Ah! was mag ihm fein? — Die Frage blieb unbeant⸗
wortet; aber, ba es ſchien, als käme ex. von ber BVleiche ber, fo
ae fie far um To mehr, beriiin zu Tomemen. Mile beiben
FRanen fand fie noch in ber größten Ang - gen bei Gefichies
am Fenſter. Die Mutter ſchalt, daß fie in bier Stunde ba
hettibtkvmme; fe Habe doch daB Herz nicht, allein heim ger gehen.
De Midi Tome dos gute Kind und Icchte bie Merlin. aus,
fte@ehh, ſich kanerlich geſtehend, ba fie eben fa. wenig Luſt Amlige,
jest den HZeimweg unzutwtim. &o am natürlich bie Bede uf
BB tedtbieiche Geſicht am Fenſter. Jeht erzählte Rüthen, bef
ihr Franz Merk tn ſeltſamer Haltung und Welle begegnet hei.
Vieleicht fei er es geweien, ben fie gefeben. Da blickten fich- bie
Frauen an und erfchraden noch mehr, indem ſie ſich deſſen genau
erinnerten, was fie geredet hatten. „Die Sache hat, wie Alles,
ihre zwei Seiten,“ hob endlich die Koſelin an. „Es iſt gut,
daß ber Franz einmal Licht bekommt; denn er würde es doch
fonft kaum fo Mar gewonnen haben; aber eg ift mir leid, daß er
es durch mich erhält. Wie oft bat er mich über dag auöfragen
wollen, was er jeßt weiß; aber ich habe gefchwiegen, wie che
treue Magd fehweigen muß über das, was innerhalb ber Wände
des Haufes ihrer Herrichaft vorgeht. Zwar verachte ich ben fhär-
Tichen Grundfag: Weß Brod ich effe, deß Lied ich finge; aber bie
Magd fol Augen haben und nicht fehen; Ohren Haben und nicht
bören; eine Zunge haben, aber nicht reden, es fei denn, wenn fie
weeil und Verderben abwenden Tann. Go Hab’ ich’B gehalten,
ang ſo dal!’ ih B:and jet.” |
„Wir jo beit‘ fragte bie Merkin.
7 Ale, Sich gebe ſaber zu dem Akten,” jegte bie Kofelin Bf
dirſe Frage/ „um write ihm Alles, wub warme ihn bei Reihen
vor bem, was "Tanmmmı Tönnte, wie ich nämlich ben Frauz Zu
Peremen! giube.“
„Du wirſt doch nich ? rie angſidell bie Merlin.
DER benü ash, du angſtliche ai“ vernies FR
„Was ich gehagt, iſt Wahrheit, die will ich ihm einmal wieder
sell, ganz, rund und-madt jagen, durch Die umb Diimne, bamit ich
vollends fein Oewiſſen wede; aber ich fag’ es ihm auch, damit ar
richt glaubt, es fer klatſchweiſe und abſichtlich geſchehen. Er folk
bie Wahrbeit willen. Es würbe wich quälen, wenn es jchiene, ads
hätten wir falfch und hinter bem Rüden geſpielt. Seiner lieben
Zran, Bott hab’ fie felig, verdank' ich viel zu viel, alß daß ich
das vergeffen bürfte, und das trag’ ich, ob's gleich ber alte: Sünder
nicht verdient, von ihr auf ihn über. Dabei bieibt’ä1”
Die Merkin wußte, daß, wenn fie mit! den Worten fchloß:
babei bleibt’3! Feine Maus einen Faden abbiß. Und fo ſchwieg
‚ fie, und das arme Kätbchen, das traurig daſaß und feinen inneren
Regungen Gehör gab, kam um ‚die Frucht feiner Kindesliebe; bie
Merkin blieb, und bald wurde es todtſtille im Bleichhäuschen;
benn eine Jede verſank für ben Augenblid in ihre eigenen Gedanken.
Die Kofelin Rand endlich auf und ging, nach ber Wälche zu feben,
und als fie wieder Fam, fand fie reichen, neuen Stoff, ihrer Zunge
freien Lauf zu laffen. Wie weit ihr Gerede Hörer fand, dag
ließ fie ununterſucht. Sie mußte rebein oder fchlafen, und da
‚fie bad Eine nicht mehr konnte nach ber Gewohnheit ihrer Natur,
fo that fie das Andere um fo emfiger und raſtloſer.
Als Fe am andern Tage aus dem Kaufe Peter Mas. lem,
eilte fie ſtraks zu dem Heinen, einftödigen Häuschen. Die Witwe
Merk war auf ber Bleiche, wohin auch die Koſelin zueldfehren
wollte, da bei hellem Somnenfceine bie Wuſche des Schulwägchens,
wie man die Lehrerin traulich nannte, aufgetrocknet werden mußte
Käthegen. ſaß allein da umb mähte emſig, amd manche ſtille, heihe
Thräne befeuchtete das Tuch, das fie zum Hemde verarbeitele,
Schnell eilte fie in. die liche, als fie bie alte Koſelsbaſe onen
fach, um fich zu waſchen sach bie Sparen ihrer Thranen zu pertilgen.
Das gelang ihr um fo vollftändiger, als bie Alte nur Inengfamm
-
— 340 —
PR konnte. Sie; {ap wieher an ber Arbeit, und bie: — be⸗
merkie nichts, als ſie eintrat.
„Du wirſt mich fragen,” bob fie ah, als fie fi, mei. "nieder:
geſetzt Hatte, „warum ich nicht auf ber Bleiche ſei? Ja, Sa gebe
Eins alıf die Bleichel — Weit Du, was fl heute Nat broben
bei Merk's zugetragen bat? Nun, Ich will Die Alles erzählen!"
Das that fie denn nun auch breit und ausführlih, vom Augenblde
mit: dem Pferbe an, bis zum letzten ihret Worte, weiches fie dem
alten Merk vor wenigen Augenbliden gefagt.
Käthchen hatte die Nadel finken laſſen vor Schreden, als fle
den Entföhluß des jungen Merk vernahm, nad Amerika auszu⸗
wandern. Alles Blut war aus dem lieblichen Gefichte gewichen,
und das Herz pochte fo ftürmifch, daß fle kaum athmen Tomıte.
„Ach!“ fagte fie endlih, mühfam die Thränen unterbrüdend,
bie ihr aus ben Augen bervorbrechen wollten, „er wirb es doch
nicht tun?” —
* „Thun? Närrifches Kind. Thun? Freilich thut er's! Ich ſage
‚Dir, ‚mit dem Franz iſt dieſe Nacht ein Wunder geſchehen, das
ich fo recht eigentlich nicht begreife. Er ift ein Anderer gewyrden;
ein Mann feſt und ſſtark. Ja, ich kann Dir noch mehr fagen.
Er forderte von feinem Vater, daß er Euch al’ Euer Gelb zuxück⸗
gäbe; daß er bie Hälfte ber Erbſchaft bed Martinsvetters mit ben
Zinfen vom Tage au, wo er fie antrat, erſtatte. Sa; noch mehr:
Er ift in die Stadt und zum Notar, um Dir bucdh. einen Aft fein
. mütterliches Erbe zuzumwenden. Auf das väterliche will er verzichten.
Das fiele Euch denn auch noch zu am Ende, wenn ber. alte Merk
e8 nicht anberwärtd vermacht. Er mil nichts, als was ihm fein
Pathe vermachte, und bamil will ex fort, über's Meer hinüber” —
Das Mädchen rang bie Hände und Heß dann bie gefalteten
in ihren Schooß ſinken. „Allmächtiger Herr im Himmell“ ri
fie. aus, „mas denkt ber Zeanz? — Wir wollen nichts wen feinem
— ww —
Vuter anb ihm! Mir Gaben ums ehench ee und Wehen ee
mit Gottes Hülfe auch ferner ihm.‘
.. wo kammt's nicht emn,“ Tergke Die Be —** „ob
Ihr's wollt oder nicht. Es ſoll an dem muchten rben, ud Hm -
gebbst- ab. gebabrt. Ind damit Holahi Recht Anß echt bBleiben!
GSott im Himmel will's fe. Da Aa che arnurx Menſch chta
anberu. W
nA! MÆoſelabaſt,“ rief das Mädchen inn fußerſtee Angſt, „net .
ihm doch zu, daß er dableibt und Alles läßt, wie es iſt. Mr fie
ja vergnügt mit unſerm Stücklein Brod. Ich will nichts and nehme
nichts! Soagl's ihm, ſagt's ihm doch! Wollet Ihr nicht? Gut, danu
ſag' ich's ihm ſelbſt!“
Chue das, Kind, thue es. Es if ihm gewiß am liebſten
oft jagte die Alte mit einem ſchalkigen Lächeln.
Das Mädchen erglühte.
„Ach, quält mich nicht,“ rief fie weinend aus, „und erhört
mein Flehen! Ih will Euch auf ben Händen tragen mein Lebtagl”
‚Sei boch verniimftig, Rind,“ Fprach die Alte. „Wer wirb
gtekth fo ans allen Fugen fein, wie Du! CB Mt ja andy moi nicht
after Tage Abend, ımb der Rhein wird noch manch' Tröpflein
hinabtollen, che daB Alles fertig it.“ Doch — ſie fah zum
Fenſterlein hinaus und demerkte dickes Gewolke am Himmel —
‚man meint, es ſollt' hente noch einmal ein Gewitter geben, zu
guter Lebt. Da muß 16 Fort und Deiner Mutter rafch auftrocknen
Heften. Run fag* ich Dir, hente nicht! Das machbs nicht beiier.
Bee Du, das Hilft!” Und mit biefen Worten machte fie ſich von
baren und eilte, fouiel es ihr After zulieh, dem Pfade zu, ber
at ber Diamer Hinab zur Tiferbleiche Ieltete. Sie Nie das atnre
Mädchen im einer troſtlofeit Rage. Indeſſen Many Türe letzte
Meyaumg in eine Fromme, glünkige Secle Simein, und vald kniete
Mitychen un Goden umb ſchüttene ihre See vor dem Her im
inmigen Bebeie aus. ‘Sie flehte aus amgiterfülter Seele, ba ber
Herr An Euaden Franzend⸗Herz rehieren weile, bo er den vhs
gefaßen Eutſchlich nicht aha et Alleß, wad jet fo Trails
wos wor ſchlen gulldaiglich TEfme nech entoheren weile, ba x
—— Sehen Pe — ray wertbet 3
4. ION Jahtenait war ſchon weit votgertckt und bie Abende
ww ſchon FÜHL Wie Zeit der Bewktlter ſehlen längft vorllber.
VDennoch whr ber Tag bei wurd Be machtigen, wetßen, gebiclſten
Wolfen, die im Sübweflen Aber bie Berge emporftiegen, ließen
«erbings einen Gedaulen Ras. narianen, wie Aa die Bofelin
a
MS Räthigen ned In Hefe Böck —8* Hoyfte 2 haug
1 der Thüre. Sie erſchrack, ſtand fihudl.muf und eille ans
Zenſter. Da ſtaid des Schullehrers Mein Töochterchen mm ber
Thüre. Das Kind war ganz athemlos, ſo war es gelaufen.
„Käthchen, lieb Käthchen!“ rief das Kind, „komm' doch eiligſt
auf bie Bleiche und Hilf auftrodnen und aufraffen. Es gibt ein
Schwer Wetter! Tummele Dich; bie Mutter läßt Dir's ſagen, Deine
Mutter und meine!’
7 Sch” mar, Jultchen,“ war des Mãadchens Gegenrede. Zqh
tomm ſogleich.“
Wieber eilte fle in bie auch,, die Spuren ihrer Thranen durch
Altes Waffer zu vertifgen, trodhtete fig ſchnell a6 ımb rilte ‚ae
Hilfe ven Pfad hinab.
Es that aber auch Noth. Die mädtigen Wolkenmaſſen, an
benen die Ränder ſchneewelß waren, bie aber bdann ganz ſchwarz⸗
Kran ſich emporhoben, ſtiegen ja mehr und mehr über De’ Berge
herens, die oben das Rheinthel abzuſchkießen ſchlenen. Det Rhein
meicht vei bern Dorfe einen weiten Bogen. Vabdurch ſchließen hr.
ben un unten die Berge ſcheinbat ſo ein, baß et wie ein Berg⸗
ſet vor dem Auge liegt. Der Wind holte aus in gewalligen
Athemzügen und trieb die Wolfen mit großer Schnelle fiber ben
weiter Thalteſſel. In dert’ gewalligen Nußbammen benaren ein
propheuſches Raufen. Die Bellen beb Stremed, die: fi ſen
ben ‚Morgen geglättet Hatten, fingen an fig mehr und meht zu
kräuſtln. Die Möven, welche os: den felftgen Ufern haufen, begannen
rafcher die Luft zu durchſchneiden und fliegen jewen Ilagenben Tas
aus, ber ein Vorbote des Sturmes zu fein pflegt Die Vögel
‚flogen raſcher, und alle Vorzeichen eines: ſchweren Wetters waren
vorhanden, das bei den Eüdweſtwinde ungeheuer ſchnell bei
Strome, der in. biefer Richtung fließt, folgte,
„Raſch, vafch, Kind“ rief die Kofelin. „Heute ſpaßt's nidt. Ger
witter über gefchwungene Nußpbäumefhaben böfe Naupen. Ich entfinne
wid, daß Anno elf, auch um biefe Zeit, eins tuͤchtig und gefchubriegelt
Bit. Damals. wurde Martins: Peters: Lisdeth unter einem Nuße
. Imtım mauſetodt gefchlagen und ber Nußbaum dazu mitten ent⸗
zwei. “
Es blitzie in diefem Augenblice heftig.
„Heiliger Sanct Antonius von Padua!“ rief die Koſelin und
bekreuzigte ſich. „Da haben wir's ſchon!“
Indeffen hatten bie vier fleißigen Frauen — denn bie Lehrerin
half wader — bie Wäſche in Körbe gerafit und glücklich im Bleich⸗
häuschen geborgen, bad gegen ben Regen vollen Schub verlieh.
‚Auch die Frauen und das Kind fanden Schug darin, da das
Wetter fo raſch heranfam, bag man unmöglich mehr zum Dorfe
hätte gelangen Können, ohne ſich ber Gefahr auszuſetzen, durchnäßt
zu werben. So ſchien e8 wenigſtens; aber Blig und Donner und
Sturm zifchten, Trachten und heulten um bie Wette, ohne daß es
lange Zeit aud nur ein XTröpflein geregnet hätte Das Gewitter
war ſo heftig, wie man im ganzen Verlaufe des Sommers keins
erlebt hatte, Unter ben vier Frauen zeigte ‚fih bie Kofelin am
feſteſten und rubigften. Die Lehrerin zitterte; die Merkin bebte leiſe,
und Käthchen ſah Hill vor ſich nieder.
Pluvlich -erhefite ein fürgterlicger Big das Häuscen; ihm
— Mm —
jeigfe .ımusittelber, beit vnd grell tonend, dann Iekiiem raffchub,
ber Donner nett folder Heftigkeit, dah laut wſſthreeid die Branen
von ihren Sitzen emepergerifien wurden.
„Heiliger Sanct Antonius von Padual“ rief die Kofelin aus,
„das bat eingefchlagen. Den Ton kenne ich. Gerade fo raffelte es,
als dazumal Martins-Peters-Liabeth unter dem Nußbaume er:
ſchlagen wurde. Wenn's nur fein Unglück gegeben bat! — Gott
fel und und allen Menſchen gnädig!“ —
Mit dieſem Schlage, der allerdings gräßlich und erſchiuternd
war, ſchien fich das Gewitter entladen zu haben. Der Sturm
‚Iegte ſich. Es blitzte wohl nach, aber ber Donner war bei weiten
nicht mehr fo Heftig und hörte endlich ganz auf. An feine Stelle
trat ein fanfter Regen, deſſen bie vertrodnete Flur bedurfte. Gr
hielt faft Bis zum Wbenb am, und ſomit auch bie Frauen im Bleich⸗
hauschen gefangen; denn fie wagſen nicht, bie ſchoͤn getrocnet
Waſche dem Beregnenwerben Preiszugeben. An Unterhaltung fehlte
ed ihnen nicht; bemm bie Kofelin hatte im ihrem Tangen Leben
fo vielerlei Gewitterunglüdäfälte erlcht, daß ihr der Stoff für ihre
rebfelige Zunge nicht ausging Nur Eine war wit ihren Gedanken
anherswo und mit befonberer Beängitigung bei Cinem, ber ans
dee Stadt heimlehren follte und ihrem Herzen innerlich. —F
wor. GEndlich klaͤrte ſich, lange nach dem Sonnenuntergang, ber
Himmel auf, und fie begannen bie Wäſche heimzutragen. De
Koh das Schnlhaus bei ber ſtirche am wörbliden Ausgange
des Dorfes und in dieſer Richtung dad Anesite Haus lag, fo
füßrte fie ihr Weg nicht durch das Dorf, fondern den Yubpfalı
hueauf, ben Käthchen, Frang und bie Koſelin in fo verfefiebeneg
Stimmung auf: und. .abgefcritten waren, wohurch fie mit keiner
Gele in Berühmung kamen, bie ihnen hätte mittheilen Lünen,
waß fih im Dorfe ereigmet Halte. Erſt als fie fpät. beim Kaffee
haben, - ver auch: al Abendmahlzeit gelten mußte, kam bee Lchren
Yelık "and brachte erſchũtternve Rute von ber ein; See: —
won ber anderen rer, welche eitne zrohortize wien * ver⸗
fehlen konnte in ben 1 Gemiihern ur Sippe. |
‘ ' “ . F * .n .
. . . = » ‘
1* Pu " . 5 oa. I;
. A x
. - .
Als die Kofelin Peter Merl’ Stube verlaffen hatte, blieb
ber Alte in feinem Sorgenftuhl Liegen. - Er vermochte nicht auf:
Zafiehen; aber er. zimg verzweiſelnd bie Händi. Waß fle ihm
geſagt, zeigte feims umgewandelten Sohtres Entfchluß in feiner
Feſtigkeit. Er wand ſich im ſeinem Sorgenſeſſel wie ein Aal, uber
er ſah me das drehende Unglück und keinen Ausweg, und — in
ber Bruſt regte ſich ein lutras, das wohl auch zu anderen Zeiten
einmal leiſe ihn gemahnt hatte an ſeine Sinden. Diesmal aber
wars anders als ſonſt. — Er konnie num nicht bie innere Qual
ab Angſt vertilgen mit ber Macht eine Wſen Willens, wie er
es wohl früher bisweilen vermocht Hatte: Er füulhlte ſich malt,
ſchwach, Llend. ES war, als wenn mit einem Bude bas Alter
wir all ſeiner Schwäche und feinem Wehe über-ihn hereingebrochen
wäre. Und dazu die Innere Aufregumg, Angſt und Quafi Um
die Haushaltimg kunmerte er ſich gat nicht, auch nit um ben
Aderbau drauhen. Des Sohnes Worte bramıiten in feiner Seele
wie Uni Feuer. Gr wollte bas fluchbelad’ne Erbe
wit! — War's bean nicht wirklich fluchbeladen? Konnte er xB
Mugen, böß er durch den bekschenen Notar ben Maitinsvetter
herumgebracht, der tm legten Augenblicke ber armen Wittwe das
We Gehorende zuwenden wollte? — Kenrte er &- in Abrede ſtellen,
daß er ſeines Brubers Ponmilie arm gemalt? — Aber deäil
Bekennen, bas Herausgeben? — Da ſritlubte A bie ringefletfchte
Hubfucht, ber imerjätlliche Geiz mit er ſeraft bagegen. Das "
war ein Kempf ir ber Seele, Ser -.ben Alten - Yinliber- uch
MM —
hbamaberrie bo di Arie ua leiblich richägite, “ L
uicht, ar wank ad, a hatue nirgenda Marke und Hef aus ei
Stube in. big: ounbene, - Mraigie ſich beikdg Hinten den Ohren, rieb ſich
bie Stirne und Fam zu; Tagen Gbichluffe,. wader zu Daun, feſuu⸗
Bolten, was er hotta, och iu heim, Die: edinginig ſeinen Sohrse
„u fill. Sp ging: der. Tag dein, und er wo! der —
im. Pa. Bert ah.
Was hiuͤltte er dumm gegeben, jetzt eine —* BER
Haben; allein "die hatte er nicht. Der Pfarrer — Ya dert —
der Katie ihm Aehnliches, wie jetzt ber eigene Sohn, ſchon ger oft
gefagt und ihn gepadt, wie mit Fäuſten, doch mr mit Worten,
daft ihm der Angftfchweiß wie Erbſen anf bie Stimme trat; ben
Brauchte er jet noch, um ihhn vollenb® aus ber eignen Haut ber-
auszujagen! Die Kofeliit, die alte Margreth? — Die hatte ihm
heute Thon mit ihrer zweifchneidigen Zunge in bie Seele hinein:
gefcnitten. Und doch — er bedurfte bes Rathes, der Beihirtft,
um zu einem fefen Enifehtuffe zu Tommen! Gegen Abend wollte
er einmal hinaus anf's Feld fchtendern, ob ihm ba nicht Einer
begegne, mit bem er zutraulich reden Tanne; aber da fing’ zu
donnern und zu Wilken m. Dad war nım and am Cnbel 6
jeßste ſich höchft ungluͤcklich in feinen Seſſel.
Da fing dad Wetter an fih zu entladen. Blitz auf Blitz,
Donner auf Donner; dann ber grelle Blitz und der gellend
krachende, nachrollende, faft knatternde Schlag! Peter Merk fuhr
aus ſeinem Sefjel, ber ihm jetzt ein rechter Sorgenſtuhl wat, und
fand urplötzlich mitten in ber Stube, und feit lange zum erften
Mole entfuhr Jeiner Lippe bie Bitte um himmliſchen Schutz. Er
zitterte heftig am ganzen Leibe. ,
Achl wenn doch her Franz nidt mierwegs iſt! ſeufzte er
und falteie die Hande.
Aher der Dann hatte ibm ungewöhnlich exſchüttert. Die
x
’
— se —
Blitze ſchienen Ihm brobende Mahner einer Kiufligen Bergeltung.
und doc, feine Wendung: zu ‚dem, was Fremz geforberti So
ſchwer -fiel?3 der Seele bes Geizigen, bie Bande zw lofen, die ihn
mit Höllenmacht an ben Mammon bien! Hier dewies ſich des
Oeren Bert: „daß leichter ein Kamecl durch ein Nabelbhr gebe,
bean daß ein Neker in das Reich Gottes Tomme‘t Im detſelben
flets wechſelnden Stimmung verlebte er wieder eine qualvolle halbe
Stunde; da lief Einer keuchend am Kaufe vorüber und dann
heran. Er riß die Thüre auf und rief dem Alten zu; „Erſchricket
nicht, Peter Merk, aber Ihr ſollt eiligft nach ber Stadt kommen,
ber Blitz bat. Euren Franz getroffen!” Jetzt flürzten Knechte und
Mägde herbei, bie fich bis jegt möglichſt in den Eden umbergebrüdt
hatten, um dem Alten nur nicht nahe zu Fommen; denn fein
Ausfehen war erfchredend, — Der Bauer erzählte, bad Gewitter
babe einen Trupp Leute, theild aus dem Dorfe,. theils aus andern,
im nahen Gebirge liegenden Ortfchaften unterwegs getroffen. Ciner
babe gerathen, unter einen der alten, hohen, bichtbelaubten Nupbäume
zu treten, um fi vor dem nahenden Hauptregenguffe zu fügen;
Niemand habe gemwarnt,. weil Keiner an bie Gefahr gedacht. So
hätten fie fi benn an ben Baum möglichit angebrängt, weil. bort
ber meifte Schug vor. Regen zu hoffen war. Plöglich blitzt's
und kracht's, und fie alle ftehen im euer, — aber fie fürzen alle
übereinander zur Erbe ohne Bewußtfein, erftidend tm gräßlichen
Schwefelqualme. Wie viele tobt ſeien, wiſſe er nicht. Er habe
ſie eben nur auf einem Wagen in die Stadt fahren ſehen, und die
zwei Doctoren und die. Bartfeger dabei, Alles in Angft, Sorge
und Mitleid mit den Verunglückten. Da habe ihm der Auswanberungd-
agent, ber bejier fehen Fonnte, wer Auf dem. mit Strob und Belt
werk belegten Wagen Tag, zugerufen: „Hannidel Pleß, eilet beim
und ſagt's dem alten Mer" (mas er bazu fegte, mag ich nicht
fagen!), „fein Sohn fei vom Blitz getroffen! Tummet Euch!“ Da
ſei er denn gelaufen, bap- ihm ſchier der Aihem ausgegangen,
*
um m mäden, daß ber alte Merkboeiter ben guten Ganz 1608
einmal fähel —
„Der Magen Bereit ſchrie plötzlich der Alte; und ber Ton
feiner Stimme Hang entſetzlich. Cr mußte fi halten, um nicht
umzuſinken. „Bleib' dal Hannickel Pleß,“ rief er dieſem zu. „Deine
Schuld ſchenk' ich Dir, die Alle find Zeugen, wenn Du Di) zu mir
fegeft und mit mir fuͤhrſt; denn ich Bin Allein nicht im Stande
dazu. Auch brauch” ich Dich noch anderwärts. Den Wagen! Den
Wagen! Den Wagen!” Die beiden’ Knechte waren weggeeilt. -
‘Der eine z0g ben Leiterwagen heraus und bemühte fi, einige
Säcke mit Spreu recht feft auszuftopfen, bamit fle zu Siten bienten;
ber andere war an ben Pferden. Hannidel Pleß balf bem, ber
die Sitze bereitete, und num ging's ſchnell. Bald darauf rolite‘ ber
Wagen durch's Dorf in den Abend hinein. Das erzählte der
Schulmeiſter den Frauen.
Als er aber das Wort ausfprad: Euer Soßn ift vom
Blige getroffen, da wurde Käthchen meiß wie eine Lille. Sie
ſank in ihrer Mutter Arm. Ihre Bruft ſtöhnte. „O mein Kind!
Mein Kind!‘ ſchrie die Mutter vol Jammer und Entfegen.
Plotzlich richtete ſich das Mädchen auf und ſah ihre Mutter
fet an. „Mutter,“ ſagte fie, „ich fterbe nicht. Es war nur eine
augenblidlice Schwachheit, Ich weiß, was mir obliegt. An fein
Leidensbette muß id. Hier babe ich nach meinen Schwachen Fräften
ber Krankenpflege mich unterzogen, und ibn — Ihn — follte ich
. ohne Beiftand, unter fremden Händen laſſen? Mutter, laß mich
gchen. Hier ſterbe ich.“
„kind,“ ſagte ber. Eauimeiſier, „es iſt Nacht, und es et
noch, wie willſt Du in bie Stabt kommen?“
„Das tft elle Sorgel“ rief das Mädchen. „Ich bin ger
meanchmal ſchon in ber Nat binabgelaufen, wenn ein Kranker
ſchlͤnmer würde, um bem Doctor Thomae Bericht zu erftatten.
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wa wiz ula was Schlium⸗s begegiei“ Sie made fi: eilian
fertig
Die Mutter {ah Fe bittenb an, ‚aber. fie ſchwieg doch.
„Selig find bie Barmherzigen, denn fie follen Barmperzigkei:
erlangen,‘ fagte die Kofelin. „Sie übt. die rechte chriftliche Rache
aus, fie thut dem Feinde Gutes für feine Uehelthat; fie. ſammielt
feurige Kohlen auf, fein Haupt. Franz if. ja. beR Alten Sohn!’ —
Die Lehrerin blickte wit innigen Wohlgefallen auf des f höue
Mädchen, deſſen Wangen. ſich im edlen Entſchluſſe ber hingebenden
Liebe höher geröthet Hatten Daun flüſtezte fie ihrem Manune
etwas in's Ohr und ſah ihn dabei jo liebevoll bittend an, daß
er lachend ihr mit ber Hand über.bie Wange ſtrich und bejahend
nidte.
„So!“ fagte das Mädchen. „Jetzt bin ich fertig,“ Sie reichte
ihrer Mutter die Hand.
„Bott behüte Dich, und feine „heiligen: Engel mögen Dig
begleiten!“ fagte mit einem tiefen Seifzer bie Mutter.
Der Lehrer nahm feine Müte und einen Regenfhirm. Die
Lehrerin reichte auch Käthchen einen, und erſt jet nahm Käthchen
wahr, daß ber Lehrer fie begleiten wollte. Sie wollte ihn zurüd-
Heften; aber er that's nicht, und fo ſchieden ſie denn felbander.
Der Regen hatte indeſſern, wie es oft Bei Gewittern der Fall
iſt, faſt plötßlich aufgehört. Die Sterne leuchteten im der reinen
Auft gang auferordentfich Beil, und bie beiden Banberer ſqyritten |
kräftig aus.
ME dem Ungludafalle verhielt es ſich allerdings ſo, wie
Hannickel Pleß geſagt hatte, doch bei weitem sticht fo mit ben
Folgen. Betäubt waren Wie, unb bewußtlos hatte mar fie theil-
weife in bie Stabt gebracht, in deren Mühe das Unglüd geſchehen
war; allein. man brachte fie suieber zum Leben, und nur ein Greig
ſchien in feiner: Bewußtloſigkeit hinüberſchlummern zu tuallen.
Dennoch gelang es endlich, auch dieſen wieder in's Sehen
aurüidguiningen. Die Marnung war wich anmal uk neigt
gegeben, bie je aft wieberhalt wich, and doch wergehlich, bei aim
Gewitter wie Schutz und Bien zu Tuben ante bau Achen
haher Dumme. Die Ganze Peine Stadt war in wogenber Auf⸗
xeguutz; Dem as haudelie fich a nichta Mexingeres, ala num elf
Menſchenleben. Ebenſo groß, wie bie Aufregung und Thelnahme
geoehen, war un auch bie Freude Über hie sumerhaffte amab uner⸗
wartete glüdliche Wendung
In welcher Lage ber alte Peter Merl war, als feine Srayem
wi bemapjaıken Nüſtern ben Weg nach ber Stadt dahin flogen,
ip ſchwer zu befchaciben. War doch ſeit biefer detzten Nacht ein
Schlag nah dem anderen gekommm, mb die ſchaxfe Art war
immer gegen he innerſten Lern ſeiner in bie Saele egewachſenen
Neigungen, man köonnte ſagen, ‚gegen den Mittelpunkt ‚feines Lebens
gerichtet; denn dieſer Kern und Mittelpunkt, zugleich die Augel,
am bie fh Denken, Wünſchen, Wellen, Fühlen und Thun brebte,
war ja fein Reichthum, fein Meld. Ex Hatte Zeit ‚genug ‚gehabt,
zu ockennen, wie 23 um ihn ſtand; mie mc win axmer, Mmexiniiener
Greis fein würde, wen Franz ſchiede; wozu er bamm geneigt,
geicharrt, gewaichert, erſchlichen und ærjchnappt. Er erkannte ſeine
Aamush im ſeinem Reichthume; und das Gewiſſen fing an Ihn zu
quälen. Alle feine Vergehen, befoubers an ber Schwägein, der
Die Meat, an jenem Bruder, fie ſtanden wor feinem inneren
Auge, und fein Kind Hätte fie ihm dahin gerückt, vecht zu feinem
Schreden und Elende. Die Dennerflige am Himmel baten
wiebergehelkt tief ia ber Bruf Und nun Tam der ıberbfle, — fein
Mind wer erjchlagen! Das mollenbete bie innere Erſchütterung, und
«ine Folge davon war cA, daß er dem Hanzidel Pleß feine Schulb
erließ, die vierzig Thaler betrug, bie aber auch nur durch Ale höchſt
wunberbane Rechaung Mat’ und Hamidels völlige Anleruduig
des Rechnens zu ſolcher Höhe angewachſen war.
Ala der Wagen dahinrollte, ſagte der arſtlahende anent
dorn’s Erzaͤhlungen. x
— 0 —
fur. Bert Made: Dabt Iht gehört, was unſer Weile: zum
Hunnid fügte? Nun iſt mir’ denn doch, als wenn bie Zelt
Bald undergismge: denn ba ein verſteinert Gerz, Das deni darbenden
Armen aus Geiz fen Brob nicht bricht, einem armen ‚Kerl "feine
gange "Gıiuld‘ erfäßt, das Komme inte faſt vor, wo einS ber Zeiten
auf Erben, von denen ber Herr Tibet.”
„Was ba Wied geſchehen if, begreif ig Act,” fagte di
ältefle Magd. „Es muß bo ein heiß dener fen, Ben
ſmilzt.⸗
„Laßt den Witen gehen,” ſagte bie andre Magd, ‚run: denke
un ben gırlen Franz! Gott wolle ihm gnäbdig fen und Age nicht
fletben lafſen!“ GSewißl Gewißle ſprachen bie beiden andeten aus
——— „Aber auch mit dem,” hob ber Wucht wieder
on, „iſt es anders geiworten, und Gott welß, wie! Was wird das
noch · wetten?" —
„Beberlafit es Bott dem Herm;,” ſagte bie Allefte Dlagb. „Der
lenlet die Herzen ber" Rönige wie Wafjerbäche: er wirb auch das Barte
Herz eines Bauern faffen und affes herrlich hinaus führen. Wiſſet
Ihr was? Gebet ſchlafen; ich Bleibe auf, weil wir nicht wiſſen,
wann ber Meifter zurſickommt!“ — Das geſchah dem, und bas
feomme Mäbchen holte fein Gebetbuch und betete inniglich, daß
ber Herr Alles wohl muichen möge.
An unglaublich kutzet Zeit erreichte ber Wagen mit ben
dampfenden Rofien bie Stadt. Wo aber find man die Ungfüd-
Tiden? — Der Knecht Aopfte am erſten beften Haufe und hörte
dann bier, daß Franz und ſammtliche vom Blitze Betroffene in
einem Saale bed Hofpitals ſich befinden. Dorthin Tenfte ber
Wagen. Der Saal wär erleudtet. Viele Menſchen fanden auf
den Treppen bi3 zur Thlre Peter Merk war nicht im Stande,
«din vom Wagen zu fleigen. Der Knecht und Hannickel Pleß
balfen ibm herab. - Sie mußten ihn auch im ben Sadl führen.
As er feinen Sohn Blei und angegriffen in einem ber "Wetten
- MM —
erhlickze um glaubte, er ſähe ihn als Leicht, ha buch der Ai
von Rraft. im alten Leibe zuſammen, unb obumäctig Ming. er; in
den Armen der beiben Männer, Doetor Thomat fab.ihe „Mer
Nol“ rief er zornig. „IR nicht Arbeit genug au den Geln, hie
im Gewitter ſich „unter einen Baum. fielen? Müßt Ihr einem
geplagten Manne noch Arbeit bringen? Wer if denn der 7—
den Ihr da hereinſchleppt?“
Schon an der Anrede, die brummig genug war, Kante gta
ein, Fremder erfamen, daß der Doctge Armenayzt war. —
Als er aber vernahm, ber Alte fei ber reiche Peter Merl von
dem nächflen Dorfe, ber feinen Sohn fehen wolle, da pfiff plötzlich
der Wind aus einer andern Richtung. Er war ungemein zuthunlich
und artig.
„Leget den Herrn Merk hierher, ſagte er, dawit er weich
liegt, und geht einmal aus dem Wege, daß ich ihn unterſuche,“
Er trat zu ihm, fühlte den Puls und wurde emfl. Er fühlte
noch einmal und verordnete etwas, das ſchnell mußte gebracht
werben. Dann aber begann er bie Wiedererweckungsberſuche und
lieg ihm zur Ader. Die Erfolge diefer Verſuche blieben lange aus.
Endlich fchlug er die Augen auf, aber er war an ber linken Cette
völlig gelähnt. Ein Schlag Hatte ihn im folge ber uußerorbent-
Uchen inneren Aufrägung getroffen: Cr kannte dieſen Zuſtand genau;
denn feinen Vater hatte ber Schlag auch getroffen. Kaum vernischte
er zu reden, als er in ein anderes Zimmer gebracht zu werben
verlaugte. Man willfahrte ihm, und Hier angelangt, begchriee er
en Notarius, der dann auch bald bei ber dam war.
.. , 6, " ..
Mit einer Schnelligkeit, daß ber ehrlihe Schullehrer, Aa
liehen Mädchen kaum zu folgen vermochte, ſchritt Kathchen den
Weg nad ber Stadt Bin. Vergebens verfuchte er fie in sim ihre
24°
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Odanten ernas ableltendes Geſprach zu ziehen. Wentge Woete,
und es flockte wider. Am Gnbe- ſchwietz auch der Lehrer und
folgte nur ihrem beftugellen Ausſchreiten. Dennoch war es bereits
Pit, a fe in das erleuchtele Hoſpilal traten. Die Menſchen,
welche Neugierde und Theilnahme Kerbeigeführt, Hatten fi verkanfen.
Far Saale war Niemand, abs die Werzte und bie Grhülfen wand
Pfleger. Sie meinten, das Mädchen und Ber Schullehrer ſuchten
Anberwanbfe und fragten deßhalb. Doch das Ange ber Liebe
fiebt fiharf. Schon Hatte Käthchen Franz und er fie erbkickt. Ste
ellte zu feinen Bette, kniete daran nieder, um feinem Gefichte recht
nehe zu fein, damit er nicht laut reden milfe, und ergtiff ſeine
Hand. Der Füngfing aber, überwältigt von ber Macht feiner
Liebe und recht deutend, was fie hierher geführt, z0g fie leiſe aw
ſich und blickte ihe in das treue Auge, ımb beider Wugen wurben
feangt. —
„Du kommſt zu mir?’ fragte er, ihre Hand druüͤckend.
„Di zu pflegen,” fagte fie mit herzgewinnendem Lächeln.
„D Du Gute! Wußteſt Du denn vom dein Unglüce?“ —
fragte er.
„Ich hörte es und lief Hierher, mid der gute Schullehrer
begleitete mich erwiederte fie. „Gott Lob und Dead, daß ich Dich
ſo wicht finde, wie ich gefürchtet, ober dar —*
„Tobdt 9” fragte er. „Hatteſt Du Nenw um wich getmiuert?*
„Franz, wie magſt Du fo reben!“ ſprach fle und legte hre
Stirne auf das Bette. Da faßte er fie mit Beiden Handen, richtete
ihr Geſicht auf, blidte ihr in das in Thränen fchwimmende Auge
und fagte: „Haft Du mich denn.Jieb? Käthchen, fage mir's, ich
bitte Dich! Neiße mich heraus aus ber tödtlichen Qual ber Unge⸗
wvihheitt⸗
‚Biebe, meine Seele bat nur einen Gedanken, undeber
MR On”
Bu —
Bir plc Bas: Ange, all er ff han Bere jo
pr und ihr fo feft. in. haffelke. blidte. .
aatgen —rin er hadlant, ih Wefinidee Dich, redet Hall
* wich I —
„Ja,“ fagte Sub Mötchen errdthend und fich lobmachend,
leiſe und kaum gehaucht. Da ſchlang er ben Arm um ihren
Nacken und drücdte ben erſten Kup der Liebe anf ihre Lippen.
Das hatte der Schullehrer mit halbem Auge geſehen und
freute ſich in ſeiner Seele. Er wollte dieſen Augenblid des Er⸗
kennens und Verſtehens weier guten Herzen nicht ſtören.
Den Doctor Thomae aber kam daher aus ber Stube, wohin
man den alten Merk gebracht. Trap der Brille, deren Gläſer wie
Mugräder waren, erlannte er das Mädchen nicht.
„Iſt das feine Mutter?‘ fragte er den Scchulleher, auf
Abehchen deutend. Des war. nahe daran haut aufzulachen, hilt ſich
aber und ſagte: „Rei, Herr Doctor, es iſt Eure Erantenpflegerin
die Gare zu KHülfe Lommtt. Ihr lennet fie ja um daheim heul —
‚Bob Bligl‘ fügte ber Docter ımb ging zum Weit und ſah
bie ‚&uth in bed Mädchens Geſicht und bie Verklärung zugleich,
bie auf ben fchümen Zügen Iag._ „Suter Mbenki” fagie er. „Bl
ben ba Pfegen, Kinb? — Nun, der macht Dir Veine Mühe. Ge
lanft mörgen. wieber. heim; aber den Alte macht vur mehr Sorge.“
„Main Water?” fengte Franz überraſcht. „Bar uhr, denn
eine Dhumacht 7
„Nun — ja, freilich; etwas mehr, — fo ein kleiner Schlag⸗
aufall,“ ſagte dev Docter. „Ich denle aber, es fol wonübergehen.‘
„Be muß ich aufſtehen und zu ihm,“ ſprach Franz
‚yet nicht,“ werfetste der Doctor. GEa find Sterbensgadanen
ihm gekommen, ob'a gleich daran noch nicht if. Da bat er einen
Metarius rufen lafſen, und ber ſchreibt eben eine Wet van Teſta⸗
went, Schenkung ober deß Etwas. Verſtehe bad Zeng nicht! Br
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wollen wir ihn gehen Infen:’ Iſt ba. vorbei,’ ſo fuhr' ich DM zu
ihm, Kind!“ fagte er, fich zu AAthchen wendend. tan
„Ach, Herr Doctor!“ ſpraih das noch immer glühente Wochen,
„fragt ihn aber doch erſt, ob er mich auch will, -ober thut She ep;
Herz Ehrer; denn Ihr kennet die Sache beſſer und wie, wie er.
gefiunt if.’ -
‚ Der Lehrer” verſprach ed, und Alle febten ſich an Franzens
Belt, der Käthchens Hand nicht aus ber feinen ließ.
. Erft nach einigen Stunden verlieh ber Nofar das Zimmer,
und der Schullehrer trat Binein. .
Der alte Merk erkannte ihn ſogleich. Der Lehrer erftaunte
über feine heitere Miene, über ben Ausbrud von: Zufriedenheit und
Süd, ben er nie auf Peter Merk's düſterem Gefichte gefehen. '
„Ah, Herr Lehrer!” rief er ihn an, „feld Ihr Hier? Wie
fommt Ihr denn ber in ber Nacht?” u
„Käthchen, Cueres Bruders Kind, wißt hr. ie,‘ fagte der
Lehrer, „iR die treue, freiwillige Pflegerin aller Kranden daheim ih
unferem BDorfe WIE fie nun von dem Unglücke Eueves Sans
und dee Übrigen Leute hörte, Tieß fie fich nicht mehr haktem, dem
Doctor zu Helfen mit ihrer Pflege. Da Hab’ ic, fie herbegleitet,
das gute Kind, daß Ihr Mein Leid gefchehe; denn fie war mit ihrer
- Mutter und der Kofelin gerade in meinem Haufe zur Wuſche. Nun
aber: fagt ber Doctor, daß Franz Teiner Pflege bebürfe,. Ihr aber,
und fo komme ich einestheilß, mich nad Euch zu erkundigen,
anberntheild zu fragen, ob Ihr Euch von Käthchen wollet pflegen
laſſen?“ —.
Der Alte faltete die gäbe und (rung: feife Worte in ſich
hinein, die der Lehrer nicht verſtand; aber es war ibm bei, als
vege ih in Ihm das, was bie alte Rofdin prophetiſch vorhetgeſagt,
als begonnen nämlich die feurigen Kohlen ſchon zu beamer +:
„Ach, Here Lehrer!” hob, nachdem er einige Zeit To in ſuch
hiũeingeſprochen, der Alte an, „es iſt mders mit mix, und "ich: bie
— m —
Tele: Anderer seioacheni nd; habe ieh: Vmearhit. gethau; abur
ich inache es gut, wenn mich Gott will Längen Sehen Tafien.: Ich
babe heute damit begonnen. Der Merkin hab’ I. ah tan But,
wen. ich an mich gebracht, uind wa. ein meinem Bruder gehörte,
zurüdgegeben, und auch bie volle Hälfte. be3 Gute vom „Martirn-
vetter durch frendillige Schenkung, - fammt wen- Binfer vom Tage
fm, Batch bie Erbfchaft antrat. Seid Ihr damit zufrieben?“ —
07er Lehrer ſah ihn überraſcht an und Tagter::-,,Wott Tegne
Euch dafür, daß Ihr gut macht begangenes Unrecht! Ihr handelt
nach Gottes Wort, und ber Herr wird Eu mäbig: fein.“ Er
drilctte Ihe: bie Hand.
„Soll ich denn num ben rechten Schluß machen?“ ſagte ef
wieber ber Lehrer: it Cug bit liche Pb als Prlapprin To
bommen? 3
„Gewiß,“ eütgeguele ers „über. sagt, Fhr — von dem, was
ih End; gefagt babe, gelobt mir danl⸗
:: Der Lehrer gelobte ed. DEE ze
.ꝓ„Wie ıgebt’8 "meinem Sohne? ”' fragke: er van. | [x
„Da möget Ihr ſelber fehen,’ verfeiste der Schullehrer, "ng
eben bie Thüre auftzing unb: Gran Dereintred, &. haue wch des
Vadbers Frage gehört. ‚.
„Mir geht's vortrefflich,“ fagte er; „Desk jet sem Deren, bee
uns. Mile wunderbar erhalten hatl - -
Ja wohl,” verfetzto ber Alte. „Bei mix hat bie ‚Sand pe
ers mächtig an bie Pfarte geflopft: Steh’, Kranz, mein Tinker
Arm iſt lahm. Als Ih Dich da Liegen fah, ‚meinte ich, an ſera
tobt, und vor Schreclen traf mich der Schlag. zur
„Es wird mit Opties Hülfe- [chem beſſer u der Bere wide
Gnanhbas werben. Mur bürfer wir nicht / vergeffen, daß der Herr
ber: rechte Arzt: in Iſrael iſt, und wicht die Menſchen; der anch
inwendig alle unſere Gebrechen heilet.“ —
„Du haſt Recht, Franz,“ ſagte der Alte. „Ob ig glei Ieiblich
Ice, fühle ich doch bie Heileube: Kant keb Herrn auch inwerdig,
weh Du wirſt worzen ſehen, win I ba wre”. —
8 Sehnes Haub no
“Bo I dem das Authchen?“ fragte er Dosen, nd 8
—A—— fg ein Lichtſtrahl ſeliger Freude
Der. Lehrer brachte fi. Schüchtern unb geſchämig zur Grbe
blaaem, ja uf zitternd und bleicher Wange, trat fe zu dem Siech⸗
tie des Mannes, defſen eiſerne Hand ſchwer anf ihrem Familien⸗
gquue ja erdrucend geruht. Ste wagte eh wicht, über anzuſchen.
Der Alte betrachtete fle lange und wohlgefällig. Kinb meines
Bruders,“ ſagte er dann, „Dein Vater und Beine Multer ſſch
nicht hiet, daß ich fie um Bergelung büten könme, Lach much es
bi Dir Yan Vergib mir, Mind, das Umvecht, was ich Ench
zufügte! So weit es Menſchen vergüten können, babe ich es gut
gemacht und‘ werbe es noch get. möchen. Willſt Wu?“
Alle die Erinnerungen fillemten auf das jugenblicht Gerz ein.
Was fie nicht erlebt, fie hatte es ja gehört von ber Mutter und
der Kofelin. Aber ein Blick amf Franz, und fie gedachte der heiligen
Pracht des Ehriſtenherzens. Sie fagke:
Möge Su Gott fo wergeben, wie ich Cuch vergebel “
„D Du milder Engell” rief der Alte, wunberbar ergeifien,
aunts; „Dr gießeſt Balſam in mein wunden Herz und Frieden in
meine Seele. Ja, Gott wird wir vergeben, wie Dur wergabfiz
ber er wirb Dich mach ſegnen, wie Du o8 verdienſt! Kind meines
DBenserd,“ vief er mit. größerer Anfirengimg, ‚mein Franz hat Vich
WB. DO id bite Dig, wen auch Du Abm nicht grolleſt um
meinetwillen, gib ihm Vene Hand. Werde fin Weib. Damm a
m ber — verſchwunben web ber leben kehrt wicber)
Er fand zur, Ein nicfes Stohnen drang aus feier Weil
hervor, und das Juſammenzucken ſeinet Geflalt fe eine Räder
bes Schlages fürditen. j
„Dee! of oa angfin in bon Cool Hua
- MM —
Er kam, nahm das Licht und trat zum Bette.
„ Allmälig teat: jenen furchthare, aber unverkennbare Ausbrud
des Geſichtes hervor, welcher ber Stempel bed Todes il.
Jept ſeyte ber Docter ‚das Licht wieder auf den Tiſch.
‚Köthen, ſagte er zu dieſer, „bieswal iſt es mit der Pre
nichts. Der Sohn. bedarf ihrer nicht, weil er geſund ift, und
der Masgr eben. jo wenig, weil er vollendet. hat! Er iſt geftorben,
und menſchliche Hülfe war vergeblich, „heun ich erkannte fein nahes,
unaugbleibliches Ende.” Er ging binaus..
Franz brüdte dem reife bie Augen zu. Dann knieten bie
Dreie, Käthchen, Franz und der Schulmelfter, nieber am Sterbebette
und betefen lange und hmig. Unb als fle aufgeftanben, ergriff ber
Lebtere des Mädchens Hand und fügte: „Käthchen, diefer Abend
* ein Abend relchen Sezend. Du huft ihm Frieden gegeben,
und ſein Wort heiligt Enre Liebe. Gotles Segen wird Euch nicht
„fehlen. “u
Der Ar tet iur Suale wieder gu ihnen. |
„Herr Doctor,“ fagte ber Lehrer, , barf Franz mit mıd bel
hen?‘ .
„Nein, ſprach ber Doctor. „Er Pr andy Mergen noch Zeit.
Ich dachte aber, ihr bliebet Alle hier. Ga iſt Ein Uhr nach Mitter⸗
nacht. Die Ruhe wich Euch Allen Bedurfniß ſein, wie wir: Ich
denke, Yier ueden dem Hoſpitale, int Wiier, fiabet Ihe, wo Ihr
fuchet.”
Franz entſechied ſchnell, uud fie gingen Hier ter bap Gaſt⸗
haus, woe ber nech ınla ben Perden noch hatrie ww. mit @r-
fehredien das Ende ſeines Muikeıs vernahm. Bannidel war heiss
geeilt, fein Glück, bie erlaffene Schuld feinem Weide mb - fein
ande m verfünbigent. -
x -
12. .. Fa Sr “.
Am andern Morgen kam ber ötar tra’ Hofpitäl, wurde
aber in ben Adler gewleſen. Da fahen die-Dreie ernfl und FAN
beim Fruhſtück. Der Notar bezeugte fein Beileid, und legte in
Franzens Hand ein Arten. Es war bie Säeittung an bie
Wittwe Merk, tie fie Franz gefordert. Er Tegte Ne in Läthchens
Hand, nachdem ber Notar weggegangen war, und fagte: „Gott ſei
Preis, er hat feine Seele befseit und Rest geübt. Kaͤthchen, Du
bift nun eine reiche Erbin.” *
Das Mädchen erſchrack heftig.
Der Lehrer Ins ihr das Dokument vor. „Ad Gott,“ ſagte
fie, „was füllen denn alle die Qeftimmungen?
„Dich und Deine Mutter in ihre Rechte einſetzen,“ fogte Franz
„Sag Kind,“ fragte der vehrer ſchallig: „Wirſt Du dean nun
auch ben Franz nehmen, da Du fo reich biſt?“
Erröthend blickte fie, ‚aber ſtrafend, ben Lehrer an. Dann
legte fie ihre Rechte in bie Franzens und fagte: „Im Angefichte
be3 Todes hätten wir und verlobt, wenn ed nöthig und möglich
geweſen wäre, laßt uns von ſolchen Dingen nicht reden.“
Franz zog fie an ſeine Bruſt, und der Lehrer bereute das
unbefonnene. Wort, das ihr wehe gethan Hatte,
Nachdem Franz ‚den Sarg beftellt und noch Einiges mit han
Arrte geredet hatte, beſtiegen ſie den Wagen und fuhren heim.
"Daß ganze Doxf war in Bemegung. Die Sabeölunde war
ion: vorausgeeilt; night. aber. bie, daß Kathchen and Franz Ver⸗
lobte ſeien. Daß fte fo toaulich mijawmen. ſaßen, das fiel wohl
den Leuten auf.
Vor dem Häuschen, um deſſen Wande die Rebe ihre gieben
arme ſchlang, hielt der Wagen, und die Merkin hieß fie willlommen.
Was da drinnen weiter vorging, blieb ein Geheimniß, aber,
als die Koſelsbaſ' heraustrat, bie bei ber Merkin*gewefen war, unb
u —
we Aue fie: nonglerig' umbellugten, Tapie fie: Wartens abbı.iiber
asia It aah; Rachen · Franzeno Braut. ufurunb
“5 nt Gert’ tun: manch Res wehlheniacht dal.” ! 1. un
Bad: wirt re et in Minhirikilage,mciften "
— — Pfavrer:worweilt "Inden, gu; win Tekikammı Me⸗
vor dur Dos und Jeri wuede⸗ gerufrn und erbiekt chin
For" Ouäng Ober alle: Mid bar Aerucſrinzerriß gt beit
- Bauhosniet anıb Wien‘ fan Str“ 30 Handke ale chat
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. Da tam:ch' dem; sap nlanger Fluch nzum Sa ab
Sri dem Leichendegiragnifſe zeigte: es. ſich: wir ſich Die Geſinnung ber
Warte geändert haft; Mit greher Theilucchme Kukte bie Semeinde
‚Ye Leitht om der Sreitze ber Drisgemorfing ab und geleitete fie zu
Grabe ws manche Zyvime ſwh dir. zwi einen Wien Segen
na ur
Ein Trauerjahr Sie Grat, —* em; Di ſo wolle x: &
llebliche Wert: : © onen
Dieſea Jahr hab :Zengmih: davon; Wie ie Nacht im Bleich⸗
Haus hier geiöbelt.:: Franz legte bat Brumd zu einen Verforgungs-
danfe für: ame Alte;, deſſen Barri ein Lieblingegedanke feier" Seele
war. Der Pfarrer und ber Lehrer waren bebei Feine berathenden
Beer: Er ſtiftete Capitalien fr bie Erztehung ‚wörher: Waiſen
umnd andere wohlthatige Einrichtungen und gab ſo faſt alle frine
Capllalien Hin.’ Zu Kathchen Tage re Nun mußt Du auch! arme
Menſchen ernſhren!“ Bie:lächte und ſagte, Du haft ja doch das
Meiſte, und:: wenn Du’ bettelarin waveſt; bein Du bringfe dert Sögen
mit, ven Sugen ber. Armen, und ben Gegen Gottes. Bas ift :ja
das rechte Guti Ach weiß, daß Du ſcherzeſt; ich aber meine es
ſo ernſt, als ich es nur meinen kann mit meinen Worten.“
Das fühlte Franz tief und drückte dag treffliche Mädchen mit
Dank gegen Gott an feine Bruſt.
Als endlih dad Jahr um war, fegnete ber Pfarrer ber
Mir ſeine Heine Genofionfdinft von in Framgens Haus gelben, her
Wharter, der Lehrer ab „feine Frası 'unb hie alte Aoſelsbaſ. Wher
ber Bug sur Micke wer auch Ace gervähnlider. Te gunze Me⸗
zmueinbe, Männe, Micdler, Fünglienge uud SPmafeamer munfmine -
in beu Sonntagsfleiderg, das Häuschen ber Wittwe Merk, mb
als die Vlocken Fäutelen, trat bad Vautpaar aus bems Smächen,
und es folgten punk mur bie, welche zur Hochteit gelaben warten.
Die ganze Gemeinde ſchloß ſich an. Athchen weinte Thränen
ber Freucde und des Dankes gegen Gott. Unendlich erhebend wear
bie Feier, uub als das junge Ehepaar dauch bie Reihen ging, ba
reckten Alle die Hände hervor und drückten bie ihren, und manch.
Stimme verſagte, als fie den Mückwunſch ſprechen meßte.
Als die Kofelin in Franzens Haus endlich angelommen war,
vief He aus: „Heiliger Sanet Antemius son Pabual eh war Zeit
für Euch, daß es ein Ende hatte; denn das herz mellke mir berſten
vor Freude, Rübrung umb nech Eiwas, beru ich eigentlich Beinen
Namen zu geben weiß!‘
Die Matter Merk 309 gu den Rindern, und hie Kofelin ud,
daß ihre alten Rage ſorgenlos würden. Und has Bläd wohnte
kei ihnen Allen und ber Segen Boited, zumd bie Nacht am Bleich⸗
Hintächen wurde won Allem gefngmet, fo lange fit Achten; denn durch
biefe Nacht war ber Fluch zum Segen gemorben, und aus ben
Wirren kam ber Friede, weil ber Weg bed Anrechts zu Lie Wege
"Des Mechts geworben war, unb ein Weg der Umkehr zu dem Herm.
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